1. Gehe ich eigentlich von einer Fehlannahme aus, wenn ich sage:
Der gesetzliche Mindestlohn wird viele (insbesondere kleine) Firmen entweder in die Miesen oder in den Bankrott treiben
-> Stellenabbau/Streichung
-> mehr Arbeitslosigkeit
Ich kann mir gut vorstellen (und sehe auch in meinem nahem Umfeld), dass es eben bei kleinen Firmen um jeden Hunderter im Monat ankommt, und da schlicht billige Arbeiter die einzige Möglichkeit sind, sich über Wasser zu halten. Diese Möglichkeit fällt durch den Mindestlohn doch flach.
Interessante Einstellung. Es muss Firmen erlaubt sein, die Arbeitskraft ihrer Mitarbeiter auszubeuten, indem sie Hungerlöhne zahlen, damit die Firma überleben kann? Weil sonst Arbeitsplätze verloren gehen und Menschen arbeitslos werden?
Das ist hierzulande aber auch ein echtes Phänomen. Mit dem Totschlagargument der angeblichen Vernichtung von Arbeitsplätzen kriegst du das deutsche Stimmvieh jedes mal auf's neue dazu, alle noch so absurden und menschenverachtenden Maßnahmen abzunicken, die angeblich zum Erhalt von Arbeitsplätzen getroffen werden müssen.
Ich sage: Eine Firma, deren Geschäftsmodell darauf beruht, dass sie ihre Mitarbeiter nicht vernünftig für ihre Arbeit bezahlen kann, die hat ein falsches Geschäftsmodell, und dabei kommt es auf die Größe der Firma nicht an. Eine Friseurkette, die einen Damenhaarschnitt, an dem die Angestellte mehr als eine Stunde arbeitet, für weniger als 15 EUR anbietet, die bietet ihre Dienstleistung schlicht zu billig an. Diese Fehlkalkulation auf die Mitarbeiter abzuwälzen, ist eine Unmöglichkeit.
Du formulierst das mit einem Elan so boshaft, unglaublich.
Also, zu allererst: Niemand ist gezwungen, sich so einen Job anzutun. Soweit ich weiß, zwingt dich niemand dazu, dass du einen solchen Job annimmst. Wenn Hartz IV das tut, dann ist das Problem bei Hartz IV, nicht bei der Arbeit.
Falsches Geschäftsmodell sagst du?
Meine Freundin arbeitet regelmäßig bei einer bekannten auf dem Marktplatz als Verkäuferin von landwirtschaftlichen Erzeugnissen, Marmelade, Schnaps, etc. Das Zeug kostet dort auf dem Markt ziemlich viel, also mehr als im Supermarkt. Die Herstellung dieser Waren ist für kleine Betriebe sehr aufwändig. Das kostet schlicht und ergreifend mehr Geld als die Massenabfertigung bei Schwartau. Wenn du jetzt Mindestlöhne von 10 Euro forderst und diesen Preis vollständig auf die Kunden ummünzt, verkauft sich das Zeug nicht mehr. (Oder kaufst du ein 200-Gramm-Glas Marmelade für >5€?) Du redest hier von Ausbeutung, Fakt ist: Es gibt Betriebe, die haben keine andere Wahl und krebsen am Existenzminimum und sind auf genau solche Stellen angewiesen.
Ich habe zudem gar nicht gesagt, dass ich prinzipiell gegen Mindestlohn bin, ich habe nur Bedenken, was z. B. mit der Stelle meiner Freundin passiert, wenn sowas eingeführt würde. Ich schätze, dann würde es entweder nicht oder schwarz weitergehen.
In fast ganz Europa gibt es mittlerweile Mindestlöhne. Ausnahme sind Italien, Dänemark, Schweden und Finnland, wo es aber zumindest Gesetze gegen Lohndumping gibt, und Deutschland, wo es weder Maßnahmen gegen Lohndumping noch einen gesetzlichen Mindestlohn gibt. Selbst in den USA gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn. Zahlreiche internationale Studien--in Europa und in den USA--haben gezeigt, dass das von den Liberalen verbreitete Schreckgespenst der Arbeitsplatzvernichtung im Niedriglohnsektor durch Mindestlöhne ein Ammenmärchen ist.
"Andere haben das, wir brauchen das auch!" ist argumentativ ziemlich schwach.
2. Nur so als Information: Ich leben für 240 Euro warm inc. Internet. Es gibt mehr Leute, die günstig wohnen. (Nein, ich wohne nicht bei Muddern oder auf Vitamin B)
Schön für dich (und Mersharr), dass ihr so günstig wohnt. Ich nehme an ihr studiert.
Falsch angenommen.
Und ihr glaubt, euer Studentendasein lässt sich auch nur ansatzweise mit dem täglichen Leben eines Niedrigstlohnarbeiters vergleichen? Könntet ihr jetzt eine Familie ernähren? Hätten Frau und Kind in eurer Butze Platz?
Wie Mersharr sagt: Hätte ich Frau und Kinder, hätte ich aber auch andere Einkünfte. Einkommen der Frau, Kindergeld, usw. Ich kann nicht darüber reden, was wäre und wie viel Geld ich dann hätte, ich kann das schlicht nicht überschauen.
Ihr wisst beide, dass eure derzeitige finanziell klamme Situation vorübergehend ist und ihr irgendwann mal zu den Besserverdienenden gehören werdet und euch dann auch was leisten könnt.
Ich KANN mir mehr leisten, aber ich will nicht. Warum soll ich eine großartige 240€-Butze aufgeben, um mehr zu zahlen und mehr Wohnfläche zu haben? Ist nicht meine erste Wohnung und ich hatte noch nie das Problem, eine billige Wohnung zu finden. Dass der typische Mietnomade da anderen Problemen ins Gesicht sehen muss, ist klar.
Für Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen ist Endstation. Möchtet ihr in 30 Jahren im Alter von 50 bis 60 noch immer so leben wie jetzt?
Wer will das schon?
Stagnation ist Rückschritt