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Workshop => Story Hour => Thema gestartet von: Hunter am 09. Dezember 2007, 20:18:42

Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 09. Dezember 2007, 20:18:42
Dies hier ist die Geschichte von vier Abenteurern wider Willen, die eine Reise begannen,die sie alle verändern sollte.

Die Briefe des Dekans
Kondenswasser tropfte von den Dächern und die Luft war zum schneiden dick. Selbst der Wind, der den Geruch von Salzwasser mit sich trug, brachte keine Abkühlung. Dennoch herrschte in Pylas Tlaer dasselbe hektische Treiben wie jeden anderen Tag auch. Was daran liegen konnte, dass das Wetter in der Stadt nur selten anders aussah, als an diesem Frühlingsmorgen. Händler aller Völker und aus aller Herren Länder priesen auf dem riesigen Marktplatz ihre Waren an und versuchten dabei die Konkurrenz an Lautstärke zu übertreffen und an Preisen zu unterbieten. Todlose Wachen, mit Speeren und den charakteristischen elfischen Langschilden bewaffnet, patrouillierten mit einer Ruhe durch die engen Gassen zwischen den  Ständen, wie es wohl nur Tote konnten.
Thalaën betrachtete all das von einem Balkon hoch über der Stadt. Gemächlich wetzte er mit einem Stein die Klingen seines Doppelkrummsäbels, während sein Blick über das Chaos unter ihm wanderte. Diese Stadt war ein Flickwerk der Kulturen. Ein Schandfleck im elfischen Reich von Aerenal. Nur gut, dass er nicht dauerhaft hier wohnen musste.
„Du solltest ich wirklich mehr mit dem Stadtleben anfreunden, Thalaën. Es bietet Vorteile, die du dir gar nicht vorstellen kannst“, riss ihn sein Bruder aus den Gedanken.
„Ich denke, darauf kann ich verzichten. Sobald unser Clan die Vorräte ergänzt hat, ziehen wir wieder gen Westen. Und ich werde mich sicher nicht auch nur einmal nach dieser Stadt hier umdrehen, Dyrel“
Sein Bruder seufzte übertrieben theatralisch und erhob sich aus dem bequemen Korbstuhl, in dem er bis jetzt gesessen hatte. Das Glas mit elfischem Schwarzwein hatte er jedoch immer noch an der Hand, als er sich an das Geländer des Balkons lehnte um seinen Blick über die Farbenpracht des Marktes schweifen zu lassen.
„Hast du Mutter besucht? Oder wenigstens unsere Schwestern? Du weißt, sie würden sich über einen Besuch freuen.“
„Würden sie nicht“, knurrte Thalaën.
„Sie würden es nicht offen zugeben. Dennoch vermissen sie dich. Du warst lange weg. In den Steppen des Westens, in diesem fernen Land Valenar.“
„Und?“
„Du hast dich  sehr verändert, Bruder.“
Dyrels Blick kehrte zu seinem Bruder zurück, der immer noch seine Klinge in Händen hielt.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Kleidung bequem ist.“
„Nicht unbequemer, als die unsere traditionellen Gewänder“, erwiderte Thalaën.
Dennoch war der Unterschied zwischen der Gewandung der Brüder sehr unterschiedlich. Thalaën trug ein braunes Hemd, schwarze Kniebundhosen, sowie recht bequem aussehende Reitstiefel aus Pferdeleder. Sein weißer Umhang verschwand irgendwo unter ihm im Korbstuhl; das weiße Kopftuch mit dem Mundschutz, welches normalerweise seine Ausstattung komplettierte, lagen im Inneren des Hauses; Staubschutz war hier, am Rande des Dschungels von Aerenals kein Thema.
Sein Bruder Dyrel hingegen hatte seine Dienstkleidung an: eng anliegende schwarze und Blutrote Kleidung, dazu schwarze Handschuhe und ein weiß geschminktes Gesicht. Thalaën wusste aus Erfahrung, dass selbst er, als an Hitze gewöhnter Elf, darunter schwitzen würde, wie ein Frostwurm in Xen’drik, während er es in seiner Reiterkluft als angenehm warm empfand.
„Wie du meinst. Dennoch solltest du darauf achten deine Herkunft und deine Wurzeln nicht zu verleugnen“, warf sein Bruder abermals ein.
„Tue ich doch gar nicht“, verteidigte sich Thalaën. Ich habe nur eine etwas andere Auslegung unserer Traditionen, das ist alles. Nichts desto trotz verehre ich unsere Todlosen Ahnen ebenso, wie du es tust. Ich huldige ihnen nur anders.“
Bevor Dyrel dieses ewige Streitthema zwischen ihnen weiter aufnehmen konnte klopfte es irgendwo im Haus. Schritte der Bediensteten waren zu hören, jemand sprach an der Tür und ging kurz darauf wieder, dafür erschien einer der Bediensteten von Dyrel auf dem Balkon:
„Eine Nachricht aus Khorvaire für Herrn Thalaën Tedaé, mein Herr.“
Er verneigte sich vor Dyrel und übergab dann Thalaën einen versiegelten Brief mit dem Wappen des Hauses Orien. Thalaën beäugte ihn misstrauisch und wendete ihn zwischen den Fingern.
„Willst du ihn nicht aufmachen? Sind doch sicherlich Grüße deiner Freunde aus Valenar.“
„Dieser Brief stammt nicht aus Valenar. Und kein Elf, auch kein Valenar, würde Haus Orien damit beauftragen einen einfachen Brief zu überbringen. Dieser Brief stammt aus Sharn, der Absender ist ein gewisser Bonal Geldem.“
Dyrel hob erstaunt eine Augenbraue.
„Du kennst Leute in Sharn? Ich bin erstaunt. So viel Weltoffenheit hätte ich dir gar nicht zugetraut, Bruder.“
„Er ist ein alter Bekannter …Freund“, murmelte Thalaën und brach vorsichtig das Siegel. Wie fast alle Elfen beherrschte er die Handelssprache der Menschen von Khorvaire. Jedoch war es ein Unterschied eine Sprache zu sprechen und sie zu lesen; und lesen war ohnedies nie Thalaëns Stärke gewesen.
„Was schreibt er?“, fragte Dyrel daher nach einer geraumen Weile ungeduldig.
„Er bittet mich, zu ihm nach Sharn zu kommen. Er stellt eine Expedition zusammen um irgendein altes Artefakt zu finden.“
„Na, dann wird sich der Arme wohl um jemanden anderen umsehen müssen, oder?“
Thalaën schüttelte den Kopf.
„Da irrst du dich Bruder. Ich werde nach Sharn gehen. Immerhin bin ich es ihm schuldig.“

***

Vorsichtig bog Esra den Ast zur Seite um einen besseren Blick auf die Lichtung vor ihr zu haben. Ihr Herz begann zu hüpfen: Da stand er. Ein wunderbarer, riesiger Elch graste friedlich im Licht der aufgehenden Sonne.
Die Windrichtung stimmte perfekt. Die Nebelfetzen zwischen den Bäumen bewegten sich kaum.
Ewas weiter entfernt schrie ein Käuzchen. Matuc war also ebenfalls auf Position.
Esra erwiderte den Ruf mit dem Krächzen eines Raben. Der Elch hob den Kopf und starrte in ihre Richtung. Esra erstarrte. Doch schon bald wandte sich das Tier wieder seinem Fressen zu und sie seufzte innerlich auf.
Langsam griff sie hinter sich und zog so leise wie möglich einen Pfeil aus ihrem Köcher. Ihren Langbogen trug sie bereits in Händen. Nun ja nichts mehr falsch machen. Sorgfältig legte sie den Pfeil ein, strich über die Federn und spannte den Bogen. Er knarrte, der Elch zuckte zusammen, sah sie an und wandte sich zur Flucht.
Balinor sei uns hold, rief sie als Inneres Stoßgebet und feuerte den Pfeil.
Fast im selben Moment feuerte auch Matuc seinen Bogen ab und der Elch erzitterte unter den Treffern. Aber er stand noch und ergriff die Flucht.
Esra zögerte nicht eine Sekunde und sprang aus ihrem Versteck hervor, ihm hinterher. Während sie ihren Sprint begann, griff sie nach einem weiteren Pfeil und lies zugleich das Tier in ihr zu. Ihre Schritte wurden schneller und schneller, ihr Blick schärfer und als sie den Bogen anlegte, um dem im Wald verschwindenden Elch den Gnadenschuss zu geben, wusste sie, dass sie treffen würde…

„Ein meisterlicher Schuss Esra. Aber sehr gewagt. Der Elch hätte uns auch durch die Finger gleiten können“, stöhnte Matuc, während er sich in die Seile stemmte.
„Ist er aber nicht“, grinste Esra und deutete auf das Fell und die riesige Portion Fleisch, die sie gerade gemeinsam durch den Wald schleppten. Soviel sie tragen konnten, hatten sie aufgeladen. Der Rest lag, hoffentlich gut genug versteckt, im Wald vergraben um dort bis zu ihrer Rückkehr frisch zu bleiben.
„Damit werden wir auf dem Markt in Niern gutes Geld machen. Und aus dem Fell könntest du dir eine neue Lederrüstung machen. Das wäre mal wieder an der Zeit.“
Esra blickte an sich herab. Ihre Rüstung hatte wahrlich schon bessere Zeiten gesehen. Aber sie erfüllte immer noch ihren Zweck.
„Ich denke, ich werde das Fell meinen Eltern gehen. Der Winter war streng, sie werden es für den nächsten sicher gut gebrauchen können.“
„Wie du meinst Esra“, erwiderte Matuc und stöhnte erleichtert auf, als sie endlich den Rand von Grünherz erreichten. Zwischen den weit auseinander stehenden einfachen Gebäuden des Dorfes herrschte größtenteils noch die morgendliche Ruhe. Einige Leute standen fröstelnd in der morgendlichen Kühle in den Häusereingängen und begutachteten die Wolken am Himmel. Je nachdem wie sie über die Wolken entscheiden würden – Regen oder doch nur Schatten – würde ihr heutiges Tagewerk aussehen.
Jenes von Matuc und Esra stand, wetterunabhängig, schon fest. Sie mussten sich rasch um das Fleisch und um das Fell kümmern, damit beides nicht verkam. Und wenn möglich, sollten sie noch heute in den Wald zurück um den Rest des Elches zu holen.
Nein, wahrscheinlich mussten sie noch mehrmals gehen, dachte Esra. Sie und Matuc waren zwar nicht die schwächsten, aber dieses Tier war riesig gewesen. Vielleicht sollen sie sich von einem der Bauern ein Pony ausborgen, für den Transport.
„Entschuldigung, seid Ihr Esra Emorien?“, riss sie eine Stimme aus ihren Gedanken.
Ein junger Mann in blauer Uniform, das Wappen des Hauses Orien auf der Brust und eine lederne Tasche umgehängt, stand vor ihr.
„Ja, das bin ich“, erwiderte sie etwa überrascht. Sie hatte so gut wie nie etwas mit den Drachenmalhäusern zu tun. Wenn sie genau darüber nachdachte, war es gerade eben erst das zweite Mal. Das erste Mal hatte sie vor vielen Jahren ihren Personaldokumente von Haus Sivis erhalten.
„Ich habe einen Brief für Euch“, meinte der Bote nur lapidar, griff in seine Tasche, zog einen zerknitterten Umschlag daraus hervor, den er ihr überreichte, verneigte sch knapp und zog wieder von dannen.
„Seit wann erhältst du Briefe?“, fragte Matuc.
„Seit heute. Der Brief ist aus Sharn. Oh… Und er stammt von einem gemeinsamen bekannten: Bonal Geldem.“
Matucs Gesicht hellte sich auf.
„Lies vor! Wie geh es dem alten Tandsammler denn?“
Und Esra las vor:

Ich Grüße Euch, Fräulein Emorien!
Ich weiß nicht, ob Ihr Euch noch an mich, den Gelehrten Bonal Geldem erinnern könnt. Ich habe Euch vor einigen Jahren zusammen mit Eurem Freund Matuc angeheuert, mich zu einem der verborgenen Druidenportale mitten im Titanenwald zu führen. Ihr seid mir damals bereits als begnadete Spurensucherin und Jägerin aufgefallen, teure Freundin – darf ich Euch so nennen? Wir hatten damals ja eine Menge erlebt, und so etwas macht einen doch zu Freunden, oder nicht?
Ich bereite wieder eine Expedition vor, diesmal eine etwas größere. Und als ich daran dachte, welche Waldläufer ich kenne, kamt Ihr mir in den Sinn. Habt Ihr Lust auf ein Abenteuer unbekannter Größe? Ich lade Euch gerne nach Sharn ein! Keine Angst, wir werden wohl kaum lange in dieser Stadt bleiben. In Niern wartet ein Schiff auf Euch, welches Euch nach Kreuzweg bringen kann. Von dort aus ist es mit der Blitzbahn nur mehr ein Katzensprung nach Sharn! Die Tickets sind bereits bezahlt, ich hoffe also, Ihr lasst mich nicht hängen.
Findet Euch bitte am Abend des 7. Therendor 998 NBK im Glitzerstaub Klub ein; Ihr steht auf der Gästeliste. Ich hoffe, Ihr erscheint! Ich freue mich bereits sehr auf ein Wiedersehen!
Ich freue mich bereits auf Euer kommen
Dekan Bonal Geldem


„Er scheint sich sehr sicher zu sein, dass ich zusage“, meinte Esra und überflog den Brief noch einmal.
„Nun ja, wenn ich mich recht erinnere, hast du ihm damals davon erzählt, dass du das Eldeenreich noch nie verlassen hast und gerne mal mehr von der Welt sehen würdest.“
Esra zuckte die Achseln.
„Schon. Irgendwann einmal. Aber jetzt fängt doch die Jagdsaison an und…“
„Esra“, unterbrach sie Matuc. „Eine bessere Gelegenheit als diese wirst du so rasch wohl nicht mehr bekommen. Außerdem, du wolltest doch immer wissen, was aus deinem Bruder geworden ist, oder nicht? Das wäre doch die optimale Möglichkeit die Augen nach ihm aufzusperren.“
„Ja klar“, machte Esra. „Wir wissen nur, dass er losgezogen ist, um Magie zu lernen. Aber er könnte überall sein. Er könnte auch bereits tot sein.“
„Dennoch lässt es dich nicht los. Zumindest kann ich das nicht glauben, so oft, wie du von ihm sprichst.“
Matuc packte Esra fest an den Schultern und sah ihr in die Augen.
„Erkenne, wenn dir das Leben solche Möglichkeiten gibt. Sieh dir die Welt an. Ich werde diese eine Saison auch ohne dich schaffen. Und für den nächsten Frühling plane ich dich wieder fix mit ein.“

***

Auf den Feldern arbeiteten die Bauern seit die Sonne aufgegangen war. Doch dafür hatte Astamalia ebenso wenig einen Blick, wie für die Weiten des Galifar-Sees, der sich hinter den Feldern erstreckte. Sie rührte gedankenverloren in ihrer heißen Milch und starrte in den Himmel.
Jedoch nicht in den leeren Himmel.
Vier Türme schwebten auf felsigen Inseln über der bäuerlichen Landschaft und warfen groteske Schatten auf die unter ihnen liegenden Felder und Gehöfte.
„Nimm es nicht so schwer Astamalia. Du wirst den Abschluss eines Tages schon noch schaffen“, versuchte sie Fluin aufzubauen. „Eines Tages, wenn du ein weniger großer Kindskopf und etwas mehr erwachsen geworden bist“, fügte er grinsend hinzu und knuffe sie leicht and.
Die Halb-Elfe lächelte halbherzig und seufzte zum wiederholten Male an diesem Tage.
„Es ist weniger die Exmatrikulation aus der Akademie, die mich stört, vielmehr das, was ich damit verloren habe.“
„Und das wäre?“, fragte Fluin, jetzt aufrichtig interessiert. „Deine Freunde kannst du ja auch so immer wieder sehen. Vor allem dann, wenn du die Arbeit deiner Mutter übernimmst und Luftschiffkapitän wirst.“
„Nein, es ist etwas anderes. Es ist… Nein, darüber darf ich leider nicht reden.“
„Verstehe“, meinte Fluin, während er in Wahrheit aber gar nichts verstand. Aber deswegen ist sie auch eine begnadete Magierin, während ich nur ein einfacher Bauer mit einem Liefervertrag für die Akademie von Arkanix bin, dachte er bei sich.
„Wie haben es deine Eltern eigentlich aufgenommen?“, fragte er, um sie irgendwie vom Trübsalblasen abzuhalten.
„Resignierend, trifft es wohl am besten. Aber was will man erwarten? Es war immerhin die zweite Universität.“
„Es gibt noch andere.“
Astamalia warf ihm einen Seitenblick zu, der Feuerbälle abgehalten hätte:
„Nein danke. Kein Bedarf an weiteren Schulen. Zumindest nicht in absehbarer Zeit.“
„Wie du meinst.“
Es klopfte an der Tür und Fluin stand auf um zu öffnen. Währenddessen kehrten Astamalias Gedanken zu einem Jungen im Turm von Bernsteinmauer, so dass sie auch von den Gesprächen an der Tür nichts mitbekam.
Erst als sich Fluin wieder zu ihr an den Tisch setzte und ihr einen Brief mit dem Siegel des Hauses Orien zuschob, kehrte sie wieder in die einfache Bauernstube zurück.
„Ein Brief?“, fragte sie misstrauisch. „Der ist doch sicherlich von meinen Eltern, dass ich zurück nach Sturmheim kommen soll.“
„Was ja nichts Schlechtes wäre, oder? Was natürlich nicht heißen soll, dass ich dich loswerden will. Aber du willst doch sicherlich nicht den Rest deiner Tage als Magier auf den Feldern hier verbringen. Und kostenlose Unterkunft ist nicht drin.“
„Weiß ich doch Fluin…“
„Abgesehen davon ist der Brief nicht aus Sturmheim, sondern aus Sharn und auch nicht von deinen Eltern, sondern von einem Professor Bonal Geldem. Hast du dich doch an einer neuen Universität beworben, oder schreiben sie dich gleich an, dass du dich nicht zu bewerben brauchst?“
„Sehr witzig“, giftete Astamalia und griff nach dem Brief. Das war wirklich eine Überraschung von dem Gelehrten zu hören. Gespannt begann sie zu lesen:

Ich grüße Euch Astamalia!
Könnt ihr Euch noch an mich erinnern? Ich hoffe doch! Ich war damals jener nervige Bibliothekar, den ihr für mehrere Wochen in der Akademie der Zwölf in Korth betreuen musstet. Wir haben uns damals doch ganz gut verstanden!
Wir Ihr sicher noch wisst, beschäftige ich mich mit Prägalifarscher Geschichte und dabei bin ich auf etwas gestoßen… Etwas sensationelles, etwas, dass unsere ganze Welt verändern könnte. Es zu finden, wird aber nicht einfach werden. Darum bräuchte ich dazu die Hilfe einiger meiner alten Freunde – ich darf Euch doch als Freund bezeichnen? Und als ich daran dachte, welchen begnadeten Magier ich kenne, fiel mir sofort Euer Name ein. Trotz Eurer vielen Schandtaten, die ihr in Euren Ausbildungsjahren verübt habt, seid Ihr eine begnadete Meisterin der Hohen Kunst und werdet es noch weit darin bringen.
Doch genug der langen Rede. Ich weiß aus verlässlichen Quellen, dass ihr die Schule vorzeitig, Nun ja, abgebrochen habt – keine Angst, Euer Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben – und daher biete ich Euch die Möglichkeit auf ein Abenteuer, dass Euch nicht nur reich, sondern auch wahrhaft berühmt werden lässt. Kommt zu mir nach Sharn an die Morgrave Universität, dort kann ich euch den anderen Expeditionsteilnehmern vorstellen und Euch genaueres mitteilen. Die Reisekosten gehen auf das Konto der Universität. Sowohl Haus Lyrandar als auch Haus Orien wurden bereits informiert.
Nehmt ein Schiff von Arkanix nach Kreuzweg und von dort aus weiter die Blitzbahn. Findet Euch am Abend des 7. Therendor 998 NBK im Glitzerstaub Klub ein; Ihr steht auf der Gästeliste.
Ich freue mich bereits auf Euer kommen,
Dekan Bonal Geldem


„Na das nenne ich einmal eine Wendung der Dinge“, murmelte sie.
„Warum denn?“
„Es sieht so aus, als würden sich mir neue Wege für die Zukunft auftun. Was auch bedeutet, dass du von deiner Rolle als Gastgeber erlöst sein wirst. Ich werde nach Sharn aufbrechen. Und so wie die Dinge stehen, heute noch.“
Fluin war, gelinde gesagt, etwas überrascht.
„Das ging aber jetzt wirklich schnell. Nach Sharn? Das ist ziemlich weit weg. Außerdem wirst du dort als aundairscher Staatsbürger nicht auf sehr viel Gegenliebe stoßen. Wie willst du denn die Reise bezahlen? Und was willst du überhaupt in Sharn?“
„Ach Fluin, du solltest wissen, dass Geld in meinem Milieu nicht gerade das größte Problem darstellt. Hilf mir lieber packen, dann bist du mich schneller los. Und währenddessen kann ich dir die Geschichte von einem sehr verrückten Dekan erzählen, dem ich vor einiger Zeit als Assistentin aushelfen musste.“

***

Esra hatte immer gedacht, dass Niern eine große Stadt war. Geschäftig und voller Leben. Doch nun, als sie auf den Kais von Kreuzweg stand und sich das Hafenviertel entlang des Ufers erstreckte, soweit sie sehen konnte, wusste sie, dass sie ihr Bild revidieren musste.
Niern war ihr schon immer zu gestresst, zu voll, zu eng vorgekommen. Doch Kreuzweg war die Hölle! So viele Menschen, Elfen, Zwerge, Halblinge. Und alle schienen es eilig zu haben, durch die Straßen zu hetzen, auf den Weg weiß Balinor wo hin. Esra wusste nur, dass sie den Bahnhof der Blitzbahn finden musste. Und das möglichst rasch. Der Kapitän des Schiffs, mit dem sie den Galifar-See überquert hatte, hatte ihr bei der Landung gesagt, dass der Zug in kürze abfahren würde.
„Entschuldigt…“, versuchte sie einen vorbeieilenden Boten des Hauses Orien aufzuhalten, doch der drängte sich an ihr vorbei weiter in das Getümmel. Auch bei anderen hatte sie nur wenig Erfolg. Die meisten Bewohner der Stadt schienen ihr sogar aus dem Weg zu gehen.
„Kann ich Euch helfen?“, fragte da eine dunkle Stimme.
Esra wandte sich um. Auch wenn sie noch nie eine Stadtwache gesehen hatte, so wusste sie doch sofort, dass es sich bei dem leicht gerüsteten Menschen mit der Pike um eine solche handeln musste.
„Äh, ja. Ich suche den Bahnhof. Ich soll dort den Zug erwischen.“
Die Wache deute in eine Richtung des Getümmels.
„Außerhalb des Osttors. Aber Ihr braucht ein Ticket, ich hoffe, dass wisst Ihr.“
„Natürlich weiß ich das.“
Esra schüttelte den Kopf und trabte los. Hielten sie die Menschen für dumm, nur weil sie ein Wandler war und aus dem Wald kam? Auf jeden Fall schien man sie aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Aussehens zu meiden. Lag vielleicht daran, erinnerte sie sich, dass sich das Eldeenreich von Aundair abgespalten hatte. Sie hatte Leute in Grünherz sprechen gehört, dass die Beziehungen zwischen den Ländern anscheinend nicht die besten waren.
Als sie endlich den Bahnhof erreichte, war der Bahnsteig schon fast leer. Nur eine nobel gekleidete Halb-Elfe redete auf einen Zugführer ein und bestieg schließlich den vordersten Waggon. Esra beschloss es der Halb-Elfe gleich zu tun.
„Entschuldigt bitte, ich habe ein Ticket in dieser Bahn reserviert bekommen, und…“
„Euer Name?“, fragte der Wärter und zog einige Unterlagen aus seiner Tasche.
„Esra Emorien.“
„Gut. Ihr sitzt Erster Klasse. Erstes Abteil im ersten Waggon. Eine angenehme Reise.“
„Danke!“
„Bitte einsteigen! Zug fährt ab!“, klang es noch hinter Esra, als sie zum ersten Mal in ihrem Leben einen Zug bestieg.

***

Astamalia schulterte ihren Rucksack und verließ das Schiff ohne einen Blick zurück. Diese Matrosen hatten doch wahrhaft keine Ahnung von Anstand. Der Kapitän hatte, als sie in Arkanix an Bord gegangen war, doch tatsächlich vorgeschlagen, dass sie während der Fahrt arbeiten sollte!
Da lobte sie sich Luftschiffe. Die Mannschaften dort waren nicht nur gut ausgebildet, sie wussten auch, wie man sich Gästen gegenüber verhielt. Aber egal, das lag nun hinter und eine bequeme Zugfahrt vor ihr. Die Erfahrung sagte Astamalia, dass sich der Bahnhof außerhalb der Stadt finden würde. Das lag daran, dass die meisten Städte, welche über einen Bahnhof verfügten bereits recht alt waren, wohingegen die Bahnhöfe selbst recht neue Entwicklungen darstellten. Da sie noch genügend Zeit hatte, genoss sie es durch die weit angelegten Straßen von Kreuzweg zu schlendern. Man merkte, dass hier unterschwellig ein Drachenmalhaus die Fäden zog. Sicherlich die Hälfte der Stadt befand sich fest in Händen von Haus Orien, welches im Gegenzug dafür sorgte, dass die Straßen sauber und sicher waren. Natürlich war ganz Kreuzweg bei weitem nicht so eindrucksvoll wir Sturmheim – der Sitz ihres Hauses –  aber es war ein guter Anfang.
Als sie die Stadt durch das Osttor verließ, sah sie sofort, dass sie mit ihrer Vermutung richtig gelegen hatte. Der Bahnhof befand sich unweit des Tores und eine Blitzbahn stand auf dem Gleis, fertig für die Abfahrt. Kurz sah sie sich um und sofort sprang ihr eine blaue Uniform ins Auge.
„Ihr da! Ihr könnt mir sicherlich helfen. Ein Freund hat einen Platz in dieser Bahn für mich reserviert.“
„Natürlich Madam. Darf ich den Namen erfahren?“
„Astamalia d’Lyrandar.“
„Natürlich. Dekan Bonal Geldem hat ein Abteil in der ersten Klasse reserviert. Es ist das erste im ersten Waggon, nicht zu verfehlen.“
„Danke“, erwiderte Astamalia noch knapp und bestieg den Waggon. So ließ es sich wahrlich reisen. Das Abteil war geräumig eingerichtet und bot problemlos Platz für sechs Personen. Hier würde sie ungestört weiteren magischen Studien nachgehen können. Sie verstaute ihren Rucksack im Gepäckfach und griff nach ihrem Kristallsplitter, der ihr als Ersatz für ein staubiges, schweres Zauberbuch diente.
Gerade als sie sich in die warme, samtene Polsterung kuscheln und den Splitter aktivieren wollte, wurde die Tür abermals geöffnet.
Astamalia warf einen wütenden Blick auf den Eindringling und erstarrte. Das durfte nicht wahr sein. Gab es keine Kontrollen, wer die Waggons der 1. Klasse betreten durfte?
In der Tür stand eine Wandlerin in abgewetzter Lederkleidung. Ihr Gesicht erinnerte irgendwie an das einer Katze, dazu passte auch der Flaum, der die Unterarme und die Backen ihres Gesichts bedeckte. Die Haare waren lang und dunkel, wenn man auch nicht sagen konnte ob von Natur aus, oder weil sie schon so lange kein Wasser mehr gesehen hatten.
„Ja?“, fragte Astamalia, bewusst von oben herab.

Esra fand es im Waggon ungemütlich eng. Aber zumindest schien das Abteil, dass man ihr zugewiesen hatte, etwas größer zu sein. Dafür saß hier bereits die junge Halb-Elfe, die sie zuvor am Bahnsteig gesehen hatte.
Sie war – nahm Esra an – für eine Halb-Elfe recht hübsch. Nur das kurze strubbelige rotbraune Haar passte nicht so ganz. Ihre Haut war von der Sonne gebräunt, was Esra etwas wunderte. Ihrer Kleidung nach hatte sie es nicht nötig auf dem Feld zu arbeiten. Sie trug eine Robe mit sich ständig wechselnden Farben. Darunter ein grünes Hemd und braune Hose aus Baumwolle und Lederstiefel. Um den Hals ein rotes Halstuch, an welchem eine Brosche in Form eines Drachenfalken steckte. Alles in allem eine sehr bunte Gestalt.
„Ja?“, fragte sie von oben herab.
„Ich habe einen Sitzplatz in diesem Abteil.“
„Das denke ich kaum“, erwiderte die Halb-Elfe.
„Doch, Bonal Geldem hat es für mich reserviert“, verteidigte sich Esra tapfer. Auch wenn sie sich nicht wirklich sicher war, ob sie im Recht war. War es möglich, dass sie im falschen Abteil stand?
„Ihr kennt Bonal Geldem?“, fragte Astamalia ungläubig.
„Ja. Ihr etwa auch?“
„Kann man sagen, ja. Scheint so, als wären wir tatsächlich Reisegefährten“, presste Astamalia hervor. Diese Fahrt stand nicht unter dem Schutz des Reisenden, soviel war klar.

***

Adamant beendete seine morgendliche Andacht und erhob sich, so elegant es in seiner Panzerung möglich war. Er war der einzige Gläubige in der kleinen Kapelle, die zu dem riesigen Tempel der Silbernen Flamme gehörte, der hier in Sharn stand. Durch die Buntglasfenster drangen die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne. Bald würden weitere Gläubige eintreffen und dann wollte Adamant die Kapelle bereits verlassen haben. Denn auch wenn er ein offizielles Mitglied der Kirche war, so war es ihm immer noch unangenehm, dass er als lebendes Konstrukt die Kirche der Flamme vertreten sollte. Zudem waren immer noch viele Menschen schlecht auf die Kriegsgeschmiedeten zu sprechen. Auch wenn er selbst nie im Krieg gekämpft hatte.
Zumindest nicht, soweit er sich erinnern konnte.
Er hörte Schritte hinter sich auf dem Steinboden und wandte sich vom Altar ab.
„Störe ich dich?“, fragte die ältere Frau, die eine reich verzierte klerikale Robe für den Gottesdienst trug.
„Nicht im geringsten, Nerina. Ich war gerade fertig. Habt Ihr Neuigkeiten für mich bezüglich Thalas Feuerkamm?“
Nerina schüttelte den Kopf und trat vollends in die Kapelle.
„Leider nein. Ich bin aus anderen Gründen hier. Wenn Ihr etwas Zeit für mich erübrigen könntet?“
„Für Euch? Immer doch.“
Nerina legt ihm eine Hand auf seine adamantene Schulter und führte ihn sanft gen Ausgang. „Ich habe heute Morgen einen Brief eines alten Freundes erhalten, der sich ebenfalls hier in Sharn aufhält. Er erbittet meine Hilfe.“
„So werdet Ihr die Kirche verlassen?“, war Adamant erstaunt.
„Nein, nein“, lachte Nerina. „Du weißt genauso gut wie ich, dass das im Augenblick nicht möglich ist. Es ist viel zu viel zu erledigen. Aber ich dachte, du könntet meiner statt gehen.“
„Wollt Ihr mich los werden, Nerina?“, brumme der riesige Kriegsgeschmiedete.
„Nein, Adamant. Wie kommst du auf solche Ideen? Aber du kannst nicht dein ganzes Leben damit verbringen, Nacht für Nacht zur Flamme zu beten. Für einen Diener der Kirche der Flamme gehört mehr dazu. Ich habe bereits das Böse in der Welt bekämpft. Doch nun bin ich älter und überlasse dies der jungen Generation. Da du keine Messen halten willst – wofür du meines Erachtens auch überqualifiziert wärst – wäre das Leben eines Abenteurers wohl die bessere Wahl für dich.“
„Worum geht es denn genau?“, fragte Adamant neugierig.
„Genaues weiß ich auch nicht, aber du kannst den Brief lesen“, schlug Nerina vor und überreichte ihm eine Pergamentrolle.

Ich grüße dich, meine alte Freundin Nerina!
Lange habe ich nichts mehr von Euch gehört, obwohl sich der Tempel nicht weit von der Universität entfernt befindet. Leider dient dieser Brief keiner Einladung für den Austausch alter Geschichten. Es ist vielmehr ein Bittgesuch.
Nun da der Krieg vorbei ist, bereite ich eine Expedition vor, von der ich leider noch nicht verraten kann, wohin überall sie mich führen wird.
Ich habe Briefe bereits an andere alte Freunde, überall auf dem Kontinent geschickt, auf der Suche nach einer hervorragenden Truppe. Nun fehlt mir in meiner Runde noch ein tatkräftiger Heiler und leider sind meine Verbindungen zu Haus Jorasco und deren Heilergilde nicht die besten. Darum würde ich Euch gerne um Eure göttliche Magie bitten.
Ihr wart mir damals in Xen’drik schon eine große Hilfe. Ihr erinnert Euch sicher an diese Geschichte mit dem Vampir. Nun, vielleicht auch besser nicht – schließlich wäre sie beinahe schief gegangen…
Wie dem auch sei.
Vielleicht – wenn es Euer Terminplan nicht zulässt, schließlich kann ich noch nicht sagen, wie lange die Expedition dauern wird – habt ihr auch einen jungen Adepten, den ihr für fähig genug haltet, dieses gefährliche Abenteuer zu bestreiten.
Findet Euch bitte am Abend des 7. Therendor 998 NBK im Glitzerstaub Klub ein; Ihr steht auf der Gästeliste. Solltet Ihr einen würdigen Ersatz schicken, so soll dieser sich am Eingang unter Eurem Namen melden.
Ich freue mich bereits auf Euer kommen,
Dekan Bonal Geldem


„Die Geschichte mit dem Vampir?“, erkundigte sich Adamant.
Nerina verzog das Gesicht, als hätte sie in einen sauren Apfel gebissen.
„Daran möchte ich lieber nicht erinnert werden. Das war wahrlich nicht unser angenehmstes Abenteuer. Wenn wir einmal mehr Zeit haben, werde ich sie dir vielleicht erzählen. Doch solltest du dir dieses Angebot bald überlegen. Dieses Treffen ist heute Abend.“
„Und Ihr denkt, das wäre das Beste?“
Adamant war unsicher. Auf der einen Seite freute er sich darauf etwas von der Welt zu sehen, von der er bisher nur aus Büchern etwas gelesen hatte. Dem Guten dienen, das Böse bekämpfen! Auf der anderen Seite war dort draußen alles unbekannt, und er wartete immer noch auf Hinweise zu seinem verlorenen Freund Thalas Feuerkamm.
Nerina schien zu erkennen, was in ihm vorging.
„Fast überall wo du hingehst, kann ich dich erreichen. Sollte ich auch nur das Geringste über Thalas herausfinden, werde ich keine Kosten und Mühen scheuen um dich davon in Kenntnis zu setzen. Das sollte wirklich nicht dein Hindernis sein.“
Adamant nickte. Vielleicht war es der Weg den die Flamme ihm zeigen wollte. Und den Abend in diesem Klub zu verbringen würde auch nicht allzu viel zerstören.
„Ich werde mir das Angebot Eures Freundes anhören, Nerina.“
„Sehr gut, das ist die richtige Einstellung“, lobte sie.
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 16. Dezember 2007, 11:31:13
So, nachdem zuminest einige Leser hin und wieder vorbeischauen, werde ich mal das zweite Kapitel meiner Abenteuerrunde posten.
Über Rückmeldungen würde ich mich im übrigen freuen...

PS: Werte der Charaktere sind bewusst NICHT erwähnt. Ich denke, mit nur etwas Fantasie kann man selbst darauf kommen, wer was spielt.

Der Glitzerstaubklub
Thalaën erreichte das Heft gen Mittag. Es war höchste Zeit, dass er von diesem Schiff kam. Kapitän Turin und seine Mannschaft waren zwar ganz nett, aber auf Dauer war dieser Haufen von Halb-Elfen doch etwas anstrengend. Vor allem Kapitän Turin, der anscheinend unbedingt eine Freundschaft aufbauen wollte.
Dummerweise gab es keine anderen Passagiere als Thalaën an Bord, so dass sich Turin nicht einmal ein anderes Opfer suchen konnte.
„Na, was sagt Ihr zu unserer Stadt der Türme?“, erkundigte sich Turin grinsend und breitete die Arme aus, um Thalaën das ganze Panorama vor Augen zu führen.
„Beachtlich“, erwiderte der Elf wortkarg.
Und beachtlich war es auf jeden Fall. In Fahrtrichtung lagen die Klippen von Sharn, die sich hier gut hundert Meter hoch in die Höhe erstreckten. Auf dem schmalen Streifen Land am Flussufer drängten sich die Kais und Lagerhäuser des Hafens. Gebäude hingen wie Vogelnester in der Steilwand und gigantische Lastenaufzüge glitten in Schwindelerregender Höhe die Klippen herab und wieder hinauf.
Doch das Beeindruckenste war die eigentliche Stadt, die erst viel weiter oben begann. Hunderte, wenn nicht Tausende von Türmen erhoben sich von dem kleinen Plateau aus in den Himmel. Fast tausend Meter hoch ragten sie über dem kleinen Schiff empor. Zwischen den Türmen rankten sich Stege und elegant geschwungene Brücken. Fliegende Boote, Pegasi und Greifen jagten dazwischen in einem unüberschaubaren Strom dahin. Und über all dem schwebte eine weitere kleine Stadt, die selbst aus dieser Entfernung prunkvoller aussah als selbst die ältesten Städte der Elfen auf Aerenal.
„Ich hätte nicht gedacht, dass die Menschen zu solcher Pracht fähig sind. Die Städte der Menschen, die ich in Valenar kennen lernte, sahen sehr viel anders aus“, musste Thalaën zugeben.
„Ja, die Stadt der Türme ist etwas ganz besonderes. Ein Juwel des Kontinents. Noch dazu, wo der Krieg an der Stadt beinahe ohne Spuren vorbeigegangen ist.“
„Ihr kennt Euch in der Stadt aus?“, erkundigte sich Thalaën weiter, während er versuchte sich das Stadtbild einzuprägen. Allerdings erkannte er bereits, dass auf diese Art und Weise wohl kaum eine Orientierung zwischen den fast gleich aussehenden Türmen möglich sein würde.
„Natürlich! Jedes mal, wenn wir mit dem Schiff hier vor Anker liegen, machen wir die Stadt unsicher. Vor allem natürlich die Bars“, lachte er grölend.
„Dann kennt Ihr sicher auch den Glitzerstaubklub?“
Turin pfiff durch die Zähne.
„Wer kennt diesen Angesehensten aller Klubs in ganz Sharn nicht? Ich muss allerdings zugeben, dass ich noch niemals dort war und wenn Ihr meine Meinung hören wollt: Ich denke nicht, dass der Klub das Richtige für Euch ist. Lasst mich Euch doch ein paar wirklich gemütliche Stellen in Sharn zeigen…“
„Ich muss aber dorthin“, stellte Thalaën klar.
„Sicher. Das müssen viele. Aber nur die wenigsten kommen rein. Lasst es gut sein. Ihr werdet nicht an den Türwachen vorbeikommen, wenn Ihr nicht eine Einladung habt. Die Taverne zum Rosa Seeungeheuer hier im Hafen jedoch…“, versuchte Turin ihn weiter davon abzubringen. Doch Thalaën schüttelte entschlossen den Kopf.
„Ich muss dorthin. Zudem habe ich auch eine Einladung.“
Turins Augen wurden groß:
„Ihr seid das erste Mal in Sharn und habt eine Einladung für den Glitzerstaubklub? Ich bin erstaunt! Sagt, könnten wir ein Geschäft abschließen?“
Thalaën seufzte. Er war kein Händler; er verstand nicht viel von Geschäften. Vor allem aber wollte er mit Turin so kurz vor der Landung keines mehr eingehen.
„Ihr kennt Euch doch in Sharn nicht wirklich aus, nicht wahr?“, setzte Turin das Gespräch jedoch weiter fort, ohne auf eine Antwort zu warten. „Was haltet Ihr davon, wenn ich Euch etwas herumführe und am Abend zum Klub bringe. Als Gegenleistung nehmt Ihr mich als Besucher mit hinein. Was haltet Ihr davon?“
Thalaën überlegte kurz. Das war tatsächlich keine schlechte Abmachung.
„Wenn das möglich ist?“
„Ja natürlich!“
„Dann bin ich einverstanden.“

***

Die Fahrt mit der Blitzbahn war weniger angenehm als erhofft, aber auch weniger schlimm als erwartet geworden. Esra war eine sehr stille Person, wodurch sie sich die meiste Zeit ihren Studien widmen konnte. Der Luxus, der an Bord geboten wurde, war kaum noch zu übertreffen und so verflogen die drei Tage wie im Flug. Die Zwischenaufenthalte in den anderen Städten auf der Route waren eine gute Gelegenheit sich etwas die Beine zu vertreten. Das waren auch die Momente, in denen sie mit Esra ins Gespräch kam.
Dabei kristallisierte sich rasch heraus, was Astamalia schon von Anfang an klar gewesen war: Sie waren sehr unterschiedliche Personen. Esra liebte die Ruhe, die Natur und vor allem aber den Wald. Astamalia hasste Wälder; um nicht zu sagen, dass sie sich vor dunklen und dichten Wäldern sogar immer sehr gefürchtet hatte. Sie war ein Wesen der Luft und des Meeres. Es war natürlich klar, das Esra dem Meer nicht viel abgewinnen konnte, wie hätte es auch anders sein können.
Auch ihre Lebensweise war eine sehr unterschiedliche. Während Astamalia in den Universitäten und in der Metropole von Sturmheim aufgewachsen war; die Städte der anderen Ländern aus Ausflügen mit dem Luftschiff kannte, war dies Esras erste Reise. Bis dahin hatte sie nur das Dorf Grünherz und einige Märkte in der Umgebung gekannt. Nicht gerade sehr weltoffen.
Dann war da aber noch etwas was Astamalia in ihrem Inneren bewunderte: Obwohl Esra die Welt außerhalb ihre Wälder nicht kannte, ja sogar vielleicht etwas fürchtete, war sie doch losgezogen um einem Freund zu helfen, vor allem aber, um die Spur ihres seit Jahren verschollenen Bruders aufzunehmen. Obwohl es ganz offensichtlich ein hoffnungsloses Unterfangen war – und gelinde gesagt auch etwas dumm –, so war der Versuch alleine doch etwas bewundernswert. Ohne irgendwelche Ansätze jemanden zu Suchen, der in den Wirren des Letzten Krieges untergegangen war.

Die Blitzbahn verließ die letzte Station vor Sharn, den kleinen Weiler Erstturm, und raste nun durch einen engen Hohlweg dahin. Die Handelsstraße führte direkt neben der Strecke dahin und man konnte die Händler und Reisenden mit ihren Wagen, auf Pferden oder anderen Reittieren und auch zu Fuß durch das Fenster vorbeihuschen sehen.
„Bald sind wir in Sharn“, erklärte Astamalia und begann vorsorglich damit ihre Sachen zu packen.
Esra machte es ihr gleich.
„Warst du bereits einmal hier?“, erkundigte sie sich.
„Leider nein. Es ergab sich einfach nie. Aber die Stadt wird auch nicht viel unübersichtlicher und größer als Sturmheim sein. Und sich dort zurechtzufinden, erfordert doch einiges an Übung.“
„Dann bin ich ja in guten Händen.“
„Ja“, gab Astamalia knapp zurück.
Der Zug wurde langsamer und plötzlich wurde es recht dunkel. Der Zug kam zum Stillstand.
„Los, sehen wir uns diese Stadt mal an!“, rief Astamalia und stürmte aus dem Abteil.
Esra holte sie erst auf dem Bahnteig wieder ein. Hier stand Astamalia und starrte.
Sie hatte nicht erwartet so etwas zu sehen.
Der Zug war im Inneren eines der Türme zum halten gekommen. Der Turm durchmaß wahrscheinlich einhundert Meter und schien riesig zu sein. Etwa zweihundert Meter über ihren Köpfen war eine Zwischendecke eingezogen worden, in der sich etliche Löcher befanden. Zum Teil führten dadurch die Stränge der magischen Aufzugskabel, zum Teil wurden die Löcher von den fliegenden Booten und all den geflügelte Tieren, die hier herumflogen benutzt.
Der riesige Raum, der sich durch diese Abmessungen ergab, war aber keineswegs leer. Das hier war der größte Bahnhof, den Astamalia ja gesehen hatte. Gleich mehrere Gleise mit abfahrtbereiten Zügen waren zu sehen. Daneben schien es ein eignes Areal für Güterzüge zu geben. Neben dem Bahnhof befanden sich noch weitere Gebäude in dem Turm, zum Teil wiederum ganze Türme, die mit der Zwischendecke des Hauptturmes verschmolzen.
„So sieht es auch in Sturmheim aus?“, fragt Esra ehrfürchtig.
„Nein, nicht ganz“, erwiderte Astamalia etwas unsicher.
„Das heißt, dort regnet es auch nicht so merkwürdig?“, fragte Esra weiter.
Der Regen war Astamalia noch gar nicht aufgefallen. Sie war von der Architektur des ganzen zu beeindruckt gewesen. Doch jetzt fiel ihr auf, dass ihre Kleidung am Körper klebte und dass es beständig von der Decke tropfte: Kondenswasser. Das erklärte wahrscheinlich auch den unangenehmen Geruch und die unausstehliche Schwüle.
„Wir sollten sehen, dass wir rasch von hier wegkommen“, stellte Astamalia klar.
„Dagegen habe ich nichts. Aber wohin müssen wir?“
Astamalia sah sich um und hob probeweise einmal die Hand um einem der fliegenden Boote zu winken. Sofort stürzte eines auf sie herab und kam direkt neben ihnen zum halten. Ein älterer Gnom saß am Steuer und sah sie freundlich an.
„Wo darf ich die Damen denn hinbringen?“
„Glitzerstaubklub“, orderte Astamalia und stieg ein. Esra folgte nach kurzem zögern und das Boot hob ab.
„Zum ersten Mal mit einer Luftkutsche unterwegs?“, fragte der Gnom, als er bei einem Blick zurück die verkrampften Gesichter der beiden sah. Die Kutsche wie er es genannt hatte, wackelte aber auch so stark, als würde es sich um ein Gefährt auf hoher See handeln.
Beide nickten.
„Na dann. Soll ja ein unvergessliches Erlebnis werden“, lachte der Gnom.
Die Kutsche legte sich bedenklich zur Seite und begann damit rasend schnell in Korkenzieherdrehungen nach oben zu steigen. Sie preschten mit einem unglaublichen Tempo durch ein Loch in de Außenwand des Turms, kollidierten dabei fast mit einem Riesenadler und befanden sich dann im Freien.
„Willkommen in der Stadt der Türme! So einen Ausblick auf die Stadt hat man von sonst nirgends!“, rief der Gnom und ließ dabei die Kutsche höher und höher steigen, zwischen den Türmen und den Brücken der Stadt hindurch.

***

Als der Abend näherte betete Adamant nur ein kurzes Gebet, anstatt einer ganzen Andacht. Mehr ging sich nicht aus, wollte er das Treffen im Klub nicht versäumen. Die Flamme würde ihm diese Nachlässigkeit wohl verzeihen.
Zumal er mit seinen Gedanken ohnedies nicht bei der Sache war. Er war viel zu aufgeregt und überlegte andauernd, was er mitnehmen sollte. Ob die Expedition noch diesen Abend beginnen würde? Möglich wäre es. Am besten war es wohl, wenn er seine Ausrüstung gleich mit in den Klub nahm. So hängte er sich sein Schwert um, den Schild auf den Rücken und darüber noch seinen Wappenrock mit dem Symbol der Flamme darauf.
Mehr brauchte er wohl kaum.
Noch einmal sah er sich in seinem kärglichen Quartier um, das nicht einmal ein Bett enthielt und keinen einzigen persönlichen Gegenstand. Er hatte alles, was er besaß am Leibe. Viel war das nicht. Aber dann konnte er auch nichts vergessen.
Mit dieser Erkenntnis trat er in den regnerischen Abend hinaus und machte sich auf den Weg in die Oberstadt, zum Klub.
Er hatte bereits Gläubige darüber reden hören, doch selbst war er nie auf den Gedanken gekommen ihn sich anzusehen. Was sollte er dort auch? Essen, trinken? Musste er nicht. Von Feiern selbst hatte er nur wenig Ahnung. Und er kannte auch nicht wirklich jemanden, mit dem er an einem Abend „einen Drauf machen“ hätte können.
Wie auch immer er sich den Klub vorgestellt hatte, vom äußeren Eindruck wurde er auf jeden Fall enttäuscht.
Eine breite, hell erleuchtete Brücke führte zu einer massiv aussehenden Tür, neben der zwei Hobgoblins im Anzug standen und die Leute kontrollierten. Eine Hand voll Menschen und anderen Geschöpfen wartete darauf Eintritt zu erlangen.
Brav stellte sich Adamant in der Reihe an. Nur langsam kam er vorwärts. Doch im Gegensatz zu den anderen Wartenden machte ihm der Regen, der an seinen Panzerplatten herab rann nichts aus. Dennoch war er froh, als er endlich an der Reihe war.
„Habt Ihr eine Einladung?“, fragte einer der Hobgoblins freundlich aber doch irgendwie barsch.
„Ja, habe ich.“
„Euer Name?“, fragt er weiter und sah auf eine Liste in seinen Händen.
„Adamant.“
Der Hobgolin überflog die Liste und schüttelte dann den Kopf.
„Ihr steht nicht auf der Liste. Tut mir leid. Macht bitte Platz für den nächsten.“
„Ich komme aber im Namen von Nerina Lichtringer“, verteidigte sich Adamant.
Der Hobgoblin sah in abschätzend an.
„Das hättet Ihr ja auch gleich sagen können. Willkommen im Glitzertaub Klub.“
Mit sanftem Druck wurde Adamant durch die Tür ins Innere geschoben.
Hier bot sich ein Bild, wie er es erwartet hatte. Er stand auf einer ausladenden Galerie, die den Raum auf drei Seiten umgab. Unter ihm tobte das Chaos. Unzählige kleine und große Tische waren im Raum verteilt und fast alle waren gut besucht. Inmitten des Raumes spielte ein elfisches Quartett auf und heizte die Stimmung anscheinend ordentlich an. Oder aber es waren die vier halbnackten Frauen – zwei menschliche, zwei elfische – die auf zwei Tischen tanzten.
Für den fantastischen Ausblick, den der Klub bot, hatte anscheinend niemand einen Blick. Die Wand gegenüber dem Eingang bestand vollkommen aus Glas und ermöglichte einen atemberaubenden Blick über die verregnete, nächtliche Stadt.
„Der Herr ist ein Gast des Dekans Geldem?“, fragte eine Stimme.
Es handelte sich um einen Kellner, der diskret neben Adamant gewartet hatte, bis dieser sich statt gesehen hatte.
„Ja, in der Tat.“
„Es wurde ein abgeschiedener Raum bereitgestellt, wenn Ihr mir bitte folgen würdet.“

***

Ohne Turins Hilfe wäre Thalaën wahrscheinlich nie bis zum Klub gelangt. Diese Stadt war ein Labyrinth! Entworfen von einem wahnsinnigen Magier der Luftebene! Anders war es gar nicht möglich.
Doch mit Turin stand er pünktlich vor dem Klub und wurde auch prompt von zwei grobschlächtig aussehenden Türstehern aufgehalten.
„Habt Ihr eine Einladung?“
„Selbstverständlich. Mein Name ist Thalaën Tedaé.“
Der Hobgoblin nickte.
„Dann mal rein in die gute Stube.“
Thalaën nickte knapp und trat durch die Tür, als er hinter sich Stimmen hörte.
„Halt! Wo wollt Ihr denn hin?“, rief eine dunkle Stimme und dann hörte man einen unterdrückten Schmerzensschrei.
Überrascht sah sich Thalaën um und erblickte, wie Turin – nicht gerade sanft – von den Türstehern am weitergehen gehindert wurde.
„Er gehört zu mir“, stellte der Elf klar.
„Das mag ja sein“, erklärte einer der Hobgoblins. „Aber er hat keine Einladung. Und ohne kommt er hier nicht herein. Nicht einmal, wenn es König Borenal persönlich wäre.“
„Turin?“, verlangte Thalaën eine Erklärung.
„Entschuldigt“, presste der Kapitän hervor. Offensichtlich wurde ihm durch den Haltegriff des Hobgoblins die Luft abgeschnitten. „Aber man kann es ja mal probieren.“
„Ja kann man. Lebt wohl!“, stellte Thalaën klar und betrat den Klub.

***

Etwas wackelig auf den Beinen trat Esra aus der Kutsche. So schnell brauchte sie keinen Flug mehr! Während sie wieder zu sich fand, bezahlte Astamalia bereits.
„Los, lass uns nach drinnen gehen, bevor wir bis auf die Knochen durchnässt sind!“, schlug die Halb-Elfe vor.
Esra hatte zwar prinzipiell nichts dagegen, bis auf die Knochen nass zu sein. Aber einem warmen Fleckchen nach dem doch sehr zugigen Flug, war sie doch nicht abgeneigt. So folgte sie Astamalia.
Diese überholte kokett die Schlange an wartenden Personen und stelle sich direkt vor einen der beiden imposanten Türwächter. Esra hatte von diesen riesigen Wesen, diesen Hobgoblins, bereits gehört. Jedoch sahen sie in diesen Anzügen nicht wie die unerschrockenen Krieger aus, als die sie bekannt waren. Vielmehr, nun ja, etwas lächerlich.
„Na, wer drängt sich denn hier vor?“, fragte der Wächter, indem er Astamalia von Kopf bis Fuß musterte.
„Ein Gast, der gerne ins trockene möchte.“
„Normalweise stellt man sich hier dennoch an. Habt Ihr denn eine Einladung?“
„Ja. Wir stehen auf der Liste. Mein Name ist Astamalia d’Lyrandar und das da“, erklärte sie, indem sie Esra am Ärmel neben sich zog, „ist Esra Emorien. Wir sind Gäste des Dekans Geldem.“
„Ihr steht auf der Liste. Für das vordrängen schuldet Ihr mir aber noch einen Krug Bier, meine Dame“, lächelte der Hobgoblin und öffnete dabei charmant die Tür.
„Wenn Ihr bezahlt, kein Problem“, erwiderte Astamalia und zog Esra mit sich ins Innere.
Esra war erstaunt über die Dreistigkeit dieser Person. Nie hätte sie es gewagt so aufzutreten. Aber für Astamalia schien das vollkommen normal zu sein.
Auch das Innere des Klubs schien auf Astamalia kaum Eindruck zu machen. Esra selbst hätte hier auf der Galerie Stunden zubringen können, ohne alles genau gesehen zu haben. Astamalia aber sprach sofort einen der Kellner an, der sie dann auch prompt in ein abgelegenes Zimmer führte.
Dort warteten bereits zwei weitere Personen auf sie. Ein Elf in merkwürdiger Tracht, sowie ein monströser Kriegsgeschmiedeter. Beide waren ebenso durchnässt wie sie und konnten daher wohl noch nicht so lange gewartet haben. Beide musterten sie als Neuankömmlinge ebenso genau, wie es Esra mit ihnen tat.
Der Kriegsgeschmiedete trug die Pfeilspitze mit der darin eingelassenen silbernen Flamme als Wappen auf seinem Rock. Anscheinend das einzige Kleidungsstück an ihm. Esra war er etwas unheimlich. Sie hatte gelernt aus Gesten und Mimik von sowohl Menschen als auch Tieren zu lesen, aber das konnte sie bei diesem… Ding nicht. Der Elf hatte ebenfalls wenig Mimik. Zudem waren seine Augen erschreckend kalt.
„Hallo! Ich bin Astamalia d’Lyrandar“, stellte sich die Magierin vor und nahm auf einem der noch freien Stühle vor. „Ich nehme an, ihr kennt ebenfalls alle Bonal Geldem? In dem Fall sollten wir und doch bekannt machen, nicht wahr?“
„Mein Name ist Adamant“, brummte der Kriegsgeschmiedete mit dumpfer Stimme, die klang wie ein Donnern aus der Ferne.
„Thalaën Tedaé“, hielt sich der Elf kurz.
„Ich bin Esra Emorien“, stellte sich nun auch Esra vor und glitt auf den nächsten Stuhl.
„Gibt es hier auch was zu bestellen?“, fragte Astamalia und winkte dem in der Ecke wartenden Kellner.
„Bringt mir Wachteln mit Beilagen und ein Glas Regenbogenwein.“
„Sehr wohl.“
Der Elf schien kurz irritiert, bestellte dann aber auch Wachteln und ein Glas Wein.
Esra war überfordert.
„Ah, ich weiß nicht…“, stotterte sie.
„Wir haben frisches Krokodil aus den Schattenmarschen“, schlug der Kellner vor.
„Ähm ja, das klingt gut. Und Bier, bitte.“
„Sehr wohl“, lächelte der Kellner und zog sich diskret zurück.
„Uns scheint ein gemeinsamer Freund zu verbinden“, nahm Astamalia das Gespräch wieder auf.
„Ich kenne Bonal Geldem nicht“, gab Adamant zurück. „Aber er war, ist, ein guter Freund meiner Mentorin Nerina Lichtbringer. Sie ist Klerikerin im Tempel der Silbernen Flamme hier in Sharn.“
Er machte eine Pause.
„Es dringt sich mir da eine Frage auf: Seid Ihr Anhänger der Flamme?“
Drei Köpfe schüttelten den Kopf.
„Ich bin Anhänger des Todlosen Hofstaates“, stellte Thalaën klar, während er gebannt auf das Essen blickt, das gerade serviert wurde.
„Ihr verehrt die Untoten?“, schrie Adamant auf und sprang erschrocken von seinem Stuhl hoch, so dass dieser klappernd nach hinten fiel.
Thalaën sah ihn ruhig an.
„Setz dich. Ich sagte Todlos. Nicht Untot. Wir verachten Nekromanten und die Untotenverehrung von Vol ebenso wie es die Kirche der Flamme tut. Aber wir verehren die Todlosen. Unsere unsterblichen Ahnen, die uns mit Rat und Tat zur Seite stehen.“
Esra war verwirrt.
„Und wo ist der Unterschied, zu den Untoten?“
Thalaën seufzte und warf seinem Essen einen sehnsüchtigen Blick zu. Währenddessen hatte sich Adamant anscheinend wieder einigermaßen gesammelt und setzte sich wieder zu den anderen an den Tisch.
„Untote stellen eine Verspottung des Lebens und eine Versündigung am natürlichen Kreislauf von Leben und Tod dar“, begann Thalaën aus den Lehren seines Volkes zu rezitieren.
Adamant nickte zustimmend und der Elf fuhr fort:
„Im Gegensatz dazu schieben die Todlosen die Unaufhaltbarkeit des Todes nur weiter hinaus, um einem gerechten Zweck zu dienen. Untote beziehen ihre Kräfte von der Ebene Marbar, dem Ort ewiger Nacht; die Todlosen bekommen sie von Irian, dem Ort des ewigen Tages und dem Ursprungsort aller Seelen.“
„Meiner Meinung nach kein großer Unterschied. Ich glaube, ich kann mich mit beidem nicht anfreunden“, erkörte Esra kauend. „Das Krokodil ist übrigens hervorragend.“
„Ich war bis jetzt mit dem Glauben der Elfen nicht sehr vertraut. Ich werde mich hierüber wohl etwas mehr informieren müssen“, entschuldigte sich Adamant, auch wenn es nicht wie eine Entschuldigung, sondern eher wie eine Vertagung der Diskussion aussah.
„Wie habt Ihr eigentlich Bonal Geldem kennen gelernt?“, erkundigte sich Astamalia, nachdem sie fertig gegessen hatte und sich gemütlich in ihrem Stuhl zurücklehnte, den Rest Elfenbogenwein in ihrem Glas schwenkend.
„In Valenar“, erklärte Thalaën. Die lange Rede zuvor schien seine Anzahl an gesprochenen Wörtern an diesem Tag überstiegen zu haben.
„Er war bei mir und meinem Freund Matuc im Eldeenreich um dort die Portale der Siegelbewahrer zu studieren. Und Ihr?“, fragte Esra.
„Ich habe ihm als Assistentin bei seinen Forschungen geholfen.“
Esra verdrehte die Augen. Das waren hervorragende Bedingungen für neue Freundschaften. Glaubensstreitigkeiten zwischen den einen und ein grundsätzlicher Mangel an Kommunikation und Informationsaustausch zwischen jedem einzelnen.
„Mir fällt gerade auf, ist der Dekan nicht schon überfällig?“, fragte Adamant.
„Das ist er in der Tat“, stellte Thalaën trocken fest.
Wie auf Kommando klopfte es an der Tür ihres Separées und ein Kellner trat ein.
„Eine Nachricht wurde für Euch hier abgegeben.“
Astamalia nahm sie ihm ohne zu fragen aus der Hand und las vor:

Hallo Freunde!
Ich wurde leider in der Bibliothek aufgehalten und konnte daher nicht kommen. Da es eilt, bitte ich Euch zu mir ins Haus. Kelsaspitze Mitte, Stock 4, Tür 12. Es ist nicht schwer zu finden. Vom Klub aus könnt Ihr den Dalannanturm sehen, in diesem befindet sich die Universität. Von dort aus geht Ihr über die westliche Brücke weiter, bereits der nächste Turm ist die Kelsaspitze.
Bonal Geldem

Sie faltete den Brief wieder zusammen.
„Sieht so aus, als wären wir dann hier fertig. Wer bezahlt das Essen?“, fragte sie in die Runde.
„Das geht auf Kosten der Universität“, beantwortete der Kellner ihre Frage.
„Bestens“, knurrte Thalaën und griff nach seinem Umhang. „Dann wollen wir mal los.“
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Sirius am 16. Dezember 2007, 13:42:45
Sehr gut geschrieben und es verspricht eine spannende Geschichte zu werden. Ich freue mich auf mehr.
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Nathan Grey am 18. Dezember 2007, 09:14:03
Gefällt mir auch sehr gut, bitte weiter schreiben. Habe das Abenteuer vor ein paar Wochen selber mit ner Grupper gespielt. Hast Du danach vor die Abenteuer Trilogie zu spielen??
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 18. Dezember 2007, 09:50:13
Ja, wir haben danach die Trilogie gespielt. Meistens sehr nah "by the book", allerdings mit einen - hoffentlich - interessanten Nebenhandlungen.

Der zweite Part der Kampagne - Selbstgeschriebene Abenteuer, die an die Kauftrilogie anschließen - ist gerade in Planung. Ich hoffe nur, dass er auch stattfindet, da im Moment alle meine Spieler etwas im Stress sind und nicht spielen können...
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 21. Dezember 2007, 17:53:12
So jetzt geht es langsam mal ans Eingemachte...

Nachts in Sharn

„Bei diesem Wetter jagt man nicht einmal einen Hund vor die Tür“, ärgerte sich Astamalia, als sie den Klub wieder verließen. Der sanfte Abendregen von vorhin hatte sich in einen sintflutartigen Sturm verwandelt.
„Dann sollten wir uns beeilen“, schlug Adamant vor. „Ich kenne den Weg.“
Mit diesen Worten schritt er voran, Thalaën schloss neben ihn auf, die beiden Frauen bildeten die zweite Reihe.
Während sich der Regen weiter sturzbachartig vom Himmel ergoss, suchte sich das Quartett seinen Weg durch die verwirrend angelegten Brücken und Simse von Sharn. Die Wege und Straßen wanden sich in irrem Zicksack dahin und Thalaën war abermals froh, einen ortskundigen Begleiter bei sich zu haben. Anscheinend hielten die Sharner nichts von Brücken, die auf schnellstem Weg von einem Ort zum anderen führten.
Da der Regen förmlich herabpeitschte und in kleinen und großen Sturzbächen von den höher gelegenen Balkonen und Brücken herab fiel, war es schwieriger mehr als nur ein paar Meter weit zu sehen. Selbst das Glühen der Immerhellen Laternen, die sonst die Straßen hell erleuchteten, war in diesem Wetter kaum auszumachen. Dadurch bildeten nicht einmal sie eine wirkliche Orientierungshilfe.
„Wir sind jetzt am Dalannanturm. Nicht mehr lange, und wir befinden uns im trockenen“, rief Adamat den andern zu.
Esra versuchte durch die Regnschleier etwas zu erkennen. Doch selbst der gewaltige Turm der Kelsaspitze, die anscheinend nicht mehr weit weg war, war kaum auszumachen. Dafür bemerkte sie eine verhüllte Gestalt auf der Brücke links von ihr.
Nein, halt! Es waren zwei Gestalten, und sie schienen miteinander zu ringen.
Eine ging zu Boden.
Ein Blitz zuckte auf und die zweite Gestalt sah genau Esra an. Der Verhüllte sah kurz zu Boden, rannte dann auf das Geländer zu und schwang sich lautlos darüber.
„Habt ihr das gesehen?“
„Was?“, fragte Thalaën.
„Dort drüben!“, rief Esra und lief voraus. Wie es schien, war der Ort des Geschehens, die Brücke, welche zur Kelsaspitze führte.
„Wandler!“, fluchte Astamalia und zog den Kopf gegen den Regen weiter ein. Die beiden männlichen Mitglieder der Gruppe eilten jedoch Esra hinterher. So beschleunigte auch Astamalia ihre Schritte.
Gleich darauf blieben jedoch alle vier erschrocken stehen. Auf der Brücke lag ein regungsloser Körper. Im treibenden Regen hatte sich bereits eine große Blutlache um ihn gebildet.
„Wir müssen helfen!“, rief Adamant und kniete sich neben dem Mann nieder. „Vielleicht kann Heilmagie ihn noch retten!“
Thalaën warf einen zweifelnden Blick auf den zertrümmerten Kopf des Mannes.
„Das wage ich zu bezweifeln.“
Astamalia kniete ebenfall nieder und griff in die Brusttasche des Mannes. Sofort fand sie was sie suchte: Die Ausweispapiere. Sie klappte das Dokument auf und las es.
„Ich denke, unsere Anwesenheit hier hat sich erledigt. Das hier ist Dekan Bonal Geldem, Professor für Prä-Galifarsche Geschichte an der Morgrave-Universität.“
Sie steckte den Ausweis zurück und besah sich die Leiche genauer. Irgendeine schwere Hiebwaffe schien ihm den Kopf zertrümmert zu haben. Das erstaunlichste aber war, dass Bonal immer noch eine teuer aussehende, lederne Aktentasche umklammert hielt. Das war sicher einen Blick wert…
Esra stand etwas abseits. An dieser Leichenfledderei konnte sie nichts finden.
Hinter ihr erklang ein Geräusch, als würde jemand in eine tiefe Lache springen. Erstaunt sah sie sich um und duckte sich im letzten Moment.
Ein grobschlächtig gebauter Kriegsgeschmiedeter hieb mit einer Streitaxt nach ihr.
„Sterbt Fleischliche!“, rief der Geschmiedete mit einer erstaunlich hellen Stimme und hob im selben Atemzug wieder seine Waffe.
Adamant versuchte sein Langschwert zu ziehen, als die Axt auch schon krachend seine Brust traf. Die dicke Panzerung hielt sicherlich einen Teil des Schadens ab, dennoch richtete sie erheblichen Schaden an und Adamant taumelte benommen einen Schritt zurück. Ungläubig besah er seine Schäden, hob dann aber sein Schwert und begann mit viel Kraft, auf sein Gegenüber einzuprügeln.
Thalaën war in einer fließenden Bewegung aufgesprungen und mit einer Agilität, die ihm niemand zugetraut hatte, stürzte er sich, seinen Doppelkrummsäbel schwingend, auf den Angreifer.
Esra sah, dass Astamalia inzwischen die Tasche an sich genommen hatte und sich aus dem direkten Angriffsbereich brachte. Sie selbst lange nach Pfeil und Bogen und versuchte ein freies Schussfeld zu bekommen. Doch ihre Verbündeten standen ihr im Weg.
Zudem war es hier einfach zu laut! Bei der Jagd im ruhigen Wald war es einfacher sich zu konzentrieren!
„Elender Fleischwesen liebender Verräter!“, schrie der Angreifer Adamant an und versuchte mit seiner Axt weitere Treffer zu landen.
„Haltet sie auf! Die bringen den Kerl ja um!“, erklang es aus einem der umliegenden Türme.
„Ruft die Wache! Wache!“, aus einem anderen.
Aus der Ferne war auch bereits der grelle Klang einer Alarmpfeife zu hören.
Esra versuchte es abermals, doch noch bevor sie richtig zielen konnte, ging der Kriegsgeschmiedete zu Boden.
„Wir sollten hier verschwinden“, schlug Astamalia vor mit einem Seitenblick auf die beiden Leichen.
„Seht!“, rief Thalaën.
Die Brust des Kriegsgeschmiedeten öffnete sich und ein kleines metallenes Objekt schoss daraus hervor, flatterte unsicher herum und setzte dann dazu an im Regen zu verschwinden.
„Schieß es ab Esra!“, erklang Astamalias Stimme.
Esra zögerte nicht lange, legte an, zielte und schoss. Daneben. Der Pfeil verfehlte das Objekt und segelte in die Tiefen der Stadt.
„Hoffentlich trifft der niemanden“, meldete Thalaën trocken.
„Egal, weg hier“, ordnete Astamalia noch einmal an.
Doch es war zu spät.
Zwei Männer und eine Frau, gekleidet in der grün-schwarz gemusterten, beschlagenen Lederrüstung der Stadtwache von Sharn, tauchten aus dem treibenden Regen auf. Der Anführer war ein muskulöser Zwerg mit scharf geschnittenem Bart. Regentropfen perlten von seiner Glatze als er auf die vier zutrat und dabei bedrohlich seine Armbrust hob. Seine beiden Begleiter hatten die Hellebarden kampfbereit.
„Bei Olladras blutiger Nase“, fluchte er. „Im Namen der Wache: Lasst Eure Waffen fallen und erklärt mir, was bei allen Dämonen, hier vorgefallen ist!“
Adamant ließ sein Schwert klappernd zu Boden fallen, auch Esra legte ihren Bogen und den Köcher ab. Thalaën jedoch funkelte die drei Wachen herausfordernd an, die Waffe noch in Händen.
„Thalaën, seid nicht dumm“, flüsterte Astamalia.
Der Elf warf ihr einen verächtlichen Seitenblick zu, legte dann seine Waffe aber auch zu Boden.
„Und nun erklärt Euch!“, forderte der Zwerg mit Nachdruck.
„Wir kamen über diese Brücke und sahen diesem Mann hier ermordet liegen“, begann Astamalia zu erklären. „Als wir sehen wollten, ob wir noch etwas für ihn tun könnten, griff uns dieser Kriegsgeschmiedete an. Wir haben uns da natürlich verteidigt.“
Der Zwerg lachte unbelustigt auf.
„Und ihr glaubt tatsächlich, dass ich Euch diese Räubergeschichte abkaufe? Ich glaube eher, dass Ihr die Mörder der beiden hier seid! Weist Euch doch erst einmal aus.“
Astamalias Gesicht zeigte ein triumphierendes Lächeln, als sie unter ihre Robe griff und dem Zwerg ihre Dokumente unter die Nase hielt.
Sofort nahm der Zwerg Haltung an.
„Entschuldigt, ich wusste nicht, dass Ihr zum Haus Lyrandar gehört. In diesem Fall nehme ich Eure Aussage als wahr an.“
Er deutete seinen Leuten die Waffen zu senken.
„Dennoch könntet Ihr mir vielleicht weiterhelfen. Habt Ihr eine Idee, warum jemand diesen Mann getötet haben könnte?“
„Leider nein“, schüttelte Astamalia den Kopf. Was sogar der Wahrheit entsprach. Wenn man davon absah, dass sie einen Verdacht hatte.
„Gut. Dann danke ich. Aber das nächste Mal solltet Ihr solche Dinge lieber der Stadtwache überlassen. Sollte Euch noch etwas einfallen, meldet es bitte am Wachposten in der Kelsaspitze oder direkt bei mir, Feldwebel Dolom.“
„Werden wir machen“, nickte Astamalia und drängte die anderen zu gehen.
Als sie weiter weg waren ergriff sie Adamant an der Schulter.
„Hätten wir der Wache nicht die Aktentasche geben sollen? Vielleicht ist sie von Bedeutung.“
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie von Bedeutung ist“, stimmte Astamalia dem Geschmiedeten zu. „Jedoch in anderer Hinsicht. Ich denke, dass sich darin Hinweise auf die Expedition finden werden, die Bonal geplant hatte. Darum werden wir jetzt am besten in den Klub zurückkehren uns trocknen lassen und den Inhalt der Tasche etwas genauer ansehen.“
„Seht!“, sagte da Thalaën und deutete auf eine Gestalt, die direkt auf sie zu kam.
Die Person hatte eine Kapuze bis tief ins Gesicht gezogen, um sich vor dem Regen zu schützen. Sie blieb bei der Gruppe stehen und streckte eine Hand vor. Daran prangte ein Siegelring von Haus Cannith.
„Wenn ihr die Wahrheit über Bonal Geldems Tod erfahren wollt, dann kommt Morgen bei Sonnenaufgang in die Schenke Zum Geborstenen Amboss.“
Mit diesen wenigen Worten wandte sie sich ab und verschwand wieder im dichten Regen.
„Interessante Stadt, dieses Sharn“, kommentierte Thalaën den Auftritt.
„Was jetzt?“, fragte Esra.
„Wir brauchen einen Platz zum Schlafen. Na, zumindest drei von uns brauchen einen“, stellte Astamalia fest.
Adamant sagte nichts. Er überlegte, ob er diese drei Gestalten mit sich in den Tempel nehmen sollte. Doch beim Gedanken an seine leere Zelle, die kaum groß genug für ein Bett gewesen wäre – hätte er denn eines gehabt – schämte er sich ein wenig und sagte lieber nichts. Doch dann kam ihm eine Idee.
„Unterhalb der Universität gibt es billige Studentenunterkünfte. Vielleicht bekommen wir dort ein Lager für die Nacht.“
Astamalia seufzte. Das war genau die Art von Unterkunft, die sie sich NICHT gewünscht hatte.

Es war nicht ganz so schlimm wie erwartet. Die Zimmer waren eng, aber sauber. Der Nachteil war: Sie mussten sich zu viert eine solche Besenkammer teilen. Na ja. Selbst auf der Akademie hatten sie mehr Platz gehabt. Aber das war nun leider vorbei.
Sie zog ihre nasse Robe aus und widmete sich dann der Tasche. Darin fanden sich Tinte und Feder, sechs Blatt karrnischen Papiers – diese Qualität erkannte Astamalia sofort –, einen eingewickelten Apfel, den sie gleich an Thalaën weitergab, er schon wieder Hunger hatte, und ein Buch.
Ein kleines Buch mit einem dunkelbraunen Ledereinband in den Mithralfäden eingewoben waren, die ein seltsames Muster bildeten: Einen stilisierten Hammer und einen Amboss in einem Kreis.
Die Seiten des Buches waren jedoch alle leer, es trug weder Titel noch sonst eine Art von Beschriftung.
„Und, war das den Diebstahl wert?“, fragte Adamant.
„Es war kein Diebstahl. Er war ja bereits tot“, klärte ihn Astamalia auf.
Doch die Blicke der anderen schienen dem Kriegsgeschmiedeten zuzustimmen. Astamalia seufzte und wandte sich wieder dem Buch zu.
Die Seiten fühlten sich merkwürdig an, nicht wie Papier. Probeweise griff sie nach ihrem Tintenfass und ihrer Feder und schrieb damit einige Worte. Doch die Tinte perlte ab und tropfte auf den Boden. Auch mit Kreide und der Tinte aus der Aktentasche ließen sich keine Erfolge erzielen.
„Sieht so aus, als würden wir im Dunklen tappen.“
„Dann sollten wir morgen in diese Schenke gehen“, schlug Esra vor.
„Uns wird wohl nichts anderes übrig bleiben. Zumindest habe ich im Moment kein Geld, um mir einen dauerhaften Aufenthalt in Sharn oder auch nur eine Rückreise in die Heimat zu leisten“, stellte Thalaën fest.

***

Entermesser empfing den Getreuen Boten mit wenig Freude. Die Tatsache, dass das Konstrukt zu ihm kam, konnte nur bedeuten, dass Schnitter gescheitert war.
Gekonnt fing er das Konstrukt ein und öffnete einen Teil seiner Brustpanzerung. Vorsichtig setzte er den Boten ein und empfing die letzten Wahrnehmungen seiner Freundin.
Bonal Geldem war tot.
Gut.
Das Tagebuch befand sich jetzt in Händen dieser seltsamen Gruppe.
Schlecht.
Aber noch war noch nicht alles verloren. Diese Gruppe sah nicht so aus, als hätte sie im Geschäft mit dem Tod bereits viel Erfahrung gesammelt.
Was den Verlust von Schnitter natürlich umso bedauerlicher machte. Aber sie würden kein großes Problem darstellen.
„Schatten!“, rief er.
Ein leicht gebauter, kleiner Kriegsgeschmiedeter erschien lautlos neben ihm.
„Ja, Meister?“
„Diese Gruppe darf nicht zu einem Problem werden. Du und Säbel, ihr werdet diese Gruppe ausschalten, das Tagebuch beschaffen und das Schema finden! Bevor das erledigt ist, braucht ihr mir nicht mehr unter die Augen zu treten.“
„Natürlich, Meister.“
Entermesser warf ihm noch einen Beutel zu, in dem einige Galifar klimperten.
„Heuere noch einige Söldner an. Es sollte nicht schief gehen. Der Fürst wäre sonst schwer enttäuscht von uns allen.“
„Ich verstehe, Meister. Ich werde weder Euch noch den Fürsten enttäuschen.“
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 23. Dezember 2007, 14:54:02
Da ich nächstes Wochenende in Landen ohne Internet bin, stelle ich das nächste jetzt schon rein. Schöne Feiertage, guten Rutsch und vielleicht ein paar Kommentare an mich (?!) an alle Mitleser.

Die Ruinen von Dorasharn
Adamant weckte die beiden Frauen, noch bevor es richtig hell wurde. Esra musste feststellen, dass es Vorteile hatte, mit einem Gefährten zu reisen, der keinen Schlaf benötigte. Aber wo war Thalaën?
„Der Elf sitzt schon seid Stunden in der Küche und pflegt seine Waffe. Die meine übrigens auch.“
Esra runzelte die Stirn, bis ihr einfiel, dass Elfen ja bekanntlich nicht schliefen. Sie meditierten in der Nacht einige Stunden, aber mehr auch nicht. Diese Eigenschaft hätte sie bei der Jagd auch des Öfteren gebrauchen können.
„Frühaufstehen war noch nie meine Stärke“, gähnte Astamalia, worüber Esra nur den Kopf schütteln konnte. Sie fühlte sich ausgeruht und für alles bereit, was der Tag heute bringen sollte.
Andererseits, nachdem was sie gestern erlebt hatte, war sie wahrscheinlich nicht auf alles vorbereitet. Schon deswegen weil sie es sich einfach gar nicht vorstellen konnte.
„Wir sollten im Geborstenen Amboss frühstücken, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren. Es ist bereits spät.“
„Spät?“, staunte Astamalia gähnend. „Nun ja, wie ihr meint.“
Esra konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Thalaën saß bereits in seiner Tracht am Küchentisch, die Beine auf dem Tisch und seine Waffe mitsamt einem Wetzstein in der Hand.
„Brechen wir endlich auf? Diese langen Pausen sind etwas anstrengend.“
„Jaja, hackt nur alle auf mir herum“, maulte Astamalia, die immer noch im Halbschlaf war.
„Kommt, ich weiß, wo wir hin müssen. Das Gasthaus befindet sich im Maurerturm, ein ganzes Stück entfernt von hier. Wir sollten eine Luftkutsche nehmen.“
„Muss das sein?“, fragte Esra.
„Was ist das?“, fragte Thalaën.
Die Entscheidung fiel letztendlich dagegen aus. Zum einen, da sie alle mit ihrem Geld sparen mussten, zum anderen, weil Esra nicht zu begeistern war, und zum dritten, da bis auf eine Person in der Runde alle der Meinung waren, dass Astamalia ein morgendlicher Spaziergang gut tun würde.
„Wir wissen doch alle, was passiert ist, als wir gestern spazieren gingen“, zog leider auch nicht.

Die Schenke Zum Geborstenen Amboss lag in einer Ecke des Maurerturms und schien, zumindest um diese Tageszeit, nicht viel besucht zu sein. Über der Tür hing das Wappen von Haus Ghallanda, welches das Mal der Gastfreundschaft trug. Astamalias erster Lichtblick an dem regnerischen und viel zu frühen Morgen. Das bedeutete zumindest, dass die Qualität des Frühstücks passen würde.
Nacheinander traten sie ein und wurden auch gleich von einer älteren, dicklichen Halblingsfrau, die stark nach Essen roch, in Empfang genommen.
„Ihr werdet bereits erwartet. Frühstück gefällig?“
„Ja.“
„Gerne.“
„Mir knurrt schon der Magen.“
„Danke, ich esse nicht.“
Alle drehten sich zu Adamant um.
„Stimmt doch“, verteidigte sich der Kriegsgeschmiedete.
Die Halblingsfrau brachte sie an einem Tisch in einem Eck des Lokals.
Dort saß eine Frau mit eleganten Gesichtszügen, mit einem dunkelgrünen Umhang gekleidet. Die Augen waren dunkelblau und das schwarze, glatte Haar mit Spangen aus Silber und Türkis zusammengefasst. Ihre Finger waren manikürt und sie trug einen nicht zu übersehenden Siegelring des Hauses Cannith an ihrem rechten Ringfinger.
„Ich danke euch für euer Erscheinen“, sprach sie das Quartett mit sanfter, klarer Stimme an. „Wir haben wichtiges zu besprechen. Es geht – wie ihr bereits wisst – um das plötzliche Ableben von Bonal Geldem. Aber bitte, nehmt doch erst einmal Platz und bedient euch.“
Weder das eine noch das andere ließen sich die vier zweimal sagen. Der Tisch war mit Krügen voll Wasser, Bier und Wein gedeckt und die Halblingsfrau brachte zudem noch ein reichliches Frühstück, so dass sich bald der Tisch unter der Last des ganzen zu biegen schien.
Während sich die drei über das Mal hermachten und Adamant ihnen im Geiste beistand, begann die Frau zu erzählen:
„Mein Name ist Elaydren d’Cannith. Ich arbeitete mit Dekan Geldem zusammen um ein altes Familienerbstück zu bergen. Er wollte sich letzte Nacht mit euch treffen, doch wie ihr wisst, hat er es nicht bis zum Treffpunkt geschafft. Ich wurde, als seine Leiche gefunden wurde, sofort von der Stadtwache unterrichtet und sendete euch daher einen Boten, der euch hierher schickte.“
„Um was für ein Erbstück sollte es sich denn dabei handeln? Und wo soll es sich befinden?“, erkundigte sich Adamant, da die anderen alle noch am essen waren.
„Laut den Legenden unserer Familie befindet sich das Erbstück, das wir suchen, in einer längst vergessenen Schmiede, die noch zu Zeiten vor der Begründung des Königreichs Galifar errichtet wurde. Der arme Bonal war der Ansicht, eine Beschreibung des Standorts der Schmiede in einem alten Tagebuch eines Familienmitglieds von Haus Cannith gefunden zu haben.“
„Ah, ich glaube, dieses Tagebuch haben wir nun, aber es ist komplett leer. Astamalia?“
Die Magierin sah den Kriegsgeschmiedeten Kleriker an, als sei er verrückt geworden.
„Willst du der Dame Elaydren nicht ihr Eigentum zurückgeben?“, fragte er noch einmal.
Missmutig zog Astamalia ihren Rucksack hervor und kramte das Buch heraus.
„Danke sehr“, sprach Elaydren und nahm das Buch an sich. Als sie es aufschlug erschienen Buchstaben auf den Seiten.
„Was hast du da gestern Abend so lange damit gemacht?“, fragte Thalaën ungläubig.
Doch Astamalia gab keine Antwort.
„Die vergessene Schmiede scheint tief unter dem Dorasharnturm zu liegen“, erklärte stattdessen Elaydren. „Genauer gesagt, 57 Stockwerke unter dem System von Abwasserkanälen, über dass der Turm heute verfügt.“
Sie klappte das Buch wieder zu.
„Ursprünglich sollte es Bonals Aufgabe sein, eine Expedition zusammenzustellen. Aber nun… Seid ihr daran interessiert das Erbstück zu beschaffen? Ich biete euch 1000 Galifar und die Dankbarkeit meines Hauses als Belohnung, wenn ihr das Erbstück findet und zu mir bringt. Seid ihr bereit diesen Auftrag anzunehmen?“
„Sind wir nicht ohnehin deswegen nach Sharn gekommen? Natürlich mache ich da mit“, stimmte Thalaën zu.
Esra und Astamalia nickten ebenfalls.
„Ich hätte da nur noch zwei Fragen“, zögerte Adamant seine Entscheidung noch hinaus. „Dieser Auftrag wird doch nicht gegen die Prinzipien der Silbernen Flamme verstoßen?“
Elaydren wirkte verwirrt.
„Nein, nicht das ich wüsste.“
„Gut. Und was genau sollen wir jetzt suchen und finden?“
„Ah ja. Das Relikt, dass ich suche ist eine Adamantitscheibe. Sie ist ungefähr so groß wie eine menschliche Hand und hat die Form eines siebenzackigen Sterns. Das Schema selbst verfügt über keinerlei spezielle Kräfte oder besonderen Wert. Es ist allerdings Teil eines mächtigen Schöpfungsmusters, das die Magieschmiede von Haus Cannith einsetzen, um ungewöhnliche Gegenstände herzustellen. Wenn ihr dieses Stück Geschichte für uns bergen könnt, wird sich das Haus Cannith sehr dankbar erweisen.“
„Wisst ihr eigentlich, wer Bonal Geldem getötet hat?“, erkundigte sich Esra.
„Wahrscheinlich Diener des Klingenfürsten. Dieser Fanatiker sucht schon lange nach diesem Schema und möchte es für seine finsteren Zwecke einsetzen. Welche auch immer das sein mögen.“
„Dann sollten wir allerdings auch noch wissen, wie wir da nach unten kommen, oder?“, fragte Astamalia.
„Das ist einfach. Ihr müsst nur den Ventilknoten E-213 finden und euch weiter nach unten bewegen. Leider kann ich euch nicht sagen, was genau dort unten auf euch warten wird. Ich erinnere mich nur, dass Bonal einmal meinte, er dürfe nicht vergessen Feuer mitzunehmen. Was auch immer er damit meinte.“
Elaydren grübelte nach.
„Ich denke das war’s. Hier habt ihr einen Vorschuss über 100 Galfiar, damit könnt ihr euch für den Ausflug eindecken. Ihr könnt mich danach wieder hier finden.“
Während das Quartett aufbrach wechselten weiter unten, in den Tiefen des Dorashanturms mehrere glänzende Goldstücke ihren Besitzer.

Nach dem Einkauf auf einem der Märkte in Sharn den Dorashanturm zu finden war kein Problem. Auch nicht weit hinab zu kommen. Jedoch hatte keiner gesagt, dass es dort unten so unangenehm werden würde. Thalaën war ein Elf der weiten Steppen und auch wenn Klaustrophobie in seiner Rasse unbekannt war, so fühlte er sich im Augenblick doch sehr eingeengt. Sie befanden sich auf den untersten Ebenen des Turmes. Hier waren die Gänge niedrig und vor allem eng. Adamant passte mit seinem Körper gerade mal durch den Tunnel, durch den sie sich gerade durcharbeiteten. Nur selten gab es irgendwelche Fenster, von denen man aber nur auf die Fundamente anderer Türme und Gebäude blicken konnte. Von den magischen Laternen der Oberstadt war hier nichts zu sehen. Hin und wieder brannten Fackeln und spendeten so ein spärliches und flackerndes Licht. Vor allem aber spendeten sie Rauch, der in der Kehle kratzte und Tränen in die Augen trieb. Zudem stank es bestialisch nach Schweiß und Schimmel.
Was wohl diese Astamalia über diese Umgebung dachte?
Und obwohl die Umgebung so ungastlich war, dass Thalaën am liebten auf der Stelle wieder umgekehrt wäre, schienen hier unten eine Menge Wesen zu Hausen. Es wimmelte praktisch von Angehörigen aller Völker Eberrons. Und obwohl sie alle sehr verdreckt und ärmlich wirkten, sah jeder einzeln von ihnen so aus, als wüste er sich seiner Haut zu erwehren.
Endlich öffnete ich der Tunnel zu einem großen Raum, der auch hoch genug war, das beklemmende Gefühl in Thalaëns Eingeweiden weichen zu lassen.
Eine Gruppe von Menschen, Goblins und Wandlern hatte sich hier um einen Haufen Müll versammelt, der auf mehreren verrotteten Decken ausgebreitet da lag. Und mitten auf dem Haufen Müll stand ein dicklicher Goblin.
„Nicht drängeln meine Herrschaften! Auf dem Lumpenmarkt ist für jeden was dabei!“, pries er seine Ware an. Und anscheinend konnte er sich des Andranges wirklich kaum erwehren. Auch wenn sich Thalaën nicht vorstellen konnte, was es dort so wertvolles geben sollte.
„Sollen wir den Kerl mal nach dem weiteren Weg fragen? Er scheint sich hier auszukennen und sehr viel weiter nach unten scheint es offiziell nicht zu gehen“, schlug Thalaën vor.
„Auf jeden Fall befinden wir uns am unteren Ende der gesellschaftlichen Hierarchie“, erwiderte Astamalia pikiert. Sie hatte bereits etliche Stockwerke höher ihre teure Robe aus Schöngewebe abgelegt, aber auch das was sie darunter trug war so teuer und auffallend, dass ihr andauernd Blicke zugeworfen wurden; und nur wenige davon waren freundlich gesinnt.
Dennoch stapfte sie tapfer auf den Lumpenmarkt zu:
„Ihr da, könnt Ihr uns vielleicht sagen, wie wir den Ventilkonten E-213 finden können?“
„Tja, da hätten wir erstmal eine äußerst seltene und sehr hochwertige Stange Siegelwachs, nur leicht gebraucht und lächerliche 60 Kupfermünzen“, begann der Goblin.
„Ich fragte nach dem Ventilknoten…“, setzte Astamalia erneut an, doch der Goblin sprach einfach weiter:
„Oder vielleicht könnte ich die Damen und Herren für diese prächtige Wolldecke interessieren, die kaum angeschimmelt ist? Nur 39 Kupfermünzen! Oder mit diesem vorzüglichen Hanfseil! Ganze 12 Meter lang, wirklich hervorragender Zustand!“
„Wir nehmen das Seil“, mischte sich nun Esra ein. Bis jetzt war die Wandlerin abseits gestanden und hatte die anderen Leute auf dem Platz genau gemustert.
Die Wandlerin warf dem Goblin mehrere Silberregenten zu und nahm das Seil an sich.
Die Miene des Goblins hellte sich auf.
„So, nachdem wir das erledigt haben: Ihr sucht also den Ventilkonten E-213. Und was habe ich davon?“
„Wie viel wollt Ihr denn davon haben?“, erkundigte sich Esra.
„Sagen wir 100 Silberregenten?“
„Was?“, empörte sich Astamalia. „Wir lassen uns doch nicht über den Tisch ziehen!“
„Beruhig dich Astamalia“, mischte sich nun auch Adamant ein. „Das sind doch nur 10 Galifar. Die bezahlen wir doch ohne…“
„Hier geht es ums Prinzip“, stellte die Magierin fest. „Ich werde keinem Halsabschneider hier so viel Geld nachwerfen.“
An ihrer diplomatischen Einstellung musste die Halb-Elfe noch arbeiten, fand Thalaën.
„Wir geben dir 90 Silbermünzen. Immerhin haben wir dir bereits das Seil abgekauft. Und das ist unser letztes Angebot“, schlug Esra vor.
„Skakaan ist damit einverstanden“, grinste der Goblin. „Folgt mir.“
Im Handumdrehen hatte er seine Decken zu einem wuchtigen Bündel zusammengefasst und über die Schulter geworfen. Rasch führte er sie aus der Halle heraus, noch weiter nach unten.
„Hast du vorhin etwas gesehen? Du hast die Menge sehr genau gemustert“, nutzte Thalaën die Möglichkeit, Esra anzusprechen.
„Ich dachte, ich hätte etwas gesehen. Aber ich muss mich wohl geirrt haben“, schüttete sie den Kopf.
Plötzlich blieb Skakaan vor einer windschiefen Tür stehen, auf der, gerade noch so zu lesen, die Worte E-213 standen.
„Hier sind wir. Meine Belohnung bitte sehr.“
Esra warf ihm das versprochene Geld zu und der Goblin verschwand eilend in der Dunkelheit.
„Das hätten wir auch alleine gefunden“, stellte Astamalia fest.
„Mag sein, aber es hätte länger gedauert.“
Esra warf einen Blick hinter die Tür. Ein enger Gang, eine steile Treppe nach unten.
„Wir werden hintereinander gehen müssen. Wer geht voran?“
„Ich“, stellte Thalaën klar, dann deutete er nacheinander auf die anderen. „Esra danach. Dann Astamalia und Adamant deckt unseren Rücken, für den Fall der Fälle.“
Thalaën fühlte sich ganz in seinem Element. Kein langes reden, nur Taten. Und hier wusste er zudem genau was er tat. Auch wenn es das erste Mal war, dass er zu einer Erkundung in einen Abwasserkanal stieg. Aber irgendwann war bekanntlich immer das erste Mal.
Er zündete sich eine Fackel an und betrat den Gang. Die anderen folgten ihm in der von ihm angeordneten Reihenfolge.
Mit jeder Stufe, die sie weiter nach unten brachte, wurde der Gestank nach Moder, Dreck, vor allem aber nach Fäkalien stärker. Sie befanden sich eindeutig auf dem richtigen Weg. Auch das fließen von Wasser war zu hören und wurde mit jedem Schritt lauter.
Endlich bog er um eine Ecke und seine Fackel beleuchtete die trübe Oberfläche eines Kanals.
„Scheint, als wären wir da.“
Hinter ihm ertönte ein dumpfer Schrei, Stahl traf auf Adamantit.

Adamant wusste nicht wie ihm geschah. Gerade noch war er hinter seinen Gefährten die Treppe hinab gestiegen, als er vor Schmerz plötzlich aufschrie. Irgendetwas spitzes drag tief in seine Eingeweide und wurde mit einem Ruck wieder herausgerissen.
„Ihr habt das Tagebuch des Dekans!“, drang eine geflüsterte Stimme an sein Ohr. „Und dafür werdet ihr sterben. Langsam und qualvoll.“
Adamant nutzte diese gesprächige Phase seines Gegners um herumzuwirbeln und dabei sein Schwert zu ziehen. Vor ihm stand ein kleiner Kriegsgeschmiedeter mit einem dunklen, fast schwarzen Körper. In der Hand hielt er einen Rapier, den er anscheinend gerade durch Adamants Panzerung gerammt hatte.
Doch der Kleriker wusste sich zu verteidigen und brachte einen kräftigen Schlag an. Zumindest wäre es einer geworden, wenn der Gang breiter gewesen wäre, so traf er nur das alte Gemäuer.
„Was ist los da hinten!“, hörte er Thalaëns Stimme.
„Adamant wird angegriffen“, rief Esra zurück und feuerte einen Pfeil auf den Angreifer. Doch Adamant stand – wieder einmal – im Weg. „Wir müssen aus diesem Gang heraus!“
Währenddessen erhielt Adamant einen weiteren Schlag, schaffte es aber im Gegenzug auch einen anzubringen.

Thalaën durchschaute die Situation rasch. Sie waren in eine Falle gelockt worden! Mit mehren Sprüngen legte er die Distanz bis zum Kanal zurück und sprang in das brackige, gut 60 Zentimeter tiefe Wasser.
„Ist das eklig“, brummte er.
Da drang ein animalisches Brüllen an sein Ohr. Er hob die Fackel und erblickte in einiger Distanz zwei Wandler, die gerade ihr Erbe aus sich herausließen.
„Nicht gut“, meinte er zu sich und zückte seinen Krummsäbel.
Hinter ihm platschte Astamalia in den Tunnel. Der Ekel stand ihr ins Gesicht geschrieben.
„Wandler!“, rief ihr Thalaën zu und rannte durch das Wasser auf die neue Bedrohung zu.

Esra sah, dass sie in dem engen Gang nicht viel ausrichten konnte und stürmte ebenfalls in den Kanal, stolperte fast über Astamalia. Thalaëns Kriegsruf hallte durch den Tunnel, während er weiter durch das Wasser rannte.
Esra feuerte einen Pfeil.
Daneben.
Sie fluchte unterrückt und legte einen neuen ein. Von der Treppe waren weitere Kampfgeräusche zu hören. Neben ihr hatte sich Astamalia gefangen; die Magierin begann knappe Bewegungen zu machen und murmelte leise vor sich hin.
Eine kleine funkelnde Kugel schoss aus ihrem Finger und traf zielsicher einen der Wandler in die Brust, wo sie einen hässlich dunklen Fleck hinterließ.
Thalaën war inzwischen auf die Idee gekommen nicht an der tiefsten Stelle des Wassers zu laufen. Zu beiden Seiten des Kanals gab es halbwegs trockene Stege.
Dort traf der Elf auch mit einem der Wandler aneinander. Esra feuerte einen letzten Pfeil auf den zweiten, warf dann wütend ihren Bogen weg und zückte ihr Schwert. Währenddessen zauberte Astamalia weiter.
Adamant auf der Treppe schien die Ausweglosigkeit seines Tuns erkannt zu haben und ergriff ebenfalls die Flucht nach vorne – in diesem Fall nach unten in den Tunnel hinein.
Rasch versuchte der Kleriker die Situation zu überblicken. Esra, die ausnahmsweise mit einem Schwert auf ihren Gegner einhieb, Astamalia, die knietief in den Abwässern stand und mit  magischen Energien um sich schleuderte und Thalaën, der mit fliegenden Klingen einen zweiten Wandler bedrängte, genau vor…
„Achtung Thalaën!“, rief Adamant.
Genau in diesem Moment öffnete sich schlagartig eine der zwölf Irisblenden, welche den Tunnel flankierten und spuckte in weitem Bogen einen Schwall von Abwässern aus. Zum Glück hatte sich keiner der Kämpfenden davor befunden.
Dafür hatte dieser hinterhältige Meuchelmörder Adamant eingeholt und bedrohte ihn wieder mit seinem Rapier.
Die Schlacht ging also weiter.

Thalaën fluchte unterdrückt, während er den Klauen des Wandlers ausweichte. Diese Bestien waren geschickter, als sie aussahen. Das hätte er ihnen gar nicht zugetraut. Andererseits: Esra war auch nicht viel anders. Dafür hatte sie aber keine mörderischen Krallen an den Händen, wenn sie sich wandelte. Damit hatte sein Gegenüber Thalaën schon etliche schmerzhafte Wunden beigebracht. Keine davon wirklich bedrohlich, doch zusammen begannen sie den Elfen doch schon zu schwächen. Zu allem Überfluss hatte ihn der Wandler so weit bedrängt, dass er nun direkt vor einer der Irisblenden stand.
Die sich zu allem Überfluss genau jetzt öffnete!
Erschrocken versuchte Thalaën dem Schwall brackigen Wasser auszuweichen, doch er war zu langsam. Er ging in der Brühe zu Boden, schaffte es jedoch seine Säbel zu behalten. Außerdem nutzte er die Situation, dem völlig überraschten Wandler, von unten die Waffe bis zum Heft in den Bauch zu rammen.
„Endlich“, stöhnte er auf und kämpfte sich wieder hoch.
Esra war immer noch in ihren Kampf verwickelt und sah aus, als könnte sie durchaus etwas Hilfe vertragen. Astamalia waren anscheinend ihre Zauber ausgegangen, denn sie hatte eine Armbrust im Anschlag und feuerte damit auf den letzten Wandler. Adamant war auch immer noch mit seinem Gegenüber beschäftigt, schien ihn aber recht gut in Schach halten zu können.
Kurze Überlegung, Esra helfen!
Er sprang zur Wandlerin und nahm den Angreifer in die Zange. So hatte der Wandler keine Chance mehr und ging rasch zu Boden.
Mit vereinten Kräften schafften sie dann auch noch den Kriegsgeschmiedeten.
„Na das war ja was“, ächzte Adamant und besah sich seine Wunden.
„Das haben wir gleich wieder.“
Astamalia murmelte etwas und legte Adamant die Hand auf dir Brust. Sofort begannen sich etliche der klaffenden Öffnungen in seinem Körper wieder zu schließen.
„Und wie jetzt weiter?“, fragte Esra.
„Den Tunnel entlang, nach Westen“, ordnete Thalaën an und ging wieder zu seiner Fackel um den anderen den Weg zu leuchten.
„Nur so eine Frage am Rande“, meldete sich Astamalia zu Wort, während sie durch die Abwässer stapften. „Warum vertrauen wir dieser Dame Elaydren eigentlich? Wir wissen nicht das geringste über sie. Immerhin wäre es auch möglich, dass sie hinter all dem steckt. Wir sozusagen den Feinden Bonals in die Hände spielen.“
„Dann würden wir aber nicht verfolgt werden von Leuten, die uns gerade benahe umgebracht hätten“, stellte Thalaën klar.
„Zudem denke ich nicht, dass sie Böses im Schilde führt“, schloss sich Adamant dieser Meinung an.
„Es könnten ja auch mehrere Parteien hinter diesem Schema her sein. Und woher willst du wissen, dass sie nichts Böses im Schilde führt?“
Adamant zuckte die Achseln.
„Keine Ahnung.“
Er blieb stehen und deutete in einen Seitengang, an dessen Ende ein Schott zu erkennen war.
„Vielleicht geht es hier weiter?“
Ohne eine Antwort abzuwarten stapfte er weiter, die anderen folgten ihm.

Irgendwie ging dieser Kriegsgeschmiedete Astamalia auf die Nerven. Aber zumindest mit der Abzweigung schien er recht gehabt zu haben.
Ein kreisförmiges Metallschot war hier in die Tunnelwand eingelassen. Es war über und über mit Runen überzogen und in der Mitte des Schotts befand sich ein schwach bläulich leuchtendes Symbol aus Mithral, das dem Symbol auf dem Tagebuch glich.
Die Runen ließen Astamalia stutzen. Das hier sah gefährlich aus.
Sie sprach einen schwachen Zauber aus und erkannte, dass sie recht gehabt hatte. Die Tür strahlte Magie aus. Hier war Vorsicht geboten.
Sie holte das Tagebuch aus ihrem Rucksack und drückte es Thalaën in die Hände.
„Versuch es einmal auf das Symbol an der Tür zu halten“, schlug sie vor und ging vorsichtig einige Schritte zurück.
Der Elf war entweder mutig oder dumm. Ohne lange zu zögern drückte er das Buch gegen die Tür, die auch mit einem Schnappen aufschwang. Ohne Worte reichte er der Magierin das Buch zurück und beugte sich mit seiner Fackel in den Bereich dahinter.
Ein schwacher Windzug kam von dahinter und ließ seinen Umhang flattern.
„Was sieht du?“, frage Esra.
„Senkrechten Tunnel. Etwas mehr als einen Meter im Durchmesser. Sehr tief.“
Der Elf kroch wieder zurück, sah sich kurz um, nahm einen kleinen Stein und warf ihn in die Tiefe. Dann lauschte er. Lange.
Schließlich gab er es auf.
„Wenn der Stein wo aufgeschlagen ist, dann war es zu weit unten.“
„Na toll. Und nun?“
Adamant drängte sich an den anderen vorbei und blickte ebenfalls in die Tiefe.
„Die Wände scheinen aus gepresster Erde und Mauerwerk zu bestehen. Ich könnte versuchen Stufen hineinzuschlagen. Würde war etwas länger dauern, wäre aber sicherlich am sichersten.“
„Nur zu“, unterstützte ihn Astamalia. Vielleicht stürzte er ja auch ab.
„Wir anderen könnten die Pause nützen um etwas zu essen. Wer weiß, was uns dort unten noch alles erwartet.“

Es dauerte Stunden, bis Adamant nach unten gekommen war. Es störte ihn nicht wirklich, diese Arbeit zu machen, Was ihn schon mehr störte war, dass er dadurch irgendwie zum Außenseiter wurde. Die anderen aßen und konnten sich unterhalten; er musste arbeiten. Das war anscheinend das Los seines Volkes.
Dennoch fühlte er eine gewisse Befriedigung, als er einen Punkt erreichte, an dem der Schacht nicht mehr so steil abfiel. Ab hier würden sie auch ohne größere Kletterhilfen unterwegs sein können.
„Ihr könnt nachkommen!“, rief er nach oben.
Er hoffte, sie konnten ihn hören. Noch einmal wollte er die fast zweihundert Meter nicht nach oben steigen, nur um zu sagen, dass der Weg bereitet war.
Bald schon hörte er von über sich Klettergeräusche.
Nacheinander kamen sie herab, durch ein Seil aneinander gesichert.
Auch das war klar. Ihn hätten sie alleine abstürzen lassen, sie selbst sicherten sich gegenseitig. Andererseits, hätte er mit seinem enormen Gewicht, bei einem Absturz wohl alle anderen mit in die Tiefe gerissen.
„Ab hier geht es leichter“, stellte er unnötigerweise fest und schritt auch weiter voran.
Der Tunnel führte weiter und weiter nach unten, wurde dabei aber auch immer flacher und schien sich wie eine Spirale zu drehen. Während den anderen der Weg bald zu lang wurde, schritt Adamant ohne Ermüdung immer weiter. Seine Spezies hatte doch immer wieder Vorteile.
Plötzlich stockte er. Vor ihm öffnete sich der Gang, anscheinend zu einem großen unterirdischen Raum. Er ging noch einige Schritte nach vor und blieb dann am Tunnelausgang stehen.
Der Schacht kam in einer Höhe von fast zwei Metern aus der Wand dieses Raumes. Die anderen Wände dieser Höhle waren so weit entfernt, dass er sie im Licht der Fackeln nicht erkennen – ja nicht einmal erahnen – konnte. Jedoch konnte er die Überreste von Gebäuden sehen, die sich undeutlich aus der Dunkelheit abhoben.
„Scheint so, als wären wir da“, brummte Thalaën hinter ihm und warf einen Blick über seine Schulter. „Und jetzt?“
„Weiter!“, verkündete Adamant fröhlich und sprang nach unten.

Esra ging als letzte, und das, obwohl sie sich so gar nicht wohl fühlte. Zuerst Städte, dann unterirdische Höhlen und Gebäude. Was würde noch auf sie zukommen?
Sie sehnte sich nach ihrem geliebten Wald.
Doch der war weit weg und die noch unsichtbaren Gefahren der Höhle viel näher. Und Gefahr lag in der Luft, umgab sie. Das sagten ihr ihre uralten Gene.
Aber sie konnte einfach viel zu wenig sehen. Kein Sternenlicht. Keine Monde, die das Geschehen erleuchteten.
Seufzend sprang sie ebenfalls in den Raum hinab und zog ihren Bogen. Immer auf alles gefasst sein. Wenn sie schon ihre Augen verließen, musste sie sich eben auf ihre andern Sinne verlassen.
Sie spitzte ihre Ohren.
Ein Zirpen und Summen schien von den Wänden und vom Boden des Raumes auszugehen.
„Hört ihr das auch?“, fragte Thalaën in dem Moment.
„Klingt wie das Zirpen die Insekten im Titanenwald“, meinte Esra.
Das Geräusch wurde lauter, bedrohlicher. Und plötzlich schien sich der ganze Boden in eine kochende schwarze Masse verwandelt zu haben.
„Käfer!“, keucht Esra auf. „Tausende!“
Der dunkle Teppich aus Chitin gepanzerten, faustgroßen Leibern schob sich über den Boden auf sie zu.
„Weg hier!“, rief Astamalia und ergriff die Flucht.
Doch für Adamant schien es zu spät zu sein. Eine ganze Flut von Käfern umschwappte ihn wie eine Flüssigkeit, kletterte an ihm hoch und begann sich durch seine Panzerung zu fressen.
„Was sollen wir tun?“, rief Thalaën und schwang hilflos seinen Säbel.
„Feuer!“, rief Astamalia und zog ihren Rucksack vom Rücken.
Der Schmerzensschrei des Kriegsgeschmiedeten gellte durch die Halle.
Da endlich hatte die Magierin gefunden was sie suchte. Sie drückte dem Elf und der Wandlerin je ein tönernes Gefäß in die Hand.
„Werft es in den Schwarm. Adamants Rüstung wird es aushalten.“
„Was aushalten?“, war Thalaën vollkommen verdattert.
„Das!“, rief Astamalia und warf ihrerseits eines der Gefäße. Dort wo es auftraf zerbrach es und sofort stand die Umgebung in Flammen. Die Käfer brannten zu hunderten.
„Macht schon!“
Esra sah sich das Ding abschätzend an, wog es in der Hand und war es zugleich mit dem Elf.
Das Geschoss der Wandlerin traf voll, jenes von Thalaën landete Meter entfernt und diente nur zur Beleuchtung der Kulisse.
Doch die beiden Feuerbomben hatten den Käfern gereicht. Sie zerstreuten sich so rasch in alle Winde, wie sie sich gesammelt hatten. Zurück blieb nur ein etwas angeknabberter, noch schwelender Adamant.
„Danke, aber bei der nächsten Rettung könntet ihr versuchen etwas sanfter vorzugehen.“
Astamalia nickte und wendete wieder einen Reparaturzauber bei ihm an.
„Werden wir machen. Wenn wir die Wahl haben. Dummerweise sind meine magischen Kräfte für heute erschöpft. Wir sollten zusehen, dass wir irgendwo einen sicheren Unterschlupf finden.“
„Dort hinten scheint eines der Gebäude noch gut in stand zu sein!“, deutete Esra in die Dunkelheit.
„Gut, das werden wir probieren.“

Thalaën kam sich etwas dumm vor. Er hatte von diesen alchemistischen Spielsachen schon gehört, aber normal war es unter seiner Würde, so etwas zu verwenden. Er setzte lieber auf seinen Doppelkrummsäbel, der bewährten Waffe der Valenar-Elfen; vielleicht auch noch auf seinen Bogen, aber nicht auf Magie oder anderen Schnickschnack.
Andererseits hatte ihm die Magierin gerade gezeigt, dass es Dinge auf dieser Welt gab, die man mit solchen Dingen besser und mit einem einfachen, soliden Schwert gar nicht bekämpfen konnte.
„Es handelt sich hierbei wohl um einen alten Tempel von Onatar, dem Gott der Handwerkskunst und der Magie“, ließ sich Adamant vernehmen und deutete dabei auf das Symbol, welches über der Tür eingelassen war.
Erstaunlicherweise war der Tempel nach alle den Jahrhunderten immer noch in gutem Zustand. Gut, die Tür hing etwas schief in den Angeln, aber das war es dann auch.
Adamant öffnete die Tür vorsichtig und trat ein. Thalaën huschte sofort hinterher. Das Innere zeigte davon, dass der Tempel schon bessere Tage erlebt hatte. Doch er strahlte immer noch eine göttliche Ruhe und einen Frieden aus, wie ihn Thalaën eigentlich nur von den Gräbern seiner Ahnen kannte.
„Scheint mir ein passabler Ort für eine Rast zu sein“, stellte er fest und sah sich weiter um.
Man schien alles Wertvolle aus dem Tempel entfernt zu haben, als er in Vergessenheit geraten war oder aber Grabräuber waren bereits sehr erfolgreich gewesen.
„Seht, wir haben sogar eine Frischwasserquelle“, freute sich Thalaën, als er ein kleines Becken fand. Ohne zu zögern kniete er daneben nieder und trank einen kräftigen Schluck daraus.
„Seid Ihr wahnsinnig!“, fuhr ihn Astamalia an und stieß ihn weg. „Das könnte alles mögliche sein!“
„Es scheint sich in diesem Fall um heilendes Wasser zu handeln“, mischt sich Adamant besänftigend ein und deute auf Thalaëns Körper. Viele seiner Wunden aus der letzten Schlacht hatten sich wie von Zauberhand geschlossen.
„Dennoch war es leichtsinnig“, beharrte Astamalia.
Dessen ungeachtet hatte sie nichts mehr dagegen, dass Esra und vor allem der angeschlagene Thalaën das Becken leer tranken.
Eine wirklich merkwürdige Person, dachte Thalaën bei sich. Sie scheint immer die Kontrolle über alles und jeden haben zu wollen. Zudem war sie eindeutig zu verzogen.
„Ich werde die Nacht über Wache halten“, meldete sich Adamant freiwillig. „Und euch dann ich acht Stunden wieder wecken.“
„Ich werde dir etwas beistehen. Die Frauen sollen schlafen.“
Astamalia fasste diese Bemerkung anscheinend etwas falsch auf, denn sie warf ihm einen giftigen Blick zu und trollte sich dann in eine abgelegene Ecke des Tempels.
„Welche Ironie“, versuchte Thalaën ein Gespräch mit dem Kleriker zu beginnen und setzte ich neben ihn. „Ein Kleriker der Silbernen Flamme und ein Anhänger des Todlosen Hofstaates suchen Schutz in einem Tempel von Onatar.“
„Ich sehe die Ironie nicht“, war Adamant verdattert.
Thalaën seufzte.
„Ich glaube du siehst sie wirklich nicht.“

Astamalia hatte keine Ahnung, wie Adamant wissen wollte, wann acht Stunden vergangen waren. Aber sie war sich ziemlich sicher, dass er sich um einige Stunden erschätzt hatte. Sie hatte sich doch gerade erst hingelegt, als sie seine schwere Hand an der Schulter rüttelte.
Missmutig setzte sie sich auf. Wirklich gut geschlafen hatte sie auf dem Steinboden in diesem zugigen Tempel nicht. Aber sie war sich zumindest sicher, dass ihr Geist wieder frei war, für neue arkane Energien.
So zog sie eine Portion Trockennahrung und ihren Drachensplitter aus dem Rucksack. Begann ersteres zu verspeisen und letzteres genau zu studieren.
Adamant betete derweil still vor sich hin, während der Elf und die Wandlerin vollkommen ruhig ihr Frühstück zu sich nahmen. Zumindest gab es keine labernden Waschweiber, mit denen sie reisen musste, versuchte die Halb-Elfe mal wieder etwas positives an der Entwicklung der Dinge zu sehen.
„Wir sollten versuchen bald aufzubrechen, damit wir den Tempel auch wirklich heute noch finden“, versuchte Thalaën nach einiger Zeit aber doch auf Eile zu drängen.
„Einverstanden, ich bin bereit“, meldete sich Astamalia. Auch Adamant schien mit seinem Gebet fertig und Esra saß ohnedies schon auf einem Steinblock neben der Tür, den Bogen im Schoß und abmarschbereit
Außerhalb des Tempels war es genauso dunkel wie drinnen – natürlich. Dennoch hatte Astamalia instinktiv Tageslicht erwartet. Aber das hier war auch die erste Höhle, in der sie übernachtet hatte.
Der Elf und der Kriegsgeschmiedete übernahmen die Führung. Auch wenn sich die Magierin nicht sicher war, wohin sie sie führten. Denn eigentlich hatte keiner eine rechte Ahnung, wohin sie sich wenden mussten. Dennoch dauerte es – erstaunlicherweise – nicht sehr lange, bis sie vor einem praktisch unbeschädigten Gebäude standen, dessen Türen dummerweise verschlossen schienen.
Adamant trat an die massive Doppeltür heran, auf der dasselbe Symbol wie auf dem Tagebuch und auf dem Schott im Tunnel zu sehen waren und klopfte dagegen.
„Scheint massiver Adamantit zu sein. Auf brutalem Wege werden wir hier kaum hineinkommen.“
Astamalia zuckte mit den Achseln und kramte wieder das Tagebuch hervor. Doch hier versagte dieser Öffnungsmechanismus kläglich. Die Türen blieben verschlossen.
Thalaën seinerseits drückte die brennende Fackel auf das Symbol.
„Und was soll das bitte bringen?“, fragte Astamalia, nicht wenig irritiert.
„Elaydren hat doch gesagt, dass wir Feuer mitnehmen müssten. Vielleicht ließe sich ja so die Tür öffnen…“
Anscheinend hatte er erkannt – nun, da ihn alle entgeistert anstarrten – dass das wohl eher eine dumme Idee gewesen war und er gab die Fackel wieder weg.
Dafür eilte er rasch einmal rund um das Gebäude.
„Keine Fenster“, berichtet er knapp.
„Dann vielleicht durch das Dach?“, schlug Esra vor.
Das Gebäude war in der Tat nicht sehr hoch und für Adamant war es ein leichtes, die kleine Wandlerin hoch zu hieven.
„Das Dach ist hier an einer Stelle eingestürzt!“, rief Esra.
„Na also, unser Weg ins Innere“, freute sich auch Astamalia und kletterte über Adamant nach oben. Thalaën folgte als nächstes und zu dritt wuchteten sie dann den schweren Kämpfer nach oben – das Dach knackte gefährlich.
Thalaën hängte sich kopfüber in das Loch und machte einen raschen Rundblick.
„Scheint feindfrei zu sein.“
Ohne weiter abzuwarten sprang er nach unten.
Astamalia konnte über soviel Leichtsinn nur die Augen verdrehen. Zumal die beiden anderen es ihm wie die Lemminge gleich taten.
Nun, alleine hier warten wäre auch nicht klug, also auch hinterher.
Im Inneren fand sie die anderen mit kampfbereiten Waffen. Ein dunkles, bedrohliches Knurren erklang und Astamalia erblickte zwei riesige Hunde aus Metall mit rotglühenden Augen, die auf sie zuschritten.
„Eiserne Verteidiger“, flüsterte sie.
„Egal. Tötet sie!“, rief Thalaën und stürmte, alle Vorsicht vergessend, vor.
Esras Pfeil schoss an ihm vorbei.
Adamant stürmte auf den zweiten los, der unter dem wüsten Ansturm an Schlägen bald zu Boden ging. Dem anderen erging es nicht viel besser.
„Tapfere Verteidiger“, höhnte Thalaën und steckte seinen Säbel wieder weg.
„Hunde aus Eisen zu bauen. Das ist wieder die Natur“, war Esras Meinung dazu.
Astamalia hatte für beide keine Beachtung.
„Habt ihr das gesehen?“, fragte sie und untersuchte die beiden Hunde. Jeder der beiden hatte einen metallenen Stab aus dem Maul fallen lassen, als er erschlagen wurde. Einer hatte einen quadratischen und der andere einen dreieckigen Querschnitt.
„Wofür die wohl gut sein mögen?“

Während die anderen um diese eisernen Leichen herumstanden, begutachtete Esra das Innere. Der herab gefallenen Teil des Daches hatte Regale und Schränke unter sich begraben und regelrecht zermalmt. Zudem schien es einmal drei dieser Bestien gegeben zu haben, denn deren Überreste blickten unter den Trümmern hervor. Staubige, aber davon abgesehen, unversehrte Regale standen an der Südwand des Raumes. Eine große Schmiede, die mit einem Schmelzofen kombiniert war, füllte den östlichen Teil aus. Beide schienen schon seit Jahrhunderten nicht mehr benutzt worden zu sein.
Während sich Esra umsah, hatte sich auch Astamalia der Schmiede zugewandt.
„Hier über dem Schmelzofen befinden sich Vertiefungen, die aussehen, als würden diese Stäbe von den Verteidigern hineinpassen. Aber es gibt drei davon“, stellte sie fest.
„Es gab ja auch einmal drei Verteidiger.“
Esra deutete auf den begrabenen Hund und kniete daneben nieder. Hier fand sich wieder ein Stab; diesmal fünfeckig.
„Damit finden wir sicherlich eine geheime Kammer, in der sich auch das Schema befindet“, teilte Astamalia den anderen ihre Gedankengänge mit.
„Thalaën, probier mal aus.“
Sie übergab dem Elf die Stäbe, während sie selbst einigen Sicherheitsabstand aufbaute.
Esra bewunderte Thalaën. Er schien der Magiern blind zu vertrauen.
Adamant hingegen schien für die Geschehnisse überhaupt keine Zeit zu haben. Er besah sich in Ruhe die Regale und verstaute immer wieder Dinge in seinem Rucksack, der bereits zum bersten gefüllt war.
Ein grelles Leuchten und ein gellender Schmerzenschrei brachte die Aufmerksamkeit aller wieder zu dem Elfen zurück. Thalaëns Haare schwelten und sein Gesicht war schmerzverzerrt. Es roch nach verbranntem Leder; seine Schuhe rauchten.
„Probiere es noch mal. Vielleicht braucht es eine gewisse Reihenfolge“, schlug Astamalia unbekümmert vor. „Zuerst das Dreieck, dann das Viereck.“
Thalaën sah sie zweifelnd an, tat dann aber, wie ihm aufgetragen. Nacheinander rasteten die Stäbe hörbar ein. Nach dem dritten schwang an der Seite der Schmiede ein kleines Fach auf.
„Das Geheimversteck!“, triumphierte die Magierin.
Das Versteck entpuppte sich als mehr. Es war eine Art Tresor: Nicht nur das gesuchte Schema fand sich hier. Auch mehrere Beutel mit Gold und Silber, Goldbarren, Phiolen, die als Heiltränke markiert waren, sowie zwei Stück Pergament, welche Astamalia brennend interessierten.
„Ha! Eine Erweiterung meines Wissens!“, freute sie sich, ohne eine nähere Erklärung abzugeben und steckte die erste Rolle ein. Die zweite studierte sie etwas länger.
„Das scheint eine Landkarte zu sein. Eine sehr alte Landkarte. Hier ist noch Cyre eingezeichnet, obwohl das Gebiet heute den Staat Darguun, Valenar und das Klagelandes umfasst. Außerdem sind hier verschiedene Standorte markiert. Aber nichts ist beschriftet. Scheint sich nicht um Städte zu handeln. Merkwürdig.“
„Könnten wir das vielleicht in einem Gasthaus genauer ansehen? Immerhin haben wir was wir wollten und ich könnte wahrlich ein Bett und etwas Pflege brauchen“, mischte sich Thalaën ein und warf bei den letzten Worten dem Kleriker einen Seitenblick zu.
Adamant nickte wissend und begann wieder seine göttliche Magie zu weben, um die Wunden durch die elektrische Falle verschwinden zu lassen.
„Dann raus hier“, freute sich auch Esra.
Adamant nickte und warf den schweren Riegel der Tür zurück, so dass sie nun durch den Eingang hinaus konnten und nicht weder über das Dach klettern mussten.

Kaum trat er einen Schritt aus der Schmiede schoss auch schon ein brennender Bolzen aus den Ruinen auf ihn zu und traf ihn voll. Adamant taumelte, sowohl vor Überraschung als auch vor Schmerz.
„Schwaches Fleisch!“, donnerte eine Stimme, die aus der Schussrichtung des Bolzens zu kommen schien. „Nun steht ihr Säbel gegenüber! Dem mächtigsten der treuen Diener des Klingenfürsten!“
Ein weiterer Bolzen schoss auf Adamant zu und traf mit ebensolcher Sicherheit.
Seine Kameraden stürzten an seine Seite und feuerten Bolzen und Pfeile in die Dunkelheit zurück. Doch rund um Adamant wurde es dunkel. Der letzte Pfeil schien etwas wichtiges in seinem Inneren getroffen zu haben…

Erschrocken musste Thalaën mit ansehen, wie der Koloss aus Adamantit von zwei Bolzen niedergestreckt wurde.
Wütend ergriff er seinen Krummsäbel und begann auf die Ruinen zuzulaufen. Auf halbem Weg kam ihm ein Kriegsgeschmiedeter entgegen, der ebenso wuchtig gebaut war wie Adamant. Er schwang ein Langschwert und hieb damit auf ihn ein. Thalaën ignorierte den Schmerz und wirbelte seine Klinge herum. Zweimal traf er Säbel. Doch diese verdammte Rüstung hielt das meiste an Schaden ab.
Ein Pfeil und ein Bolzen schossen an ihm vorbei. Die beiden anderen versuchen ihm Feuerschutz zu geben. Doch das würde sich nicht als so einfach erweisen, wollten sie nicht auch ihn aus versehen treffen.
Die nächsten Schläge konnte Thalaën gut parieren, was Säbel noch wütender machte. Er legte noch mehr Kraft in seine Schläge. Doch Thalaën war flink, wich immer wieder aus, parierte und landete den einen oder anderen Schlag.
Er stand auf der Seite der Gewinner. Immer mehr Fetzen hingen von dem Konstrukt herab.
Schließlich schien auch sein Gegenüber den Ausgang dieses Kampfes zu erkennen. Er brachte einen wütenden letzten Schlag an, unter dem Thalaën taumelte und wandte sich dann zur Flucht. Er war schneller als man es ihm zugetraut hätte.
„Esra!“, krächzte Thalaën und ging vor Erschöpfung in die Knie.
Ein Pfeil sauste in die Dunkelheit und weit vor ihm stolperte Säbel, als er eine Mauerruine überklettern wollte, stürzte mit dem Gesicht nach vorne und blieb reglos liegen.
Geschafft!
„Alles in Ordnung Thalaën?“, hört er eine Stimme, wie aus weiter Ferne.
„Sicher doch. Adamant?“
„Sieht übler aus als es ist. Ich kann ihn wieder zusammenbauen.“
„Gut.“

***

„Ihr seht also, Dame Elaydren, dass wir uns dieses Schema teuer erkämpft und erarbeitet haben. Ich hoffe, Ihr würdigt das entsprechend“, beendete Astamalia ihren Bericht und sah ihre drei Kameraden fragend an, ob sie etwas vergessen hätte.
Elaydren lächelte und betrachtete den Stern in ihren Händen voll Wohlwollen.
Nachdem sie Säbel besiegt hatten, war es vor allem darum gegangen, Adamant wieder funktionstüchtig und Thalaën wieder zu Bewusstsein zu bekommen. Die Rückkehr in die oberen Bereiche des Turmes und am Ende in die Oberstadt war sogar ohne weitere unerwünschte Zwischenfälle geschehen.
„Wahrlich. Eine gute Arbeit. Der versprochene Lohn ist Euer“, stimmte Elaydren zu und schob ihnen einen dicken Beutel über den Tisch. „Ihr seid euch im klaren, dass dies nur das erste Teil eines verschollenen Artefakts war, welches mein Haus sucht? Würdet Ihr bei einer weiteren Suche ebenfalls zur Stelle sein? Die Belohnungen werden ebenfalls sehr großzügig sein.“
„Warum nicht“, stimmte Thalaën zu.
„Solange es nicht gegen die Doktrin der Flamme geht.“
„Ich hoffe, das nächste Mal in bessere Gefilde, und nicht wieder durch Abwasserkanäle.“
„Ein Wald wäre schön.“
Elaydren lächelte.
„Dann sind wir uns wohl einig. Seht einfach regelmäßig in der Nachrichtenstation von Haus Sivis im Barminturm vorbei. Sobald ich neues über den Aufenthalt der weiteren Teile erfahre, werde ich euch dort eine Nachricht hinterlegen lassen. Bis dahin: Gehabt Euch wohl.“
Sie verneigte sich, nahm das Schema an sich und verließ den Geborstenen Amboss.
„Und ich gehe jetzt erst einmal schlafen“, stellte Astamalia klar. „Wirtin, habt Ihr Zimmer zum Vermieten?“

***

Entermesser war mehr als nur wütend als der dritte Bote ihn erreichte. Seine Agenten waren gescheitert. Anscheinend musste man sich wahrlich um alles selbst kümmern. Aber zuvor musste er den Fürsten informieren. Immerhin bestand auch eine geringe Chance, dass er selbst ebenfalls scheitere. Dann musste der Fürst jemand neuen schicken, der nicht so versagen würde.
Aber das würde nicht eintreten. Entermesser nahm sich fest vor, den Fürsten nicht zu enttäuschen und das Schema in seinen Besitz zu bringen. Und wenn es die letzte Tat in seinem Leben wäre.
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 04. Januar 2008, 15:53:14
Das erste Abenteuer hat die Gruppe bestanden. Doch ihre Gegner lassen ihnen nicht viel Zeit zum verschnaufen. Vor allem der Kriegsgeschmiedete Messer hat noch eine Rechnung mit den vieren offen.

Nacht des Messers

Astamalia fühlte sich wie neu geboren, als sie den Schankraum Zum geborstenen Amboss betrat. Was ein warmes Zimmer, ein weiches Bett und eine heiße Wanne am morgen ausrichten konnten, war schier unglaublich. Vor allem, wenn man die Gewissheit hatte, dass es draußen wieder einmal in Strömen regnete.
Erstaunt musste sie feststelle, dass sie, trotz der noch recht frühen Stunde, die letzte am Tisch war. Adamant blätterte in einer Zeitung, Thalaën pflegte seine Ausrüstung und Esra schien sich durch die gesamte Speisekarte zu essen.
„Morgen! Was gibt es neues?“, fragte sie und setzte sich auf den letzten freien Stuhl.
„Wir stehen in der Zeitung“, murrte Adamant, ohne aufzusehen.
„Tatsächlich? Weswegen?“
„Wegen des kleines Zwischenfalls auf der Brücke mit unserem Freund Bonal Geldem. Wir werden in diesem Artikel des Sharner Kobolds als eine Gruppe zwielichtiger Gestalten beschrieben. Das ist kein guter Ruf für einen Mann im Dienste der Silbernen Flamme.“
Astamalia verdrehte ihre Augen. Der Kleriker hatte Probleme! Sie konnte nur hoffen, dass ihr Name in diesem Zusammenhang nicht gefallen war. Am Ende würde sie sonst auch noch aus ihrem Haus verbannt werden, der letzten Organisation, die ihr noch verblieben war.
„Entschuldigt, seid ihr die Gruppe, welche für Elaydren d’Cannith arbeitet“, erklang plötzlich die Stimme eines jungen Mannes.
„Wer will das wissen?“, fragte Astamalia.
„Ja“, antwortete Adamant, was ihm ein Kopfschütteln der Magierin einbrachte.
„Die Dame lässt euch diese Schlüssel zukommen. Sie gehören zur Wohnung es Dekans. Da er keine Verwendung mehr dafür hat und es auch sonst niemanden gibt, der sie in Anspruch nehmen könnte, dachte die Dame, dass Ihr sie vielleicht haben wollt.“
„Eine eigene Wohnung in Sharn? Guter Bonus“, war Astamalia erstaunt und griff nach dem Schlüsselbund. „Wir kennen die Adresse, danke“, schickte sie den Boten wieder weg.
Auf dem Bund befanden sich fünf schwere Schlüssel, die alle identisch aussahen.
„Sieht so aus, als bekäme jeder von uns seinen eigenen.“

Adamant lag wieder einmal auf der Zunge, dass er eigentlich eine Unterkunft hier in Sharn besaß. Aber wahrscheinlich war es besser, bei der Gruppe zu bleiben. Dabei fiel ihm ein, dass es vielleicht klug ein könnte, Nerina Lichtringer über das Ableben ihres Freundes zu informieren. Zudem konnte er sie dann auch über den Kult der Todlosen befragen. Vielleicht gab es eine offizielle Stellung der Flamme zu diesem doch sehr suspekten Glauben. Er konnte ihr ja von der Wohnung aus einen Brief schicken. Oder wäre es passend, sie persönlich aufzusuchen? Nein, vielleicht fühlte sie sich durch sein plötzliches Auftauchen gestört. Immerhin war sie eine sehr schwer beschäftigte Persönlichkeit.
„Wollen wir noch heute diese Nachrichtenstation aufsuchen?“, fragte Esra.
„Wird wohl noch nicht sehr sinnvoll sein. Es ist kaum anzunehmen dass seit gestern Abend eine Nachricht eingetroffen ist. Aber wir könnten uns in diesem Fall einmal informieren, wo genau sie sich befindet. Zuallererst sollten wir aber diese Wohnung inspizieren“, schlug Astamalia vor. Und es klang wirklich so, als würde sie es vorschlagen und nicht so, als würde sie es befehlen. Sie schien recht rasch zu lernen, dass sie so bei der Gruppe mehr erzielte.
„Und ich muss auf einen Markt hier in der Umgebung“, stellte Thalaën klar. „Ich brauche dringend eine neue Rüstung. Dieses leichte Ledergewand hat mit bei den letzten Kämpfen zwar gute Dienste erwiesen, aber es schützt mich einfach zu schlecht gegen die schweren Schläge, denen ich bei diesen Abenteuern anscheinend fast ununterbrochen ausgesetzt bin. Die Wesen hier auf Khorvaire kämpfen anders als die Kämpfer meiner Heimat. Viel mehr mit Gewalt und Kraft und weniger mit Eleganz und Stil“, bemäkelte er.
„Na dann haben wir ja bereits eine ausrechende Tagesbeschäftigung. Lasst uns packen und unser neues Heim bewundern!“, setzte Astamalia das Zeichen zum Aufbruch.

***

Esra wanderte hinter den anderen her über die Brücken von Sharn. Es war eigentlich das erste Mal, dass sie am Tage durch diese riesige Stadt marschierte. Und auch wenn es ihr nicht wirklich gefiel, so war es doch auf jeden Fall sehr beeindruckend. Aber auch irgendwie beängstigend groß.
Es war ein Unterschied zu wissen, dass eine Stadt so und so viele Einwohner hatte und sich dann selbst in einer Stadt zu befinden. Sie wusste, dass es alleine hier in Breland Millionen Einwohner gab, aber irgendwie hatte sie sich solche Zahlen nie wirklich vorstellen können. Das war wahrscheinlich auch der Grund warum sie so blauäugig hierher aufgebrochen war, um ihren Bruder zu suchen. Es würde doch schier unmöglich sein, hier eine Spur von ihm zu finden.
Sie konnte ja kaum den nächst besten Passanten ansprechen und ihn nach einem Wandler fragen, der Divar Emorien heißt. In Grünherz, der Hauptstadt des Eldeenreiches, hätte sie keine solche Scheu gehabt. Aber Grünherz war ein kleines Bauerndorf gegen das hier.
„Das scheint es zu sein!“, rief Adamant und deutete auf eine Treppe, die über mehrere Stufen zu einer schweren Tür hinabführten.
Esra sah sich um. Das was sie in der Umgebung sah, gefiel ihr. Die Wohnung lag eindeutig in einem der besseren Bezirke der Stadt. Die Straßen waren sauber, es herrschte wenig Betrieb und überall waren kleine Beete oder Gärten für Bäume angelegt.
Adamant stieg die Stufen nach unten und öffnete die Tür. Nach und nach traten sie ein.
Auch das Innere war ganz nach Esras Geschmack. Sie standen auf einer ausladenden Galerie, die sie ein wenig an den Glitzerstaubklub erinnerte. Je zwei Türen gingen links und rechts weg, eine schmale Wendeltreppe führte nach unten. Der zentrale Raum der Wohnung schien eine Mischung aus Esszimmer, Wohnzimmer und Bibliothek zu sein. Zumindest stand ein großer Esstisch mit zehn Stühlen im Raum, mehrere Sofas waren wohl arrangiert und die Wände waren durch hohe Bücherregale und Vitrinen verborgen. Letzteres galt aber auch für die Galerie. Wohin man blickte waren alte Gegenstände und Bücher in Regalen zu sehen.
„So lebt also ein Professor? Nicht sehr gemütlich“, meinte Thalaën und schien den Staub zu betrachten, der wie ein Schleier in der Luft hing.
Während die anderen nachsahen, was sich hinter den Türen verbarg, sah sich Esra die Gegenstände genauer an. Einige davon konnte sie sogar zuordnen und den einen oder anderen bildete sie sich ein schon einmal gesehen zu haben. Es waren Mitbringsel des Professors aus dem Eldeenreich. Von Orten, zu denen sie und Matuc ihn geführt hatten. Sie fand sogar das Kohlebild eines Portalrings, das er damals mitten im Titanenwald gezeichnet hatte. Der Mann war schon sehr seltsam gewesen.
Andere Gegenstände ordnete sie nach Gutdünken den Elfen von Aerenal oder Valenar zu. Ganz einfach deswegen, weil sie vom Stil her zu Thalaën passten. Manche Ausstellungstücke schienen um zigfach vergrößerte normale Alltagsgegenstände zu sein; nur uralt.
„Der Professor scheint viel herumgekommen zu sein“, sagte sie mehr zu sich, als zu jemand bestimmten.
„Ja, er war eine beachtliche Persönlichkeit und verdiente sich in jeder Beziehung meinen Respekt“, antwortete ihr Thalaën dennoch und begutachtete dabei eine alte Vase, welche Elfen mit Totenmasken zeigte.
„Unglaublich diese Wohnung!“, hörte man da Astamalias Stimme von unten. „Wir haben fünf Schlafzimmer, wovon eines dem Professor gehört haben dürfte. Der Mann hatte wohl oft Besuch. Eine Küche und eine gut gefüllt Speisekammer. Ein Badezimmer mit fließendem Wasser. Oh! Ein Arbeitszimmer; das nehme ich!“, rief sie begeistert.
Esra schüttelte den Kopf und besah sich die Schlafzimmer. Sie waren einfach, nicht zu groß, nicht zu klein. Auf jeden Fall mindestens genauso komfortabel wie ihr Zimmer in Grünherz. Nur der Ausblick auf den Wald fehlte. Man musste eben immer irgendwelche Abschläge in kauf nehmen.

Adamant stand etwas verlassen in einem der Schlafzimmer, welche er spontan für sich ausgesucht hatte. Er konnte die Begeisterung der anderen über diese Art von Basis nicht teilen. Er konnte die Nacht über auch auf einer der Brücken in Sharn stehen. Er brauchte kein Zimmer, kein Bett. Bestenfalls einen Waffenständer für sein Schwert; sein Schwert das gestern noch einem anderen Kriegsgeschmiedeten gehört hatte. Astamalia hatte festgestellt, dass es magisch war. Außerdem lag es besser in der Hand als sein altes, welches er heute noch auf dem Markt verkaufen wollte.
Es war seltsam. Diese Kriegsgeschmiedeten kämpften ebenso besessen für eine Sache an die sie glaubten, wie Adamant bereit wäre – zumindest glaubte er das – für die Sache der Silbernen Flamme zu kämpfen. Beide Seiten dachten von sich aus, sie wären die Guten und im Recht. Gab es verschiedene Ansichten von Gut und Böse? Nun, auf jeden Fall war es nicht gut Menschen zu ermorden, nur um der Sache willen!
Er seufzte.
Das Lebe in der Kirche war einfacher gewesen. Freier von Fragen und Zweifeln. Aber wahrscheinlich gehörte das zu den Prüfungen der Flamme. Ebenso, wie es wahrscheinlich eine Aufgabe war, herauszufinden, was mit seinem Freund Thalas geworden war. Thalas Feuerkamm, den er während der Letzten Jahre des Krieges bewacht hatte, der sein Freund geworden war, der ihm die Lehren der Kirche beigebracht hatte und der schließlich vor seinen Augen verschwunden war.
Nur ihm verdankte er es, dass er nun mit der Silbernen Flamme einen Halt im Leben der Menschen gefunden hatte. Ihm und Nerina, welche ihn so freundlich in ihrem Tempel aufgenommen hatte. Nerina! Er wollte ihr noch einen Brief schreiben.
Er durchsuchte seinen Rucksack, in dem sich immer noch die Schätze befanden, die er in der verlassenen Schmiede gefunden hatte, und fand etwas Pergament und Papier.
Er überlegte kurz und begann dann zu schreiben:

Verehrte Nerina,
Ich bin mir sicher, dass Ihr es bereits gehört habt: Euer Freund Bonal Geldem wurde von einem niederträchtigen Attentäter des Klingenfürsten ermordet! Die anderen Abenteurer, die Bonal für seine Expedition angeheuert hatte, und ich kamen leider zu spät, als dass wir ihm noch hätten helfen können. Immerhin war es uns möglich, seinem Mörder eine gerechte Strafe zukommen zu lassen. Bonals Verletzungen waren sehr schwer und so fürchte ich, dass sein Tod endgültig ist. Ich bin jedoch überzeugt, dass er nun an der Seite der Silbernen Flamme den Kampf gegen das Böse fortsetzt.
Nach Bonals Ermordung stellte ich mich in die Dienste seiner Partnerin, der Dame Elaydren d'Cannith, um sein Werk fortzusetzen, insbesondere da ich auf diese Art die üblen Pläne des Klingenfürsten durchkreuzen kann. Wir haben bereits unseren ersten Auftrag erfolgreich erledigt und verweilen immer noch hier in der Stadt, im geborstenen Amboss. Ich dachte mir, Euch einen Brief per Bote zu schicken ist einfacher, als im Tempel vorbei zu schauen, da Ihr sicherlich mehr als genug Dinge zu erledigen habt.
In einer Sache bitte ich Euch jedoch um Euren Rat: In der Gruppe von Abenteurern, die sich mit mir auf diese Expedition begeben haben, befindet sich ein Elf namens Thalaën Tedaé, der behauptet dass in seinem Reich die längst verstorbenen Ahnen als "Todlose" regieren und verehrt werden. Obwohl mich seine Klinge, ein zweischneidiger Krummsäbel, zugegebenermaßen fasziniert, ist mir dieser Kult sehr verdächtig. Thalaën ist ein hervorragender Kämpfer, doch ist es ganz klar falsch, die Toten, wenn sie Gutes getan haben, und deshalb bestimmt ihren Platz an der Seite der silbernen Flamme einnehmen dürften, zurück zu holen!
Bisher vermied ich eine gewaltsame Konfrontation mit ihm, da ich der Meinung bin, dass er unserem Auftrag und somit der Silbernen Flamme durchaus nützlich sein kann. Außerdem sagt mir mein Gefühl, so wie Ihr es immer nennt, das dieser Elf kein bösartiges Wesen ist und die Feinde der silbernen Flamme sicher ebenso bekämpfen würde wie wir.
Ich werde mich jedoch hüten, meine Wachsamkeit zu vernachlässigen, denn wie wir wissen, warten die Diener Khybers oft an den unerwartetsten Plätzen! Wie soll ich Eurer Meinung nach weiter vorgehen? Schreibt mir einfach zurück, wenn Ihr zwischen all Euren Aufgaben die Zeit dazu findet, es besteht kein Grund zur Eile.
Euer treuer Diener,
Adamant


Er las sich den Brief noch einmal durch und beschied ihn als ganz tauglich. Auch wenn er länger geworden war, als beabsichtigt. Aber es war gut gewesen, all seine Gedanken einmal zu Papier zu bringen.
„Adamant, komm, wir suchen diese Nachrichtenstation!“, rief Esra von draußen.
Er wuchtete seinen massigen Körper hoch, ergriff seinen Wappenrock und seine Waffen, verstaute den Brief und eilte den anderen nach.

***

Thalaën hatte bereits von diesen Nachrichtenstationen gehört. In Pylas Tlaer auf Aerenal gab es auch eine, jedoch hatte er sie noch nie benutzt. Und er hatte auch erst eine einzige Nachricht durch diese Art der magischen Nachrichtenübermittlung erhalten. Und dieser Brief hatte ihn hierher nach Sharn verschlagen.
Bis jetzt hatte er den Sinn der Nachrichtenstationen nicht ganz verstanden; Boten waren doch mindestes genauso effektiv. Aber nun, da er sich tausende Kilometer von der Heimat entfernt aufhielt, fand er sie doch ganz praktisch. Sie würden es ihm ermöglichen den einen oder anderen Brief an seinen Bruder zu schreiben. Er sollte bei Gelegenheit noch einmal daran denken.
Die Nachrichtenstation des Barminturmes befand sich in der obersten Etage des Turms und war ein kleiner runder Raum, in dem nur drei Gnome Dienst taten. Eine hübsche Gnomin, die etwas zu stark geschminkt war, stand hinter der Theke und blickte sie bei ihrem Eintreten freundlich an. Im Hintergrund waren zwei der legendären Sprechsteine zu sehen, vor jedem saß ein Gnom und schrieb fleißig vor sich. Der restliche Raum war mit kleinen Tischen voll gestellt, auf denen überall mehrere Blatt Pergament, ein Fässchen Tinte und eine Feder lagen.
Astamalia trat zielbewusst an die Theke heran.
„Guten Tag. Gibt es eine Nachricht von Elaydren d’Cannith für Astamalia d’Lyrandar?“
Die Gnomin lächelte weiter freundlich.
„Einen Augenblick.“
Sie trippelte an ein riesiges Bücherregal heran, welches voll mit Büchern mit schwarzen Einbänden war. Scheinbar wahllos zog sie eines daraus hervor, blätterte kurz darin und stellte es wieder zurück.
„Leider nein.“
„Gibt es eine Möglichkeit, dass Sie uns informieren, wenn eine Nachricht für uns eintrifft?“, fragte Thalaën.
„Leider nein. Botendienste übernimmt nur das Haus Orien. Sie müssen schon persönlich hierher kommen. Das kann Ihnen leider niemand abnehmen. Kann ich Ihnen sonst noch helfen?“
„Ich würde gerne diesen Brief aufgeben“, drängte sich Adamant vor und legte den Brief mitsamt einem Silberregenten auf den Tisch.
„Außerdem können Sie uns sicherlich noch einen guten Markt in der Gegend empfehlen, an dem man Rüstungen kaufen kann?“, hakte Thalaën nach.
Mehrere Leute im Raum drehten sich erstaunt zu ihm um, wandten sich aber rasch wieder ihren Briefen zu.

***

Elaydren blickte zitternd um die nächste Häuserecke. Obwohl es erst Nachmittag war, war es beinahe stockdunkel. Ein schweres Gewitter hing über der Stadt. Sie war bis auf die Knochen durchnässt und sie zitterte. Auch wenn sie nicht wusste, ob aus Angst oder aus Kälte.
Doch im Moment schien sie in Sicherhit zu sein.
Wer hätte damit gerechnet, dass ausgerechnet sie sich verstecken musste! Aber vor diesem Meuchelmörder war sie sonst nirgends sicher. Weder in ihrer Villa – die nicht auf ihren Namen gemeldet war – noch sonst wo.
Sie musste die Informationen die sie bei sich hatte unbedingt los werden und dann untertauchen, aus der Stadt verschwinden. Irgendwie.
Aber zuerst musste es ihr gelingen die Abenteurer zu erreichen.
Eine Nachrichtenstation! Sie brauchte dringend eine Nachrichtenstation.
Verdammt!
Wo in der Gegend war die nächste?
Elaydren, konzentriere dich, schalt sie sich selbst.
Dann fiel es ihr wieder ein und sie wandte sich um…
… und schrie auf.
Nur wenige Meter entfernt stand er, in seinen schwarzen Umhang gehüllt und starrte sie aus ausdruckslosen Augen an. Eine seiner Hände war unter dem Umhang verborgen und sie wusste, dass seine Hand auf einem Schwertgriff lag.
Elaydren rannte los, stolperte vor Angst über irgendetwas du fiel hart in den Schlamm auf der Brücke, rappelte sich hoch, rannte weiter.
Bloß nicht umdrehen!
Nur diese Nachricht losschicken und dann? – Vielleicht direkt zu Bonal Geldems Wohnung? Aber das war am anderen Ende der Stadt. Nein die Nachricht musste reichen.
Sie hechtete weiter, die dunkle Gestalt sah ihr nach.
„Verfolg sie, aber lass dich dabei nicht erwischen. Ich kümmere mich inzwischen um wichtigeres.“
„Ja, Meister“, bellte das Wesen und hoppelte Elaydren durch den Regen nach.

***

Arkaban blickte nach draußen und freute sich, heute nicht mehr über die Wege auf die Universität hetzen zu müssen. So ein Wetter aber auch. Man merkte, dass der Frühling in Sharn heraufzog. Wahrhaft scheußlich. Vielleicht sollte er sich doch einmal an einer anderen Universität bewerben. Irgendwo, wo das Wetter besser war.
Genau das würde er morgen machen.
Aber jetzt galt es noch die Prüfungen zu korrigieren.
Er hasste es Lehrveranstaltungen für das erste Semester zu halten. Diese Studenten von heute hatten so wenig Ahnung! Bei manchen hatte Arkaban die Befürchtung, dass sie nur aufgenommen worden waren, weil sie viel versprechende Glücksritter im Namen der Universität waren.
Auch ein Grund sich nach einem neuen Posten umzusehen.
Zumal das Leben in Sharn auch nicht sehr sicher war. Was der überraschende Tod seines Kollegen und Freundes Bonals bewies.
Es klopfte an der Tür.
Arkaban stutzte. Er erwartete keinen Besuch mehr.
Es klopfte erneut. Nein, es klopfte nicht! Jetzt schlug jemand gegen die Tür!
Mit einem Krachen brach das Schloss heraus und eine massige Gestalt trat herein. In der Hand schwang sie ein gefährlich aussehendes Langschwert.
„Da… das Geld ist unter dem Bett“, stammelte Arkaban.
„Ich will dein Geld nicht, Fleischlicher. Was weißt du über das Schema?“
„Schema? Welches Schema?“
Arkaban spürte, dass ihn die Angst lähmte. Er konnte sich nicht konzentrieren, hatte keine Ahnung, was diese Gestalt von ihm wollte. Alles schien so irreal zu werden.
„Was weißt du über das Schema?“, wiederholte der Einbrecher.
Von draußen waren Stimmen zu hören. Jemand rief nach einer Wache.
Die Gestalt drehte sich um, sie schien ärgerlich zu sein.
„Rette dein Leben und sprich.“
Doch selbst wenn Arkaban in diesem Moment gewusst hätte, worum es ging, er konnte nicht sprechen. Er konnte nicht einmal schreien.
So kam auch kein Laut über seine Lippen, als die Gestalt ihm das Schwert direkt ins Herz rammte. Das sie sich dann ihre Waffe an seinem teuren Teppich abwischte und wieder auf die regnerische Straße hinaustrat, bekam er schon nicht mehr mit.
Er war tot.

***

Elaydren war erleichtert, als sie wieder aus der Nachrichtenstation kam. Ihre Verfolger schien sie abgehängt zu haben. Jetzt konnte sie den Abenteurern in Ruhe ihre Ausrüstung hinterlegen und untertauchen, bis sie selbst wieder aus der Schussbahn war.
Noch einmal blickte sie die Straße hinauf und hinunter. Keine große Gestalt im Umhang.
Sehr gut.
Doch was war das? Dieses kleine humanoide Wesen mit reptilienartigem Gesicht war ihr zuvor schon aufgefallen. Es war auch in der Nachrichtenstation gewesen. Jetzt hoppelte es mit erstaunlicher Geschwindigkeit durch den Regen davon.
Anscheinend war sie doch nicht so sicher, wie sie dachte. Und sie musste die vier warnen. Zum Glück hatte sie noch einige Bekannte in der Stadt. Dazu gehörte auch ein Trainer von Haus Vadalis. Der würde ihr jetzt am besten weiterhelfen können.

***

Susanna blickte ungeduldig aus dem Fenster. Nicht mehr lange und sie könnte Schluss machen für heute und sich mit diesem hübschen jungen Gnom treffen, den sie vor kurzem kennen gelernt hatte. Sie zückte ihren Taschenspiegel, zum wiederholten Male, um sich zu betrachten. Hoffentlich gefiel ihrer Eroberung, das was sie ihm hier zu bieten versuchte.
Hinter ihr begann einer der Steine zu flüstern. Auch das noch.
Sie holte sich den Stein nach vor und lauschte der Nachricht. An diese Gruppe, die sie schon seit einer Woche täglich aufsuchte und fast schon etwas lästig wurde. Wenigstens ein Problem weniger für die kommende Zeit.
Die Tür ging auf und ein Windstoß kam herein.
Sie seufzte.
Immer das gleiche, wenn man dachte, dass für einen Tag alles geschafft wäre.
Sie setzte ihr professionelles Lächeln auf, doch das verfiel ihr gleich wieder. Eine riesige Gestalt, in einen dunklen Umhang gekleidet, stand in der Tür. Neben ihr hüpften einige kleine Gestalten, mit Speeren bewaffnet in den Raum.
Das war eindeutig nicht die normale Kundschaft.

***

„Kommt schon, sonst schließt die Station noch, bevor wir da sind!“, versuchte Astamalia die andern zur Eile anzutreiben.
Donner grollte in der Ferne, als die Gruppe die regennasse Himmelsbrücke zum Barminturm im Laufschritt überquerte. Der Regen ließ wahre Wasserfälle von den geschwungenen Dächern und Balkonen rauschen, alle waren bis auf die Knochen durchnässt.
Dennoch blieb Thalaën, der den anderen voraus war, plötzlich abrupt stehen.
Er deutete in den Regen vor sich, wo man die Eingangstür der Nachrichtenstation sehen konnte.
„Seht!“, rief der Elf. Die Eingangstür hing seltsam schräg, eine der Angeln war aus dem Türrahmen gebrochen.
Mit einer fließenden Bewegung zog Thalaën seine Waffe vorm Rücken und pirschte weiter. Auch die anderen griffen nach ihren Waffen.
Thalaën schlüpfte ins Innere.
„Scheint feindfrei“, meldete er.
So wie damals in der Schmiede, fragte sich Astamalia, sagte aber nichts und folgte dem Kämpfer.
Im Inneren lagen die Tische und Hocker der Nachrichtenstation kreuz und quer herum, manche auf einen Haufen geworden, andere zertrümmert. Hinter der Theke, auf einem umgeworfenen Regal für Schriftrollen, lag die gnomische Angestellte, die sie von ihren früheren Besuchen kannten. Die Gnomin war bewusstlos, aber offenbar noch am Leben.
Adamant rannte zu ihr und kniete sich neben sie um sie zu heilen. Thalaën sicherte den Eingangsbereich. Esra wiederum besah sich im schwachen Licht, welches von draußen herein schien, die Spuren, die überall im Raum verteilt waren.
„Ein Kriegsgeschmiedeter, vier kleinere Kreaturen; aber ich kenne die Spuren nicht“, murmelte sie.
Hinter der Theke erlangte die Gnomin das Bewusstsein wieder.
„Wo? Wer? Ach ihr!“, stöhnte sie und setzte sich auf, sah sich verwirrt um. Dann sprang sie plötzlich auf:
„Die Nachrichten! Ich muss nach den Nachrichten sehen!“
Sie rannte zu den Regalen, in dem die Nachrichten aufbewahrt waren und ihre Finger fuhren die Reihen von Büchern und Pergament entlang.
„Was ist hier geschehen?“, fragte Adamant, nachdem sie sich etwas beruhigt hatte.
„Ein Kriegsgeschmiedeter und vier Kobolde drangen kurz vor Dienstschluss hier ein. Der Geschmiedete fragte, ob es eine Nachricht für Euch gäbe, Astamalia d’Lyrandar. Es war ein erstaunlicher Zufall, denn ich hatte gerade eine Nachricht für Euch durch den Sprechstein erhalten und notiert. Ich muss wohl auf das Pergament in meinen Händen geblickt haben, denn im nächsten Moment griff er sich die Nachricht mit der einen Hand und schlug mich mit der anderen nieder. Das ist das letzte, woran ich mich erinnere“, plapperte die Gnomin drauf los.
„Weißt du noch, von dem die Nachricht war?“, fragte Astamalia, auch wenn sie befürchtete, die Antwort bereits zu kennen.
„Das darf ich nicht sagen“, flüsterte die Gnomin.
„Bitte“, forderte sie Adamant auf. „Es könnte sehr wichtig sein. Es könnte um viele Leben gehen.“
„Sie war von Dame Elaydren d’Cannith“, flüsterte Susanna.
„Verdammt“, fluchte Astamalia. „Das war wahrlich ein schlechter Zeitpunkt. Wir sollten in die Wohnung zurückkehren. Vielleicht meldet sich Elaydren auch dort, wenn es sehr dringend war.“
„Das darf doch nicht wahr sein! Schon wieder ihr?“, erklang da eine bekannte Stimme von der Tür. Feldwebel Dolom mit zwei seiner Wachen stand darin und funkelte die Abenteurer wütend an. „Diesmal werden einfache Papiere nicht reichen, um Euch aus der Affäre zu ziehen!“
„Wir kamen aber erst hier an, nachdem dieser Überfall stattgefunden hatte!“, verteidigte sich Astamalia. „Und wir haben dieser Gnomin wahrscheinlich das Leben gerettet.“
„Das ist wahr“, unterstützte Susanna diese Aussagen. „Ein Kriegsgeschmiedeter mit vier Kobolden hat das hier angerichtet. Diese vier hier sind Kunden, die nur zufällig hier waren und denen noch dazu eine Nachricht gestohlen wurde. Beschuldigt nicht die zahlende Kundschaft von Haus Sivis. Kümmert Euch lieber um die wahren Verbrecher“, brauste die kleine Gnomin auf.
„Gut“, brummte Dolom, über die Entwicklung der Ereignisse sichtlich nicht begeistert. „Aber geht mir aus den Augen und versucht Euch aus Schwierigkeiten herauszuhalten.“

Als sie wieder ins Freie traten, hatte der Regen etwas abgenommen. Esra wunderte sich, dass die Wache so unfreundlich war. Sollte sie nicht eigentlich nicht dafür da sein, die Menschen zu beschützen, anstatt sie zu beschuldigen.
„Und jetzt? Zurück in die Wohnung?“, fragte Astamalia in diesem Moment.
„Ich denke auch, dass das, das Beste wäre“, stimmte Adamant zu.
Sie eilten weiter, während Esra den Schluss bildete und diese Zeit, in der niemand etwas sprach, nutzte, um weitere Eindrücke der Stadt in sich aufzunehmen.
An einer Turmrundung hatte etwa ein Dutzend Leute Schutz vor dem Regen auf einer überdachten Terrasse gesucht.
Eine Horde Kinder sprang lachend und johlend in den Pfützen nahe der Turmmauer herum.
Ein Händler zog seinen leeren Karren über die Brücke.
Eine Stadtwache Sharns beobachtete gelangweilt die Menge von ihrem trockenen Platz – einem Ladeneingang – aus.
Das nächste, was Esra ins Aug fiel kannte sie ebenfalls, aber sie konnte es für einen Augenblick nicht zuordnen.
Ein riesiger gefiederter Schatten fiel auf sie. Sie blickte nach oben und erblickte eine Rieseneule, die lautlos einen Bogen über ihr beschrieb und dabei rasch tiefer sank. Sie kannte diese beeindruckenden lautlosen Räuber aus den Wäldern ihrer Heimat. Aber den Vogel hier, inmitten der Stadt zu sehen, erstaunte sie doch etwas.
Nur knapp über Adamants Kopf – der darüber zusammenzuckte – fing die Eule ihren Sturz ab und ließ eine Rolle aus ihren Klauen vor die Füße des Klerikers fallen, um sich im selben Augeblick mit einem kräftigen Flügelschlag wieder in die Höhe zu schwingen.
„Was war das denn?“, war Astamalia erstaunt und blickte dem verschwindenden Vogel nach.
Esra kniete nieder und hob den Behälter auf. Es war ein einfacher Schriftrollenbehälter und enthielt ein einfaches Stück Pergament.
„Scheint von unserer Auftraggeberin zu sein“, teilte Esra ihren Fund den anderen mit und las vor:
„Abenteurer,  die üblichen Kommunikationswege scheinen aufgeflogen zu sein, also sende ich euch diesen besonderen Boten, um euch persönlich aufzusuchen und den Brief zu überbringen. Ihr habt mir schon einmal einen Gefallen getan, und nun brauche ich erneut eure Hilfe. Die Zeit drängt. Ich habe das Gefühl, dass unsere Feinde mich entdeckt haben und mir nachstellen.
Trefft mich um Geborstenen Amboss, wo wir schon letztens Arbeit und Lohn besprachen. Handelt rasch, denn ich glaube, dass wir alle in schrecklicher Gefahr schweben.
Eure Patronin, Dame E.“

„Klingt dringend“, meinte Thalaën und wischte sich tropfendes Wasser von der Nase.
„Aber ist es echt? Oder eine Falle?“, war sich Astamalia nicht so sicher.
Die Magierin schien nur selten jemandem zu trauen. Sie musste schwere Enttäuschungen in ihrem Leben gemacht haben, dachte Esra bei sich. Denn selbst sie, die sich mit den vielen neuen Menschen schwer tat, da sie bis jetzt alle ihre Bekannten ihr Leben lang gekannt hatte,  hatte mehr vertrauen in ihre Umgebung als diese Halb-Elfe.
„Wir werden nur eine Möglichkeit haben, es herauszufinden“, sagte sie deshalb. „Wir werden uns mit Elaydren im Geborstenen Amboss treffen.“

***

Die Etage des Maurerturms, in dem sich der Geborstene Amboss befand lag verlassen und friedlich da. Im Inneren war es angenehm trocken und warm, auch wenn, wie überall dieser Tage in Sharn, eine unangenehme Schwüle herrschte. An den Wänden hingen Immerhelle Laternen, die ein angenehmes Licht abgaben.
Alles wirkte einfach nur schrecklich normal, unschuldig und einfach friedlich.
Wahrscheinlich war das der Grund, warum Thalaën all dem nicht wirklich traute und sein Schwert griffbereit in der Hand hielt. Was er dabei für einen Eindruck bei den anderen machte war ihm im Moment egal.
Auch wenn er sich weder vor dem Tod noch vor Schmerzen im allgemeinen fürchtete, so musste man doch kein unnötiges Risiko eingehen. Und einer mysteriösen Einladung zu folgen, in der davon die Rede war, dass potentielle Angreifer überall sein konnten, war für ihn ein guter Anlass, vorsichtiger zu sein, als er ohnedies immer war. Schließlich musste man den Tod auch nicht herbeisehnen.
Im Moment jedoch, schien keine Gefahr zu drohen.
Der Geborstene Amboss hatte heute Abend nur einen Gast, der in einer dunklen Ecke saß – sofern man in dieser hell erleuchteten Schenke von einer dunklen Ecke sprechen konnte.
Die Gestalt trug einen schäbigen, abgewetzten braunen Mantel und hob die Hand, als würde sie einen Zauber wirken wollen. Doch dann hielt sie erschrocken inne und zog ihre Kapuze zurück.
Darunter kam das Gesicht von Elaydren d’Cannith zum Vorschein.
Überrascht über ihre Erscheinung hob Thalaën eine Augenbraue.
Bei ihren letzten beiden Treffen hatte die Dame edle Kleider und teuren Schmuck getragen. Heute war ihr Gesicht mit Schlamm beschmiert und unter dem Umhang trug sie ebenso schmutzige wie einfache Reisekleidung.
Sie winkte ihn und seine Kameraden heran.
„Schnell, schnell!“, zischte sie mit angespannter Stimme. „Olladra sein Dank, dass ihr hier seid! Wir haben keine Zeit zu verlieren!“, drängte sie.
„Was ist denn los?“, verlangte Astamalia zu wissen.
Währenddessen hob Elaydren einen abgetragen wirkenden Lederrücksack auf den Tisch. Er schien leicht, fast leer zu sein.
„Wir haben keine Zeit für lange Erklärungen“, schüttelte Elaydren den Kopf. „Alles was ihr wissen müsst, mitsamt meinen Anweisungen, Gold und Vorräten befinden sich in diesem Rucksack. Nehmt ihn und geht. Der Brief in der linken Tasche wird alles erklären, aber beeilt euch. Glaubt mir, wenn ihr diese Aufgabe erfüllen könnt, wird die Belohnung immens ein!“
„Vielleicht könntet Ihr dennoch etwas genauer werden…“, setzte Astamalia noch einmal an.
Doch in diesem Moment flog die Tür zur Straße hin auf. Vier kleine Gestalten sprangen in den Raum – Kobolde! Paarweise bewegten sie sich zu den Seiten des Raumes. Eine fünfte Gestalt folgte ihnen, ein wuchtiger Humanoider in einem dunklen Kapuzenmantel, in der Hand eine leichte Armbrust. Ohne lange zu zögern hob er sie und feuerte einen Bolzen auf Elaydren, der dicht neben ihrem Kopf in der Wand stecken blieb.
Sie schrie erschrocken auf und ihr Gesicht verlor alle Farbe.
„Pai! “, rief Thalaën, der das theatralische Auftreten der Gruppe genutzt hatte um nach Pfeil und Bogen zu greifen und schoss einem der Kobolde zielgenau zwischen die Augen. Jaulend kippte das Wesen nach hinten.
Dann brach auch schon das Chaos los.
Astamalia zauberte ein Magisches Geschoss dass in der Brust der massigen Gestalt wanderte, Esra beförderte einen weiteren Kobold nach Dollurh. Adamant rannte stampfend auf einen weiteren zu.
Und Elaydren? – sie hielt plötzlich eine kleine Perle in der Hand und war im nächsten Augenblick verschwunden.
Tolle Hilfe.
Thalaën warf seinen Bogen fort und griff nach seinem Schwert.
Einer der beiden überlebenden Kobolde warf tollkühn einen Speer nach ihm, den er aber mit Leichtigkeit beiseite schlug.
Er köpfte den Kobold, übersah dafür den letzten und bekam einen Speer in die Seite gerammt.
Thalaën grunzte vor Schmerz, war aber dankbar über seine neue Rüstung. Sie hatte den größten Teil der Wucht abgefangen.
Noch bevor Thalaën zuschlagen konnte, hatte Astamalia den Kobold mit einem Bolzen zu Fall gebracht.
Das war ein guter Kampf!

***

Es gab Tage, an denen fragte sich Feldwebel Dolom ernsthaft, warum er diesen Beruf ausübte. Die meiste Zeit war es ja sehr angenehm. Wache schieben, Straßendiebe ihrer gerechten Strafe zuführen. Aber in letzter Zeit schien sich das Schicksal gegen ihn verschworen zu haben.
Zuerst dieser Mordfall des Denkans Bonal Geldems; und noch dazu direkt neben der Universität.
Und dann erst dieser Abend!
Zuerst der merkwürdige Überfall auf die Kommunikationseinrichtung von Haus Sivis. Wer war schon dumm genug die Zweigstelle eines Hauses anzugreifen? Und dann auch noch das Gold dort zu lassen?
Kurz darauf die Meldung über die Ermordung von Dekan Sirius Arkaban in seiner Wohnung; ebenfalls nahe der Universität! Und diesmal schien auch niemand etwas gesehen zu haben.
Damit aber nicht genug! Nein, jetzt hetzten sie zum Maurerturm, weil dort angeblich eine Messerstecherei in einer der Schenken zu Gange war.
Als er völlig außer Atem, diesmal bereits mit vier Wachen im Schlepptau, beim Geborstenen Amboss ankam, traute er seinen Augen nicht.
Die Tür war beschädigt, mehrere Tische und Stühle waren zu Bruch gegangen. Vier Kobolde lagen abgeschlachtet im Raum und bluteten den Boden voll. Eine weitere Gestalt, ein Kriegsgeschmiedeter, lag direkt in der Tür und schien außer Betrieb zu sein.
Die einzigen Gestalten, die noch stehen konnten, waren seine heiß geliebten Freunde.
„Möge der Raffer euch alle verschlingen! Das darf doch wahrlich nicht wahr sein!“, fluchte er. „Habt ihr ein so schlechtes Gedächtnis? Es ist doch noch keine Stunde her, als ich euch befohlen habe, euch aus allem Ärger herauszuhalten.“
„Aber wir haben…“, begann die Magierin aus dem Haus Lyrandar.
„Nichts da! Diesmal kommt ihr alle mit auf die Wache und werdet verhört!“, stellte er klar. „Ich lasse mir doch von euch nicht auf der Nase herumtanzen! Lasst eure Waffen fallen, ihr werdet abgeführt!“
Die vier sahen sich kurz an und nickten dann nacheinander. Ohne Widerstand zu leisten übergaben sie ihre Waffen an seine Gehilfen, die Magierin packte ihre beiden Rucksäcke – unglaublich, was diese reichen Personen mit sich herumzuschleppen hatten – und folgte ihren Freunden mit auf die Straße.
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 04. Januar 2008, 15:55:51
Und wie immer mache ich meinen Aufruf an alle stillen Mitleser:

Meldet euch ruhig zu Wort. Ob positiv oder negativ! *g*.
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Sirius am 05. Januar 2008, 15:28:59
Positiv! Sehr gute Storyhour, bitte weiterführen.
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 10. Januar 2008, 13:28:55
So, die erste große Reise der vier beginnt und führt sie mit dem Schiff in das Herz der Hobgoblinnation...
Und es kommt zum Auftritt eines der geliebtesten / gehasstesten NSCs der Gruppe *g*.

Die Wellental

Adamant kam etwas bedrückt aus der Wachstube zurück. Irgendwie, fand er es eine Zumutung, dass er als Kleriker einer Befragung unter dem Einfluss eines Feldes der Wahrheit ausgesetzt wurde. Als würde er lügen!
Andererseits hatten es die anderen anscheinend nicht so ernst genommen und geschickt versucht das Feld auszutricksen. Als sie von Feldwebel Dolom gefragt wurde, ob sie Gegenstände vom Tatort entfernt hätte, hatte sie mit einem Seitenblick auf den Rucksack, den sie von Elaydren erhalten hatten, geantwortet:
„Nichts, was nicht uns gehören würde.“
Adamant musste ihre Schlagfertigkeit in dieser Situation bewundern, auch wenn er es nicht fair gegenüber dem Feldwebel fand. Denn er war sich sicher, dass der Rucksack für die Ermittlungen von Bedeutung sein würde.
Er hatte auch fast dazu angesetzt, dieses Missverständnis aufzuklären, doch die Blicke der anderen hatten ihn davon abgehalten. Außerdem hatte auch eine Stimme in seinem Inneren gesagt, dass dies wohl nicht Ziel führend sein würde.
Wahrscheinlich war seinem Schweigen auch zu verdanken, dass sie so rasch wieder aus der Wachstube gekommen waren.
„Habt ihr eigentlich auch alle die Wahrheit gesagt, als Dolom uns am Ende gefragt hat, ob wir diesen andern ermordeten Professor kennen, diesen Arkaban?“, fragte Esra, als sie vor der Tür standen.
„Natürlich“, entrüstete sich Adamant. Zweifelte schon wieder jemand an seiner Ehrlichkeit? „Ich habe von diesem Professor wirklich noch nie gehört. Und ich denke, es geht uns alle so, oder?“
Die anderen nickten.
„Los, lasst uns in die Wohnung gehen. Es ist spät, und mich würde zu gerne interessieren, was sich in diesem Rucksack befindet. Viel kann es bei seinem Gewicht ja nicht sein“, schlug Astamalia vor.
Die anderen waren einverstanden.

***

In der Wohnung angekommen stellte Astamalia den Rucksack auf den Esstisch und machte die linke Tasche auf, in der sich anscheinend die Anweisungen für den kommenden Auftrag befinden sollten.
Oben auf lag auch ein eng beschriebenes Blatt Papier.

Meine Freunde,
der Gegenstand, den ihr für mich aus den Ruinen unter Sharn geborgen habt, ist ein Schema, ein Stück eines Musters, mit dem sowohl weltliche als auch magische Gegenstände hergestellt werden können. Ich habe erfahren, dass ein anderes Schema mit Verbindungen zu diesem in einer geheimen Cannithschmiede in Cyre untersucht wurde, Weißschmiede genannt.
Teile meines eigenen Hauses suchen dieses Muster für finstere Zwecke, und ich weiß nicht, wem ich trauen kann. Also wende ich mich an euch. Ihr müsst für mich nach Cyre reisen, die Schmiede finden und das zweite Schema zurückbringen.
Das Wissen um den Eingang zu der Schmiede ging mit dem Tod des Patriarchen von Haus Cannith während der Zerstörung Cyres verloren. Vielleicht könnt ihr jedoch in dem Außenposten des Hauses Cannith in der Stadt Rotbruch in Darguun Spuren finden. Dort gab es Aufzeichnungen über alle Arbeitsstätten von Haus Cannith.
Sucht in Rukaan Draal auf dem Blutmarkt nach einem Mann namens Failin. Er kann euch nach Rotbruch bringen. Von dort aus reist ihr weiter ins Klageland, um Weißschmiede und das zweite Schema zu finden. Es ist eine Adamantitplatte in Form eines Diamanten, etwa von der Größe einer Menschenhand. Sobald ihr es gefunden habt, kehrt nach Rukaan Draal zurück, wo ich euch erwarten werde. Bei Erfolg soll euer Mut reich belohnt werden.
Dame E.


„Das Klageland? Das klingt nicht gut“, kratzte sich Adamant am Kopf.
In Thalaëns Magen verkrampfte sich etwas. Er kannte Geschichten der Valenar Elfen, das Klageland betreffend, und er hatte bereits einmal aus weiter Ferne den aschgrauen Nebel gesehen, der die Grenzen der zerstörten Nation Cyre markierte. Das war wahrlich keine Gegend, die er näher sehen wollte. Andererseits gab es dort vielleicht einige würdige Gegner für ihn.
„Was befindet sich noch so alles in dem Rucksack?“, wollte er wissen und warf einen Blick in die Seiten- und die Mitteltasche.
„Nahrung, Wasser, Schlafsäcke, Pfeile, Bolzen, Fackeln, Kreditbriefe für Haus Orien und Haus Lyrandar, eine Tasche mit Platindrachen und ein Kästchen voll mit Galifar, eine Immerhelle Laterne, …“
„Das passt doch alles gar nicht in diesen kleinen Sack!“, warf Esra ein.
„Magie“, klärte sie Astamalia auf.
„…sowie diesen merkwürdigen kleinen Stab aus bläulichem Metall“, vollendete Thalaën die Aufzählung und betrachtete den Gegenstand. „Jemand eine Ahnung, wozu er gut sein könnte?“
Alle schüttelten den Kopf, doch Astamalia nahm ihn ihm aus der Hand.
„Dann werde ich ihn mal an mich nehmen“, meinte sie kurzerhand und steckte ihn ein. „Wir sollten uns morgen früh gleich einmal daran machen, herauszufinden,  wie wir am Besten nach Rukaan Draal kommen.“
„Ist das nicht die Hauptstadt von Darguun, dem Hobgoblinkönigreich?“, fragte Thalaën.
„Genau das ist es. Soll ein eher raues Pflaster sein“, bestätigte ihn Astamalia.
„Ah, einem Kleriker der Silbernen Flamme und seinen Gefährten wird nichts geschehen“, verkündete Adamant selbstbewusst.
Thalaën zweifelte an einem Schutz durch den Glauben. Er wollte sich eher auf sein Schwert verlassen. Und nach den Blicken der anderen zu urteilen, schienen sie es ähnlich zu halten.

***

„Ah, Herr Turenhart. Freut mich, Euch endlich einmal persönlich kennen zu lernen.“
„Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Herr Hauptmann. Wenn ich anmerken darf: Eure Uniform ist nicht mehr ganz modisch. Diese Farben sind im heurigen Frühling vollkommen out. Rosa ist diese Saison heuer in! Wenn Ihr wollt, dann schneidere ich Euch persönlich eine neue. Schön Tailliert, damit die Brust mehr zur Geltung kommt…“
„Lasst das bitte Herr Turenhart. Ihr seid nicht als Stoffhändler hier in Sharn. Das wissen wir beide.“
„Ihr habt natürlich recht, mein Bester. Ich habe auch noch einen Cousin zweiten Grades besucht, der vor kurzem geehelicht hat; eine furchtbare Person übrigens.“
„Herr Turenhart, macht es mir nicht zu schwer. Wir wissen beide, dass Ihr für die gnomische Regierung arbeitet.“
Der Gnom seufzte.
„Ja, ich gestehe. Diese Dekoration auf dem Ball des Triumvirats vor zwei Jahren, das war ich. Ich habe versucht mein Mitwirken damals zu verschleiern; es war einfach nur grässlich. Die Farben passten nicht zum Parkett, die Vorhänge nicht zur Aussicht, die Blumen nicht zum Kleid der Triumvirin…“
„Turenhart! Ihr strapaziert meine Nerven! Und das kann ich absolut nicht leiden! Was also wolltet Ihr hier in Sharn.“
„Meine Geliebte treffen; meine Frau ist manisch eifersüchtig…“
„Was. Wolltet. Ihr. In. Sharn?“
„Ein Mitbringsel für meine Enkel kaufen…“
Der Hauptmann brach zusammen. Seufzend rieb er sich den Schlaf aus den Augen.
„Nun gut. Ihr werdet heute Nacht unser Gast sein und Morgen mit dem ersten Schiff nach Trolanhafen aufbrechen. Bei Eurem nächsten Besuch in der Stadt, werdet Ihr nicht so glimpflich davonkommen. Ob wir Beweise haben, oder auch nicht.“
„Ich habe Rechnungen von allem, was ich in Sharn mache. Sogar jene, die unter den Bereich des Vergnügens fallen“, verteidigte sich der Angeklagte mit einem Lächeln in den Augen.
„Schafft mir diesen Gnom aus den Augen!“

***

Esra versuchte die Zähne zusammenzubeißen und nicht die Stimme zu verlieren.
„Und es gibt keine anderen Möglichkeiten?“
Astamalia schüttelte den Kopf. Sie schien aber nicht wirklich betrübt darüber zu sein.
„Es gibt kein reguläres Luftschiff nach Darguun und eines zu chartern können wir uns nicht leisten. Die Reise mit Haus Orien würde 15 Tage dauern; drei mit der Blitzbahn und dann noch einmal 12 mit der Karawane. Die Reise per Schiff ist eindeutig am schnellsten. Noch dazu, wo heute Mittag eine Elementargaleone ablegen würde. Wir sind dann in raschen vier Tagen in Rukaan Draal. Und nachdem in dem Brief steht, dass wir uns beeilen sollen, ist das wohl die einfachste und wahrscheinlich auch einzige Möglichkeit.“
„Ich will aber nicht mit dem Schiff fahren. Mit hat die Überfahrt über den Galifar-See schon gereicht“, versuchte Esra sich aus dieser verfahrenen Situation zu retten.
„Esra, sei vernünftig“, redete nun auch Thalaën auf sie ein. „Diese Schiffe sind sehr sicher und man merkt den Seegang darauf auch nicht sehr. Und wir befinden uns die ganze Fahrt über immer in Küstennähe, und…“
„Und außerdem haben wir bereits Tickets reserviert“, verkündete Astamalia und hob die vier Scheine von Haus Lyrandar hoch. „Tut mir leid. Aber das musste sein, das Schiff legt in kürze ab. Wir sollten also packen.“
Esra seufzte. Sie musste ich wohl in ihr Schicksal ergeben. Rasch ging sie in ihr Zimmer und schnappte ihren Rucksack. Aus alter Gewohnheit hatte sie noch nicht viel ausgepackt. Schließlich war sie, als sie noch in Grünherz lebte, auch nie lange zu Hause geblieben, sondern bald wieder in den Wald zur Jagd aufgebrochen.
Als sie zurückkehrte, hatten sich die anderen ebenfalls bereits in voller Montur eingefunden. Adamant hatte einen praktisch leeren Rucksack am Rücken. Thalaën schieb ebenfalls mit leichtem Gepäck zu reisen und Astamalia hatte ihren edlen Rucksack gegen den abgenutzt wirkenden magischen der Dame Elaydren getauscht.
„Dann brechen wir auf“, setzte die Magierin ein freundliches Lächeln auf.

***

Die Wellental entpuppte sich als ein beachtlich großes Schiff, das selbst unter den ganzen Hunderten im Hafen von Sharn deutlich hervorstach. Am Heck waren die Luftwirbel und der schwache Nebel eines Luftelementars zu sehen, dass bereit war, das Schiff über den Ozean zu tragen.
„Ich grüße Euch, mein Name ist Kapitän Rakos, ich bin der Kapitän der Wellental!“, grüßte sie ein muskulöser Halb-Elf, der ein ärmelloses Shirt über seiner sonnengebräunten Haut trug, als sie über die Planke schritten.
„Eure Quartiere finden sich am Bug am ersten Unterdeck. Jeder von euch reist erster Klasse, wie ich gesehen habe, daher stehen Euch auch die Einzelkabinen zur Verfügung.“
Ein Lächeln überstrahlte Astamalias Gesicht. Endlich wieder einmal etwas Luxus in ihrem Leben, auch wenn es nicht viel war.
„Gibt es noch andere Passagiere an Bord?“, fragte Thalaën und sah sich derweil interessiert auf dem Oberdeck um. Dieses Schiff unterschied sich deutlich von dem Schiff, mit dem er von Aerenal hierher gekommen war. Dieses Schiff hatte etliche schwere Waffen an Bord und war euch um einiges größer. Obwohl es sich dauerhaft nur entlang der Küste aufhalten würde und nie den Stürmen auf Hoher See ausgesetzt wäre.
Interessant.
„Ja, eine sehr ruhige Dame, die sich im Moment gerade in ihrem Quartier einrichtet. Außerdem noch ein Gnom, von dessen Passage ich heute erst erfahren habe. Wegen ihm werden wir wahrscheinlich auch mit Verspätung auslaufen. Er ist immer noch nicht eingetroffen, aber ich habe Befehl auf ihn zu warten.
„Rentiert sich die Fahrt mit so wenigen denn eigentlich?“, war Adamant erstaunt.
„Ja. Denn alles andere ist bis obenhin mit Fracht gefüllt, die wir nach Rukaan Draal liefern sollen. Diese Hobgoblins sind für nicht viel gut, aber sie Importieren was die Staatskasse hergibt. Soll mir recht sein. Sind ja nicht meine Galifar, welche hier rausgeschmissen werden.
Macht es euch so bequem wie möglich, ich muss mich um meine Mannschaft kümmern. Vielleicht können wir etwas der Verspätung wieder hereinholen.“
Er entschuldigte sic noch einmal und wandte sich dann wieder seinen Leuten zu.
„Na dann“, seufzte Thalaën und schnappte sich sein Gepäck. „Sehen wir uns die Quartiere an.“
Gerade als er aufbrechen wollte, schritt ein Gnom in Begleitung zweier gut bewaffneter Wachen der Sharner Stadtwache den Kai entlang. Auf der Planke verbeugte sich der Gnom:
„Ich danke, für die freundliche Eskorte. Gehabt Euch wohl“, und trat auf das Schiff über.
Interessiert sah er sich um und kam dann auch zielstrebig auf die Gruppe zu. Thalaën kam zu dem Schluss, dass er noch nie einen so merkwürdigen Gnom gesehen hatte. Seine Kleidung war schreiend bunt, mit rosa Rüschen behangen. An jeder Hand trug er mehrere Ringe und um den Hals mehrere schwere und teuer aussehende Ketten. Zudem schien er sich das Gesicht und die Augen geschminkt zu haben. Thalaëns Volk setzte zu gewissen Zeremonien Totenmasken auf, oder malte die Umrisse eines Totenkopfes nach. Aber Lippenstift und Wimperntusche bei Männern waren ihm neu.
„Seid gegrüßt, Reisegefährten. Ist doch schön, wenn man nicht alleine reisen muss“, begrüßte sie der Gnom. Sein Blick wanderte kritisch von einem zum anderen.
„Aber ich sehe schon, ich habe hier viel Arbeit vor mir“, meinte er mit hoher Stimme und legte dabei seine Hand schockiert an die Wange. „Wisst Ihr denn nicht, meine Werteste, dass Schöngewebe dieses Jahr nicht in ist?“
Astamalia blickte an ihrer teuren Robe herab und war etwas sprachlos.
„Aber, ich dachte…“
„Nein, nein. Solche Roben trug man letztes Jahr. Aber keine Angst, Werteste, wir schaffen schon das Richtige Outfit für Sie“, freute er sich und schwang dabei seine Hand auf merkwürdige – irgendwie feminine Art. „Und dieser Herr und diese Dame haben sich wohl noch nie wirklich beraten lassen“, meinte er abschätzend zu Esra und Adamant. Kritisch beäugte er jede noch so winzige Kleinigkeit.
„Ich fühle mich hierin wohl“, stellten beide unisono fest.
„Aber wer seid Ihr eigentlich?“, gab Esra zurück.
„Oh verzeiht.“
Der Gnom legte sich die Hände auf die mit Ketten behängte Brust.
„Ich bin Bodinar Turenhart, ein einfacher Stoffhändler aus Trolanhafen und Leiter von Turenhart & Kompanie. Und Ihr könnt Euch sicher sein, dass Ihr euch modisch in sicheren Händen befindet.“
Irgendwie schien diese Versicherung das Quartett nicht sehr zu beruhigen.
„Ah, da seid Ihr ja endlich, Herr Turenhart. Dann können wir ja ablegen“, rief der Kapitän vom anderen Ende des Schiffs.
Turenhart winke freudig und übertrieben zurück.
„Ich werde mich dann in die Kajüte zurückziehen. Ich habe vor, heute Abend ein kleines Bankett zu geben, es wäre mir eine Ehre euch alle dort ebenfalls anzutreffen.“
„Wir werden uns das überlegen“, versuchte Astamalia sich aus der Affäre zu ziehen. Der Gnom war ihr mehr als nur suspekt.

***

Esra würgte und verfluchte die Magierin. Sie hatten das Heft kaum verlassen, als ihr Magen schon angefangen hatte zu rebellieren. Sie hatte eigentlich gedacht, dass die Überfahrt über den Galifar-See schlimm gewesen sei, aber das war harmlos gegen das hier. Alles schien sich zu bewegen, nichts fest zu sein. Auf das Bankett heute Abend hatte se da schon gar keine Lust mehr.
Auch wenn diese Kräuter, die ihr der Kapitän gebracht hatte, etwas halfen. Aber viel war es auch nicht. Warum nur hatte sie ihren geliebten Wald verlassen. Matuc befand sich jetzt sicherlich gerade auf der Jagd nach einem Elch oder stellte Fallen für die Hasen und Bären auf. Und sie? Sie musste in diesem fürchterlichen Schiff sitzen, konnte nicht einmal gut aus ihrer Kabine und übergab sich ständig.
Was nur hatte sie getan, dass die Götter ihr so zürnten?

***

Astamalia stand and der Reling und ließ sich die Gischt ins Gesicht spritzen. Wind ließ ihre Robe flattern, weit über dem Schiff kreisten kreischende Möwen. Die Matrosen der Wellental arbeiteten über ihr in den Takelaken des Schiffes. Der Schiffszimmermann sang am Heck ein sanftes Lied, während er einige Planken bearbeitete.
Es war einfach nur herrlich!
Sie atmete tief ein und schloss die Augen, fühlte das Schwanken des Decks, das Meer, den Wind, hörte die Vögel und ein merkwürdiges Summen.
Erstaunt sah sie sich um. Am Bug stand eine Frau mit Umhang und blickte in die Fahrtrichtung des Schiffes, die Arme weit von sich gestreckt. Von ihr schien das Summen auszugehen.
Das war wahrscheinlich der noch unbekannte Passagier. Astamalia, beschloss sie anzusprechen, kletterte au das Vorderdeck.
„Hallo!“, grüßte sie.
Die Frau unterbrach, was immer sie gerade getan hatte, und wandte das Gesicht ihr zu. Astamalia erschrak. Sie hatte wunderschöne, aber nichts desto trotz leichenblasse Haut und ihre Augen waren von einem strahlenden Violett.
„Hallo!“, wiederholte sie dennoch.
„Raja, vana“, fuhr sie Astamalia an.
Die Magierin verstand kein Wort, aber es schien nicht freundlich zu sein. Zudem war sie erstaunt, dass sie die Sprache nicht verstand. Immerhin hatte sie sich eingebildet zumindest die Basis der wichtigsten Sprachen des Kontinents zu kennen.
Aber für solche Fälle gab es Magie.
„Inlingua“, sprach sie und versuchte es ein drittes Mal: „Hallo.“
„Verschwinde!“, hörte sie nun die Stimme der Frau verständlich. „Ich versuche zu meditieren.“
„Wird das noch länger dauern?“
„Ja.“
„Den ganzen restlichen Tag?“
„Ja“, erwiderte die Unbekannte gepresst.
„Dann können wir morgen vielleicht miteinander sprechen?“, gab Astamalia dennoch nicht auf. Sie war von der Person fasziniert. Zumal unter ihrem Umhang ein violetter Krummsäbel hervorsah, der eine stark magische Aura zu haben schien. Genauer gesagt, hatte Astamalia noch nie etwas so magisches an einer Waffe gesehen. Noch dazu, schien es sich um eine ihr unbekannte Schule der Magie zu handeln. Merkwürdig.
„Das denke ich nicht. Auch morgen werde ich meditieren. Und übermorgen. So lange, bis das Schiff in Rukaan Draal eingetroffen ist“, stellte die Frau klar. „Und nun geht!“
Das war eindeutig. Astamalia verneigte sich freundlich und verließ das Vorderdeck wieder. Nicht aber, ohne noch einmal einen Blick auf die unheimliche und so interessant wirkende Unbekannte zu werfen.

***

Das Bankett, wie es Turenhart großzügig genannt hatte, fand in der Kabine des Kapitäns statt. Es waren, wie Adamant feststellte, alle Besatzungsmitglieder anwesend. Eigentlich war jeder, mit Ausnahme der unbekannten Frau, der sich an Bord befand, hier im Raum.
Der Tisch bog sich förmlich unter den erlesensten Köstlichkeiten und der Gnom hatte ein strahlendes Lächeln aufgesetzt. Zudem war seine Kleidung noch schriller als an diesem Mittag.
Was aber seltsam anmutete, war die Tatsache, dass, obwohl alles so feierlich wirkte, der Kapitän missmutig auf seinem Stuhl lungerte und auch die anderen Offiziere nicht sehr begeistert wirkten.
„Es ist mir eine Freude, dass ihr die Zeit gefunden habt, zu kommen“, begrüßte er Adamant und seine Freunde. „Meine Beste, ich hoffe, es geht Euch schon etwas besser?“, fragte er an Esra gewandt. „Ich kenne das von früher, damals hatte ich auch noch einen empfindlicheren Magen. Schrecklich so was. Aber deswegen solltet Ihr euch nicht die Köstlichkeiten entgehen lassen, die der Kapitän aus seiner Speisekammer für uns kredenzt hat.
Herr Kriegsgeschmiedeter…“
„Adamant“, brummte der.
„Adamant, setzt Euch doch neben mich.“
„Ich esse nicht“, klärte er den Gnom auf.
„Ich weiß. Dennoch könnt Ihr uns doch heute Abend Gesellschaft leisten. Immerhin ist Eure Spezies seid dem Ende des Krieges auch als solche anerkannt und Ihr solltet diese Rechte auch annehmen.“
An alle anderen gewandt: „Lasst es euch munden.“
Dann wandte er sich wieder Adamant zu.
„Verzeiht meine Aufdringlichkeit. Aber habt Ihr schon einmal daran gedacht Euch euren Wappenrock erneuern zu lassen? Er sieht bereits etwas mitgenommen aus und ist nicht mehr das wahre Statussymbol eines Klerikers der Silbernen Flamme.“
Adamant blickte an sich herab. Der Rock hatte seit er mit seinen Kameraden unterwegs war, wirklich schon etwas viel erlebt. Er hatte ihn zwar notdürftig wieder geflickt, aber das war nur zu eindeutig zu sehen.
„Wenn Ihr wollt, dann kann ich Euch einen neuen anfertigen, bis ich heute um Mitternacht in Trolanhafen das Schiff verlasse.“
„Gerne…“
„Herr Turenhart, warum wurdet Ihr eigentlich von der Stadtwache an den Pier begleitet?“, mischte sich Astamalia in das Gespräch ein.
„Ihr solltet doch wissen, dass das Pflaster in Sharn immer heißer wird. Und wichtige Persönlichkeiten, wie meine Wenigkeit, können gar nicht genug auf ihren Schutz bedacht sein. Deshalb habe ich zwei Wachen angeheuert“, zwinkerte er Astamalia zu, die nicht wusste, was sie von dieser Aussage zu halten hatte. Der Kapitän auf jeden Fall verdrehte die Augen und seufzte.
„Es wäre mir eine Ehre“, fand Adamant endlich die Zeit zu antworten. „Aber nur, wenn es Euch nicht zu sehr stresst. Immerhin ist nicht mehr so viel Zeit.“
„Ach seit nicht albern, Adamant. Das ist doch nur eine Kleinigkeit. Darf ich den Rock schon einmal haben, zur Reinigung?“
Adamant nickte und übergab dem Gnom sein einziges Kleidungsstück, welches dieser in einer dunklen Ecke des Raumes verstaute. Wie genau er es dort reinigen wollte, war Adamant ein Rätsel, aber von Kleidung und Schneiderei verstand er auch nicht allzu viel.
Turenhart schenkte sich ein üppiges Glas Wein ein und musterte nun den nackten Oberkörper von Adamant.
„Interessante Kennzeichnung, welche Ihr da tragt. Dafür besitzt Ihr kein Mal, welches Euch einer Nation zuordnet. Auf welcher Seite habt Ihr im Krieg gekämpft?“
Adamant fuhr sich verlegen über die Symbole.
„Ich habe nicht im Krieg gekämpft. Und diese Zeichen“, er deutete dabei auf seine Brust, in der eine XIII eingraviert war, „von dem weiß ich nicht, was es bedeuten soll. Ich hatte es schon immer, aber niemand konnte mir bis jetzt sagen, was es damit auf sich hatte.“
„Wahrlich interessant“, flüsterte der Gnom. Es schien ihn wirklich zu interessieren, was Adamant sehr freute. Die meisten sprachen ihn nur deswegen darauf an, weil sie sonst nicht wussten, was sie mit einem Kriegsgeschmiedeten, der noch dazu nie gekämpft hatte, sprechen sollten.
Doch so rasch wie das Interesse gekommen war, verschwand es wieder, und er wandte sich anderen Gästen zu.

Esra war fast erschlagen von den ganzen Köstlichkeiten, die sich hier auftaten. Schade nur, dass ihr Magen nicht wirklich mitspielte. Außerdem kannte sie die Hälfte der Speisen nicht und wusste bei einem viertel nicht wirklich wie man sie essen sollte.
„Euren Hunger schient Ihr noch nicht wirklich wiedererlangt zu haben“, sprach sie da Turenhart an.
„Nein, tut mir leid.“
„Nun ja, Ihr könnt ja nichts dafür, Frau…?“
„Esra. Esra Emorien.“
„Interessant. Kennt Ihr vielleicht einen Divar Emorien? Ich bin ihm vor einigen Jahren einmal begegnet.“
Esras Herz schlug mit einem Mal höher.
„Ihr kennt meinen Bruder?“
„Ah, Euer Bruder ist das? Ja, das muss etwa fünf Jahre her gewesen sein, als ich ihn in Trolanhafen traf. Ich erinnere mich noch genau. Er trug scheußliche Kleidung, selbst für de Zeit des Krieges. Sie war vollkommen aus der Mode und noch dazu nicht mal ordentlich gepflegt…“
„Wisst Ihr auch, wohin er unterwegs war?“, unterbrach ihn Esra.
„Wenn mich nicht alles täuscht, dann wollte er nach Cyre. Er wollte ja unbedingt ein großer und gefürchteter Magier werden. So ein süßer Kindskopf.“
Er seufzte, als würde er in angenehmen Erinnerungen schwelgen. Esra konnte es immer noch nicht glauben, dass sie so zufällig auf die Spur ihres Bruders gestoßen war. Aber es gab auch einen schalen Beigeschmack: Cyre war vor vier Jahren zerstört worden. Das hatten sie sogar in der Abgeschiedenheit des Eldeenreiches erfahren. Wenn ihr Bruder zu dieser Zeit dort gewesen war, dann war er nun nicht mehr am Leben.
„Entschuldigt mich nun bitte alle. Aber ich habe diesem stattlichen Herrn einen neuen Wappenrock versprochen, der noch vor Mitternacht fertig werden muss. Lasst euch aber von mir nicht vom Feiern abhalten. An die Arbeit!“, feuerte er sich selbst an, klatschte in die Hände und verließ nach zwei tiefe Verbeugungen in Richtung der Damen am Tisch das Bankett.
Nur Sekunden später warf der Kapitän seine Serviette hin und stapfte aus dem Raum; er schien wütend. Die anderen Offiziere folgten in Geschwindigkeit und Einstellung seinem Beispiel, so dass nur mehr die vier Helden und die einfachen Matrosen am Tisch saßen; letzteren schien es im Gegensatz zu ihren Vorgesetzten ganz gut zu gefallen, dass sie auch einmal zu einem solchen Bankett eingeladen wurden.
Astamalia schwenkte ihr Weinglas und warf dem Gnom einen zweifelnden Blick hinterher:
„Ich kann Turenhart nicht ausstehen“, erklärte sie offen.
Esra zuckte die Schultern, sie war mit ihren Gedanken noch bei ihrem verschollenen Bruder.
„Ich finde ihn nett“, erklärte Adamant und freute sich bereits auf seinen neuen Umhang.
Thalaën schien nicht zugehört zu haben. Er futterte sich noch, zusammen mit den Matrosen, durch die dargebotenen Speisen.

***

Es war Mitternacht vorbei, als die Wellental vor dem Hafen von Trolanhafen vor Anker ging. Die Stadt lag in beinahe vollkommener Dunkelheit da, weshalb keiner der vier Abenteurer die Schönheit der Hauptstadt des Reiches von Zilargo bewundern konnte.
Kapitän Rakos ließ ein Beiboot zu Wasser und beorderte zwei Matrosen Turenhart an den nahen Kai zu rudern; dann wartete man.
Mit einiger Verspätung kam Turenhart dann schließlich doch noch an Deck, nicht im geringsten über seine Verspätung nachdenkend. Er überreichte Adamant einen wundervollen, praktisch neuen Wappenrock, in den Mithral- und Silberfäden eingewoben waren. Auch wenn  Adamant von Mode nicht sehr viel Ahnung hatte, so hatte er doch den Eindruck, dass dieser Rock mehr als nur exquisit war.
„Ich hoffe er gefällt Euch“, grinste Turenhart, als er Adamants sprachloses Gesicht sah. „Ich habe außerdem noch ein Geschenk für Euch. Öffnet es, wenn Ihr alleine seid.“
Er überreichte ihm ein kleines, kunstvoll verziertes Mahagonikästchen und zwinkerte ihm wissend zu. Dann erst bequemte er sich ins Beiboot und verschwanden damit rasch in der Dunkelheit.
Kapitän Rakos und Astamalia atmeten beide hörbar erleichtert auf.
Adamant hatte sich in Zwischenzeit etwas von den anderen zurückgezogen und öffnete vorsichtig das Kästchen.
Im Inneren fand er einen kleinen, teuer aussehenden feuerroten Kamm.
Seltsam, dachte der Kriegsgeschmiedete. Er hatte doch gar keine Haare. Er hatte genau genommen überhaupt keine Körperbehaarung.
Warum schenkte ihm der Gnom dann einen Kamm?
„Ihr scheint auch nicht sehr erfreut darüber zu sein, dass Ihr Turenhart als Passagier hattet“, wandte sich Astamalia an den Kapitän. „Warum?“
„Ich mag es nicht, wenn mir die Regierung einen Passagier aufdrängt. Vor allem keinen solchen“, brummte der Seemann und wandte sich von der Reling ab. Das Beiboot kehrte rasch zurück. „Wir sollten zusehen, dass wir unsere verlorene Zeit wieder hereinbekommen.“
„Ein seltsamer Mann. Interessant, dass etwas über meinen Bruder wusste.“
„Ja, das ist auch etwas was mich stutzig machte“, erwiderte Astamalia und warf Adamant am Bug einen Seitenblick zu.
Die Wellental entfernte sich aus der Bucht des Trolans und kehrte ins offene Meer zurück.

Ein Kamm? Ein feuerroter Kamm?
Adamant sinnierte immer noch.
Feuer.
Kamm.
Er stöhnte auf und schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. Wir hatte er nur so begriffsstutzig sein können?
Thalas Feuerkamm. Das musste die Anspielung sein! Aber woher wusste der Gnom von seinem verschwundenen Freund.
Und vor allem: Was wusste er über Thalas? Und warum war er nicht offen damit herausgerückt?
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Topas am 10. Januar 2008, 16:52:16
Schön geschrieben. Ich mag Bodinar Turenhart jetzt schon.
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 11. Januar 2008, 09:33:05
Ja, auch mein persönlicher Favorit.  :D
Auch wenn es schweirig war seinen etwas seltsamen und mysteriösen Charakter auf dauer zu spielen.

Bei der Gruppe kam er unterschiedlich an. Drei fanden ihn OOC einfach nur stylisch aber ingame lästig. Einer konnte ihn weder noch leiden. Denke, das kommt auch raus, wer das ist *g*.
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 16. Januar 2008, 01:10:43
Ein Wagen ohne Pferde

Nach einer raschen, drei Tage andauernden Fahrt, erreichte die Wellental am 20. Therendor die Mündung des Ghaal und begann damit sich die schlammigen Fluten hinaufzukämpfen. Etwas, das wahrlich nur einem Elementargetriebenen Schiff möglich war. Jedes andere hätte zu tun gehabt, der raschen Strömung entgegenzuwirken.
Es war früher Nachmittag, als das Schiff dann am Hafen der Stadt Rukaan Draal anlegte. Die Hauptstadt des Hobgoblinreiches wurde um eine ehemalige Grenzstadt Cyres herum errichtet, war heute aber eine brodelnde Metropole. Die Architektur war ein wahnwitziger Flickenteppich: Lehm- und Holzhütten wechselten sich mit uralten Steinmauern, bunten Pavillons und Zelten ab. Die Straßen bestanden zum Größten Teil aus fest getretener Erde. Die Stadt war deutlich anders als Sharn, aber wahrscheinlich auch keinen Deut besser, dachte Esra bei sich.
Da fiel ihr ein einzelner Turm aus rotem Stein auf, welcher hoch über die Stadt aufragte.
„Was ist das denn?“
„Khaar Mbar’ost, der Hof von Lhesh Harcuus, dem Hobgoblinkönig“, erklärte ihr Astamalia, die sich suchend umsah. „Wir müssen jetzt irgendwie den Blutmarkt finden.“
Thalaën zuckte die Achseln und griff nach dem nächsten vorbeieilenden Hobgoblin.
Das Wesen war gut zwei Köpfe größer als der Elf und sah nicht gerade erfreut aus, über diese Art der Behandlung. Seine rechte Hand zuckte zum Gürtel, wo ein blutbefleckter Dolch hing.
„Was!?“, fauchte er Thalaën an.
„Entschuldigt, aber wir suchen den Blutmarkt.“
„Diese Richtung!“, deutete der Hobgoblin und riss sich los.
„Macht so etwas besser nicht noch einmal“, warnte ihn Astamalia. „Ich denke, die Leute hier, haben so was nicht so gerne und sie scheinen sehr schnell mit der Waffe zur Hand zu sein. Und wir können jetzt keinen Ärger gebrauchen.“
„Hm“, machte der Elf und schritt den anderen voran in Richtung Blutmarkt.
Esra schüttelte den Kopf. Manchmal wer der Elf mutiger als sie dachte; oder einfach nur dümmer, als sie es ihm zutraute.

Der Blutmarkt entpuppte sich als eine riesige, prinzipiell freie Fläche, aus festgetretener Erde, auf der sich ein Meer aus bunten Zelten befand zwischen denen hunderte Goblinoide herumhuschten. Das Schreien der Markthändler übertönte nur schwer den allgemeinen Geräuschpegel. Irgendwo in ihrer Nähe grölten mehrere Hobgoblins laut, so als würden sie jemanden anfeuern.
Bei der Flamme! Sie feuerten tatsächlich jemanden an!
Zwei Hobgoblins schienen sich in die Haare gekommen zu sein und stachen nun aufeinander ein! Sogar zwei uniformierte Wachen standen daneben und schienen den Kampf noch weiter anzufachen.
„Vielleicht fragen wir einen Händler?“, schlug Esra vor.
„Gute Idee. Aber lasst das nicht Thalaën machen“, stimmte ihr Astamalia zu und wandte sich selbst an einen der Stände.
„Entschuldigt werter Herr, könntet Ihr uns vielleicht sagen, wo wir Failin finden können?“
Der Hobgoblin sah sie abschätzend an und schielte auf ihren Geldbeutel. Seufzend zog Astamalia einen goldenen Galifar hervor und warf ihn dem Händler zu.
„Keine Ahnung“, erwiderte der dann grinsend. „Wenn es ein Ausländer sein soll, wie Ihr, könntet Ihr in der geballten Faust Glück haben.“
Die Magiern verzog das Gesicht.
„Und wo können wir die Geballte Faust finden?“
Der Händler hielt abermals seine Hand auf und zeigte grinsend seine schwarzen Zähne. Astamalia warf ihm resignierend eine weitere Goldmünze zu.
„Am anderen Ende des Marktes, kaum zu verfehlen. Und nun verschwindet, wenn Ihr nichts kaufen wollt. Ihr vertreibt mir meine Kundschaft.“

Thalaën ging den anderen voran, die Hand griffbereit an seinem Säbel. Merkwürdige Sitten herrschten hier. Weder auf Aerenal noch in Valenar hatte er je ein solches Chaos gesehen. Und auch Sharn, eine doch auch sehr chaotische Stadt, wirkte gegen das hier, wie eine genau geplante Struktur. Auf dem Blutmarkt gab es keine Straßen, keine festen Wege. Mehr als einmal mussten sie umkehren, weil sie zwischen den Zelten in einer Sackgasse gelandet waren. Einmal auch, weil die Straße durch eine Messerstecherei gesperrt war. Der Boden war an manchen Stellen mit Blut getränkt, so als hätte man hier ein Schwein abgestochen. Oder aber auch ein anderes humanoides Wesen. Ein Leben schien hier nicht viel zu zählen.
Nun vielleicht war das zu allgemein, überlegte Thalaën mit einem Blick auf die unbewaffneten Händler. Die Wachen schienen sehr wohl darauf bedacht zu sein, dass niemand etwas stahl oder einem der Händler etwas zu leide tat. Aber die Kunden und die Reisenden schienen ganz auf sich gestellt zu sein. Und vor allem Reisende wurden des Öfteren Ziel von Schikanen. Bis jetzt waren sie noch glimpflich davon gekommen.
Vielleicht war die Aufmachung eines Valenar Elfen, der in Begleitung eines riesigen Kriegsgeschmiedeten reiste, doch etwas wert.
„He du! Elf!“, rempelte ihn gerade in diesem Moment ein Hobgoblin an. Er stank nach billigem Bier und er hatte anscheinend Mühe noch auf den Beinen zu stehen.
„Ich möchte dir die Halb-Elfe abkaufen! Was verlangst du für sie!“
Thalaën war Astamalia einen Blick zu. Sie erwiderte ihn mit blitzen in den Augen.
„Tut mir leid, aber die Frau ist nicht zu verkaufen.“
„Dann zu mieten, für eine Nacht?“
„Auch nicht.“
Der Hobgoblin grunzte.
„Aber von der Wandlerin wirst du dich doch wohl trennen können. Sie ist nicht hübsch! Und sie scheint mir auch keine gute Haushälterin zu sein.“
„Dennoch ist auch sie nicht zu verkaufen.“
„Ihr seid ein ziemlich geiziger Elf. So etwas kann böse enden! Gebt mir den Kriegsgeschmiedeten und ich vergesse, dass Ihr so unfreundlich zu mir wart“, meinte er grinsend und zog ein rostiges Kurzschwert.
Wie auf Kommando rissen Thalaën, Adamant und Esra ihre Waffen hoch und richteten sie auf den Hobgoblin. Astamalia hatte ihre Hände erhoben, bereit einen Zauber loszulassen.
Der Hobgoblin erstarrte, rund um die Gruppe bildete sich rasch ein großer freier Kreis.
„Nur die Ruhe“, murmelte der Hobgoblin und steckte sein Schwert langsam wieder zurück. „Man wird doch wohl noch fragen dürfen. Wir sind doch alle Freunde.“
Er hob abwehrend die Hände und entfernte sich langsam rückwärtsgehend.
„Das war knapp“, bemerkte Astamalia und entspannte sch wieder etwas. „Sehr gesprächiges Volk. Und sehr ehrgeizige Händler.“
„Ich mag keine Hobgoblins“, merkte Esra an und steckte ihren Bogen zurück.

Nach diesem Zwischenfall konnte sich Esra noch weniger entspannen, als zuvor. Sie mochte ja generell keine Städte, aber diese hier war ihr besonders unangenehm. So atmete sie auch hörbar auf, als sie endlich den gesamten Blutmarkt hinter sich gelassen hatten.
„Und nun?“, fragte sie.
Die anderen sahen sich ebenfalls suchend um.
„Ich denke, ich habe es“, brummte Adamant und deutete auf ein schäbiges Gebäude, über dessen Tür ein Schild mit einer stilisierten roten Faust hing. So wie es aussah, stammte die rote Farbe von Blut.
„Ja, das scheint es zu sein“, stimmte Astamalia zu und schritt flott darauf zu.
Esra bewunderte sie dafür im Stillen etwas. Die junge Magierin schien sich rasch überall wohl zu fühlen und nie wirklich fehl am Platze zu sein. Esra hingegen fühlte sich seit sie ihren heimatlichen Wald verlassen hatte unwohl und – eben – fehl am Platz. Wann endlich würden sie die Städte hinter sich lassen und hinaus in die Welt, besser noch in die Wälder ziehen? Wenn es nach Astamalia ging, die solche Angst vor den schönen tiefen, dunklen Wäldern hatte, wahrscheinlich nie. Aber immerhin war Esra ja auch auf dieses Schiff geklettert und hatte die Reise ohne allzu große Klagen ertragen. Dann konnte die Magiern auch einen Schritt in einen Wald setzen.

***

Das Innere des Gasthauses war dunkel und verraucht. Etliche Gäste waren anwesend und so wie sie aussahen, gehörten sie bestimmt nicht zu Oberschicht, weder hier noch anderswo. Allerdings fiel schon einmal positiv auf, dass die meisten Menschen waren oder Völker aus den Fünf Nationen. Nicht ein Hobgoblin hatte sich scheinbar heute hier herein verirrt. Astamalia sollte das nur recht sein. Ihre Freude an Begegnungen mit diesen barbarischen Wilden war für das erste erschöpft.
„Und woher wollen wir jetzt wissen, bei wem es sich um Failin handelt?“, fragte Thalaën und ließ seinen Blick über die Tische schleifen. „Wir können schlecht jeden fragen.“
„Es sollte reichen, wenn wir einen fragen“, erwiderte Astamalia. „Dame Elaydren hat uns auf ihn verwiesen. Also nehme ich an, dass er hier auch bekannt sein dürfte. Wir machen es also wieder wir auf dem Markt.“
Sie ging an die Bar, hinter der ein dicker Wirt langsam seine dreckigen Gläser polierte.
„Ich grüße Euch. Ihr könnt mir wohl nicht zufällig sagen, wo ich einen gewissen Failin finde?“
Ohne zu antworten nickte der Wirt in eine dunkle Ecke des Lokals.
Astamalia bedankte sich und marschierte in die Richtung, in der der Wirt gedeutet hatte. Ein einzelner Mann saß hier an dem Tisch. Er schien recht schlaksig zu sein, mit einem Schopf ungekämmter roter Haare und hellblauen Augen, die tief in den eingesunkenen Höhlen lagen. Seine Haut war wettergegerbt und hob sich stark von den sauberen, gut gefertigten Kleidern ab, mit denen er so gar nicht nach Rukaan Draal passen wollte.
Er musterte ihr Quartett, sagte jedoch nichts. Auch nicht, als sie direkt vor seinem Tisch zum stehen kamen.
„Seid Ihr Failin?“, fragte Astamalia und der Mann nickte. Sprach aber immer noch nichts.
„Dame Elaydren schickt uns zu Euch. Sie sagte, Ihr hättet die Möglichkeit uns nach Rotbruch zu bringen.“
„Rotbruch? Weit weg. Grenznah. Beim Aschgrauen Nebel. Bergbaustadt. Kann ich machen. Ja. Wird was Kosten. Sechzig Gold. Jeder. Vierzig vorab. Habt ihr Vorräte?“, sprudelte es aus ihm heraus.
„Etwas teuer oder?“, erkundigte sich Esra.
„Gefährlich. Darum teuer. Vorräte?“
„Ja, haben wir“, übernahm Astamalia wieder. Anscheinend war Failin kein sehr gesprächiger Typ.
„Gut. Flagge?“
Astamalia runzelte die Stirn.
„Flagge?“
Sie sah die anderen drei an, aber die wirkten genauso verwirrt wie sie selbst.
„Passageflagge. Schützt vor Angriffen. Meistens. Einen Monat gültig. Brauchen wir unbedingt. Ihr bezahlt.“
„Gut, und wo bekommen wir sie?“
„In Khaar Mbar’ost.“
„Gut. Dann brechen wir auf.“
„40 vorab.“
Astamalia seufzte. Diese Leute hier waren alle die reinsten Halsabschneider. Und dieser Failin war kein Stück besser als die Hobgoblins. Mürrisch gaben sie ihm das versprochene Gold, das er sogleich gekonnt in seinen Taschen verschwinden ließ.
„Los, los.“
Er trank aus und eilte voran. Astamalia konnte über dieses merkwürdige Verhalten nur den Kopf schütteln.

***

Adamant stapfte den anderen schweigend hinterher und versuchte dabei so viel wie möglich von der Stadt in sich aufzunehmen. Auch wenn es anscheinend der reinste Sündenpfuhl war, so war es doch die erste Stadt, mit Ausnahme von Sharn, die er kennen lernte. Und sie war so viel anders als die Stadt der Türme! Doch als Kleriker der Flamme würde er hier nicht glücklich werden, dass sah er schon.
Failin führte sie von den großen Straßen weg, durch irgendwelche Seitengassen, durch die sie, seinen Worten zufolge, rascher voran kommen würden.
Gerade gingen sie durch eine enge Gasse, die zu beiden Seiten von hohen Lehmbauten flankiert wurde, als zwei riesige Grottenschrate die Gasse blockierten. Sie schwangen bedrohlich ihre Streitkolben.
„Failin, du elender Betrüger!“, knurrte einer der beiden bedrohlich und schritt auf ihn zu. Failin erbleichte bis auf den Haaransatz, sah sich kurz angsterfüllt um, und war mit einem Mal verschwunden.
Überrascht blinzelte Adamant. Auch die Grottenschrate wirkten reichlich überrascht, jedoch nicht lange.
„Dann werdet ihr eben für diesen Betrüger bezahlen!“, fauchten sie.
Thalaën zog sein Schwert, doch Astamalia schüttelte den Kopf.
„Failin hat uns doch ebenso betrogen wie euch. Wir haben ihn vorher gerade in der Geballten Faust aufgespürt und haben ihn gezwungen, dass er uns unser Geld wieder gibt. Wir waren gerade zu seinem Versteck unterwegs, wo er seine Schulden begleichen sollte. Wir könnten ihn doch jetzt gemeinsam suchen!“
Adamant war verwirrt. Hatte er irgendetwas nicht mitbekommen? Failin hatte sie doch gar nicht betrogen, oder etwa doch? Oder war es gar möglich, dass Astamalia die beiden Fremden einfach frech anlog.
„Das ist richtig. Gemeinsam haben wir mehr Chancen, diesen frechen Kerl zu erwischen“, wurde Astamalia von Esra unterstützt.
Die Grottenschrate sahen sich fragend an und nickten dann.
„Einverstanden. Lasst ihn uns suchen, er kann nicht weit sein.“
Sie wandten sich ohne Scheu um und gingen der Gruppe voraus. Jedoch nicht lange. Thalaën zückte sein Schwert und rammte es dem ersten von hinten in den Rücken. Röchelnd brach der Schrat zusammen.
Esra feuerte zischend einen Pfeil an Adamants Kopf vorbei und Astamalia brannte ihm noch ein magisches Geschoss auf den Pelz. Der Kampf war so schnell vorbei, wie er begonnen hatte.
„Was habt ihr getan? Ihr habt sie von hinten ermordet!“, fuhr Adamant auf.
„Besser so, als umgekehrt“, stellte Thalaën klar und säuberte seine Waffe am Gewand des Toten. „Diese beiden Kerle hätten uns ernsthaft gefährlich werden können. Und wahrscheinlich hätten sie uns ebenfalls bei der erstbesten Gelegenheit angefallen. Vergiss keine Träne wegen denen, Adamant.“
„Ich kann nicht weinen…“, versuchte der Kriegsgeschmiedete klar zu stellen, als Failin aus der nächsten Seitengasse hervorblicke.
„Los, weiter. Sind spät dran“, drängte er zur weiteren Eile, ohne nur ein Wort darüber zu verlieren, dass ihm die vier gerade das Leben gerettet hatten.

***

Die Passagefahnen zu holen dauerte fast den gesamten restlichen Tag. Anscheinend waren sie sehr begehrt, denn sie mussten lange anstehen um bis an den Schalter zu kommen, am dem sie verkauft wurden. Und dann hatte der Hobgoblin auch noch die Frechheit zu fragen, wohin es ginge, was sie dort wollten und noch vieles mehr. Einige Fragen hatten sie nur ausweichend beantworten können. Als sie dann endlich wieder den Turm verlassen hatten, hatte sie Adamant darauf hingewiesen, dass das Monat sich bereits seinem Ende neigte, und es knapp werden könnte, mit nur einer Fahne. Daher hatten sie sich noch einmal angestellt und eine zweite für das Folgemonat erstanden.
Es dämmerte bereits, als sie sich endlich auf den Weg machten.
Failin führte sie zu einem großen Felsen am Stadtrand. Dort rollte er seinen Ärmel auf, auf dem er ein Drachenmal offenbarte, was Astamalia gelinde überraschte. Aber sie konnte es nur kurz sehen und deswegen nicht zuordnen.
Mit dem Mal berührte Failin den Felsen und flüsterte dabei etwas, jedoch so leise, dass Astamalia es leider nicht verstehen konnte. Danach trat er einen Schritt zurück, der Stein begann zu rumpeln und ein seltsam aussehender Wagen fuhr aus dem Stein heraus. Das Heck des vierrädrigen Vehikels war mit einer einfachen Leinenplane geschlossen, während der Kutschbock frei war. Der Wagen schien aus Holz gefertigt zu sein, aber ein sich ständig wandelndes Muster aus Stein, Edelsteine und Kristallen wuchs aus dem Holzrahmen heraus.
„Mein Wagen“, erklärte Failin nicht ohne Stolz. „Elementarantrieb. Rein. Weiter Weg. Fahren noch heute los.“
Obwohl es bereits fast stockdunkel war, steuerte Failin seinen Wagen noch auf die Ebene hinaus, die sich rund um die Hauptstadt bis zum Horizont erstreckte. Das ging jedoch nicht so leise von statten, wie Astamalia sich das wünschte. Das gebundene Erdelementar grollte und rumpelte, als ob Eberron selbst aus seinem Schlaf erwacht wäre. Dafür jedoch fuhr der Wagen so ruhig wie eine Blitzbahn, was Astamalia doch erstaunte.
Ein Blick auf die Reifen, klärte jedoch alles. Die Räder versanken teilweise im Boden und ließen den Wagen voran gleiten, ohne dass er von Geröll oder anderen natürlichen Hindernissen beeinflusst wurde.
Praktisch, dachte Astamalia bei sich.
Lange nach Anbruch der Nacht hielt Failin den Wagen irgendwo mitten auf der Ebene.
„Ihr im Wagen. Ich im Zelt“, stellte er klar und befahl seinem magischen Zelt sich selbst aufzubauen.

***

Der nächste Tag war trocken und heiß. Die Sonne brannte vom azurblauen Himmel und die Fahrt über die immer gleich aussehende Ebene wurde rasch eintönig.
„Wie lange brauchen wir eigentlich nach Rotbruch?“, fragte Thalaën, den diese Gegend an Valenar erinnerte,
„Noch 3 Tage.“
„Hm. Und diese Flagge schützt uns vor Übergriffen?“, fragte der Elf weiter und deutete auf das bunte Banner, dass an einer Stange über dem Wagen flatterte.
„Meistens. Viele Hobgoblins Respekt vor König. Manche nicht. Besser Fahne als keine.“
Thalaën fand die Art und Weise, in der Failin sprach, etwas anstrengend.
„Wisst ihr etwas über einen Ort der Weißschmiede heißt?“
„Nein.“
„Soll eine Schmiede des Hauses Cannith sein.“
„Keine Ahnung.“
„Woher kennt Ihr eigentlich Elaydren?“
Thalaën versucht einiges um Failin aus der Reserve zu locken.
„Alte Freundin. Aus alten Zeiten.“
„Vielleicht etwas genauer?“
Doch darauf bekam er keine Antwort mehr.
Der Vormittag ging ereignislos dahin, das Mittagessen nahmen sie während der Fahrt ein. Sie wechselten sich regelmäßig damit ab, wer neben Failin auf dem Kutschbock saß. Denn das bedeuteten Stunden des Schweigens.
Am Nachmittag hatte Esra die ehrenvolle Aufgabe über und ließ ihren Blick über das weite Land schweifen. Abermals vermisste sie ihren Wald. Sie hatte gar nicht gewusst, dass es so eintönig sein konnte, außerhalb einer Stadt zu sein. Aber sie hatte auch noch nie in ihrem Leben eine so große Ebene gesehen, auf der man das Gefühl hatte, sich nicht im geringsten von der Stelle zu rühren.
Sie blinzelte und stand auf.
„Ich glaube, ich sehe etwas. Mehrere Personen kreuzen unseren Weg.“
Failin sah sie an, dann die Fahne, die immer noch im Wind flatterte, zuckte mit den Schultern und fuhr unbeirrt weiter. So näherten sie sich rasch den vier Gestalten, die zu Fuß durch die Ebene wanderten. Von weitem winkten sie schon und Failin hielt auf sie zu, um den Wagen dann neben den vier Hobgoblins zum Halten zu bringen.
Esra musterte die vier interessiert. Sie wirkten abgemagert und Wunden und Narben überdeckten ihre Körper. Die Kleidung war zerrissen, das Schuhwerk in einem schlechten Zustand.
„Wie gut tut es doch, nach so langer Zeit wieder einmal lebende Gesellen zu erblicken“, schien der Anführer der Gruppe erfreut. „Mein Name ist Raahn. Wohin seid ihr den Unterwegs?“
„Klageland“, antwortete Failin wie üblich einsilbig.
Raahn schüttelte den Kopf.
„Gefährliche Gegend. Von einem Besuch da kann ich nur abraten.“
Failin zuckte die Schultern.
„Deren Problem“, meinte er mit einem Seitenblick auf Esra. „Bin nur Fahrer.“
„Ah, dann gehört Euch dieses vortreffliche Gefährt. Wisst Ihr, meine Freunde und ich sind zu Fuß aus dem Klageland gekommen und etwas müde. Was haltet Ihr davon, wenn Ihr uns Euren Wagen gebt, damit wir schneller vorankommen.“
Plötzlich hatten drei der Hobgoblins Krummsäbel in der Hand, der vierte einen Zauberstab.
Failin ächzte und war mit einem leisen Plopp verschwunden.
Esra zückte nach ihrem Bogen, wurde in diesem Moment aber bereits von einem magischen Geschoss getroffen und nach hinten geschleudert. Mit verschwommenen Blick sah sie Adamant und Thalaën bewaffnet aus dem Wagen springen und sich auf die Hobgoblins stürzen. Aus dem Wagen traf ein magisches Geschoss den Zauberwirker der Hobgoblins.
Esra rappelte sich wieder auf, griff ihren verlorenen Bogen und begann in das Getümmel zu feuern, was gar nicht so leicht war, wollte sie nicht aus versehen einen ihrer Freunde treffen.
Einer der Kämpfer ging unter dem Schlaghagel und mit zwei Pfeilen im Körper zu Boden, der zweite folgte dicht auf. Der Zauberer der Hobgoblins und Astamalia lieferten sich ein Flammensprühendes, Strahlenschleuderndes Gefecht, welches zugunsten der Halb-Elfe ausging.
Thalaën brachte den aus zig Wunden blutenden Raahn mit einem gekonnten Schlag zu Fall.
„Ergib dich, oder ich töte dich!“, fuhr er den Hobgoblin an. Der grinste aber nur und spuckte Blut.
„Ich komme aus dem Klageland, Elf. Ich bin doch schon so gut wie Tod! Und ihr seid es auch!“, hustete er und schloss die Augen.
„Nette Abschiedsworte“, kommentierte Astamalia und kroch aus dem Wagen um sich die Leiche ihres Gegners anzusehen. Sie fand einen Zauberstab, sowie mehrere Schriftrollen und ein Fläschchen mit heilender Flüssigkeit.
„Los. Genug Zeit verloren“, drängte Failin weiter zur Eile.
Rasch durchsuchten die anderen drei die Toten nach verwertbarem und dann ließen sie den Schauplatz dieses Intermezzos hinter sich. Adamant kümmerte sich um die Wunden, während Astamalia die unbekannten Schriftrollen inspizierte. Um den Zauberstab würde sie sich später kümmern.

***

„Sagt, Failin. Wisst Ihr eigentlich etwas über das Klageland? Ich habe bereits viel darüber gehört, aber das meiste klang mehr nach aufreißerischen Geschichten, denn nach wahren Begebenheiten“, erkundigt sic Astamalia am nächsten Tag bei ihrem Führer.
„Klageland. Tod. Verdorben. Verunstaltete Tiere. Mächtige Magie. Lebendige Magie. Wenige kehren zurück. Niemand weiß genaues.“
„Lebende Magie?“, zweifelte Astamalia
„Lebende Magie. Arkane Energie mit Körper. Schlimmes muss am Tag der Klage passiert sein.“
Failin fiel in ein dumpfes Brüten und Astamalia wagte es nicht ihn wieder herauszureißen. Es war das erste Mal, seit sie ihm begegnet war, dass er so abweisend war.

Adamant hatte sich in der Bibliothek von Bonal Geldem mit reichlichen Büchern eingedeckt, von denen er während der Fahrt zur Genüge gebrauch machte. Er hatte so viel über die Welt zu lernen. Er hatte ja gedacht, dass ihm Nerina im Tempel viel gelehrt hatte, aber jetzt musste er feststellen, dass das alles nur ein Bruchteil dessen gewesen war, was er lernen wollte. Selbst über den Glauben, dem er angehörte, und den zu verteidigen und zu ehren er geschworen hatte, wusste er bei weitem nicht alles. Das überraschte ihn doch etwas. Er hatte gewusst, wie der Glaube der Flamme entstanden war, worauf er beruhte, dass er eigentlich die Flamme Siberys war, welche in der Flammenfeste strahlte. Er hatte auch von den dunklen Zeiten gehört: Der Verfolgung der Lykantropen. Jedoch war ihm die Theorie, dass solche nicht umstrittenen Taten auf die Stimme des Dämons in der Flamme zurückzuführen seien, neu. Und er fand sie auch erschütternd. Konnte es tatsächlich sein, das ein Dämon immer wieder versuchte die Geschicke der Flamme zu leiten? Warum sollte die Hüterin, die Kirche, das zulassen?
„Seht!“, hörte er da Thalaëns Stimme vom Kutschbock. Interessiert sah er an dem Elf vorbei in Fahrtrichtung. Eine riesige Wand aus Nebel erstreckte sich im Osten. Ein unheimlicher, dunkler Nebel, der aussah, wie eine Wand aus Asche.
„Bei der Flamme! Ist das die Grenze zum Klageland?“
„Ja. Aschgraue Nebel. Alte Grenze von Cyre. Heute: Klageland. Heute Abend Rotbruch.“
Adamant meine ein Zittern in der Stimme ihres Führers auszumachen. Die Wand schien ihn zu beunruhigen. Nun, es schien jeden zu beunruhigen. Mit Ausnahme von Thalaën, der der Wand unerschrocken entgegen sah.
„Die Flamme wird über uns wachen, Failin.“
Der Blick den er dafür bekam sollte wohl soviel bedeuten wie: Du glaubst das wirklich, oder?
Doch Adamant beschloss, sich jetzt nicht auf eine theologische Diskussion einzulassen, bei der er – davon war er überzeugt – letzten Endes doch ohnehin nur gewinnen konnte. Er zog es vor in das Wageninneren zurückzukehren und seine Sachen zu packen.
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 21. Januar 2008, 20:15:20
Klauen, Zombies und Vampire

Es war fast Dunkel, als Failin den Wagen auf einer kleinen Anhöhe stoppte. Unter ihnen erstreckte sich das Dorf, oder besser gesagt, die Überreste eines Dorfes, über ein Plateau, welches im Westen durch eine tiefe Schlucht begrenzt war.
„Was ist denn hier geschehen?“, keucht Astamalia.
„Nicht gewusst? Rotbruch zerstört. Seit Tag der Klage“, war Failin ehrlich erstaunt.
„Nein. Wir dachten eigentlich, hier eine wirkliche Stadt vorzufinden. Aber nicht nur die Ruinen einer solchen.“
Alles was in dem Ort aus Holz gefertigt gewesen war, schien zu Asche und Kohle verbrannt zu sein und von den Häusern waren nur die Steinfundamente, Mauerreste und Schornsteine zurückgeblieben. Obwohl es selbst jetzt am Abend noch sehr warm war, schien das Dorf von einer Eisschicht bedeckt zu sein, die im Licht der aufgehenden Monde glänzte.
„Da seht! Eine Lichtquelle!“, rief Esra und deutete auf ein kleines Lager am Südende des Dorfes, unweit dem Fußes des Hügels, auf dem sie standen.
Rund um das Feuer standen vier große Zelte zwischen denen sich Gestalten hin und her bewegten. Esra kauerte sich hin und verengte die Augen zu schmalen Schlitzen.
„Ich kann von hier aus nicht mehr erkennen. Soll ich mich an sie heranschleichen?“
„Traust du dir das zu?“, erkundigte sich Astamalia. „Wenn es Feinde sind, können wir eine Entdeckung nicht gut gebrauchen.“
„Ich schaffe das schon“, erklärte die Wandlerin selbstsicher, entledigte sich ihres Rucksackes und huschte nur mit Pfeil und Bogen bewaffnet den Hügel hinab.
Endlich fühlte sich Esra wieder wohl. Das war fast, wie in alten Zeiten im Wald von Grünherz. Nur stand heute kein Hirsch auf dem Plan, sondern eben das Lager von unbekannten Fremden.
Geschickt nutzte sie die vorhandenen Mauerreste aus, blieb immer wieder stehen und lauschte und spähte in die dämmrige Dunkelheit. Ein stetiges Geräusch von Eisen auf Stein oder Eis war von irgendwo aus dem Dorf zu hören. Es klang ziemlich beunruhigend…
Endlich hatte sie es geschafft und spähte über den Rand einer Mauer in das nahe Lager. Hinter den Zelten konnte sie nun zwei Planwagen erkennen. Sechzehn Pferde standen ebenfalls herum. Sieben Gestalten saßen rund um das große Feuer und so wie sich das Feuer in ihnen spiegelte schienen sie Helme und Kettenhemden oder eine  andere metallische Rüstung zu tragen. Esra ließ ihren Blick weiter wandern und keuchte erschrocken auf. Im Schatten hinter einem der Zelte sah sie vier Skelette, mit Sensen bewaffnet.
Rasch machte sie sich wieder auf den Rückzug.
„Was hast du gesehen?“, erkundigte sich Thalaën, kaum dass sie wieder aus den Schatten aufgetaucht war.
Rasch beschrieb sie die Stärke der Truppe, sowie die Skelette.
„Skelette!“, fuhren der Elf und der Kriegsgeschmiedete auf.
„Lasst sie uns töten!“, rief Adamant und zog sein Langschwert.
„Hast du irgendwelche Wappen gesehen? Können wir sie einer Organisation zuordnen?“, fragte Astamalia.
Esra dachte rasch nach.
„Ja. Ich habe einen Wappenrock gesehen, au dem eine grüne Hand oder eine Klaue abgebildet war.“
„Der Ordern der Smaragdklaue!“, stieß Adamant hervor. „Wir sollten hinab gehen und sie töten! Es sind Untotenanbeter! Nekromanten! Mörder und Terroristen!“
Thalaën stimmte dem Kleriker mit heftigem Kopfnicken zu.
„Ich kann ja verstehen, dass ihr beide einen Hass auf diese Leute habt. Sie sind das Gegenteil von dem, was ihr für Gut anseht. Aber bedenkt ihre Stärke! Niemand hat etwas davon, wenn ihr beide hier in Rotbruch sterbt. Weder die Ahnen von dir, Thalaën, noch deine Kirche, Adamant. Zudem wissen wir nicht, wie viele von ihnen sich noch im Dorf aufhalten. Wir könnten überrascht werden. Und ich denke nicht, dass die Dame Elaydren so rasch einen Rettungstrupp nach uns schicken würde. Nicht nach den Problemen, in denen sie selbst zu stecken scheint“, redete Astamalia auf sie ein.
Die beiden Frauen blickten die Männer an.
„Wir töten sie ein andermal“, schlug Esra vor.
Thalaën seufzte und blickte zwischen seinem gezückten Säbel und dem Lagerfeuer hin und her.
„Ich fürchte mich nicht vor dem Tod. Aber du hast Recht, Astamalia. In diesem Moment wäre es nicht besonders klug, dort hinabzustürmen. Außerdem ist ein sinnloser Tod auch kein ehrenvoller.“
„Dennoch muss ich als Kleriker der Flamme das Böse immer und überall bekämpfen!“, schaltete Adamant auf stur.
„Aber denkst du denn, dass du das Böse bekämpfst, indem du jetzt nach unten läufst und dich töten lässt? Und genau das werden sie tun. Du hast kaum eine Chance gegen diese Leute und kannst höchstens darauf hoffen, einen von ihnen mitzunehmen“, mischte sich nun auch Esra ein.
„Und dann würde er als Untoter wiedererweckt werden“, brummte Adamant und steckte seins Schwert zurück in die Scheide. Ich sehe ein, dass es keinen Zweck hat. Aber alles in mir schreit danach, diesen Untotenverehrern die Kehle durchzuschneiden.“
Astamalia überhörte die letzte Bemerkung.
„Gut. Irgendwo in den Überresten des Dorfes liegt der Schlüssel für die Weißschmiede. Wir müssen ihn irgendwie finden. Am besten ohne dabei den Orden auf uns aufmerksam zu machen. Daher werden wir uns am besten am Lager vorbei schleichen. Failin: Wartest Ihr hier?“
„Ja. Aber wenn Gefahr droht bin ich weg.“
„Wir werden vor Sonnenaufgang wieder zurück sein.“

***

Sich zu viert unbemerkt am Lager vorbei zu schleichen war alles andere als einfach. Esra war zwar ein Blatt im Wind und praktisch nicht zu hören oder zu sehen, aber sowohl Thalaën in seiner Rüstung als auch der schwer gebaute Adamant taten sich mit der Heimlichkeit etwas schwer. Zudem schien Adamant immer noch nicht ganz davon überzeugt zu sein, dass sie das Lager umgehen und nicht angreifen sollten.
Astamalia schlug sich den Umständen entsprechend gut. Dennoch hatte Esra das Gefühl mit drei dicken, laut grunzenden Wildschweinen auf der Pirsch zu sein.
„Seht mal“, flüsterte Esra und deutete auf die schimmernde Oberfläche, die fast das gesamte Dorf bedeckte. „Das ist gar kein Eis. Das ist Glas!“
„Wer sollte ein Dorf mit Glas überziehen?“, war Thalaën verwirrt.
„Ich denke nicht, dass es Absicht war, mein lieber Elf“, flüsterte Astamalia. „Rotbruch liegt nahe der Grenze zum Klageland. Vielleicht war es irgendeine Auswirkung des Tages der Klage, der das hier gemacht hat. Aber deswegen sind wir nicht hier. Wir können in Sharn weiter darüber debattieren. Jetzt sollten wir uns beeilen.“
Sie huschten weiter durch die Ruinen, am Lager vorbei. Plötzlich hob Adamant seine Hand und zwang sie zum stehen bleiben. Leise zog er sein Schwert aus der Scheide.
„Was ist los?“
„Zombies!“, freute sich der Kriegsgeschmiedete und deutete auf die mondbeschienene Fläche vor ihnen. Zwei zwergische Zombies schlurften durch die Ruinen. Auch sie schienen mit einer Schicht aus Glas bedeckt zu sein.
„Töten wir sie!“
Er stürmte vor und auf die Zombies zu. Die anderen hatten keine andere Wahl, als ihm zu helfen. Zumindest unterließ es der Kriegsgeschmiedete einen Kriegsschrei für die Flamme auszustoßen.
Thalaën überholte den schwerfälligen Kleriker und holte zum Schlag aus. Jedoch hatte er die rutschige Oberfläche aus Glas vergessen und fiel hart hin. Adamant brachte dafür einen harten Schlag an. Als sich die beiden Zombies zu wehren begannen schlugen sie nur dumpf auf den harten Adamantitkörper des Kriegsgeschmiedeten ein. Es war nicht wirklich ein Kampf. Mehr ein Gemetzel. Auch wenn sich die meisten ihrer Waffen gegen die Zombie als nicht sonderlich effektiv erwiesen. Zuerst war da ihre schützende Schicht aus Glas, die jedoch bald zersprang. Dann ihr modriges, zerfressenes Fleisch, durch welches die Schwerter und Pfeile ohne großen Schaden hindurch gingen.
Außerdem schienen die Zombies keine Probleme mit dem balancieren auf dem schlüpfrigen Glas zu haben. Ganz im Gegensatz zu Thalaën, der öfter mit aufstehen und hinfallen beschäftigt war, als mit kämpfen.
Mit einem erleichterten Seufzen brachte Adamant den zweiten Zombie zu Fall.
„Macht so etwas nie wieder“, fuhr Astamalia Adamant zischend an. „Die Zombies hätten Alarm schlagen können! Und was hätten wir dann gemacht? Wir hätten den Ort ohne Schlüssel verlassen müssen.“
„Psst! Hört ihr das auch!“, brachte Esra sie zum schweigen. Sie vernahm wieder dieses unheimliche Klopfen. Und jetzt war es nicht weit von hier. Neugierig blickte die Wandlerin über einige Mauerreste. Vor ihr, im Mondlicht, lag ein Totenacker. Auf ihm standen zwei der zwergischen Zombies, mit Spitzhaken bewaffnet. Sie schienen gerade dabei zu sein, die Gräber auszuheben.
„Lasst sie uns vernichten“, grollte Adamant und griff nach seinem Schwert.
„Nein“, befahl Astamalia mit eisiger Stimme. „Zombies sind dumm. Wenn sie den Befehl haben hier zu graben, werden sie auch nichts anderes tun. Wir sollten sie einfach ignorieren.“
Adamant sah aus, als hätte sie eben die Absage für das Jahresfest der Flamme verkündet. Astamalia auf der anderen Seite wirkte, als würde sie nicht mit sich verhandeln lassen. Langsam umrundete sie die Mauer und ging am Friedhof vorbei, ohne die Zombies dabei auch nur einmal aus den Augen zu lassen. Wie die Magierin angekündigt hatte, taten sie weiterhin so, als ob die vier Abenteurer nicht hier wären.
Astamalia warf den anderen einen „Ich hab es euch doch gesagt“-Blick zu und sie setzten die Erkundung des Dorfes fort.

***

Mehrere Stunden und einige Begegnungen mit Glaszombies, die Adamant und Thalaën trotz allem vernichtet hatten, später, standen sie vor den beiden einzigen noch halbwegs intakt aussehenden Gebäuden des Dorfes.
Das eine war der Tempel, an dessen Rückseite sie bereits den Friedhof gefunden hatten und das andere – dem Tempel gegenüber – schien ein Gebäude des Hauses Cannith zu sein. Zumindest war das Symbol von Amboss und Gorgone in den Torbogen des aus rotem Marmor gebauten Hauses eingelassen. Aus dem Inneren dieser Niederlassung des Hauses schimmerte zudem flackerndes Licht.
„Und nun?“, fragte Esra.
„Zuerst den Tempel“, schlug Adamant vor. „Vielleicht finden wir darin etwas Brauchbares.“
Esra konnte sich zwar nicht vorstellen, dass in dem baufälligen Gebäude noch etwas wertvolles sein sollte, aber sie wollte nicht den Spielverderber für den Kriegsgeschmiedeten spielen. Und Astamalia schien auch nichts dagegen zu haben.
„Das sind Symbole der Göttlichen Heerschar“, erklärte der Kleriker die Zeichen über der Tür. „Der Tempel scheint also keinem bestimmten Gott gewidmet gewesen zu sein.“
Damit trat er ins Innere. Das Dach war eingebrochen und Mondlicht fiel auf die Trümmer der Decke, die fast den gesamten Boden bedeckten. Gegenüber dem Eingang waren die Überreste eines Altars zu sehen. Thalaën kniete sich davor hin und entfernte vorsichtig einige Dachziegel.
„Ich habe zwar keine Ahnung, was genau das ist. Aber es sieht wertvoll aus“, verkündete er und zog einen goldenen Kelch hervor. „Jemand eine Idee?“
Astamalia legte ihre Hand darauf und murmelt einen kurzen Zauberspruch.
„Keine Ahnung. Aber auf jeden Fall ist er magisch. Wenn ich Zeit habe, dann werde ich ihn identifizieren. Aber nicht jetzt. War das alles?“
Die anderen sahen sich noch rasch im Innern des Tempels um. Aber anscheinend war der Kelch wirklich das einzige noch vorhandene Relikt gewesen.
„Dann sehen wir mal nach, was uns in dieser Niederlassung erwartet.“

Das Gebäude von Haus Cannith besaß stabile Wände. Doch die oberen Stockwerke, das Dach, sowie sämtliche Türen waren zerstört und zu Asche verbrannt.
Leise schlichen sie in das Innere, Thalaën voran.
Eine Tür links, eine rechts.
Kurz hineingesehen. Nur Schutt.
Weiter.
Eine Tür, große Halle.
Rasch machte er sich einen Überblick über seine Gegner. Ein Zombie, die Arme voller Schutt, eine wütend aussehende Frau, ein eingeschüchterter aussehender junger Soldat der Smaragdklaue.
Enorme Blöcke aus rotem Marmor lagen herum. Einige große Feuerstellen in der Mitte und an den Nord-, Süd und Westwänden, jede in einer anderen Sorte Stein errichtet. Neben jeder Feuerstelle zwei Statuen. Auf dem Boden, unter dem Schutt, eine Karte von Zentral-Khorvaire.
„Wer seid Ihr denn!“, fuhr ihn die Frau an und zückte ihr Langschwert. „Tötet ihn!“
Der Zombie ließ polternd die Trümmer fallen und stapfte träge auf ihn zu. Der Soldat griff nach seiner Armbrust und feuerte einen viel zu hektischen Schuss auf den Elfen ab. Irgendwo links von ihm, prallte der Bolzen von der Wand ab.
Dafür stürzte sich Thalaën auf die Frau, prügelte so schnell um mit soviel Kraft wie er konnte auf sie ein. Erschrocken, ob des Ansturms, wich sie zurück und gab damit den Eingang frei für Thalaëns Freunde.
„Hilfe!“, schrie sie, so laut sie konnte und versuchte einige ernsthafte Schläge zu landen. Doch bis auf einige nicht sehr tiefe Fleischwunden, gelang ihr kein Treffer. „Helft mir doch!“, kreischte sie.
„Helft mir…!“
Der Rest ging in einem Gurgeln unter, als ihr Thalaën mit seinem Säbel die Kehle aufschlitzte.
Schwer atmend sah er sich um. Die anderen Feinde waren ebenfalls bezwungen und Astamalia stand bereits mitten auf der Karte.

Wenn Thalaën in seinen Blutrausch fiel,  bekam sie manchmal Angst vor ihm. Man sollte wirklich aufpassen, was man zu ihm sagte, beschloss sich Astamalia in Erinnerung zu behalten. Sie schüttelte ihren Schauer ab und besah sich die Karte genauer. Es waren die Grenzen der alten Fünf Nationen eingezeichnet – Aundair, Cyre, Karrnath, Thrane und Breland –, weiters alle bedeutenden Städte, topographischen Merkmale und auch größere Minen. Jedoch fand sich zu keinem der filigran eingemeißelten Symbole ein Name oder ein Text.
„Seltsam…“, murmelte sie.
Adamant betrachtete die Statuen, in ihren verschiedenen Farben und schritt schließlich auf einen Drachen aus rotem Stein zu, begann ihn zu untersuchen.
„Hier steht etwas!“, rief er aus. „Weißschmiede, weißes Siegel, NO 9. Was immer das auch heißen soll.“
Alle sahen sich recht ratlos an.
Thalaën schritt nacheinander die anderen Statuen ab und fand auf jeder an der Rückseite einen ähnlichen Text eingraviert:
„Tallis, schwarzes Siegel, O 4. Cabblenhalle, rotes Siegel, SW 15. Schwarzschmiede, schwarzes Siegel, SO 12…“, las er nacheinander vor.
„Gibt es vielleicht ein Raster?“, überlegte Astamalia laut und räumte an den Seiten den Schutt weg. „Es gibt Karten, auf denen so etwas Brauch ist.“ Sie sah sich den Rand der Karte an und schüttelte den Kopf. „Fehlanzeige.“
Esra kratzte sich an den Kotletten.
„Es muss etwas mit den Siegeln zu tun haben…“, schlussfolgerte sie und ging einmal den Rand der Halle ab. Tatsächlich fand sie vor einer der Feuerstellen, an einer freien Stelle, eine in rot eingelassene runde Marmorplatte. Rasch legte sie dann bei den anderen Feuerstellen ebenfalls zwei Siegel frei.
„Und nun?“, fragte Thalaën.
„Ganz einfach“, grinste ihn die Waldläuferin an. Stellte sich auf das weiße Siegel und marschierte neun Schritte Richtung Nordosten. Fast genau zu ihren Füßen fand sie das Symbol für eine Miene.
„Na toll“, stellte Esra fest. „Mitten im Klageland.“
„Etwa 40 Kilometer vom Aschgrauen Nebel entfernt. Wahrscheinlich etwas mehr“, versuchte Astamalia die Entfernung abzuschätzen.
„Na dann los!“, versuchte Thalaën den Unternehmungsgeist in ihnen zu wecken.
„Warte. Ich möchte vorher noch die Standorte der anderen Einrichtungen abzeichnen. Vielleicht können wir sie noch gebrauchen.“

***

Adamant war guter Stimmung, trotzdem er das Lager des Ordens der Smaragdklaue nicht hatte attackieren dürfen. Immerhin hatten sie es geschafft, den Standort der Weißschmiede zu finden, was dem Orden anscheinend nicht gelungen war. Das war zumindest eine kleine Entschädigung für das Dahinmeucheln dieser Totenschänder.
Nacheinander traten sie hinaus in die Nacht. Auch die anderen schienen vom bisherigen Erfolg beflügelt zu sein.
„Wen haben wir denn da?“, erklang da plötzlich eine raue Stimme. Erschrocken fuhren Adamant und seine Freunde herum.
Ein großer, ausgezehrter Mann in einem prunkvollen Kapuzenmantel aus schwarzer Seide schälte sich aus den Schatten. Der Mann hatte leichenblasse Haut und eine grobe Narbe führte vom Rand des linken, glühend roten Auges hinter eines seiner spitzen Ohren. Als er die Gruppe anlächelte entblößte er rasiermesserscharfe Fangzähne.
„Ihr scheint das Rätsel gelöst zu haben. Es wird mir eine Freude sein, es euren toten Körpern zu entreißen.“
„Niemals!“, rief Adamant und kanalisierte seine Kräfte um Untote zu vertreiben. Ein Pfeil von Esra rauschte an ihm vorbei, traf jedoch nicht den Vampir.
„Zu mir meine Krieger!“, dröhnte seine Stimme über das ruhige Dorf. „Zu mir! Kommt und seht, wie ich das Blut der Eindringlinge koste!“
Der Vampir verschwand hinter einer Nebelwand.
„Und nun?“, stöhnte Adamant und sah sich nach seinen Freunden um. Astamalia überlegte nicht zweimal. So schnell es der glatte Boden zuließ rannte sie durch die Ruinen davon, Esra ihr dicht auf den Fersen. Thalaën knurrte verbissen etwas unfreundliches auf elfisch und schloss sich den beiden Frauen an.
Adamant seufzte, erkannte die Ausweglosigkeit der Situation und folgte ihnen.
Im Dorf flammten nacheinander Lichter auf, Soldaten schwärmten aus, die versuchten ihrer Spur zu folgen.

***

In weitem Bogen umgingen sie die Stadt. Esra versuchte möglichst keine Spuren zu hinterlassen, ließ es dann jedoch bleiben, als sie die Fußabdrücke von Adamant im Boden sah. Weit nach Mitternacht erreichten sie wieder den Hügel, auf dem Failin mit seinem Wagen wartete.
„Viel Aufruhr“, stellte er fest.
Tatsächlich war das Dorf hell erleuchtet von Fackeln. Überall waren Soldaten der Smaragdklaue unterwegs.
„Wir sollten uns beeilen. Kannst du uns ins Klageland bringen?“
„Nein.“
Es war ein absolutes Nein.
„Bis Aschgrauer Nebel. Kein Meter mehr.“
„Danke, das sollte uns reichen“, freute sich Astamalia.
„Los. Im Morgengrauen wir da.“
Er startete seine Wagen, dessen Lärm in der stillen Nacht bis nach Rukaan Draal zu hören sein musste und steuerte ihn in Richtung des Nebels. Währenddessen versuchten die vier im Wagen zur Ruhe zu kommen.
„Wisst ihr. Mich beschäftigt eine Frage: Was will der Orden der Smaragdklaue eigentlich hier in Rotbruch? Interessieren sie sich auch für das Schema? Wenn ja: Warum?“, erkundigte sich Esra, die als einzige atmende nicht außer Atem war – Adamant hatte diesbezüglich keine Probleme.
„Gute Frage. Scheint so, als wäre es wirklich wichtig.“
„Der Orden ist mir lieber als der Klingenfürst“, stellte Adamant klar. „Gegen den Orden zu kämpfen ist auf jeden Fall richtig, doch die Leute des Klingenfürsten sind eigentlich meine Brüder.“
„Genug gesprochen. Wir sollten versuchen einige Stunden Schlaf zu bekommen. Nach den Geschichten zu urteilen, die ich vom Klageland gehört habe, werden wir dort nur wenig Schlaf bekommen“, beendete Thalaën die Diskussion.
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 27. Januar 2008, 20:13:53
Hinter dem Nebel

Failin hatte Wort gehalten. Mit dem ersten Licht der aufgehenden Sonne hielten sie unweit der klar sichtbaren Grenzlinie zum Klageland. Die Wand aus waberndem Nebel ragte vor dem Wagen empor und schien zugleich fest als auch ständig in Bewegung zu sein.
„Danke Failin. Wirst du hier auf uns warten?“, fragte Astamalia, als sie vom Wagen stieg.
„Nicht hier. Rotbruch. Zwei Wochen. Nicht einen Tag mehr. Viel Glück.“
Mit diesen Worten wendete er den Wagen und fuhr in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren.
„Wir hätten ihn fragen sollen, was genau es mit dem Nebel auf sich hat“, flüsterte Esra. Diese Wand war ihr unheimlich. Sehr unheimlich sogar. Alle Instinkte der Tiere, die ihr Erbe bildeten, riefen ihr zu, sofort von hier zu fliehen.
Thalaën trat furchtlos an die Wand heran und steckte seine Hand hinein. Sofort war sie verschwunden, jedoch war sie unversehrt, als er sie wieder herauszog.
„Wir werden auf jeden Fall eine Seilschaft bilden müssen, sonst verlieren wir uns auf der Stelle.“
Er holte ein langes Hanfseil aus seinem Rucksack hervor und warf das Ende den anderen zu, während er den Anfang machte.
„Bereit?“
„Nein“, erwiderte Esra, doch da war der Elf bereits im Nebel verschwunden.
Nach und nach folgten sie ihm, alle bei weitem nicht so sicher wie Thalaën.
Der Eintritt in den Nebel erinnerte Esra an das Hinüberschreiten in eine andere, fremde Welt. Kaum ein Licht drang durch den wirbelnden Dunst und jedes Geräusch, welches die anderen verursachten klang hohl und gedämpft. Der Ort strahlte eine bedrückende, unheimliche Atmosphäre aus und mit jedem Schritt hinein fühlte sich Esra verlassener und einsamer.
Sie konnte kaum ihre eigenen Füße den Boden berühren sehen, geschweige denn ihre Kameraden vor sich. Sie selbst war die letzte in der Reihe und hoffte daher inständig, dass sie nicht verloren ginge, in dieser undurchsichtigen Suppe aus Grau.
Minuten verstrichen, in denen sie hinter den anderen hertrottete, das Seil vor sich immer gespannt. Die Minuten weiteten sich zu einer Stunde, dann zu einer weiteren. In Esra keimten die ersten Zweifel auf, ob es so gut gewesen war, dass sie den Elf vorangehen hatten lassen. Sie selbst hatte seit einiger Zeit das Gefühl, dass sie sich im Kreis bewegten. Doch die anderen sagten nichts und auch das Seil blieb immer weiter gespannt. Anscheinend hatte also auch Thalaën selbst keine Zweifel an seinen Orientierungskünsten und schritt frohen Mutes immer weiter voran.
Nach einer weiteren Stunde hatten sich Esras Zweifel jedoch weiter verhärtet.
„Habe nur ich das Gefühl, dass wir uns im Kreis bewegen?“, rief sie in den Nebel hinein.
„Ich habe keine Ahnung. Wie dick ist diese Nebelwand eigentlich?“, klang Adamants Stimme dumpf zurück.
„Das hätten wir vielleicht vorher erfragen sollen“, meldete sich aus Astamalia, nicht ganz so gedämpft, zu Wort. „Aber ich stimme Esra zu: Wir sind schon sehr lange hier drinnen. Thalaën, vielleicht solltest du Esra die Führung überlassen.“
Vom Elfen war ein Seufzen zu hören, doch Esra deutete das Schweigen der anderen als Zustimmung. Ohne lang zu warten marschierte sie los, bildete die neue Spitze der Gruppe.
Ohne viel zu überlegen, ließ sie sich von ihren Instinkten leiten. Dachte nicht viel nach, wenn sie die Richtung etwas veränderte, ließ nie zu, dass Zweifel sie überkamen.
Und zehn Minuten später standen sie auf der anderen Seite des Nebels, am Rande des Klagelandes.
Ein zernarbtes, totes Land breitete sie vor ihnen aus. Eine eintönige braune Ebene, auf der nicht ein Grashalm zu wachsen schien. Nur die Skelette einiger Bäume boten etwas Abwechslung. Die Sonne, verborgen hinter dicken Schichten aus Nebel und als Scheibe kaum zu erkennen, spendete ein diffuses Zwielicht, indem die Szenerie noch trostloser, noch bedrückender aussah.
„Willkommen im Klageland“, versuchte Thalaën die Stimmung etwas zu heben, doch es misslang kläglich.
„Möge uns die Flamme beistehen“, stöhnte Adamant und griff nach seinem Symbol der Silbernen Flamme.
„Ich denke, dass die Flamme und alle anderen Götter dieses Land schon lange verlassen haben“, stellte Esra trocken fest und versuchte die Himmelsrichtungen zu finden und sie mit der, in der Niederlassung von Haus Cannith gefundenen, Karte in Einklang zu bringen.
„Diese Richtung müsste es sein“, teilte sie den anderen mit und deutete in die endlose Einöde hinaus.
„Ich hoffe, du hast Recht. Ansonsten wird das eine sehr lange und eintönige Reise.“
Sie brachen auf.

***

Adamant war sich sicher, dass, wenn er es gekonnt hätte, ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken gelaufen wäre. Dieser Landstich war ihm unheimlich. Er strahlte das Verderben, den Tod und das Gottlose geradezu aus. Und auch sein heiliges Symbol, normalerweise immer ein Hort von Kraft, konnte ihn im Moment nicht unterstützen.
Kein Windhauch regte sich in diesem Land, kein Vogel war am Himmel zu sehen, nichts Lebendiges außer ihnen vieren schien sich auf dem Boden zu bewegen.
Das Licht war den ganzen Tag über diffus geblieben und es war nur schwer zu erahnen, wie viel Zeit vergangen war, seit sie das Klageland betreten hatten. Die Sonne war nur schwer zu erkennen und sie selbst warfen keine Schatten.
Das Schlimmste aber war, so fand Adamant, dass dieses Land, welches so sehr auf ihre Stimmung drückte, sich anscheinend auch auf ihre Sprache niederschlug. Bis auf einige wenige Sätze hatten sie, seit sie losmarschiert waren, nichts miteinander geredet. Nicht, dass es viel gegeben hätte, worüber man hätte reden können, aber dennoch. Es hätte der Stimmung innerhalb der Gruppe sicherlich gut getan.
„Seht ihr die Hügel dort vorne? Auf ihren Gipfeln scheint sich etwas zu befinden!“, rief Esra. Ihre Stimme klang in der Stille seltsam laut und ließ Astamalia zusammenzucken. Wahrscheinlich war sie gerade aus ihren Gedanken gerissen worden.
„Ich sehe nichts“, antwortete die Magiern und spähte in Richtung der Hügelkette, die sich entlang ihrer Position zog. „Was genau befindet sich dort oben?“
„Scheinen Zelte zu sein. Flaggen kann ich auch ausmachen.“
„Ein altes Heerlager?“, wunderte sich Thalaën.
„Sollen wir es umgehen?“, fragte Adamant an alle gewandt.
Doch Esra schüttelte den Kopf.
„Das würde zu lange dauern. Es scheint, als würde sich das Lager über den gesamten Hügelkamm hinweg erstrecken. Und ich möchte nicht eine Minute länger als unbedingt notwendig in dieser Gegend verbringen. Daher stimme ich für den direkten Weg, mitten hindurch. Was soll uns schon geschehen. Wir haben doch bis jetzt auch nichts Lebendiges gesehen…“
Ohne weitere Meldungen marschierten sie weiter. Und bald konnte auch Adamant sehen, was Esras scharfe Augen schon zuvor ausgemacht hatten. Hunderte Zelte und Banner krönten die Hügel und als sie begannen diese zu ersteigen, konnten sie sehen, dass die Armee hier einen wahren Befestigungswall errichtet hatte. Katapulte, Ballisten und andere Belagerungswaffen waren hier nebeneinander aufgereiht, geschützt durch niedrige Mauern.
„Das sind Breländer“, murmelte Astamalia und trat einen Schritt zurück. Vor ihnen lag ein junger Soldat und er sah aus, als wäre er gerade eben erst eingeschlafen und nicht bereits vor vier Jahren umgekommen.
„Wie ist das möglich? Wie kann der Körper so lange unversehrt geblieben sein?“
„Gute Frage. Und … was bei allen Ahnen ist DAS denn?“, rief Thalaën, zog seinen Säbel und deutete dabei das Ungetüm, dass hinter einem der größeren Zelte stand. „Ist das ein Bruder von dir, Adamant?“
Adamant betrachtete sich das riesige, gut sechs Meter hohe Gebilde genauer. Es war ein Kriegsgeschmiedeter, keine Frage. Aber einer von einer Art, wie er ihn noch nie gesehen hatte. Er hatte zwei fest montierte Waffen in den Händen. In der einen eine Axt, die so groß war wie er selbst, in der anderen einen Hammer, welcher der Axt in Größe um nichts nachstand.
„Ich habe keine Ahnung, Thalaën. Ich habe so etwas noch nie in meinem Leben gesehen“, antwortete er daher wahrheitsgemäß. „Aber er scheint zumindest nicht aktiv zu sein.“
„Wenigstens etwas. Gegen so etwas möchte ich nicht kämpfen“, knurrte der Elf und verglich die Größe seines Säbels mit den Waffen des titanischen Kriegsgeschmiedeten.
In diesem Moment sprangen zwei Wölfe zwischen den Beinen des Titanen hervor.
Nein, es waren keine Wölfe, dachte Adamant im selben Moment. Zumindest keine lebenden. Aber es waren auch nicht wirklich reine Skelette. Irgendwie waren die Knochen von Menschen mit ihrem Brustkorb verschmolzen und an ihrem Rücken angewachsen. Doch das schien die belebten Skelette in keiner Weise zu behindern.
Noch während Adamant das alles durch den Kopf ging waren beide Wölfe den Elfen angesprungen. Doch Thalaën, trotzdem er überrascht war, schlug den Angriff des einen mit seinem Säbel ab. Der zweite Wolf verbiss sich ohne rechte Wirkung in seine Rüstung.
Esra zückte ihren Bogen und schoss; doch der Pfeil flog ohne Wirkung zwischen den Knochen der Wesen hindurch. Das magische Geschoss von Astamalia ließ einige Knochen davon wirbeln, brache aber auch keinen der beiden zu Fall.
Dafür ließ eines der untoten Wesen von dem Elfen ab und stürzte sich auf die Wandlerin, verbiss sich in ihren Arm.
Adamant nutzte die Zeit, in der die Kreaturen beschäftigt waren um sein heiliges Symbol hervorzuholen.
„Bei der Silbernen Flamme! Verschwindet ihr Kreaturen des Bösen! Weicht der Macht des Guten!“, dröhnte seine Stimme.
Sofort zuckten die beiden Skelette zusammen, fixierten ihn kurz mit ihren rot glühenden Augen und verschwanden dann lautlos in der aufkommenden Dunkelheit.
„Gut reagiert, Adamant“, lobte ihn Astamalia. „Hoffen wir nur, dass diese Viecher nicht mehr zurückkommen, um sich an uns zu rächen.“
Adamant nickte dankbar und besah sich dann Esras Arm.
„Nicht so schlimm. Eine einfache Kanalisierung meiner Kräfte sollte reichen, um die Wunde zu schließen“, beruhigte er sie.
Er schloss die Augen und sprach das kurze Gebet, um die Flamme um heilende Wirkung für Wunden zu bitten.
Als er die Augen wieder öffnete, fühlte er, dass die Kraft verbraucht worden war. Doch erstaunlicherweise hatte sie nicht gewirkt. Der Biss in Esras Hand sah noch genauso aus wie zuvor.
„Das ist unmöglich. Noch nie haben meine Kräfte dermaßen versagt.“
„Hm. Wir haben zuvor die Leichen gesehen, die nicht verwesen. Vielleicht funktioniert auch keine heilende Magie im Klageland?“, fragte sich Astamalia laut.
„Das würde unsere Aufgabe erheblich erschweren“, fluchte Esra, als sie gemeinsam mit Adamant damit begann ihre Hand auf klassische Art und Weise zu verbinden. „Aber noch ist das nicht ein so großes Problem. Morgen ist davon nichts mehr zu sehen.“

***

Die Stimmung war noch bedrückter als am Tag zuvor und sie hatte auch ihn erfasst, auch wenn Thalaën noch weit davon entfernt war, das zuzugeben.
Sie hatten die Nacht über auf der anderen Seite der Hügelkette genächtigt und wie Astamalia vorhergesehen hatte, waren sie in den frühen Morgenstunden von den beiden vertrieben Wölfen abermals angegriffen worden. Das war aber nicht das, was sie so bedrückte. Keine der beiden Frauen hatte in der Nacht sonderlich gut geschlafen und ihm selbst war es schwer gefallen seine vier Stunden zu meditieren um sich wieder zu erholen.
Adamant hatte, wie so oft seit Beginn dieser Reise, die ganze Nacht mit Wache schieben und lesen verbracht. Es war Thalaën unmöglich zu sagen, was dem Kriegsgeschmiedeten durch den Kopf ging.
Nach dem Kampf, der zum Glück ohne weitere Verletzungen von statten gegangen war, hatte sich Adamant Esras Wunde noch einmal angesehen. Sie sah noch genauso aus wie am Vortag. Gerade einmal die Blutung hatte geendet, doch ansonsten schien es, als ob sich die Wunde nicht weiter schließen würde. Das hatten ihnen dreien – Adamant war von dem Problem ja nicht betroffen – zu denken gegeben. Sie befanden sich immerhin an einem der gefährlichsten Orte von Khorvaire, hatten keinen Zugriff auf magische Heilung und ihre Körper schienen sich nicht zu regenerieren. Das waren keine guten Aussichten, wenn man bedachte, dass sie in eine alte, verlassene Schmiede eindringen wollten. Selbst er, der unerschrockene, todesverachtende Elf bekam bei diesen Gedanken einen flauen Magen.
Dennoch waren sie am Morgen weitermarschiert. Wieder ohne viele Worte, wiederum jeder mit seinen eigenen Gedanken und Gefühlen beschäftigt.
Stunde um Stunde verging. Sie schienen sich nicht einen Meter vom Fleck bewegt zu haben, seit am späten Vormittag die Hügelkette hinter ihnen am Horizont verschwunden war. Es gab nichts, woran das Auge hätte hängen bleiben können. Nichts, worauf man sich konzentrieren konnte, außer darauf einen Fuß vor den andern zu setzen.
Umso überraschender war es, als sie, praktisch plötzlich, vor einem steilen Taleinschnitt standen, der diese Gegend hier kilometerweit von Ost nach West trennte und gut einen Kilometer breit schien. In der Mitte des Tales schien am Tag der Klage eine gewaltige Schlacht getobt zu haben. Hunderte, nein Tausende Männer und Frauen lagen am Boden verstreut.
„Ich sage es nicht gerne, aber es sieht so aus, als müssten wir da hindurch…“, murmelte Astamalia kaum hörbar.
„Zuerst müssen wir einmal hinunter“, meinte Thalaën und deutete auf die steil abfallenden Wände.
„Diese Leute müssen auch hinab gekommen sein, dann werden wir das auch schaffen“, dachte Esra logisch. „Seht, dort, das sieht gut aus.“
Die Wandlerin hatte tatsächlich ein etwas flacheres Stück Hang gefunden, an dem sie hinabrutschen und klettern konnten.
Im Tal war es noch dunkler und deprimierender als auf der Ebene. Nur langsam schlichen sie durch die Reihen von toten Soldaten hindurch. Nicht alle waren in der Schlacht gestorben. Manche sahen auch so aus, als hätten sie sich einfach nur kurz hingelegt und würden jeden Augenblick wieder aufstehen. Was musste hier am Tag der Klage schreckliches geschehen sein.
Ein Tod, den niemand kommen sah, dem niemand entweichen konnte. Thalaën lief ein Schauer über den Rücken, ob dieses Gedanken. So zu sterben war die Hölle für jeden Elfen, der sein Leben den ruhmreichen Taten verschrieben hatte.
„Wir könnten uns ja mal umsehen, ob jemand von denen etwas interessantes dabei hat“, brach Astamalia plötzlich die Stille. „Wir könnten zusätzliche Ausrüstung ganz gut gebrauchen.“
Thalaën hörte nur mit einem Ohr zu. Sein Blick fiel auf eine Gruppe von Elfen in der Kleidung der Valenar, die zusammen mit einer Gruppe von talentanischen Halblingen unweit ihrer Position lagen. Alle hatten einen rumreichen Tod gefunden. Doch fand er es seltsam diese Einheiten zwischen den Überresten zweier menschlicher Armeen zu finden.
„Ich habe hier etwas merkwürdiges gefunden“, meldete er den anderen und arbeitete sich zu seinen gefallenen Brüdern vor, als plötzlich ein Berg von Leichen vor ihm explodierte.

Astamalia fuhr herum, als sie den Elf schreien hörte und setzte ein unterdrücktes Stöhnen dazu. Ein Berg aus Leichen vor Thalaën schien lebendig geworden zu sein. Obwohl man, wenn man genauer hinsah, die Umrisse einer riesigen Krabbe erkennen konnte. Sechs Beine wuchsen in die Höhe und deutlich waren die riesigen Scheren zu sehen, mit denen sie bedrohlich nach dem Elfen schnappte. Von ihrem ganzen Körper standen Speere und Schwerter jener Toten weg, die an ihrem Panzer zu kleben schienen.
Thalaën taumelte zurück und versuchte die Krabbe auf etwas Distanz zu halten, brachte auch den einen oder anderen brauchbaren Schlag an. Esras Pfeile schwirrten durch die Luft und hagelten auf die Krabbe ein. Doch die meisten schienen von der Panzerung und den darauf liegenden Leichen abgelenkt zu werden. Adamant eilte dem Elfen zu Hilfe, bis es Astamalia endlich gelang die ersten Zauber zu kanalisieren und auf das Monster abzufeuern.
Währenddessen blutete Thalaën bereits aus zahlreichen Wunden, seine Rüstung war an vielen Stellen geborsten und er schien sich nur mehr wankend auf den Beinen zu halten. Nichts desto trotz kämpfe er verbittert weiter, schlug mit den beiden Enden seines Doppelkrummsäbels noch so rasch wie zu Beginn zu.
Bis ein weiterer Treffer, den die Krabbe mit einer der Scheren landete, ihn zu Boden gehen ließ. Astamalia konnte aus ihrer Position nicht sehen, ob der Elf schon tot war oder nur kampfunfähig war.
Doch sie merkte, dass sich Adamant nun noch mehr ins Zeug legte und wütend auf die Krabbe eindrosch. Sie konzentrierte ihre Aufmerksamkeit auf ihren neuen bedrohlichsten Gegner. Adamants Attacken schienen ihr nur wenig auszumachen. Aber auch der Kriegsgeschmiedete steckte dank seiner schweren Panzerung viel weg. Und durch Esras und Astamalias Fernkampfunterstützung drängte er die Krabbe nach und nach zurück.
Astamalia gönnte sich ein zufriedenes Lächeln, als die Krabbe kurz einknickte und nur mit Mühe wieder auf ihre Beine kam. Adamant nutzte die Schwäche und Schlug mit dem Schwert nach ihren Vorderbeinen. Einen schmerzenden Schrei ausstoßend brach das Untier zu Boden.
Adamant machte einen Satz nach vorne und rammte das Schwert zwischen den beiden Stielaugen des Monsters bis zum Heft in es hinein.
Keuchend trat er zurück, während Esra und Astamalia rasch zu ihm eilten.
„Alles in Ordnung?“, fragte Esra.
„Ja, aber ich denke Thalaën hat es schlimm erwischt.“
Zu dritt standen sie um den Elfen herum, der in einer rasch größer werdenden Pfütze aus Blut am Boden lag.
„Ohne Heilmagie, werden wir ihn kaum retten können“, bedauerte Adamant mit einem kritischen Blick auf seine vielen Wunden.
„Vielleicht doch. Gebt mir ein Stück Seil“, überlegte Astamalia und zog eine der Schrifttollen hervor, die sie dem Zauberer der Hobgoblins in Darguun abgenommen hatte. „Ich habe mich schon gefragt, warum Leute im Klageland solche Schriftrollen mit sich herumschleppen. Vielleicht ist unser Problem mit der Heilmagie des Rätsels Lösung.“
Sie hielt das Seil in der Hand und las die Worte von der Schriftrolle ab. Sofort begann das andere Ende des Seiles in die Luft zu wandern und an seinem Ende entstand ein schwarzes Loch.
„Ein Extradimensionaler Raum“, erklärte sie den anderen. „Vielleicht gelten die magischen Beschränkungen des Klagelandes in seinem Inneren nicht.“
„Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert“, stimmte Adamant zu, schnappte sich den Elfen und schob ihn durch das Loch. Dann kletterten sie nacheinander ebenfalls hinein.
Das Innere war wie eine Seifenblase. Man konnte ohne Probleme hinaussehen, obwohl man im Klageland von dem Raum, außer seiner Öffnung, nichts gesehen hatte.
„Los jetzt, bevor er uns noch stirbt!“, trieb Esra den Kleriker zur Eile an.
Adamant sprach abermals sein Gebet und hoffte inständig, dass es diesmal wirken würde.
Als er die Augen wieder aufmachte, blickte er in jene des Elfen.
„Wo bin ich“, krächzte er und betastete seinen immer noch geschundenen Körper. „Ich dachte, ich würde sterben.“
„Bist du auch fast. Aber Astamalia hat dich in einen extradimensionalen Raum gebracht und Adamant konnte dich hier heilen“, klärte ihn Esra auf.
„Es werden noch etliche weitere Gebete vonnöten sein, bis du wieder unverletzt bist, aber zumindest bist du außer Lebensgefahr“, fügte Adamant hinzu.
„Wir könnten doch auch die Nacht hier verbringen“, schlug Esra vor.
Doch Astamalia musste diesem Plan einen Strich durch die Rechnung machen.
„Gute Idee, aber das geht leider nicht. Der Raum hält nur für einige Stunden, danach verschwindet er wieder. Darum sollten wir Thalaën noch etwas besser versorgen und dann dieses Tal hinter uns lassen und außerhalb Rast machen. Jetzt da wir wissen, wie wir Wunden wieder heilen können, sollten weitere Begegnungen mit Monstern kein so großes Problem darstellen.“

***

Nicht weit außerhalb des Tales hatten sie ihr provisorisches Lager aufgeschlagen. Ein kleines Lagerfeuer aus Gegenständen, die sie aus dem Lager mitgebracht hatten und für jeden einen Schlafsack. Manchmal beneidete Adamant die beiden Frauen um ihren Schlaf, ja sogar Thalaën um seine Meditation.
Ihm selbst blieb in der Nacht nur das Lesen seiner Bücher und das lauschen in die so unheimlich ruhige Nacht. Doch diese Nacht konnte er sich nicht auf die Wörter und Sätze auf den Seiten konzentrieren.
In der Ferne grollt Donner, begleitet von bunten Lichtern, die immer wieder über die Ebene zuckten. Und auch vom Fuß des Tales drang ein unheimliches bläuliches Leuchten und hin und wieder vermeinte Adamant die Geräusche einer Schlacht zu hören. So als würden zwei gewaltige Armeen aufeinanderprallen und sich bis auf den letzten Mann bekämpfen.
Zwei Armeen, so groß wie jene, welche Tod in ebendiesem Tal lagen.
Adamant griff nach seinem Symbol und begann leise zu beten.

***

„Irgendwo in diesen Hügeln sollte sich die Weißschmiede befinden“, meinte Astamalia am Nachmittag des nächsten Tages.
Eine größere Hügelgruppe lag fast genau in der Richtung ihres Weges.
Esra erlaubte sich ein Grinsen. Anscheinend hatten sie ihre Sinne und ihre Instinkte nicht getrogen und sie auf dem richtigen Weg hierher geführt.
Jetzt mussten sie nur mehr den Eingang finden, was sich wahrscheinlich als der schwerste Teil des ganzen herausstellen würde. Um sich zu orientieren und um abzuschätzen, wie viel Tageslicht ihnen noch bleiben würde, suchte Esra den Himmel nach der schmierigen Sonnenscheibe ab.
Stattdessen entdeckte sie einen Schatten. Den Schatten eines nicht sehr hoch fliegenden Adlers; nein, eines Geiers.
„Seltsam. Wir haben doch bis jetzt sonst noch keine natürlichen Tiere gesehen“, meinte sie, nachdem sie den anderen den Geier gesehen hatte.
„Na ja, warum nicht. Genug Futter gäbe es hier doch“, tat Thalaën das Ganze ab.
„Es könnte aber auch ein Spion der Smaragdklaue sein. Vielleicht solltest du ihn abschießen…“, überlegte Adamant.
„Egal was ihr tut, ich denke, ich habe den Eingang gefunden“, rief Astamalia aus einiger Entfernung und deutete auf einen dunklen Fleck in einem der Hügel.
Esra spannte ihren Bogen, zielte und schoss auf den Geier. Der Pfeil verfehlte ihn und landete weit entfernt in der Ebene. Der Geier stieg höher und kreiste außer Reichweite über ihnen.
„Kommt schon!“, rief Astamalia.
Esra warf dem Vogel noch einen Blick zu und eilte dann der Magierin hinterher.
Tatsächlich hatte die Halb-Elfe den Eingang gefunden.
Zumindest führte ein durch Balken abgestützter Gang in den Hügel hinein und auf dem ersten Pfosten waren Hammer und Amboss eingraviert.
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 27. Januar 2008, 20:16:05
Hallo an alle stummen Mitleser (?)!

Prinzipiell schreibe ich hier ja gerne dem für dieses Thema offenen Publikum, aber Resonanz wärde dennoch etwas motivierend für die Arbeit  :wink:  .

Hunter
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Zook, Chaosmagier am 01. Februar 2008, 11:36:44
Ich habe mir die Story Hour gerade durchgelesen. Sie ist interessant und gut geschrieben.

Da ich vorhabe, das Abenteuer selber zu leiten, würde ich natürlich gerne einen Praxisbericht lesen.

Bitte weitermachen.


(Bei meinen Spielern wird der Seiltrick übrigens nicht immer einwandfrei funktionieren; Sobald sie sich damit zu sicher fühlen, erleidet der Zauber "Klagelandstörungen". Ich denke da an ein extradimensionales Maul oder so, wie bei dem verfluchten Beutel. Oder der Zauber erwacht zum Leben und will Leute mit dem Seil in seine "Magendimension" reißen.)
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 06. Februar 2008, 00:15:09
Hallo Zook!
Danke für das Kommentar.
@ Seiltrick: Meine Spieler wussten nichts von den eingeschränkten Heilungsmöglichkeiten im Klageland und den Zauber Seiltrick hab ich sie auch einfach nur zuvor bei der Bande Hobgoblins finden lassen. Es hat sie dann schon sehr erschreckt, dass man nicht einfach so heilen kann. Und es hat dann auch etwas gedauert, bis sie auf die richtige Idee gekommen sind. Dann das Ding noch in ein Zauberbuch übertragen und jeden Tag ein bis zweima einzuspeichern ist schon lästig genug. Vor allem, wenn man der Gruppe etwas Zeitdruck gibt. Den Zauber dann noch unberechenbar zu machen halte ich daher für keine gute Idee.

Das nächste Kapitel wird in den nächsten Tagen bald mal kommen.

bis dahin
lg
Hunter
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 06. Februar 2008, 12:14:50
Weißschmiede

Adamant und Astamalia schlugen beide ein Sonnenzepter an und angenehmes Licht strahlte in den dunklen Tunnel.
„Wenn dieser Geier ein Spion des Ordens war, dann sollten wir uns mit der Suche nach dem Schema beeilen“, schlug Esra vor.
„Einverstanden“, stimmte Adamant zu und übernahm die Führung.
Der Gang war leicht abfallend und führte weiter in den Hügel hinein. Doch schon nach wenigen Metern teilte er sich auf.
„Und nun?“, fragte Adamant und leuchtete in beide Gänge hinein.
„Links“, deutete Astamalia. „Ich habe einmal gehört, dass man am leichtesten aus einem Labyrinth herauskommt, wenn man sich immer links hält. Vielleicht ist das hier auch am besten.“
Die anderen drei nickten und sie drangen weiter in die Tiefe vor.
Nach zwanzig Metern war der Gang zu Ende. Im Boden war eine runde, 1,20 Meter durchmessende Luke aus Adamantit eingelassen. Daneben befand sich ein kleiner Sockel, in den ein blau emaillierter Steckplatz eingelassen war.
„Scheint so, als hätten wir den Eingang zur Schmiede gefunden“, freute sich Astamalia und suchte nach dem blauen Stab, den sie in Elaydrens Rucksack gefunden hatten. „Ich bin mir sicher, das hier ist der Schlüssel für den Eingang. Thalaën, sperr doch auf.“
Der Elf zuckte mit den Achseln und griff nach dem kleinen Stab, während die anderen alle einen Schritt zurück machten. Thalaën steckte den Stab in den Steckplatz und die Luke öffnete sich mit einem leisen Klick. Selbstsicher hob der Elf die Öffnung an.
Esra bildete sich ein, für eine Sekunde lang das Skelett des Elfen zu sehen, als dieser einen enormen elektrischen Schlag erhielt und zurückgeworfen wurde. Schwelend und mit abstehenden Haaren rappelte er sich wieder hoch und blickte Astamalia anklagend an.
„Warum mache ich eigentlich immer das, was du von mir verlangst?“
„Weil ich es dir sage?“, schlug die Halb-Elfe keck vor und warf einen Blick unter de Öffnung. „Fehlanzeige. Hier geht es nur einen halben Meter hinab. War wohl nur eine Attrappe. Wir müssen weitersuchen.“
Wieder zurück im ersten Tunnel übernahm Adamant abermals die Führung. Doch schon bald gabelte sich der Weg erneut.
„Wieder links?“, fragte er.
Dreifaches Nicken war die Antwort. Der Tunnel endete, genau wie sein Vorgänger an einem identisch aussehenden Schott.
„Ich werde es auf jeden Fall nicht wieder öffnen“, stellte Thalaën klar, während sie rund herumstanden.
„Wir sollten die ganze Miene absuchen. Vielleicht gibt es einen Eingang, der anders aussieht als die anderen und der uns dann wirklich in die Schmiede bringt“, schlug Esra vor.
Ausnahmsweise hörte die Gruppe auch einmal auf die Wandlerin.
Sie fanden noch zwei weitere Luken. Keine unterschied sich von der ersten.
„Wir haben ein Problem“, stellte Adamant fest. „Wir werden wohl nicht darum herum kommen, eine Luke nach der anderen zu öffnen. Und hoffen, dass sich hinter einer, der richtige Eingang verbirgt. Es stellt sich nur, die Frage, wer das Versuchskaninchen wird.“
Die vier sahen sich gegenseitig an. Keiner war bereit die Schmerzen einer Falle auf sich zu nehmen. Esra seufzte. Es waren doch alles Feiglinge, inklusive dieses Elfen. Und wenn sie hier herumstanden, würden sie nie in das Innere gelangen.
Sie nahm Astamalia den Schlüssel aus der Hand, steckte ihn in das Loch, hielt kurz inne, um sich auf den Schmerz vorzubereiten und riss dann die Luke hoch. Nichts geschah.
Esra kam nicht umhin erleichtert aufzuatmen.
Neugierig drängten sich nun alle vier um das Loch im Boden. Eine Leiter führte hinab, verschwand jedoch schon bald in einer undurchdringbaren Finsternis, die selbst von ihren Sonnenzeptern nicht erleuchtet werden konnten.
„Merkwürdig“, kommentierte Adamant.
„Lasst mich etwas versuchen“, schlug Esra vor. Sie holte ein Seil aus ihrem Rucksack und band die magische immerhelle Laterne daran. Dann lies sie sie langsam hinab. Kaum, dass die Laterne die schwarze Wand passiert hatte, erlosch ihr Leuchten, das Seil und die Laterne verschwanden. Langsam holte die Waldläuferin ihre Angel wieder ein.
Die Laterne und das Seil waren noch vorhanden. Weder von Säure noch von unsichtbaren Monstern oder anderen Dingen zerfressen.
„Ach was soll’s“, seufzte Thalaën, gab seinen Säbel auf den Rücken und kletterte in die Dunkelheit hinab.
„Das wird eines Tages noch einmal sein Tod sein“, kommentierte Esra diese Tat, jedoch nicht ohne gewissen Respekt. Nacheinander folgten sie dem Elfen hin die Dunkelheit.

Die Leiter führte mehrere Meter nach unten. Erstaunlich war, dass sie, sobald sie die schwarze Wand durchquert hatten, wieder Licht hatten. Anscheinend war es eine Art magische Abschirmung. Astamalia hatten von mächtigen Schutzzaubern nicht so viel Ahnung, wie sie gerne gehabt hätte, aber sie hatte bereits einmal von dem Zauber Mordekains Allerheiligstes gehört, der Gebiete vor magischer Ausspähung schützte. Vielleicht war das etwas in dieser Richtung.
Sie landete als Letzte am Ende der Leiter.
Hier unten gab es, zusätzlich zu den beiden Zeptern, die sie mitgebracht hatten, Licht, welches von einer kristallinen Kugel ausging. Jedoch war dieses Licht schwach, nicht mehr, als eine flackernde Kerze erzeugen würde. Die Metallwände der Kammer, in der sie sich befanden, bildeten eine makellose Kugel mit einem Durchmesser von etwa sechs Metern. Der einzige Ausgang schien der Schacht zu sein, durch den sie gerade gekommen waren. Die einzige Auffälligkeit war ein kleines Podest, dass im Zentrum es Raumes befand. Auf ihm war eine achteckige Metallplatte befestigt, die etwa dreißig Zentimeter breit war und neun Steckplätze aufwies – fünf davon waren blau unterlegt, zwei in grün und zwei in braun.
„Hier scheint es mehr Schlüssel zu geben als wir haben, wenn wir davon ausgehen, dass dieser Stab hier, uns auch weiterhin Türen öffnet“, schlussfolgerte Adamant.
„Es könnten aber auch einfach nur eine ganze Menge mehr Fallen sein“, erwiderte Thalaën bissig.
„Probieren wir es aus“, entschied Astamalia und steckte den Schlüssel in die nordwestliche Einfassung.
Eine halbe Sekunde lang geschah gar nichts.
Dann begannen die Wände der Kammer zu erzittern und der gesamte Raum begann sich langsam zu drehen. Zum Glück langsam genug, so dass sie gegen die Drehung marschieren konnten und keine Gefahr bestand, das Gleichgewicht zu verlieren.
Die Drehung dauerte fast eine ganze Minute.
Dann hatte sich die Kammer soweit gedreht, dass die ehemalige Schachtöffnung nun eine Eingangstür mit Blick auf einen Korridor in nordwestliche Richtung freigab.
„Willkommen in der Weißschmiede“, flüsterte die Magierin.
Der Korridor war in regelmäßigen Abständen mit immerhellen Laternen bestückt, doch diese spendeten nur mehr ein schwaches Licht.
Thalaën zückte einen Säbel und ging leise voran, Adamant folgte ihm dicht auf, dann Astamalia und den Abschluss bildete Esra mit ihrem gespannten Bogen.
Der Gang war nur etwa zehn Meter lang und an seinem Ende gingen drei Türen ab. Zwei davon standen sperrangelweit offen.
„Hört ihr das auch?“, flüsterte Esra.
Ein leises Knurren war zu hören.
Sekunden später traten aus der rechten Tür zwei Wölfe auf den Gang hinaus. Ihr Fell war struppig, die Zähne gefletscht.
Bedrohlich knurrten sie den Elfen an und kamen geduckt näher.
„Irgendwie mag ich diese Tiere hier im Klageland nicht. Weder tot noch lebendig. Sie sind mir im allgemeinen zu aggressiv“, klagte Thalaën und schwang seinen Säbel.
Auch die anderen machten sich bereit, die Wölfe duckten sich zum Sprung.
„Haltet ein!“, knurrte eine dunkle Stimme hinter den beiden Wölfen.
Ein weiterer Wolf war in den Gang getreten. Er war größer als die anderen beiden, größer als jeder andere Wolf, den Astamalia bis jetzt gesehen hatte. Und in ihren Augen glühte eine unnatürliche Intelligenz.
„Wir wollen keinen Kampf“, sprach der Wolf – diesmal war es klar, dass es der Wolf war.
„Meine Brüder sind über eure Anwesenheit nur erschreckt.“
Zögernd senkte Thalaën seine Waffe.
„Du kannst sprechen“, war er verblüfft.
„Ja. Kommt ihr in Frieden?“, fragt sie.
„Wir suchen nur etwas“, meldete sich Adamant zu Wort. „Einen diamantförmigen Gegenstand, so groß wie eine geballte Faust.“
Astamalia verdrehte die Augen. Musste dieser Tölpel jedem alles auf die Nasse binden?
„Kommt doch erst einmal herein“, forderte die Wölfin sie vier auf und ging in das Zimmer zurück aus dem sie gekommen war. Auch ihre beiden Brüder gaben unwillig den Weg frei, ließen dabei aber keinen von ihnen aus den Augen und sie schienen jederzeit dazu bereit ihre Anführerin mit ihrem Leben zu verteidigen.
„Mein Name ist im übrigen Rorsa“, erklärte die Wölfin und ließ sich in der Mitte des Raumes nieder.
Astamalia sah sich interessiert um. Das war wohl eine Art Schlafsaal gewesen. Vierzehn Schlafkojen verteilten sich im Raum, vor jeder stand eine einfache Holztruhe. Zu beiden Seiten der Eingangstür ein runder Holztisch. In drei Betten erkannte die Magierin Schlafmulden, in die die Wölfe gut hinein passten. Anscheinend hausten sie hier.
„Bei der Flamme“, entfuhr es Adamant und deutete auf einige Leichen, die sich im hinteren Bereich des Raumes befanden. Wie die Leichen im Klageland sahen sie aus, als wäre sie gerade eben erst eingeschlafen.
„Sie waren tot, seid ich mich erinnern kann“, erklärte Rorsa. „Wir ernähren uns von ihnen. Nach einiger Zeit wächst das Fleisch wieder nach.“
Astamalia schauderte.
„Ihr sucht einen Gegenstand?“, kam sie auf die Antwort von Adamant zurück.
Der Kriegsgeschmiedete schüttelte sich kurz und wandte den Blick von den Leichen ab. Dann erklärte er der Wölfin bereitwillig, was genau sie hier suchten. Doch am Ende schüttelte Rorsa den Kopf.
„Tut mir leid, aber einen solchen Gegenstand kenne ich nicht. Aber ich kenne auch nur einen Bruchteil der Schmiede. Nur jene Bereiche die ich mit dem blauen und dem grünen Schlüssel öffnen kann…“
„Du hast einen weiteren Schlüssel? Könnten wir den vielleicht haben?“, unterbrach sie Thalaën.
„Wenn ihr mir dazu im Gegenzug helfen könnt?“
„Um was geht es denn?“
„Im Südwesten befinden sich weitere Mitglieder meiner Rasse. Sie werden jedoch von einer riesigen, abscheulichen Kreatur bewacht, die zu stark ist, als das wir uns trauen sie anzugreifen. Wenn ihr sie befreien könnt, dürft ihr den Schlüssel behalten und ich habe noch einen Gegenstand, der von großem Wert zu sein scheint. Den könnt ihr ebenfalls haben.“
„Natürlich werden wir euch helfen“, warf sich Adamant in die Brust „Niemand sollte sein Leben eingesperrt verbringen.“
„Ich danke euch“, verneigte sich Rorsa und löste geschickt mit ihren Zähnen einen grünen Schlüssel von ihrer Halskette um ihn dann dem Kriegsgeschmiedeten zu geben.
„Sag, Rorsa. Warst du immer schon so? Konntest du immer schon sprechen? Seit du auf der Welt bist?“, interessierte sich Astamalia. Für die anderen mochte es ja ganz normal sein, dass dieser Wolf sprach, aber für sie war es das nicht.
„Nein. Aber ich habe an die Zeit, bevor ich erwachte kaum noch Erinnerungen. Ich kann mich an all das nur wie durch einen Nebel erinnern. Ich weiß noch, dass eines Tages alle unsere Herren Tod umfielen und das nächste, woran ich mich erinnern konnte, war, dass ich gemeinsam mit meinen beiden Brüdern in diesem Raum zwischen den Leichen der Menschen war.“
„Das scheint etwas mit dem Tag der Klage zu tun zu haben“, schlussfolgerte Astamalia und verfluchte nicht zum ersten Mal, dass sie sich so schlecht über das Klageland informiert hatten, als sie aufgebrochen waren.
„Wie ist es denn eigentlich dort draußen?“, fragte Rorsa nach. Sie wirkte wirklich interessiert.
„Wahrscheinlich nicht so schön, wie du es dir vorstellst“, winkte Thalaën ab. „Kommt, wir haben einen – mittlerweile zwei – Aufträge zu erfüllen und nur wenig Zeit.“

***

„Sollen wir uns gleich um die Bestie im Südwesten kümmern?“, fragte Esra, als sie wieder in der Schleusenkammer standen.
„Vielleicht sollte wir uns vorher den Rest der Schmiede etwas genauer ansehen?“, schlug Astamalia vor.
„Einverstanden“, nickte Thalaën, der kaum noch erwarten konnte, welche Gefahren ihnen hier unten noch begegnen würden.
Ohne die anderen weiter zu fragen steckte Astamalia den Schlüssel in den nördlichen Steckplatz und die Kammer begann sich wieder zu drehen und stoppte erst wieder, als der Eingang gen Norden zeigte.
Der Gang war wärmer als der letzte, stellte Thalaën fest. Außerdem glaubte er, das Prasseln eines Feuers zu hören. Aber wie sollte so etwas nach all der Zeit noch möglich sein. Andererseits sollte ihn in dieser Schmiede wohl nichts mehr überraschen.
„Ja, wir hören es auch“, kam ihm Esra zuvor, als er die Frage nach dem Prasseln stellen wollte.
Der Gang war etwa so lang wie der letzte, doch diesmal gingen an seinem Ende nur zwei Türen ab. Aus einer schien das Licht etwas heller zu kommen. Neugierig ging Thalaën weiter und ohne große Scheu steckte er seinen Kopf hinein.
Ein starker Geruch nach Ruß und Asche lag in der Luft. Die Wände des Raumes waren schwarz und in der Mitte befand sich eine brennende Kugel aus Protoplasma.
„Brennende Kugel!“, rief Astamalia und zweigte in die andere Tür ab. Thalaën sah die Kugel noch kurz verdutzt an, als sie auch schon Kurs auf ihn nahm. Der Elf hatte irgendwelche Monster erwartete, aber keine brennenden Kugeln, die ihn verfolgen. Rasch ergriff er die Flucht zu den anderen. Sie hatten sich in dem anderen Raum in Sicherheit gebracht, bei dem es sich anscheinend um ein Bad handelte alle standen sie nun in dem eisigen Wasser, dass aus einer der Wände kam und ein Bassin bildete. Jedoch die Kugel schien sich nicht herein zu wagen.
„Langsam wird es kalt“, zitterte Astamalia und bewegte ihre Füße in dem eisigen Wasser. Plötzlich hielt sie inne uns spähte durch die Wasseroberfläche nach unten, griff rasch zu und zog einen braunen Schlüssel hervor. „Zumindest etwas haben wir hier erreicht, mit der Ausnahme, dass wir alle krank werden, wenn wir noch länger hier stehen. Wie sollen wir diese Kugel bekämpfen? Normalerweise hält diese Art von Magie nicht so lange.“
Da schossen ihr die Worte Failins durch den Kopf: Lebende Magie. Lebende Magie mir Körpern.
„Oje“, stöhnte sie. „Ich befürchte, dieser Zauber wurde am Tag der Klage lebendig. Zumindest, wenn das stimmt, was mir Failin erzählt hat.“
„Gut, und wie sollen wir ihn bekämpfen?“
„Wir könnten ihn mit Wasser bewerfen“, schlug Adamant vor. Er leerte seinen Rucksack aus, füllte das Leder mit Wasser und trat auf den Gang hinaus. Sie hörten das Prasseln der sich nähernden Kugel, dann ein lautes Platschen und das dampfen von Wasser. Kurz darauf kam Adamant im Eilschritt in das Bassin zurück.
„Nicht geholfen?“, erkundigte sich Thalaën unnützerweise.
Der Kriegsgeschmiedete schüttelte den Kopf.
„Na, vielleicht hilft das. Thalaën zückte seine Waffe und machte sich für den Kampf bereit. Zauber waren ihm suspekt. Aber lebende Zauber setzten voraus, dass man sie auch töten konnte. Und darin war er gut.
Er hörte, wie die anderen ihm folgten, nun da er mutig voranschritt.
Und da stand sie auch schon, diese ach so gefährliche Kugel und verbreitete ihre Hitze.
Rasch trat Thalaën auf sie zu und schlug auf sie ein. Er merkte, dass er Verbrennungen erlitt, aber sie waren nicht schlimm. Nichts, was einen wahren Elfen stoppen konnte.
Er würde siegen, er würde sie töten.
„Thalaën! Die Kugel ist weg!“, riss ihn eine Stimme aus seinem Rausch. Tatsächlich war es dunkler geworden und zu seinen Füßen breitete ich eine hässliche feuerrote Masse aus, die einmal die Feuerkugel gewesen war.
„Manchmal kannst du einem echt Angst machen“, murmelte Esra und warf dem Elfen einen besorgniserregenden Seitenblick zu.

***

Der nächste Raum, den sie fanden, stellte sich als die Buchhaltung heraus. Auch hier fanden sie wieder einen Angestellten des Hauses, zusammengesunken auf seinem Schreibtisch. Gestorben mitten in der Arbeit. Sie hatten den Raum rasch wieder verlassen. Hier würden sie das Schema sicherlich nicht finden.
Die darauf folgende Tür führe sie nach Osten in eine vollautomatische Waschküche. Esra kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Lange Reihen von sauberen Bettlaken und Gewändern reihten sich hier aneinander. Die Luft war von Seifenduft erfüllt. Am hinteren Ende des Raumes wartete das Unglaublichste.
Hier befand sich ein großes Waschbecken, das in den Boden eingelassen war. Zuerst war daran nichts ungewöhnliches zu erkennen gewesen, doch dann erhob sich plötzlich eines der Kleidungsteile aus den Regalen – von einer unsichtbaren Hand getragen – und in das Becken getragen. Dort wurde sie – obwohl ohnedies schon sauber – gewaschen, geschrubbt, eingeseift, noch einmal geschrubbt, ausgewrungen, schließlich getrocknet, zusammengelegt und wieder in das Regal gelegt.
„Dann würde ich die Männer darum bitten, dass sie einmal kurz den Raum verlassen“, unterbrach Astamalia das Staunen.
„Warum?“, war Esra verdutzt. Wieso sollten die Männer gehen und sie bleiben?
„Meine Garderobe könnte durchaus eine Wäsche vertragen, die deinige übrigens auch“, meinte sie mit einem Seitenblick auf Esras Klamotten. „Und ich möchte einfach nicht von den Herren dabei gesehen werden, wenn ich mich ausziehe.“
Adamant sah etwas verwirrt aus, doch Thalaën grinste nur und nahm ihn am Arm.
„Lassen wir die beiden alleine“, meinte er nur.
„Warum?“, war der Kriegsgeschmiedete ebenso verwirrt wie Esra gerade eben noch.
„Ich glaube, darüber muss ich dich aufklären“, hörte Esra den Elf noch lachen. Dann waren sie im Gang verschwunden. Astamalia zog sich aus und warf ihre Robe in das Waschbecken. Sofort begann die Magie darin es zu reinigen.
Esra seufzte. Sie mochte den Geruch von Seife nicht. Besonders nicht, wenn er so intensiv war, wie dieser hier. Aber wahrscheinlich war es wirklich besser, wenn sie nicht mehr so stark stank, dass sie von jedem Monster aus der Entfernung bereits gerochen werden konnte.
„Ihr könnt reinkommen!“, rief Astamalia schon bald wieder, nachdem nicht nur ihre Kleidung, sonder auch sie selbst wieder sauber war.
Langsam kehrten die beiden Männer zurück.
„Was haltet ihr davon, wenn wir hier eine Rast einlegen? Der Raum scheint ungefährlich und mit all den sauberen Tüchern lässt sich sicherlich ein gutes Bett bauen“, schlug Astamalia vor.
Esra horche auf ihre innere Uhr. Ja, es wahr tatsächlich schon der Abend hereingebrochen, auch wenn es hier unten – ohne dem Licht der Sonne – schwer war, genau die Zeit zu bestimmen.
„Einverstanden. Ich werde Wache halten“, stimmte Adamant zu.

***

Es war angenehm, nach den beiden Nächten im Klageland, wieder in so ruhiger Umgebung Wache zu schieben. Adamant konnte sich praktisch die ganze Nacht in Ruhe seinen Büchern widmen. Es wäre nicht zu überhören, wenn irgendjemand die Schleuse betätigte um in ihren Gang zu kommen und so konnte er sich diese Unaufmerksamkeit leisten.
Als nach seiner Inneren Uhr achts Stunden vergangen waren weckte er seine Kameraden. Sie schienen sich in dieser Umgebung auch besser erholt zu haben, als es draußen in den beiden letzten Nächten der Fall gewesen war. Diese Umgebung vermittelte, trotz des flackernden Lichtes und den sie überall umgebenden toten Menschen, ein trügerisches Gefühl der Sicherheit. Trügerisch deswegen weil Thalaëns Brandblasen an diesem Tag genauso aussahen, wie am Tag zuvor. Adamant setzte schon dazu an, ihm seine heilenden Kräfte anzubieten. Doch ohne Astamalias Seiltrick, würden sie nichts wirken. Und so schlimm sahen die Verbrennungen an dem Elfen auch nicht aus.
„Wollen wir heute diese Bestie besiegen, welche die anderen Wölfe gefangen hält?“, fragte er also stattdessen, während die anderen bei einem ausgiebigen Frühstück saßen. Astamalia hatte ihren Zauberstein im Schoß und blätterte durch die Seiten, die in der Luft zu lesen waren.
„Können wir machen. Dann muss ich mir eben für heute mehr Kampfzauber memorieren. Nach der Beschreibung von Rorsa werden wir sie brauchen können.“
Nachdem Astamalia sich die – wie sie glaubte – richtigen Zauber herausgesucht hatte, brachen sie auf. Etwas nervös öffneten sie den südwestlichen Durchgang in der Schleuse. Auch hier erwartete sie dahinter nur das schummrige Zwielicht der fast erloschenen Immerhellen Laternen. Aber am Ende des Ganges war eine weitere Schleusentür zu sehen.
Adamant ging tapfer voran. Ihm lag viel daran, diese Wölfe zu befreien. Es würde eine eindeutige gute Tat im Namen der Flamme sein.
Er trat in die zweite Schleusenkammer. Auch hier fand sich ein Podest mit Steckplätzen, aber es waren nur vier und nicht acht, wie in der vorhergehenden. Und nur einer der Plätze war grün – und er führte sogar weiter nach Südwesten -, daher war die Auswahl eher beschränkt.
Auch diese Kugel drehte sich gehorsam, nachdem sie den Stecker platziert hatten.
Als sie wieder aus der Kugel rümpfte Esra sofort die Nase.
„Hier befinden sich eindeutig einige Wölfe. Das heißt, das Ungeheuer kann auch nicht weit sein. Wir sollten leise…“
„FÜR DIE FLAMME!“, brüllte Adamant mit erhobenem Schwert und rannte den Gang hinab. Er würde der Gerechtigkeit Genüge tun. Er würde diese armen Wesen befreien und in die Freiheit führen. Hinter sich hörte er die erschrockenen Ausrufe der anderen.
Astamalias „Haltet den Spinner auf!“, war dabei am lautesten. Dennoch schienen sie ihm zu folgen.
Im Laufschritt bog Adamant um einen Knick im Gang und stoppte abrupt. Vor ihm stand eine Kreatur, die die Gestalt eine Wolfs hatte. Aber ihr Fleisch war mit dicken, schwarz glänzenden Marmorplatten verbunden. Zusätzlich zu dieser steinernen Rüstung, welche die Flanken der Kreatur bedeckten, bleckte es ein Maul voller scharfer Obsidianzähne.
Vielleicht war der Sturmangriff doch keine so gute Idee gewesen, dachte Adamant noch bei sich, als ihn die Kreatur ansprang.
Mit Mühe konnte er sich die Bestie vom Hals halten und einen eigenen Schlag anbringen. Doch seine Klinge rutschte wirkungslos an den Panzerplatten ab. Ebenso erging es einem Pfeil von Esra und einem geführten Schlag von Thalaën.
Da brauste ein magisches Geschoss an den beiden Männern vorbei.
Stirb, du Bestie!, dachte Adamant noch. Doch entsetzt musste er mit ansehen, wie sich die magische Energie des Geschosses über dem Körper verteilte und wirkungslos verpuffte.
Das würde wahrlich ein schwerer Kampf werden.
Die Bestie sprang ihn abermals an. Diesmal retteten nur Adamants schwere Panzerung vor ernsthaften Verletzungen.
Während sich das Untier in seinen Arm verbiss gelang es Thalaën endlich einen Hieb zwischen den Platten zu platzieren. Der Säbel war voller Blut, als er ihn wieder herauszog.
Knurrend ließ der Wolf von Adamant ab und wandte sich der offensichtlich größeren Bedrohung zu. Während Adamant weiter nutzlos auf ihn einprügelte und Esra einen Pfeil nach dem anderen ohne Wirkung auf den Panzer schleuderte, probierte Astamalia ihr ganzes Repertoire an Zaubern aus, um welche zu finden, die wirksam sein könnten. Aber es gab nur einen Fehlschlag nach dem anderen.
Ein Schmerzenschrei erfüllte den Gang, als sich der Wolf plötzlich in Thalaëns Bein verbiss und ihn mit einem scharfen Ruck zu Fall brachte. Geistesgegenwärtig klammerte sich der Elf weiter an seine Waffe und blocke nun vom Boden aus seinen Angreifer, während der wieder und wieder nach ihm schnappte, ihm immer wieder kleinere Wunden zufügte.
Adamant sah das Ende für Thalaën kommen.
Endlich gelang es aber auch einmal ihm sein Schwert schmerzhaft in der Kreatur zu versenken. Sofort ließ der Wolf von Thalaën ab. Als Adamant den Boden unter den Füßen verlor, dachte er noch, dass das keine gute Idee gewesen war. Der Wolf hatte anscheinend entschieden, dass es am Besten war, wenn beide am Boden lagen.
Hart und mit lautem Getöse landete Adamant neben seinem Freund auf den Boden. Zu zweit versuchten sie nun den scharfen Zähnen ihres Angreifers zu entkommen. Aber Thalaën schien langsam die Kraft auszugehen. Seine Bewegungen wurden langsamer und die Zahl seiner Verletzungen durch die Kiefer des Wolfes nahmen rasant zu.
Plötzlich tauchte ein weiterer Schatten über ihnen auf. Adamant dachte schon an einen Engel, der ihn Dollurth, in das Reich der Toten, mitnehmen wollte. Doch es war Esra, ihre Waffe kess schwingend. Sie hatte eingesehen, dass ihre Attacken mit den Pfeilen nicht so viel Erfolg brachten. Dafür hatte Astamalia offensichtlich ihre Armbrust gezückt und feuerte – wenn auch mit wenig Erfolg – auf den Wolf.
Gemeinsam werden wir das doch wohl schaffen!
Adamant hob sein Schwert und führte es mit aller Kraft gegen den Wolf, rammte es ihm von unten durch den Schädel, währen Esra ihr Schwert in seinen Rachen rammte.
Das Monster taumelte mehrere Schritte zurück, vergoss Unmengen an Blut, röchelte und brach schließlich reglos zusammen.
„Geschafft“, schnarrte Adamant.
War das meine Stimme? Sie klang so seltsam.
„Oje!“, entfuhr es Astamalia und sie kniete neben ihm nieder. „Das wieder zu flicken wird schwer werden.“
Erstaunt sah Adamant an sich herab. Der Wolf hatte ihm härter zugesetzt, als er dachte. Überall war seine Rüstung gesprengt und seine Innereien waren zu sehen. Seine Arme und Beine waren ebenfalls stark mitgenommen und insgeheim fragte er sich, wie er es geschafft hatte, bis zum Ende sein Schwert zu halten.
„Du schaffst das schon.“
„Ja, ich schon. Aber hoffentlich auch Thalaën.“
Astamalia hob den Kopf den Elfen an und tastete nach seinem Puls.
„Er liegt im Sterben. Wir müssen rasch handeln. Kannst du noch seine Wunden heilen, bevor du auseinander fällst?“
„Ich denke schon“, krächzte Adamant mit schwacher Stimme.
Rasch wirkte Astamalia ihren Seiltrick und gemeinsam mit Esra verfrachtete sie Adamant und Thalaën hinein.
„Ich bin immer noch nicht tot?“, fragte Thalaën mit rauer Stimme, als er das Bewusstsein wieder erlangte. „Ich liege schon wieder in diesem Raum?“
„Zweimal ja“, grinste Astamalia und machte sich daran Adamants Zustand zu verbessern. „Ich fürchte, meine Kräfte reichen nicht aus, um das alles auf einmal zu heilen. So stark ist meine Magie nicht. Es wird mindestens noch einen weiteren Tag dauern.“
„Das trifft sich gut“, meinte Adamant und begutachtete Thalaëns Wunden. „Auch Thalaëns Verletzungen sind stärker als meine Kräfte. Aber immerhin haben wir die Wölfe befreit.“
„Durch deine Aktion wären wir aber beinahe zu Wolfsfutter geworden“, warf Esra ein, ohne jedoch wirklich wütend zu klingen. Vorerst waren sie alle sehr zufrieden damit, überhaupt noch am Leben zu sein.

***

Rorsa zeigte sich wirklich erfreut, als sie die sieben gefangenen Grauwölfe zu ihr brachten. Wie versprochen durften sie sich den grünen Schlüssel behalten und sie bekamen zudem noch eine kleine glänzende Perle, welche Astamalia als eine Perle der Macht identifizierte, die es ihr ermöglichte einen Zauber noch einmal zu wirken. Mit Hilfe des braunen Schlüssels, den sie im Bad im Norden der Schmiede gefunden hatten konnten sie jetzt auch die dritte Tür in Rorsas Gebiet öffnen.
Dahinter fanden sie den Raum des Kommandanten, dessen wahren Schätze in einer wahren Waffenkammer, sowie einem Versteck mit etlichem Gold und einem roten Schlüssel bestanden.
Aufgrund der schweren Verletzungen von Thalaën und Adamant verblieben sie fast einen ganzen Tag in Rorsas Nähe. Erst dann machten sie sich weiter nach der Suche nach dem verschollenen Schema.
Diese Suche führte sie zuerst in ein Lager, indem sie sich mit eingelagerten Lebensmitteln und Ausrüstungsgegenständen eindecken konnten. Als nächstes fanden sie eine Kantine mit anschließender Küche. Hier fanden sie auch die größte Anzahl an Leichen, die sie bisher in der Schmiede gefunden hatten. Zehn Menschen lagen hier wie schlafend auf den Tischen. Sogar ihr Fleisch war noch warm, als wären sie gerade eben gestorben. Auch in der Küche fanden sie einig am Boden liegende Mitarbeiter des Hauses Cannith.
Rasch verließen sie diesen Ort wieder.
Schließlich fanden sie noch eine weitere, dritte Drehschleuse im Südosten der Schmiede.
„Hoffentlich gibt es nicht noch mehr solcher Türen“, brummte Thalaën. „Ansonsten werden wir hier unten noch vergammeln.“
Neugierig besahen sie sich dieses Podest. Wie auch in der zweiten Schleuse, die sie entdeckt hatten, gab es hier vier Steckplätze an den Ecken, plus einen weiteren in der Mitte.
„Vielleicht geht es hier nach oben?“, überlegte Esra.
„Wäre möglich. Oder noch weiter nach unten. Aber wir sollten uns mal die anderen ansehen. Hm. Wir haben einen violetten Schlüssel und einen gelben“, deutete Astamalia auf die beiden Steckplätze. „Die anderen haben wir noch nicht gefunden, oder finden sich hier in der Schmiede nicht.“
„Fangen wir doch mit Violett an“, schlug Adamant vor.
Astamalia zuckte mit den Schultern. Im Prinzip war es egal. Sie steckte den Schlüssel hinein.
Sofort erloschen alle Lichter.
Rasch begann sich die Kugel zu drehen, rascher als die beiden anderen. Kurz war ein unterdrückter Aufschrei zu hören, der stark nach Thalaën klang, dann ein lautes Platschen, als wäre etwas schweres ins Wasser gefallen.
„Wir brauchen Licht“, rief Astamalia und fingerte an ihrem Gürtel nach einem Sonnenzepter.
Doch Adamant war schneller.
Das sanfte Leuchten des Zepters erfüllte die Kugel. Im Boden befand sich ein Loch. Thalaën war verschwunden. Ängstlich leuchteten sie in das Loch hinab. Drei Meter darunter befand sich eine dunkle Wasseroberfläche, von Thalaën war keine Spur zu sehen.
„Bei der Flamme. In der Rüstung kann er doch nicht schwimmen. Wir brauchen ein…“
„Seil.“
Esra hielt dem Kriegsgeschmiedeten genau eben dieses unter die Nase. Rasch griff Adamant nach dem einen Ende, während Esra das andere in die Tiefe warf. Rasch spannte es sich und ruckte.
„Er scheint es zu haben!“, rief Astamalia aufgeregt und leuchtete hinab.
Adamant wickelte das Seil um seinen Arm und begann zu ziehen. Er keuchte unter der Anstrengung. Doch Meter um Meter holte er das Seil aus dem Wasser und schließlich durchstieß auch der Kopf des Elfen die Oberfläche.
Laut prustend jappte er nach Luft.
„Das war knapp.“
Ächzend zogen Esra und Adamant den triefnassen Elfen aus dem Schacht.
„Eine wahrlich gemeine Falle.“
„Nur für jene, die nicht wissen, wie diese Schleuse zu bedienen ist“, winkte Esra ab und studierte das Podest erneut.
„Ah“, machte sie und steckte den roten Schlüssel an seinen Platz. Nichts geschah, aber der Schlüssel rastete ein. Dann steckte sie den violetten Schlüssel an seinen Platz. Die Lichter der Kammer gingen wieder an und rumpelnd begann sich die Kugel zu drehen um dann am entsprechenden Ausgang wieder zu stoppen.
„War doch nicht so schwer.“
Thalaën knurrte etwas unverständliches auf elfisch, wischte sich einige Wassertropfen aus dem Gesicht und trat in den schummrigen Gang. Es war das erst Mal, dass ein Gang schräg nach unten, weiter unter die Erde führte.
Und es war auch der erste Gang, der so lange war. Mehr als Einhundert Meter arbeiteten sie sich nach unten durch, bis sie schließlich in einer gewaltigen Werkstatt standen.

Adamant hatte noch nie eine Schöpfungsschmiede gesehen, in der die Kriegsgeschmiedeten bis vor zwei Jahren gebaut worden waren. Er hatte auch noch nie eine der Werkstätten des Hauses Cannith gesehen. Bis jetzt war er immer, wenn er Schäden erlitten hatte, von Astamalia zusammengeflickt worden.
Umso erstaunter war er, als er sich nun in eben einer solchen Werkstätte wieder fand. An den Wänden reihten sich Ersatzteile und Werkzeuge zur Reparatur von Geschmiedeten. Pläne bedeckten die noch freien Flecken an den Wänden. Und in der Mitte des Raumes stand eine riesige Werkbank, auf der ein Kriegsgeschmiedeter lag. Anscheinend war er nicht fertig gestellt worden.
Während die anderen nach und nach den ganzen Raum nach dem Schema absuchten, besah sich Adamant den toten Körper.
Die Brust stand offen und einige Werkzeuge befanden sich noch darin. Auf dem Boden daneben lag ein Angestellter des Hauses. Offensichtlich am Tag der Klage gestorben.
Adamant wollte sich schon wieder abwenden, als ihm etwas auffiel. Sorgfältig wischte er den Staub der Jahre von der Brust seines Bruders und erstarrte. Eine XIV war in die Brust eingraviert. Sie war genau vom gleichen Stil wie seine XIII.
„Adamant, ist das ein Verwandter von dir?“, war Astamalia erstaunt.
„Scheint so“, murmelte der Kleriker. „Ich habe mich immer gefragt, was diese Nummer bedeuten soll. Kein anderer Kriegsgeschmiedeter, den ich bis jetzt getroffen habe, verfügte über etwas ähnliches.“
„War wohl eine Art Seriennummer.“
„Und offenbar warst du der letzte, der fertig gestellt wurde.“
„Vielleicht sollten wir Dame Elaydren fragen, was es damit auf sich hat“, schlug Astamalia vor. „Es kann nicht sein, dass du ewig ohne Kenntnisse deiner Herkunft herumläufst.“
„Ja, das wird wohl das Beste sein“, stimmte Adamant zu.
„Gut, dann lasst uns unseren letzten Schlüssel ausprobieren. Hier befindet sich ebenfalls kein Schema.“

***

Die letzte Tür, der letzte Gang, führte schräg nach oben.
„Endlich wieder Richtung Tageslicht“, ächzt Esra, die die Tage unter der Erde leid war.
Vor ihr stoppte Thalaën plötzlich.
„Ist nur mir so warm?“, fragte er.
„Nein. Es ist hier in der Tat wärmer, als sonst überall in der Schmiede“, wunderte sich auch Esra. „Ich denke, es kommt von dort.“
Der Gang vor ihnen war durch ein schweres Tor aus Adamantit versperrt, auf dem das Siegel von Haus Cannith prangte. Die Luft, die unter der Tür hindurch kam flirrte in der Luft.
„Nicht gut. Dahinter scheint es zu brennen.“
Adamant berührte vorsichtig die Tür und zuckte zurück.
„Heiß.“
Esra schüttelte den Kopf. Das hätte sie ihm auch sagen können.
„Aber wir werden dort hinein müssen“, stellte Astamalia klar. „Irgendjemand muss die Tür öffnen. Und dann immer noch am besten Adamant, oder?“
Der Kriegsgeschmiedete seufzte und Esra fragte sich, warum er dieses Urteil so bedingungslos hinnahm. Niemand hatte Astamalia zur Führerin ernannt.
„Aber gebt mir Deckung“, verlangte Adamant.
Esra griff nach ihrem Bogen, neben ihr zog Thalaën seine Klinge in einer schwungvollen Bewegung hervor.
Mit einem Ächzen riss Adamant die Türen auf und sofort schwemmte eine Welle glühend heißer Luft in den Raum. Esra hatte das Gefühl gleich zu brennen, ihr Bogen schien zu dampfen.
Der Raum vor ihr war riesig und flimmerte ebenfalls in der Hitze. Ein riesiges Feuer wütete etwa 12 Meter von der Tür entfernt, nahe der gegenüberliegenden Wand und ließ Schatten an den Mauern tanzen. Ein anderes Feuer loderte in 18 Meter Entfernung an der Südwand. Im Zentrum des Raumes befand sich ein mit blasen schlagendem flüssigen Glas gefüllter Schmelztiegel, der ebenfalls Hitze auszustrahlen schien. Lange, schlangenartige Köpfe aus Eisen und Messing ragten aus dem Glassee und erinnerten Esra an die Geschichten von Hydren, die sie gehört hatte. Nur ein Stück weiter südlich des Schmelztiegels wurde das gleißende Licht von einer kristallenen Kiste reflektiert. Durch das durchsichtige Material konnte Esra mehrere verschiedene Objekte darin erkennen, darunter auch etwas, das stark an das diamantförmige Schema erinnerte, das sie suchten. Gerade als sie ihre rasche Durchmusterung des Raumes abgeschlossen hatte, schlugen die Flammen der beiden Feuer höher und begannen sich auf sie zu zu bewegen.
„Bei den Göttern! Was ist das!“, rief sie aus und feuerte einen Pfeil in eines der Feuer, ohne zu wissen, ob das etwas brachte.
„Feuerelementare!“, rief Astamalia und hielt sich, um sich vor der Hitze zu schützen, die linke Hand vors Gesicht.
Gleich darauf hörte sie Esra „Frigora!“, rufen und ein Hauch von Kälte streifte sie, während eines der beiden Elementare, unter dem hellblauen Strahl zurücktaumelte.
Adamant bekam von all dem nichts mit, denn er wurde gerade von dem zweiten Elementar in die Mangel genommen. Esra konnte kaum noch sehen, wo sich das Elementar befand und wo der Kriegsgeschmiedete.
Dennoch wagte sie einen Schuss und die Wand aus Feuer zuckte auch. Sie grinste. Anscheinend waren ihre Pfeile doch wirkungsvoll.
Thalaën versuchte inzwischen das zweite Wesen auf Distanz zu halten, doch anscheinend hatte er sich damit etwas übernommen. Seine Kleidung fing fast sofort Feuer und Brandblasen bedeckten rasch seinen ganzen Körper.
Esra fluchte. Diese beiden verdammten Hitzköpfe.
Sie wechselte ihr Ziel und feuerte rasch zwei Pfeile hintereinander in Thalaëns Gegner. Doch da war Thalaën bereits zu Boden gegangen.
Astamalia feuerte noch etwas magisches auf das Elementar ab, aber das schien das Elementar jetzt auch nicht mehr aufzuhalten.
Kurz entschlossen entledigte sich Esra ihres Bogens und griff nach ihrer neuen Waffe: Einem riesigen Bihänder, den sie in der Kammer des Kommandanten gefunden hatte und der fast so groß war wie sie selbst.
Damit in Händen stürmte sie auf das Elementar zu und drosch mit all ihrer Kraft auf das Feuerwesen ein. Der Stahl schien zu glühen, als sie die Klinge fast bis zum Heft in der merkwürdigen Substanz versenkte, aus der das Elementar bestand.
Kreischend krümmte es sich zu Boden und rund um Esra wurde es merklich kühler.
Eine halbe Sekunde später folgte ein ähnlicher Schrei und Esras überreizte Sinne empfanden es plötzlich als recht angenehm, als auch das zweite Elementar starb.
„Rasch, bringt Thalaën hier herein!“, rief Astamalia, die schon wieder ihren Seiltrick angewendet hatte. Esra griff den noch schwellenden Körper gemeinsam mit Adamant auf und verfrachtete ihn – nun bereits zum dritten Mal – in den Raum.
„Nicht schon wieder“, keuchte Thalaën, als er die Augen wieder aufschlug.
Esra konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Es war wirklich schon nach jedem Kampf Routine, dass der Elf hier wach wurde.
„Du bist mir wahrhaft ein glorreicher Kämpfer“, meinte Astamalia bissig. „Und nun lasst uns das Schema holen.“
„Es ist hier?“, war Thalaën erstaunt.
„Ja, es befindet sich in der kristallenen Kiste“, klärte ihn Esra auf.
„Welche Kiste?“, war der Elf verwirrt.
Die Wandlerin seufzte. An der viel gelobten Wahrnehmung der Elfen war auch nicht so viel dran, wie sie immer gedacht hatte.
„Ich zeige es dir.“
Esra führte die anderen durch den Raum, der noch immer sehr heiß war, aber mittlerweile nicht mehr das Gefühl vermittelte, als würde man gleich verbrennen. Und da stand wirklich die Kiste, sogar unverschlossen. Anscheinend hatte nur das Material dazu gedient, dass der Inhalt nicht beschädigt wurde, sinnierte Esra und machte den Deckel auf.
Erstaunt zog sie zwei fast identische Schemata daraus hervor, beide diamantförmig. Eines sah aus, als wäre es erst vor kurzem gefertigt worden, das andere, als hätte es bereits mehrere Tausend Jahre auf dem Buckel.
„Dem Haus Cannith scheint eine Kopie gelungen zu sein“, schlussfolgerte Astamalia und nahm Esra die beiden Gegenstände ab.
Als nächstes holte Esra eine große, gut 60 cm durchmessende Scheibe aus Adamantit heraus, die mit Mithralrunen und Symbolen bedeckt war. Vier Steckplätze auf der Scheibe waren zu sehen.
„Das Schöpfungsmuter!“, rief Astamalia erstaunt.
 „Ah, dafür bekommen wir sicherlich einen Bonus“, grinste Esra. Die beiden Schemata, die sie bis jetzt gefunden hatten schienen exakt in zwei der Steckplätze zu passen. Was auch bedeutete, dass sie noch zwei weitre finden mussten.
Als nächstes holte Esra noch vier Fläschchen aus der Kiste. Zwei davon waren Heiltränke, die sie dem armen Thalaën gaben, damit er sie beim nächsten Aufenthalt im Extradimensionalen Raum trinken konnte. Beim Anblick der anderen beiden Tränke seufzte Esra.
„Die hätten wir beim Kampf gegen die Elementare brauchen können“, jammerte sie und warf sie Astamalia zu. „Sie schützen vor Hitze.“
Die Magierin zuckte mit den Schultern. „Vielleicht ein andermal.“
„Wir sollten zusehen, dass wir wieder an die Oberfläche kommen. Ich bin froh, wenn wir diese Schmiede hinter uns haben“, drängte da Thalaën zur Eile.
„Hast du Sehnsucht nach dem Klageland?“, fragte Esra und grinste. Dann deutete sie auf die Kuppel, die sich über dem Glasbottich befand.
„Vielleicht kann man die irgendwie öffnen.“
Astamalia fand sich angesprochen und machte sich auf die Suche nach den Schaltern.
Als die Kuppel knarrend zurückfuhr, wusste Esra, dass die Halb-Elfe den Mechanismus gefunden hatte. Angenehme, kühle Luft erfüllte den Raum, als die Hitze aufstieg. Zugleich stieg jedoch auch die Apparatur weiter in die Höhe, so dass ihre Köpfe nun weit über das Klageland blickten.
Kurz kam Esra die Idee, dass die glasbedeckten Ruinen von Rotbruch vielleicht auf diesen Gegenstand zurückzuführen waren.
„Los raus hier!“, rief da jedoch Thalaën und unterbrach ihre Gedankengänge.
„Sollten wir nicht vorher noch die Wölfe befreien?“, schlug Adamant vor. „Immerhin haben wir ihnen keine Möglichkeit gelassen, dass sie sonst irgendwie je aus dieser Schmiede herauskommen.“
Esra nickte. Damit war sie einverstanden. Auch die beiden anderen schienen nicht abgeneigt, auch wenn sie weniger Enthusiasmus an den Tag legten.

***

„Wir werden ewig in eurer Schuld stehen“, bedankte sich Rorsa, als sie endlich das ganze Wolfsrudel an die Oberfläche gebracht hatten.
Im schattenlosen Licht des Klagelandes war das Rudel noch unheimlicher, als es in der Schmiede gewesen war, fand Thalaën. Vor allem Rorsa, die sie nacheinander mit ihren tiefen, intelligenten Augen anblickte. „Ich danke euch“, sprach sie noch einmal. Dann machte das Rudel wie ein Mann kehrt und jagte über die Hügel um dann hinter dem nächsten Kamm zu verschwinden.
„Wir sollten auch zusehen, dass wir hier wegkommen. Je früher wir aufbrechen, desto früher haben wir auch das Klageland hinter uns.“
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Situla am 08. Februar 2008, 10:33:04
phantastische story hour, wir haben das Abenteuer auch schon mal gespielt, aber bei euch kommt so richtig Spannung auf. Bitte weiterschreiben!! Bin eifrig am mitlesen.
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 09. Februar 2008, 13:11:09
Das erste große Abenteuer haben die Helden bald hinter sich, doch das nächste lässt nicht lange auf sich warten. Fleißige Mitleser der verschiedenen Story-Hours hier im Gate wird der Beginn des nächsten Abenteuers vielleicht bekannt vorkommen. Ich habe mich von der Idee her nämlich schamlos an die Geschichte von meist3brau http://forum.dnd-gate.de/index.php/topic,12117.0.html gehalten. Ich hoffe man verzeiht mir diesen Diebstahl.

Gold und Ehre

Adamant hatte gedacht, es würde eine Erleichterung sein, wenn sie die Schmiede hinter sich ließen. Doch die Trostlosigkeit des Klagelandes machte ihm da einen Strich durch die Rechnung. Außerdem hing ihm viel zu viel durch den Kopf. Zuerst dieser merkwürdige Stoffhändler mit seiner Anspielung auf Thalas Feuerkamm. Und dann heute der Körper des Kriegsgeschmiedeten mit der eingravierten Nummer.
Was hatte das alles zu bedeuten?
War es Schicksal, dass ihn seine Wege gerade hierher geführt hatten? Oder wusste gar am Ende Nerina Lichtbringer mehr über seine Vergangenheit, als sie offen eingestehen wollte. Aber nein, das konnte nicht sein, das traute er ihr nicht zu.
„Ich gratuliere, Abenteurer!“, erklang da eine Stimme, die ihm unheimlich vertraut vorkam. Erschrocken blieb er zusammen mit den anderen stehen. Von den umliegenden Hügelkuppen erhoben sich Gestalten – viele Gestalten. Adamant zählte sechs Soldaten des Ordens, vier Skelette, eine hager aussehende Nekromantin und natürlich den Vampir, den sie ebenfalls schon aus Rotbruch kannten.
Sie waren umzingelt.
„Es ist nutzlos sich zu wehren“, rief er. „Gebt mir das dritte Schema und ich werde euch am Leben lassen. Leistet ihr mir jedoch Widerstand werde ich es nach eurem Tod nehmen und eure Leichen als meine Diener auferstehen lassen!“
Adamant horchte auf. Drittes Schema? Sie hatten doch erst zwei gefunden?! Das bedeutete dann wohl, dass der Orden bereits ein drittes in den Händen hielt. Das war nicht gut.
„Was sollen wir tun?“, flüsterte er.
„Wir geben ihm die Kopie“, schlug Astamalia vor.
„Gute Idee“, gab Esra leise zurück.
Thalaën nickte ebenfalls leicht und versuchte unauffällig zu seinem Schwert zu kommen.
Astamalia holte ihren Rucksack vom Rücken und holte die Kopie hervor, während die Armbrustschützen des Ordens sie immer im Visier behielten.
Klar sichtbar für alle hielt sie das Schema über ihren Kopf und warf es dann den Hang hinauf. Einer der Soldaten lief darauf zu, hob es auf und brachte es dem Vampir.
„Eine weise Entscheidung. Ihr seid des Dankes von Garrow und des Ordens würdig“, grinste der Vampir und steckte es.
Zwei seiner Männer verschwanden kurz und kamen dann mit einigen Pferden wieder. Garrow, seine Nekromantin und zwei der Soldaten stiegen auf.
„Tötet sie!“, rief Garrow seinen Männern zu, winkte den Abenteurern zum abschied und ritt mit seiner Begleitung davon.
„Ich denke, er hat gelogen, als er uns unser Leben versprach“, knurrte Adamant und zückte sein Schwert.
Ein Hagel von Bolzen ging auf sie nieder, dann starteten sie Skelette einen Angriff, doch darauf war Adamant vorbereitet. Er zückte sein Symbol und hob es ihnen deutlich entgegen.
„Im Namen der Flamme! Lasst ab von uns und verschwindet in diesem unheiligen Ödland! Hier jedoch ist kein Platz für euer Böses!“
Die Skelette kamen ins taumeln, hielten kurz inne und wandten sich dann zur Flucht. Adamant hörte einen der Soldaten fluchen:
„Verdammte Untote! Bleibt hier ihr Versager!“
„Gut gemacht!“, lobte ihn Thalaën.
Doch da kam schon die nächste Angriffswelle, diesmal bestehend aus den Soldaten des Ordens. Hier würde kein einfaches Symbol reichen.
Adamant griff wieder nach seinem Schwert.
„Kommt nur, ihr Unheiligen!“, schrie er.
„Thys tia eilaerys !“, brüllte Thalaën.

***

Das Gemetzel war kurz und erfolgreich verlaufen. Alle sechs Soldaten des Ordens lagen niedergestreckt im Dreck. Mittlerweile eine halbe Tagesreise hinter ihnen. Thalaën fragte sich, ob sie ebenso wenig verwesen würden, wie alles andere hier im Klageland, oder ob ihnen ein besseres Schicksal zu Teil werden würden.
Nicht, dass er es ihnen wünschen würde. Wer das Leben auf solche kranke Art und Weise verlängerte, verdiente auch nichts anderes im Tod. Dennoch war es ein interessanter Gedanke.
„Wisst, was mich an der Angelegenheit wirklich stört“, unterbrach Adamant plötzlich die Stille. „Ich hänge zwar nicht dermaßen an meinem Gold, aber wir haben eine Fahne für die Passage mit Failin erstanden, die wir auch ab morgen brauchen werden. Aber ich nehme nicht an, dass sich Failin noch in Rotbruch befindet. Nicht nach der Zeit, die wir gebraucht haben.“
„Ah, Adamant, da wäre ich mir nicht so sicher“, lachte Astamalia. Thalaën fand, das dieses Geräusch in dieser Umgebung mehr als nur merkwürdig klang.
„Failin hat nämlich in all der Hektik vergessen den zweien Teil seiner Bezahlung einzufordern.“
Plötzlich brachen auch alle anderen in Gelächter aus.
„Geschieht ihm ganz recht!“, lachte Thalaën.
Daran hatte offenbar wirklich niemand mehr gedacht – bis jetzt. Aber es hob ihre Stimmung enorm. Und auch als sie am Abend das Schlachtfeld durchquerten, indem ihnen bei ihrem Herweg die Krabbe aufgelauert hatte, konnte das ihre Stimmung nur wenig trüben.
Doch nun fand Thalaën endlich die Möglichkeit seine gefallenen Brüder zu untersuchen. Ein Versuch der ihn beim letzten Mal fast das Leben gekostet hätte.
„Es sieht so aus, als wären sie im Kampf gegen diese Halblinge gewesen. Doch dann dürfte die Krabbe aufgetaucht sein“, analysierte er die Schlachtspuren und deutete dabei auf mehrere unterschiedliche Wunden bei den Trupps aus Valenar und aus der Talenta-Ebene.
Dann hielt er plötzlich inne und hob eine der Leichen auf. Halb darunter begraben lag einer der schönsten Doppelkrummsäbel, den er je gesehen hatte. Selbst sein edles Stück sah dagegen blass aus.
Beide Klingen des Säbels waren verziert. Auf der einen befand sich das stilisierte Bild eines Pferdekopfs, auf der anderen ein wehender Pferdeschweif. Der Griff war mit schwarzem Leder und Silberdraht umwickelt und ein Name war mit elfischen Schriftzügen in das Leder eingraviert: Talaen Kara.
Probeweise schwang Thalaën die Klinge durch die Luft. Die stilisierten Bilder schienen zu leuchten zu beginnen und sich zu bewegen, als wäre es ein galoppierendes Pferd.
„Dich werde ich mal behalten“, murmelte er und steckte ihn zu seinem andern auf den Rücken.

***

Astamalia konnte ein erleichtertes Aufseufzen nicht unterdrücken, als sie endlich vor der Wand aus Aschgrauem Nebel standen.
„Bin ich froh! Ich kann es kaum noch erwarten endlich wieder etwas grünes, etwas lebendiges zu sehen“, rief sie.
„Freu dich nicht zu früh. Bei unserem Glück lauert ein Untier auf der anderen Seite“, unkte Esra. Auch sie schien wirklich froh zu sein, dass sie das Klageland bald hinter sich lassen würden. „Wie lange waren wir jetzt eigentlich in dieser Hölle?“
Astamalia rechnete kurz nach.
„Dürften sechs Tage gewesen sein. Dann sollten wir heute den 1. Eyre haben. Gut, das wir die zweite Flagge gekauft haben. Wir werden sie brauchen. Vor allem dann, wenn Failin nicht in Rotbruch gewartet hat.“
Die anderen warfen ihr vernichtende Blicke zu und sie hob abwehrend die Hände.
„Er wird schon gewartet haben. Wir haben ihm das Leben gerettet und, was viel wichtiger ist, wir schulden ihm noch Geld.“
Astamalia hoffte innigst, dass das auch wirklich wahr war. Sie hatte keine Lust auf einen mehrwöchigen Fußmarsch bei nur wenig vorhandener Verpflegung, durch die Ebene von Droaam.

***

Esra hob erstaunt die Augenbraue, als sie den Hügel nahe Rotbruch erklommen, von dem sie zum ersten Mal auf die Ruinen der Stadt hinabgeblickt hatten. Auf der Kuppe stand ein einfacher Planwagen und daneben stand ein kleines Zelt, vor dem ein Feuerchen brannte.
Failin befand sich also tatsächlich noch hier.
Missmutig blickt er ihnen entgegen und rauchte dabei eine alte Pfeife.
„Kommt spät“, meckerte er.
„Es gab ein paar Zwischenfälle, die uns etwas aufgehalten haben“, entschuldigte sich Esra und ließ sich neben ihm in das dürre Gras fallen. „Aber danke, dass du gewartet hast.“
„Schuldet noch Geld“, brummte er und stopfte seine Pfeife.
„Das wir dein Leben gerettet haben, hat nichts damit zu tun?“, brauste Thalaën auf.
Failin brummte etwas, das von einem ja, über ein vielleicht bis hin zu einem nein alle sein konnte.
Esra winkte ab und gebot dem Elfen sich ebenfalls zu setzen. Ein Streit half jetzt niemandem etwas.
„Es reicht uns schon, dass du hier geblieben bist. Ich denke, ein Dank wäre angebracht. Und ein gutes Essen. Und danach sollten wir zusehen, dass wir so viele Kilometer wischen diesen Nebel und uns bekommen.“

***

„Zurück in der Zivilisation“, seufzte Thalaën, als Failin den Wagen am Blutmarkt zum stehen brachte.
„Geld“, brummte der nur und hielt seine Hand auf. Astamalia suchte ärgerlich die entsprechende Anzahl an Goldmünzen aus ihrem Beutel, während Esra den Blick über den Platz schweifen ließ. Langsam kamen ihr Zweifel, ob es so klug gewesen war das Klageland zu verlassen. So viel besser war die Zivilisation auch nicht. Sie hatte siech nicht vorstellen können, dass sie innerhalb dieser wenigen Tage vergessen hatte können, wie schlimm es auf dem Blutmarkt eigentlich zu ging. Unweit ihrer Position sah sie die Leiche eines Goblins, über den alle anderen hinweg stiegen. Zwei Hunde standen knurrend in der Nähe und schienen auf die passende Gelegenheit zu warten, sich den Kadaver zu schnappen.
Schaudernd sprang sie vom Wagen.
Die anderen schlossen sich ihr an.
„Danke noch einmal, dass du gewartet hast“, bedankte sie sich bei Failin. Doch der brummte nur, wendete den Wagen und beschleunigte ihn, ohne Rücksicht auf die vielen Passanten, über den Platz.
„Und nun?“, fragte Thalaën. „Wie geht es weiter?“
„Elaydren hat gesagt, das sie nach unserer Rückkehr hier in Rukaan Draal auf uns warten würde. Aber leider steht in dem Brief nicht, wo sie warten wird“, überlegte Astamalia.
„Vielleicht hat sie wieder eine Nachricht bei einer der Stationen von Haus Sivis zurückgelassen?“, schlug Esra vor.
„Gute Idee. Vielleicht werden wir dort fündig.“

***

Die Hobgoblins in Rukaan Draal schienen nicht sehr interessiert daran zu sein, Briefe zu schreiben, überlegte Adamant, als sie die prachtvolle Halle betraten. Erstaunt sah er sich um. Diese Station hier war um ein vielfaches Größer, als jene, die sie in Sharn regelmäßig aufgesucht hatten. Aber, so überlegte er, in Sharn gab es sicherlich mehrere dieser Niederlassungen, während es in Rukaan Draal nur diese eine zu geben schien.
Die riesige Halle mit der kuppelförmigen Decke war mit Marmor ausgelegt und exotische Pflanzen standen an den Wänden. Überall in der Halle verteilt standen kleine Tische mit je einem Stuhl und Feder, Papier und Tinte darauf.
An der langen Schalterreihe stand nur eine alte Frau, die offensichtlich Probleme hatte, den Gnom auf der anderen Seite zu verstehen; zumindest schrie der arme Kerl bereits ziemlich laut, was in dem ehrwürdigen, herrschenden Schweigen, recht seltsam wirkte.
Astamalia hatte wieder einmal die Führung der Gruppe übernommen und ging schnurstracks auf einen der freien Schalter zu.
„Guten Tag der Herr“, begrüßte sie den Gnom. „Ich wollte fragen, ob eine Nachricht für jemanden von uns bereit liegt.“
„Natürlich. Ihre Namen bitte?“, fragte der Gnom und schnappte sich einen Füller.
„Astamalia d’Lyrandar, Esra Emorien, Thalaën Tedaé und Adamant“, zählte sie auf und schob ihm dabei die Identifikationspapiere jedes einzelnen über den Tresen.
„Nun, es gibt in der Tat eine Nachricht für einen Herrn Adamant. Von einer gewissen Arkada Irulan.“
Er schob Adamant den Brief zu, der ihn verwirrt nahm
Er kannte keine Arkada Irulan.
Interessiert besah er sich den Brief genauer. Der Absender war hier in Rukaan Draal. Soviel stand fest.
„Kann ich ihnen sonst noch helfen?“, fragte da der Gnom.
„Ja, bitte“, riss sich Adamant vom Anblick dieses recht unerwarteten Briefes los. „Ich möchte gerne eine Nachricht abschicken.“
Er ignorierte die verwunderten Blicke der anderen. Während sie im Klageland und in der Schmiede immer wieder geschlafen hatten, hatte er einen sehr langen und detaillierten Brief an Nerina verfasst. Und nun war eine gute Gelegenheit ihn abzuschicken.
Er nannte dem Gnom noch die Adresse und bezahlte die verlangten Regenten.
Dann verließ er den Schalter um sich seiner Post zu widmen.
Die anderen blieben noch dort. Anscheinend war es auch Astamalia überkommen, einen Brief an ihre Eltern zu schreiben; und Thalaën nutzte die Gunst der Stunde um eine Nachricht an seinen Bruder in Aerenal zu schicken.
Nur Esra ließ sich auf einem der Stühle nieder und wirkte etwas bedrückt.
Adamant zog inzwischen das kleine Stück Papier aus dem Umschlag.

Kommt bitte nach Eurer Rückkehr in den Tempel der Silbernen Flamme hier in Rukaan Draal. Ich habe Neuigkeiten für euch.
Priesterin Arkada Irulan


Das war alles, was darin stand. Etwas enttäuscht, aber auch neugierig geworden, steckte er den Brief wieder weg und wartete auf die anderen.
„Und, was stand drinnen?“, fragte Astamalia unverblümt neugierig.
„Er stammt anscheinend von der hiesigen Priesterin der Flamme. Sie möchte, dass ich sie besuche.“
„Gut. Wir sollten uns inzwischen um eine Heimfahrtmöglichkeit umsehen. Immerhin haben wir noch einen Kreditbrief für das Haus Orien. Wir sollten uns erkundigen, wann wir von hier weg können.“
„Fragen wir doch einfach am Bahnhof“, schlug Thalaën vor und erntete dafür verwirrte Blicke.
„Thalaën, hier gibt es keinen Bahnhof“, klärte ihn Astamalia auf. „Das war auch der Grund, warum wir via Schiff hierher gekommen sind. Wir werden eine Karawane nehmen müssen. Wenn mich nicht alles täuscht, dann liegt der nächste Anschluss an die Blitzbahn in Strengtor, und das ist eine ganz gute Strecke von hier. Am besten marschieren wir gleich mal Richtung Hafen. Vielleicht gibt es dort eine Station von Haus Orien. Wir treffen uns dann später wieder im Gasthof Zur geballten Faust?“
Adamant nickte, verabschiedete sich und begann sich in Richtung des Tempels durchzufragen. Auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, dass es in dieser Stadt eine Niederlassung der Flamme geben sollte.

***

Den Hafen zu finden war nicht schwer. Immerhin waren sie hier auch gelandet und er befand sich nur unweit des Blutmarktes. Dann jedoch schienen sie anzustehen. Astamalia verrenkte sich fast den Hals, um irgendwo ein Siegel des Hauses Orien zu sehen, wo sie eine Karawanenfahrt buchen konnten. Thalaën und Esra trotteten hinter ihr her.
Esra war in Gedanken.
Es bedrückte sie etwas, dass sie keinen Brief an ihre Eltern schreiben konnte. Aber in Grünherz gab es nun einmal keine Station von Haus Sivis und aus dem Dorf kamen ihre Eltern selten heraus.
Eine kräftige Pranke, die sie von hinten an der Schulter packte, ließ sie fast in die Knie gehen.
„He Divar! Du traust dich aber auch einiges, dich nach all den Jahren wieder hier blicken zu lassen! Du schuldest mir noch Geld!“, dröhnte eine dunkle Stimme und Esra wurde herumgerissen.
Vor ihr stand ein riesiger, stinkender und wütend aussehender Grottenschrat, der sie ebenso verwirrt anstarrte, wie sie ihn. Woher kannte dieser Koloss ihren Bruder, fragte sich Esra.
„Du bis nicht Divar“, stellte er fest.
„Richtig erkannt.“
„Könntest aber glatt seine Schwester sein“, brummte der Grottenschrat und kratzte sich nachdenklich am Kopf. Anscheinend hatte es ihn etwas aus dem Konzept gebracht, dass er nicht seinen Schuldner gefunden hatte, sondern jemand anderes.
Esra gab darauf sicherheitshalber einmal keine Antwort.
„Hätte mich auch gewundert, wenn der Bursche sich wieder hierher verschlagen hätte“, erzählte der Grottenschrat dann plötzlich von sich aus. „Wahrscheinlich ist er schon gar nicht mehr am Leben. War am Tag der Klage in Cyre. Schade darum. Dann werde ich mein Geld wohl nie mehr wieder sehen.“
„So ein Pech.“
„Ja. Dabei schien er am Anfang so anständig zu sein. Nur alle Tassen hatte er nicht im Schrank. Er erzählte jedem, dass er ein Magier werden wollte, darum ging er ja auch nach Cyre. Seine Magie wird ihn aber auch nicht geholfen haben.“
Er besann sich und sah auf die drei verdutzten Abenteurer.
„Na egal. Wenn ihr ihn zufällig seht, dann richtet ihm aus, dass er mir immer noch Geld schuldet.“
„Machen wir“, versicherte Esra.
Der Grottenschrat nickte, anscheinend zufrieden, und wandte sich ab, verschwand irgendwo in der Menge.
„Ging es hier gerade um einen verlorenen Bruder?“, erkundigte sich Astamalia.
Esra nickte betrübt und von dem Schwall an Informationen etwas benommen.
„Ja. Aber so wie es aussieht, ist er nicht mehr am Leben. Wir waren im Klageland. Nichts hat dort überlebt. Wenn er wirklich am Tag der Klage dort war, dann…“
Ihre Stimme brach und sie wandte sich ab.
Die beiden anderen ließen ihr genügend Zeit sich wieder zu fangen.

***

Es war schwerer gewesen, als er gedacht hatte, sich den Weg bis zum Tempel durchzufragen. Anscheinend war der Glaube der Flamme in der Stadt nicht sehr verbreitet und daher wussten auch nur wenige den Standort des Tempels. Auch wenn das schiefe Haus, vor dem er jetzt stand, den Namen Tempel kaum verdient hatte. Es war früher ganz eindeutig einmal ein ganz normales einfaches Wohnhaus gewesen. Jetzt hatte jemand das Symbol der Silbernen Flamme über dem Türstock eingeritzt und die Fenster durch Buntglasscheiben ersetzt. Die Tür war natürlich auch nicht nach der Flammenfeste ausgereichtet. Aber Adamant sah ein, dass man manchmal Kompromisse schließen musste, wenn man einen Standort für einen Tempel in einer Stadt wie dieser haben wollte.
Er trat ein und blinzelte.
Staub hing in dem leeren Raum über den ebenso leeren grob gebauten Bänken. Der Tür gegenüber befand sich ein einfacher marmorner Altar auf dem ein Kelch stand. Sonst war niemand hier.
„Hallo?“, rief er probeweise.
Im hinteren Teil bewegte sich ein Vorhang und eine junge Halb-Elfe erschien. Kurz starrte sie ihn entgeistert an, dann lächelte sie.
„Ah, Ihr müsst bestimmt Adamant sein. Kommt herein. Ich bin Arkada Irluan, die hiesige Priesterin.“
Sie reichte Adamant ihre zierliche Hand, die in seinen Kampffäusten vollkommen verschwand.
„Nerina hat mir viel von Euch erzählt. Aber ich konnte Euch mir nicht so richtig vorstellen. Ein so riesiger Kriegsgeschmiedeter, der unseren Glauben in der Welt vertritt; das ist doch eher etwas außergewöhnliches.“
„Ihr kennt Nerina?“
„Natürlich. Wer in unserer Kirche kennt sie nicht. Sie ist doch fast so etwas wie eine Berühmtheit. Sie hat mich gebeten Euch zu schreiben und Euch eine frohe Nachricht zu überbringen.“
Adamant legte verwirrt den Kopf schräg.
„Aber Nerina wusste doch gar nicht, wo ich mich befinde!“
Arkada lachte hell.
„Aber Adamant. Denkt ihr nicht, dass Nerina Möglichkeiten hat, euren Aufenthaltsort herauszufinden?“
Adamant dachte darüber nach. Wahrscheinlich hatte die Priesterin recht. Nerina war eine mächtige Klerikerin der Flamme.
„Nun, Nerina wollte es euch eigentlich persönlich übermitteln, aber ihr seid anscheinend zu rasch aus Sharn aufgebrochen. Sie hat beim Kardinal erwirkt, dass ihr die Priesterweihe erhaltet!“
Adamant glaubte, nicht recht zu hören.
„Das ist ja wunderbar!“, freute er sich.
„Ja, das denke ich auch“, lachte Arkada. „Wenn ihr Zeit habt, dann würde ich die Weihe morgen an Euch vollziehen. Bringt einige Freunde mit, dann wird es eine schöne Zeremonie.“
Adamants Freude verschwand wieder.
„Wir können die Zeremonie auch heute abhalten. Ich glaube nicht, dass einer meiner Freunde daran Interesse haben wird.“
Nerina winkte ab.
„Glauben, mein Freund, ist das wichtigste in unserem Beruf. Deshalb solltet ihr ihn nie leichtfertig aufgeben.

***

Admanat traf gleichzeitig mit den drei anderen vor der Geballten Faust ein.
„Alles erledigt?“, fragte Astamalia.
„Fast“, erwiderte der Kleriker. „Ich habe die Nachricht bekommen, dass ich bereit bin für die Priesterweihe. Sie wird morgen im Tempel stattfinden.“
Er machte eine kurze Pause.
„Und es würde mich freuen, wenn ihr mich begleiten würdet“, fügte er hinzu.
„Danke. Aber ich werde keinen Fuß in den Tempel der Flamme setzen. Ich bleibe bei meinen Ahnen“, winkte Thalaën ab.
„Kein Interesse“, verneinte Astamalia.
„Nun, haben wir eine Fahrtgelegenheit?“, schwenkte Adamant auf ein anderes Thema um. Er war betrübt, dass er seine Freunde in dieser Hinsicht richtig eingeschätzt hatte.
„Ja, haben wir. In zwei Tagen startet eine Karawane nach Strengtor“, klärte ihn Esra auf. „Und, Adamant, ich werde dich begleiten.“
Sie grinste ihn an und betrat die Gaststube.
Im Inneren herrschte wie bei ihrem letzten Besuch reges treiben. Dennoch war es nicht schwer Dame Elaydren Cannith auf den ersten Blick zu erkennen. Sie saß alleine an einem großen Tisch und alle anderen Anwesenden schienen einen großen Bogen um sie zu machen. Sie trug wieder, wie bei ihrer ersten Begegnung teure Kleider und eleganten Schmuck. Verschwunden waren der abgetragene Umhang und die Dreckspritzer auf der Haut.
„Setzt euch meine Freunde!“, begrüßte sie sie vier. „Setzt euch, trinkt und berichtet mir.“
Sie schielte neugierig auf Astamalias Rucksack.
„Wir haben das Schema“, klärte sie Astamalia auf. „Aber es zu bekommen war nicht so einfach.“
Sie bestellten beim Wirt trinken und ein Abendessen und begannen dann abwechselnd zu erzählen. Von der Überfahrt, dem merkwürdigen Gnom, der Fahrt mit Failins Wagen, dem Zwischenfall mit der Smargadklaue in Rotbruch, die Flucht aus den Ruinen, die Wanderung durch das Klageland, die Schmiede.
Elaydren hörte gebannt zu und unterbrach sie nicht einmal.
Schließlich kam Esra zum Ende:
„Und als wir aus der Schmiede kamen, lauerte uns schon wieder der Vampir auf. Er verlangte das Schema oder unser Leben. Wir haben uns für unser Leben entschieden. Immerhin haben wir eine Kopie davon gefunden. Was uns jedoch auffiel war, dass er davon sprach, dass wir ihm das dritte Schema geben sollen. Wisst ihr, was das zu bedeuten hat?“
Elaydren nickte gedankenschwer mit dem Kopf.
„So wie es aussieht, weiß auch der Orden genau, wo er nach den Teilen des Artefakts suchen muss. Das ist nicht gut. Das bedeutet, dass wir nun beide zwei Teile in den Händen halten. Das vierte jedoch ist bis jetzt spurlos verschwunden und alle unsere Nachforschungen sind im Sande verlaufen. Es wird aber gerade auf dieses letzte Teil ankommen. Ich muss rasch zurück nach Sharn und die Suche wieder aufnehmen. Vielleicht hat auch ein anderer meines Hauses bereits etwas gefunden. Habt ihr bereits eine Reise gebucht?“
Astamalia nickte.
„In zwei Tagen geht die nächste Karawane.“
„Gut. Wenn ihr mich begleitet, erhaltet ihr in Sharn für eure Dienste und den Fund des Schöpfungsmusters weitere Einhundert Platindrachen. Einverstanden?“
Thalaën keuchte auf und Astamalia nickte erfreut.
„Damit können wir leben.“

***

Neben Esra, Adamant und Arkada war nur ein alter Gläubiger anwesend, der in der letzten Reihe saß. Nicht ganz die würdevolle Zeremonie, die sich Adamant immer wieder vorgestellt hatte. Dennoch war er froh, nicht alleine zu sein und Arkada hatte sich wirklich Mühe gegeben ihren baufälligen Tempel herauszuputzen.
Alles glänzte vor Sauberkeit und frische Blumen brachten Leben in den leeren Raum.
Die Predigt war kurz, aber eindrucksvoll und als das Ende näherte und sich Adamant vor ihr hinknien musste, zitterten ihm leicht die Knie.
Bis zu diesem Tag war ihm nicht klar gewesen, dass er dazu überhaupt möglich war.
„Erhebt euch, Hochwürden Adamant“, sprach Arkada gerade, nachdem sie ihm ein wundervoll gearbeitetes Heiliges Symbol umgehängt hatte. „Ihr seid nun ein vollwertiger Priester der Silbernen Flamme; mit all den damit verbundenen Rechten und Pflichten. Möge euch die Flamme immer einen klaren Weg vorgeben.“
Adamant verneigte sich noch einmal.
„Danke“, brachte er leise hervor, was der Halb-Elfe ein schelmisches Lächeln entlockte.
„Keine Ursache, Hochwürden.“

***

Caldera seufzte zufrieden und leckte sich die Lippen. Der Wind ließ ihr Haar und ihr Negligé flattern. Das Leben einer Fürstin war herrlich. Und der Abend würde noch besser werden.
Es klopfte.
Sie wandte ihren Blick von den Tausenden Türmen ab und kehrte in das Wohnzimmer zurück. Trotz der fast tropischen Hitze flackerte ein Feuer im Kamin. Vor dem Kamin, auf dem Fell eines Geistertigers lag ein junger Mann, fast noch ein Junge, nackt, wie er geschaffen worden war.
Seine bleiche Haut schien im Schein des Feuers zu glänzen und er selbst schien friedlich zu schlafen. Das Leben bestand doch nur aus Trug. Er schlief nicht, und sie war in Wirklichkeit keine Fürstin.
Caldera lächelte.
Zumindest keine echte.
Es klopfe erneut.
Caldera blickte an sich herab. Das Negligé, dass sie getragen hatte um den Jüngling zu verführen, würde ihr auch jetzt noch gute Dienste erweisen. Es gab mehr frei, als es verbarg.
„Komm herein“, rief sie und wandte sich ihrer Bar zu.
Hinter ihr wurde die schwere Tür geöffnet. Schritte waren zu hören und eine einzelne Person betrat den mit Teppichen ausgelegten Raum.
Ruhig schenkte sich Caldera ein Glas besten Lhazaar-Rums ein.
„Möchtest du auch etwas?“
„Nein danke.“
Sie lächelte und wandte sich ihm zu.

Er war abgehärtet, das gehörte zum Job. Aber noch nie hatte er sein Leben so bewusst einer Gefahr ausgesetzt, wie an diesem Abend. Er konnte nicht umhin, dass seine Hände feucht waren. Als er endlich eintreten durfte, hatte er sich aber wieder etwas gefangen.
Aber das hielt leider nicht lange.
Sofort fiel sein Blick auf den jungen Burschen vor dem Kamin.
Dann auf Caldera.
Ein eisiger, aber auch wohliger Schauer überkam ihn.
Ihre Beine waren lang und schlank und in aller Pracht zu sehen. Der Fetzen, den sie trug, bedeckte kaum ihre Schenkel. Eigentlich, war auch das, was er bedeckte, gut zu sehen. Der flache Bach, der muskulöse Rücken, die kleinen, festen Brüste.
„Du willst sicher nichts?“, fragte sie noch einmal und lächelte ihn an.
„Nein“, krächzte er und versuchte den Blick von ihren Brüsten zu nehmen.
Er war sich ganz sicher, dass die Hitze, die ihn gerade schwitzen ließ, nicht durch die Frühlingstemperaturen und den Kamin kamen.
Langsam setzte er sich in eines der Fauteuils. So, dass er sowohl den Jüngling als auch Caldera im Auge behalten konnte.
Sie setzte sich ihm Gegenüber und schlug langsam die Beine übereinander, so dass er deutlich ihren Schoß sehen konnte. Er schluckte und versuchte sich zu konzentrieren.
„Warum hast du mich kommen lassen?“
„Meine Spione haben mir interessantes berichtet. Sie haben ein wertvolles Artefakt gefunden.“
„Schön für dich. Was habe ich damit zu tun?“, wunderte er sich. Endlich gelang es ihm, woanders hinzusehen. Aber der nackte Bursche war auch keine große Alternative.
„Leider befindet sich dieses Artefakt in der Sicherheitsschatzammer des Königs hier in Sharn“, säuselte sie und spielte gedankenverloren mit einer Strähne ihres Pechschwarzen Haares.
Nun war er wieder voll bei der Sache.
„Du willst in eine Sicherheitskammer einbrechen? Vergiss es, Caldera! Egal wen du schickst, die Wache würde ihn aufhalten. Du müsstest schon selbst gehen. Und bedenke, die Königs Schatten würden nur auf eine solche Gelegenheit warten, dich dingfest zu machen“, brauste er auf. Zumindest hoffte er das. Wenn Caldera herausfand, dass er innerlich lachte, wäre er auf der Stelle tot.
„Nein, ich werde nicht selbst gehen, Dummerchen“, lachte sie und stand auf. Ihr Negligé verrückte dabei und entblößte ihre rechte Brust.
„Nicht? Wen willst du dann schicken?“
„Jemanden, von dem die Königs Schatten nie ausgehen würden, dass ich ihn schicke“, säuselte sie und setzte sich auf seinen Schoß. Ohne es zu wollen wurde seine Hose zunehmend enger.
„Denn seien wir uns ehrlich, Liebster. Die Königs Schatten wissen doch genau, was ich vorhabe nicht?“
Ihr Finger fuhr unter sein Kinn und hob sein Gesicht an. Ihre Augen verwandelten sich von grün in rot.
„Darum dachte ich, ist es am besten, ich schicke dich!“
Er erstarrte. Verdammt! Sie hatte ihn durchschaut. Er musste hier weg!
Doch er konnte den Blick nicht von ihr lösen. Sie hatte ihn.
Er hatte einen Fehler gemacht. DEN Fehler. Jenen einen Fehler, für den er bezahlen würde müssen.
„Aber bevor du für mich in die Schlacht ziehst, wollen wir noch etwas Spaß haben“, hauchte sie und öffnete seine Hose. Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Jüngling erwachte.
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 15. Februar 2008, 11:47:48
Eine ereignisreiche Nacht

Thalaën streckte sich ausgiebig, als sie endlich den Zug verließen. Die Zugfahrt war zwar recht angenehm gewesen, aber mehrere Tage hindurch nur sitzen war auch etwas langweilig. Und es tat den Gelenken nicht gut.
„Ich danke euch noch einmal“, vernahm er Elaydrens Stimme. „Mein Haus steht in eurer Schuld. Aber noch ist das Schöpfungsmuster nicht komplett. Kann ich auf euch zählen, sollte es uns gelingen das vierte Schema zu finden?“
„Bei dieser großzügigen Bezahlung? – Immer“, verlautbarte Thalaën.
„Gut. Aber es könnte noch etwas dauern. Sollte ich anderorts von interessanten Aufträgen erfahren, werde ich mich ebenfalls bei euch melden, beziehungsweise euch vermitteln. Seit ihr damit einverstanden?“
„Natürlich.“
„Nun denn.“
Elaydren gab jedem einzelnen die Hand und winkte dann ein Luftkutsche. Das Quartett blieb alleine auf dem Bahnsteig zurück.
„Wisst ihr, eigentlich mag ich diese Stadt nicht so sehr.“
Astamalia hatte ihre Schultern gegen den Regen hochgezogen. Ihnen allen – mit Ausnahme von Thalaën, dem die Schwüle nichts auszumachen schien – klebte die Kleidung wie eine zweite Haut am Körper.
„Im Hochsommer soll es hier noch schlimmer werden“, teilte Adamant den anderen mit. Das war etwas, was keiner von ihnen hören wollte.

***

Thalaën verschlang genüsslich sein Frühstück. Die Küche in Sharn war zwar seltsam, aber dennoch lecker. Vor allem war es möglich, Spezialitäten aus fast jedem Land zu bekommen. Nachdem Elaydren sie bezahlt hatte, war auch die Bezahlung dafür kein Problem mehr. Auch die anderen kosteten von den verschiedenen Leckerein, hielten sich aber deutlich mehr zurück als er.
Unverständlich war das.
Oben an der Eingangstür klopfte es.
„Adamant, geh doch du, wir sind gerade alle am essen“, bat Thalaën mit vollem Mund, was ihm einen schiefen Blick von Astamalia einbrachte, die gerade in der aktuellen Ausgabe des Sharner Kobolds blätterte.
Adamant stieg ohne Widerspruch die Treppe empor und machte auf um mit dem unangekündigten Besucher zu sprechen.
„Hört mal, was hier in der Zeitung steht“, unterbrach Astamalia die anderen beim Essen. „Ihr erinnert euch doch sicherlich noch an diesen Arkaban, den Professor, der kurz nach Bonal Geldem ermordet wurde, und nach den uns der Feldwebel befragt hat.“
Zweifaches nickten antwortete ihr.
„Nun, er steht auf dem Titelblatt: Sharn wird immer unsicherer! Nicht nur, dass die bekannteste und größte Stadt des Kontinents in den Klauen eines gefährlichen Fiebers liegt und Verbrecherorganisationen Unter-Dura fest im Griff haben, kommt nun das Verbrechen auch in die Oberstadt von Sharn. Augenblicklich scheint die Morgrave Universität unter keinem guten Stern zu stehen. Zuerst erschütterten die beiden Morden an Professoren Geldem (Lehrstuhl für Prä-Galifarsche Geschichte) und an Professor Arkaban (Lehrstuhl für Xen’drik) die noblen Hallen. In beiden Fällen tappen die zuständigen Behörden im Dunklen: „Wir tun, was in unserer Macht steht, aber diese dreisten Verbrecher sind uns im Moment immer noch einen Schritt voraus!“, so Feldwebel Dolom, welcher die Aufklärungsarbeit übernommen hat. Heute Nacht kam es zu einem erneuten Eklat: Das Grab von Professor Arkaban wurde geschändet und seine Leiche verschwand auf mysteriösen Wegen. Anrainer berichteten von vermummten, in smaragdgrüne und schwarze Mäntel gekleideten Menschen, welche sich am Grab zu schaffen gemacht haben. Ein weiterer Fall für die Stadtwache, die diesmal hoffentlich mehr Erfolg haben wird“, las sie den Artikel vor.
„Kling ganz danach, als hätte ihn der Orden der Smaragdklaue wieder ausgegraben“, überlegte Thalaën.
„Wir wurden eingeladen“, rief da Adamant von der Galerie und stapfte zu ihnen herab. In den Händen hielt er einen kleinen Brief, der stark an ein Billet erinnerte. „Einladung zum Festbankett des Barons Tamlet d’Orien. Heute Abend im Glitzerstaubklub. Abendkleidung erwünscht. Ich freue mich bereits auf Euer kommen“, zitierte Adamant den Text und gab dann die Einladung durch. „Kennt jemand diesen Baron?“
„Nein, aber das will nichts heißen. Vielleicht hat Elaydren ihm von uns erzählt“, überlegte Astamalia und gab die Karte an Esra weiter. „Ich denke wir sollten auf jeden Fall mal hingehen.“
„Ja, dort gibt es sicher was zu essen“, freute sich Thalaën, der gerade seinen letzten Teller von sich schob.
Astamalia ignorierte ihn.
„Aber dann müssen wir uns noch entsprechende Kleider besorgen. Ich habe vielleicht noch etwas, mit dem man auf einem solchen Bankett auftreten kann, aber ich nehme nicht an, dass ihr drei über etwas anderes als eure einfach Kluft verfügt?“
Die angesprochenen sahen an sich herab. Keiner schien etwas ans seinem Aussehen auszusetzen zu haben.
„Das wird schwerer als ich dachte“, seufzte die Magierin.

Oben an der Tür klopfte es erneut und Adamant stapfte wieder die Treppe empor ohne darauf zu warten, dass ihn jemand dazu aufforderte.
Die anderen unterhielten sich inzwischen weiter über die Einladung. Adamant öffnete die Tür und starrte den Mann davor erstaunt an. Adamant hatte, mit Ausnahme von Esra kaum noch andere Wandler hier in Sharn gesehen und der, der gerade vor ihrer Tür stand, passte so gar nicht in das Bild eines Stadtbewohners. Er sah mit seinen verfilzten Haaren und seinen etwas schäbigen Kleidern eher so aus, als wäre er gerade aus dem Wald gekommen.
„Ah, Entschuldigung“, murmelte er und blickte zu dem Kriegsgeschmiedeten empor. „Wohnt hier zufällig eine Esra Emorien?“
Adamant nickte.
„Ja. Kommen Sie doch herein.“
Er ließ den Wandler an sich vorbei und rief über die Galerie hinab:
„Esra! Besuch für dich!“
Esra blickte erstaunt vom Frühstückstisch auf und sprang dann erfreut auf, als sie den Wandler offensichtlich erkannte.
„Matuc! Was machst du denn hier!“
Die beiden Wandler fielen sich in die Arme.
„Ahm, willst du uns den Besuch nicht vorstellen?“, fragte Astamalia nach einer Weile.
„Oh“, machte Esra und deutete auf Matuc. „Das ist mein Freund und Mentor Matuc aus Grünherz. Er ist ebenso Jäger wie ich. Aber Matuc, was genau machst du hier? Nicht das ich mich nicht freuen würde, dich zu sehen, aber von Grünherz bis hierher, ist es doch eine ganz schöne Strecke. Und die Reise ist nicht billig.“
Matuc lächelte.
„Ich wollte dich unbedingt wieder einmal sehen. Herausfinden, wie es dir geht, was du so machst. Vor allem aber wollte ich dir einen Brief überbringen, den deine Eltern erhalten haben. Ich dachte, es wäre das beste, wenn du ihn persönlich erhältst und nicht durch einen Kurier eines der Häuser. Es betrifft deinen Bruder.“
Der Wandler zog einen sehr mitgenommen wirkenden Brief aus seiner Tasche und überreichte ihn Esra. Der Brief sah aus, als wäre er ins Wasser gefallen, oder aber auch, als ob jemand darüber geweint hätte.
Esras Hände zitterten, als sie ihn öffnete und zu lesen begann:

Hallo, geliebte Familie!
Ich möchte mich gleich einmal entschuldigen, dafür, dass ich mich all die Jahre nicht gemeldet habe. Nach unserem Streit, liebe Eltern, musstet ihr annehmen, dass ich tot sei! Umgekommen, in dem Krieg, der unsere Welt so schwer erschütterte. Ich hoffe, liebste Schwester, auch dein Kummer ist nicht zu groß. Vor allem aber hoffe ich, dass du unseren Eltern weniger Schmerzen verursachst und mehr Freuden bereitet hast, als ich. Darf ich mich bereits Onkel nennen?
Ihr werdet euch sicher fragen, warum ich mich, nach all diesen Jahren, ausgerechnet jetzt bei euch melde. Der Grund ist ein einfacher. Mein Leben verlief, nachdem ich Grünherz verlassen und nach Sharn gekommen war, nicht ganz so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Alles was ich anpackte ging schief, und am Ende entschied ich mich auch noch, auf der falschen Seite zu kämpfen. Dennoch kam ich als einer der wenigen cyrischen Soldaten mit dem Leben davon! Ja, ich kämpfte auf der Seite Cyres! Mit Ausnahme Aundairs gab es kein Land, welches bessere Magier hervorbrachte, und ein solcher wollte ich ja unbedingt werden. Nachdem Cyre vernichtet war, war ich etwas orientierungslos. Doch nun habe ich wieder etwas, für das es sich zu Leben lohnt – nein, liebe Mutter, keine Frau und auch keine Kinder. Aber ich habe Leute gefunden, die das richtige für uns alle wollen und ein besseres Khorvaire erbauen wollen. Der Weg wird nicht einfach sein, aber wir werden das schon schaffen. Im Moment ist alles noch viel zu gestresst und einige Leute stellen sich uns auch in den Weg – es scheint, sie wollen, dass die Welt so chaotisch bleibt. Sogar ein Wandler scheint darunter zu sein! Darum kann ich Euch noch nicht besuchen kommen. Aber bald, lieber Vater, liebe Mutter, liebste Schwester, werde ich nach Grünherz zurückkehren und euch mit mir in ein Paradies führen, wie ihr es Euch nicht vorstellen könnt!
   Divar


Zitternd faltete sie das Papier wieder zusammen.
„Er lebt also noch?“, flüsterte sie mit erstickter Stimme.
„Sieht so aus“, lächelte Matuc. „Auch wenn nicht ganz klar ist, was oder wem er sich angeschlossen hat.“
„Um was ging es denn eigentlich in dem Brief. Wenn man fragen darf“, mischte sich Astamalia abermals ein. Esra erklärte ihr es bereitwillig.
„Klingt danach, als hätte er sich dem Klingenfürsten angeschlossen. Aber was gäbe das für einen Sinn? Ein fleischliches Wesen würde der Fürst doch nie in seinen Reihen aufnehmen“, sinnierte Adamant.
„Richtig, also muss es etwas anderes sein. Er wird sicherlich wieder einen Brief schreiben, in dem er genaueres berichtet“, schlussfolgerte Thalaën, für den die Sache damit gegessen schien.
„Matuc, wenn du willst, kannst du hier wohnen, solange du in Sharn bist. Aber wir müssen heute noch einige Besorgungen machen und heute Abend sind wir auf einem Bankett eingeladen…“
Der Wandler lachte.
„Keine Angst, Esra. Ich habe nicht erwartet, dass du bei meiner überraschenden Ankunft viel Zeit für mich aufbringen wirst können. Keine Sorge, ich kann mich auch alleine beschäftigen. Ich werde die Zeit nützen und mir die Stadt etwas genauer ansehen. Das Angebot, hier zu nächtigen, nehme ich natürlich gerne an.“

***

Die Glocke über der Eingangstür läutete, als sie die Niederlassung von Turenhart & Kompanie hier in Sharn betraten. Das Geschäft befand sich in den höchsten Etagen der Türme und war dementsprechend nobel eingerichtet.
Sie waren die einzigen Kunden im Laden und daher dauerte es auch nicht lange bis ein skurril gekleideter Gnom auf sie zu trippelte.
„Eindeutig der Laden von Turenhart“, seufze Astamalia.
„Willkommen, willkommen! Ich begrüße euch bei Turenhart & Kompanie. Wie ich sehe, haben Sie vier meine Hilfe dringend notwenig. Was genau kann ich ihnen anbieten.“
Astamalia unterdrückte ein Lachen, als sie die verblüfften Gesichter der anderen sah. Sie hatten immer noch nicht eingesehen, dass einmal ein Kleidungswechsel angesagt war.
„Ja, wir brauchen eine Abendgarderobe für uns. Wir sind heute auf einem Bankett im Glitzerstaub eingeladen. Wir brauchen also etwas modisches, aber doch schickes.“
„Mhm“, machte der Gnom und umrundete jeden einzelnen von ihnen. „Ich hoffe, sie haben etwas länger Zeit. Setzen Sie sich doch. Kaffee, Kuchen? Bedienen sie sich. Ich fange inzwischen mit der Dame an“, fuchtelte er herum und deutete auf einen Teetisch und ein kleines Buffet. Dann schnappte er Esra an der Hand und führte sie in den hinteren Bereich des Geschäfts, wo ein Bereich durch Vorhänge vom Verkaufsraum abgetrennt war.
Astamalia nahm mit den anderen Platz.
Und wartete.
Sie warteten lange.
Doch als Esra wieder hervorkam standen sie geschlossen auf.
Thalaëns Unterkiefer klappte nach unten.
Adamant brummte etwas, das stark nach „Unglaublich!“ klang.
Und Esra fühlte sich offensichtlich nicht sehr wohl in ihrer Haut.
Sie trug ein schlichtes, fast bodenlanges Kleid in dunkelgrüner Farbe. Dazu glänzende Ohrringe und eine schlanke Halskette. Den Abschluss bildeten grüne Schuhe mit niedrigen Absätzen.
„Voila! Die Madame ist fertig. Wer will als nächster?“
Ohne eine Antwort abzuwarten entführte er Adamant. Astamalia war schon gespannt, welche Kleidung der Gnom dem massigen und breiten Geschmiedeten anlegen würde. Bis jetzt hatte sie Adamant nur in seinem schlichten Wappenrock gesehen, den Turenhart an Bord der Wellental etwas verbessert hatte.
Als er zurückkam musste Astamalia an sich halten um nicht laut loszulachen. Wobei Adamant im Grunde genommen gut aussah. Jedoch hatte sie noch nie in ihrem Leben einen Kriegsgeschmiedeten im Anzug gesehen.
Im Grunde war es ein edler schwarzer Smoking mit Fliege, Stock und Zylinder, den er trug. Nur seine Füße waren frei. Aber für die dreiklauigen Füße des Kriegsgeschmiedeten hatten sich wohl keine Schuhe gefunden.
„Ich fühle mich seltsam“, meinte er zerknirscht und blickte an sich herab.
„Daran wirst du dich gewöhnen“, munterte ihn Astamalia auf.
„Wer möchte als nächster?“, sah sich der Gnom nach seinem nächsten Opfer um.
„Ich bleibe in meiner Kleidung“, beharrte Thalaën, doch der Gnom schnappte ihn an der Hand und zerrte ihn, ohne Widerspruch zu zulassen, mit sich.
Astamalia konnte ein Lachen nicht verkneifen. Dieser Einkaufsbummel war lustiger, als sie ihn sich vorgestellt hatte.
Hinter dem Vorhang hörten sie Thalaën fluchen. Zumindest nahm Astamalia an, dass er fluchte, denn er sprach elfisch dabei. Aber es klang nicht nett.
Doch als er wieder herauskam, hatte Astamalia das Gefühl, dass es sich gelohnt hatte
Er trug immer noch valenarsche Tracht. Doch sie war golden und schien aus reinster Seide zu bestehen. Sowohl das Kopftuch, als auch die Stoffschuhe schimmerten in Gold und waren reichlich verziert.
„Wahnsinn! Verändert deine Persönlichkeit“, war Astamalia erstaunt. Aus dem rauen, wilden Elfen war ein stattlicher Mann geworden.
„Dann fehlt wohl nur noch eine junge Dame. Darf ich bitten?“, führte sie der Gnom als letzte in die Anprobe.
Doch Astamalia ließ sich auf nicht viel ein. Sie ergänzte ihre Robe aus Schöngewebe nur durch neue Schuhe, elegante Ohrringe und ein schickes Halstuch, welches ihr Drachenmal verdeckte. Doch sie fand, dass das ausreichte.

***

Es regnete leicht, als sie die Brücke zum Glitzerstaubklub überquerten. Vor dem Klub standen die beiden Hobgoblinwächter im Anzug und wiesen scharenweise Leute ab. Anscheinend war heute wirklich eine geschlossene Gesellschaft angesagt. Esra wich den Blicken der Leute aus, als sie in Astamalias und Adamants Windschatten auf den Eingang zumarschierten. Alle Welt schien sie anzustarren; sie die Wandlerin im teuren Kleid, auf den Weg in einen der besten Klubs der Stadt.
Das Getuschel wurde lauter, als die Wachen Astamalias Einladung sahen und sie freundlich durchwinkten.
Doch dann waren sie endlich im Inneren.
Ein Mann im Livree nahm sie in Empfang.
„Wen darf ich melden?“, fragte er nasal und blickte von einem zum anderen.
„Was geht dich das an?“, fauchte Thalaën ihn an und griff nach seinem nicht vorhandenen Säbel.
„Nicht doch“, beruhigte ihn Astamalia und nannte dem Mann ihre Namen, die er dann laut durch den Klub rief.
Esra war erstaunt und hatte nicht die geringste Ahnung, was das sollte. Aber Thalaëns Gesicht zu urteilen, war sie nicht die einzige, der es so erging.
Nur einige wenige Köpfe wandten sich in ihre Richtung, als sie die Treppe hinab stiegen. Gut Einhundert Leute waren zugegen und schienen sich blendend zu unterhalten. Überall huschten livrierte Diener mit Gläsern herum und an einer Wand stand ein gewaltiges Buffet. Esra fiel auf, dass die meisten Diener Kriegsgeschmiedete waren. Dafür waren fast alle geladenen Gäste Menschen. Kaum jemand zeigte die schlanken Züge eines Elfen oder die stämmige Gestalt eines Zwerges. Und Wandlerin war sie ohnehin die einzige.

Astamalia hatte die Personen ebenfalls rasch überflogen und winkte inzwischen einem Kellner, der mehrere Gläser Champagner auf einem Tablett trug und nahm sich einen herab. Thalaën tat es ihr gleich und griff in seinen Lederbeutel um einen Silberregenten hervorzuziehen. Der Diener und auch Astamalia sahen den Elfen irritiert an.
„Was machst du denn da?“, war Astamalia ehrlich verwirrt.
„Ich wollte bezahlen“, versuchte sich Thalaën zu rechtfertigen, steckte aber den Regenten rasch wieder weg.
„So etwas macht man auf einem solchen Bankett nicht. Hier ist alles gratis, der Gastgeber bezahlt für das Essen und die Getränke“, schüttelte Astamalia den Kopf und schickte den Diener mit einer Handbewegung wieder weg.
„Entschuldigt, aber ich kenne so etwas nicht. Auf Aerenal gibt es etwas in der Art nicht und seit ich auf dem Kontinent bin, ist das meine erste derartige Veranstaltung.“
„Dann beherzige dir diese Regel gleich einmal.“
„Danke. Kann ich noch etwas fragen?“
Astamalia nickte. Besser der Elf stellte ihr unhöfliche Fragen, als irgendjemandem sonst.
„Warum wollte der Mann am Eingang unsere Namen wissen und rief sie dann durch den Klub?“
Astamalia grinste.
„Ach das. Der Mann ist ein Ausrufer. Er kündigt so die Gäste an. Das ermöglicht es den bereits Anwesenden herauszufinden, wer die Leute sind, die gerade das Parkett betreten haben. Wir, beispielsweise, scheinen nicht besonders interessant zu sein. Zumindest haben sich nur wenige nach uns umgesehen, als wir genannt wurden.“
„Ah“, machte der Elf. Schien aber von der Notwendigkeit dieser Einrichtung immer noch nicht restlos überzeugt zu sein.
„So, ich werde mich einmal daran machen den Gastgeber zu suchen. Vielleicht kann ich herausfinden, warum wir heute hier eingeladen wurden und welchem Zweck dieses Bankett dient. Versucht in der Zwischenzeit uns nicht zu blamieren.“
„Ich werde es versuchen.“
Astamalia wollte sich schon abwenden, als sie Adamant in einer Ecke mit einem der Diener stehen und sprechen sah.
„Wo wir gerade bei Manieren sind, Thalaën. Es schickt sich nicht, mit dem Personal zu sprechen!“

Adamant stand mit Esra etwas unschlüssig in einer Ecke und begutachtete die Menge. Da er weder Essen noch trinken konnte, fühlte er sich etwas fehl am Platz. Und da Esra auch so aussah, als würde sie am liebsten auf der Stelle wieder gehen, fand er, dass sie ein gutes Paar abgaben.
„Ich freue mich, dich zu sehen, Bruder Adamant“, hörte er da die dunkle Stimme eines Kriegsgeschmiedeten.
Einer der Diener war neben ihm zum Stehen gekommen.
„Bollwerk!“, freute sich Adamant. „Lange nicht gesehen!“
„Gleichfalls, Bruder. Dir scheint es gut ergangen zu sein. Bist du nicht mehr im Tempel der Flamme?“
Adamant schüttelte den Kopf.
„Nein. Ich wurde auf verschlungenen Wegen zu einer Art Abenteurer, aber ich vertrete immer noch den Glauben der Flamme. Wie ist es dir ergangen?“
Sein alter Freund seufzte und sah sich kurz im Raum um. Doch niemand schien sie zu beachten.
„Leider nicht so gut, wie dir, scheint mir. Ich habe immer noch keine feste Anstellung gefunden. Obwohl wir unsere Bürgerrechte mit dem Ende des Krieges erhalten haben, werden wir immer noch wie Bürger zweiter Klasse behandelt. Dies ist die erste Arbeit seit meiner Ankunft hier in Sharn die ich erhalten habe. Und die Bezahlung ist sehr schlecht. Das ist auch ein Grund, warum sich fast nur Kriegsgeschmiedete gefunden haben sie zu machen. Außerdem werden wir schlecht behandelt. Fast schon so, als wären wir Sklaven und keine Angestellten.“
„Das tut mir leid. Vielleicht kann ich beim Tempel ein Wort für dich einlegen…“ versuchte es Adamant, doch der andere Kriegsgeschmiedete winkte ab.
„Danke, Freund. Aber ich habe dir bereits einmal gesagt, dass dieser Glaube nicht das richtige für mich ist. Nein, ich habe andere Pläne für die Zukunft. Ich habe von einem Kriegsgeschmiedeten im Klageland gehört, der die Vision einer Nation für unsere Rasse hat. Er wird der Klingenfürst genannt.“
Adamant stockte.
„Das kann nicht dein ernst sein. Der Weg des Klingenfürsten ist nicht richtig. Glaube mir. In den letzten Wochen haben seine Schergen mehrmals versucht mich und meine Freunde zu töten.“
Bollwerk seufzte
„Es mag sein, dass seine Methoden nicht immer die besten sind. Aber nur so haben wir eine dauerhafte Zukunft, das musst du doch sehen. Ich werde es mir auf jeden Fall einmal ansehen. Schlimmer als hier in Sharn kann es mir kaum ergehen.“
Adamant sah, dass er seinen alten Freund nicht von dieser Idee abbringen konnte und legte im sanft seine riesige Hand auf die Schulter.
„Ich hoffe du machst das Richtige, Freund. Auf jeden Fall wünsche ich dir für dieses Unternehmen viel Glück.“
„Das werde ich brauen können, Adamant. Immerhin weiß niemand, wo im Klageland der Klingenfürst den Grundstein für unsere Nation gelegt hat.“
Mit diesen Worten verneigte sich Bollwerk noch einmal vor seinem Freund und begann dann wieder seine Runde zwischen den Gästen zu drehen.

Nachdem Astamalia den Elfen die notwendigsten Dinge erklärt hatte, die er an dem heutigen Abend zu wissen brauchte, begann sie eine Runde zu drehen und sich nach dem eigentlichen Gastgeber umzusehen. Sie brauchte nicht lange zu suchen. Inmitten des Raumes stand ein etwas dickerer älterer Mann gemeinsam mit einem ebenso gut gekleideten jüngeren. Um diese beiden herum befand sich eine Traube stets wechselnder Besucher, die alle sehr gezwungen lachten.
„Es ist doch immer das gleiche. Sobald die Hohen zusammenkommen, scharen sich alle anderen um sie herum um ihre Aufmerksamkeit zu erhalten“, hörte sie eine angenehme Stimme an ihrem Ohr. Erstaunt drehte sie sich um und erblickte einen gutaussehenden, recht muskulösen Mann mit kantigem Gesicht, dunklen Bartstoppeln und ebenso dunklem Haar. Es wunderte Astamalia, dass ihr der Mann nicht vorher schon aufgefallen war.
Nicht nur, weil er sehr gut aussehend war, sondern auch, weil er sehr dunkel gekleidet war und als einziger eine Waffe trug; en teuer aussehender Rapier baumelte an seiner linken Seite.
„Entschuldigt, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Mein Name ist Kasha“, lächelte er und reichte Astamalia die Hand.
„Mein Name ist Astamalia“, stellte sie sich vor und war erfreut, als er ihr einen sanften Handdruck gab. Sie war schon zu lange nicht mehr in guter Gesellschaft gewesen.
„Und was führ Euch hierher?“, fragte er.
„Ich wurde gemeinsam mit meinen Freunden von Baron Tamlet d’Orien eingeladen, auch wenn ich noch nicht herausgefunden habe, was der Grund für diese Einladung war. Ich kenne diesen Baron nicht. Und was führt Euch hierher?“
„Die Pflicht. Ich bin offizieller Vertreter der Nation Karrnath hier. Aber ich bin erstaunt, dass Ihr von den irren Plänen des Herrn Barons noch nichts gehört haben.“
Astamalia sah Kasha interessiert an.
„Offizieller Vertreter? Irre Pläne? Tut mir leid, Kasha, aber ich war eine Zeit lang nicht in der Stadt und um ehrlich zu sein, stamme ich nicht einmal aus Breland, sondern aus Aundair. Ich bin etwas überfragt.“
„Nun, am besten, Ihr fragt den Baron selbst. Er scheint Euch ohnehin gerade entdeckt zu haben.“
Er nickte an Astamalia vorbei. Die Magierin wandte sich um und sah, dass die beiden gut gekleideten Männer, die sie vorhin beobachtet hatte, direkt auf sie zukamen.
„Ah, meine Ehrengäste sind ebenfalls gekommen. Es freut mich, dass Ihr Zeit hattet, meiner plötzlichen Einladung zu folgen. Gestatten, mein Name ist Baron Tamlet, der Gastgeber des heutigen Abends.“
Er küsste Astamalias Hand und lächelte sie überschwänglich an. Dann nickt er Kasha zu.
„Wie ich sehe, habt Ihr schon unseren Vertreter aus Karrnath kennen gelernt.“
Astamalia lächelte zurück.
„Ja, aber er wollte mir nicht verraten, warum meine Freunde und ich hier sind. Und mittlerweile würde mich das doch sehr interessieren.“
Der Baron wirkte ehrlich schockiert.
„Ihr habt noch nichts von meinen Plänen erfahren? Ich bin erstaunt. Aber auch erfreut. Das bringt mich in die angenehme Lage, endlich wieder einmal davon zu erzählen. Normweilerweise sind die Leute schon sehr voreingenommen, wenn sie das erste Mal mit mir persönlich sprechen.“
Beim letzten Satz warf er Kasha einen Seitenblick zu.
„Wie Ihr vielleicht wisst, wurde durch die Zerstörung Cyres die Blitzbahnstrecke in zwei Teile getrennt. Das hat zur Folge, dass der Warenverkehr aber auch der Personenverkehr umständlich immer wieder zwischendurch auf Schiffe umgeladen werden muss. Ein unhaltbarer Zustand. Darum habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, die Strecke durch das Klageland wieder befahrbar zu machen.“
Astamalia verkniff sich die Meldung, ob er verrückt geworden sei. Was sie vom Klageland gesehen hatte – und das war sicherlich nicht viel – hatte gereicht um ihr bewusst zu machen, dass es dort auch auf lange Sicht gesehen nichts mehr geben würde, außer mutierten Monstern. Und dieser Wahnsinnige wollte eine Blitzbahnstrecke dadurch bauen.
„Ich habe von Elaydren erfahren, dass Ihr euch im Klageland bereits auskennt. Darum dachte ich, Ihr wärt die richtige, um die alte Blitzbahnstrecke zu erkunden. Ich muss wissen, was sich alles auf der Strecke befindet, wie gut sie noch in Stand ist.“
„Klingt interessant“, antwortete Astamalia ausweichend.
„Ihr wollen doch das hübsche Püppchen nicht in diese unwirtliche Gegend schicken?“, fragte da der dickere Mann. Er schwenkte seinen leeren Becher.
„Du da! Bring mir noch etwas zu trinken!“
„Tut mir leid, ich bin kein Diener“, antwortete der angesprochene Adamant, der sich ebenfalls zur Gruppe gestellt hatte.
Erstaunt hob der dicke Mann eine Augenbraue.
„Ah, erstaunlich. Na dann könntet Ihr eurem Erschaffer einen Drink bringen?“
„Erschaffer?“, fragten Astamalia und Adamant wie aus einem Munde.
„Ah, ich habe noch nicht vorgestellt. Dies ist Baron Merrix d’Cannith, Leiter des Hauses Cannith hier in Sharn und in ganz Breland.“
„Ja ja, wissen wir doch alle. Was ist jetzt mit meinem Drink?“
Einer der Kriegsgeschmiedeten Diener nahm ihm sein Glas aus der Hand und ersetzte es durch ein neues. Der Baron schien es nicht einmal zu registrieren.
„Liebste, wenn Ihr diesen Auftrag meines geschätzten Verwandten annehmt, muss ich Euch für dümmer halten als Ihr wahrscheinlich seid“, wandte er sich wieder Astamalia zu. „Nie und nimmer wird er es schaffen, die Blitzbahn durch das Klageland wieder in Betrieb zu nehmen. Die Entwicklungskosten für eine besonders geschützte Bahn, ist hinausgeworfenes Geld. Aber ich werde ihn wohl nicht davon abhalten können. Wenn Ihr euch jedoch weigern würden, diesen Auftrag anzunehmen, dann würde dieses Projekt wohl etwas auf Eis gelegt werden.“
Astamalia zuckte mit den Achseln und sah Adamant an.
„Ich denke nicht, dass ich für die ganz Gruppe sprechen kann. Aber im Moment haben wir eigentlich immer wieder Aufträge hier in Sharn und ich bin mir nicht sicher, ob wir uns für längere Zeit im Klageland verpflichten wollen.“
Baron Tamlet lachte belustigt auf.
„Nicht doch. Das ganze Projekt wurde gerade erst begonnen. Bis es zu einer wirklichen Expedition kommt, wird es noch eine geraume Weile dauern. Ich wollte mich schon jetzt erkundigen, ob Ihre Gruppe prinzipiell Interesse daran hätte.“
Astamalia setzte zu einer Antwort an, doch der Baron winkte ab.
„Gebt mir noch keine Antwort. Überlegt Euch alles gut und sprecht auch mit den anderen Gästen hier; und natürlich auch Euren Freunden. Wenn Ihr mich dann kurz entschuldigen würdet, wie ich gerade sehe, sind weitere Gäste eingetroffen, die ich begrüßen sollte.“
Damit wandte er sich mehreren Damen zu, die gerade die Galerie herabkamen und ließ Astamalia und Adamant mit Kasha zurück.

Esra stand immer noch in der gleichen Ecke, wie zu Beginn und fragte sich langsam, was um alles in der Welt, sie noch hier auf dieser Veranstaltung hielt. Lustlos schwenkte sie ihr Glas und blickte in die Menge. Viel zu viele Menschen, viel zu viel Geschwafel. Zudem war die Luft hier sehr schlecht.
Ein junger Mann schlenderte auf sie zu. Er trug etliche schwere Ringe an jeder Hand, eine Goldkette um den Hals und teuer aussehende Kleidung. Die Knöpfe seines Hemdes waren fast alle geöffnet und gaben so den Blick auf seine muskulöse Brust frei. Er schwankte bereits etwas und stank nach hochprozentigem Alkohol.
„Aber hallo!“, rief er. „Wer bist denn du?“
„Esra Emorien“, antwortete die Wandlerin steif, als sich der Mann sehr nah an sie heranbewegte.
„Ah. Nun, du weißt sicher, wer ich bin.“
„Nein, weiß ich nicht.“
Ihr Gegenüber schien ehrlich erstaunt.
„Nun, dem kann rasch abgeholfen werden. Mein Name ist Kassus ir’Wynarn“, erklärte er feierlich und hielt Esra seine Hand zum Kuss hin.
Irritiert blickte sie ihn und seine Hand an.
„Solltet nicht Ihr es sein, der mir einen Handkuss gibt?“, fragte sie.
„Einem ir’Wynarn gibt man immer einem Handkuss. Ungeachtet des Geschlechts“, fauchte Kassus und wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum. Doch Esra ignorierte sie vehement, so dass er sie schließlich aufgebracht wieder senkte.
„Und, was führt dich hierher?“
„Eine Einladung von Baron Tamlet d’Orien.“
Kassus’ Interesse schien wieder erwacht.
„Ah, dann gehörst du sicherlich zu jenen Abenteurern, welche der Baron angeheuert hat. Willst du mir nicht davon berichten?“
„Ich denke nicht. Danke“, lehnte Esra ab. Doch Kassus ließ sich so leicht nicht abwimmeln.
„Vielleicht unter vier Augen. Bei mir?“
„Nein danke“, antwortete Esra scharf.
„Esra? Ich denke ich werde jetzt gehen“, hörte sie da Adamants stimmte und atmete innerlich erleichtert auf. „Ich kann mit solchen Feiern nicht sehr viel anfangen.“
Esra nickte.
„Ich werde dich begleiten.“
Sie drückte Kassus ihr Glas in die Hand und wandte sie auf der Stelle ab. Gemeinsam mit Adamant stapfte sie die Stufen hinauf und verließ das Bankett.

Um nicht noch mehr Fehler bei diesem formellen Anlass zu begehen und sich dadurch eine Strafpredigt von Astamalia anhören zu müssen, widmete sich Thalaën voll und ganz dem Buffet; welches, und das musste er wirklich bewundernd zugeben, sehr beeindruckend vielfältig war. Er hatte sogar einige Speisen aus Aerenal gefunden, auch wenn sie nicht ganz richtig zubereitet worden waren.
Nachdem er sich zum wiederholten Male seinen Teller gefüllt hatte, blickte er schmausend in die Runde. Die Gäste standen alle in kleinen Grüppchen zusammen und schienen sich sehr gut zu amüsieren. Astamalia lachte mit einem Mann, den Thalaën nicht kannte. Esra und Adamant waren nirgends zu sehen. Am anderen Ende des Raumes stand eine schöne Frau ebenso alleine wie er. Sie hielt gedankenverloren ein Glas Champagner in den Händen und ließ wie er den Blick durch den Raum schweifen, bis er auf ihm hängen blieb. Sie lächelte ihn an und blinzelte mir violetten Augen.
Thalaën spürte, wie ihm heiß wurde. Die Frau war groß, schlank, fremdartig gekleidet und die richtigen Rundungen zeichneten sich unter ihrem Umhang ab. Ihre Haut war sehr blass und stand in starkem Widerspruch zu ihren langen dunklen Haaren, die sie zu einem losen Knoten zusammengebunden hatte. Er merkte gar nicht, dass er sie beinahe anstarrte. Erst als sie ihren Platz verließ und zu ihm kam, wurde ihm klar, dass das wahrscheinlich nicht sehr höflich gewesen war.
„Hallo“, hauchte sie und lächelte ihn an, wobei sie ebene, weiße Zähne entblößte. „Du scheinst ebenso einsam hier zu sein wie ich.“
„Ahm, äh, ja. Scheint so“, stammelte Thalaën, der von der Person völlig fasziniert war.
„Mein Name ist Olashtai.“
„Ich bin Thalaën Tedaé.“
„Du stammst aus Aerenal?“, fragte sie. „Das ist weit von hier.“
„Du scheinst auch nicht von hier zu sein“, deutete Thalaën auf ihre Kleidung.
„Das ist richtig. Ich bin erst seit kurzem hier im Lande. Und auch ich komme von weit her.“
„Von wo genau kommst du denn her?“, fragte Thalaën und versuchte das Gespräch am laufen zu halten.
„Ist denn das so wichtig?“, winkte sie ab. „Bist du einer der Abenteurer, die der Baron anheuern will?“
Thalaën, der eigentlich immer noch keine Ahnung hatte, warum er mitsamt seinen drei neuen Freunden hier war, nickte einfach.
„Ja, zu denen gehöre ich. Du kennst den Baron?“
„Nur flüchtig. Ich habe ihn kennen gelernt, kurz nachdem ich in Sharn angekommen bin. Aber ich würde gerne mehr von dir erfahren. Wie wäre es, wenn wir den Klub verlassen und uns irgendwohin zurückziehen, wo es gemütlicher ist?“
„Ähm, ja. Aber ist es denn nicht auch hier sehr gemütlich? Das Essen ist doch ganz gut…“
„Ich habe eine Wohnung nicht weit von hier“, lächelte Olashtai und schnappte sich eine Flasche Champagner vom Buffettisch. „Dort ist es viel ruhiger als hier. Und wir beide passen doch in Wahrheit gar nicht so gut hierher. Wir sind doch beides Außenseiter.“
„Ähm, ja…“, fing Thalaën wieder an zu stammeln.
„Ich habe die Wohnung erst seit kurzem und ich habe ein ganz neues Bett dort“, hauchte ihm Olashtai ins Ohr.
„Wenn du dort reden willst…“, krächzte Thalaën, der merkte, dass sich seine Stimme fast überschlug.
„Nun, wenn du unbedingt reden willst“, kicherte sie. „Eigentlich hatte ich etwas anderes im Sinn. Also, was ist nun?“
Anscheinend hatte er eine Sekunde zu lange gezögert, denn sie nahm ihn am Arm und führte ihn in Richtung Ausgang. Etwas überrumpelt ließ sich Thalaën von ihr mitziehen.

Astamalia konnte sich nicht erinnern, wann sie sich in letzter Zeit so gut unterhalten hatte, wie heute. Kasha war ein hervorragender Gesprächspartner. Intelligent, gebildet und witzig. Zudem war er ein guter Zuhörer und so konnte sie die besten Episoden ihres vergangenen Abenteuers zum besten geben.
Als sie plötzlich jemand an die Schulter tippte, war sie daher über die Unterbrechung auch nicht sonderliche erfreut. Sie hatte immer noch Tränen in den Augen, von dem Witz, den Kasha ihr gerade erzählt hatte und den sie unbedingt einmal ihren Kameraden erzählen musste, als sie sich umwandte. Vor ihr stand der Gastgeber, breit grinsend.
„Tut mir leid, Euch so zu stören. Aber ich dachte, Ihr solltet vielleicht auch noch meinen Neffen kennen lernen. Er hat gerade erst vor kurzem die Magierakademie in Arkanix abgeschlossen und wird mir bei der Verwirklichung meiner Pläne helfen. Vielleicht habt Ihr einige Fragen an ihn, die Ihr mir nicht stellen wollt. Darf ich vorstellen, Fraedus d’Orien.“
Astamalia spürte, wie ihr heiß und kalt zugleich wurde. Sofort hatte sie Kasha vergessen und nur mehr Augen für den Burschen, der neben Tamlet stand.
„Fraedus!“, rief sie und versuchte den Drang zu unterdrücken, ihm um den Hals zu fallen.
„Ah, Ihr kennen euch?“, war der Baron überrascht.
„Ja, wir waren in derselben Klassen in Arkanix, Onkel“, klärte Fraedus auf und grinste Astamalia dabei bis über beide Ohren an.
„Nun, dann denke ich, wird es viel mehr zu besprechen geben, als nur mein Projekt. Dann will ich nicht weiter stören. Kasha, was haltet Ihr von einem gemeinsamen Drink?“
Das lange Gesicht des Karrnathi, der vom Baron an die Bar geführt wurde sah Astamalia nicht, sie hatte nur Augen für Fraedus.
„Komm“, flüsterte er. „Es gibt hier einige Separées, wo wir ungestört sind.
Er ging voraus und Astamalia hatte das Gefühl, dass er ebenso das Bedürfnis hatte zu rennen, wie sie selbst. Doch sie beherrschten sich beide und gingen langsam durch die Menge. Fraedus schüttelte vereinzelt ein paar Hände und hielt ihr dann die Tür zu einem Separée auf. Zitternd trat sie ein, hinter sich schloss er die Tür.
„Fraedus! Du hast mir so gefehlt!“, rief sie und fiel ihm um den Hals, bedeckte ihn mit Küssen.
„Du mir auch!“, seufzte er in ihr Haar.
Plötzlich durchzuckte Astamalia eine Befürchtung und schob ihn sanft von sich.
„Weiß dein Onkel von uns?“
Fraedus schüttelte heftig den Kopf.
„Nein! Sei unbesorgt! Er wird keinen Verdacht schöpfen.“
Er zog sie wieder an sich, küsste sie stürmisch, schob sie sanft nach hinten.
Astamalia spürte einen Tisch unter sich, auf den Fraedus sie drängte, spürte seine Hände überall auf ihrem Körper. Rasch begann er damit sie aus ihrem Kleid zu schälen. Sie grinste und begann ihm dabei zu helfen. Sie hatte schon zu lange auf ihn gewartet!

***

Olashtais Wohnung befand sich wirklich nur einen Turm weiter. Sie war sicherlich hübsch eingerichtet, dachte sich Thalaën. Aber ob das der Wahrheit entsprach konnte er nicht feststellen, denn außer dem Schafzimmer sah er nicht viel. Kaum war die Tür hinter ihnen geschlossen, stürzte sie sich auf ihn, riss ihm seine Kleidung vom Leib, drängte ihn ins Schlafzimmer auf das riesige weiche Bett.
Keuchend kam sie auf ihm zu sitzen, zog sich selbst die letzten Fetzen Kleidung aus, den sie noch am Leib trug. Thalaën starrte bewundernd zu ihr hoch.
Ihr Körper schien makellos, perfekt geformt, die Haut ohne jede Verunreinigung, der Bauch flach, die Brüste: perfekt.
Doch noch bevor er sich satt sehen konnte, hatte sie den Knoten in ihren Haaren gelöst und sich voll seinem Körper gewidmet. Seine Aufmerksamkeit war dahin.

Die ersten Sonnenstrahlen drangen durch das Fenster in das Schlafzimmer, als sich Olashtai mit einem seufzen von ihm herunterrollte. Thalaën hatte das Gefühl gerade einen wilden Kampf hinter sich zu haben. Jeder einzelne Muskel in seinem Körper tat weh. Aber er hatte sich noch nie so entspannt und so glücklich gefühlt.
Auch Olashtai trug ein breites Lächeln zur Schau und ihre Augen waren ganz klein, als stünde sie knapp vor dem Einschlafen. Das konnte Thalaën nur recht sein. Nach all den Stunden brauchte er endlich eine Ruhepause. Olashtai hatte bis jetzt noch keine gebraucht.
„Weißt du, dass du der erste Elf warst, mit dem ich Sex hatte?“, murmelte sie. „Du hast mich praktisch entelft.“
Sie kicherte über diesen Wortwitz.
„Nun, es war auch mein erstes Mal mit einer… Bist du eigentlich ein Mensch?“, fragte Thalaën, doch Olashtai ging nicht darauf ein.
„Stimmt es, dass ihr Elfen keinen Schlaf braucht?“, fragte sie schläfrig und fuhr sanft mit ihrer Hand über seine nackte Brust.
„Ja, das ist richtig.“
„Dann hast du also noch nie geträumt?“
„Nein.“
Olashtai setzte sich wieder auf.
„Hast du dich nie gefragt wie es ist? Wenn man träumt, wenn man schläft?“
Thalaën dachte nach und nickte schließlich.
„Doch schon.“
„Willst du träumen? Ich kann dich träumen lassen?“
Thalaën sah sie erstaunt an. Er glaubte an einen Scherz, aber sie wirkte vollkommen ernst und wach.
„Nun, warum nicht“, antwortete er unsicher.
Sie lächelte nun und setzte sich wieder auf ihn. Bei dem Anblick der sich ihm bot, konnte Thalaën eine erneute Erregung nicht verhindern. Doch diesmal schien Olashtai kein Bedürfnis danach zu haben, erneut Sex mit ihm zu haben. Starr blickte sie ihn an und legte ihm ihre Hände an die Schläfen.
„Schließ deine Augen. Schließ deine Augen und schlafe. Schlafe. Schlafe und Träume. Shtak ath kash. Kash!“
Ein merkwürdiges Gefühl erfasste Thalaën. Seine Glieder wurden schwer, seine Augenlieder sanken herab und er unterdrückte ein Gähnen. Er war müde!
Dann sank sein Kopf zur Seite und er war eingeschlafen.

***

Astamalia glaubte sterben zu müssen. Nie wieder würde sie auf einem Tisch in einer Bar schlafen. Ihr Rücken schien zu brechen, als sie aufstand. Aber sie beschloss, dass es das wert gewesen war. Zumal es Fraedus nicht besser ging. Er schien nur etwas mehr in Eile zu sein als sie. Er hatte sich schon wieder fast ganz angezogen.
„Schnell! Es ist schon spät. Mein Onkel erwartet mich zum Mittagessen und wird Verdacht schöpfen, wenn ich dann immer noch nicht aufgetaucht bin.“
Mittagessen?
Erschrocken sah Astamalia aus dem Fenster. Draußen stand die Sonne hoch am Himmel. Es war wirklich schon Mittag? Rasch griff sie nach ihrem Kleid und schlüpfte wieder hinein, richtete es her, so gut es wieder ging. Es war nicht nett behandelt worden, in der letzten Nacht.
Dabei musste sie grinsen.
„Wann kann ich dich wieder sehen? Wo kann ich dich finden?“
„Ich bin in nächster Zeit in Wroat. Aber ich habe keine Ahnung, wie lange mein Onkel mich dort lassen wird und wann er mich woanders hinschickt. Aber ich werde dir schreiben. Mein Onkel hat ja deine Adresse. Ich denke nicht, dass das auffallen wird, wenn wir uns regelmäßig Briefe schreiben.“
„Ja, gut“, flüsterte Astamalia. Irgendwie verschwand ihr Glücksgefühl rasch wieder. Dieses ewige Verheimlichen dieser Beziehung war schwer. Und die langen Trennungspausen machten es nicht besser. „Ich werde dir schreiben. Du mir auch?“
„Natürlich“, versicherte Fraedus und gab ihr einen Kuss. „Und nun komm. Wir müssen los.“

***

Die Strahlen der Abendsonne weckten Thalaën wieder. Er war verwirrt und brauchte seine Zeit, bis er sich wieder auskannte, wo er war. Er lag immer noch in dem breiten Bett, nackt und ohne Decke, alle viere von sich gestreckt. In seinem Kopf waren verwirrende Erinnerungen, die so nicht stimmen konnte. Ob das Träume waren?
Er sah sich um.
Olashtai war nirgends zu sehen.
Er lauschte.
Kein Geräusch war aus der Wohnung zu hören.
„Olashtai?“
Niemand antwortete. Doch ein Brief und ein violetter Stein, die auf dem Nachtkästchen lagen, stachen ihm ins Auge. Er griff nach dem Brief:

Es tut mir leid, dass ich nicht auf dich warten konnte. Ich hoffe du hast gut geschlafen und geträumt. Wahrscheinlich werden sich unsere Wege bald wieder kreuzen. Hoffentlich dauert es nicht zu lange. Bis dahin soll dieser Stein dich immer an diese Nacht erinnern. Ich hoffe, du hattest soviel Spaß wie ich.
Olashtai


Thalaën lächelte und sah sich den länglichen Stein an. Er war recht hübsch und hatte die Farbe ihrer Augen. Ein dünnes Lederband ermöglichte es ihn um den Hals zu tragen.
In Erinnerungen schwelgend legte er es an und suchte dann seine Kleider zusammen um sich auf den Weg zu seinen Kameraden zu machen.

***

„Und du musst wirklich schon abreisen?“, fragte Esra betrübt.
„Ich denke nicht, dass ich noch mehr von dieser Stadt sehen möchte“, lehnte Matuc ab. „Aber es war mir eine Freude, dich wieder zu sehen. Und es ist gut zu wissen, dass es dir gut geht. Und dass du gute Freunde gefunden hast. Lass den Kopf wegen deinem Bruder nicht hängen. Der Brief sagt uns immerhin, dass er noch am Leben ist.“
„Ja, das tut er“, nickte Esra.
„Wenn er erneut von sich hören lässt, werde ich dich benachrichtigen.“
„Und ich werde schreiben, wenn ich etwas herausfinde.“
Matuc lächelte.
„Wenn ihn einer finden kann, dann du Esra. Die beste Fährtenleserin von Grünherz.“
Er umarmte sie freundschaftlich und öffnete die Tür, die Thalaën von der anderen Seite gerade öffnen wollte.
„Ihr verlasst uns?“, war der Elf verblüfft.
„Ja“, nickte Matuc und gab ihm die Hand. „Lebt wohl.“
Er nickte Esra noch einmal zu und marschierte dann durch die Gassen davon. Die beiden blickten ihm nach, bis Esra plötzlich laut die Luft durch die Nase einzog.
„Du stinkst“, stellte sie fest.
Thalaëns blasser Teint wurde blassrosa und rasch zwängte er sich an der Wandlerin vorbei in die Wohnung. Esra schüttelte den Kopf. Nicht einmal Astamalia hatte so stark gerochen, als sie vor Stunden in die Wohnung gekommen war, und das war schon kaum auszuhalten gewesen. Aber der Elf. Das war ja fürchterlich. Dass man sich so auf die Straße wagen konnte. Erstaunlich!

***

„Das ist unmöglich! Warum sollte er auch so etwas tun? Er hat keinen Grund dazu!“
„Er hat es aber getan. Und nun müssen wir ihn aufhalten. Anscheinend hat er vor kurzem die Stadt in ihrer Kutsche verlassen.“
„Er ist zu ihr übergelaufen? Aber warum versteckt er sich dann nicht in der Stadt, in ihrem Mausoleum?“
„Das wissen wir nicht. Aber wir müssen ihn aufhalten. Anscheinend ist er auf dem Weg nach Trolanhafen. Wir wissen aber nicht, wohin er dann weiter will. Er und die Waffe dürfen aber auf keinen Fall in die falschen Hände geraten.“
„Ich werde sofort einige Agenten losschicken…“
„Nein, das ist keine gute Idee. Er war sehr bekannt und beliebt unter seinen Kollegen. Das könnte zu Verwicklungen führen. Außerdem, vielleicht hat er vielleicht einige der Männer auf seine Seite gezogen. Das dürfen wir nicht riskieren. Ich dachte an eine unabhängige Abenteuergruppe.“
„Hm… Habt Ihr da an jemand bestimmten gedacht?“
„Ja. Eine alte Freundin hat mir gerade gestern von vier Abenteurern erzählt, die anscheinend sehr brauchbar sein sollen. Wir werden diese auf den Fall ansetzen.“
„Nun, wenn Ihr meint…“
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 23. Februar 2008, 10:59:08
Affen und andere Gefahren

Es war ruhig in der Wohnung. Adamant saß im Wohnzimmer und schrieb einen Brief an Bollwerk. Er musste irgendwie versuchen, seinen Freund davon abzubringen, sich dem Klingenfürsten anzuschließen. Mittlerweile war es ein recht langer Brief. Aber immer noch war er der Meinung mehr sagen zu müssen. Bollwerk hatte so überzeugt geklungen, von seiner Idee ins Klageland zu ziehen und den Fürsten zu finden.
Es klopfte an der Tür.
Irritiert sah Adamant auf. Es war praktisch noch mitten in der Nacht. Dennoch stand er auf und öffnete die Tür. Davor stand ein etwas verschlafen aussehender Bote des Hauses Orien. Derselbe, der bereits vor zwei Tagen hier gewesen war und die Einladung des Barons überbracht hatte.
„Eine Nachricht für Euch“, gähnte er. „Scheint wichtig zu sein.“
„Danke“, brummte Adamant und warf ihm einen Silberregenten zu.
Der Kurier brummte noch etwas und verschwand wieder in der Dunkelheit. Adamant öffnete den Brief. Zwei Seiten befanden sich auf dem Kuvert. Auf dem einen waren vier Platinmünzen mit Wachs aufgeklebt. Auf dem zweiten standen einige wenige Zeilen:

Diese Münzen haben viele Freunde, die euch ebenfalls gerne kennen lernen würden. Kommt zur Mittagszeit zur Nordosttreppe des Myriadenturms in der Oberstadt. Bringt Reiseausrüstung und eure Vertrauten mit. Ein Sinn für Eile und Diskretion wäre ebenfalls angebracht. Gebt dem Wächter am Fuß der Stiege dieses Schriftstück und er wird euch passieren lassen. Ihr kommt mit besten Empfehlungen der Dame E. d’C.
V.


Unter dem V. war noch eine stilisierte Laterne aufgezeichnet, mit der Adamant nicht sehr viel anfangen konnte.
Ein neuer Auftrag also. Und diesmal nicht von der Dame Elaydren. Er war gespannt, um was es diesmal gehen würde. Interessiert blickte er auf die große Pendeluhr im Wohnzimmer. Es war noch früh und sie mussten erst mittags am Myriadenturm sein. Er brauchte die anderen also noch nicht zu wecken. Aber vielleicht würde Thalaën diese Nachricht schon interessieren.
Leise ging er zum Zimmer des Elfen und klopfte. Niemand antwortete. Etwas erstaunt öffnete Adamant die Tür. Normalweise saß Thalaën mit überkreuzten Beinen im Bett, wenn er meditierte. Heute jedoch lag er im Bett, die Augen geschlossen, die Bettdecke bis zum Kinn hochgezogen. Und er schnarchte leise.
Adamant wunderte sich etwas. Bis jetzt hatte er immer gedacht, dass Elfen keinen Schlaf benötigen würden. Anscheinend hatte er sich geirrt.
Nun, die Benachrichtigung konnte warten.

***

„Ich bringe ihn um! Ich bringe den verdammten Mistkerl mit meinen eigen Hände um!“, schrie die Frau aus Leibeskräften, so dass ihre grelle Stimme durch die leeren Korridore halte und das Klacken ihrer hohen Absätze übertönte. „Wie bei allen Dämonen konnte er sich von mir trennen? Das ist unmöglich!“
Sie stieß eine schwere Eisentür auf und betrat einen Fackelerleuchteten Raum.
„Urosh! Nichtsnutziger verfaulter Sack! Hierher!“, kreischte sie.
Eine Gestalt schlurfte aus der Dunkelheit auf sie zu. Anscheinend war sie normal nicht so schnell unterwegs, denn sie stolperte fast über ihre Füße.
Vor ihr warf sie sich nieder und robbte an sie heran. Bandagen hingen von ihrem fauligen Körper.
„Ih’ habt ge’ufen?“, krächzte er. Es klang, als hätte er keine Zunge mehr.
Sie trat mit ihren Stiefeln nach ihm und sein Kopf schlug hart zurück, so dass er nun zu ihr aufsah.
„Sieh mich gefälligst an! Ich brauche keine scheinheilige Unterwürfigkeit! Nicht jetzt!“
Sie starrte in die leeren Augenhöhlen der Gestalt unter ihr. Das bandagierte Gesicht schien Angst auszuströmen, was ihre Stimmung etwas verbesserte. Aber nur minimal.
„Er hat es gewagt zu verschwinden! Mit meinem Schwert! Und in meiner verdammten besten Kutsche! Kannst du dir das vorstellen, Urosh?“
„Nein, meine He’’in. Kann ich nicht.“
„Unterbrich mich nicht!“, fauchte sie und trat abermals nach ihm. „Finde diesen Verräter! Bringe ihn zu mir zurück! Bring mir meinen treuen Untertanen und Gespielen zurück! Mit der Waffe und meinem Wagen! Und ich will ihn lebend, verstehst du?“
„Ja, meine He’’in.“
„Ich will ihn selbst umbringen! Und ich will wissen, wie er das geschafft hat. Wage es nicht mich zu enttäuschen, Urosh! Du würdest es bitter bereuen! Und das willst du doch nicht“, säuselte sie mit gefährlicher Stimme. Die Gestalt vor ihr sank in sich zusammen und schüttelte so heftig den Kopf, dass sich Bandagen davon lösten.
„Man hat mir berichtet, dass er auf der Oststraße unterwegs ist. Finde ihn! Und pass auf, die Schatten setzen sicher Leute auf ihn an, um ihn zurückzubringen. Und nun verschwinde!“
Sie trat noch einmal fest nach ihm, so dass er rücklings auf den Boden stürzte. Ohne sich noch einmal umzudrehen ging sie den Gang wieder zurück. Das Klacken ihrer Stiefel verhallte in der Ferne.

***

„Guten Morgen Botschafter“, begrüßte er den Mann hinter dem schweren Schreibtisch. Hinter den Fenstern des Büros waren die ersten Schemen der Türme zu sehen, die sich aus der Morgendämmerung herausschälten.
„Ah, Oberst. Danke, dass Ihr so rasch Zeit hattet“, gähnte der Botschafter. „Setzt Euch doch.“
Während er Platz nahm und seine Uniform glatt strich gähnte sein Gegenüber noch einmal herzlich. Er trug einen Morgenmantel und die Haare standen in den wildesten Richtungen von seinem Kopf ab. Er hoffe, dass er ein besseres Bild abgab.
„Wir haben gerade die Nachricht eines unserer Agenten erhalten, dass in der Schatzkammer eingebrochen wurde.“
„Pech. Aber was geht das uns an?“, fragte er. Auch wenn er weniger Schlaf brauchte als der Botschafter, so ließ er sich doch ungern mitten in der Nacht in ein Büro zitieren.
„Es wurde etwas gestohlen, dass einmal uns gehörte. Und wie es aussieht ist es wieder auf dem Weg in die Heimat“, grinste der Botschafter und schob ihm ein Blatt Papier zu. Der Oberst las die wenigen Zeilen darauf und hob erstaunt die Augenbrauen.
„Ich bin beeindruckt. Konnte dieses erfreuliche Ereignis nicht bis zum Frühstück warten?“
„Nein, leider, Herr Oberst. Es ist davon auszugehen, dass Breland uns dieses Fundstück nicht so einfach überlassen wird. Ebenso wenig wie die Waffe selbst. Daher werdet Ihr dafür sorgen müssen, dass es auch sicher in der Heimat ankommt. Ihr wisst selbst, wie schlecht unser Geheimdienst ist, darum seid Ihr der Mann der Wahl. Brecht heute noch auf. Bleibt unauffällig, aber unternehmt alles, damit unser Eigentum über die Staatsgrenzen kommt.“
„Wie Ihr wünscht, Botschafter.“
„Gut. Hier sind Ihre Papiere und ihre Tickets. Wir gehen davon aus, dass er alte Verbindungen nutzen wird, um zu uns zu kommen. Darum nehmen wir an, dass wir sein nächstes Ziel kennen. Genauere Details entnehmt bitte der Akte“, womit er einen recht schmalen Ordner über den Tisch schob. „Beeilt Euch. Das Schiff geht in einer Stunde. Viel Erfolg, Oberst.“
„Danke, Herr Botschafter.“

***

Thalaën war immer noch etwas benommen, obwohl der frische Wind, der ihm durch Gesicht fuhr, seine Geister rasch belebte. Er hatte eigentlich nicht angenommen, dass er eine weitere Nacht schlafen würde. Aber es war geschehen. Er hatte sich zur Meditation hingesetzt und war dann heute Morgen aufgewacht, als ihn Adamant geweckt hatte. Wie war das möglich? Was hatte diese Olashtai mit ihm angestellt?
Die Luftkutsche legte sich in eine sanfte Kurve und er hielt sich fest, als sie wieder tiefer nach unten sanken.
„Wissen wir etwas über einen V.? Oder jemanden, der eine Laterne als Erkennungssignal nutzt?“, fragte Astamalia zum wiederholten Male, während sie den Brief in ihrer Hand musterte.
„Nein. Aber wir werden bald erfahren, um wen es sich handelt“, gab Esra zurück, die während des ganzen Fluges ihre Augen geschlossen hatte. Sie war offenbar kein Freund dieser Transportmethode. Thalaën konnte es ihr nicht verdenken. Auch er hatte lieber festen Boden unter den Füßen.
„Der Myriadenturm“, verkündete ihr Fahrer, als die Kutsche sanft auf einer offenen Plattform aufsetzte. Astamalia bezahlte ihn und nacheinander stiegen sie aus; sofort erhob sich die Kutsche wieder in die Lüfte und ließ sie zurück. Vor ihnen erstreckte sich eine Turmspitze in den wolkenverhangenen Himmel und ein schweres Eisentor blockierte den Zugang zu der dahinter liegenden Treppe nach oben. Interessiert sah sich Thalaën um. Von einem Wächter, wie in dem Schriftstück die Rede war, war nichts zu sehen. Nur ein Bettler saß zusammengekauert an eine Mauernische. War es vielleicht nur ein Gag gewesen, dass man sie hierher bestellt hatte?
Auch die anderen schienen ratlos zu sein, was Thalaën beruhigte. Er tendierte oft dazu, etwas offensichtliches zu übersehen, doch diesmal schienen ihm die anderen nicht voraus zu sein.
Da ihm nichts anderes einfiel ging er zu dem Bettler hin.
„Entschuldigt, wisst Ihr vielleicht etwas von einem Hüter, der hier normalerweise das Tor bewacht?“
Als Antwort hob der Bettler eine kleine Schale und schwenkte damit auffordernd herum. Seufzend zog Thalaën einen Silberregenten hervor und ließ ihn in die Schale fallen.
„Vielen Dank. Aber das ist der falsche Schlüssel“, ertönte die recht kräftige Stimme des Bettlers.
Falscher Schlüssel? Ah, Schlüssel.
Er ging zu Astamalia, die inzwischen das Schriftstück abermals durchlas, in der Hoffnung, etwas übersehen zu haben, und nahm es ihr aus der Hand. Damit kehrte er zum Bettler zurück und warf es in die Schale.
„Das ist der richtige Schlüssel“, bedankte sich der Bettler und das schwere Eisentor schwang wie von Geisterhand auf.
„Dann seid Ihr der Wächter?“, war Thalaën erstaunt.
„Ihr seid mir ein ganz ein schlauer“, gab der Mann lachend zurück.
Thalaën schnaubte und schloss sich den anderen an, die bereits die Treppe erklommen.

Die Steintreppe führte sie bis in das oberste Stockwerk des Turms, das anscheinend zur Gänze von einem großen Glashaus eingenommen wurde. Durch das Glasdach fiel das ungefilterte Licht der Mittagssonne und die Luft im Raum war daher sehr heiß; aber auch feucht. Eine unangenehme Kombination, fand Esra.
Nur wenige Meter vom Eingang entfernt saß ein Mann an einem Arbeitstisch am Rande dieses überdachten Dschungels. Der Mann war bleich und wirkte irgendwie ausgezehrt und so, als hätte er wenig geschlafen. Er war offenbar gerade damit beschäftigt Orchideen in einer Vase zu arrangieren.
Über der Rückenlehne seines Stuhls hing eine lederne Satteltasche und am Stuhl selbst lehne ein silberner Gehstock.
Als sie vor ihm stehen blieben sah er auf und musterte sie interessiert.
„Ich grüße Euch“, begrüßte er sie mit einer flüsternden, trockenen Stimme. „Ich bin Viorr Malaek. Ich hoffe euch gefällt mein kleines, privates Stück Wildnis.“
„Wir sind dann wohl die Leute, denen Ihr einen Brief geschrieben habt. Warum sind wir hier?“, erkundigte sich Esra und warf dabei einen Blick über seine Schulter in den dichten Dschungel.
„Nun, ich habe einen Auftrag für euch. Es handelt sich um einen Auftrag, der euch reich machen wird“, fügte er lächelnd hinzu. Er griff in eine Tasche und holte einige Phiolen hervor, die er vor sich auf den Tisch stellte.
„Doch bevor ich euch anheuern kann, müsst ihr noch einen Test bestehen. Hier im Gewächshaus treibt sich ein wild gewordener Affe herum. Ihr müsst ihn besiegen, ohne ihn zu töten. Ihr könntet ihn mir bewusstlos liefern, schwer verwundert, oder ihn auch auf magischem Wege niederringen. Ihr dürft ihn nur nicht töten. Das in den Phiolen sind Heiltränke. Benutzt sie, wenn ihr sie braucht. Und bitte seid vorsichtig: Der Affe ist Fleischfresser und er ist ziemlich hungrig.“
„Darf ich fragen, woher Ihr Dame Elaydren kennt?“, erkundigte sich Astamalia.
„Ich gehe des Öfteren mit ihr Essen. Aber alle weiteren Frage bitte erst nach diesem kleinen Test“, wehrte Viorr ab.
„Und warum sollen wir diesen Affen lebendig fangen? Und was ist das überhaupt für ein Affe?“, hakte Esra nach, die etwas großes in dem Dschungel witterte.
„Es ist doch nicht etwa einen Pavian? Diese Tiere sind mir nämlich heilig…“, fügte Thalaën hinzu.
„Nein, kein Pavian. Der Affe ist groß und es soll ein Test sein“, erklärte Viorr ärgerlich. „Wollt ihr euch nun an die Arbeit machen, oder soll ich mir eine andere Gruppe suchen?“
„Schon gut“, wehrte Esra ab. „Wie gehen wir vor?“, fragte sie die anderen in der Gruppe.
„Ich könnte ihn einschlafen lassen“, schlug Astamalia vor. „Wenn er nicht zu mächtig ist.“
„Und danach könnten wir ihn fesseln“, nickte Esra zustimmend.
„Sonst kann auch ich versuchen, ihn einfach festzuhalten“, schlug Adamant vor und klopfte sich selbst auf seine metallene Brust.
„Dann mal los“, grinste Thalaën und schwang seinen Säbel.
Langsam arbeiteten sie sich in den Dschungel hinein vor, Viorr blieb hinter ihnen zurück. Vorsichtig ließ Esra ihren Blick zwischen den Bäumen und dem Boden hin und her pendeln. Ihr wäre viel wohler zu Mute, wenn sie genau wüsste, was auf sie zukommen würde.
Da in den Bäumen! Sie stockte, als sie den riesigen Berg Fleisch und Fell sah, der sich elegant aus dem Baum schwang und mit einem lauten Krachen auf dem Boden landete. Sie schluckte. Der Affe war fast drei Meter groß und ließ ein ohrenbetäubendes Brüllen hören.
„Astamalia! Jetzt!“
„Somnus ilico!“, war die Stimme der Magierin zu hören. Doch der Zauber zeigte keine Wirkung und das Monster stürmte auf sie zu.
„Er ist zu stark!“, rief Astamalia den anderen zu.
Na toll, dachte Esra. Das half ihr jetzt auch nicht weiter.
Ein Schatten sprang zwischen sie und den Affen. Ein blitzendes, wirbelndes etwas in der Hand. Blut spritzte auf die Blätter der Bäume und das Monster heulte getroffen auf. Dann holte es jedoch mit seiner Pranke aus und schlug nach Thalaën, der sich so mutig in den Weg geworfen hatte. Er landete mit einem hässlichen klatschenden Geräusch am nächsten Baumstamm und stöhnte schmerzerfüllt auf.
Esra feuerte mit ihrem Bogen auf das Monster, doch das schien ihm nicht viel auszumachen. Adamant preschte aus dem Unterholz hervor und stürzte sich ebenfalls todesmutig auf das viel größere Tier und von irgendwo trafen es zwei magische Geschosse.
Wild schlug der Affe um sich, schaffte sich Adamant vom Hals und versuchte wieder in die Bäume zu gelangen. Esra feuerte weiter Pfeile auf ihn ab, so schnell es ging. Adamant versuchte ihn wieder herunterzuziehen.
Esra war froh, dass sie aus der Distanz heraus angreifen konnte. Aber sie bewunderte auch die Verwegenheit von Adamant und Thalaën. Während Adamant die schweren Hiebe weniger ausmachten, legte Thalaën mit seinen flinken Beinen vor allem Wert darauf gar nicht mehr getroffen zu werden, was ihm auch mehr oder minder gut gelang. Dennoch ging der Affe nur langsam in die Knie. Jede Wunde, die sie ihm zufügten, schien ihn nur noch wütender zu machen.
Bis es endlich Adamant gelang ihm mit seinem Streitkolben einen schweren Schlag auf den Kopf zu versetzen. Der Affe rollte mit den Augen, torkelte und fiel schwer zu Boden.
Keuchend versammelten sie sich alle rund um ihn.
„Wir sollten ihn gut fesseln, bevor wir ihn heilen“, schlug Astamalia vor. Sie war ebenso unversehrt wie Esra.
„Ihn heilen?“, jappte Thalaën, der über und über Blutverschmiert war. „Wie wäre es, wenn sich jemand einmal meine Wunden ansehen könnte?“
Adamant legte ihm beiläufig die Hand auf die Schulter und murmelte einige Worte. Die schlimmsten Wunden des Elfen verschlossen sich.
Esra machte sich inzwischen mit Astamalia daran den Affen nach allen Regeln der Kunst zu einem regelrechten Paket zu verschnüren. Dann erst weckte ihn Adamant mit etwas Heilmagie wieder auf, was den Affen sofort wieder in Rage brachte. Aber anscheinend hatten sie beide ihr Werk gut gemacht, freute sich Esra. Die Fesseln hielten.
„Bravo“, klatsche Viorr, der sich zu ihnen durchkämpfte. Vorsichtig träufelte er dem Affen etwas aus einer Phiole ein, was ihn sofort einschlafen ließ. „Ihr habt ihn zwar etwas mehr ramponiert, als ich mir gehofft hatte, aber es wird reichen. Kommt mit nach vorne, dort können wir dann alles weitere besprechen.“
Damit wandte er sich ab und ihnen blieb nichts anderes übrig als ihm zu folgen. Beim Eingang angelangt begann Viorr in der Satteltasche herumzuwühlen.
„Ich repräsentiere eine Abteilung der Königszitadelle, die als des Königs Schatten bekannt sind“, begann er zu erklären. „Wir ... äh... kümmern uns um ... Informationsdienste für König Borenal von Breland. Wir benötigen die Hilfe einer fähigen und tapferen Abenteuergruppe, die einen abtrünnigen Agenten jagen, stellen und zurückbringen kann. Wenn möglich sollte er dabei am Leben bleiben. Deshalb auch dieser Test“, fügte er mit einem Seitenblick auf Esra hinzu. „Wenn ihr bereit seid zu schwören, dass ihr alles, was ihr jetzt hören werdet, wie Staatsgeheimnisse behandeln werdet, kann ich euch mehr darüber erzählen.“
Esra blickte die anderen vier an. Astamalia und Thalaën nickten.
„Sicher doch“, sagte der Elf lauf.
„Ja“, stimmte Astamalia zu.
„Ich denke nicht, dass das ein Problem darstellen wird“, war auch Esra einverstanden.
„Wird dieser Auftrag im Widerspruch zur Lehre der Silbernen Flamme sein?“, hakte jedoch Adamant nach und erntete dafür einen lauten Seufzer von Astamalia. Auch Viorr schien leicht erstaunt über diese Frage, schüttelte jedoch den Kopf.
„Nein, das wird er auf keinen Fall sein. Ganz im Gegenteil.“
„In diesem Fall bin ich ebenfalls einverstanden“, nickte der Kriegsgeschmiedete zufrieden.
„Nun gut“, fuhr Viorr fort und setzte sich auf seinen Stuhl. „Lucan Stellos, einer unserer besten Agenten, ist vorgestern verschwunden und gestern Nacht drang jemand in eine Hochsicherheitsschatzkammer hier in Sharn ein. Ein mächtiges magisches Schwert wurde gestohlen. Kurz vor der Morgendämmerung wurde Lucan dabei beobachtet, wie er Sharn über die Oststraße verließ. Wir möchten, dass ihr ihm folgt, ihn einholt und gefangen nehmt. Wir sind bereit jedem von euch 2000 Galifar zu bezahlen, wenn ihr ihn stellt und weitere 500 Galifar, wenn ihr das Schwert bergen könnt. Wenn Lucan stirbt, erhält jeder von euch statt dessen 1000 Galifar, aber nur, wenn ihr mir Beweise seines Todes liefern könnt. Wir brauchen Lucan entweder zurück oder wir müssen sicher sein, dass er tot ist, damit er uns nicht verraten kann. Oh, und dann gibt es noch eine Komplikation: Den Augenzeugenberichten zufolge hat Lucan erstaunlich Fähigkeiten und Kräfte erlangt, über die er zuvor nicht verfügte. Nun, interessiert?“, grinste er an.
Esra war nicht wirklich begeistert. Eine Agentenjagd und ein magisches Schwert – wo sie doch mit Magie so wenig anfangen konnte. Doch die anderen nickten und so tat sie es ihnen gleich.
Viorr lächelte sie an:
„Gut. Ich werde die Sache nur einmal durchgehen. Ihr solltet also besser aufpassen.“
Er machte eine dramatische Pause und fuhr dann fort:
„Hier ist ein Bild Lucan. Es wurde von einem der königlichen Zeichner angefertigt. Lucan ist männlich, ein Mensch und sowohl als Kämpfer, als auch als Spion geschult und gefährlich.“
Er gab ein Bild durch und Esra musste zugeben, dass der Zeichner gute Arbeit geleistet hatte und Lucan wirklich gut aussah. Stattlich gebaut, schöne schmale Augen und langes blondes Haar. Während sie das Bild musterte, erzählte Viorr aber schon weiter:
„Hier seht ihr ein Bild der schwarzen Kutsche, mit der er gereist ist, als man ihn auf der Oststraße erspähte. Hier sind Reisepapiere, die euch als Agenten im Dienste des breländischen Königs ausweisen. Haus Vadalis stellt euch magiegeschaffene Pferde zur Verfügung. Sie warten in den Stallungen nahe dem Osttor auf euch. Seht die Pferde als einen Bonus an. Die Königszitadelle begleicht die Rechnung mit dem Haus.
Hier ist weiters ein Kreditbrief. Wenn ihr unterwegs unerwartete Ausgaben habt, braucht ihr den Brief nur bei einer Zweigstelle Haus Kundaraks vorlegen, und man wird euch den Betrag aushändigen. Aber eine kleine Warnung im guten: König Boranel sieht es gar nicht gerne, wen man sein Gold aus Jux und Tollerei verschleudert. Benutzt den Kreditbrief also nur, wenn ihr das Geld wirklich nötig habt.
Das Schwert das wir außerdem wollen, nennt man die Seelenklinge und man erkennt es an dem großen Rubin, der im Schwertgriff eingefasst ist. Unsere Magier meinen, die Klinge würde Böses ausstrahlen. Ich an eurer Stelle wäre daher vorsichtig mit dem Ding.
Wir haben keine Ahnung, was genau Lucan plant, aber wir haben bei der Durchsuchung seines Quartiers einen Hinweis gefunden. Gemäß dieser ist er nach Trolanhafen unterwegs. Ansonsten war er bei der Vernichtung seiner Aufzeichnungen sehr gründlich. Wir konnten nur mehr aus einer zerstörten Notiz das Wort ‚Krell’ retten. Leider haben wir keine Ahnung, wer oder was ein Krell ist.“
Er machte eine Pause und dachte nach. Nickte schließlich für sich.
„Ihr wisst jetzt alles, was ich auch weiß. Lucan hat mehrere Stunden Vorsprung und ich an eurer Stelle würde mich sputen. Habt ihr noch ein paar rasche Fragen, bevor ihr aufbrecht?“
Esra nickte und legte das Bild von Lucan beiseite.
„Ja. Warum durften wir den Affen vorhin nicht töten?“
„Weil wir auch Lucan lebend wollen.“
„Und warum dürfen wir ihn nicht einfach umbringen, wenn er Euch doch verraten hat“, wunderte sich Thalaën.
„In unserem Geschäft stellt die Information die wertvollste Ware dar. Wir müssen herausfinden, was er weiß, was er ausgeplaudert hat und an wen; außerdem mit wem er jetzt gemeinsame Sache macht. Natürlich ist es uns immer noch lieber er ist tot, als in den Händen unserer Feinde.“
„Und welche Aufgaben erfüllte Lucan, dass er nun so geheime Informationen hat?“
„Gegenspionage. Und darin war er unser Meister. In dieser Mission war er auch bei der Fürstin Caldera unterwegs. Er sollte sie ausspionieren“, lächelte Viorr.
„Mich würde noch interessieren, über welche Kräfte Lucan verfügte, als er das Schwert stahl. Ihr meintet, es waren besondere?“, hatte auch Adamant eine Frage.
„Ja. Lucan ist ein Meister darin, ungesehen wo einzudringen. Aber sein Können in der Schatzkammer übertraf alles was er können dürfte. Er hat Angriffe weggesteckt, die einen normalen Mann gefällt hätten. Und er spazierte einfach die Seite des Turms hinab, als wäre es ebener Boden. Da er manche dieser Fähigkeiten einsetzte, bevor er das Schwert hatte, gehen wir davon aus, dass er sie unabhängig davon erlangt hat. Aber das Schwert wird noch zusätzliche Kräfte verfügen, die er einsetzen kann.“
„Klingt toll“, murrte Astamalia. „Was wissen wir denn über diese Seelenklinge eigentlich?“
„Leider nicht sehr viel. Sie fiel uns während des Letzten Krieges in die Hände und befindet sich seither in der Schatzkammer. Davor war sie im Besitz eines karrnischen Kriegsfürsten. Soweit wir wissen gibt es dreizehn Waffen dieser Art und alle sind sehr mächtig und bösartig.“
Er seufzte.
„So, nun solltet Ihr euch aber auf den Weg machen. Der Vorsprung von Lucan wird nicht kleiner.“

***

Urosh hatte die Kapuze seines Mantels tief in das Gesicht gezogen, so dass er nur schwer zu erkennen war. Dennoch war es riskant für ihn, sich mitten in der Stadt am helllichten Tag zu zeigen. Es brauchte nur irgendjemand einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen und Alarm zu geben und schon wäre die halbe Stadt hinter ihm her. Aber er musste wissen, ob diese dilettantischen ‚Helden’ wirklich auf der Suche nach Lucan waren. Wenn ja, konnte er sich gut an ihrer Fährte orientieren.
Sie waren bei einer Zweigstellte von Haus Vadalis eingekehrt und kamen nun mit vier edlen magiegeschaffenen Pferden wieder heraus. Das war schlecht. Diese Pferde waren schneller als seines. Dafür aber nicht so ausdauernd.
Außerdem, dachte er mit einem breiten grinsen im Gesicht, konnten sie nicht gut reiten. Zumindest hielt sich niemand von ihnen besonders gut im Sattel. Das würde es einfacher machen.

***

Nachdem sie eine Nacht im freien Verbracht hatten, war jedem aufgefallen, dass er nun schlief. Und so war er genötigt gewesen, sich zu erklären. Adamant, der diese Tatsache bereits mitbekommen hatte, fand daran nichts sehr merkwürdiges. Er war vielmehr etwas enttäuscht, nun ganz alleine in der Nacht munter sein zu müssen. Esra hatte die Angelegenheit mit einem Achselzucken abgetan. Nur Astamalia war sehr erschrocken und hatte ihn aufgefordert das ganze weiter zu verfolgen. Immerhin, und da hatte sie ja auch nicht unrecht, war es sehr seltsam, wenn ein Elf schlief und träumte.
„Seht, dort vorne ist ein Gasthof. Heute Nacht müssen wir nicht wieder im freien schlafen!“, rief Astamalia und holte ihn in die Gegenwart zurück.
„Mich hat das nicht gestört“, war Esras Stimme zu vernehmen.
Doch Thalaën achtete gar nicht auf die Kabellaien der beiden Frauen sondern betrachtete das einsam dastehende große Haus am Wegesrand. Über der Tür war ein Rad angebracht, um welches sich eine hässliche Gestalt mit Flügeln wand. Darunter stand: „Gasthof zur überfahrenen Harpyie“.
„Reizend. Sehr einladend“, murrte er und stieg ab. Er war das lange reiten nicht mehr sehr gewöhnt. Ihm tat alles weh. Aber anscheinend ging es ihm immer noch besser als den anderen beiden fühlenden Wesen in der Gruppe. Astamalia und Esra gingen beide sehr breitbeinig und mit schmerzverzerrtem Gesicht. Adamant schien der Ritt gar nichts auszumachen. Dafür war sein Ross – das ausdauerndste und stärkste von allen, am Rande des Zusammenbruchs. Sein immenses Gewicht zeigte hier eben seine Wirkung.
Sie banden ihre Pferde vor der Tür an und traten ein.
Der Schankraum war gut besucht. Anscheinend waren mehrere Händler hier abgestiegen und auch einige Bauern aus der Umgebung tranken noch gemütlich ein Bier. Der Wirt war ein dicker, glatzköpfiger Mann, den nichts aus der Ruhe zu bringen schien. Die Kellnerin schien seine Tochter zu sein.
„Guten Abend, hättet ihr noch vier Zimmer für einige Reisende?“, fragte Astamalia, den Wirten, kaum dass sie an der Schank stand.“
„Ne, nur mehr zwei mit je zwei Betten. Kann auch eure Pferde versorgen, wenn ihr das wollt. Abendessen ist auch noch da.“
Astamalia nickte.
„Ja, klingt alles sehr gut. Wie viel?“
„Fünf Regenten pro Person für alles zusammen“, brummte er und putzte ein dreckiges Glas.
Astamalia nickte noch einmal und suchte sich dann einen freien Tisch. Thalaën folgte ihr und Esra schloss sich ihnen ebenfalls an.

“Entschuldigt, Herr Wirt. Ihr habt heute nicht zufällig eine schwarze Kutsche vorbeikommen sehen?“, fragte Adamant.
„Keine Ahnung“, antwortete der Wirt und putzte weiter sein Glas. Seufzend schob ihm der Kleriker einen Galifar über den Tresen.
„Ja hab ich“, grinste der Wirt und ließ die Münze verschwinden. Ich mach dann mal das Essen für eure Freunde.“
Damit ließ er den verdatterten Adamant an der Bar stehen.
„Ich hab sie gesehen. Verdammte Teufelskutsche“, hörte er da aber eine lallende Stimme hinter sich. Ein älterer Bauer, der anscheinend schon den einen oder anderen über den Durst getrunken hatte, schielte ihn von seinem Bier empor an.
„Diese Kutsche ist verflucht.“
„Achso? Woher wisst ihr das? Kennt ihr die Kutsche etwa?“
„Kommt öfter mal vorbei. Kommt nie was Gutes dabei raus. Ist wie’n Dämon, dieses Ding. Aber sieht ja auch so aus.“
„Und warum denkt Ihr, dass sie Verflucht ist?“, fragte Adamant weiter.
Der Bauer winkte ihn näher heran, sah sich verschwörerisch um und flüsterte dann lallend:
„Also von meiner Frau der Bruder, dessen Frau hat einen Bekannten. Als bei dem die Kutsche am Hof vorbei fuhr, verlor dessen Frau ihr Kind. Und mein Nachbar hat mir erzählt, dass ihm die Milch sauer wurde, kaum dass die Kutsche am Hof vorbei war.“
„Ahja…“, machte Adamant. Nun wirklich verwirrt und setzte sich zu seinen Freunden, denen gerade das Abendessen serviert wurde.

Kaum standen die Teller auf dem Tisch fühlte Esra ein großes fellbehaftetes Etwas zwischen ihren Beinen. Erschrocken fuhr sie zurück. Ein riesiger Bernhardiner schaute sie aus treuherzigen großen Augen an, nur um dann ihren Teller zu fixieren.
„Nein, sicher nicht“, versuchte ihn Esra abzuwehren. Aber der Hund ließ sich nicht wegschieben.
„Wuff, komm her!“, rief ein kleiner junge, kaum vier Jahre alt, und zog ihn heftig am Schwanz. Der Hund bewegte sich keinen Millimeter, knurrte aber auch nicht, sondern sah den Jungen nur still an.
Das war ziemlich mutig von dem Burschen, sich mit dem riesigen Tier anzulegen, dachte sich Esra. Oder Dumm.
„Tobie! Lass das Tier in Ruhe!“, rief der Wirt.

Ein heftiges Gewitter tobte rund um das Gasthaus, doch Thalaën schien seelenruhig zu schlafen. Adamant seufzte. Es war doch etwas einsam, die ganze Nacht alleine zu wachen.
Donner grollte.
Unten bellte der Hund. Wuff hatte ihn das Kind genannt.
Der Hund bellte lauter, schien fast durchzudrehen. Merkwürdig.
Adamant sah aus dem Fenster, doch nichts war zu sehen. Aber es war auch stockdunkel und der Regen prasselte in dichten Strömen herab. Ein Reiter auf einem weißen Pferd preschte auf der Handelstraße vorbei; weit über den Hals seines Tieres gebeugt.
Der Hund bellte noch immer. Wie konnte der Elf bei diesem Lärm nur schlafen. Er ging zu ihm hin und rüttelte ihn heftig, bis er endlich die Augen aufschlug.
„Was’n los?“, murmelte er Schlaftrunken.
„Der Hund bellt“, erklärte Adamant.
„Is’n Hund. Bellt nun mal“, versuchte sich Thalaën wieder ins Traumland zu flüchten.
„Aber nicht so!“
Adamant zerrte ihn aus dem Bett und schliff ihn hoch.
„Zieh dich an.“
Draußen auf dem Flur trafen sie auf Esra uns Astamalia. Esra hatte ihre Lederrüstung angezogen und ihren Bogen in Händen.
„Der Hund?“, fragte sie, worauf Adamant nickte.
Zu viert schlichen sie die knarrende Treppe hinab. Unten versuchte der Wirt seinen aufgebrachten Hund zu beruhigen. Irritiert sah er die Vierergruppe an.
„Schlaft ihr immer voll gerüstet?“
„Kann praktisch sein“, erwiderte Thalaën mürrisch; langsam schien er wieder zu erwachen. „Verhält sich der Hund öfters so?“
„Nein, nie“, schüttelte der Wirt den Kopf.“
Der Elf machte ein undefinierbares Geräusch und öffnete den Türgucker. Draußen auf der Straße stand ein mager aussehendes weißes Pferd und sah ihn an. Seltsam.
Ein Schatten verdeckte die Tür und plötzlich schien die Welt rund um ihn zu explodieren.

Astamalia unterdrückte einen Aufschrei, als die Tür in einem Splitterregen verschwand und der Elf quer durch den Raum geschleudert wurde und dann am Tresen gelehnt liegen blieb. In der Tür stand eine massige Gestalt und der Geruch von Anis und anderen Gewürzen strömte in den Raum. Eine unnatürliche Angst ergriff die Magierin, doch irgendwie gelang es ihr, sie niederzukämpfen. Den anderen schien das nicht so gut zu gelingen. Esra klammerte sich an Adamant und gemeinsam liefen sie schreiend die Treppe nach oben. Der Hund knurrte.
„Wo ist Lu’an?“, rief das Wesen und warf beiläufig den Hund zur Seite, als er es ansprang.
Nun konnte Astamalia erkennen, dass das Wesen in Bandagen gehüllt war: Eine Mumie!
„Ich weiß nicht?“, rief Astamalia und wich bis den Tresen zurück. Doch die Mumie folgte ihr, holte aus und traf die Magierin hart. Astamalia spürte wie das Leben aus ihr wich.
„Wo Lu’an? E’ gehö’t meine’He’’in Callde’a! U’osh muss ihn finden!“
„Nach Trolanhafen. Nach Trolanhafen…“, flüsterte Astamalia und rutschte die Theke hinab. Ihr wurde langsam schwarz vor Augen. Kaum bekam sie noch mit, dass die Mumie durch die zerstörte Tür wieder verschwand.

„Was ist mit ihr?“, fragte Esra verwundert. Astamalias Haut war alt und faltig. Modrig; so als würde sie verfaulen.
„Mumienfäule“, stellte Adamant fest.
„Dann macht doch was dagegen!“, fuhr sie Thalaën an, der sich seine blutende Wunde hielt.
Doch der Kriegsgeschmiedete schüttelte den Kopf.
„Würde ich gerne. Aber ich bin nicht in der Lage Flüche zu brechen. Dazu ist höhere Magie von Nöten.“
„Dann wird sie sterben?“, fragte Thalaën.
Adamant gab darauf keine Antwort; was ebensoviel aussagte.
„Es gibt in der Nähe eine Kapelle der Göttlichen Heerschar mit einem alten Kleriker. Angeblich war er früher ebenfalls Abenteurer wie ihr. Vielleicht kann er euch weiterhelfen?“, mischte sich die Wirtstochter ein, ihren kleinen Sohn auf den Armen.
„Führe uns!“
Durch den dichten Regen und das tobende Gewitter rannten sie auf die Kapelle zu. Adamant trug die immer schwächer werdende Astamalia auf den Armen. Endlich schälte sich eine einfache Kapelle aus der Dunkelheit.
„Aufmachen! Wir brauchen Hilfe! Macht auf!“
Es dauerte scheinbar unendlich lange, bis ein verschlafen wirkender alter Mann im Schlafrock die Tür öffnete.
„Sie wünschen?“
„Heilung! Wir haben einen Fall von Mumienfäule!“, rief Adamant und drängte sich an dem Kleriker vorbei ins Innere.

***

Als der Morgen graute hatte Astamalia wieder Farbe angenommen, ihre Haut war wieder normal. Die Kräfte des Priesters hatten den Fluch behoben. Zufrieden begutachtete Adamant in der Morgensonne das Werk.
Blinzelnd schlug die Magierin die Augen auf.
„Was ist passiert?“
„Du wurdest von der Mumie verflucht. Aber ein in der Nähe wohnender Kleriker konnte dich retten und… Was ist das?“
Erschrocken sprang er einen Schritt zurück. Der Boden des Zimmers leuchtete blau und verwirrende Linien bedeckten jeden Zentimeter davon.
„Sieht aus wie ein Drachenmal. Ein riesengroßes. Aber es ist keines von denen die ich kenne“, wunderte sich Astamalia.
Die Tür wurde aufgerissen und die anderen beiden stürmten herein.
„Wir haben da etwas auf dem Boden, in unserem Zimmer… Genau wie das hier“, staunte Thalaën.
Gemeinsam bestaunten sie das Mal weiter, das so unverhofft aufgetaucht war. Doch es ergab sich für keinen von ihnen eine logische Erklärung.

***

Die Reise ging weiter.
Ein weiteres Mal tauchte das Mal unter ihnen auf, doch dann verschwand es ebenso plötzlich wieder, wie es gekommen war. Sie trafen auf einige Händler, die ihnen von der Begegnung mit der Kutsche berichteten. Zwei Oger wollten sie um ihr Geld erleichtern, doch Thalaëns Schlachtruf ließ die beiden recht schnell flüchten. Als sie schließlich Zilspar erreichten – die letzte Stadt auf breländischem Gebiet – wurde sogar das Wetter besser und die Berichte, dass sie die Kutsche langsam einholten, häuften sich.
Eine kurze Pause gab es dann wenig später mit einer Patrouille der breländichen Grenzwache, die aber durch ihre Papiere, die sie als Agenten im Dienst des Königs auswiesen, rasch beendet wurde.
Dann endlich waren sie in Zilargo, dem Reich der Gnome.
Am 8. Dravago schließlich, dem elften Tag ihrer Reise, erreichten sie gen Vormittag eine Niederlassung des Hauses Orien, bei der zwei qualvoll verendete Pferde lagen. Wie ihnen der Stationsvorsteher sagte, wäre in den frühen Morgenstunden eine schwarze Kutsche angekommen, deren Pferde bei der Station eingegangen wären.
„Es hat etwas gedauert, bis wir Ersatz hatten. Und die Frau auf dem Kutschbock war darüber gar nicht sehr erfreut, das kann ich euch sagen“, berichtete der Mann.
„Frau auf dem Kutschbock?“, fragte Adamant neugierig.
„Ja. Eine ziemliche Schönheit mit langen roten Haaren. Aber sie war so bissig, dass man sich ihr lieber nicht nähern wollte.“
„Habt ihr zufälligerweise noch jemanden gesehen? Einen Mann mit blonden Haaren vielleicht?“, erkundigte sich Astamalia.
„Nein. Aber die Vorhänge der Kutsche waren auch die ganz Zeit über zugezogen und es ist während des gesamten Aufenthalts niemand ausgestiegen. War mir irgendwie unheimlich dieses Ding.“
„Danke für die Auskunft!“, rief Esra und schon trieben sie ihre Pferde weiter an. Tief über die Hälse der Tiere gebeugt galoppierten sie dahin. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie Lucan eingeholt hatten!

Die letzten Strahlen der Sonne erleuchteten noch die Straße, als sie eine kleine Anhöhe erreichten. Dahinter erstreckte sich die Straße in einer Linie weiter und nur wenige Hundert Meter entfernt raste die Kutsche in halsbrecherischem Tempo dahin.
„Nun aber los! Die haben wir!“, rief Esra.
Sie preschten los.
Thalaën schien auf seinem Pferd förmlich zu fliegen. Er steuerte es gekonnt mit den Schenkeln und schwang seinen Doppelkrummsäbel gefährlich in der Hand.
„Tysti ol !“, feuerte er sein Pferd an.
Ein roter Haarschopf erschien vom Kutschbock her. Es folgte ein bezauberndes Gesicht.
„Anhalten!“, brüllte Thalaën. Doch die Frau schien ihn nicht zu hören oder ihn zu ignorieren.
Thalaën konnte erkennen, dass sie gestikulierte und mit ihren Lippen leise Worte formte. Aber er konnte nichts tun!
Eine kleine Kugel flog dicht an seinem Kopf vorbei, während er versuchte die letzten Meter zur Kutsche aufzuschließen. Er grinste. Verfehlt!
Hinter ihm brach die Hölle aus. Eine kurze Hitzewelle erfasste ihn.
Erschrocken wandte er sich um. Hinter ihm war ein Feuerball explodiert, der seine Kameraden und deren Tieren mit einschloss.
Er hörte Schreie und dann sah er Esra und Adamant, sowie zwei Pferde über die Straße fallen. Astamalia fegte auf ihrem Ross aus der Feuerwand heraus. Beide schienen schwere Verbrennungen zu haben, doch noch immer Kampfbereit zu sein.
Thalaën fluchte, trieb sein Pferd weiter an und schaffte es neben die Kutsche zu kommen. Beinahe sofort traf ihn ein magisches Geschoss. Dennoch holte er nach einem der Pferde aus. Aber den Säbel auf einem wild galoppierenden Pferd zu schwingen, war nicht so einfach.

Adamant stand ächzend wieder auf, half Esra ebenfalls auf die Beine. Esras Pferd schien etwas zu lahmen, das von Adamant glühte noch etwas und lag regungslos im Straßengraben.
Rasch legte er dem Tier die Hand auf, seine Wunden schlossen sich wieder und schnaubend sprang es auf.
„Los ihnen nach!“
Der Kleriker schwang sich auf das Pferd; Esra folgte ihm nach.

Astamalia bewunderte die Hartnäckigkeit des Elfen. Immer wieder hieb er auf die Pferde der Kutsche ein. Sie selbst hatte erst einmal einen Heiltrank zu sich genommen und versuchte nun magisch gegen die Kutsche zu kämpfen, die in der Dunkelheit nur schwer auszumachen war.
Die Magierin auf dem Kutschbock verstand ihr Handwerk aber besser als sie selbst. Oder sie war besser vorbereitet.
Außerdem hatte sie auch nicht mit einem bockenden Pferd zu kämpfen. Astamalia hätte sich nie träumen lassen, dass es so schwer sein würde, vom Rücken eines Pferdes herab zu kämpfen. Hinter sich hörte sie lautes galoppieren und Adamant überholte sie auf einem schwer atmenden Pferd. Er schaffte es sogar Thalaën und die Kutsche zu überholen. Was hatte er vor?
Ein Pfeil zischte an ihr vorbei und dann war auch schon Esra neben ihr, den Bogen gespannt in der Hand. Anscheinend hatte die Wandlerin aber ähnliche Schwierigkeiten wie sie selbst.

Weit vor der Kutsche riss Adamant sein Tier hart an den Zügeln. Er begann eine göttliche Waffe zu beschwören. Er merkte nicht, wie ein bleiches Gesicht aus der Kutsche blickte und einen schauderhaftren Ruf in den nahen Wald schickte, der von einem ganzen Rudel Wölfe erwidert wurde.

Astamalia schauderte bei dem Ruf. Aber es war eindeutig Lucans Gesicht, welches aus der Kutsche blickte. Wieder trieb sie ihr Pferd an. Die Frau auf dem Kutschbock begann wieder zu zaubern. Blaue Blitze umzuckten plötzlich Astamalias Körper und sie hörte jemanden peinvoll aufschreien.
Hart schlug sie auf dem Boden auf und als die Bewusstlosigkeit nach ihr griff, wurde ihr klar, dass es sie selbst war, die vor Schmerz schrie.

Adamants Klinge erschien genau dort, wo er wollte, zwischen den Pferden und begann ihr blutiges Werk. Es dauerte nur Sekunden, bis eines der beiden Tiere zusammenbrach. Die Frau auf dem Kutschbock wurde hoch durch die Luft geschleudert und kam hart vor der ramponierten Kutsche zum liegen.
Wütend funkelte sie den Kleriker an.
„Das werdet Ihr noch bereuen!“, rief sie, machte eine Handbewegung und war verschwunden.
Verdattert blickte Adamant auf die leere Fläche, wo sich gerade noch eine junge Frau befunden hatte. Aus dem Inneren der Kutsche sprang inzwischen ein großer Wolf und hastete in den Wald hinein. Lucan war entkommen…

***

„Unsere Informationen scheinen zu stimmen. Er kommt hierher“, grinste sie ihre alte Freundin über den Rand ihrer Teetasse hinweg an. „Und hier können wir ihn dann problemlos festnehmen.“
Sie nickte abwesend:
„Sicher doch, Meena.“
Wenn ihre Freundin wüsste, dass sie schon lange über seine Ankunft informiert war. Und dazu hatte sie nicht einmal das Netzwerk zu Rate ziehen müssen. Er hatte sich selbst bei ihr angekündigt. Und sie wusste auch warum: Er hatte diese heißen Sommernächte ebenso wenig vergessen wie sie. Er dachte, sie würde ihm helfen. Womit er auch völlig recht hatte.
„Wenn wir nur wüssten, an wen er sich hier zu wenden gedenkt. Er kennt hier doch niemanden.“
„Doch“, grinste sie und nippte an ihrem Tee. „Er kennt mich. Und zufällig weiß ich, dass er eine Einladung für meine kleine Veranstaltung hat.“
Eine Teetasse fiel polternd auf den Teppich.
„Meena, sieh nur was du angerichtet hast“, seufzte sie.
„Er hat mit dir gesprochen? Und du hast ihm geantwortet?“, fragte Meena ungläubig.
Sie nickte.
„Natürlich. Er fragte, ob ich ihm helfen kann und ich sagte ja.“
„Aber… Du verrätst unser Land!“, rief ihre Freundin aufgebracht.
„Nein, tue ich nicht. Ich habe es dir gesagt. Somit weißt du soviel wie ich. Wenn es dir gelingt ihn zu fassen: schön. Wenn nicht: sein Glück.“
Sie lächelte und trank noch einen Schluck.
„Aber es ist eine Pflicht als Angehörige der…“, begann Meena doch sie schnitt ihr hart das Wort ab.
„Ich bin als Botschaftern hier in der Stadt und sonst in keiner Funktion. Andere Leute zu fangen, das ist deine Aufgabe. Diplomatie die meine.“
„Sicher doch“, fauchte Meena und hob die Teetasse auf.
Sie nickte und erklärte das Gespräch für beendet. Sie hatten alles notwendige geklärt. Mit einer Ausnahme: Sie hoffte innständig, dass er entkam.
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 27. Februar 2008, 22:47:21
Viele Masken und ein Ball

Zwei Tage später erreichten sie völlig erschöpft den Trolan. Auf der anderen Seite des riesigen Stromes, der sich hier ins Meer ergoss, auf einer Landzunge und vielen kleinen Inseln, befand sich die Stadt Trolanhafen.
Astamalia hatte das Gefühl jeden Augenblick vom Pferd zu fallen. Adamant hatte sie noch von der Klippe des Todes zurückreißen können. Aber dennoch litt sie noch unter starten Gliederschmerzen von dem starken Blitz, den sie abbekommen hatte. Und noch immer verfluchte sie die Tatsache, dass sowohl Lucan als auch die unbekannte Frau, die anscheinend seine Begleiterin war, entkommen konnten. Der Wald war zu dicht, als das sie ihm hätten folgen können und die Frau hatte sich im Nichts aufgelöst; wahrscheinlich ein Unsichtbarkeitszauber.
Was sie jedoch am meisten irritiert hatte war, dass sie im Inneren der Kutsche nur einen leeren Sarg gefunden hatten. Wozu brauchte Lucan einen Sarg? Vielleicht ein Relikt von Caldera, wenn es denn ihre Kutsche war. Und war Lucan ein Werwolf? Es sah fast so aus, nachdem er in Forme eines Wolfes seine Flucht angetreten hatte. Und war er dann weiter nach Trolanhafen gereist oder hatte er nach diesem Zwischenfall seine Pläne geändert? So viele Fragen und kaum Antworten. Es gab viel zu viele Unbekannte in diesem Auftrag.
Nun waren sie zwar hier in Trolanhafen, aber sie hatten immer noch keine Ahnung wie es weitergehen sollte.
„Wir werden mit einem der Boote hier übersetzen müssen“, deutete Thalaën auf die vielen Stege, an denen schlanke, reich verzierte Boote lagen.
Esra seufzte, sagte aber nichts.
„Wir brauchen etwas größeres. Wir müssen auch die Pferde unterbringen können“, erinnerte Astamalia sie müde an ihre treuen Gefährten.
Schließlich fanden sie was sie suchten. Eine relativ große Fähre, die sogar über ein kleines Segel verfügte. Dafür verlangte der räuberische Gnom fünf Silberlinge für die Überfahrt; von jedem.
„Könnt ihr uns ein Hotel in der Stadt empfehlen, in dem wir auch unsere Pferde unterbringen können?“, erkundigte sich Esra und tätschelte den Hals ihres Tieres.
„Natürlich. Wie teuer darf es denn sein?“, erkundigte sich ihr Bootsmann, während er die Fähre schräg gegen den Strom Richtung Landzunge steuerte.
„Wenn die Preise überall so überteuert sind, wie Ihre Bootsfahrt, dann in etwas billigeres“, schlug Thalaën vor.
Der Gnom zuckte mit den Achseln.
„Gut, dann setze ich euch im Hafen ab. Das ist das billigste und schäbigste Viertel der Stadt.“
Astamalia überlegte, ob sie etwas sagen sollte. So mies wollte sie nun auch wieder nicht wohnen. Zumal selbst die teuersten Zimmer locker aus ihrer Reisekassa zu zahlen waren.
„Könnt Ihr zufällig mit den Namen Krell etwas anfangen?“, fragte sie stattdessen.
„Nein. Aber ich bin auch nicht die Information. Wendet Euch bei solchen Dingen am besten an den Turm des Triumvirats, dort erfahrt Ihr sicher alles, was Ihr wünscht.“

***

Astamalia grinste, als sie vor einem der „billigen und schäbigen“ Hotels des Hafenviertels standen. Die Fassade war mit Gold verziert, ein Diener öffnete höflich die Tür, der Boden der Eingangshalle war mit Marmor ausgelegt.
Welchen Eindruck sie hier wohl machten?
Sie waren seit zwei Wochen auf Reisen und hatten kaum Gelegenheit gehabt sich ordentlich zu waschen. Doch das Personal hinter der Rezeption ließ sich nichts anmerken.
„Willkommen im Goldenen Anker. Womit kann ich Euch dienen?“, begrüßte sie der Gnom freundlich.
„Guten Abend. Wir hätten gerne vier Zimmer. Und die Pferde vor der Tür sollten auch versorgt werden“, teilte Astamalia ihre Wünsche mit.
„Außerdem ein warmes Essen und ein heißes Bad“, setzte Thalaën hinzu.
Auch diesmal verzog der Gnom nicht einen Mundwinkel.
„Sehr wohl. Einer unserer Bediensteten wird Euch nach oben bringen, wo hoffentlich alles zu Eurer Zufriedenheit sein wird. Der Speisesaal hat noch mehrere Stunden geöffnet. Ihr braucht euch also nicht zu beeilen.“
Astamalia überlegte, ob das eine unterschwellige Anmerkung auf ihr dreckiges Auftreten war. Aber es war wohl besser nicht darauf herumzureiten. Und ein langes Bad war wirklich überfällig.
„Mein Herr, wir haben einen Magiewerker im Haus, wenn Ihr einen wünschen“, merkte der Gnom noch in Richtung Adamant an. Doch der schüttelte den Kopf.
„Danke, ich komme auch so klar.“

***

Esra hatte sich ihr Kleid vom Bankett des Barons angezogen. Eine innere Stimme hatte sie dazu gedrängt, auch wenn sie etwas gegen diese formelle Kleidung hatte.
Als sie den Speisesaal betrat, sah sie, dass es eine gute Entscheidung gewesen war. Vornehme Stille herrschte in dem großen Saal, der durch Dutzende große Luster erleuchtet wurde. Thalaën saß in seinem Reisegewand bereits an einem kleinen Tisch und mampfte fröhlich vor sich hin. Einige Gäste warfen ihm hin und wieder einen pikierten Seitenblick zu.
Esra setzte sich zu ihm, worauf prompt ein Ober erschien und ihre Bestellung aufnahm.
Kaum war er verschwunden, kamen auch schon Adamant und Astamalia herein. Ersterer trug einen sauberen Wappenrock, letztere ihre Robe aus Schöngewebe.
Aus Astamalia bestellte, jedoch bei einem anderen Kellner. Anscheinend schien es sehr viele davon zu geben, obwohl Esra nie einen entdecken konnte, der irgendwo tatenlos herumstand. Bemerkenswert.
Ihr Essen wurde gebracht. Frisches Wild aus dem Eldeenreich. Heimatliche Küche war doch das beste. Sie nickte dem Kellner dankbar zu, der auch sofort wieder entschwinden wollte, doch sie hielt ihn zurück. Astamalia warf ihr einen bitterbösen Blick zu.
„Entschuldigt, aber vielleicht könnt Ihr uns helfen. Sagt, könnt Ihr mit dem Begriff Krell etwas anfangen?“, fragte die Wandlerin den Gnom.
Der überlegte kurz und nickte dann steif.
„Ihr meinen sicherlich Neya ir’Krell? Die aundairsche Botschafterin? Ich kenne sie nicht persönlich, aber sie ist Stadtbekannt. Immerhin hat sie die Beziehungen zwischen Zilargo und Aundair stark verbessert und sie ist zudem bekannt für ihre rauschenden und recht bezaubernden Feste. Morgen Abend soll auch wieder ein Ball in der Botschaft stattfinden.“
„Denkt Ihr, es wäre möglich dafür noch Karten zu bekommen? Wir müssten die Botschafterin dringend sprechen.“
Der Kellner schüttelte den Kopf.
„Das wage ich zu bezweifeln. Die meisten Gäste wurden persönlich geladen, weil es Freunde oder einflussreiche Personen der Stadt sind. Die wenigen zum Verkauf stehenden Karten sind schon seit Wochen vergeben. Ihr werdet euch wohl bis zum nächsten Fest gedulden müssen. Entschuldigt mich jetzt bitte. Die anderen Gäste warten bereits.“
Damit verschwand er wieder.
„Nun, zumindest wissen wir jetzt, was Krell bedeutet.“
„Aber wir haben keine Ahnung, wie wir auf den Ball gelangen können“, merkt Adamant an, der den anderen beim Essen zusah. „Wir könnten natürlich Bodinar Turenhart fragen. Er meinte, wir sollten bei ihm vorbeisehen, wenn wir wieder einmal in Trolanhafen sind.“
„Der Stoffhändler? Oh nein“, verdrehte Astamalia die Augen, so dass Esra kicherte.
„Warum nicht? Er kann uns auch eine entsprechende Abendkleidung besorgen, sollte diese hier nicht reichen“, stimmte Esra zu.
Sie ahnte bereits, dass die Kleider für das Bankett in Sharn hier nicht so gut ankommen würden.
„Ich begleite euch“, sagte Thalaën.
„Ich nicht“, lehnte Astamalia kategorisch ab. „Ich werde einmal unseren Kreditbrief einlösen, den uns Viorr gegeben hat. Dann haben wir wieder etwas mehr Geld in der Kassa. Der Kleriker hat doch etliches verlangt, um diesen Fluch von mir zu nehmen. Und dann dachte ich, dass ich direkt bei der Botschaft fragen könnte. Vielleicht weiß Krell mehr darüber, was eigentlich los ist.“
„Gut, dann trennen wir uns eben“, nahm Esra die Entscheidung der Magiern achselzuckend hin. Es war wahrscheinlich ohnedies sinnlos mit ihr darüber zu diskutieren.

***

Thalaën empfand es immer noch merkwürdig müde zu sein. Erschöpfung, ja das kannte er. Das war ein Zeichen für die nächste Meditationseinheit. Aber der Schlaf…
Er taumelte zu seinem Bett und war eingeschlafen, kaum dass er es berührte.
Verwirrt blinzelte er. Wo war er?
Eine endlose graue Ebene breitete sich vor ihm auf. In regelmäßigen Abständen lagen faustgroße Steine darauf verteilt, die sich ebenfalls bis zum Horizont erstreckten. Der Himmel war schiefergrau und der Horizont nur schlecht zu erkennen. Keine Sonne war zu sehen; er warf auch keinen Schatten.
Mehrmals drehte er sich auf der Stelle im Kreis, ging ein paar Schritte.
Er hinterließ keine Spuren auf dem Boden.
Schließlich bückte er sich und sah sich einen der Steine genauer an.
Ein fein gearbeitetes Halb-Ork Gesicht blickte ihm entgegen.
Interessant.
Was immer es auch bedeuten mochte.
Thalaën erinnerte sich, dass die Menschen immer wieder davon sprachen, dass die Träume ein Spiegel zur Wirklichkeit waren; dass man die Zukunft vorhersehen konnte, wenn man sie richtig deutete. Aber was sollte das hier alles bedeuten?
Ein tiefes Brummen erklang. Wie von einem riesigen Hornissenschwarm.
Erschrocken drehte er sich um.
Ein monströses Wesen hing über der Ebene. Eine Art fliegender Wurm mit einem riesigen zentralen Auge, das ihn anstarrte.
Nicht gut. Gar nicht gut.
Keine Waffen, keine Rüstung.
Da fiel ihm etwas ein, von dem er einmal gehört hatte. Wie man Alpträume beenden konnte.
Er zwickte sich so fest er konnte in die Hand.
Sofort verschwand die Ebene und das Wesen ebenfalls. Er lag in seinem Bett, die Hand schmerzte teuflisch. Aber er war in Sicherheit.
Von draußen strömten die ersten Strahlen der Morgensonne in sein Zimmer.
Was für ein Traum!

***

Nach einem ausgiebigen gemeinsamen Frühstück, bei dem er wieder einmal die passive Rolle gespielt hatte, hatten sie sich in zwei unterschiedlich große Gruppen aufgetrennt. Während Astamalia versuchte mit ihrem Einfluss etwas zu erreichen, hatten sie sich zu dritt eine der schlanken Gondeln gemietet, die durch die engen Kanäle der Stadt fuhren und befanden sich nun auf dem Weg in den nördlichen Teil der Stadt. Dort wo nach Auskunft ihres Fahrers die Villen von Trolanhafen lagen.
Interessiert sah sich Adamant die Architektur und das Leben in der Stadt an. Alles schien viel sauberer und geordneter als in Sharn zu sein. Dabei aber ebenso lebendig. Aber irgendwie wirkte bei den Gnomen alles viel angenehmer und Verbrechen oder Armut schien es nur wenig oder gar nicht zu geben. Zumindest konnte Adamant nicht einen Bettler sehen, der am Rande eines der Kanäle saß. Erstaunlich!
Vielleicht taten auch die vielen Wachen, die auf den schmalen Brücken und in den engen Gassen patrouillierten das ihre.
Ihr Bootsführer stoppte an einem kleinen Kai, von dem ein Weg durch einen sauberen Rasen hinauf zu einer großen Villa führte, die sehr einsam inmitten des Grüns stand. Andere Häuser waren in geraumer Entfernung zu sehen. Sie alle erschienen Adamant sehr prachtvoll.
„Als Stoffhändler lässt es sich wohl gut leben“, stellte er fest.
Ein Gnom nahm sie am Kai in empfang.
„Ihr wünscht?“
„Wir würden gerne Bodinar Turenhart treffen. Wir sind Freunde aus Sharn“, versuchte Adamant aufzuklären.
„Habt Ihr einen Termin?“, erkundigte sich der Gnom weiter.
„Nein. Wir kamen gestern Abend erst an und…“
„Nun, folgt mir bitte.“
Der Gnom wandte sich um und ging den kiesbedeckten Weg zum Haus hinauf. Die drei Freunde folgten ihm nach kurzen Zögern. Der Diener brachte sie in einen edel ausgestatteten Salon.
„Bitte wartet hier. Ich werde nach meinem Herrn sehen.“
Damit ließ er sie zurück.
Adamant betrachtete staunend die edlen Polster der Stühle, die Zigarrenkästchen und die teuren Liköre, die auf einer Anrichte standen. So viel Geld ausgeben nur für das leibliche Wohl? In dieser Hinsicht waren Kriegsgeschmiedete wahrlich besser dran.
Krachend flog die große Eichentür auf und ein strahlender Bodinar Türenhart stürmte herein.
„Ah meine Freunde! Ich wusste, dass ihr mich nicht vergesst! Gebt Küsschen!“
Und ehe sie sich alle versahen hatte er jedem von ihnen – sogar Adamant – einen Kuss auf jede Wange gedrückt. Was vor allem bei Adamant gar nicht so einfach gewesen war.
„Entschuldigt, dass ich euch habe warten lassen. Wenn ihr mir gesagt hättet, dass ihr kommt. So habe ich gar nichts vorbereitet. Aber mein Koch wird schon was für uns zaubern. Aber setzt euch doch! Erzählt. Was führt euch hierher.“
Adamant setzt schon zu einer Antwort an, aber Esra kam ihm zuvor.
„Das können wir leider nicht sagen. Aber wir sind hier, weil wir denken, dass Ihr uns eventuell helfen könntet.“
„Ah, eine geheime Mission! Wie spannend! Gefährlicher als der letzte Auftrag?“
„Hoffentlich nicht“, murrte Thalaën, der daran denken musste, wie oft er dem Tod von der Schippe gesprungen war.
„Nun, wir wollten eigentlich wissen, ob Ihr etwas über den Ball heute Abend wisst, der in der aundairschen Botschaft stattfinden soll.“
„Natürlich“, ereiferte sich der Gnom du hopste aufgeregt auf und ab. „Ich habe immerhin die Dekoration entworfen. Wie auch das Kleid der Botschafterin. Ich bin mir sicher, der Ball der Tausend Lichter, wird der beste werden, den die Botschafterin je gehalten hat.“
Esra nickte und versuchte Interesse an all dem zu heucheln.
„Dann ist es Euch doch sicherlich auch möglich, Karten für uns aufzutreiben? Wir müssen nämlich unbedingt auf diesen Ball und mit der Botschafterin sprechen…“
„Das dürfte schwierig werden“, unterbrach sie Turenhart. „Sicherlich nicht unmöglich, für so begnadete Abenteurer wie euch, aber sehr schwierig. Davon abgesehen“, er musterte die Kleidung von allen dreien – sie hatten die Gewänder an, die sie auch am Bankett getragen hatten.
„So kommt ihr nicht in die Botschaft. Zumindest nicht, ohne aufzufallen. Aber ich erkenne die Handschrift meines alten Lehrlings aus Sharn in den Schnitten. Sehr schön. Für Sharn. Aber hier in Trolanhafen muss man etwas mehr mit der Mode gehen. Ich werde mir die Freiheit nehmen, euch neu einzukleiden. Eure besten Freunde werden euch darin nicht wieder erkennen.“
Er fuhr sich glücklich mit der Hand durch das Haar und seine Augen funkelten vor Freude; die Wangen waren rot vor Glück.
„Ich wusste es“, seufzte Esra.

***

Auf der Bank das Geld zu erhalten war kein Problem gewesen. Eine Landkarte von Zilargo und einen Stadtplan von Trolanhafen zu erstehen auch nicht. Ebenso wenig schwer war es gewesen das Botschafterviertel zu finden und vor die aundairsche Botschaft zu gelangen.
Aber hier fingen die Probleme so richtig an. Überall herrschte hektisches Treiben. Karrenweise wurde Essen und Trinken für den Ball herangeschafft.
Und vor dem Tor zum Botschaftsgelände standen zwei schwer gerüstete Gnome und ließen sie keinen Zentimeter weiter.
„Ich muss unbedingt die Botschafterin sprechen“, wiederholte sie zum x-ten Male.
„Die Botschafterin ist nicht zu sprechen“, gab einer der Gnom schon etwas gereizt zurück.
„Aber es ist dringend!“, fuhr Astamalia auf. Wie konnte man nur so sturköpfig sein?
„Na gut“, brummte der eine Gnom. „Wen soll ich melden?“
„Astamalia d’Lyrandar“, seufzte die Magiern erleichtert.
Der Gnom nickte und marschierte in Richtung Botschaft.
Es dauerte fast eine Stunde, bis er wieder erschien. Schon von weitem schüttelte er den Kopf.
„Die Botschafterin entschuldigt sich, aber sie kennt Euch nicht. Daher kann die Dame Euch jetzt auch nicht empfangen. Sie bittet euch, es morgen wieder zu probieren, wenn die Botschaft wider regulär geöffnet ist.
„Aber…“, setzte Astamalia wieder an. Doch das Gesicht des Gnomes machte ihr klar, dass es sinnlos wäre, weiter darauf zu beharren.
„Gut, danke“, murmelte sie stattdessen.

***

Turenhart hörte gespannt zu, wie Thalaën immer weitere Episoden ihres letzten Abenteuers berichtete. Etwas beschönigt und heldenhafter dargestellt, als es eigentlich gewesen war. Der Elf war nur froh, dass Adamant nicht zuhörte.
Es klopfe an der Tür und der Diener steckte den Kopf in den Salon, in den sie sich zu viert zurückgezogen hatten und indem sie gerade auf ihr Mittagessen warteten.
„Eine Dame Astamalia d’Lyrandar für Euch.“
„Soll reinkommen!“, rief Turenhart und sprang auf. Kaum trat die Magierin ein hatte auch sie schon ein Küsschen auf den Wangen.
„Ah, Ihr seht gut aus! Wirklich! Dieses Halstuch! Es stammt aus meiner Kollektion, oder? Sieht man sofort! Aber setzt Euch doch. Euer Freund Thalaën gab gerade Geschichten des letzten Abenteuers zum Besten. Darf ich Euch etwas zu trinken anbieten? Das Essen ist bald fertig.“
„Ah danke“, wehrte Astamalia ab, die das Gefühl hatte, dass der Gnom rasch wieder zu anstrengend für sie werden würde.
„Aber, aber! Auf ein Mittagessen werdet Ihr doch noch bleiben können?“, lachte Turenhart und tätschelte sie am Arm. „Außerdem braucht Ihr noch ein besseres Kleid, wenn Ihr ebenfalls zu dem Ball heute Abend gehen wollt. Dieser Fummel ist gut genug für die Adeligen von Sharn, aber nicht für uns Gnome in Trolanhafen. Wir setzen andere Maßstäbe!“
Astamalia seufzte, wie schon Esra zuvor.
Es war sinnlos sich zu wehren, soviel stand fest. Aber vielleicht konnte sie das Thema während des Essens in andere Richtungen wenden.
„Ihr könnt uns also sicherlich keine Karten für den Ball besorgen?“, fragte sie den Händler, der sofort den Kopf schüttelte.
„Ich fürchte nein, meine Liebste. Und ich kenne auch niemanden in Trolanhafen – und ich kenne hier wirklich viele Leute – die noch Karten zu vergeben hätten. Ich kann Euch leider nicht helfen, so gerne ich das auch tun würde.“
Astamalia nickte und wandte sich wieder den anderen zu.
„Ich habe versucht zur Botschafterin zu kommen, aber sie war nicht zu sprechen. Aber ich habe unseren Brief eingelöst, wir haben also wieder klimpernde Galifar in unseren Taschen.“
„Wir könnten es doch auch bei der breländischen Botschaft versuchen?“, schlug Thalaën in einem unglaublichen Anflug von Intelligenz vor. „Immerhin sind wir im Auftrag des…“
Er unterbrach sich, als ihn die anderen böse fixierten. Turenhart tat so, als hätte er nicht zugehört und suchte eine Zigarre aus einem der Kästchen.
„Aber das ist eine gute Idee“, sprach Astamalia rasch weiter. „Vielleicht kann man uns dort weiterhelfen. Ich werde jedoch sicherheitshalber noch die hiesige Enklave meines Hauses aufsuchen. Das könnte auch einen Versuch wert sein.“
„Und ich werde in der Kirche der Silbernen Flamme nachfragen“, stimmte Adamant ein. „Immerhin bin ich jetzt ein Priester, das muss doch auch etwas wert sein.“
„Dann werde ich also Thalaën in die breländische Botschaft begleiten“, nickte Esra.
Somit hatte wohl jeder einen netten Nachmittag vor sich.
„Am Abend treffen wir uns am besten direkt am Ball wieder. So verlieren wir keine Zeit.“
„Aber zuvor bekommt Ihr noch ein neues Kleid!“, erinnerte sie Turenhart an ihre Verpflichtung.

***

Esra taten die Füße weh. Sie war es absolut nicht gewohnt in diesen Schuhen mit diesen Absätzen weite Strecken zu gehen. Dabei hatte ihr Turenhart versichert, dass es nicht mehr viel niedriger ginge, wollte sie wirklich auf den Ball gehen.
Mittlerweile war sie sich aber nicht mehr so sicher, ob sie überhaupt auf den Ball kommen würden. Die breländische Botschaft hatte nämlich schlicht und ergreifend geschlossen gehabt. Aufgrund des Balls natürlich. Man hatte sie freundlich aber bestimmt auf morgen verwiesen. Auch ihre Ausweise hatten sie nicht weiter gebracht. Der Botschafter war nämlich nicht einmal im Haus gewesen. Zumindest hatte das der Mann am Empfang behauptet.
Na, vielleicht hatten Adamant oder Astamalia mehr Glück gehabt.
In der Zwischenzeit stand sie gemeinsam mit dem Elfen vor der Botschaft. In rascher Folge stoppten hier Kutschen und entluden die Edlen und Reichend der Stadt, die dann den Garten durchschritten und im Inneren der Botschaft verschwanden.
Mehrere der gnomischen Wächter die auf der Straße patrouillierten, hatten ihnen bereits merkwürdige Blicke zugeworfen. Es war wohl nicht üblich, sich so lange vor dem Festgelände aufzuhalten.
Endlich kamen die Halb-Elfe und der Kriegsgeschmiedete um die nächste Ecke. Aber beide sahen nicht sonderlich erfolgreich drein.
„Und?“, fragte Esra dennoch.
Adamant schüttelte den Kopf.
„Die hiesige Priesterin meinte, der Glauben sei in Trolanhafen zu unbedeutend als das sie eingeladen wäre. Außerdem sind Thrane und Aundair immer noch nicht gut aufeinander zu sprechen. Das hätte ich mir eigentlich denken können, dass dann die Botschaftern niemand von meinem Glauben einlädt.“
„Und mich hat man doch tatsächlich ausgelacht“, brummte Astamalia. „Die Führerin der Enklave meinte, nicht jede dahergelaufene des Hauses würde einfach so Karten für den begehrtesten Ball des Jahres bekommen und mich vor die Tür gesetzt. Eine Frechheit so was.“
„Vielleicht kommen wir einfach hinein, wenn wir sagen, dass wir unsere Karten verloren haben?“, schlug Esra vor. Das war die einzige Möglichkeit, die ihr noch einfiel.
„Das ist sehr schwach, aber wir können es probieren“, nickte Astamalia.
Zu viert durchquerten sie das schmiedeeiserne Gartentor und gingen durch den gepflegten Garten auf die Botschaft zu. Der Eingang wurde zu beiden Seiten von einem schwer bewaffneten und mürrisch dreinblickenden Gnomenwächter bewacht. Sie trugen prächtige Ritterrüstungen und schwere Hakenhämmer am Gürtel. Neben dem Rechten stand eine einfache Box auf dem Boden, in der zahlreiche Zettel lagen.
„Willkommen zur Nacht der tausend Sterne. Ihre Einladungen bitte“, leierte der Gnom gelangweilt herunter.
„Ah, es tut uns leid, aber wir haben unsere Einladungen verloren…“, begann Esra, doch der Gnom schüttelte heftig den Kopf.
„Tut mir leid, aber ohne Einladung kann ich Euch nicht auf den Ball lassen. Es kann dabei auch keine Ausnahmen geben. Die Botschafterin legt großen Wert auf die Sicherheitsvorkehrungen“, leierte er weiter. Es klang so, dachte sich Esra, als hätte er diese Phrase heute ebenfalls bereits sehr oft gesagt.
„Natürlich“, seufzte Astamalia und zog die anderen mit sich zurück durch den Garten nach draußen auf die Straße. „Das war’s dann wohl.“
Esra seufzte ebenfalls resignierend und schnupperte dann. Da lag der Geruch von Essen in der Luft. Nach sehr gutem Essen sogar.
Sie lugte um die Ecke in eine kleine Seitengasse und sah, wie von einer Kutsche frisches Fleisch und Gemüse durch eine schmale Tür gebracht wurden aus der eben diese Gerüche kamen. Diese Tür sah aus, als würde sie weiter in die Botschaft führen.
„Kommt!“, rief sie und lief los.
Die anderen folgten ihr verdattert.
Rasch kamen sie zur Kutsche und Esra drückte jedem eine Kiste mit Lebensmitteln oder Wein in die Hand, ehe sie, selbst schwer beladen, die Küche betrat.
Hier herrschte geschäftiges Treiben, doch zum Glück waren die vielen Diener des Balls nicht minder herausgeputzt wie sie selbst.
„Na los, stellt das ab und helft mir dort drüben!“, rief ein Koch mit hochrotem Kopf. „Du da! Schnapp dir einen Besen und kehr die Scherben zusammen!“, nickte er Adamant zu und stellte die anderen drei zu einem Berg von Rosenkohl, ehe er wieder verschwand.
„Los jetzt“, flüsterte Esra und drückte sich mit den anderen beiden durch eine weitere Tür, die sie in den Ballsaal brachte.
Die Wände des Ballsaales waren mit schwarzem und weißem Krepppapier geschmückt und Tanzende Lichter schwebten kreuz und quer durch den Raum und tauchten ihn in ein beständig wandelndes Meer aus Lichtflecken. In der gegenüberliegenden Ecke spielte ein Elfenquartett auf und auf der Tanzfläche befanden sich ungefähr ein Dutzend Tänzer. Ungefähr 40 weitere Leute saßen an den Tischen der standen am Rande der Tanzfläche. Besonders beeindruckend waren die Kostüme, die von allen Anwesenden getragen wurden, egal ob es sich um Gäste oder Diener handelte. Jeder der Anwesenden trug zudem eine aufwendig geschmückte Maske. Die meisten Frauen trugen lange, atemberaubend schöne, halbdurchsichtige Kleider während die Männer in eng anliegenden Hosen und Sakkos gekleidet waren, die durch eingearbeitete Goldfäden und kleine Edelsteine funkelten.
Esra merkte gar nicht, dass ihr der Mund offen stand, als sie den Raum musterte, ehe sich jemand vernehmlich neben ihr räusperte.
„Entschuldigt bitte. Wenn die Herrschaften bitte am Eingang ihre Waffen und die Rüstungen ablegen würden“, forderte sie ein livrierter Diener auf. „Der Krieg ist doch schon zwei Jahre vorbei. Außerdem würde ich Euch gerne auffordern Masken zu tragen.“
Er reichte jedem von ihnen eine einfache schwarz-weiße Maske, wie auch er selbst eine trug und führte sie Richtung Ausgang.
Rasch setzte Esra die Maske auf, so dass die Wächter sie nicht wieder erkennen konnten und löste dann ihre Rüstung und ihre Waffen, die der Diener in einem kleinen Raum im Eingangsbereich versperrte.
„Sie erhalten ihre Ausrüstung natürlich wieder, sobald sie den Ball verlassen“, versicherte er ihnen und nahm auch Thalaëns und Astamalias Ausrüstung entgegen ohne sich etwas anmerken zu lassen. Aber Esra war sich sicher, dass er sich fragte, was sie so schwer gerüstet auf einem Ball zu suchen hatten.
„Ah, das seid ihr ja. War nicht einfach dem Koch zu entrinnen…“, rief Adamant und kämpfte sich durch die Menge zu ihnen durch.
Esra war sicher, dass sie sich nicht einbildete, dass der Diener unter seiner Maske seufzte. Doch forderte er auch Adamant freundlich auf, die Waffen abzugeben und sich eine Maske aufzusetzen, auch wenn man ihn dennoch leicht erkannte. Seine Gestalt war einfach nicht zu verbergen.
„Und nun?“, flüsterte Esra unsicher.

„Am besten mal an die Bar“, schlug Astamalia vor.
Die Magierin fühlte sich endlich wieder wohl in ihrer Haut. Keine Nächte unter freiem Himmel oder in alten Betten. Keine stinkenden und scheuenden Pferde sondern endlich wieder etwas Zivilisation. Beinahe könnte sie vergessen, weswegen sie eigentlich hier waren.
„Habt Ihr auch stärkere Getränke?“, fragte sie den Mann hinter dem Teakholztresen.
„Natürlich. Darf es etwas bestimmtes sein?“
„Rum aus Lhazaar?“, fragte Astamalia. Ihr Vater hatte sie hin und wieder einen Schluck dieses teuflischen Gebräus trinken lassen. Es schmeckte köstlich, aber die Wirkung war mörderisch.
Der Kellner schenkte ohne zu bedenken ein großes Glas der bernsteinfarbenen Flüssigkeit für sie ein und reicht es ihr.
Astamalia bedankte sich und trank einen kleinen Schluck. Wohlige Wärme breitete sich ihre Kehle entlang in den Magen aus.
Zufrieden lächelte sie und sah sich um. Neben ihr stand ein Mann, der nachdenklich die Tanzenden musterte.
„Darf ich Euch um einen Tanz bitten?“, fragte sie, plötzlich von der Lust nach einem Tanz erfasst.
„Natürlich“, freute er sich und nahm sie an der Hand. Astamalia drückte Adamant das Glas in die Hand und verschwand au der Tanzfläche.

Esra bewundert Astamalia wieder einmal für ihre Sicherheit auf solchen Anlässen. Aber dafür kam sie in der Wildnis besser zurecht als die Magiern, dachte sie bei sich, was ihr ein Grinsen entlockte.
„Ist das nicht Turenhart?“, fragte Thalaën plötzlich laut und deutete auf einen Gnom in sehr farbenprächtiger Montur und einer Teufelsmaske, der gerade mit einem anderen Gnom – einem männlichen Gnom – tanzte.
„Scheint mir so. Aber er scheint keine Tanzpartnerin gefunden zu haben. Warum sonst würde er mit einem Mann tanzen. Ich dachte es wäre Brauch, mit jemandem des anderen Geschlechts zu tanzen“, überlegte Adamant laut und drehte dabei Astamalias Glas in den Händen.
Esra versuchte ein Kichern zu unterdrücken.
Sie hatte schon länger, ebenso wie die Magiern, den Verdacht, dass Turenhart mit Frauen nicht sehr viel anfangen konnte.
Der Tanz endete und Turenhart kam schnurstracks auf sie drei zu. Anscheinend hatte er sie noch während des Tanzes gesehen.
„Ich wusste es! Ich wusste, es würde für euch keine Schwierigkeiten darstellen auch ohne Karten auf den Ball zu kommen“, freute er sich. Galant drückte er Esra einen Kuss auf die Hand und bewunderte die Kostüme der beiden Männer – die er am Vormittag noch eigenhändig hergestellt hatte.
„Haben die Herren etwas dagegen, wenn ich Ihnen die Dame kurz zu einem Tanz entführe?“, fragte er plötzlich.
„Was?“, fragte Thalaën verdattert.
„Darf ich Euch um einen Tanz bitten?“, hatte sich Turenhart aber inzwischen schon an Esra gewandt.
„Ich weiß nicht“, erwiderte sie ausweichend. „Ich kann nicht tanzen…“
„Ah, ich auch nicht wirklich“, lachte Turenhart und zog sie auf die Tanzfläche.
Sofort fühlte sich Esra noch unsicherer. Doch Turenhart hatte offenbar gelogen. Er war ein guter Tänzer – glaubte sie. Aber zumindest stieg sie ihm nie auf die Füße. Dennoch kam sie sich sehr fehl am Platz vor, wie sie so über das Parkett tapste.
„Wisst Ihr, dass ich eigentlich immer noch nicht weiß, warum Ihr eigentlich in Trolanhafen seid?“, fragte er plötzlich und klang recht interessiert.
„Ähm, ja. Aber wir dürfen nicht darüber sprechen“, antwortete Esra ausweichend und versuchte nicht vollends aus dem Takt zu kommen.
„Schade“, schnurrte der Gnom. „Ich dachte, Ihr könntet mir etwas mehr über einen Diebstahl erzählen, der sich jüngst in Sharn zugetragen hat.“
Esra versuchte nicht zu stolpern und überzeugend zu antworten:
„Ein Diebstahl? Passiert so etwas nicht öfters in Sharn?“
Turenhart lachte.
„Ja, das ist wohl richtig. Aber es kommt nicht jeden Tag vor, dass jemand einfach so in die Sicherheitsschatzkammer des Königs spaziert und sie dann auch lebend wieder verlässt.“
„Ah“, machte Esra. „Und wo erfährt man solche Geschichten?“
„Man erfährt so das eine oder das andere als Händler“, wich nun Turenhart aus. Aber Esra war sich sicher, dass sie seine Augen unter der Maske schelmisch blitzen sah.
„Darf ich Euch auch eine Fragen stellen?“, fragte Esra.
„Nachdem Ihr die Meinigen mit so viel Begeisterung beantwortet habt?“
Esra beschloss das zu übergehen.
„Wisst ihr zufälligerweise hinter welcher Maske sich die Botschafterin Krell befindet?“
Turenhart lachte auf. Und diesmal klang es wirklich belustigt.
„Aber Dame Emorien. Das macht doch den Reiz eines Maskenballs aus, dass man nicht weiß, wer sich unter welcher Maske befindet. Und man fragt daher auch nicht, wer welche Maske trägt. Ich finde das besonders reizvoll.“
Er machte eine Pause.
„Wie gefällt Euch eigentlich die Dekoration? Ich habe sie entworfen!“
„Oh ja. Ah, ganz gut“, stammelte sie, vom plötzlichen Themenwechsel überrascht.
Das Lied endete und die Leute applaudierten.
„Die Botschafterin trägt die Maske eines Drachen“, flüsterte ihr Turenhart leise ins Ohr. Sogar durch die Maske hindurch konnte sie sein Grinsen sehen. Ihm schien dieses Versteckspiel unglaublichen Spaß zu machen.

Astamalia applaudierte mit den anderen und lächelte ihrem Tanzpartner unter der Maske kokett zu. Es war doch sehr angenehm sich mit einem zivilisierten Mann zu unterhalten, der auch noch Sinn für Humor hatte. Und nicht mit einem fanatischen Kriegsgeschmiedeten oder einem Elf, dem man alles zweimal erklären musste.
„Entschuldigt, aber dürfte ich euch die Dame für den nächsten Tanz entführen“, fragte eine dunkle Stimme plötzlich ihren Partner. Der neu aufgetretene Mann trug die rote Maske eines Wolfes und ein sehr einfaches dunkles Kostüm. An seiner linken Seite hing ein einfacher Rapier.
„Kasha?“, fragte Astamalia erstaunt und merkte kaum, wie sich ihr Tanzpartner mit einem Handkusse verabschiedete und sich zurückzog. „Was macht Ihr denn hier?“
„Der Zufall hat mich hergeführt. Dokumente, die ich im Auftrag Karrnaths an die Botschaft von Aundair bringen sollte. Nichts besonders.“
„Aber dennoch ein wahrer Zufall“, lächelte Astamalia.
„Und was führt Euch hierher?“, fragte Kasha.
„Ein Auftrag über den ich nicht sprechen darf“, erklärte Astamalia ausweichend.
Die Musik setzte ein und Kasha ergriff ihre Hand zum Tanz.

„Wir auf Aerenal verwenden auch hin und wieder Masken bei gesellschaftlichen Anlässen. Allerdings sind es dann Totenmasken, die ein Teil unserer Religion sind und nicht für Vergnügen gefertigt wurden, wie hier“, erklärte Thalaën gerade, als Turenhart mit Esra zurückkam.
„Entschuldigt mich, aber ich muss noch mit einigen potentiellen Kunden sprechen“, verabschiedete sich der Gnom und verschwand wieder in der Menge.
„Ihr habt euren Spaß?“, erkundigte sich die Wandlerin.
„Ich habe Adamant gerade über unsere Riten aufgeklärt in denen Masken eine Rolle spielen“, nickte Thalaën. „Hast du etwa herausgefunden?“
„Ja, die Botschafterin hat eine Drachenmaske. Und unser Freund Turenhart weiß etwas über den Diebstahl in Sharn.“
Thalaën zuckte mit den Achseln und streckte seinen Hals. Er durchsuchte den Raum nach einer Frau mit Drachenmaske. Rasch stellte er fest, dass sie kein Glück hatten.
„Es gibt zwei Drachenmasken und beide werden von Frauen getragen. Eine goldene und eine blaue.“
„Was sollen wir nun machen?“, fragte Adamant, der sich seit sie an der Bar standen, nicht einen Schritt weit bewegt hatte.
Die Frau mit der goldenen Maske stand etwas abseits der Tanzfläche und wurde beständig von einer Traube Personen umgeben. Die andere Frau stand an der Wand, neben ihr zwei recht einfach gekleidete Männer und musterte die Ballgemeinschaft.
„Ich werde mit der Dame in gold tanzen und sie einfach fragen“, nickte Thalaën selbstsicher und durchquerte den Saal.
Es dauerte etwas, bis er sich seinen Weg bis zu der edel gekleideten Dame vorgearbeitet hatte.
„Darf ich um einen Tanz bitten?“, fragte er, kaum dass er vor ihr stand.
Die Frau blickte ihn irritiert an; gut eine Sekunde lang. Doch dann nickte sie schließlich und ließ sich von ihm auf die Tanzfläche führen. Erst jetzt bemerkte Thalaën den kleinen Fehler in seinem Plan: Er konnte absolut nicht tanzen. Zumindest nicht das, was hier als Tanz bezeichnet wurde.
Langsam begann er sch mit der Frau im Kreis zu drehen und stieg ihr auch prompt auf die Füße. Doch sie ließ sich nichts anmerken.
„Gefällt es Euch hier?“, erkundigte sie sich.
„Ja, doch sehr gut. Ich war noch nie auf einer solchen Veranstaltung“, antwortete Thalaën wahrheitsgemäß und machte eine weitere Drehung. Dabei kamen Adamant und Esra ins Blickfeld, die sich ebenfalls auf das Parkett gewagt hatten. Anscheinend um ihn zu belauschen. Aber sie hatten das Problem, dass keiner von ihnen beiden tanzen konnte. Sie hatten rund um sich sehr viel Platz, aber es wurden ihnen auch sehr erboste Blicke zugeworfen. Zumal der große Kriegsgeschmiedete mit der kleinen Wandlerin sehr lustig aussah.
„Wie habt Ihr denn das geschafft?“, fragte die Frau interessiert weiter.
„Oh, ich bin noch nicht so lange auf dem Kontinent. Ich komme aus Aerenal“, erwidere er weiter Wahrheitsgemäß. Thalaën beschloss auf der sicheren Seite zu fahren und sich nicht in ein Lügenkonstrukt zu verwickeln.
„Ah, darf ich dann so unverfroren sein und nach Eurem Namen fragen?“
„Thalaën Tedaé.“
Die Frau schwieg und schien nachzudenken.
„Gehört Ihr zur aerenalschen Delegation hier auf dem Ball?“
Thalaën nickte und spürte zugleich, dass er einen Fehler gemacht hatte. Und nicht nur den, dass er der Frau gerade voll auf den Fuß gesprungen war. Astamalia wanderte durch sein Blickfeld und schüttelte bei seinem Anblick und dem ihrer beiden Freunde nur hoffnungslos den Kopf, bevor sie sich wieder ihrem Tanzpartner – einem Mann mit Wolfsmaske – zuwandte.
„Ich kann mich nicht erinnern Euren Namen auf der Gästeliste gesehen zu haben“, sagte seine Partnerin schließlich kalt.
„Ah, ich bin spontan für meinen Bruder eingesprungen, der krank geworden ist“, antwortete Thalaën blitzschnell und mit soviel Überzeugung wie er konnte. Er war selbst überrascht über diese Schlagfertigkeit.
„Interessant. Da muss ich mit meinem Personal reden. Solche Änderungen in letzter Minute, ohne darüber informiert zu werden, sind ärgerlich.“
Thalaën nickte beflissentlich und zuckte plötzlich zusammen, als sich ihm eine eiskalte Hand auf die Schulter legte. Er drehte sich und sah auf die bloße linke Hand, die dort auf seiner Schulter lag.
„Ihr entschuldigt sicher, wenn ich Euch die Dame für den nächsten Tanz entführe“, sprach der Mann hinter seiner Adlermaske mit bestimmter Stimme.
Ohne eine Antwort abzuwarten nahm er die Hand der Frau mit der goldenen Maske und tanzte mit ihr davon. Thalaën blieb verdattet stehen.

Adamant war nicht lange mit Esra auf der Tanzfläche geblieben. Er hatte rasch erkannt, dass das keine gute Idee gewesne war. Zumal ihn immer noch geringschätzige Blicke trafen. Als ob er etwas dafür könnte, dass seine Erschaffer ihm keine Tanzschritte mitgegeben hatten.
Auch Thalaën kehrte zu ihnen beiden zurück und schließlich auch eine etwas verschwitzte Astamalia, die auf Anhieb ein halbes Glas Rum hinabstürzte.
„Was für ein Tanz“, keuchte sie. „Karawane ist wirklich nur etwas für Personen mit guter Kondition.“
„Ist euch schon aufgefallen, dass der Mann mit der Adlermaske im Zentrum der Aufmerksamkeit von etlichen Personen steht?“, versuchte Adamant ihren Blick wieder auf den Auftrag zu richten.
Die anderen sahen ihn erstaunt an, so dass er nacheinander auf eine Reihe von Personen zeigte. Zuerst die Frau mit der blauen Drachenmaske, die den Blick nicht mehr von dem Mann nahm. Und aber auch eine weitere Frau mit einer hübschen Eulenmaske, die ihn ebenso fixierte wie die Schlange das Kaninchen.
„Na, habt Ihr Spaß?“, fragte Turenhart, der plötzlich zwischen ihnen stand. Er sah ebenso verschwitzt aus wie Astamalia.
„Sagt, Ihr kennt doch so viele Personen hier. Wisst Ihr zufällig wer sich hinter der Adlermaske verbirgt?“, fragte Adamant, was Turenhart dazu brachte mit den Augen zu rollen.
„Also selbst wenn ich es wüsste, würde ich es Euch nicht sagen. Es schickt sich nämlich nicht, so etwas zu fragen.“
„Ihr wisst es also nicht?“, war Adamant nicht gelinde erstaunt.
„Nein. Aber ich würde gern wissen, wer sein Schneider ist. Vor allem dieser eine einfache Handschuh an der rechten Hand ist recht Schick. Na ja, die Arbeit ruft. Vielleicht sehen wir uns noch einmal.“
Adamant sah ihm nicht einmal nach, als der Gnom wieder in der Menge verschwand.

Astamalia spürte, dass der Rum seine Wirkung tat. Sie war zwar noch nicht betrunken, aber doch schon recht beflügelt. Außerdem hatte sie das Gefühl durch den Ballsaal zu schweben, als sie sich der Dame mit der blauen Maske näherte.
„Guten Abend“, sagte sie höflich und erntete nur einen stummen Blick von der Frau und den beiden Männern, die sie flankierte. Astamalia beschloss alles auf eine Karte zu setzen:
„Fragt Ihr euch ebenfalls, wer der Mann ist, der gerade mit der Botschafterin tanzt? Niemand hier scheint ihn zu kennen, wo er doch so gut aussieht…“
„Nein, das frage ich mich nicht“, erwiderte die Frau. „Zudem denke ich, ist es nicht Euer recht zu spionieren, mit wem die Botschafterin tanzt.“
Astamalia lächelte leicht. Zumindest wussten sie nun sicher, wer sich unter der goldenen Maske verbarg, auch wenn es daran kaum noch einen Zweifel gegeben hatte.
Das aktuelle Lied endete und Astamalia applaudierte mit den anderen Gästen. So bekam sie auch nicht sofort mit, wie die Botschafterin ihren Partner stehen ließ und eifrig mit einem ihrer Diener sprach, der dann durch eine Tür im Inneren der eigentlichen Botschaft verschwand. Die Botschafterin selbst blieb neben der Tür stehen und wippte anscheinend ungeduldig mit ihren Füßen. Nun war sie es, die ihren Tanzpartner nicht mehr aus den Augen ließ.
„Interessant“, murmelte die Magiern. Nur zu sich selbst, wie sie feststellte. Denn die Frau mit der blauen Maske war auf die Tanzfläche geschritten und hatte den Mann in der Adlermaske zum Tanz gefordert. Er schien darüber nicht begeistert zu sein, lehnte aber auch nicht ab.
Sehr merkwürdig das alles hier, dachte Astamalia bei sich und wünschte sich inzwischen, sie hätte weniger Rum getrunken.

Adamant raffte sich auf und durchquerte den Ballsaal in Richtung der Frau mit der Eulenmaske. Er konnte immerhin auch versuchen seinen Teil zur Aufklärung dieses Verwirrspiels beizutragen. Es dauerte ziemlich lange sich durch die dichte Menge zu zwängen, auch wenn ihm viele freiwillig versuchten Platz zu machen. Einen so massiven Körper zu haben, hatte auch seine Vorteile.
„Ich grüße Euch“, grollte er mit seiner tiefen Stimme, als er schließlich neben ihr stand.
„Hallo“, antwortete die Frau mit heller Stimme recht wortkarg und würdigte ihn gerade mal eines kuren Blicks.
„Gefällt Euch der Abend?“, versuchte sich Adamant in Konversation.
„Geht einigermaßen.“
Die Dame schien nicht sehr an einem Gespräch interessiert zu sein. Doch auch Adamant wusste, dass es sehr unhöflich war, ihn so zu behandeln.
„Kennt Ihr diesen Herrn oder die Dame etwa? Der Herr scheint heute ja im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu sein. Dabei konnte mir noch niemand mit dem ich bis jetzt gesprochen habe sagen, wer er eigentlich ist.“
Die Frau sah ihn irritiert an und ging dann ohne weitere Worte auf die Tanzfläche. Die Musik hatte gerade geendet.

Astamalia hatte sich bereits strategisch in Position gebracht und kaum hatte die Musik geendet ging sie auf den Mann in der Adlermaske zu. Es konnte nicht so schwer sein, einen Tanz mit ihm zu ergattern.
Doch plötzlich standen sie zu dritt um ihn herum. Seine aktuelle Tanzpartnerin, die Frau mit der Eulenmaske und sie selbst.
„Dürfte ich Euch um einen Tanz bitten?“, fragte Astamalia rasch, bevor es eine der andern konnte. Doch er ignorierte sie und ging mit der Frau in Eulenmaske weg.
„Wie unhöflich!“, fauchte Astamalia.
„Ja, durchaus“, stammelte die Frau mit der blauen Drachenmaske und taumelte unsicher zu ihrem Platz an der Mauer zurück. Irritiert sah ihr Astamalia nach. Was war denn in die gefahren?

Adamant beschloss hartnäckig zu sein und schloss zu dem Pärchen auf. Währenddessen versuchte er auf magischem Wege Untote zu entdecken. Der Bericht Thalaëns über die eiskalte Hand hatte ihn stutzig gemacht, auch wenn er keine Untoten kannte, die sich in Wölfe verwandeln konnten. Tatsächlich spürte er von dem Herrn eine unheilig Aura ausgehen.
„Entschuldigt, wenn ich störe“, begann er nicht sehr freundlich. „ Aber ich frage mich schon eine geraume Zeit, wer Ihr seid, der ihr soviel Aufmerksamkeit auf Euch zieht.“
„Kennen wir uns?“, fragte der Mann und musterte ihn von Kopf bis Fuß.
„Das kann ich erst dann sagen, wen Ihr mir verratet, wer Ihr seid.“
Der Mann überhörte die Frage.
„Ich denke ich kenne Euch. Ich habe Euch von meiner Kutsche aus gesehen. Ihr habt versucht mich umzubringen!“
Er riss sich die Maske vom Kopf. Eine Perücke flog mit davon und langes blondes Haar fiel herab. Lucan musterte Adamant aus gefährlich aussehenden roten Augen.
„Ihr werdet mich nicht stoppen!“, schrie er wie irre.
Er machte eine Bewegung mit seiner offenen Hand und plötzlich hatte er ein Schwert in der Hand. Ein Schwert mit einem großen roten Rubin im Griff: Die Seelenklinge!
Schreie ertönten, als die ersten Besucher des Balls die gezückte Klinge entdeckten. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Panik, die Musik verstummte und die Leute begannen in Richtung der Ausgänge zu laufen.
Adamant blockte den ersten Schlag der Klinge mit seiner Faust. Eine tiefe Furche blieb zurück. Erschrocken taumelte er zurück.
Gerade rechtzeitig, denn ein magischer Energiestrahl von Astamalia zuckte an ihm vorbei und traf die Frau mit der Eulenmaske, die gerade einen Schutzzauber auf sich gewirkt hatte.
Adamant holte sein silbernes Amulett hervor und hob es gegen Lucan.
„Weiche, Ausgeburt der Finsternis!“, dröhnte seine Stimme durch den Lärm im Saal.
Doch Lucan lächelte nur milde und holte zu einem zweiten Schlag aus, der voll seine Panzerung durchschlug. Noch aber war er nicht außer Funktion. Er schmetterte seinerseits die Faust gegen den Kopf Lucans, der jedoch darüber keine Reaktion zeigte.
Das würde interessant werden.

Astamalia versuchte eine vernünftige Wahl zwischen Schutzzaubern und Angriffszaubern zu finden. Aber immer wieder kam ihr die Menge in die Quere, die ihr durch das Schussfeld lief. Hinzu kamen noch die Wachen, die überall im Raum stationiert gewesen waren und nun wahllos auf jeden schossen, der so aussah, als würde er kämpfen wollen. Auch an ihr war bereits ein Bolzen vorbeigezischt.
Thalaën und Esra waren irgendwo in Richtung Vordereingang verschwunden. Hoffentlich um nach ihren Waffen zu suchen und nicht um sich aus dem Staub zu machen.
Ein magisches Geschoss der Begleiterin Lucans prallte an ihrem magischen Schild ab, sie feuerte mir gleicher Münze zurück. Aber auch hier war das Ergebnis das gleiche. Da musste sie wohl schwerere Geschütze auffahren.
Doch ihre brennenden Hände verfehlten ihr Ziel. Verdammt! Langsam gingen ihr die wirkungsvollen Zauber aus. Aber noch hatte sie ein paar in Reserve.

Thalaën hätte sich nie von einem Kampf zurückgezogen. Doch ohne Waffen in den Kampf zu ziehen war wohl ebenso erbärmlich, wie das fliehen vor dem Kampf feige war.
Er schaffte es gemeinsam mit Esra vor der Menge den Eingang zu erreichen, vorbei an einem fleißig mit seiner Armbrust feuernden Wachposten.
„Wir brauchen unsere Waffen und unsere Rüstungen!“, bellte er den Wachposten vor der Waffenkammer an. Doch der Gnom zuckte nicht einmal mit einer Wimper.
Thalaën fauchte.
„Das habt ihr euch dann selbst eingebrockt!“
Mit aller Kraft schlug er dem Gnom ins Gesicht. Aber er hatte den kleinen Posten wohl etwas unterschätzt. Er schlug zwar heftig gegen die Tür hinter ihm, schüttelte aber dann nur den Kopf und zückte seinen Hakenhammer mit dem er nach dem Elfen hieb und ihm eine hässliche Fleischwunde zufügte.
Thalaën unterdrückte einen Aufschrei. Doch noch bevor ihn der Gnom ein weiteres Mal treffen konnte hatte ihm Esra schon gegen die Hand geschlagen. In einem hohen Bogen flog die Waffe in ihre Hand, was sowohl Thalaën als auch den Wachposten verblüffte.
„Na, was sagt Ihr jetzt?“, lächelte ihn Thalaën an. Da blieb ihm das Lachen auch schon im Hals stecken. Eine Meute von gut und gerne zwanzig Personen stürmte auf den engen Eingang zu. Und sie wurden keinen Deut langsamer, obwohl sie zu dritt fast den ganzen Eingang blockierten.
„Halt!“, rief Thalaën noch, bevor die Menge über ihn hinwegrollte.

Langsam wurde es Adamant zu bunt. Nicht nur, dass Lucan immer wieder auf ihn einschlug, nein, er musste sich auch noch gegen die Bolzen ducken, die immer wieder durch den Raum pfiffen. Sie mochten zwar Lucan nichts anhaben und auch seine Rüstung durchschlugen sie nur schwer, aber dennoch wurden sie lästig. Ebenso wie der Mann, der seinen Rücken seit einer Minute mit harten Handkantenschlägen bearbeitete. Nicht, dass es schmerzte, aber es war eben auch lästig.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich die Botschafterin erschrocken über die Geschehnisse auf ihrem Ball hinter der Tür zur Botschaft und hinter den beiden schwer gerüsteten Wachen verbarg. Hinter Lucan landete Astamalia mit einem Zauber einen schweren Treffer bei der Begleiterin Lucans. Das lenkte den Vampir endlich ab. Er ließ von ihm ab und wandte sich seiner Begleiterin als Unterstützung zu. Adamant hatte nun endlich Zeit den hinteren Angreifer zu mustern. Es war einer der beiden Männer, die zuvor neben der Frau mit der blauen Drachenmaske gestanden waren. Er prügelte immer noch ohne Erfolg auf seine Brust ein. Die Frau mit der blauen Maske schrie, einen Zauberstab hoch erhoben, in einer der Menschenmengen. Anscheinend versuchte sie sich von ihr loszureißen.
Wieder landete der Mann vor ihm einen Treffer, der dazu führte, dass er schmerzhaft das Gesicht verzog und sich seine geschwollene Hand hielt. Das reichte.
Adamant holte aus und verpasste ihm einen harten Schlag an den Kopf, der ihn zu Boden gehen ließ. Der Kriegsgeschmiedete gönnte sich ein Grinsen.

Esra keuchte, als sie sich wieder aus der Menge befreit hatte. Neben ihr auf dem Boden lag der bewusstlose Gnom. Thalaën hatte grinsend den Schlüssel zur Waffenkammer in der Hand.
„Gut gemacht!“, lobte sie den Elfen, nahm ihm den Schlüssel ab und schloss die Kammer auf. Rasch langte sie nach dem Krummsäbel für Thalaën und ihrem Bogen. Für mehr war keine Zeit. Schon gar nicht für ihre Rüstungen. Auch wenn sie sicherlich gut zu gebrauchen gewesen wären.
Als sie wieder in den Ballsaal zurückkehrte, hatte sich die Situation etwas vereinfacht. Die meisten Nichtkämpfenden waren durch die Ausgänge bereits verschwunden. Nur mehr Lucan, seine Begleiterin, drei Wachposten, die Frau mit der blauen Maske und ihre beiden Männer, sowie die Botschafterin waren anwesend.
Ohne lange zu überlegen zog Esra einen Pfeil und feuerte auf Lucan, der das Geschoss in seinem Arm aber nicht beachtete. Esra fluchte und feuerte das zweite Geschoß auf die bereits recht geschwächte Begleiterin. Ihr Pfeil ließ sie Taumeln.
„Grilsha! Flieh!“, hörte sie Lucans Stimme.

Thalaën stieß seinen Kriegsschrei aus und stürmte an Esra und einem der gnomischen Wächter vorbei in den Saal. Wild schwang er seinen Doppelkrummsäbel und stürzte damit auf den völlig überraschten Lucan zu. So gelang ihm auch eine Hand voll Treffer. Doch dann hatte sich der ehemalige Agent gefangen und begann zu parieren. Dabei musste Thalaën ungläubig zusehen, wie sich seine Wunden nach und nach wieder schlossen und nur zerschlissene Kleidung zurückließen. War denn dieser Kerl gar nicht klein zu kriegen?

Astamalia wandte ihren letzten und stärksten Zauber an, den sie noch im Repertoire hatte: Gedankenbrand. Er saugte die Magie aus dem getroffenen Wesen. Und tatsächlich taumelte die Frau noch stärker, doch mit einem Mal war sie verschwunden.
Astamalia stutzte. Nein, das durfte nicht wahr sein.
„Sie hat sich unsichtbar gemacht! Schließt die Türen!“
Zugleich löste sich auch Lucan aus seinem Kampf mit Thalaën und strebte die Küchentür an. Der Elf versuchte sich noch dazwischen zu werfen, doch Lucans Konturen begann sich langsam zu verflüchtigen.
„Meena! Wage es nicht!“, gelte die Stimme der Botschafterin durch den Saal.
Erschrocken fuhr Astamalia herum. Die Frau in der blauen Maske hatte die Arme erhoben und verwob sie zu raschen, komplizierten Gesten. Dennoch erkannte sie den Zauber. Ein Feuerball…
…zischte an ihr vorbei und detonierte nahe der Küchentür. Eine Feuerkugel stand im Raum, entzündete die Dekoration. Thalaën wurde ebenfalls erfasst, schaffte es aber noch sich zu einer kleinen, schützenden Kugel zusammen zu rollen. Einer der beiden Gefährten von Meena starb schreiend im Feuer. Sie schien keine Skrupel zu kennen.
Die Feuerkugel verebbte und ließ eine verkohlte Leiche, einen angesengten Elfen und brennende Dekoration zurück. Von Lucan und seiner Begleiterin war keine Spur zu sehen.
„Das war wohl nichts“, flüstere Astamalia und versuchte sich langsam wieder zu entspannen.

Es zeigte sich rasch, dass das Botschaftspersonal und die gnomischen Wächter sehr effizient waren. Die aufkeimenden Feuer wurden rasch gelöscht und die vier Abenteurer ebenso rasch in Gewahrsam genommen.
Aus der Distanz bekamen sie mit, wie die Botschafterin mit einer sichtlich erschütterten Meena sprach. Auch wenn sie immer noch nicht genau wussten, wer diese Meena war und wie sie in dieses Spiel einzuordnen war.
Adamant seufzte und begutachtete seine Wunden. Dann sah er sich im Saal um. Zum ersten Mal fiel ihm auf, dass er seit geraumer Zeit weder von Turenhart noch von diesem Kasha, mit dem Astamalia zuvor getanzt hatte, eine Spur gesehen hatte. Fast wirkte es, als hätten sich beide vor der Eskalation des Balls zurückgezogen. Glück? Oder wussten sie mehr als sie vier?
Endlich kam die Botschafterin zu ihnen. Sie wirkte halb neugierig und halb wütend.
Genau so baute sie sich auch vor ihnen auf.
„Ich hoffe, ihr habt eine Erklärung für all das hier!“, rief sie und deutete auf den verwüsteten Raum.
„Für den Feuerball können wir nichts. Das war Eure Freundin Meena“, rechtfertigte sich Astamalia schmollend.
Die Botschafterin winkte ab.
„Manche Agenten der königlichen Augen pflegen ihre Arbeit etwas zu übertreiben.“
„Königliche Augen?“, war Adamant verwirrt. Er konnte sich nicht erinnern jemals von einer solchen Organisation gehört zu haben.
„Das ist der Geheimdienst meiner Heimat Aundair“, erklärte Astamalia. Sie klang plötzlich nicht mehr so abweisend.
„Sehr richtig. Somit wäre geklärt, was sie hier machte. Aber nicht, warum ihr unerlaubterweise auf meinen Ball eingedrungen seid. Und wer ihr eigentlich seid.“
Adamant beschloss, dass es an der Zeit war, die Wahrheit zu sagen. Ohne würden sie hier ohnedies nicht mehr herauskommen.
Also erzählte er von ihrer Mission, ihrem Auftraggeber Viorr und den Auftrag Lucan und das Schwert wieder zu beschaffen.
„Nun wisst Ihr alles, was wir wissen. Aber das erklärt uns noch nicht, warum Lucan bei Euch auf dem Ball war.“
Krell lächelte, als würde sie sich an etwas erinnern.
„Lucan und ich waren alte Freunde. Er bat mich um Hilfe und ich habe sie ihm gewährt.“
„Obwohl die königlichen Augen nach ihm suchten? Obwohl er ein Untoter war?“, fragte Adamant ungläubig.
„Damals wusste ich noch nicht, dass er ein Vampir war. Das wurde mir erst klar, als ich mit ihm tanzte und seine kalte Hand auf meiner spürte. Ich wollte noch, dass er etwas hier bleibt, sich ausruht und sich etwas amüsiert, während ich nach einem Kleriker schickte. Aber da ist leider schon alles aus dem Ruder gelaufen.“
„Ihr habt ihm also bereits geholfen?“, fragte Esra.
Die Botschafterin nickte.
„Ja. Ich habe ihm eine Passage auf dem Luftschiff Wolkenschicksal besorgt. Ebenso gültige Reisepapiere und Dokumente.“
„Wohin ist dieses Schiff unterwegs?“
„Nach Korth in Karrnath.“
Astamalia schüttelte den Kopf.
„Viel wichtiger ist: Wann fliegt das Schiff ab?“
„In weniger als einer Stunde.“
Ein dreifaches Seufzen war die Antwort.
„Schaffen wir es von hier aus in einer Stunde zum Turm?“
„Das könnte knapp werden“, erwiderte Krell.
Wieder schien sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge zu sprechen. Adamant war sich sicher, dass sie nicht wirklich bereute, dass sie dem Vampir geholfen hatte.
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 25. März 2008, 11:22:50
Von hier nach da

Manchmal machte es das normale Leben schwieriger, wenn man ein so ungewöhnliches und gefürchtetes Wesen war, wie er selbst. Er zog sich seine Kapuze tiefer ins Gesicht und lehnte sich gegen die Hauswand gegenüber der Botschaft.
Der Ball im Inneren war anscheinend in vollem Gange. Und irgendwo da drinnen war Lucan mit der Seelenklinge. Und wahrscheinlich waren diese vier merkwürdigen Gestalten ebenfalls dort drinnen. Für die Lebenden war es leichter auf so offene Veranstaltungen zu kommen. Mumien wurden dazu eher selten eingeladen.
Dafür hatte es andere Vorteile untot zu sein. Urosh verzog ein mumifiziertes Gesicht zu einem kurzen Grinsen bevor er wieder in Gedanken versank.
Er hatte sehr viel Glück gehabt, doch noch hierher zu kommen. Dabei hatte alles so gut angefangen. Er hatte die Spur der Abenteurer verfolgen können und die Magierin hatte ihm auch noch gesagt, wo sie Lucan würde finden können. Doch dann war er auf diesen verdammten Kleriker der Silbernen Flamme gestoßen, in einem Tempel nahe Zilspar. Und es musste auch noch dazu ein alter Kriegsveteran sein, einer der den Grundsätzen seines Glaubens treu war und anscheinend ganz heiß darauf, eine Mumie zur Strecke zu bringen. Er hatte Urosh tagelang durch die Wälder nahe der Grenz gejagt und schließlich ein recht unrühmliches Ende auf einer Waldlichtung gefunden. Wahrscheinlich würde er niemals gefunden werden. Aber er hätte ja durchaus auch in seinem Tempel bleiben können.
So war er erst vor wenigen Stunden in die Stadt gekommen. Und hier hatte er endlich wieder etwas Glück gehabt. Die vier Abenteurer waren deutlich zu offen aufgetreten, seid sie sich hier in der Stadt befanden. Es hatte nur weniger Tote und einiger gebrochener Knochen bedurft, bis er herausgefunden hatte, wonach sie suchten: Eintrittskarten für den Ball der Botschaftern von Aundair. Das konnte nur bedeuten, dass Lucan auch hier war. Zumindest war das seine Annahme. Er hoffte inständig, dass er damit recht hatte, denn ansonsten würde Caldera sehr wütend werden.
Die Zeit verging weiter und langsam wurden die Wachen am Tor auf ihn aufmerksam. Es kam wohl nicht oft vor, dass so dunkle Gestalten im Botschafterviertel herumhingen. Wenn der Ball noch länger dauerte, dann würde er sich eine neue Taktik überlegen müssen.
Wie auf Kommando erklangen Schreie von drinnen, die Wachen verschwanden durch das Tor. Weitere Schreie erklangen und erste Gäste stürmten erschrocken ins Freie.
Es klang ganz danach, als ob Lucan seine Tarnung aufgegeben hätte.
Urosh richtete sich auf und sah sich gebannt um. Lucan würde den Ball wohl kaum erhobenen Hauptes durch die Vordertür verlassen.
Im Inneren ging das Gefecht anscheinend seinem Höhepunkt entgegen. Immer mehr Leute strömten aus dem Gebäude hervor, doch nirgends waren Lucan oder seine Schwester zu sehen. Auch die Aura der Seelenklinge war nirgends zu entdecken.
Hinter den Fenstern loderte plötzlich ein Flammenmeer auf, die Scheiben zersplitterten und durch die Menge auf der Straße ging ein Schreckensschrei. Dann wurde es mit einem Male ruhig. Anscheinend war der Kampf vorbei.
Aber wie war er ausgegangen?
Eine Ecke weiter erschien plötzlich eine rothaarige Frau im Ballkostüm – praktisch aus dem Nichts. In der einen Sekunde war sie da, in der anderen verschwunden. Sekunden später schwebte eine Nebelwolke heran und materialisierte neben ihr, zu einem hochgewachsenen blonden Mann. Lucan!
Doch noch bevor Urosh weiter reagieren konnte, hatten sich die beiden eine Kutsche herbei gewunken, die nun ratternd davonfuhr.
Aber das würde ihn nicht aufhalten. So schnell es seine Beine ermöglichten, und ohne die Fähigkeit Erschöpfung zu spüren, rannte Urosh der Kutsche hinterher. Und schon bald erkannte er das Ziel seiner beiden Opfer. Der Luftschiffturm des Hauses Lyrandar.

***

Thalaën kämpfe immer noch damit seine Rüstung richtig anzulegen, als sie auf die Straße hinausrannten.
„Wie kommen wir am schnellsten zum Luftschiffturm?“, fragte sich Astamalia und blickte die Straßen und den Kanal hinauf und hinunter.
„In dieser Stadt wahrscheinlich mit einem der Boote“, deutete Esra auf die schlanken Boote, die entlang der Kanalmauer festgemacht waren und auf Kundschaft warteten.
„Sehr gut!“, nickte Astamalia und sprang als erste in den langen Kahn. „Zum Luftschiffturm! Schnell!“
Der alte Gnom nickte bedächtig und griff nach seinem Ruder. Aber er stach es erst ins Wasser, als sie alle vier auf ihren Plätzen saßen, und keine Sekunde früher.
Langsam stakte er den Kanal hinunter.
„Kann ich Euch ein Lied während der Fahrt singen?“, fragte er freundlich.
„Nein, aber Ihr könntet etwa schneller fahren“, ereiferte sich Astamalia und versuchte an Hand der Sterne und der Stellung der Monde die Uhrzeit zu bestimmen.
„Wirklich eine klare Nacht“, stellte der Gnom fest und richtete ebenfalls seinen Blick gen Himmel. Worüber er auf der Stelle sein Boot vergas.
„Könntet Ihr Euch wohl etwas beeilen? Wir müssen dringend noch dieses Luftschiff erreichen! Wir legen auch zehn Goldmünzen zum regulären Fahrpreis hinzu“, versuchte es Astamalia auf diese Art und Weise.
Das Gesicht des Gnom fuhr herum und trug nun ein breites Lächeln.
„Warum sagt Ihr das denn nicht gleich?“
Er murmelte etwas gen Heck des Bootes und plötzlich wurde es rasch schneller und schoss geradezu durch die Kanäle der Stadt.
„Magie ist etwas herrliches!“, rief der Gnom über das Rauschen des Fahrtwassers hinweg.
Esra hielt sich mit beiden Händen am Rand des Bootes fest und versuchte nicht in die weiße Gischt zu blicken, die zu beiden Seiten des Bootes rauschte. Auch Thalaën und Adamant schien dieses haarige Tempo in den engen Kanälen nicht ganz koscher zu sein.
Erst als der Kahn in die Bucht von Trolanhafen einfuhr und der Turm des Hauses Lyrandar vor ihnen aufragte, atmeten sie etwas auf.
Der Turm erhob sich deutlich über alle anderen Gebäude der Stadt und Astamalia konnte erkennen, dass ihr Haus hier bereits für die Zukunft geplant hatte. Es gab fünf Andockbuchten, was sehr viel war, für die doch noch recht kleine Luftschiffflotte, die ihr Haus unterhielt. Im Augenblick lagen zwei Schiffe am Turm vor Anker.
Ein sehr kleines Schiff, das aus kaum mehr als dem Elementarring und einem Platz für die Besatzung bestehen konnte – wahrscheinlich ein Kurierboot, nahm sie an – und ein weiteres, dessen Feuerelementar immer wieder hell aufleuchtete. Es machte sich bereit für den Abflug.
„Das Schiff auf der obersten Plattform muss die Wolkenschicksal sein. Es macht sich gerade bereit für den Abflug. Wir müssen uns wirklich beeilen, sonst ist Lucan weg!“

Thalaën hastete den anderen voran die enge Wendeltreppe im Inneren des Turms nach oben. Etwas außer Atem gelangte er am oberen Ende es Turms in ein leeres Büro, von dem aus eine Tür auf die Andockplattform führte. Die Tür stand weit offen und das laute Rasseln des Feuerelementars war bis hier herein zu hören. Mehrere gnomische Hafenarbeiter befanden sich auf der Plattform und waren gerade dabei die letzten Seile einzuholen, die das Schiff noch am Turm festhielten. Eine einzelne schmale Planke stellte die letzte verbliebene Verbindung zwischen dem Turm und dem Schiff dar.
„Halt! Nicht ablegen! Wir müssen auch noch an Bord!“, rief Thalaën den Gnomen zu und stürmte auf die Plattform.
Irgendwie reagierten die Gnome nicht so, wie er erwartete hatten. Jede der fünf Gestalten ließ fallen, was sie gerade in der Hand hatte und plötzlich hatten sie Langschwerter und Bögen in den Händen.
„Was soll denn das?“, fluchte Thalaën, wobei jedoch seine jahrelange Konditionierung als Kämpfer wieder durchkam. Ehe er sich versah hatte er seinen Krummsäbel gezückt und damit den ersten Angriff geblockt. Nicht jedoch den Pfeil, der ihn im selben Moment schmerzhaft an der Schulter traf.
„Arrgh!“, rief er lauft und prügelte auf den erstbesten Gnom ein, der es auch auf ihn abgesehen hatte. Astamalias Bolzen und Esras Pfeile zischten an ihm vorbei. Doch die Gnome waren klein, gut gepanzert und hatten durch die Kisten, die überall auf der Plattform standen, gute Deckung.
Thalaën schlug weiter auf den Gnom ein, der langsam aber sicher unter den wuchtigen Schlägen zu Boden ging.
„Das Schiff! Es legt ab!“, rief Astamalia.
Thalaën wagte eine Blick an seinem Opfer vorbei ans Ende der Plattform. Tatsächlich waren mehrere Halbelfen gerade dabei weitere Seile zu lösen. Sie würden wohl nicht auf den Ausgang dieses Kampfes warten.
„Wir müssen so rasch als möglich auf dieses Schiff!“, übertönte abermals die Stimme der Magiern die Kampfschreie und das Elementar.
„Dann mir nach!“, rief Thalaën und sprang über die ersten Kisten auf das Schiff zu. Die Gnome hieben nach ihm. Schwerter und Pfeile krachten in seine Rüstungen und drangen in sein Fleisch. Doch so leicht brache man einen wahren Elfen nicht zu Fall!
Adamants schwere Schritte hinter ihm brachten die Plattform zum vibrieren. Und auch ihn deckten die Gnome mit Schlägen ein. Thalaën konnte das Schaben von Stahl auf Adamantit vernehmen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie auch die beiden Frauen im Windschatten von Adamant und ihm folgten. Esra sprang so elegant zwischen den Kisten und den Angreifern hin und her, dass sie kaum getroffen wurde. Zudem war sie fast unhörbar. Wie eine Katze.
Astamalia wiederum hatte ihren Rucksack an die Brust gepresst und rannte mit eingezogenem Kopf. Doch waren die meisten der Gnome mit den ersten drei Angreifern offenbar zur genüge beschäftigt. Nur wenige machten sich noch die Mühe nach ihr zu schlagen.
Thalaën überquerte die schmale Planke und machte am Schiff Platz für die nächsten. Achtlos warf er seinen Säbel zur Seite und holte in einer fließenden Bewegung Pfeil und Bogen hervor, um seinen Freunden Rückendeckung zu geben. Die Halbelfen, welche hinter und neben ihm das Schiff weiter für den Abflug bereit machten, beachtete er gar nicht. Ebenso wenig wie sie ihn.
Adamant folgte wenig elegant, Esra und Astamalia dicht auf.
Keine Sekunde zu spät.
Auf magischen Wege verschwand die Planke im Inneren des Schiffs und das Luftschiff entfernte sich zuerst langsam, dann aber rasch schneller werdend vom Turm. Trolanhafen und das Meer blieben im Süden hinter ihnen zurück.

„Das war knapp“, lächelte Esra und zog sich einen abgebrochnen Pfeil aus der Rüstung.
„Ja, in der Tat. Aber ich denke, es ist am besten, wenn ihr vier hier gleich wieder aussteigt oder mir sofort Eure Passagescheine zeigt!“, dröhnte eine dunkle Stimme hinter ihnen.
Erschrocken drehte sich Esra gemeinsam mit den anderen um. Ein grimmig blickender Halbelf und vier Besatzungsmitglieder standen vor ihnen. Jeder hatte eine Waffe in Händen. Und auch wenn sie damit nicht sehr bedrohlich wirkten, so schienen sie doch auf jeden Fall sehr entschlossen.
„Ihr habt schließlich gesehen, dass wir etwas spät kamen. Wir dachten, wir könnten vielleicht noch an Bord Karten kaufen“, rechtfertigte sich Esra und verfluchte sich dafür, den Bogen bereits wieder weggesteckt zu haben.
„Falsch gedacht. Und wenn Euch keine bessere Ausrede einfällt, dann werdet ihr sehr schnell über meine Planke marschieren.“
„Wir können uns doch sicherlich über einen Preis für die Passage einigen. Von einem Mitglied des Hauses zu einem anderen?“, fragte Astamalia und löste das Halstuch, das ihr Drachenmal verbarg.
„Gerade Ihr solltet am besten wissen, dass man mit Bestechung nur einen raschen Flug nach unten erhält und vor allem aber, dass man Tickets ausnahmslos vor Antritt der Fahrt erwirbt!“, grollte er weiter und machte einen bedrohlichen Schritt auf die Gruppe zu.
Esra wagte einen Blick hinter sich. Hinter ihr war nicht einmal eine Reling. Dafür darunter eine rabenschwarze Dunkelheit, soweit das Auge reichte.
„Wie teuer müsste die Passage denn sein, damit wir nicht über die Planke gehen müssen?“, fragte Esra und versuchte von dem endlosen Abgrund wegzukommen.
„Ich sagte Euch doch bereits, dass ich mich nicht bestechen lassen! Wer will als erster gehen?“
Es schien ihm wirklich ernst zu sein. Esra seufzte. Da war sie soweit gekommen, nur damit sie von einem Luftschiff gestoßen wurde?
„Aber Zweitausend Galifar für das Haus werdet Ihr doch kaum ablehnen können“, probierte es Astamalia ein letztes Mal.
„Hm“, machte da der Kapitän und trat wieder einen Schritt zurück. Rasch holte die Magiern einen Lederbeutel hervor und warf ihm den zu. Mit einer Hand machte ihn der Kapitän auf und warf einen raschen Blick hinein. Dann deutete er seinen Männern die Waffen sinken zu lassen.
„Das sollte bis Starilaskur reichen. Dann aber fliegt ihr keinen Kilometer weiter mit der Wolkenschicksal, wenn ihr nicht ordentliche Reisepapiere und Tickets vorweisen könnt. Außerdem ist das Schiff ausgebucht. Ich kann Euch nur eine kleine Kammer zur Verfügung stellen. Man wird Euch zeigen, wo sie zu finden ist.“
Er nickte ihnen vier zu und zog sich dann mit seinem Geld und seinen Männern zurück.
Sofort machte Esra einen Sprung von der offenen Reling weg.
„Was für ein Tag“, keuchte sie.
„Auf jeden Fall. Ich brauche dringend ein Bett“, stimmte ihr Astamalia zu.
Thalaën brummte etwas unverständliches, aber es klang nicht sehr freundlich und bezog sich sicherlich auf seine Schlaferlebnisse.

***

Thalaën öffnete träge seine Augen. Wie jedes Mal nach dem Aufwachen, brauchte er eine Weile um sich zu orientieren. Er lag auf dem Rücken in einem winzigen Raum. Nur wenig Handbreit über ihm befand sich eine hölzerne Decke. Schritte und das Knarren von Holz war zu hören. In seinem Kopf spukten immer noch verwirrende Bilder seiner Träume umher.
„Guten Morgen! Komm, aufstehen! Die anderen sind schon längst am Frühstücken!“, rüttelte ihn Astamalia wach.
Die Erinnerungen kehrten wieder. Der Ball, Lucans Flucht, die Hatz zum Luftschiff, der Kampf am Turm.
Er rollte sich aus der Pritsche und landete federnd am Boden. Der Raum war gerade groß genug, dass Astamalia und er nebeneinander darin stehen konnten.
Zum Glück ging die Tür nach draußen auf.
Die Halbelfe führte ihn sicher durch die verwirrenden Gänge des Unterdecks bis in den Bug, wo sich die Messe für die Besatzungsmitglieder befand. Esra und Adamant saßen bereits an einem Tisch, der sich vor Essen fast bog. Außer ihnen war nur eine alte Dame und ein dicker, etwas verschlafen und alkoholisiert wirkender Halbling anwesend.
„Morgen“, begrüßte sie Esra mit vollem MUnd.
Sie setzten sich und begannen schweigend zu essen. Adamant sah ihnen zu.
„Wie geht es jetzt weiter?“, fragte Thalaën, ebenfalls mit vollem Mund. „Sollen wir anfangen das Schiff zu durchsuchen? Immerhin wissen wir ja nicht einmal mit Sicherheit, ob sich Lucan an Bord befindet.“
Astamalia seufzte.
„Könntet ihr es euch bitte abgewöhnen, mit vollem Mund zu sprechen? Das gehört sich einfach nicht. Abgesehen davon: Ich denke nicht, dass uns der Kapitän gestatteten wird herumzusuchen. Und unsere Ausweise werden uns auch nicht weiterhelfen. Die Luftschiffe des Hauses unterstehen keinem König, wodurch unsere Dokumente hier in der Luft auch keine Gültigkeit haben.“
„Ich könnte versuchen ihn mittels meiner göttlichen Kräfte zu lokalisieren. Wenn er wirklich ein Vampir ist. Auch wenn es mich wundert, dass sich ein Vampir in einen Wolf verwandeln kann“, warf Adamant ein. „Wir werden dann zwar immer noch nicht einfach in seine Kajüte stürmen dürfen um ihn festzunehmen, aber dann wissen wir wenigstens, dass wir auf der richtigen Spur sind.“
„Ich denke, dass er auf jeden Fall an Bord ist“, sinnierte Astamalia. „Wie wäre sonst das Verhalten der Gnome auf der Plattform zu erklären? Und auch der Kapitän verhielt sich etwas unfreundlicher, als es notwendig gewesen wäre. Außerdem erhielt er von Krell die Papiere für eine Reise nach Korth. Nein, Lucan ist an Bord.“
„Aber was will er ausgerechnet in Korth?“, überlegte Thalaën, wiederum mit vollem Mund.
„Vielleicht führt ihn das Schwert dorthin?“, schlug Esra vor.

An Deck war wesentlich mehr los, als unten in der düsteren Messe. Eine steife Brise umwehte sie, als sie das Oberdeck erreichten. Unter ihnen zog sich die Landschaft Zilargos dahin. Ebenen und Wälder, hin und wieder unterbrochen durch kleine Ortschaften und Straßen. Über ihnen spannte sich ein azurblauer Himmel.
„Das Schiff ist ziemlich groß. Ich hoffe, dass ich jeden Bereich erfassen kann“, überlegte Adamant und überschlug dabei im Kopf, wo in etwa die Mitte des Schiffes sein würde.
Dorthin stellte er sich und begann seinen Zauber zu weben. Er bereitete sich darauf vor, die Präsenz eines Untoten zu spüren, so nah und stark, wie er es auf dem Ball erlebt hatte. Doch nichts passierte. Keine Untoten Seelen waren in seinem Erfassungsbereich.
„Und?“, fragte Thalaën, dem sein enttäuschtes Gesicht offenbar nicht aufgefallen war.
„Nichts. Gar nichts“, schüttelte Adamant den Kopf. Er war niedergeschlagen. Das Böse war ihnen entwischt.
„Lucan befindet sich nicht an Bord der Wolkenschicksal. Wir haben ihn verloren.“
„Gibt es nicht eine Möglichkeit, solche Zauber abzublocken? Es muss doch für einen Untoten möglich sein, seine wahre Natur gegen so einfache Magie zu verstecken“, warf Esra ein.
Adamant legte seine Hand ans Kinn und überlegte. Aber ihm fiel kein Zauber ein, der dazu in der Lage wäre. Nun, vielleicht hätte er sich bei seinen Studien auch die Kräfte des Bösen ansehen sollen, das zu vernichten er geschworen hatte. Aber irgendwie war er zu sehr auf seine Bereiche der Ausbildung fixiert gewesen.
„Vielleicht gibt es etwas magisches, dass das kann?“, fragte er daher an Astamalia gewandt. Doch die Magierin schüttelte sofort den Kopf.
„Nein, daran habe ich auch schon gedacht. Fehlanzeige.“
Schweigen breitete sich rund um sie aus und Adamant hatte irgendwie das Gefühl, dass er nun Schuld daran war, dass sie Lucan verloren hatten.
„Ist es möglich, dass ein Extradimensionaler Raum, so einer, wie wir ihn im Klageland des Öfteren verwendet haben, solche Zauber blockiert?“, meldete sich Esra wieder zu Wort und wurde daraufhin von allen anderen angestarrt.
„Entschuldigung“, sagte sie leise. „Ich verstehe davon nicht so viel. Es war ja nur eine Idee.“
„Das war eine gute Idee!“, rief Astamalia und auch Adamant nickte: „Das wäre wirklich eine Möglichkeit, sich vor uns zu verstecken. Aber wenn das wirklich so ist, dann müssen wir bis mindestens Starliskatur warten, bis er wieder aus seinem Versteck kommt. Untote müssen weder essen, noch trinke, noch atmen. Er kann beliebig lange in seinem Raum bleiben.“
„In diesem Fall: Genießen wir doch einfach den Flug“, schlug Astamalia vor.

Der Aufenthaltsraum der Wolkenschicksal befand sich in einem Aufbau mitten auf dem Oberdeck und war mit allem ausgestattet, was das Herz begehrte. Eine große Bibliothek, bequeme Stühle, eine hervorragend sortierte Bar, mehrere Spiele, um sich die Zeit zu vertreiben. Es war offensichtlich, dass die Wolkenschicksal für sehr betuchte Personen gebaut worden war.
Dennoch zog es Astamalia nicht nach drinnen. Es war schon fast ein Jahr her, seid sie das letzte Mal mit einem Luftschiff geflogen war und sie genoss dieses Gefühl. Sie stand an der Reling und starrte abwechselnd in die Landschaft unter ihr und in den Himmel.
„Ihr genießt diese Reise wohl ebenso sehr wie ich“, hörte sie eine bekannte Stimme neben sich und ein dunkelhaariger Mann in schwarzer Kleidung lehnte sich neben ihr an die Reling.
„Was macht Ihr denn hier?“, war Astamalia erstaunt. „Ich dachte, Ihr hattet einen Auftrag in Trolanhafen zu erledigen.“
„Das hatte ich auch“, verteidigte sich Kasha. „Und nun wurde ich beauftragt mehrere Dokumente in die Flammenfeste zu bringen. Man kommt in meinem Beruf viel herum.“
„Aber Ihr müsst doch zugeben, dass es etwas merkwürdig ist, dass wir uns so oft über den Weg laufen.“
„Das moderne Khorvaire wird immer kleiner“, lachte er.
„Ich habe vielmehr das Gefühl, dass Ihr mich verfolgt. Wer seid Ihr wirklich?“
Nun wirkte er ehrlich betroffen.
„Bei meiner Ehre, ich würde Euch nie einfach so verfolgten. Und, wie ich Euch bereits mehrmals gesagt habe, ich bin nur ein einfacher Beamter aus Karrnath. Nicht mehr, und nicht weniger.“
„Und ich sage ganz offen, dass Ihr lügt!“
„Dann tut es mir leid. Ich wünsche Euch noch eine angenehme Reise.“
Astamalia schüttelte den Kopf.
„Verabschiedet Euch nicht zu früh. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich unsere Wege spätestens in der Flammenfeste wieder kreuzen werden.“
Mit diesen Worten lies sie ihn an der Reling stehen und suchte sich ein schattiges Plätzchen, um sich ihren magischen Studien zu widmen.

Diese Luftschiffreise war weniger gefährlich und unangenehm als sie gedacht hatte. Dafür aber auch langweiliger. Schon den ganzen Tag lang, war sie untätig herumgesessen und hatte in ihrer Not – Thalaëns Hobby übernommen und angefangen ihre Waffen und ihre Ausrüstung zu reinigen und zu erneuern. Und nun brach endlich der Abend herein. Die immerhellen Laternen überall an Bord wurden abgedeckt und das gebundene Feuerelementar in seinem Ring begann Schatten zu werfen.
„Wird wohl Zeit fürs Abendessen“, meldete sich Thalaën und stand auf, reckte seine Glieder und sah sich um. Die meisten anderen Gäste befanden sich entweder im Aufenthaltsraum oder bereits unter Deck.
„Ziemlich viel Verkehr in der Luft“, meinte er schließlich und deutete schräg hinter die Wolkenschicksal.
Stirnrunzelnd erhob sich Esra und blickte in die angegebene Richtung. Ein Luftschiff, etwas kleiner, als die Wolkenschicksal, war dort zu sehen. Und es holte rasch auf.
„Merkwürdig“, sagte Astamalia, die sich neben sie stellte.
Das andere Schiff war nur mehr etwa Hundert Meter von der Wolkenschicksal entfernt. Plötzlich sprangen vier Luken an der Seite auf und aus jeder schoss eine bemannte Scholle hervor. Drei der kleinen, an Ruderboote erinnernden, Jollen rasten direkt auf die Wolkenschicksal zu, die vierte begann das Schiff in weitem Bogen zu umkreisen.
„Marodeure auf Steuerbord, Kapitän!“, gellte plötzlich die Stimme eines Besatzungsmitgliedes.
Mehrere Aufschreie gellten nun über das Deck, als die anderen Passagiere von dem Angriff Wind bekamen. Dennoch war die Stimme des Kapitäns ohne Probleme über den Lärm hinweg zu hören:
„Passagiere unter Deck! Alle Mann auf Kampfstationen!“

Astamalia konnte kaum sagen, wie die Waffe in Thalaëns Hand gekommen war. Aber plötzlich war sie da und der Elf stand Kampfbereit an der Reling. Esra gönnte sich etwas mehr Zeit, war aber nicht weniger effizient darin einen Pfeil in ihren frisch polierten Bogen zu legen.
Adamant murmelte leise ein Gebet und griff nach seinem Schwert und Schild. Endlich kam auch Astamalia in den Sinn einen Zauber auch sich zu sprechen. Eine kaum sichtbare Energiepanzerung materialisierte rund um sie.
Keine Sekunde zu spät. Die ersten beiden Jollen landeten recht unsanft an der Steuerbordseite und sofort sprangen Menschen herab.
Ein flüchtigre Blick auf den ersten Angreifer genügte um den Feind zu erkennen. Streitflegel, Kettenpanzer, Schild und ein Waffenrock auf dem eine grüne Hand prangte.
„Nicht schon wieder diese Kerle!“
Thalaën stürmte vor und hieb auf den ersten ein, der aus der nächsten Jolle trat. Dann entbrannte auf dem gesamten Oberdeck das Chaos. Die nur leicht bewaffneten Mannschaftsmitglieder der Wolkenschicksal hatten gegen die gut gerüsteten und kampferprobten Männer der Smaragdklaue keine Chance. Dennoch kämpften sie tapfer.
Astamalia feuerte magische Geschosse auf jeden Soldaten des Ordens, der ihr nur irgendwie versuchte näher zu kommen, während Adamant und Thalaën Seite an Seite mit den Crewmitgliedern in der ersten Reihe kämpften.
Ein Pfeilhagel ging über die Kämpfenden nieder. Zwei Halbelfen der Wolkenschicksal gingen getroffen zu Boden. Auch Astamalia spürte einen schmerzhaften Stich am Bein.
Sie blickte an sich herab und sah einen Pfeil darin stecken. Blut floss ihre Hose hinab.
Diese Salve reichte aus, damit ein Soldat an dem Elfen und dem Kriegsgeschmiedeten vorbeikommen konnte. Plötzlich zischte ein Streitflegel an Astamalias Kopf vorbei und schrammte ihr die Wange auf.
So war das nicht geplant gewesen. Erschrocken taumelte die Magiern zurück und suchte im Kopf nach einem passenden Zauber für diese Situation. Aber ihre meiste Energie hatte sie bereits verbraucht. Wieder holte der Soldat zum Schlag aus, doch diesmal warf sich ein großer Mensch – nein, ein Halbelf – zwischen sie und die Waffe.
Es war Morgris, de Kapitän der Wolkenschicksal.
„Ihr Wahnsinnigen! Verschwindet von meinem Schiff! Ihr werdet es noch bereuen, dass ihr euch dieses Schiff als Opfer ausgesucht habt!“, schrie er wie irre.
Der Schlag des Soldaten hatte ihn hart getroffen und ihm mindestens eine Rippe gebrochen. Dennoch hieb er mit mehr Kraft als Können auf sein Gegenüber ein. Eine zweite Truppe aus sechs Soldaten des Ordens traf gerade in diesem Augenblick von der anderen Seite her ein und nahm die Abenteurer, sowie den Kapitän in die Zange.
Astamalia wurde es zuviel, als sie einen Schlag abbekam, der ihr die Luft aus den Lungen presste. Sie taumelte nach hinten, fand einen Türknopf und riss die dazugehörige Tür auf. Sie fand sich im Aufenthaltsraum wieder, durch dessen große Panoramafenster der Kampf in seiner ganze Größe zu sehen war.
Das vierte Boot umkreiste die Wolkenschicksal und schickte eine Pfeilsalve nach der anderen auf die Verteidiger. Das dritte Boot hatte an Backbord festgemacht. Daher auch die plötzliche Verstärkung von hinten.
Astamalia überlegte gehetzt, was sie weiter machen sollte. Hier herinnen schien sie im Augenblick sicher zu sein.

Flamme, gib mir Kraft, dachte Adamant bei sich. Gib mit die Kraft, das hier zu überstehen. Egal wie viele Soldaten er niederwarf, von überall schienen ständig neue zu kommen. Ein schmerzerfüllter, mit Flüchen durchsetzter Aufschrei ließ ihn herumfahren.
Kapitän Morgris hatte seine Kräfte wohl etwas überschätzt und sich mit drei Soldaten angelegt. Diese hatten es nun geschafft ihn niederzuringen.
Das war gar nicht gut.
Adamant wirbelte herum und schwang sein Langschwert gegen den erstbesten Soldaten. Dessen Kopf hüpfte grotesk durch die Luft und verschwand in der Dunkelheit neben dem Schiff. Der zweite hob den Schild und erwartete einen weiteren Schlag, während der dritte das Leben des Kapitän mit einem dumpfen Schlag auf dessen Kopf beendete.
„Wir haben unseren Fahrer verloren!“, rief Adamant über den Lärm der Schlacht hinweg und versuchte dabei die Deckung des Soldaten zu durchdringen.
Ein Krummsäbel stach von hinter ihm vorbei und tötete ihn.
„Ich hab es gesehen“, knurrte der Elf. „Dafür werden diese Klauen langsam weniger.“
Adamant sah ich um. Tatsächlich hatten sich die Kämpfe etwas gelichtet. Der Boden war bedeckt mit Leichen in grünen und blauen Kleidern.
„Thalaën, Adamant! Sie sind auf das Unterdeck gelangt!“, hörte Adamant Esras Stimme und fuhr gemeinsam mit dem Elf herum. Gerade noch konnte er erkennen, wie ein Mann mit erhobener Waffe die Treppe hinabstürmte.
„Schnell, ihnen nach!“
Erschrockene Schreie drangen von unten empor und das ekelhafte Klatschen von Metall auf Fleisch war dazwischen zu hören.
„Thalaën, nimm du die linke Treppe, ich nehme die rechte!“, rief der Kriegsgeschmiedete und stürmte voran.
Ein Schauer aus Pfeilen zwang sie jedoch beide nieder.
„Esra, schalte endlich diese Schützen aus!“, rief Thalaën noch, bevor er sich die Treppe hinunter schwang.

Esra sah dem wendenden Boot hinterher und lief auf die andere Seite der Wolkenschicksal, den Bogen bereits in der Hand. Wie vorherzusehen gewesen war, kam die Jolle hier vorbei um auch hier ihre tödliche Last abliefern. Balinor sei dank waren sie so dumm gewesen und hatte zwei Immerhelle Laternen an Bug und Heck der Jolle angebracht. Das Boot war in der Dunkelheit ein hervorragendes Ziel.
Sie feuerte den ersten Pfeil und schwenkte bereits auf das nächste Ziel.
Der Soldat kippte absurd langsam nach hinten und rauschte in die Dunkelhit davon, als der zweite bereits zusammen sackte.
Rasch wendeten die anderen das Schiff und versuchten auf Abstand zur Wolkenschicksal zu gehen. Ein dritter kippte noch getroffen über die Reling, bevor es außer Reichweite war.

Astamalia wagte einen Blick bei der Tür hinaus und sah sofort den blutüberströmten Körper des Kapitäns an Deck liegen.
„Nicht gut“, murmelte sie. Nur mit einem Kapitän konnte ein Luftschiff fliegen. Mit einem Kapitän oder einem anderen Drachenmalträger mit dem Mal des Sturms.
So wie sie einer war.
Jedoch hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nie eine Luftschiff geflogen. Einmal ihrer Mutter assistiert, aber da war es dann auch schon. Aber so schwer konnte das ja nicht sein.
Sie verließ ihr Versteck und rannte in Richtung Brücke.
Vor ihr sickerte Nebel durch den Boden und verfestigte sich.
Schlitternd kam sie zum stehen und beobachte fasziniert, wie sich der Nebel in eine humanoide Gestalt verwandelte. Schließlich grinste sie Lucan an und entblößte seine übergroßen Eckzähne. Eine Sekunde später verwandelte er sich in eine Fledermaus und flatterte in die Dunkelheit davon.

Zufrieden blickte Esra dem davoneilenden Boot nach. Es war erstaunlich schnell.
Nein, halt, es war etwas anderes.
Das andere Schiff kam näher. Sie konnte bereits die Buchstaben am Bug ausmachen: Jadezorn.
Und sie konnte eine Gestalt am Steuerrad am Heck erkennen, die ihr bekannt vorkam.
Sie kniff die Augen zusammen und erkannte Garrow, den Vampir, mit dem sie bereits in Rotbruch und im Klageland Freundschaft geschlossen hatten. Sein Gesicht war zu einer wütenden Fratze verzerrt und er schüttelte seine Hand gegen Esra.
Im nächsten Moment nahm er Anlauf und stürzte sich über die Reling ins Nichts.
Die Jadezorn war bereits sehr groß.
„Wir kollidieren!“, schrie Esra aus vollem Hals.

Thalaën hatte das sehr gute Gefühl, dass die Soldaten überrascht waren, von beiden Seiten angegriffen zu werden. In den engen Gängen unter Deck würde das den raschen Tod aller Ordensmitglieder bedeuten. Und keiner würde ihnen entkommen können.
Adamant und er besetzten beide Ausgänge zum Oberdeck.
„Thalaën! Sie dürfen nicht zu den Quartieren!“, rief der Kriegsgeschmiedete von der anderen Treppe.
„Kein Problem!“, gab der Kämpfer zurück und rammte einem Soldaten seinen Säbel in den Rücken.
„Wir kollidieren!“, hörte er in dem Moment Esras Stimme vom Oberdeck, in einer fast schon panischen Stimmlage. Für den Bruchteil einer Sekunde blieb im das Herz stehen.
„Adamant! Wir müssen hier raus!“
Dann wurden ihm die Füße weg gerissen. Planken splittern und plötzlich konnte er auf das Frachtdeck sehen. Verzweifelt versuchte er sich irgendwo festzuhalten, doch er rutschte noch ein Deck tiefer und schlug hart in irgendeinem Laderaum auf.

Astamalia fuhr herum und es entfuhr ihr ein spitzer Schrei, als sie die Jadezorn in voller Größe vor sich aufragen sah. Dann lief sie los, riss einen der Schwimmreifen von der Wand und versuchte die Brücke zu erreichen. Doch sie schaffte es nicht.
Der Boden schwankte plötzlich wie bei einem Schiff auf hoher See. Rund um sie herum war das Geräusch von überstrapazierten Holz zu hören. Planken brachen und Taue rissen mit peitschenden Geräuschen. Die Jadezorn schien sich unendlich lange in die Wolkenschicksal zu schieben.
Dann endlich hörte der Boden auf sich zu Bewegen und Astamalia rollte sich erleichtert auf den Rücken. Über ihr berührten sich das Feuerelementar der Wolkenschicksal und das Luftelementar der Jadezorn.
Mit einem Knall vernichteten sich die Elementare selbst. Und plötzlich war es ruhig.
Astamalia hatte gar nicht gemerkt, wie sehr sie sich an das stete Prasseln und Knistern des Feuerelementars gewöhnt hatte.
Die nun einsetzende Stille war total.
Als die Schiffe trudelnd abzustürzen begannen, wurde sie durch die Schreie der Passagiere wieder unterbrochen.
Astamalia schrie mit ihnen und klammerte sich an den Rettungsring, den sie von der Wand gerissen hatte.
Wie funktionierte dieses Ding bloß? War es ein magischer Gegentand, der einen schweben ließ, oder war er wirklich nur für Notwasserungen gedacht? Warum hatte sie ihre Mutter nur nie nach der Verwendungsweise für diese Dinger gefragt?

Die Luft wurde ihm hart aus den Lungen gepresst und er sah Sterne. Dennoch rappelte er sich schnell wieder hoch. Von oben waren Schreie zu hören und er konnte förmlich spüren, wie sich das Schiff drehte, kippte und nach unten stürzte. Wenn er nur irgendeine Chance haben wollte, musste er wieder auf das Oberdeck kommen. Er wusste zwar nicht, wie es dort weitergehen sollte, aber ihm war klar, dass er hier im untersten Deck die geringsten Chancen haben würde zu überleben. Thalaën griff nach dem erstbesten Balken und zog sich hoch. Aus den Augenwinkeln sah er Esra, die wenige Meter weiter ebenfalls nach oben kletterte. Anscheinend war auch sie durch eines der Löcher gefallen.
Wie eine Katze kletterte sie die Streben nach oben. Was ihm an Geschicklichkeit fehlte, versuchte der Elf aber wieder an Kraft wett zu machen.
Etwas außer Puste rollte er sich auf das Oberdeck, auf dem Panik pur herrschte. Die überlebenden Passagiere rannten planlos umher und nicht weit von seiner Position schwang sich jemand todesmutig über die Reling und verschwand in der Nacht.
Neben den fallenden Schiffen waren die Gipfel eines Gebirges zu sehen, die immer höher über der Reling aufragten. Sie mussten jeden Augenblick aufschlagen!

Astamalia klammerte sich immer noch an ihren Ring, als die ersten Passagiere von Bord sprangen. Einige versuchten so ihr Glück, andere schnappten sich zuerst einen Ring und sprangen dann. Es musste einfach ein Schwebezauber darin gefangen sein!
Versuchsweise sprang sie mit dem Ring in die Luft.
Nichts passierte.
Sie schlüpfte in den Reifen hinein, doch immer noch blieb sie am Boden.
„Ach was soll’s“, schluchzte sie schließlich und schwang sich ebenfalls über die Reling, die Augen fest geschlossen.
Sie spürten einen sanften Lufthauch und machte die Augen wieder auf. Die ineinander verkeilten Luftschiffe rasten unter ihr ihrer Vernichtung entgegen. Sie schwebte!
Eine katzenhafte Gestalt sprang ebenfalls von Bord und segelte langsam weiter: Esra.

Adamant schnappte sich einen Reifen und sah sich nach dem Elfen um. Thalaën rappelte sich gerade hoch und suchte hastig die Wände der Aufbauten ab. Doch alle Reifen waren weg. Nur mehr einer hing an seinem Platz, doch versuchte den gerade ein anderer Passagier herab zu reißen.
„Thalaën! Hierher! Vielleicht trägt er uns beide!“, rief der Kleriker seinem Freund zu.
Doch der Elf warf seinem massigen Körper und dem kleinen Ring nur einen abschätzigen Blick zu und lief zu dem armen Passagier, der endlich den Ring in Händen hielt.
„Thalaën nicht!“, rief Adamant. Er war schockiert, das hätte er wirklich nicht von dem Elfen erwartet.
Er entriss dem Menschen brutal den Ring und schubste ihn zur Seite. Schnell stieg er in den magischen Gegenstand hinein.
Doch dann stutzte Adamant.
Der Elf riss den verängstigten, am Boden liegenden Mann hoch, wuchtete ihn über die Schulter, lief mit ihm zur Reling und sprang in einem Satz darüber.
Er hatte ihn doch nicht einfach sterben lassen!
Adamant seufzte und sprang als letzter.

„Ich dachte, Ihr wolltet mich töten, oder ohne Rettung auf dem Schiff zurücklassen“, stotterte der Mann mit kreidebleichen Gesicht. Thalaën grinste ihn nur an und wandte sich den zertrümmerten Überresten zu, die unweit von ihnen lagen.
Die Schiffe waren irgendwo in den Bergen auf einem Pass eingeschlagen. Eine schmale Straße schlängelte sich durch das Geröll und im Nordwesten waren die Lichter einer Ortschaft zu sehen. Sie hätten es schlechter treffen können.
Im Licht eines hoch stehenden Vollmondes erkannte Thalaën andere Überlebende und winkte.
Drei Personen winkten rasch zurück. Ihre Schemen waren unverkennbar seine Freunde.
„Los jetzt. In der Stadt wird man uns sicherlich freundlich aufnehmen“, munterte er seinen Begleiter auf, der langsam wieder an Farbe gewann.“
„Ich dachte, du würdest den armen Mann sterben lassen, nur um dein Leben zu retten“, rief Adamant, als er näher kam und schüttelte bewundernd den Kopf. „Ich hatte wohl eine schlechte Meinung von dir.“
„Scheint so. Jetzt aber los. Wir sollten den Anschluss an die anderen nicht verlieren. Wer weiß, was sich hier in der Nacht herumtreibt“, forderte sie Astamalia zum Abmarsch auf.

***

Urosh konnte sich nicht erinnern jemals so knapp seinem untoten Ende entgegengeblickt zu haben. Hätte er sich nicht einen dieser magischen Ringe gesichert, läge sein zertrümmerter Körper jetzt bei den anderen unter all dem Holz begraben. Und er dankte seiner Herrin im stillen dafür, dass sie ihn mit magischen Schutzgegenständen ausgestattet hatte. Er hatte von seinem Versteck aus gesehen, wie dieser lästige Kleriker versucht hatte Untote zu suchen. Fast wäre ihm das gelungen.
Allerdings beunruhigte es Urosh, dass der Kleriker anscheinend auch keine Spur von Lucan gefunden hatte. Das war ganz und gar nicht gut.
Aber vielleicht wussten diese Abenteurer mehr. Vielleicht musste er sie nur nett fragen.
Ein gemeines Lächeln umspannte seinen bandagierten Mund.
Dann lief er los.
Er war nicht sehr vorsichtig. Sollten sie ruhig hören, dass er kam. Vielleicht sagten sie ihm dann schnell genug, was er wissen wollte.
Die Wandlerin drehte sich als erste nach ihm um und fuhr erschrocken herum, Pfeil und Bogen bereits in der Hand. Das machte ihm nicht viel aus.
„Wo ist Lu’an?“, rief er. „Wohin ist e’ unte’wegs? U’osh muss ihn finden!“
Nun hatten alle vier ihre Waffen bedrohlich gezogen. Anscheinend zeigte seine Aura bei ihnen keine Wirkung. Nur ihr unbekannter Begleiter schien sich vor Angst in die Hose zu machen.
„Weiche endlich von uns, du Ausgeburt der Finsternis!“, rief der Kriegsgeschmiedete zornig und hob sein heiliges Symbol.
Urosh erstarrte, als er die Wellen guter Energie spürte, die gegen seinen Körper brandeten. Anscheinend hatte er die wachsenden Kräfte der Gruppe unterschätzt.
„He’’in, ich habe ve’sagt“, keuchte er, als er zurückwich und die Abenteurer sich schreiend auf ihn stürzten.

***

Die Stadt erwies sich mehr als eine Festung, denn eine Siedlung. Es war Strengtor, die Grenzstadt von Breland am Marguul Pass. Sie waren bereits einmal durch diesen recht ungastlichen Ort gekommen, als sie von ihrem Abenteuer aus dem Klageland heimreisten. Von hier weg hatten sie die Blitzbahn genommen um weiter nach Sharn zu reisen.
Auch in dieser Nacht stand ein Zug fahrbereit im Bahnhof.
„Wir sollten uns erkundigen, wann dieser Zug fährt, und was sein Ziel ist. Vielleicht versucht Lucan damit weiter zu reisen“, schlug Astamalia vor.
„Können wir gerne machen. Aber zuerst lasst uns ein Quartier suchen, indem wir schlafen können. Der Kampf gegen diese lästige Mumie war nicht gerade sehr erfrischend. Ich kann mich vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten.“
Mittlerweile ließen Worte dieser Art vom Elfen kaum noch jemanden aufhorchen.
Die Schenke, die für sie noch geöffnet hatte trug den einfachen Namen Zur Feste und erwies sich als nicht sonderlich luxuriös.
Astamalia seufzte, sagte aber nicht mehr zur kalten und klammen Ausstattung der Zimmer. Mittlerweile war sie einfach schon zu viel gewöhnt, als dass sie sich über solche Belanglosigkeiten noch aufregen wollte. Dennoch empfand sie es immer noch als Zumutung.
„Nacht“, sagte sie in Richtung des anderen Bettes, in dem sich Esra zusammengerollt hatte. Doch die Wandlerin schien bereits zu schlafen.

***

Thalaën unterdrückte einen resignierenden Aufschrei, als er die endlose graue Ebene vor sich erblickte. Er drahte sich einmal im Kreis, doch wie bei seinem letzten Besuch, erstreckte sich diese Ebene scheinbar endlos in alle Richtungen.
Und wieder waren überall diese merkwürdigen Gesichter zu sehen.
An einem der steinernen Köpfe blieb er hängen.
Es war das Gesicht einer jungen hübschen Elfe.
Der einzigen Elfe, so weit er sehen konnte.
Interessant.
Er hob den Stein auf und wog ihn abschätzend in der Hand.
„Was wohl passiert, wenn ich diesen Stein einstecke?“, fragte er sich selbst.
Seine Stimme klang unangenehm laut in dieser stillen Landschaft.
Rasch ließ er den Stein in seiner Kleidung verschwinden.
Hinter ihm schnaubte etwas.
Schnell drehte er sich um…
… und erstarrte.
Vor ihm stand ein prächtiger schwarzer Hengst. Ein valenarsches Reitpferd, von seinen Ahnen zur Perfektion gezüchtet.
„Na, wie kommst du denn hierher?“
„Ich bin hier, weil du hier bist“, antwortete das Pferd. „Mein Name ist Talaën Kara…“
„Der Name auf meinem Säbel“, flüsterte Thalaën zu sich.
„Ich bin hier um dich zu schützen.“
„Wovor zu schützen?“; wunderte sich der Elf.
Doch da hatte das Pferd bereits Anlauf genommen und sprang ihn an. Mitten im Sprung verwandelte es sich in einen sirrenden Doppelkrummsäbel, der sicher in Thalaëns Hand landete. Es war seine Waffe, die er im Klageland gefunden hatte.
Er spürte, dass er beobachtet wurde.
Er drehte sich um.
Auf der Ebene stand ein Alptraum.
Das Monster stand auf mehr als einem Dutzend Beinen und sein segmentierter Körper erinnerte sehr an einen riesigen Tausendfüßler. Doch der aufgerichtete, muskulöse Oberkörper strafte diesem Vergleich Lügen. Zwei Klingen aus reiner Energie entsprangen den Armen und zehn blau leuchtende Augen starrten ihn von dem kopflosen Torso herab an.
Ohne Vorwarnung griff das Monster an und schnitt ihm hart ins Fleisch.
Thalaën schrie auf vor Schmerz und Überraschung, schlug ebenfalls zu.
Rasch kam er in den Takt des Kämpfens.
Teilte aus, parierte, steckte ein.
Das Monster war ein hervorragender Kämpfer und seine Waffen richteten furchtbare Wunden an.
„Bald werde ich herausfinden, ob das alles wirklich nur ein Traum ist, oder ob ich hier auch sterben kann. Zumindest fühlen sich die Schmerzen schon sehr echt an“, dachte er bei sich und parierte abermals einen harten Schlag, der ihm die Hand prellte.
Für die nächste Parade war er zu langsam und die Energieklinge des Monsters bohrte sich tief in seine Brust.
Er kippte nach hinten, die Landschaft verschwamm vor seinen Augen.
Es wurde schwarz.
Aus der Dunkelheit war ein lautes Lachen zu hören.
Olashtai!

Mit einem Schrei setzte er sich auf, sank aber mit einem Stöhnen sofort wieder zurück auf das Bett. Etwas ängstlich schob er die Bettdecke von sich.
Er hatte keine offenen Wunden, kein Blut bedeckte seinen Körper.
Doch jeder Schlag, den das Monster bei ihm angebracht hatte, war durch einen fast schwarzen Bluterguss gut gekennzeichnet.
„Ich will nicht mehr schlafen“, seufzte er und setzte sich langsam auf. Seine Hand berührte dabei etwas.
Etwas aus Stein.
Erstaunt sah er das in Stein gemeißelte Gesicht der Elfe an, das neben ihm im Bett lag. Thalaën war zwar kein Experte was Schlafen und Träume anging, aber er war sich sehr sicher, dass es mehr als nur ungewöhnlich war, wenn man Gegenstände aus seinem Traum mitbrachte.
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 05. April 2008, 23:15:36
Alte Feinde

Es war nicht schwer herauszufinden, dass die Blitzbahn am frühen Morgen des nächsten Tages abfahren würde. Mit Ziel in die Flammenfeste.
„Das ist nicht weit von Korth entfernt. Mit einem Schiff kann man in einem halben Tag leicht übersetzen“, klärte Astamalia die anderen über die geographische Lage auf. „Es ist stark anzunehmen, dass Lucan diesen Zug nehmen wird. Wenn wir davon ausgehen, dass er immer noch nach Korth und damit nach Karrnath reisen will.“
„Davon müssen wir ausgehen. Das ist die einzige Spur die wir haben“, nickte Adamant. „Ich werde Fahrkarten kaufen gehen.“
„Ich komme mit“, schloss sich Esra an.
„Gut. Ich werde inzwischen die hiesige Bibliothek aufsuchen und nachlesen, wie man Vampire und Mumien am besten unschädlich macht. Ich denke zwar nicht, dass ich hier viel finden werde, aber ein Versuch ist es wert.“
„Darf ich mich dir anschließen?“, fragte Thalaën, der schon den ganzen Morgen über auffällig still gewesen war.
„Sicher doch“, war Astamalia erstaunt. „Aber was willst du in einer Bibliothek?“
„Ich möchte etwas über Träume und die Kalashtar nachlesen.“
Astamalia zuckte mit den Achseln.
„Wie du meinst. Brechen wir auf.“

***

Thalaën kannte Bibliotheken bis jetzt mehr oder minder nur vom Hörensagen. Er war in den Ebenen von Aerenal groß geworden, wo große Siedlungen, die so etwas enthielten, nicht existierten. Er hatte sich solche Bibliotheken aber immer sehr eindrucksvoll vorgestellt.
Deswegen war er auch etwas enttäuscht.
Die hiesige Bibliothek wurde von der Kirche der Göttlichen Heerschar und der hiesigen Kommandantur der breländischen Armee betrieben. Daran lag es wohl, dass sie nicht sehr umfangreich war.
Zudem war das Wissen sehr speziell.
Die meisten Bücher behandelten Lokalfolklore, Geschichte Zilargos und Brelands. Außerdem fanden sich viele Informationen zu den Goblinoiden die jenseits des Passes in den Bergen und in der Ebene lebten.
Zu den Kalashtar gab es nur ein Buch. Aber das war besser als nichts.
So fand er zumindest heraus, dass die Kalashtar den Kontinent Sarlona bewohnten. Die alte Heimat der Menschen, bevor sie nach Khorvaire gekommen waren. Sehr viel war aber über diesen Kontinent nicht bekannt. In dem Buch stand, dass große Teile Sarlonas von einem Imperium regiert wurde, dass sich Riedra nannte. Riedra wiederum stand unter der Kontrolle der Erleuchteten. Menschen, welche den Geist eines Quori in sich trugen. Die Quori wiederum waren Bewohner von Dal Quor, der Ebene der Träume.
Thalaën massierte sch seine Schläfen. Er hatte das dumpfe Gefühl, dass er bald Kopfschmerzen bekommen würde. Es mochte gut sein, dass dieses Buch nur sehr oberflächlich war und nur eine sehr grobe Einführung in die Geschichte Sarlonas gab, aber für ihn war das schon mehr als genug.
Er blätterte weiter, irgendwo musste es doch noch Informationen zu den Kalashtar geben.
Endlich hatte er ein recht kurzes Kapitel gefunden, dass sich anscheinend mit dieser Spezies beschäftigte.
Rasch überflog er die wenigen Seiten.
Alle Kalashtar gemeinsam beherbergten die Reste eines Quori in sich. Im Gegensatz zu den Erleuchteten, die von ihrem jeweiligen Geist besessen waren, behielten sie weiterhin ihr freies Handlungsvermögen. Außerdem waren sie in einer Art Widerstandskampf gegen Riedra verwickelt, der schon seit Jahrhunderten andauerte.
Aber auch hier sagte das Buch nichts genaueres aus.
Seufzend schlug er den Deckel wieder zu und schob es von sich.
Irgendwie fühlte er sich nun nicht schlauer als zuvor.
„Hast du etwas herausgefunden?“, fragte er an Astamalia gewandt, die intensiv in drei Büchern zugleich schmökerte.
„Mhm“, murmelte sie, blieb aber ansonsten still.
Es verging gut eine weitere Stunde, bis sie das erste Mal aufsah.
„Ich habe etwas herausgefunden, auch wenn es nicht viel ist. Und das meiste war uns eigentlich schon bekannt“, beantwortete sie seine Frage, als wäre nicht eine Minute in der Zwischenzeit vergangen.
„Die Bibliothek hier hat leider keine eigene Abteilung, die sich mit Untoten beschäftigt. Ich habe nur gelesen, dass Mumien sehr anfällig sind gegenüber Feuer, dafür aber sehr resistent gegen jede andere Art von Waffe. Aber das wussten wir ja schon.“
„Wir haben es am eigenen Leib erfahren, ja“, nickte Thalaën. Er war froh, dass der Kampf gegen diese Mumie Urosh auf dem Pass in der letzten Nacht so glimpflich ausgegangen war. Im Gasthof Zur überfahrenen Harpyie hätte es sie fast das Leben gekostet.
„Außerdem habe ich etwas über Vampire gelesen“, fuhr Astamalia fort. „Auch über die habe ich nicht viel Neues erfahren. Schon gar nicht, wie man sie effektiv bekämpft. Mehr, wie man sie sich im Alltag vom Hals halten kann. Sie mögen kein Sonnelicht, keine heiligen Symbole und keinen Knoblauch. Und man kann sie nur mit einem Pflock wirklich umbringen.“
„Dann sollten wir uns wohl alle mit Knoblauch eindecken, bevor uns Adamant ein Symbol seiner Kirche aufdrängt“, lächelte Thalaën. „Lass uns nachsehen, was die anderen in der Zwischenzeit erreicht haben.“

***

Esra war inzwischen weit herumgekommen. Dennoch war sie der Meinung, dass sie noch nicht einmal in Rukaan Draal so schlecht gegessen hatte, wie in diesem Gasthof.
Oder verweichlichte sie inzwischen? Durch den vielen Umgang mit Astamalia?
Sie nahm einen weiteren Löffel von ihrer Haferschleimsuppe, die nicht einmal gesalzen war und schob dann angewidert die Schüssel weg. Nein, das war es nicht. Das Essen war wirklich widerlich.
In diesem Moment ging die Tür auf und der Elf kam zusammen mit der Magiern wieder.
„Ich habe einen gigantischen Hunger“, seufzte Thalaën und ließ sich auf einen freien Stuhl fallen. „Diese Bibliotheken sind nichts für mich. Was gibt es zu essen?“
„Haferschleimsuppe. Nimm meine“, lud ihn Esra ein und schob ihm die Schüssel hin. „Bist du schlauer geworden, Astamalia?“
Die Halbelfe nickte und begann zu erzählen, was sie herausgefunden hatte.
„Es ist nicht viel“, schloss sie. „Aber im Notfall wissen wir, wie wir uns Lucan vom Hals halten und dann verschwinden können. Habt ihr schon Fahrkarten besorgt?“
Esra nickte.
„Ja, vier Plätze zweiter Klasse nach Flammenfeste.“
Als sie das angewiderte Gesicht von Astamalia sah, zuckte sie mit den Achseln.
„Ging leider nicht besser. War auch so schon sehr teuer und hat fast alle unsere Reserven aufgebraucht. Sehr lange darf diese Hetzjagd nicht weite gehen, sonst müssen wir etwas verkaufen. Wir haben außerdem beim Rückweg einen Spaziergang gemacht und ein Hospital von Haus Jorasco in der Stadt gesehen. Wir könnten dort wegen Knoblauch anfragen. Immerhin ist das ein universal einsetzbares Heilmittel.“
Diesmal erntete sie von Adamant und Astamalia zweifelnde Blicke.
„Wirklich“, verteidigte sich die Wandlerin. „In Grünherz wird das oft eingesetzt.“

***

Adamant sah sich neugierig um. Er war das erste Mal in seinem doch sehr kurzen Leben in einem Krankenhaus. Die Eingangshalle war recht groß und sehr teuer ausgestattet. Überall eilten Halblinge geschäftig hin und her. Alles wirkte sehr professionell, eingespielt, vor allem aber sauber. Adamant konnte sich nicht erinnern, je einen so reinlichen Raum gesehen zu haben.
„Fragen wir am besten dort nach, ob sie Knoblauch für uns haben“, deutete Astamalia in eine Richtung, an der sich ein riesiger dunkler Schreibtisch befand, hinter dem ein etwas genervt wirkender Halbling saß.
Vor dem Schreibtisch lag eine Bahre, um die herum sich zwei Elfen und ein Halbling versammelt hatten. Die Elfen wirkten recht aufgelöst.
Neugierig trat Adamant näher.
„…wenn ich es Euch doch sage. Sie ist gestern Abend eingeschlafen und heute morgen nicht aufgewacht“, jammerte die Elfenfrau und streichelte dabei die Haare einer jungen elfischen Frau, die mit geschlossenen Augen auf der Bahre lag und scheinbar schlief.
„Nun, ich weiß nicht recht, was wir hier machen können“, wehrte der Halbling ab. „Ihr wisst, dass dies ohnehin ein sehr außergewöhnlicher Fall ist. Daher kann ich auch keine Diagnose stellen, wie sich der Zustand der Dame weiter entwickeln wird. Ich habe bereits Anfragen an Enklaven überall auf dem Kontinent versandt, aber bis jetzt scheint jeder meiner Kollegen ebenso ratlos zu sein, wie ich. Wir stehen vor einer medizinischen Kuriosität. Noch nie zuvor hat jemand davon gehört, dass Elfen schlafen.“
Adamant wurde hellhörig und drängte sich näher. Da stach ihm etwa violettes ins Auge und er schob den Mediziner sanft zur Seite.
„Einen solchen Anhänger hat unser Elf auch“, murmelte er und hob den Kristall hoch, den die junge Elfe an einer Kette um den Hals trug.
„Was?“, entfuhr es dem Elfen, anscheinend dem Vater des Mädchens.
„Thalaën, sie mal. Ich denke du hast einen Leidensgenossen gefunden!“, rief er zu den andere hinüber, die sich gerade mit einem anderen Arzt unterhielten, der Esra sehr skeptisch anblickte.

Thalaën fühlte sich in dem Krankenhaus ebenso wenig wohl, wie in der Bibliothek. Er freute sich schon darauf, wenn sie endlich wieder einmal ein Stück Wildnis durcheisen würden. Ohne Luftschiff aber diesmal.
„Was gibt es denn?“, fragte er den Kriegsgeschmiedeten.
„Ihr schlaft ebenfalls in der Nacht?“, fragte der Elf, bevor Thalaën antworten konnte.
„Äh ja“, antwortete Thalaën verdattert. „Eure Tochter etwa auch?“
„Ja, seid längerer Zeit. Wir haben sie deswegen schon regelmäßig hierher zur Untersuchung gebracht“, klärte ihn die Mutter auf. „Aber die Ärzte konnten nichts ungewöhnliches feststellen. Nur, dass sie eben Abends müde wird und dann zu schlafen anfängt. Aber heute morgen ist sie einfach nicht aufgewacht und wir wissen nicht mehr, was wir tun sollen.“
Interessiert beugte sich Thalaën über das Mädchen und er spürte, wie er jede Farbe verlor.
Er kannte dieses Gesicht.
Es war das Gesicht der Elfe, deren Steinkopf er aus dem Traum mitgenommen hatte!
„Stimmt etwas nicht?“, fragte der Vater.
Rasch schüttelte Thalaën den Kopf und deutete sofort auf den Anhänger, den die Elfe trug.
„Woher hat sie diesen Kristall? Ich habe einen gleichen und muss seitdem ich ihn geschenkt bekommen habe ebenfalls jede Nacht schlafen.“
„Vor über einem Monat war eine Frau bei uns zu Gast. Wir betreiben eine kleine Gastwirtschaft. Sie hatte kaum noch Geld und fragte uns, ob sie uns nicht etwas von ihrem Hab und Gut als Bezahlung anbieten könnte. Dabei verwies sie besonders auf den Kristall, der meiner Tochter auch sehr gut gefiel. Darum haben wir das Angebot angenommen. Wenn wir nur geahnt hätten, was das für Folgen haben würde, dann hätten wir auf eine Auszahlung bestanden.“
Der Elfe standen die Tränen in den Augen. Fürsorglich legte ihr ihr Mann den Arm um die Schultern.
„Hatte die Frau vielleicht auffallend violette Augen, dunkles Haar, war sehr groß?“, fragte Thalaën weiter.
„Ja.“
„Hatte sie den Namen Olashtai?“
„Mir scheint, meine Tochter und Ihr hattet Bekanntschaft mit derselben Dame“, nickte der Vater ernst. „Vielleicht sollten wir in Verbindung bleiben. Dürfte ich wohl um Euren Namen und Eure Adresse bitten? Ihr seid unser einziger Ansprechpartner in dieser speziellen Situation.“
Thalaën nickte.
„Natürlich.“
Während er mit der Familie Informationen austauschte, versuchte er sich nicht schuldig an dem Zustand des Mädchens zu fühlen.

„Wir haben für jeden ein Fläschchen Knoblauchöl und für jeden fünf Knoblauchzehen. Damit werden wir zwar alle schlimm stinken, aber es wird hoffentlich auch gegen Lucan nützlich sein“, präsentierte Esra ihre Beute, als sie das Krankenhaus wieder verlassen hatten.
„Mhm“, machte Thalaën abwesend.
„Was ist denn mit dir los?“, fragte Astamalia verwundert.
„Nichts“, schüttelte Thalaën den Kopf. Es war noch nicht an der Zeit, seinen Freunden von den letzten Erlebnissen in seinem Traum, sowie dem Steinkopf zu erzählen. Später vielleicht, wenn er selbst genauer wusste, was hier eigentlich vor sich ging.

***

Es war noch dunkel, als sie von Adamant geweckt wurde.
„Warum kann der Zug nicht eine Stunde später fahren?“, gähnte die Wandlerin.
„Tut er auch. Aber es ist etwas passiert, dass ihr sehen solltet“, klärte sie der Kleriker auf und deutete auf den Boden.
Verwirrt blickte Esra aus dem Bett.
„Nicht schon wieder…“, seufzte sie.
Zwischen ihrem und Astamalias Bett leuchtete ein verworrenes Drachenmal auf dem Boden.
„Wenn wir wenigstens wüssten, ob dies ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist“, murrte Esra. Wenn solche Male an anderen auftauchten, dann störte sie das eher weniger. Allerdings wenn diese Zeichen anfingen sie zu verfolgen, dann war ihr das unheimlich.
„Die letzten beiden Male haben sie eigentlich nichts ausgelöst“, beruhigte sie Astamalia. „Vielleicht kommt das, womit sie in Zusammenhang stehen erst noch auf uns zu. Aber wir sollten uns über etwas, das wir ohnehin weder verstehen noch lösen können, nicht den Kopf zerbrechen. Der Augenblick, indem diese Male wichtig werden, kommt sicherlich noch früh genug. Lasst uns aufbrechen und das Frühstück im Zug einnehmen. Noch so eine Mahlzeit in dieser Schenke werde ich nicht überleben.“
Esra hatte wie die anderen bereits am Vortag gepackt und so waren sie rasch zum Aufbruch bereit. Ohne ein weiteres Wort zu den ebenfalls noch recht verschlafenen Wirtsleuten traten sie in die Dämmerung hinaus.
Es war recht klamm und Nebel hing zwischen den Häusern der Stadt. Kein Laut war durch die Schwaden hindurch zu hören und selbst ihre eigenen Schritte wirkten stark gedämpft. Rasch eilten sie in dem Zwielicht durch die Straßen der Stadt zum Bahnhof.
Als sie diesen erreichten hatte die Sonne die ersten Sonnenstrahlen zwischen zwei Berggipfeln in die Stadt geschickt und den schlimmsten Nebel vertrieben. Am Bahnsteig herrschte außerdem geschäftiges Treiben, der die Stimmung in der Gruppe wieder beträchtlich hob.
Esra beobachtete das Gedränge am Bahnsteig mit wenig Begeisterung. Sie hätte eine Weiterreise auf einem Pferd oder einem anderen Reittier vorgezogen. Alleine auf einer Landstraße mit all der Natur rundherum. Nun nicht mit all diesen geschäftigen und gestressten Personen auf engem Raum.
Nur diese Frau am anderen Ende des Bahnsteiges schien ebenso die Ruhe zu genießen, wie es Esra noch tat, bevor sie in den Waggon stieg.
Die Frau.
Sie kannte diese Frau!
Das war Lucans Begleiterin.
Esra griff nach ihrem Köcher, als die Frau ihre Hände hob und rote Kugeln daraus hervorsprühten und Esra in die Brust trafen. Hart wurde sie nach hinten geschleudert.
„Was?!“, hörte sie Astamalia verwirrt rufen.
Thalaëns Schritte waren zu hören, wie er sich im Laufschritt auf die Frau zustürzte. Von einem Augenblick zum Nächsten war der Bahnsteig menschenleer. Alle hatten sich entweder in die Waggons oder in das Bahngebäude geflüchtet.
Esra sprang auf.
Plötzlich war die Luft mit Knistern erfüllt und ein blauer Blitz sprang über den Bahnsteig. Quer durch Thalaën hindurch, der vor Schmerz aufschrie. Dennoch lief er stur weiter, seinen Doppelkrummsäbel hoch zum Schlag erhoben.
Als er seinen ersten Treffer landete begann Adamant ebenfalls zu laufen. Astamalia schleuderte magische Geschosse ab, die aber durch einen magischen Schild abgelenkt wurden.
Esra feuerte. Die ersten beiden Pfeile gingen daneben, doch der dritte fand sein Ziel. Ebenso der nächste.
Die Begleiterin Lucans kämpfte verbissen. Sie hielt länger stand, als Esra normal einem Magier zugetraut hätte, der gerade von einem Valenarelfen bearbeitet wurde.
Doch schließlich ging sie erschöpft zu Boden. Sie hatte bis zu ihrem letzten Zauberspruch gekämpft.
Der Zug pfiff.
„Schnell, wir müssen an Bord!“, rief Esra und verstaute ihren Bogen wieder am Rücken. Sie fand es erstaunlich, dass noch niemand aufgetaucht war, um sie festzunehmen. Immerhin hatten sie gerade mitten auf einem belebten Bahnsteig ein Frau getötet.
Astamalia lief an ihr vorbei und kniete neben der toten Frau nieder, klopfte ihre Kleider ab und zog etwas daraus hervor.
„Rasch jetzt!“, rief auch die Magierin und sprang durch eine offene Tür in den Waggon.
Esra und die beiden anderen hetzten hinterher.

Astamalia hatte sich gerade auf einer freien Sitzbank niedergelassen, als sich der Zug in Bewegung setzte. Durch das Fenster konnte sie auf den Bahnsteig blicken. Mehrere Wachen waren dort gerade erschienen und blickten dem abfahrenden Zug ratlos hinterher. Solange sie nicht versuchten den Zug anzuhalten waren sie erst einmal in Sicherheit.
Natürlich konnten sie mit Hilfe von Haus Sivis die Garnison in der nächsten Stadt benachrichtigen, aber bis dorthin würde ihnen sicherlich noch etwas anderes einfallen. Zur Not konnte sie immer noch ihre Ausweise herzeigen.
„Was hast du der Frau am Bahnsteig abgenommen?“, fragte Esra, die ihr Gepäck fertig auf einer Ablage verstaut hatte.
Grinsend zog Astamalia einen ledernen Einband hervor, auf dem das Siegel von Haus Sivis prangte.
„Ausweispapiere. Mich interessiert sehr, wer diese Frau war.“
Sie öffnete die Mappe. Darin befand sich ein fein gezeichnetes Porträt der Frau, die sie gerade umgebracht hatten.
„Grilsha Stellos, wohnhaft in Sharn, Magierin“, las sie die wichtigsten Eckpunkte vor. „Entweder war es seine Frau oder seine Schwester.“
„Egal, nun ist sie nicht länger unser Problem“, knurrte Thalaën, der immer noch Zuckungen durch den Stromschlag erlitt. Außerdem standen seine Haare wild nach allen Seiten ab und widerstanden jedem Versuch wieder geglättet zu werden. Adamant war schon damit beschäftigt seine schlimmsten Wunden mittels göttlicher Magie zu versorgen.
„Entschuldigt, ist hier noch frei?“, fragte plötzlich jemand.
Alle vier sahen erstaunt auf.
Eine junge Gnomin mit Rastafrisur und in recht robust wirkende Hosen und Weste gekleidet stand bei ihrem offenen Abteil. Ohne eine Antwort abzuwarten setzte sie sich zu Esra und Astamalia auf die Bank.
„Das war ja ein beachtlicher Kampf auf dem Bahnsteig. Würdet Ihr so frei sei und mir ein Interview geben? Man hat nicht oft die Möglichkeit Abenteurer in Aktion zu bewundern und sie danach auch noch in zivilisierter Ruhe über das gerade erlebte zu befragen.“
Sie zog einen Notizblock und eine Feder hervor, wobei die Feder von alleine in der Luft über dem Block schweben blieb.
„Wer seid Ihr eigentlich?“, fragte Astamalia pikiert. Sie war über das plötzliche eindringen dieser Person gar nicht erfreut. Das war eben der Nachteil, wenn man zweiter Klasse reiste.
„Mein Name ist Raffina Aliana Sanadal Federkiel Dalian, freie Mitarbeiterin der Korranberger Chronik. Stets zu diensten.“
Sie machte eine angedeutete Verbeugung.
„Ah“, machte Thalaën. „Ich kenne nur den Sharner Kobold. Ist die Korranberger Chronik eine bekannte Zeitung?“
Astamalia musste sich beherrschen um ein lautes Auflachen zu unterdrücken. Von solchen Dingen hatte Thalaën eben keine Ahnung. Das war ihm aber nicht einmal anzukreiden. So lange befand er sich immerhin noch nicht auf dem Kontinent.
„Ich habe schon gehört, dass Ihr mit den hiesigen Sitten noch nicht so vertraut seid, Thalaën Tedaé. Wie fühlt man sich so, so weit weg von zu Hause?“
Thalaën sah sie ebenso erstaunt an wie die drei anderen.
„Vielleicht könnt Ihr eine politische Stellungnahme abgeben: Wie steht Ihr dazu, dass Eure Landsmänner einen Teil der Fünf Nationen annektiert und dann den Friedensvertrag unterzeichnet haben, aber bis heute immer noch mit Karrnath in einem inoffiziellen Krieg liegen?“
„Äh…“, machte Thalaën.
„Stimmt es, dass Ihr Volk Unsterblichkeit durch das Töten von anderen zu erlangen versucht? Findet Ihr das vertretbar?“, hakte sie nach und blickte den verdatterten Elfen erwartungsvoll an.
„Ich denke, Ihr verallgemeinert hier etwas“, versuchte Adamant seinem Freund zur Seite zu stehen.
„Ah, Priester Adamant“, lächelte sie an. Dabei betonte sie das Wort, Priester, als sei es etwas abwertendes.
„Habt Ihr etwas gegen die Kirche der Silbernen Flamme?“, erkundigte sich Adamant. Bereit sofort ein Streitgespräch über seinen Glauben anzufangen.
„Nein, wir Gnome sind allgemein sehr offen für alle Glaubensrichtungen. Aber haltet Ihr wirklich so viel auf Euren Titel, den Ihr von einer zweitklassigen Priesterin an einem Ort wie Rukaan Draal erhalten habt?“
„Ihr wisst ziemlich viel über uns“, mischte sich nun auch Astamalia an.
„Nun, Ihr seid Berühmtheiten. Bekannte Helden. Auch wenn es etwas schwer ist, Eure Abenteuer zu verfolgen, da sie immer sehr im Unbekannten passieren.“
„Dann würde es mich umso mehr interessieren, woher Ihr diese Informationen habt“, ließ Astamalia nicht locker.
„Nun. Man kann Informationen ebenso leicht beschaffen, wie man sie verstecken kann“, antwortete Federkeil orakelhaft. „Wollt Ihr vielleicht etwas über Eure Erlebnisse in den Magierakademien in den Fünf Nationen sprechen? Meine Leser sind immer sehr an Geschichten über die Hohe Kunst interessiert.“
Astamalia spürte, dass sie bleich wurde und beschloss nichts mehr zu sagen. Dennoch war ihr die Frau unsympathisch.
„Um wieder auf Euch zurückzukommen, Priester Adamant.“
Wieder diese abfällig Betonung.
„Da Ihr ja Priester seid, seid ihr auch der Meinung, dass Ihr eine Seele habt? Ich meine, da Ihr ja nur ein erschaffenes Konstrukt seid.“
„Ja, ich habe eine Seele“, antwortete Adamant rasch und mit Überzeugung. Über diese Frage hatte er schon viel früher nachgedacht und eine recht eindeutige Antwort für sich darauf gefunden.
„Interessant. Aber findet Ihr es nicht auch einen Widerspruch gerade Diener jener Kirche zu sein, die den Kriegsgeschmiedeten dieses Recht abstreitet, oder zumindest anzweifelt? Und die außerdem den Kriegsgeschmiedeten immer noch nicht die Freiheit wieder gegeben hat?“
Adamant erstarrte. Das hatte er nicht gewusst. Eigentlich hatte er angenommen, dass die Kriegsgeschmiedeten überall auf der Welt frei wären, jetzt, nachdem der Friedensvertrag unterzeichnet worden war.
„Ich denke, es reicht jetzt“, knurrte Esra.
„Ah, ja. Esra Emorien. Die Wandlerin mit der schlichten Vergangenheit“, freute sich Federkiel. „Findet Ihr es nicht einen Verrat an Euren Ahnen, mit einem Kleriker ebenjener Kirche befreundet zu sein, die Eure Ahnen und vielleicht auch Verwandten unbarmherzig jagte und an den Rand der Ausrottung brachte?“
„Ihr solltet jetzt wirklich besser gehen“, sagte Esra noch einmal und verschränkte die Hände vor der Brust.
Auch die anderen machten jetzt deutlich, dass sie nicht ein weiteres Wort sagen würden. Das schien Federkiel aber leider nicht zu stören. Sie blieb sitzen.
So verlief die Weiterfahrt sehr schweigsam.

Am Abend, nach dreizehn Stunden Fahrt, erreichte der Zug Starliskatur.
„Ich verabschiede mich hiermit“, brach Federkiel das Schweigen und lächelte sie alle von oben herab an. „Ihr könnt in der nächsten Ausgabe der Korranberger Chronik sicherlich einen spannenden Artikel über Euch finden. Vielleicht solltet Ihr Euch eine Ausgabe kaufen. Bildet sicherlich auch mehr als der Sharner Kobold.“
Damit verließ sie die vier Abenteurer und stieg aus dem Zug.
„Endlich“, stieß Astamalia die Luft aus, als hätte sie sie die ganzen letzten Stunden angehalten. „Woher hatte diese Person all diese Informationen?“
„Keine Ahnung“, brummte Esra. „Aber wenn wir Pech haben, sehen wir sie gleich wieder. Sie hat einen Brief bei uns verloren.“
Damit zog sie ein Kuvert aus den Ritzen zwischen den Sitzen.
„Interessant: An meine Freunde, steht hier“, las Esra vor und machte dann ungefragt den Brief auf.
„Ich grüße Euch, treue Freunde!“, begann Esra vorzulesen. „Ihr seid sehr schnell vom Ball aufgebrochen, dabei war doch gerade sein Ende sehr spektakulär…!“
„Nicht der schon wieder!“, stöhnte Astamalia und schlug die Hände vors Gesicht.
„…Und wenn ich euch daran erinnern darf: Ihr habt eure Pferde in der Stadt vergessen. Aber keine Angst, sie sind bei mir gut aufgehoben. Habe ich bereits erwähnt, dass ich eine Modekollektion für Pferde geplant habe? Wenn ihr das nächste mal in Trolanhafen seid, könnt ihr sie bei mir abholen. Und vielleicht bleibt ihr dann auch länger, so dass wir uns etwas unterhalten können. Bis dahin wünsche ich euch auf eurer Reise noch viel Glück.
Bodinar Turenhart.“
„Unsere armen Pferde“, jammerte Astamalia weiter.
Esra grinste und deutete auf den Brief:
„Hier gibt es noch ein post scriptum: Nehmt euch in acht. Dieses Spiel, an dem ihr teilnehmt, spielen Profis seit vielen Jahren. Nicht wie ihr erst seit einigen Wochen. Und es sind sehr viel mehr Leute an dem schönen Blondschopf und seiner Waffe interessiert, als ihr euch vorstellen könnt.“
„Es war klar, dass Bodinar mehr über unseren Auftrag weiß, als er zuzugeben bereit war“, nickte Adamant. „Der Kerl scheint über so ziemlich alles Bescheid zu wissen.“
„Ebenso wie diese Reporterin. Die arbeiten sicher zusammen“, vermutete Esra und faltete den Brief wieder zusammen.
„Aber wir sollten ihn wirklich einmal besuchen. Wenn er uns schon bittet, sich etwas mit ihm zu unterhalten, dann will er uns vielleicht etwas mehr sagen. Vielleicht bekommen wir dann endlich raus, wer oder was er wirklich ist“, schloss Adamant.
Und damit konnten alle gut leben.

***

Am nächsten Vormittag erreichte der Zug die Grenzstadt Vathirond. Hier besorgte sich Thalaën noch gültige Reisepapiere für Thrane und Karrnath. Das war mit den Ausweisen von Hauptmann Viorr nicht weiter schwierig. Am Nachmittag gab es an der Grenze zu Thrane einen weiteren Aufenthalt. Ritter aus Thrane prüften den gesamten Zug und jeden Ausweis genauestens.
Es schien fast unmöglich, dass ein mächtiger Vampir ihren Durchsuchungen nicht auffallen konnte. Doch der Zug fuhr weiter, ohne dass Lucan ihn verlassen hätte.
Der restliche Nachmittag verging ohne weitere besondere Ereignisse und die vier machten sich für eine weitere Nacht im Zug bereit.
Von weiter hin waren Schrei zu hören.
Irritiert sahen sie sich an.
Ein weiterer Schrei ertöne und Adamant steckte seinen Kopf auf den Gang, blickte nach hinten.
Am Gang im vorderen Waggon stand ein Kriegsgeschmiedeter, er einer älteren Frau ein Langschwert an die Kehle hielt. Sie schrie kurz auf, bevor ihr der Stahl den Kopf von den Schultern trennte.
Adamant wirbelte herum, suchte nach seinem Schwert.
Draußen vor dem Fenster zischte ein Halbling auf dem Rücken eines geflügelten Dinosauriers vorbei.
„Wir werden angegriffen“, erklärte er den anderen, die ebenso verblüfft waren, wie er selbst.

Im Bruchteil einer Sekunde hatten Thalaëns Instinkte die Kontrolle übernommen und er sprang mit seinem Säbel in der Hand auf den Gang hinaus. Der Kriegsgeschmiedete war nicht alleine. Sie waren insgesamt mindestens zu viert. Vielleicht auch noch mehr.
Der Elf bleckte die Zähne und stürmte auf den ersten los.
Der Gang war schmal und für das Kämpfen nicht sonderlich geeignet. Aber das sollte ihn nicht aufhalten.
Was schon viel unangenehme war, war die Tatsache, dass die Körper der Kriegsgeschmiedeten ohne Ausnahme aus Adamantit zu bestehen schienen. So konnten sie viel Schaden einfach absorbieren und sein Schwert wurde schartig.
Thalaën atmete schmerzhaft ein, als ihm sein Gegner einen tiefen Schnitt am Arm zufügte.
Wütend holte er heftig aus und rammte ihm das Schwert durch seine Körperrüstung hindurch.
Bis zum Heft rammte er es hinein, bevor er es genüsslich wieder herauszog.
Thalaën seufzte.
Irgendwie war es langweilig Kriegsgeschmiedete zu töten. Sie hatten weder einen theatralischen Todeskampf, noch verströmten sie literweise Blut.
Aber zumindest stand bereits der nächste bereit.
„Wo ist das Schöpfungsmuster?“, schrie der Geschmiedete, als er den ersten Schlag von ihm parierte.
„Was?“, war Thalaën erstaunt und vergas fast den nächsten Angriff abzuwehren. Nur ein rascher Sprung nach hinten rettete ihn vor einem vernichtenden Treffer.
„Das haben wir schon lange nicht mehr bei uns!“, schrie er zurück und hieb gleichzeitig nach ihm.
„Lügner!“, rief der Kriegsgeschmiedete und kämpfte verbissen weiter.

Adamant stand untätig hinter seinem Freund Thalaën. Der Gang war einfach zu eng, als das sie zu zweit kämpfen konnten und Adamants Fernkampfwaffen lagen alle gut verstaut in seinem Rucksack, der sich wiederum im Gepäckfach ihres Abteils befand.
Es würde in diesem Moment zu lange dauern, sie zu suchen und einsatzbereit zu machen.
Doch der Elf schien auch so gut klar zu kommen, auch wenn er schon einige schwere Treffer kassiert hatte.
Kurz entschlossen legte er dem Elfen die Hand auf und murmelte einige Worte. Durch göttliche Magie schlossen sich einige der Wunden wieder und gaben Thalaën Kraft weiter zu kämpfen.
Der zweite Kriegsgeschmiedete fiel.
„Thalaën pass auf! Sie verschwinden auf das Dach!“, rief Adamant, als er einen Blick an dem Elfen vorbei wagte. Der erste Kriegsgeschmiedete stand bereits auf der Leiter und versuchte das Dachluk zu öffnen. Hinter ihm stand noch ein weiterer, während ein dritter wieder auf Thalaën losstürmte.
„Ich sehe es, aber ich komme hier nicht vorbei!“
Adamant sah sich rasch um und sah sich um. Dann steckte er rasch ein Schwert weg und versuchte zwischen den beiden Waggons auf das Dach zu kommen. Es erwies sich jedoch als nicht so einfach seinen schweren Körper hochzuheben und an der recht glatten Außenwand des Waggons hochzuklettern. Er hinterließ einige sehr tiefe Beulen in der Metallverschalung, ehe er auf dem Dach anlangte.
Sofort sirrte ihm ein Speer um die Ohren, geworfen von einem der Halblinge.
„Bei der Flamme! Was bringt diese Halblinge dazu sich mit dem Klingenfürsten einzulassen?“, fragte er sich, während er wieder sein Schwert zog.
Auf dem anderen Waggon waren bereits die zwei Kriegsgeschmiedete hochgeklettert und wirkten wenig begeistert, dass man ihnen auch hier den Weg versperrte.
Einer der beiden nahm Anlauf, übersprang den gut zwei Meter breiten Abgrund zwischen den Waggons und stürmte auf Adamant zu, der unter der Heftigkeit dieses Sturmangriffs zurückwich.

Esra machte es dem Kleriker gleich und arbeitete sich auf das Dach hoch. Für sie erwies es sich als viel einfacher, als für den schweren und beiweite nicht so behänden Kriegsgeschmiedeten.
Dafür landete sie inmitten des Kampfgetümmels. Sie machte eine Rolle seitwärts um einem Schlag auszuweichen, versuchte nicht vom Dach zu Fallen und zog im aufstehen ihr Schwert. Ein Kriegsgeschmiedeter mit einem gefährlich aussehenden Krummsäbel starrte sie an.
Und er wirkte, als hätte er im Nahkampf mehr Erfahrung als sie.

Thalaën rang den letzten Kriegsgeschmiedeten im Waggon nieder und folgte seinen beiden Freunden auf das Dach hinterher.
Astamalia überlegte kurz, tat es ihm dann aber gleich, hetzte dem Elf auf den Fuß die Leiter hinauf nach.
Oben herrschte das Chaos und die Magierin bereute fast augenblicklich, dass sie nicht unten geblieben war. Die beiden Kriegsgeschmiedeten wehrten sich tapfer und über ihnen allen glitten immer wieder die Halblinge dahin, die zwar mit wenig Präzision, dafür aber mit viel Kraft Wurfspeere nach ihnen schleuderten.
Astamalia versuchte sich von dem Tumult nicht abdrängen zu lassen und schleuderte dem erstbesten der beiden Kriegsgeschmiedeten eine Ladung magischer Energie entgegen.

Plötzlich wurde Thalaën von hinten angerempelt, geriet ins stolpern und glitt auf dem geneigten Dach aus. Im Fallen sah er aus den Augenwinkeln das unergründliche Gesicht des Kriegsgeschmiedeten mit dem Krummsäbel.
Dann war das Dach plötzlich aus.
Doch seine Reflexe waren noch nicht eingerostet. Er warf sich herum und krallte seine Finger an den Rand des Daches, versuchte nicht nach unten zu blicken, wo die Landschaft in Windeseile vorbei flog.
Der Kriegsgeschmiedete tauchte vor ihm auf und hob seinen Säbel.
Doch dann kam auch der Geschmiedete ins Taumeln, hieb nach etwas hinter ihm und verschwand dann wieder aus Thalaëns Sichtfeld. Kurz bekam er eine wirbelnde Esra zu sehen, die ihn anscheinend ablenkte.
Eine wahre Freundin, dachte Thalaën bei sich. So gut er konnte sammelte er seine letzten Kräfte und spannte seine überstrapazierten Muskeln an, zog sich mit letzter Kraft wieder auf das Dach.

Astamalia musste wieder einmal am eigenen Leib erfahren, dass es gefährlich sein konnte, wenn einen die Gegner als ernsthafte Bedrohung einstuften. Und das geschah ihr in letzter Zeit leider immer öfter.
Ein Kriegsgeschmiedeter ließ plötzlich von Adamant ab, überwand den Abgrund zwischen den Waggons und sprang sie mit hocherhobenem Schwert an. Die Magierin hatte kaum Zeit zu reagieren.
Ihre Magierrüstung half in diesem Moment relativ wenig, als ihr das Schwert tief ins Fleisch schnitt.
Sie schrie auf und presste ihre Hände auf die Bauchwunde, aus der ein steter Strom aus Blut floss. Das war das Ende, dachte sie bei sich.
Der Kriegsgeschmiedete ragte hoch über ihr auf, hob das Schwert, und kippte plötzlich lautlos zur Seite und vom Zug. Hinter ihm stand Adamant, gespickt mit Speeren und etlichen klaffenden Wunden in seinem künstlichen Körper. Er hielt sich nicht lange bei ihr auf, sondern sprang gleich zu Esra weiter.
Astamalia blickte immer noch ungläubig auf die Menge Blut, die aus ihrem Körper floss.
Sie musste rasch hier weg, weg aus diesem Kampfgeschehen, bevor sie jemand in diesem Zustand fand und ihr den Gnadenstoß verpasste.
Ungelenkig sprang sie auf die Plattform zwischen den beiden Waggons und holte ein Fläschchen blauer Flüssigkeit hervor, das sie rasch hinunter stürzte.
Sie spürte sofort, wie der Blutschwall nachließ und als sie an sich herabsah, konnte sie eine leicht vernarbte Bauchdecke sehen. Sie atmete erleichtert auf.
Vielleicht würde sie den heutigen Tag doch noch überleben.
Sie horchte auf.
Es waren neue Kampfgeräusche zu hören. Diesmal kamen sie von weiter vorne.
Anscheinend gab es dort einen weiteren Trupp an Kriegsgeschmiedeten oder anderen Gegnern.

Esra wurde unter den harten Schlägen des Anführers – zumindest kämpfte er besser als die anderen – immer weiter zurückgedrängt und sie spürte hinter sich bereits das Ende des Daches. Dennoch wich sie Zentimeter um Zentimeter zurück. Adamants Schläge von hinten schienen ihren Gegner nicht sehr zu stören.
Schließlich trat sie ins Leere und unterdrückte einen Aufschrei, als der Waggon an ihr vorbeiraste.
Sie tastete mit den Händen nach irgendetwas, woran sie sich festhalten konnte.
Sie fand im Sturz einen kleinen Vorsprung am Fahrgestell des Wagens. Knapp unter ihr rauschte die Landschaft dahin. Sie konnte die Blitzsteine sehen und die Entladungen, die zwischen dem Waggon und den Steinen stattfanden.
Sie spannte ihren Körper an und versuchte probeweise einen ihrer Haltepunkte loszulassen um sich nach oben zu ziehen.
Das hätte sie besser nicht getan.
Hart schlug sie auf der Erde auf und kullerte noch einige Meter weiter, bis sie endlich zum liegen kam.
Der Zug raste an ihr vorbei in die Nacht hinein.

Astamalia hatte noch genau einen wirkungsvollen Zauber im Repertoire und den gedachte sie jetzt anzuwenden. Sie wartete geduldig, bis sie drei Kriegsgeschmiedete sah, die durch den Salonwaggon auf sie zustürmten. Dann brachte sie einen gut gezielten Feuerball an.

Esra lief dem Zug hinterher so schnell sie konnte. Wenn sie sich nicht täuschte, dann wurde er ohnedies bereits langsamer und würde in absehbarer Zeit stehen bleiben.
Plötzlich erleuchtete Feuer die Nacht. Aus einem der Waggons schossen Feuerlanzen aus den Fenstern, Schreie waren bis zu ihr zu hören.
Irgendjemand hatte einen Feuerball gezündet. Hoffentlich war es Astamalia gewesen.

Thalaën langte nach seinem Bogen. Diese Halblinge wurden nun wirklich lästig. Sie beschränkten sich mittlerweile nicht mehr nur darauf Speere zu werfen, sondern machten auch Sturzkampfangriffe gegen ihn und seine Freunde.
Eigentlich wäre das Esras Aufgabe gewesen, aber nachdem sie vom Zug gefallen war, würde er zur Abwechslung einmal mit Pfeil und Bogen kämpfen.
Er ziele, schoss, traf.
Der Halbling grunzte laut auf, flog noch kurz auf seinem Dinosaurer mit und kippte dann in die Dunkelheit nach unten.
Im selben Moment kam der Zug abrupt zum stehen und Thalaën landete unsanft auf seinem Gesäß.

Der plötzliche Stopp war das Todesurteil des letzten Kriegsgeschmiedeten. Er stürzte nach vor, direkt in Adamants Klinge und der zog das Schwert einmal brutal durch den bereits schwer in Mitleidenschaft gezogenen Körper.

Esra sah, dass der Zug angehalten hatte und beschleunigte ihre Schritte, als sie über sich ein Geräusch hörte.
Einer der Gleitflügler zog nur wenige Meter über ihr dahin und dann landete etwas schwer vor ihr im Gras.
Erschrocken sprang sie zurück, bevor sie erkannte, was es war.
Vor ihr lag ein Halblingsreiter. Einen Pfeil direkt zwischen den Augen.
„Gut geschossen, Thalaën“, lobte sie.
Im Zug vor ihr war es ruhig geworden.
Achselzuckend wandte sie sich der Leiche zu. Vielleicht hatte der Reiter Reichtümer bei sich, die verwendbar waren.

Astamalia war selbst überrascht von der Wirksamkeit des Feuerballs. Vier geschmolzene und verbrannte Überreste von Kriegsgeschmiedeten lagen im Waggon verstreut.
Leider aber auch die Leichen zweier Passagiere, die hier Zuflucht gesucht hatten. Astamalia unterdrückte ein schlechtes Gewissen.
Sie hatte die beiden nicht gesehen und ohne den Feuerball wären sie wahrscheinlich durch die beiden Kriegsgeschmiedeten gestorben.
Auch wenn das natürlich nicht sicher war und nie jemand würde beweisen können…
Ein Geräusch schreckte sie hoch.
Am anderen Ende des Waggons stand ein Wesen und starrte sie an.
Auf den ersten Blick wirkte es wie ein Wandler. Aber es war keiner. Zumindest nicht nur. Das Wesen hatte verschiedene Teile in sich implantiert, die stark an einen Kriegsgeschmiedeten erinnerten. Und eine der Hände schien komplett amputiert zu sein und wurde durch eine riesige adamantene Faust ersetzt.
„Wer bist du? Was bist du?“, keuchte Astamalia.
Doch das Wesen gab keine Antwort es sprang aus dem Waggon und raste mit unglaublicher Geschwindigkeit in die Dunkelheit davon.
„War das Lucan?“, fragte Adamant, der gerade in dem Moment vom Dach kam.
„Nein, das war etwas anderes“, fröstelte Astamalia immer noch. Noch nie in ihrem Leben hatte sie etwas so unheimliches gesehen. Und das bei all dem Erlebten in der jüngsten Vergangenheit.
„Nun, dann befindet er sich noch irgendwo im Zug. Und da niemand mehr von Haus Orien übrig ist, wird uns auch niemand daran hindern, ihn gründlich zu durchsuchen.
„Seht!“, rief Thalaën. „Da läuft er!“
Ein riesiger Wolf entfernte sich vom Zug und rannte auf eine Stufenpyramide zu, die nur unweit der Bahnstrecke stand.
„Jetzt haben wir ihn“, freute sich Adamant.
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 05. April 2008, 23:17:27
:!:

Nach langen Kapitel wieder einmal ein verzweifelter Aufruf nach Kommentaren seitens der stummen Mitleserschaft, so sie denn existiert...

 :!:
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Topas am 08. April 2008, 16:44:48
Aber ja sie existiert. Ich lese diese Storyhour mit großem Vergnügen.

Die Gnomin Federkiel erinnert ich stark an die Reporterin aus Harry Potter, mit der schwebenden Feder und den unangenehmen Fragen. Hast du dich da inspirieren lassen ?
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 08. April 2008, 16:48:09
Erwischt  :D
Es fielen auch am Tisch sofort die ersten Anmerkungen deswegen. Dafür konnte sich jeder augenblicklich die penetrante Art und Weise vorstellen, mit der sie ihre Fragen vortrug und jeden einzelnen Charakter löcherte.

Es ist zudem gut zu wissen, dass man nicht nur schreibt um die Leere des WWW zu füllen...  :grin:
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Boïndil am 08. April 2008, 22:29:33
Ne, schreibst du nicht. Obwohl ich selbst zur Zeit fast nur noch Eberron spiele, habe ich diese Kampagne noch nie gespielt, obwohl sie doch eigentlich den Einstieg ins Setting bieten soll.
Insgesamt eine gute SH, ist eine von den dreien, die verfolge. Mein NSC Liebling ist ja eigentlich Turenhart. Wie eigentlich alle Gnome. Ich finde du bringst die Geheimniskrämerei der Rasse in Eberron sehr schön rüber. Das einzige, was mir an dieser SH noch fehlt, ist ein Lieblings SC. Da konnte ich mich noch für keinen entscheiden (obwohl der Elf gute Chancen hat. Valenar an die Macht.)
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 10. April 2008, 14:43:43
Die Kampagne sollte man unbedingt mal gespielt haben. Ich fand, dass man sie ohne viel Mühe zu sehr guten Abenteuern entwickeln kann. Vor allem gerade deswegen, weil sie sehr viel Eberron-Flair einfangen. Leider ist nur das Ende der Trilogie sehr offen - was natürlich zu weiteren Abenteuern aus eigener Feder führen kann.

Bezüglich Turenhart: Tja, auf den nächsten Auftritt des Gnoms wird man wohl etwas warten müssen...  :(
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 11. April 2008, 22:11:23
Geist der Flamme

Nach einer viel zu kurzen Nachtruhe brachen sie auf. Immer noch waren sie alle vier erschöpft von den Ereignissen der letzten Nacht. Aber niemand wollte, dass Lucan entkam, nur weil sie sich zu lange ausruhten.
Auch wenn klar war, dass er im Tageslicht nicht aus der Pyramide kommen würde; das wäre sein sofortiger Tod.
Sie marschierten bis zum Ufer des Sees. Jenseits des dunkel daliegenden Gewässers lag eine uralte Stufenpyramide, vermutlich ein alter Tempel. Eine breite Treppe führte in der Mitte des Tempels zu einem dunklen, klaffenden Durchgang. Als hätte er auf sie gewartet tauchte Lucan kurz darin auf und blickte zu ihnen zurück. Dann trat er in den Schatten und wurde von der Dunkelheit verschluckt.
„Bei unserem Glück befindet sich irgendein Untier darin, das uns frisst, bevor uns Lucan töten kann“, murrte Astamalia, die sich durch den Kampf in der letzten Nacht immer noch geschwächt fühlte.
„Aber es wird sicherlich nicht sehr gerne Adamantit fressen und gegen Lucan sind wir immerhin vorbereitet“, beruhigte sie Adamant. „Ich werde auf dem Grund des Sees bis zur Pyramide gehen. Dann kann ich euch auch sagen, wie tief es ist. Und wenn mich nichts attackiert, dann werdet ihr auch ungeschoren davonkommen.“
Obwohl Astamalia die Idee für nicht besonders klug hielt, brachte sie keine Einwände ein. Besser der Kriegsgeschmiedete als sie, dachte sie bei sich. Auch wenn es natürlich nicht sehr gut war, wenn sie den einzigen Heiler in der Gruppe verloren.
Doch Adamant war ohnedies bereits losmarschiert und fast zur Gänze im Wasser verschwunden. Er hob noch seine Hand mit dem Schwert hoch über den Kopf, dann war er weg. Aber das Schwert und sogar noch ein Teil seines Armes waren weiterhin zu sehen. Der See konnte also nicht sehr tief sein.
Minuten später erreichte er unbeschadet die Treppe des Ziggurats und winkte ihnen zu.
„Na dann mal los. Wird schon schief gehen“, grinste Thalaën und warf sich ins Wasser. Esra folgte ihm. Astamalia hatte etwas weniger Begeisterung und brauchte etwas länger.

Die Pyramide war riesig! Vor allem dann, wenn man direkt davor stand. Esra überlief ein Schauer, und das sicher nicht nur wegen des kalten Wassers des Sees. Der Eingang, hatte aus der Distanz sehr klein gewirkt. Auch wenn man mit Lucan in seinen Pforten bereits gesehen hatte, dass er größer sein musste, als er wirkte. Aber nun, da sie direkt davor stand, musste sie feststellen, dass sie problemlos auf Adamants Schultern stehen könnte, und wahrscheinlich immer noch nicht die Decke berühren würde.
„Lasst uns dieses untote Monster endlich zur Strecke bringen“, hörte sie hinter sich die Stimme des Klerikers. Adamant hatte bereits zwei Fackeln angezündet und gab eine davon an Astamalia weiter. Dann marschierten sie in die Pyramide hinein. Thalaën ging voran, dann folgten Adamant, Astamalia und Esra bildete den Abschluss. Der Gang brachte sie nur wenige Meter in die Pyramide hinein, bevor er sich wieder weitete.
Die polierten, grauen Marmorwände des ersten Raumes in den sie kamen, waren mit Mustern überzogen, die im Licht der Fackeln an einen bewegten Ozean erinnerten. Zwei Säulenreihen erstreckten sich links und rechts vom Eingang bis zum hinteren Ende des Raumes. Jede der Säulen war mit hervorstehenden Scheiben überzogen, die die Säulen aussehen ließen, wie die Tentakeln eines Tintenfisches.
„Merkwürdige Architektur“, zog Esra eine Augenbraue hoch.
Die anderen stimmten ihr mit einem stummen nicken zu, dann marschierten sie weiter, durch den Ausgang am anderen Ende. Dahinter befand sich eine nach oben führende Treppe, die in einen weiteren Raum führte.

Astamalia musste ehrlich zugeben, dass ihr beinahe Tod in der letzten Nacht sie etwas ängstlich und übervorsichtig gemacht hatte. Andererseits war das sicherlich nichts schlechtes. Aber es zeichnete nicht gerade einen wagemutigen Abenteurer aus, wenn sie die Luft anhielt, als sie zusammen den zweiten Raum betraten. Doch nichts tödliches mit rasiermesserscharfen Zähnen fiel sie an.
Nur ein Podest mit einem riesigen Steinaltar darauf, dominierte den Raum. Bereits vom Eingang konnte Astamalia einen breiten Schlitz sehen, er sich oben in dem Altar befand.
Die Wände waren bedeckt mit den verblassten Fresken von roten Dämonen, die alle in Richtung des Eingangs zu blicken schienen.
Dutzende kleine Haken waren in der Decke verankert und starke Ketten verliefen von den Ecken des Altars zur Decke.
Astamalia trat vorsichtig vor und besah sich den Altar genauer. Spuren von eingetrocknetem Blut waren darauf zu erkennen.
„Ein Opferstock“; flüsterte sie und wich zurück.
„Ein Opferstock mit einer Schublade!“, rief Thalaën und deutete auf eine steinerne Lade, die in den Altar eingelassen war. Er wollte sie schon öffnen, als ihm Astamalia mit ihrem Kampfstab auf die Finger klopfte.
„Lass das. Mir ist das nicht geheuer“, fuhr sie ihn an. Dann betrachtete sie sich das ganze genauer. Aber sie war nun einmal Magierin und kein Dieb, der sich mit versteckten Fallen und Sicherungseinrichtungen auskannte.
„Geht alle bis zur Wand zurück, ich möchte etwas ausprobieren“, gebot sie den anderen und trat selbst bis an die Wand. Dann wandte sie einen Zaubertrick an, den man in sie in der Akademie bereits im ersten Jahr gelernt hatte. Eine hilfreiche unsichtbare Hand.
Damit versuchte sie die Lade zu öffnen, in der Hoffung, dass sie für diese schwache Art von Magie nicht zu schwer war.
Doch so weit kam es gar nicht. Kaum hatte die Hand die Lade berührt, klappte bis auf einen schmalen Bereich am Rand der ganze Boden des Raumes nach unten auf. Die Ketten, mit denen der Altar an der Decke gehalten wurde, knirschten bedrohlich, hielten dem Gewicht aber stand.
„Danke“, machte Thalaën und leuchtete in den entstandenen Schacht nach unten. Die Fallgrube war recht tief. So tief, dass das Licht der Fackel nicht bis nach unten reichte.
„Das hätte mein Tod sein können“, fügte Thalaën hinzu.
„Keine Ursache“, grinste Astamalia. „Beim nächsten Mal einfach nicht wieder alles anfassen.“

Die Treppe hinter dem Opferraum führte hinauf in einen weiteren Raum in der Pyramide. Dieses mal waren die Wände mit aus Stein gehauenen Tierköpfen geschmückt. Bei vielen Köpfen waren die Augen durch Smaragde dargestellt, wodurch sie grün funkelten, sobald ein Lichtschein auf sie fiel. In der Mitte des Raumes stand ein steinerner Tisch und hinter dem Tisch stand eine riesige bewegungslose Kreatur mit dem Kopf eines Stiers. Das Fleisch der Kreatur war bereits stark verfault und an manchen Stellen konnte man sogar Knochen erkennen.
Plötzlich hob der untote Minotaurus seine riesige zweihändige Axt und marschierte langsam auf sie zu.
„Diesmal bin ich dran!“, rief Thalaën und stürmte nach vorne, seinen Säbel kampfbereit in der Hand. Mit Anlauf sprang er auf den Tisch und wirbelte seine Waffe rasend schnell herum. Keiner aus der Gruppe konnte rasch genug reagieren um ihn zu unterstützen, als der Minotaurus auch schon lautlos zu Boden ging.
So als wäre nichts passiert sprang Thalaën über sein Opfer und grinste die anderen an.
„Na los, weiter. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“

Nun standen sie in einer Art Treppenhaus, indem es sowohl nach oben, nach unten und weiter in das Innere der Pyramide hinein weiterging. Nach kurzer Diskussion entschieden sie sich für die Treppe nach oben.
Sie durchquerten einen lang gezogenen Raum, indem ein Schwarm tollkühner Käfer glaubte ein passendes Mittagessen in ihnen zu finden. Astamalia machte ihnen aber mit einem gut gezielten Zauber den Gar aus.
Weiter ging es nach oben.
Adamant nahm an, dass sie sich schon fast in der Spitze des Ziggurats befinden mussten, als er vor ihnen einen Lichtschein ausmachte. Er deutete den anderen stehen zu bleiben und deutete dann auf den Eingang, aus dem das düstere Licht kam.
Sofort begann Astamalia Schutzzauber auf sich zu wirken und auch Adamant verstärkte Thalaëns Kraft durch ein göttliches Gebet.
Sie nickten einander aufmunternd zu und betraten dann den Raum.
An den Wänden hingen kupferne Feuerschalen, die den Raum in rötliches Licht tauchten. Die Kuppeldecke war an ihrem höchsten Punkt gut und gerne neun Meter hoch und bot damit genug Platz für eine große, groteske Statue, die einen Dämon mit Fledermausflügeln und Widderkopf darstellte. Zwischen den Füßen der Statue befand sich eine Art Thron auf dem Lucan mit halb geschlossenen Augen dem kommenden entgegenblickte.
Vor der Statue befand sich eine Reihe von Steinsarkophagen.
„Warum verfolgt ihr mich?“, fragte Lucan mit leiser, gepresster Stimme. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen und sein Gesicht war verzerrt, als ob er Schmerzen hätte. „Warum könnt ihr mich nicht einfach in Ruhe lassen?“
„Du weißt, dass wir das nicht können“, erwiderte Adamant. „Du bist in die königliche Schatzkammer eingebrochen und hast ein mächtiges Schwert gestohlen. Außerdem dürfen es die Königs schatten nicht zulassen, dass die Informationen, die du besitzt, in die Hände von Karrnath oder ein anderen Nation fallen. Wir wurden gut informiert Lucan.“
„Ihr wisst gar nichts!“, schrie er und sprang auf. „Ihr habt keine Ahnung, was ich durchleiden musste. Was ich immer noch mitmache!“
„Wir könnten dir helfen“, versuchte Astamalia diesen Punkt aufzunehmen. „In Sharn kann man dir sicher helfen. Wir bringen dich zurück in deine Heimat, zu deiner Familie…“
„Meine Familie?“, rief Lucan und lachte wie irre. „Die einzige Familie die ich hatte liegt tot am Bahnsteig von Strengtor! Haltet mich nicht für dumm! Ich habe gesehen, wie ihr meine Schwester getötet habt.“
Und damit war das Gespräch für ihn beendet.
Die Seelenklinge erschien plötzlich in seiner Hand und damit sprang er auf den etwas überraschten Thalaën zu. Esra übergoss sich nur eine Sekunde später mit dem stark riechenden Knoblauchöl.

Thalaën bekam nur aus den Augenwinkeln mit, was die anderen machten. Er hatte genug damit zu tun, sich Lucan vom Hals zu halten. Und das war nicht sehr einfach. Er war schnell. Sehr schnell.
Er näherte sich seinem Schwert immer nur für einen Angriff, um sich dann sofort wieder zurückzuziehen. Und meistens noch dazu irgendwo auf die Kuppel hinauf, wo er ihn nicht erreichen konnte.
Damit nicht genug schien seine Waffe gegen den Vampir nicht sehr hilfreich zu sein. Sobald er ihm auch nur eine Wunde zugefügt hatte, schloss sie sich fast augenblicklich wieder.
„Silber! Wir brauchen Silber!“, rief Astamalia, die immer wieder magische Geschosse nach ihrem Gegner warf.
Thalaën sah sie irritiert an, holte dann aber seinen Rucksack vom Rücken und begann fieberhaft nach dem Fläschchen Silberöl zu suchen, das sich irgendwo darin befinden musste.

Esra setzte dem Vampir unbewusst am meisten zu.
Bereits beim Eintreten in den Raum, hatten sie die Särge gestört. Wer wusste schon, was sich unter den Steinplatten noch an Untoten verbarg. Vielleicht noch mehr Vampire, die Lucan dann auf sie hetzen konnte?
Während die anderen versuchten Lucan in Schach zu halten und eine mögliche Schwachstelle zu entdecken – auch Adamants Abwehrversuche mit seinem Symbol der Flamme halfen nicht – platzierte sie eine Knoblauchzehe nach der anderen. Auf jedem Sarg eine.
Sicher war sicher.
Dann erst wandte sie sich wieder dem Kampfgeschehen zu. Lucan hatte sein Kampfgebiet inzwischen auf die Decke und den Bereich hinter der Statue eingeschränkt. Anscheinend war ihm der starke Knoblauchgeruch im vorderen Bereich einfach zuwider.
Esra grinste zufrieden. Vielleicht brachten sie ihn doch noch klein.
Doch dann fiel ihr Blick auf Thalaën. Er war blutüberströmt und schien sich kaum noch auf den Beinen halten zu können. Wenig war von seiner heroischen Kampfkraft geblieben. Es schien, als würden Lucans Klauen, jedes Mal ein Stück seiner Lebenskraft aus ihm saugen. Zumindest aber schien auch Lucan schwächer zu werden. Das kurzzeitig mit Silber überzogene Schwert fügte ihm Wunden zu, die er so schnell nicht wieder schließen konnte.
Esra zückte ihren Bogen und begann in rascher Folge auf den Vampir zu feuern. Die Pfeile bewirkten zwar nicht sehr viel, aber vielleicht konnte sie so die Aufmerksamkeit von Lucan auf sich lenken.
„Adamant, Thalaën! Zieht euch zurück!“, rief Astamalia plötzlich.
Esra warf der Magierin einen Seitenblick zu. Sie webte gerade an einem etwas komplizierteren Zauberspruch, wie es schien.
Die beiden Männer sprangen rasch in Deckung, dann detonierte auch schon ein Feuerball hinter der Statue. Ein Schmerzensschrei von Lucan war zu hören, aber er war immer noch nicht tot.

Adamant sprang wieder hinter die Statue.
Lucans Kleidung schwelte und er selbst taumelte.
Der Kleriker nutzte die Gelegenheit und rammte dem Agenten das Schwert in den Bauch.
Beinahe augenblicklich verwandelte er sich in eine Gaswolke.
Langsam trieb er auf die Wand hinter der Statue zu und verschwand schließlich zwischen den Ritzen mehrerer Steine.
„Los! Wir müssen ihm nach und ihn vollständig vernichten!“
Mit diesen Worten schlug er mit seiner Kampffaust auf die Mauer ein.
Bereits nach wenigen Schlägen brachen Steine heraus und ein Raum dahinter wurde sichtbar.
Adamant leuchtete hinein.
Es war ein senkrechter Schacht, der weit nach unten zu führen schien. Eine rostige Metallleiter führte an einer Wand nach unten und verschwand in der Dunkelheit.
„Er muss irgendwo dort unten sein!“, teile er den anderen mit und machte sich daran den Schacht vollständig frei zu legen.

Astamalias Arme schmerzten, als sie endlich das Ende des Schachtes erreichte. Sie mussten die gesamte Pyramide wieder nach unten geklettert sein. Wahrscheinlich befanden sie sich sogar irgendwo unterhalb des Baues.
Brackiges Wasser stand in dem engen Raum, indem sie sich nun zu viert quetschten. Eine schmale Steintür führte nach draußen.
„Alle bereit?“, fragte Thalaën, wartete jedoch nicht einmal das Nicken der drei anderen ab, sondern öffnete schwerfällig die alte Tür.
Das laute Schlagen von Trommeln schlug ihnen entgegen. Überall im Raum wuchs Moos – an den Wänden, der Decke und auch an den Überresten von Teppichen, die von der Decke hingen und früher wahrscheinlich einmal als Raumteiler dienten. In einem Eck standen zwei Kesseltrommeln, über denen ein schwerer Schlegel in der Luft schwebte und wie von Geisterhand geführt die Trommeln schlug.
Astamalia war überrascht, dass ihr das alles in diesen Details auffiel, wo sie doch eigentlich von dem Monster vor sich sehr abgelenkt war.
Ein dreibeiniges Wesen, mit zwei riesigen Tentakeln und einem Auswuchs, indem sich drei Augen befanden, stand ihnen gegenüber. Der Körper schien fast nur aus einem Maul mit rasiermesserscharfen Zähnen zu bestehen.
Thalaën stürzte sich, ohne lange nachzudenken tollkühn auf das Monster. Neben Astamalias Ohr zischte ein Pfeil vorbei. Sie selbst, ihrer Magierkräfte für diesen Tag schon beraubt, hob ihre Armbrust und feuerte ebenfalls auf das Wesen.
Plötzlich schoss einer der Tentakeln vor und umfasste Esra, zog sie hinaus in den Raum.
Währenddessen schaffte es das Monster aber auch noch problemlos Thalaën mit seinen Zähnen in Schach zu halten.
Adamant sprang der Wandlerin bei und teilte mit einem gut gezielten Schlag den Tentakel des Monsters ab.
Voller Schmerzen schrie es grell auf und versuchte sich zurückzuziehen. Aber dazu ließ es Thalaën nicht kommen.

Adamant öffnete die einzige Tür des Raumes. Ihr gegenüber gab es noch eine Treppe, die nach oben führte. Diese wollten sie inspizieren, falls sie hier unten Lucan nicht fanden. Aber Adamant war sich sicher, dass sie knapp vor dem Ende ihrer Jagd standen.
Mit aller Kraft schob er die Tür auf.
Dahinter stand ebenfalls das Wasser knietief und überall im Raum hoben sich Särge wie kleine Inseln aus dem brackigen Wasser.
„Hoffentlich sind die Särge leer“, seufzte Astamalia. „Mein Bedarf an Kämpfen ist für heute mehr als gedeckt.“
„Lasst uns nachsehen“, schlug Adamant lakonisch vor.
Einen Deckel nach dem anderen hoben sie herab. Unter jedem fanden sie Überreste von Hobgoblinoiden, die hier vor Jahrtausenden begraben worden waren. Zu ihrer aller Zufriedenheit bewegte sich aber keine der Leichen.
In einem der letzten Särge, die sie öffneten, fanden sie schließlich einen friedlich schlafenden Lucan, die Seelenklinge auf sich liegend, die Hände vor der Brust verschränkt.
„Das war es dann wohl, Lucan“, murmelte Adamant und rammte ihm einen Holzpflock mitten durchs Herz.

***

Esra blinzelte in das grelle Tageslicht und atmete laut auf. Es war doch etwas anderes, im Freien zu sein, als in diesen klammen, dunklen und engen Gewölben, in denen einem an jedem Eck der Tod ereilen konnte.
Sie atmete den Geruch der Ebene ein und sah sich dann um. Im hellen Licht der Nachmittagssonne wirkten der Ziggurat und der See bei weitem nicht mehr so bedrohlich wie an diesem Morgen.
In einiger Entfernung war die Blitzbahnstrecke mit dem Zug darauf zu sehen. Ein weiterer Zug mit nur zwei Waggons war inzwischen dazu gekommen und etliche Personen eilten rund um das Schlachtfeld, dass sie letzte Nacht dort veranstaltet hatten.
Und auch am Fuß der Treppe des Ziggurats stand jemand und blickte zu ihnen empor. Es schien ein Mensch zu sein, in dunkler Kleidung. Und neben ihm stand ein sehr großer Vogel, der Esra an die Drachenfalken aus dem Eldeenreich erinnerte.
„Irgendwie habe ich bereits eine Ahnung, wer das ist“, murmelte Astamalia, als sie den Menschen unter sich erblickte.
Gemeinsam gingen sie hinab und schon bald sahen sie, dass es sich um einen alten Bekannten handelte.
Kasha blickte ihnen mit ernstem Gesicht entgegen. Er trug eine schwarze Uniform, auf der der rote Wolf von Karrnath prangte. An seiner Seite baumelte ein Säbel, der sicherlich nicht nur zur Zierde diente. Und neben ihm stand ein Riesenadler, der einen Reitsattel auf seinem Rücken trug. Das erklärte, wie er den Zug hatte einholen können.
„Ich muss sagen, ich habe euch offenbar unterschätzt“, begrüßte er sie. „Nach eurem Auftritt am Ball der Botschafterin, dachte ich, es würde nicht allzu schwer werden Lucan und das Schwert nach Karrnath zu schaffen.“
„Also seid ihr doch nicht nur ein einfacher Beamter aus Karrnath?“, fragte Astamalia zynisch.
„Doch, doch. Allerdings bin ich Oberst in der Armee. Aber immer noch ein einfacher Beamter, der einfach das Pech hatte, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Als die Klinge gestohlen wurde, befand ich mich gerade inkognito in Sharn und wurde daher beauftragt zu garantieren, dass die Klinge wieder in die Heimat kommt.“
„Und jetzt wollt ihr sie uns wieder abnehmen?“, fragte Esra. Sie war sich nach den letzten erlebten Abenteuern sicher, dass dieser Soldat auch kein großes Hindernis darstellen würde.
„Das wäre mein Auftrag. Aber nachdem ihr es gerade geschafft habt einen Eliteagenten der Zitadelle auszuschalten und immer noch alle lebt, würde ich mit Rücksicht auf meine Gesundheit davon lieber absehen. Eigentlich war es mein Auftrag auch Lucan nach Korth zu bringen, damit er uns dort als Informationsquelle dienen kann. Von dieser Idee muss ich mich leider wohl verabschieden. Aber das Schwert würde ich doch gerne haben.“
„Versucht es uns doch abzunehmen!“, rief Thalaën provokant und schwang seinen Säbel.
„Das Schwert ist rechtmäßiges Eigentum des Staates Karrnath“, versuchte es Kasha noch einmal. „Aber ich denke, dass ich mit einer Bezahlung besser argumentieren kann. Soweit ich in Erfahrung bringen konnte, würde euch Hauptmann Viorr Fünfhundert Galifar für das Schwert bezahlen. Was würdet ihr dazu sagen, wenn ich euch eintausend Galifar pro Kopf dafür gebe.“
„Klingt gut“, antwortete Esra spontan.
Auch Astamalia nickte: „Zumal Ihr Recht habt. Das Schwert ist wirklich Eigentum Karrnaths. Damit kann ich leben.“
„Auf keinen Fall!“, entfuhr es Adamant. „Wir werden einen Staat, in dem Untote erschaffen werden sicherlich nicht mit einer dermaßen starken Waffe versorgen!“
„Auch ich kann das nicht zulassen!“, stimmte Thalaën dem Kleriker zu. „Wir haben ja auch keine Ahnung, welche Macht das Schwert entwickelt, wenn es mit den anderen Schwertern der Kriegsfürsten zusammengebracht wird.“
„Aber wir könnten das Geld gut gebrauchen…“, versuchte es Astamalia, doch die beiden Männer schüttelten kategorisch den Kopf.
„In diesem Fall verabschiede ich mich“, wirkte Kasha nun ernsthaft wütend. „Aber denkt daran, dass unser nächstes Zusammentreffen dann unter Umständen nicht mehr so freundlich ausfallen wird.“
Mit diesen Worten schwang er sich auf seinen Adler und jagte ihn in den Himmel.
Astamalia schüttelte den Kopf.
„Das war keine sonderlich gute Idee, wirklich nicht. Jetzt haben wir einen Feind mehr und weniger Geld.“
„Ja, ihr hättet ruhig einmal über euren Schatten springen können“, stimmte Esra dem zu.

***

Als sie sich dem Zug näherten sahen sie schon von weiten silbern gepanzerte Gestalten, die ihnen entgegen liefen.
„Im Namen der Flamme! Lasst Eure Waffen fallen und weißt euch aus!“, rief ein besonders groß gewachsener Paladin.
„Tut was er sagt, ich werde das regeln“, nickte Adamant den anderen zu und warf als erstes seine Waffe ins Gras.
„Ich bin ein Priester der Flamme. Ich kann alles erklären“, rief er den Paladinen zu.

„Toll hast du das geregelt“, fauchte Esra.
Man hatte sie zu viert in ein kleines Abteil gebracht und ihre Wunden versorgt. Doch dann hatte ihnen der Anführer der Einsatztruppe, Malik Otherro, mitgeteilt, dass man sie bis nach Flammenfeste bringen würde.
„Es ist sicher auch überhaupt nicht merkwürdig, wenn wir mit einem mächtigen, bösen, verfluchten Schwert und einer Vampirleiche nach Flammenfeste kommen, oder?“, schüttelte sie verständnislos den Kopf.
„Aber Kapitän Otherro meinte, die Hüterin der Flamme persönlich wünscht uns zu sehen. Dagegen konnte ich doch unmöglich etwa einwenden“, verteidigte sich Adamant.
„Du solltest dich wirklich langsam von dem Idealbild deiner Kirche verabschieden, Adamant“, meinte Astamalia. „Die Kirche ist nicht so nobel, edel und verehrungswürdig, wie du dir das immer vorgestellt hast.“
Darauf sagte Adamant nichts.
Was hätte er auch sagen sollen?
Dass er langsam ebenfalls diesen Verdacht hatte und an seinem Glauben zweifelte? Wenn er es aussprach, dann würden es die anderen wissen. So hielten sie ihn zumindest immer noch für einen treuen Gläubigen, auch wenn sie das nicht für sonderlich klug hielten.
Aber der Glaube war nun einmal das einzige im Leben, dass ihm wirklich wichtig war.

***

Nach mehreren Tagen Fahrt erreichten sich nach Zwischenstopps in Aruldusk und Sigilstern die Flammenfeste. Hauptstadt von Thrane, Sitz der Hüterin, Ausgangspunkt des Glaubens der Flamme.
Nacheinander stiegen sie aus dem Waggon und sahen sich mit unterschiedlichen Gefühlen um. Astamalia und Esra war deutlich unwohl zumute. Beide hatten Vorurteile gegenüber dem Glauben der Flamme. Adamant hingegen konnte sich vor Ehrfurcht kaum auf den Beinen halten. Für Thalaën, zu guter letzt, schien die Flammenfeste eine Stadt wie jede andere zu sein. Zumindest ließ er sich keine besondere Emotion ankennen.
Kapitän Otherro erwartete sie bereits.
„Wir sollten uns beeilen. Die Hüterin ist über unser Kommen bereits informiert und sie hat einen vollen Terminkalender. Außerdem solltet Ihr Euch vor der Audienz noch zurecht machen“, fügte er mit einem Seitenblick auf die bereits reichlich mitgenommene Kleidung der vier Abenteurer hinzu.
Adamant nickte heftig.
„Natürlich. Diese Kleidung ist den Augen der Hüterin unwürdig.“
Otherro ging darauf nicht weiter ein und führte sie vom Bahnhof weg gen Norden, über eine Brücke, die zu der Insel führte, welche die eigentliche Stadt beherbergte.

Es war erstaunlich viel los und das Getümmel erinnerte Esra an die vollen Straßen von Sharn. Aber während Sharn voller Lärm und Leben war, schienen die Leute hier alle sehr in sich gekehrt zu sein und gingen still und stoisch vor sich hin. Über der Stadt ragten die weißen Alabastermauern der Kathedrale der Silbernen Flamme.
Aber nicht nur der gewaltige Bau erinnerte Esra daran, dass Flammenfeste das Zentrum einer ganzen Glaubensrichtung war. Die ganze Stadt schien ein einziger Tempel zu sein. An jeder Straßenecke waren Schreine errichtet worden, welche der Flamme huldigten. Viele der Gebäude sahen außerdem aus, als hätte man eigentlich Kirchen errichten wollen: Hohe Buntglasfenster mit religiösen Motiven, offene Bögen und eine enorme Platzverschwendung zeichneten viele dieser Häuser aus. Ganz anders als in Sharn, wo Platz Mangelware war.
Über eine Serpentinenstraße führte sie Otherro zur Kathedrale hinauf, die immer höher vor ihnen aufragte.
„Als würde die Kirche versuchen jeden innerhalb der Stadt zu beherrschen und zu unterdrücken“, flüsterte ihr Astamalia zu, die sich mindestens ebenso unwohl fühlte wie die Wandlerin. Esra erwiderte nichts darauf, sondern wandte ihren Blick von der Kathedrale ab, zu den Menschen auf der Straße. Wohlgemerkt den Menschen. Denn es waren kaum andere Wesen zu sehen. Nur vereinzelt war die kleine Gestalt eines Halblings oder der stämmige Körper eines Zwerges zu sehen. Wandler und Kriegsgeschmiedete sah sie nicht einen einzigen. Das war kein gutes Zeichen.
Otherro führte sie an den Wachen am Eingang der Kathedrale vorbei ins Innere, durch ein wahres Labyrinth an Gängen, bis sie schließlich in einem kleinen Seitentrakt ankamen.
Nacheinander deutete er hier auf vier Türen.
„Hier könnt Ihr Euch frisch machen und angemessen kleiden. Diese Treppe dort führt hinab in den Speisesaal der Hüterin, ich werde Euch dort erwarten. Bitte lasst Eure Waffen und Rüstungen hier zurück, wir würden sie Euch ohnehin spätestens im Saal abnehmen.“
Er nickte ihnen zu und marschierte dann die Treppe hinab.
Esra überlegte, was geschehen würde, wenn sie einfach in ihrem Zimmer bliebe, bis sie die Stadt wieder verlassen konnten. Aber wahrscheinlich war das keine gute Idee.

Astamalia genoss den Luxus von warmen Wasser und flauschigen Handtüchern. Auch wenn sie stark gegen den fanatischen Glauben Thranes war, der soviel Leid und Schmerz über den Kontinent gebracht hatte, so bewunderte sie doch den Stil, den man hier in der Kathedrale offenbar pflegte. Und ob sie die Hüterin nun respektierte oder nicht, so gebot es doch der Anstand, sich bei einem Staatsempfang gebührend zu kleiden.
Darum fasste sie ihre feine Garderobe aus dem Rucksack. Wie durch ein Wunder war sie durch die vergangenen Abenteuer nicht in Mitleidenschaft genommen worden.
Frisch gewaschen und etwas geschminkt, sowie in den sauberen Kleidern fühlte sie sich fast wie neu geboren.
So trat sie auch recht beschwingt auf den Gang und rannte dabei fast eine mürrisch dreinblickende Esra um. Bei ihrem Anblick musste Astamalia grinsen.
Esra hatte zwar gebadet und sich zurecht gemacht, aber sie hatte es nicht für nötig erachtet die Kleidung zu wechseln.
„Was lachst du?“, fragte die Wandlerin mürrisch.
„Ach, nur deine Aufmachung“, grinste Astamalia weiter.
„Ich sehe nicht ein, warum ich mich für eine Person, welche einen Kreuzzug gegen meine Ahnen und meine Rasse angeordnet hat, so präsentieren soll.“
„Es war nicht die jetzige Hüterin, welche diesen Kreuzzug ausgerufen hat“, ermahnte sie Astamalia.
„Mag sein. Aber es war dieselbe Organisation und derjenige saß auf dem gleichen Stuhl, wie die heutige Hüterin.“
Damit stapfte die Wandlerin die Stufen hinab.
Astamalia folgte ihr rasch.
Am Ende der Treppe lag der Speisesaal. Wie alle anderen Räume, die sie bis jetzt in der Feste gesehen hatte, war er schneeweiß und besaß große Buntglasfenster, durch die reichlich Licht fiel. In der Mitte des weiß gefliesten Saales stand eine große Tafel, die bereits gedeckt war. Kapitän Otherro, immer noch in Rüstung und mit seinem Schwert in der Scheide, Thalaën – in seiner neuen Tracht, die ihm Turenhart geschneidert hatte – und Adamant – in seinem schönsten Waffenrock –, saßen bereits an der Tafel.
„Kommt, das Essen wird noch kalt!“, rief der Elf, der bereits gierig auf die dargebotenen Speisen starrte.
Astamalia grinste und sah sich die Tafel an. Nichts darauf erschien ihr bekannt. Aber sie hatte sich mit Thrane auch noch nie sehr intensiv beschäftigt. Geschweige denn mit seiner Küche.
„Kapitän Otherro, könntet Ihr mir vielleicht weiter helfen und mir einige der dargebotenen Speisen erklären?“
„Natürlich“, erwiderte der Paladin trocken. „Ich kann Euch besonders das scharf angebratene Rindfleisch in Thrakel-Sauce, den Silberfischeintopf und den silbernen Gemüse-Bratspieß empfehlen. Ich darf aber darauf hinweisen, dass alle unsere Speisen sehr scharf sind. Nicht alle Ausländer vertragen das sehr gut“, fügte er warnend hinzu. „Die Nachspeise ist ein Waldbeerensorbet mit einem Stück Silberfrucht, die Lieblingsspeise der Hüterin.“
Astamalia nickte dankbar und begann ihren Teller zu füllen. Für ihren Geschmack war in dem Essen eindeutig zuviel Silber. Zumindest vom Namen her.

Adamant musste sich sehr beherrschen um nicht nervös zu zappeln. Gab es eine größere Ehre als die Hüterin persönlich kennen zu lernen? Und das schon so bald nach seiner Weihe zum Priester?
Ungeduldig sah er den anderen beim Essen zu. Noch nie in seinem Leben schien die Zeit so langsam vergangen zu sein, wie in dieser halben Stunde.
Endlich schob auch Thalaën den Teller von sich und rieb sich zufrieden den Bauch. Sofort sprang Adamant auf und sah die anderen erwartungsvoll an.
„Können wir nun zur Hüterin?“, fragte er.
Erstaunt sah ihn Otherro an.
„Natürlich, folgt mir bitte.“
Er führte die vier durch eine Seitentür in einen Gang, der sie immer tiefer in das Innere der Kathedrale brachte. Nur wenige andere Personen waren hier zu sehen.
Eindeutig näherten sie sich dem Heiligsten der Flamme.
Da war sich Adamant ganz sicher.
Und wirklich. Der Gang weitete sich und vor ihnen breitete sich in riesiger runder Saal aus, der von einer riesigen Kuppel gekrönt wurde. In der Mitte des Saales, eingelassen in ein wunderbares Mosaik loderte eine riesige silberne Flamme aus dem Boden empor.
Sofort kniete Adamant nieder und neigte andächtig den Kopf.
Hier war also der Ursprung eines Glaubens, die Quelle der göttlichen Macht.
Er spürte die Blicke der anderen auf sich ruhen, aber er ließ sich dadurch nicht in seiner Andacht stören. Sollten sie doch denken was sie wollten, es war immer noch sein Glauben und nicht der ihre.
Er hörte sich entfernende Schritte und wagte es kurz den Kopf zu heben. Kapitän Otherro hatte sich wieder in den Gang zurückgezogen, ohne ein weiteres Wort zu sagen.

Thalaën war gelinde enttäuscht. Er hatte zwar nicht gewusst was ihn erwarten würde, aber doch etwas mehr als eine silberne Flamme, die in einem großen Saal aus dem Boden kam. Er seufzte unterdrückt und sah sich um. Adamant kniete immer noch mit gesenktem Kopf auf dem Boden; das musste auf die Dauer sehr unbequem sein.
Die beiden Frauen waren ähnlich desinteressiert wie er. Was, bei allen Ahnen, machten sie hier eigentlich?
Er blickte in den Gang zurück, aus dem sie gekommen waren, in der Hoffnung dort nach Kapitän Otherro zu sehen. Vielleicht konnte er ihn in den Speisesaal zurückbringen und dort sitzen lassen, bis dieses ganze Theater vorbei war.
Doch von dem Paladin war nichts mehr zu sehen. Er hatte sie hier alleine zurückgelassen. Sehr merkwürdig.
Aber etwas anderes regte sich in den Schatten. Etwas monströses und unheimliches. Thalaën griff instinktiv auf den Rücken, wo sich normalerweise seine Waffe befand. Doch die hatte er vorschriftsgemäß in seiner Kammer zurückgelassen.
War es möglich, dass man sie hierher gebracht hatte, um sie zu töten oder zu opfern? Etwas umständlich, wie er fand. Man hätte sich ihrer genauso gut an der Bahnstrecke, neben dem Ziggurat entledigen können.
Ein sechsbeiniges schwarzes Monster mit dem Schwanz eines Dinosauriers und den Hörnern und Zähnen eines Dämons, schälte sich aus der Dunkelheit und knurrte sie leise an.
Thalaën hob, in Ermangelung einer Waffe, seine Hände. Zum Kampf bereit gegen die Bestie.
„Nicht“, flüsterte Adamant. „Das ist der Drachenhund Skaravojen, der Wächter der Hüterin. Er wird uns nichts tun, wenn wir die Hüterin nicht bedrängen.“
Thalaën warf dem Kriegsgeschmiedeten einen zweifelnden Blick zu. Aber das hier war seine Welt und vielleicht war es klüger, wenn er auf ihn hörte. So ließ er seine Hände wieder sinken, ließ das Monster aber nicht eine Sekunde aus den Augen.
Scheinbar zufrieden zog sich das Monster wieder in die Dunkelheit zurück. Nur mehr sein dunkles Knurren war weiterhin zu hören.
Dafür gesellte sich das patschen kleiner Füße auf dem Fliesenboden dazu und kurz darauf erschien ein kleines Mädchen aus der Dunkelheit und lächelte ihn an. Ungewollt lächelte Thalaën zurück.
Das Mädchen hatte dunkle Haut, kurz geschnittenes dunkles lockiges Haar und unergründlich tiefe graue Augen, die viel zu erwachsen wirkten, für ihr Alter. Ihre Kleidung bestand nur aus einem einfachen Leinensack.
Sie ging an Thalaën und den beiden Frauen vorbei und klopfte Adamant gegen die Stirn, als würde sie sich davon überzeugen, dass er wirklich aus Metall sei.
„Ist das nicht unbequem?“, fragte sie mit heller Stimme.
„Nein“, erwiderte der Kriegsgeschmiedete, sichtlich verdattert.
„Hm“, machte die Hüterin und besah sich dann den bunt schillernden Umhang von Astamalia, bevor sie sich Esra zuwandte.
Sie grinste die Wandlerin über beide Ohren an und streichelte dann plötzlich ihr buschiges Fell an den Unterarmen.
„Ihr seid eine Wandlerin, nicht wahr?“, fragte sie neugierig und blickte Esra dabei mit großen Augen an.

Esra wusste nicht ganz, wie ihr geschah, als sie das Mädchen plötzlich streichelte. Das sollte die Hüterin der Flamme sein? Die Führerin einer ganzen Nation?
„Ja“, antwortete sie schließlich.
„Du hast weiches Haar“, grinste die Kleine und setzte sich schließlich mit unterschlagenen Beinen auf den kalten Boden, blickte zu ihnen empor.
„Du bist die erste Wandlerin, mit der ich spreche. Und Adamant ist auch der erste Kriegsgeschmiedete, mit dem ich mich unterhalte. Auch wenn er etwas schweigsam ist.“
Esra war sich sicher, wenn er gekonnt hätte, dann wäre der Kleriker errötet. So jedoch senkte er den Kopf nur weiter zur Hüterin herab, die darüber nur belustigt kicherte.
„Darf ich fragen, warum Ihr uns empfangen habt?“, fragte Astamalia schließlich und setzte sich neben ihr auf den Boden.
„Ach, ich habe viel von Euch gehört und da wollte ich euch kennen lernen“, zuckte sie mit den Achseln.
„Darf ich auch fragen, woher Ihr von uns gehört habt?“, fragte Astamalia weiter, was ihr von Adamant einen bösen Blick einbrachte. Anscheinend fragte man die Hüterin keine einfachen Fragen.
„Ein Freund von mir, Bodinar Turenhart hat mir von euch erzählt. Mit ihm zusammen habe ich auch dieses Kleid gemacht. Gefällt es euch?“
Astamalia beeilte sich mit dem Kopf zu nickten und grinste dabei über beide Ohren. Dieses Mädchen gefiel ihr.
„Außerdem habe ich euch in meinen Träumen gesehen“, fügte Jaela Daran noch hinzu.
„In Euren Träumen?“, hakte Astamalia weiter nach.
„Seid Ihr einer jener gefährlichen Elfen, welche von Aerenal kommen?“, fragte sie Thalaën, ohne auf die Frage einzugehen. „Ich habe Bücher über Eure Kultur gelesen und auch einige Geschichten von diesen Elfen gehört. Aber leider habe ich das alles noch nicht persönlich erlebt.“
Sie machte eine Pause, in der sich auch der Elf und die Wandlerin auf dem Boden niederließen.
„Glaubt ihr nicht, dass es Adamant zu unbequem wird?“, fragte sie die drei noch einmal verständnislos.
„Ah, er hat hin und wieder solche Anwandlungen“, wehrte Thalaën ab.
Doch das brachte Adamant dazu, sein Knien zu beenden und sich zur Runde zu setzen.
Als wäre das ein heimliches Kommando gewesen, kippte Jaela Daran plötzlich nach hinten.
Erschrocken sprang Adamant wieder auf. Auch Astamalia war etwas verunsichert.
Doch ebenso plötzlich, wie sie umgefallen war, setzte sie sich wieder auf. Doch ihr Blick wirkte mit einem Mal vollkommen verklärt.
Mit starren Augen fixierte sie den immer noch verdatterten Adamant.
„Die wichtigsten Dinge im Leben sind eine Illusion“, sagte sie und wandte dann das Gesicht dem Elfen zu.
„Träume sind schlimmer als der Tod.“
Thalaën schnaubte trocken.
„Liebe und Lüge gehen manchmal Hand in Hand“, sagte sie Astamalia ins Gesicht.
„Nicht alles was man findet, lohn sicht, gefunden zu werden“, wandte sie sich als letztes auch noch Esra zu.
„Findet ihr Bodinar auch so lustig?“, sprach sie ohne merklichen Übergang, dafür aber wieder mit normaler Stimme weiter.
„Was waren das für Sätze?“, fragte Adamant verdattert.
„Welche Sätze?“
Jaela Daran klang ehrlich verwirrt. Sie schüttelte den Kopf und sah die anderen wieder an.
„Er ist manchmal etwas anstrengend“, beantwortete Astamalia die Frage des Mädchens, als klar wurde, dass sie sich an die letzten Minuten nicht erinnern konnte.
„Ja, das ist er. Manchmal. Aber wir haben doch alle unsere Eigenheiten…“, meinte sie geheimnisvoll.
Dem konnte Astamalia nur zustimmen. Vor allem dann, wenn man orakelhafte Aussagen machte, an die man sich kurz darauf nicht mehr entsinnen konnte.

***

Esra fand, dass der Tag nicht so vergeudet, war wie sie befürchtet hatte. Auch wenn die Hüterin auf Dauer etwas anstrengend war. Fast so wie Turenhart. Sie hatten sich noch länger mit ihr und unterhalten und Astamalia saß immer noch mit ihr und diesem Drachenhund im Speisesaal philosophierte über den Sinn des Lebens und über den Glauben im Allgemeinen und den Glauben der Flamme im speziellen.
Das war nichts für Esras einfachen Intellekt. Interessanterweise hatte sich auch Adamant zurückgezogen. Wie es schien, hatte er sich unter der Hüterin jemand anderen vorgestellt. Jemand weiseren. Jemanden, dem man eher traute ein Land zu regieren und einen Glauben auf der gesamten Welt zu vertreten?
Thalaën wiederum war nur im Speisesaal geblieben, weil die Diener ein reichliches Abendessen aufgetragen hatten. Esra hoffte für den Elfen, er würde seine Essgewohnheiten ändern, sollte er sich eines Tages in den Ruhestand begeben und nicht mehr jeden Tag seine Waffe schwingen. Ansonsten würde er wohl aufgehen wie ein Germkuchen.
Esra unterdrückte ein Gähnen und machte sich bereit für das Bett. Doch da ertönten Schrei von unter dem Fenster, gefolgt von dem Gejohle einer ganzen Menge.
Interessiert blickte sie nach draußen. Ein großer Innenhof war zu sehen, der nun voller Menschen war. Sie schienen sehr aufgebracht zu sein. Zumindest schrieen sie alle durcheinander und schüttelte die erhobenen Fäuste.
In der Mitte des Hofes stand ein Scheiterhaufen und darauf gebunden stand eine junge Wandlerin. Selbst aus dieser Entfernung konnte Esra erkennen, dass die Frau Todesängste ausstand.
Ohne lange zu überlegten packte Esra ihren Bogen und den Köcher vom Bett und rannte damit auf den Gang hinaus.
„Warte auf mich, Esra!“, hörte sie Adamants Stimme hinter sich.
Der Kleriker hatte seinen Wappenrock übergestreift und das Schwert am Gürtel.
„Ich werde mit dir kommen.“
Esra nickte knapp und lief weiter.
Es dauerte nicht lange, bis sie den Hof erreichten. Dennoch schienen Jahre vergangen zu sein. Die Stimmung war am Kochen.
Esra merkte deutlich, dass die Menge Blut sehen wollte.
Vor dem Scheiterhaufen stand ein Prediger und tat sein Schärflein bei, die Stimmung noch brisanter zu machen. In seiner Hand hielt er eine brennende Pechfackel.
Die Wandlerin am Scheiterhaufen schrie vor Panik und Angst.
„Haltet ein!“, rief Adamant mit dröhnender Stimme über den Platz und schob sich mit seinem massigen Körper einen Weg durch die Menge.
Unglaublicherweise wurde es wirklich still in dem Hof. Esra hielt ihren Bogen fest in der Hand und versuchte niemanden aus den Augen zu lassen.
Blickte stierten sie böse und blutrünstig an.
„Wer wagt es dieses heilige Ritual zu unterbrechen?“, rief der Prediger vom Scheiterhaufen herab.
„Ich! Adamant, Priester der Silbernen Flamme! Was wird dieser Frau vorgeworfen, dass Ihr sie auf dem Scheiterhaufen verbrennen wollt?“
„Der Vater dieser Ungläubigen war ein Werwolf! Eine Ausgeburt der Finsternis! Ein Bote des Bösen und des Verderbens!“
„Ja! Verbrennt sie!“, brauste die Menge wieder auf.
„Sie wird für ihre Ahnen bestraft? Für etwas, für das sie nichts kann?“, durchdrang Adamants Stimme wieder die Rufe der Menge. „Ist es nicht möglich, dass auch in ihr eine Gläubige zu finden ist?“
„Das Böse lässt sich nicht zu leicht überwinden. Böses Blut wird weiter vererbt. Und nur indem wir auch die Nachkommen der Teufel auf dieser Welt bekämpfen, werden wir das Böse eines Tages niederringen.“
„Das mag sein“, lenkte Adamant ein, als er sah, dass der Prediger die Flamme gefährlich Nahe an das Reisig brachte. „Aber dennoch ist nicht bewiesen, dass auch sie das Böse in sich trägt. Sie könnte eine wertvolle Verbündete in diesem Kampf sein.“
„Es war der Ruf der Flamme, der uns dazu aufforderte die Lykanthropen zu jagen und zu vernichten!“, kreischte der Prediger. „Und wie lautet das erste Edikt der Flamme?“
„Glaube der Silbernen Flamme!“, kam es im Chor von den Anwesenden zurück.
„Und wie lautet das dritte Edikt der Flamme?“, heischte er weiter.
„Bekämpfe das Böse in all seinen Formen!“, erklang wieder die Menge.
„Daher hat sich diese Wandlerin in zwei Edikten schuldig gemacht!“, geiferte er. „Dafür soll sie brennen!“
Er warf die Fackel.
„Nein!“, rief Esra und stürmte nach vor. Aber eine metallene Hand hielt sie eisern zurück.
„Nicht!“, flüsterte ihr Adamant ins Ohr und zerrte sie langsam, gegen ihren Willen ins Haus zurück. „Du kannst nichts mehr ändern. Sie würden auch dich töten.“
Noch lange verfolgten Esra die Schrei der verbrennenden Wandlerin und die anfeuernden und betenden Rufe der Menge.

***

Astamalia betrat das Luftschiff, das sie zurück nach Sharn bringen sollte als letzte. Sie hatte erfahren, was sich im Innenhof zugetragen hatte und verstand deshalb sehr gut, warum Esra und Thalaën rasch das Schiff bestiegen hatten, kaum dass bekannt geworden war, dass die Hüterin ihnen eine Passage zur Verfügung stellte.
Aber auch Adamant war sehr ruhig und in sich gekehrt, als er das Luftschiff bestieg. Ohne weitere Worte zog er sich in seine Kabine zurück.
Astamalia sah ihm nach. Er tat ihr leid. Nach und nach musste er feststellen, dass die Silberne Flamme doch ganz anders war, als er es gelernt hatte; als er sie anbetete.
Sie seufzte und machte sich auf den Weg zu Esras Kabine.
Leise klopfte sie und trat dann ein.
Esra saß auf dem Bett und blickte scheinbar durch sie hindurch.
„Darf ich dich kurz stören?“, fragte die Magierin.
Die Wandlerin nickte steif.
„Die Hüterin entschuldigt sich bei dir. Sie wollte es persönlich erledigen, aber zu dem Zeitpunkt warst du bereits außerhalb der Kathedrale und auf dem Weg zum Schiff. Sie weiß, dass in ihrem Glauben vieles falsch läuft, aber sie meint auch, dass es leider nicht in ihrer Macht liegt, das alles zu ändern. Auch wenn sie es versucht. Aber sie hat ein Geschenk für dich. Ein Leben, dass du retten kannst.“
Astamalia hob eine Leine, an deren anderem Ende ein junger Wolf war, der Esra mit großen, treuen, gelben Augen anstarrte.
„Er wurde nahe der Stadt gefunden und wäre von den Bauern dort beinahe getötet worden. Er wurde beschuldigt, einige Schafe gerissen zu haben. Daher kann er auch nicht auf Dauer in der Stadt bleiben. Die Hüterin dachte sich, bei dir ist er wohl besser aufgehoben.“
Sie lächelte der Wandlerin noch einmal zu und ließ sie dann mit dem Wolf in der Kabine alleine.

***

„Ist es nicht gut, wieder zu Hause zu sein“, rief Thalaën, als er die alte Wohnung Bonal Geldems betrat.
„Ja, wir haben sogar Post bekommen“, fügte Adamant hinzu und hob den Brief auf, den jemand unter der Tür hindurch geschoben hatte.
„Ein Brief. Von Dame Elaydren“, erklärte er und öffnete den Umschlag, während sich die andere im Wohnzimmer verteilten.
Balinor, Esras Wolf, den sie nach dem Gott der Jagd benannt hatte, schnüffelte neugierig in den Ecken der Wohnung umher.
„Sie schreibt uns, dass sie den Aufenthaltsort des vierten Schemas immer noch nicht herausgefunden hat und dass es wahrscheinlich noch etwas dauern wird, bis sie genaueres weiß. Aber die ersten Hinweise scheinen alle nach Xen’drik zu führen. Sie schriet hier aber auch, dass wir nicht damit rechnen brauchen, dass sie den Aufenthaltsort innerhalb des nächsten Monats herausfindet.“
„Was bedeutet, dass wir endlich wieder einmal Zeit für unser Privatleben haben“, freute sich Astamalia. „Ich habe ohnehin einige Dinge zu erledigen, die ich noch schon lange Zeit vor mir aufgeschoben habe.“
„Gleichfalls“, nickte Esra und streichelte über Balinors Nacken.
„Und ich werde nach Trolanhafen reisen und unsere Pferde abholen. Außerdem kann ich vielleicht einiges von Turenhart erfahren, bezüglich des Schemas oder aber auch seiner wahren Identität“, erklärte Adamant
„Bevor wir uns jedoch voneinander verabschieden, sollten wir unseren toten Vampir und das Schwert abgeben und die Belohnung kassieren“,  schloss Thalaën mit einem Grinsen.
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 21. April 2008, 13:54:02
Shargons Zähne

Adamant fühlte sich nach der langen Reise erfrischt. Es war sehr angenehm gewesen, ohne Stress durch die Lande zu reisen; ohne verfolgt zu werden und sich gegen mörderische Bestien zu wehren.
Leider war das aber auch fast der einzige Vorteil seiner Reise gewesen.
In Trolanhafen, das er mit dem Schiff angefahren hatte, hatte er sich mit Turenhart getroffen. Doch die erhoffte Aussprach mit dem Gnom war irgendwie ausgeblieben.
Der Kriegsgeschmiedete seufzte.
Wahrscheinlich würden sie nie herausfinden, was er wirklich machte. Schneider war er mit Sicherheit keiner. Zumindest nicht nur.
Aber der Gnom hatte gut auf ihre Pferde aufgepasst. Und er hatte Adamant gebeten, für ihn die Augen und Ohren in Sharn offen zu halten und ihm über alles was interessant erschien, bescheid zu geben.
Nun, warum auch nicht. Bis jetzt hatte der Gnom sich als etwas merkwürdiger, aber doch verlässlicher Freund und Verbündeter erwiesen. Diesen kleinen Gefallen konnte er ihm ohne Probleme erfüllen.
Adamant bezahlte den Tiertrainer von Haus Vadalis für ein Monat im voraus, und ließ die Tiere im Distrikt Terminus in Sharn zurück. In der Stadt selbst wären Pferde keine sonderlich gute Möglichkeit von einem Ort zum anderen zu kommen.
Mit einer Luftkutsche erreichte er ihre Wohnung.
Er war gespannt, ob die anderen in der Zwischenzeit auch schon angekommen waren.

***

Astamalia freute sich immer noch, als hätte sie eine Glücksfee getroffen. Das Blut pochte in ihren Adern und mit festen Fingern umfasste sie das offizielle Schreiben, dass sie in Händen hielt. Sie traute sich fast nicht, es noch einmal anzusehen.
Was, wenn alles nur ein Traum gewesen war und nichts auf diesem Blatt Papier stand?
Aber sie konnte sich doch noch an alle Fragen erinnern. Und, was noch besser, war, an die Antworten. Sie waren ihr alle nur so zugeflogen.
Sie hatte in ihrer Zeit als Abenteurer aber auch mehr über Magie erlernt, als in all ihren Jahren auf den Akademien in Korth und Arkanix.
Langsam öffnete sie das Pergament, begutachtete das Siegel von Arkanix und las dann die Zeilen:
„Wir freuen uns Euch mitteilen zu können, dass Ihr, Astamalia d’Lyrandar, die Abschlussprüfung zur Magistra mit summa cum laude bestanden habt. Ihr dürft fortan den Titel Magistra führen und seid als vollwertige Magierin in den Fünf Nationen anerkannt.
Gezeichnet: Das Konzil von Arkanix“, stand dort.
Endlich hatte sie es geschafft. Endlich hatten die Lügen ein Ende. Vielleicht würde sie sogar ihren neuen Freunden davon erzählen, dass sie ihre spannenden Abenteuer in Wahrheit mit einer Auszubildenden bestanden hatten. Und sie hatte nun endlich den Abschluss, der ihr wieder den Respekt ihrer Eltern einbringen würde. Von den Möglichkeiten für die Zukunft, die sich dadurch auftaten, ganz zu schweigen.
Sie freute sich wirklich darauf, wieder nach Sharn zu kommen. In die kleine Wohnung, gemeinsam mit ihren drei Kameraden. Sie war sich sicher, dass sie sich mit ihr freuen würden.

***

Nach fast einem Monat in den Tiefen des Königswaldes, nur mit Balinor als Begleitung, störte es Esra nicht mehr so sehr, wieder in den Trubel der Stadt zurückzukehren. Es war angenehm, unter sich zu sein, von der Natur zu leben und ihr ausgeliefert zu sein. Aber ein Partner oder auch drei machten das Leben im Wald doch um vieles angenehmer.
Ihr war das früher nie aufgefallen.
Aber da hatte sie auch immer ihren Freund und Mentor Matuc an ihrer Seite gehabt.
Sie war schon gespannt, wie die anderen das letzte Monat verbracht hatten und welche Geschichten sie erzählen würden. Außerdem natürlich war sie schon sehr daran interessiert, wo sich das letzte Schema finden würde und welche Herausforderungen im kommenden Abenteuer auf sie warteten.

***

Thalaën hätte es den andere gegenüber nie zugegeben. Aber er hatte in den vergangenen Monate doch hin und wieder – wenn er Zeit dazu hatte – unter Heimweg gelitten. Er traf doch nur sehr selten Elfen aus Aerenal oder auch aus Velanar an, mit denen er über seine Gedanken sprechen konnte. Mit denen er die Kultur, die Geschichte und die Lebensweise teilte.
Umso mehr hatte er sich gefreut, als ein Brief von seinem Bruder eingetroffen war. Er war im Rahmen seines diplomatischen Dienstes aus Pylas Tlaer nach Sharn versetzt worden. Für seinen weltoffenen Bruder war das sicher ein besonders Erlebnis. Für Thalaën war es eine gute Möglichkeit etwas Heimweh zu überdecken.
Und nach einem Monat zusammen mit seinem Bruder in Sharn fühlte er sich wieder bereit auf Abenteuer auszuziehen und das Rätsel um dieses Artefakt der Riesen zu lösen.

***

Adamant erzählte gerade als letzter seine wenigen besonderen Erlebnisse auf der Reise nach Trolanhafen und wieder zurück – wohlweißlich jedoch ohne den anderen von der Bitte Turenharts zu berichten – als es plötzlich an der Tür klopfte.
„Wer könnte das denn sein?“, fragte Esra.
„Vielleicht Elaydren. Vielleicht ist es ihr endlich gelungen herauszufinden, wo sich das letzte Schema befindet“, vermutete Adamant und öffnete die Tür.
Draußen regnete es, wie fast immer in der Stadt.
Außerdem stand eine riesige Steinstatue vor der Tür und hielt ihm einen etwas durchnässten Brief entgegen. Erst auf den zweiten Blick erkannte Adamant, dass es keine Statue, sondern ein Gargoyle war, der vor seiner Tür stand.
„Ein Brief von der Dame“, grollte seine Stimme, die klang, als würden Steine durch ein Flussbett rollen.
„Danke“, erwiderte Adamant, der immer noch etwas perplex war und nahm ihm den Brief aus der Hand. Ehe er die Tür wieder geschlossen hatte, katapultierte sich der Gargoyle mit einem Satz in den Himmel und war dann mit schweren Flügelschlägen zwischen den Türmen verschwunden.
„Und, was haben wir bekommen?“, fragte nun Thalaën.
„Einen Brief von der Dame, wie wir vermutet haben“, erwiderte Adamant und schälte ein kleines Stück Papier aus dem Umschlag.
„Meine Freunde! Das Glück ist euch hold, denn es bietet sich euch eine weitere Gelegenheit, gutes Geld zu verdienen und Haus Cannith zu Diensten zu sein. Bitte trefft euch mit mir in meinem Stadthaus zum Schlag der zweiten Abendglocke. Ich erwarte euch im Parlanturm im Mittelzentralplateau, Stadthaus 19. Dame E.“, las Adamant vor.
„Sieht wirklich so aus, als würde es bald losgehen.“, freute sich Astamalia. „Außerdem haben wir noch genug Möglichkeiten, uns über Xen’drik schlau zu machen. Ich habe bereits einen Termin mit einem Professor an der Morgrave-Universität ausgemacht. Der Mann ist angeblich eine Koryphäe für diesen Kontinent und reist auch oft genug dorthin.“
Thalaën hob erstaunt eine Augenbraue:
„Als würde sich ein Mensch wahrhaft mit der Geschichte der Riesen auskennen. Aber gut. Bevor wir ohne irgendwelches Vorwissen losziehen, suchen wir besser diesen Professor auf.“

***

„Diesen Besuch hätten wir uns sparen können“, murmelte Esra, als sie die Morgrave-Universität hinter sich ließen. „Rechnet immer mit dem schlimmsten, nehmt immer mehr Seil mit, als ihr denkt, dass ihr brauchen werdet. Was sind das denn für Tipps?“
„Keine besonders wertvollen“, gab Astamalia zu. „Aber wir können immerhin sagen, dass wir es probiert haben.“
„Das da vorne scheint das Staudthaus von Elaydren zu sein“, deutete Adamant durch den Nebel auf eine kleine Brücke, die zu einem weiteren Turm führte, dessen ganze Etage anscheinend von einer einzigen Wohnung eingenommen wurde.
„Etwas stimmt hier nicht“, knurrte Thalaën und zog seinen Doppelkrummsäbel.
Die Tür zur Stadtwohnung hing stand offen und durch den Eingang waren am Boden liegende Körper zu sehen. Eines der Fenster war eingeschlagen.
Der Schrei einer Frau drang durch den Regen zu ihnen herüber.
Das war Thalaëns Zeichen für den Angriff. Mit weiten Schritten sprinte er über die Brücke in das Haus, durchquerte den Flur, warf rasche Blicke in die offenen Türen und stand schließlich in einem Wohnzimmer. Drei Zombies standen im Raum verteilt. Doch es waren keine normalen Zombies; sie waren gut gerüstet und zwei von ihnen fuhren erstaunlich schnell herum, als er den Schauplatz betrat. Zwischen ihnen am Boden lag eine blutende Elaydren, die verzweifelt versuchte sich die drei Angreifer mit einem Dolch vom Leib zu halten.
Thalaën riss seinen Krummsäbel gerade noch rechtzeitig hoch, um den ersten Schlag zu parieren. Das zweite Ende rammte er dem Angreifer in das modernde Fleisch. Ein Gutteil des Schlages wurde jedoch von dem Plattenpanzer abgefangen, den der Untote trug.

Astamalia stürmte als letzte in den Raum, der mittlerweile voll mit Kämpfenden war. Sie hatte gerade noch einen Platz im Türstock. Aber das reichte. Von dieser Position aus schleuderte sie eine Salve aus Magischen Geschossen auf den nächsten Zombie, der durch die Mengen an magischer Energie regelrecht explodierte.
Sie grinste über beide Ohren und feuerte eine zweite Salve.
Ein zweiter Zombie ging zu Boden. Zugleich wurde der dritte durch Adamants Schwert gefällt.
Zitternd stand Elaydren auf und sah sich das Massaker in ihrem Wohnzimmer an, bevor sie sich ihnen zuwandte:
„Ich stehe erneut in eurer Schuld“, bedankte sie sich, während sie immer noch versuchte sich zu fangen. „Die Zombies waren nur ein Teil einer größeren Streitmacht, die meine Wächter und mein Personal angriffen. Wir hatten es mit gut bewaffneten und gerüsteten Kriegern zu tun, die das Symbol des Ordens der Smaragdklaue trugen. Außerdem war ein Kriegsgeschmiedeter dabei. Am schlimmsten aber war der Anführer“, plapperte sie weiter. „Zuerst erschien er uns als lächelnder rundlicher Händler. In dieser harmlosen Verkleidung gelang es ihm, mein Personal dazu zu verführen, ihm die Tür zu öffnen. Dann schien seine Gestalt dahin zu schmelzen und sich zu verformen, bis ein ausgezehrt wirkender, groß gewachsener Mann mit bleicher Haut, roten Augen und spitzen Fangzähnen vor mir stand.“
„Garrow“, nickte Adamant.
Elaydren nickte nur, obwohl sie den Widersacher der Gruppe noch gar nicht persönlich kennen gelernt hatte.
„Sie töteten meine Wächter und meine Diener… Und, und sie haben die Schemata“, schluchzte sie verzweifelt.
„Sie haben was?“, entfuhr es Astamalia.
„Ja, bei der Macht der Großen Schmiede, der Orden der Smaragdklaue hat die Schemata und das Schöpfungsmuster.“
Elaydren hielt inne und fasste sich. Mit stärkerer Stimme fuhr sie fort:
„Aber noch ist nicht alles verloren! Es ist immer noch genug Zeit, um die Schemata zurückzuholen und den Orden daran zu hindern, die Macht, die in diesen uralten Artefakten schlummert, in ihre Fänge zu bekommen. Die Zeit drängt und wir dürfen keine Minute vergeuden. Seid ihr bereit dazu diesen Auftrag anzunehmen?“
„Warum sollten wir, wenn Ihr die Schemata dann doch wieder verliert?“, fragte Astamalia bissig. Sie war ehrlich wütend darüber, dass ihre ganzen bisherigen Anstrengungen anscheinend gerade vernichtet wurden.
„Ich bin mir bewusst, dass Ihr wütend seid, Astamalia. Aber für diesen Auftrag bin ich bereit jedem von euch 5000 Galifar zu bezahlen. Die Hälfte jetzt gleich, die andere Hälfte, nachdem ihr die Schemata zurückgebracht habt. Das Schöpfungsmuster ist rechtmäßiger Besitz des Hauses Cannith. Was aber noch viel wichtiger ist, ist die Tatsache, dass es dem Orden nicht gestattet werden darf, das vollständige Muster einzusetzen. Ich habe zwar immer noch nicht herausgefunden, was man mit dem Schöpfungsmuster eigentlich anstellen kann, doch die alten Legenden künden von enormer Macht und diese darf keinesfalls in den Griff der Smaragdklaue geraten.“
Adamant und Thalaën nickten.
„Natürlich werden wir alles tun, um den Orden zu schaden. Aber woher wissen wir, wohin sie sich wenden werden? Wie finden wir die gestohlenen Gegenstände wieder?“
„Neben den Schemata und dem Schöpfungsmuster wurden mir auch die Aufzeichnungen eines meiner Ahnen, Kedran d’Cannith, gestohlen. Ihr kennt sein Tagebuch ja bereits.“
„Das, welches Bonal Geldem bei sich hatte?“, fragte Esra.
Elaydren nickte.
„Genau dieses. In diesen Aufzeichnungen befindet sich auch der Hinweis auf das vierte Schema. Ich nehme an, dass der Orden dorthin unterwegs ist. Ich habe mir die im Buch enthaltenen Hinweise gemerkt, so dass ihr unter Umständen vor dem Orden das Schema finden werdet. Ich bin mir fast sicher, dass ihr beim Orden auch die anderen Teile finden werdet.
„Und, wo befindet sich das vierte Schema nun?“, fragte Astamalia, schon etwas ungeduldig.
„Wie ich bereits vermutet habe, in Xen’drik. Ich habe auch schon dafür gesorgt, dass ihr ein neues Transportmittel, das erst kürzlich von Haus Cannith entwickelt wurde, zur Verfügung gestellt bekommt.“
Sie machte eine theatralische Kunstpause.
„Es handelt sich dabei um ein so genanntes Unterwasserschiff, das unbemerkt unter den Wellen dahin gleitet.“
Esra verzog das Gesicht.
„Ich mag diese modernen Verkehrsmittel nicht. Sie sind nicht sicher…“, murmelte sie. „Auf dieser Fahrt wird sicher auch etwas passieren.“
Dame Elaydren überhörte den Einwurf und reichte Astamalia einen versiegelten Umschlag.
„Gebt Kapitän Byman im Grauflutdistrikt diesen Transportbrief. Ihr findet den Kapitän meistens in der Nähe des Steindocks. Er wird dafür sorgen, dass ihr sicher nach Sturmkap und wieder zurückkommt. In Sturmkap könnt ihr vermutlich auch die Spur des Ordens der Smaragdklaue aufnehmen. Wenn ihr damit keinen Erfolg habt, solltet ihr direkt zu den Ruinen aufbrechen. Laut Keldras Aufzeichnungen befindet sich das Schema etwa 600 Kilometer den Rachi flussaufwärts. Es soll sich dort befinden, wie sich das Land erhebt und die steinernen Hände nach dem Himmel greifen. Wendet euren Blick zur linken Hand des Riesen und ihr werdet zum Ruheort des Schemas geführt werden. Alles verstanden?“
„600 Kilometer, Riesenhände und dann links. Alles klar“, murmelte Astamalia.
Elaydren lächelte leicht und holte dann vier dickte Lederbeutel aus ihrem Schreibtisch.
„Das ist euer Vorschuss. Bringt mir die vier Schema und das Schöpfungsmuster und es wartet noch einmal die gleiche Summe auf euch. Viel Glück.“

***

„Na das war ein langes Geschwätz“, brummte Thalaën, während sie die Luftkutsche in den Hafen hinab brachte.
„Denkt ihr, dass wir alles eingekauft haben, was wir brauchen werden?“, fragte Astamalia und stöberte noch einmal in ihrem wundersamen Rucksack, der innen größer war als außen.
„Wir haben sicher etwas essentielles vergessen. Etwas, dass wir mitten im Dschungel auf jeden Fall brauchen werden“, murmelte Adamant. „Ich war noch nie im Dschungel. Wie ist es da?“
„Heiß, feucht und gefährlich“, fasste Thalaën zusammen, der irgendwie sehr aufgeregt wirkte, fand Esra.
„Na toll. Und warum müssen wir zu allem Überfluss auch noch mit diesem experimentellen Unterwasserschiff fahren? Warum können wir nicht wie alle anderen Leute auch, einfache ein Segelschiff nehmen?“, maulte Esra. „Jedes mal wenn wir in letzter Zeit ein Elementargetriebenes Fahrzeug benutzten, ging etwas schief. Das abstürzende Luftschiff, der stoppende Zug. Mir gefällt das nicht.“
„Wir werden das schon schaffen, Esra“, versuchte sie Astamalia zu beruhigen. Dabei versuchte die Magiern nicht daran zu denken, was sie von Wäldern hielt. Aber anscheinend mussten sie da durch.

Sie fanden Byman beim Kartenspiel im Hafen. Bei ihm handelte es sich um einen – sogar für einen Gnom – recht kleinen Mann, mit sonnengebräunter Haut und kurzem rabenschwarzem Haar. Sobald sie sich mit dem Transportbrief von Elaydren auswiesen führte er sie ohne viel Gerede zu einem abgelegenen Lagerhaus.
„Habt ihr zuvor schon einmal von den Unterwasserschiffen gehört?“, fragte er die vier, während er sich mit dem Tor abplagte.
Alle vier schüttelten sie den Kopf und er grinste.
„Na dann.“
Er öffnete die Tür und sie betraten das Gebäude, dass fast zur Gänze von einem tiefen Wasserbecken eingenommen wurde. Auf den ersten Blick sah das Ding darin aus, wie ein Luftschiff, dass man auf den Kopf gestellt hatte. Sogar ein Elementarring war vorhanden, allerdings bestand er bei diesem Gefährt aus wild tosendem Wasser. Mehrere Gnome waren gerade dabei das Schiff zu beladen.
„Das“, erklärte Byman mit stolzer Stimme, „ist die Meerespfeil.“
Er ließ seinen Blick noch kurz auf dem prächtigen kleinen Schiff ruhen, bevor er sich wieder seinen Passagieren zuwandte.
„Die Reise nach Sturmkap dauert mit der Meerespfeil normalerweise fünf Tage. Aber die Dame Elaydren war sehr darauf bedacht, dass die Reise rascher vonstatten geht. Wir werden daher die Shargonzähne direkt durchfahren. Dadurch wird die Reise zwar gefährlicher, aber sie verkürzt sich auch auf dreieinhalb Tage. Schneller geht es dann wirklich nicht.“
Esra rollte bei dem Wort „gefährlicher“ die Augen. Als wollte sie sagen: „Ich habe es euch doch gesagt.“
„Die Meerespfeil ist kein Passagierschiff, sondern für den Transport wertvoller Fracht und für Spionage gebaut. Wir haben daher nur zwei sehr kleine Kabinen für euch zur Verfügung. Ich hoffe, ihr leidet nicht unter Platzangst.“
Er lachte.
„Habt ihr sonst alles dabei, was ihr benötigt?“
„Wir hoffen es“, nickte Astamalia.
„Gut. Dann können wir gleich aufbrechen.“

***

„Wie Ihr sehen könnt, deuten alle Hinweise nach Xen’drik. Wie wir vermutet haben“, erklärte im der Anführer des Ordens der Smaragdklaue, während sich das Luftschiff immer weiter von der Küste entfernte.
Krummsäbel sah sich das Buch noch einmal an und nickte dann langsam. Was auch immer Garrow sagte, er würde es vorerst glauben müssen. Ihm war weder die alte Sprache geläufig, noch konnte er mit den Beschreibungen, die der Kleriker übersetzt hatte, etwas anfangen. Das war eindeutig sein Gebiet.
Und das war auch sein Glück. Noch konnte er Garrow gebrauchen. Aber sobald er die vier Teile des Schöpfungsmusters in Händen hielt, würde die Sache anders aussehen. Dann würde der Klingenfürst keine weitere Verwendung mehr für den Orden haben und sich seiner entledigen.
Krummsäbel freute sich bereits darauf.
Wirklich sehr.
Er hasste diese Tage, in denen er vor Garrow und seinen Männern katzbuckeln würde. Aber schon bald würden sie vor ihm knien und liegen und dabei ihr eigenes Blut saufen.
„Sie werden uns folgen. Elaydren d’Cannith wäre dumm, hätte sie nicht zumindest eine Abschrift der Wegbeschreibung gemacht“, meinte er und gab das Buch mit dem Mithralumschlag an Garrow zurück.
„Mag sein“, zuckte Garrow mit den Achseln und verstaute das Buch in seinem Gewand. „Aber sie haben sicherlich kein Luftschiff zur Verfügung. Und nichts anderes, auch keine Elementargaleone ist so schnell wie ein Luftschiff. Vor allem über Xen’drik wird sich dieser Geschwindigkeitsvorteil als Entscheidend erweisen. Bevor sie die Ruinen erreichen, befinden wir uns längst wieder auf dem Rückflug nach Sharn. Und sollten sie uns doch einholen, nun, ich habe einige Freunde in Sturmkap, mit deren Hilfe wir unsere lästigen Verfolger vielleicht für immer los werden können.“
Dabei gab er ein heiseres Lachen von sich und entblößte seine scharfen Reißzähne.
Krummsäbel wandte sich angewidert ab und blickte nach unten. Sie überflogen gerade die Zähne Shargons und weiße Gischt brach sich an den hunderten kleinen Felsnadeln, die nur knapp unter der Oberfläche lauerten. Sollten ihre Verfolger ein Schiff nehmen und hier durch wollen, waren die Chancen gut, dass nie jemand jemals wieder von ihnen hören würde.
Was fast schade wäre.

***

„Als er sagte, es gäbe wenig Platz, meinte er wohl, es gäbe wenig Platz, wenn das Schiff leer ist und keine Passagiere an Bord sind“, ächzte Esra, die das Gefühl hatte, dass die Wände des Schiffes immer näher kamen.
Sie hatte bereits nach einer Stunde ihr Nachtlager von ihrer Kajüte in den Frachtraum verlegt, der mit Abstand der größte Raum an Bord des Schiffes war. Was aber nicht viel hieß. Zumal auch hier einige Kisten standen und immer wieder die Mannschaftsmitglieder zwischen ihrer Unterkunft und der Brücke hin und her eilten.
„Die Reise wird ja nicht lange dauern. Und es ist immer noch besser als über den Wellen zu fliegen und vielleicht abzustürzen“, versuchte sie Astamalia zu beruhigen.
Ihr selbst war das Gefährt auch nicht ganz geheuer, aber sie fand es wahnsinnig aufregend un faszinierend. Und nach den Worten von Byman hatte es bis jetzt noch nie einen Unfall mit dem Elementar gegeben.
Andererseits hatte Astamalia auch vor ihrem Absturz noch von keinem Luftschiff gehört, dass abgestürzt war.
Rasch versuchte sie diesen Gedanken wieder zu verdrängen.
„Komm doch mit mir mit in den Beobachtungsraum. Dort wirst du dich sicher viel wohler fühlen.“
Sie reichte der Wandlerin die Hand und hob sie vom Boden hoch.
Es war doch erstaunlich, wie gut sie sich zusammengerauft hatten, seit sie sich zum ersten Mal begegnet waren, fand Astamalia. Wahrscheinlich lag das daran, dass sie sich alle, nicht nur die beiden Frauen, sehr verändert hatten, seit sie gemeinsam auf Abenteuer auszogen.
Astamalia führte Esra in den Bugbereich des Schiffes, indem sich auch der Beobachtungsraum befand.
Byman hatte ihnen diesen Raum bei der Besichtigung des Schiffes ganz besonders ans Herz gelegt. Er meinte, hier würden auch er und die Besatzung den Großteil ihrer Zeit verbringen.
Und schon bald nachdem sie den Hafen von Sharn hinter sich gelassen hatten, wussten die vier auch warum.
In dem kleinen Raum gab es ein Fenster, dass so eingestellt werden konnte, als würde es sich an einem beliebigen Platz an der Außenfläche des Unterwasserschiffes befinden. Es war sogar möglich direkt nach hinten zu blicken.
Als sie beide den Raum erreichten fanden sie bereits Adamant, Thalaën und Byman vor, die die Unterwasserwelt bestaunten.
Vor dem kuppelförmigen Beobachtungsfenster schwammen tausende leuchtende Fische durch das Wasser. Riesige Steinsäulen, mit leuchtenden Moosen bewachsen, stiegen aus der Tiefe empor und reichten nach oben bis knapp unter die Oberfläche, wobei sie sich immer weiter verjüngten. Manche dieser Säulen hatten nur einen Durchmesser von wenigen Metern, aber in der Ferne waren auch größere zu erkennen, deren Spitzen auch die Wasseroberfläche durchstießen und dort kleine Inseln bildeten.
„Die Shargonzähne einmal aus einer anderen Perspektive gesehen“, lächelte Byman und deutete auf das Fenster. „Wunderschön, nicht?“
Gerade als er das sagte entdeckte Esra einen dunklen Schatten, der durch das Wasser auf das Boot zuschoss.
Noch bevor sie etwas sagen konnte ging ein Stoß durch das Schiff, der sie alle durcheinander wirbelte. Die Lichter an den Wänden flackerten und das Boot drehte sich und schlingerte.
Für den Bruchteil einer Sekunde erfasste Esra den Leib eines schlanken Fisches mit einer dreieckigen Flosse am Rücken und einem Maul voller rasiermesserscharfen Zähne.
Dann holte sie die Wirklichkeit des Schiffes wieder ein.
Ein Gnom der Besatzung riss die Tür zum Beobachtungsraum auf:
„Kapitän!“, rief er mit vor entsetzen geweiteten Augen. „Wir haben ein Leck und der Bindering wurde beschädigt!“
Byman spuckte wütend aus.
„Verflucht sei diese übergroße Sardine! Der Verschlinger soll sie holen!“
In seiner Stimme kämpften Furcht und Entschlossenheit gegeneinander an.
„Rasch, wir müssen zur Oberfläche aufsteigen, bevor wir den Elementar verlieren! Auftauchen! Auftauchen!“
Sein Ruf wurde weiter getragen und war rasch von überall aus dem Schiff zu hören.
Esra und die anderen sahen einander verdattert an. Für sie blieb nichts zu tun als sich hier in dem kleinen Raum zusammen zu kauern. Balinor schmiegte sich ängstlich an Esra, den Schweif schon fast zwischen den Vorderbeinen. Er schien schreckliche Angst zu haben.
„Wir scheinen zu steigen“, flüsterte Astamalia, als ein leises Rauschen ertönte.
„Du scheinst recht zu haben“, nickte Adamant.
Doch da ging ein erneuter Ruck durch das Schiff und ein unaussprechlicher gnomischer Fluch drang von der Brücke zu ihnen.
Astamalia steckte den Kopf auf den Gang hinaus.
„Was ist passiert?“
„Wir stecken fest. Die Meerespfeil ist in ein Netz der Sahuagin gefahren. Wir werden rausgehen müssen, ein paar Schwimmstunden machen und die Meerespfeil los schneiden“, erklärte er und versuchte dabei das lauter werdende Geräusch von tropfendem Wasser zu übertönen.
„Aber da draußen treibt sich noch ein riesiger Hai herum!“, rief Esra, der der Schatten wieder einfiel, den sie gesehen hatte.
„Wenn ihr uns zur Hand gehen könntet, würde das natürlich nichts Schaden“, fügte Byman zähneknirschend hinzu.
Astamalia sah die anderen an. Keiner wirkte sonderlich begeistert.
Andererseits war wahrscheinlich auch niemand sehr erpicht darauf in den Shargonzähnen zu sterben.
„Ich gehe mit“, nickte Thalaën als erster.
Dann stimmten auch die anderen zu.

***

Thalaën war gelinde gesagt etwas mulmig zumute, als das Wasser in der Schleuse immer höher stieg. Er konnte nicht ganz glauben, dass der Trank, den er gerade zu sich genommen hatte, ihm ermöglichen würde im Wasser zu atmen. Daher ging sein Atem auch schnell und Schweiß stand auf seiner Stirn.
Das Wasser erreichte seinen Hals, stieg über seinen Kopf.
Instinktiv hielt er den Atem an. Esra neben ihm tat es ihm gleich. Auch sie wirkte nicht sonderlich überzeugt von der Magie.
Schließlich hielt es Thalaën aber nicht mehr aus und inhalierte tief das kalte Meerwasser. Erstaunlicherweise ertrank er nicht.
Erstaunt stieß er sich vom Boden der Schleuse ab und schwamm ins Freie Wasser hinaus. Esra folgte ihm.
Beide zogen sie eine Sicherheitsleine hinter sich her, auf der Byman bestanden hatte. Und sie hatten spezielle Unterwasserarmbrüste in den Händen, aus den Beständen des Unterwasserschiffes.
Anscheinend hatte die Besatzung des Öfteren Außeneinsätze unter Wasser, dachte Thalaën bei sich.
Während er durch das Wasser ruderte sah er sich nach den vier Gnomen um, die vor ihm das Boot verlassen hatten. Sie waren bereits auf halben Weg zu dem riesigen Netz, indem sich die Meerespfeil verheddert hatte.
Die Sahuagin hatten es zwischen vier der steinernen Säulen gespannt. Zu den Eckpunkten des Netzes waren sie nun unterwegs. Je zwei Personen zu einem Netz.
Thalaën schwamm weiter, mit Esra an seiner Seite. Hinter ihnen spuckte das Schiff Adamant und Astamalia aus.
Der Elf wünschte, er würde sich mit den anderen verständigen können. Aber das ermöglichte der geheimnisvolle Trank, den er getrunken hatte, leider nicht.
Plötzlich schüttelte ihn Esra an der Schulter und deutete in die Dunkelheit vor ihnen.
Aus der schoss plötzlich ein riesiger Hai hervor. Ein so großes Tier, wie es Thalaën noch nie gesehen hatte. Das Maul schien groß genug um einen von ihnen problemlos in einem Stück zu verschlingen. Über den Augen und bis hin zur Rückenflosse zogen sich Hornauswüchse und Knochenplatten.
Das war kein Hai, sondern ein Monster!
Das Tier zog an ihnen vorbei und raste auf einen der Gnome zu. Sein Gesicht war zu einem stummen Schrei verzerrt. Luftblasen stiegen vor seinem Mund auf. Dann hatte ihn der Hai erreicht, schnappte beiläufig nach ihm und verschwand in der Dunkelheit. Nicht einmal Blut blieb zurück.
Sein Kollege schwamm tapfer weiter. Schneller nun.
Thalaën deutete Esra, dass sie sich auch weiter um ihren Abschnitt des Netzes kümmern sollten.

Astamalia schwamm Adamant voraus. Der schwere und unbeholfene Kriegsgeschmiedete taumelte mehr durch das Wasser, als das er schwamm und mittlerweile lag er ein gutes Stück hinter ihr. Den Tod des ersten Gnomes hatte Astamalia nicht mitbekommen, sehr wohl aber, als der Hai ein zweites Mal zuschlug und den zweiten auffraß.
Das Vieh schien immer aus dem Nichts aufzutauchen, rasch zuzuschlagen und dann wieder zu verschwinden. Wie sollten sie diesem Ungeheuer bei kommen?
Am Besten wahrscheinlich, indem sie rasch wieder aus dem Wasser verschwanden.
Sie strampelte weiter und suchte dabei eifrig nach dem Hai.
Die beiden überlebenden Gnome hatten inzwischen ihren Netzabschnitt und begannen mit dem durchschneiden desselben.
Wieder raste ein Schatten aus der Dunkelheit des Meeres. Diesmal waren Esra und Thalaën sein Ziel.
Der Elf schien den Hai ebenfalls zu sehen und zog seinen Säbel, doch es war zu spät, der Hai hatte ihn zwischen seinen Zähnen und Sekunden später war er verschwunden.
Astamalia lag ein Schrei auf der Zunge. Doch der hätte doch nichts gebracht. Er wäre nicht zu hören gewesen und er würde Thalaën auch nicht zurückbringen.
Tapfer schwamm sie weiter, erreichte das Netz und zog ihren Dolch.

Thalaën beschloss, dass das eine Erfahrung war, die er nie wieder machen wollte. Und eine, die er ein zweites Mal wahrscheinlich auch nicht überleben würde. Hinter ihm schloss sich die Wunde, die er geschlagen hatte, fast ohne Spuren zu hinterlassen.
Thalaëns Körper war von den Zähnen des Monsters gezeichnet und von der Magensäure zerfressen. Er spürte, dass er Blut in das Meer verströmte. Eine Menge Blut.
Aber zumindest war er wieder frei.
Verrückt.
Er war aus dem Magen eines Hais entkommen! Die Überreste der beiden Gnome, die er gesehen hatte, zeigten ihm, dass die anderen nicht soviel Glück gehabt hatten.

Adamant hasste es zu schwimmen. Das nächste Mal würde er auf dem Boden des Meeres kämpfen. Mit Festen Boden unter den Füßen war ihm wesentlich wohler, als hier durch das unsichere Wasser zu treiben und zu versuchen, dass sein schwerer Körper nicht absoff.
Mittlerweile war es den beiden Gnomen gelungen ihr Netz zu kappen – dafür wurden sie nur Sekunden später ebenfalls von dem Hai verschlungen, der wie ein Schatten aus der Dunkelheit kam. Esra hatte ebenfalls ein Eck erreicht und Astamalia schnitt immer noch an ihrem Ende herum.
Thalaën taumelte, mittlerweile ohne Sicherheitsleine, durch das Wasser und zog eine rote Spur hinter sich her.
Noch während sein Blick auf dem Elfen ruhte, fühlte sich der Kleriker herumgewirbelt, Zähne durchbohrten seine Rüstung und dann fand er sich in einer Speiseröhre wieder.
„Ich schmecke sicher nicht gut“, dachte Adamant bei sich, als er schließlich im Magen der Bestie landete.
Adamant fand die morbide Zeit sich kurz umzusehen. Er war von den Überresten der gnomischen Mannschaft umgeben. Und die vier bildeten keinen sehr schönen Anblick. Hätte er nicht gewusst, worum es sich handelte, hätte er die vier sicherlich nicht als Gnome identifizieren können.
Seufzend zog er sein Schwert und hieb damit gegen die Magenwand. Nichts wies daraufhin, das Thalaën vor noch nicht einmal einer Minute hier seinen Weg nach draußen gesucht hatte. Er würde also ganz von vorne anfangen müssen.
Als er gerade seinen zweiten Schlag anbrachte stieß etwas von hinten gegen ihn. Es war Thalaën, schon wieder.
„Du hast auch kein Glück“, dachte Adamant bei sich. Der Elf reagierte nicht mehr.
Sein Körper war über und über mit Bisswunden versehen. Diesmal schien ihn der Hai voll erwischt zu haben.
Rasch legte er ihm die Hände auf und murmelte ein Gebet. Sofort schlossen sich die schlimmsten Wunden des Kämpfers und der Elf schlug die Augen wieder auf.
Er lächelte zerknirscht und zückte im gleichen Augenblick seinen Säbel.
Die Aufforderung war klar.
Sie mussten hier raus, bevor die Magensäure sie komplett zerfraß.

Die beiden Männer kamen aus dem Magen des Hais, in dem Moment, als das vierte Ende des Netzes durchschnitten wurde.
Astamalia winkte den anderen zu: Rasch zurück ins Schiff war das Zeichen.
Der Hai schien verschwunden.
Aber niemand wusste, ob er nicht doch noch zurückkommen würde um seine Arbeit zu vollenden.

***

Die Meerespfeil durchstieß die Wasseroberfläche und kam sanft neben einer der zerklüfteten Felseninseln der Shargonzähne zur Ruhe. Die Felseninsel, die sich Byman ausgesucht hatte, war relativ flach und gut begehbar, während alle anderen Inseln in Sichtreichweite allesamt stark zerklüftet oder gewölbt wirkten.
„Viel besser wird es wohl nicht werden“, bemerkte Byman. „Steigen wir aus und sehen wir zu, dass wir das Schiff wieder flott bekommen. Es wäre mir recht, wenn ihr Wache schieben könntet. Für den Fall, dass es weitere böse Überraschungen gibt.“
Die vier nickten einheitlich, wenn auch nicht sehr überzeugt. Sie hatten alle zusammen gerade erst ihre Wunden geheilt und sich nur kurz ausgeruht. Die Aussicht jetzt schon wieder einen Kampf zu beginnen war nicht sehr verlockend.
Dennoch verließen sie gemeinsam mit den beiden überlebenden Besatzungsmitgliedern und Byman das Schiff.
Die Wellen brachen sich an der Steinküste und die Monde spendeten ein kaltes weißes Licht.
In diesem Licht waren vier große Gestalten zu sehen, die über die Felsinsel auf das Schiff zukamen.
„Wir haben Besuch“, murmelte Thalaën und zog seinen Krummsäbel.
Als die Wesen näher kamen waren die vier eindeutig als Sahuagin zu erkennen.
„Wollen euer Geld! Sonst nehmen Leben!“, krächzte einer von ihnen gebrochen in der Handelssprache.
„Kein Geld! Nie und nimmer werden wir Plünderer unterstützen!“, rief Adamant und zog sein Schwert.
Astamalia seufzte. Sie sollten wirklich einmal an seinen Wortmeldungen bei Verhandlungen üben. Aber vielleicht konnte sie die Dinge wieder richtig stellen.
Rasch sprach sie eine Bezauberungsformel auf den Anführer.
„Die Reichtümer die ihr sucht, befinden sie am Grund des Meeres beim Hai!“, rief sie, nachdem der Sahuagin für ihre Einflüsterungen empfänglich war.
Der Seeteufel gab ein Geräusch von sich, dass warhscheinlich ein Lachen sein sollte.
„Mein Hai! Keine Schätze dort!“, rief er und hob drohend seinen Dreizack.
„Das waren wohl die Verhandlungen“, seufzte Astamalia und hob ihre Armbrust.
Nur eine Minute später war alles vorbei.
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 28. April 2008, 20:42:10
Hallo ihr schweigenden Mitleser  :D
Die Helden befinden sich ja bereits mitten im dritten Abenteuer und damit nähert sich die Geschichte langsam aber sicher seinem Ende.

Nur falls es da draußen jemanden geben sollte, der immer ungeduldig auf die Fortsetzung wartet. Der zweite Teil der Kampagne wird noch etwas auf sich warten lassen. Aber nun weiter...
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 28. April 2008, 20:43:13
Sturmkap

Zwei Tage später erreichte die Meerespfeil die Küste von Xen’drik.
„Wir sind nicht direkt in der Stadt gelandet“, erklärte Byman den Ausblick auf den Dschungel. „Niemand darf herausfinden, dass es dieses Schiff gibt, daher diese Sicherheitsmaßnamen.“
Er deutete den Sandstand entlang.
„Wenn ihr in diese Richtung geht kommt ihr in die Stadt. Ich werde hier mit meinen Männern und dem Schiff dreißig Tage lang auf euch warten. Solltet ihr dann noch nicht zurück sein, muss ich annehmen, dass ihr im Dschungel ums Leben gekommen seid. Solltet ihr später kommen, müsst ihr euch selbst einen Weg zurück suchen“, erklärte er trocken.
„Ihr solltet Sturmkap vom Hafen her betreten“, weihte er sie weiter in die Pläne ein. „Diese Reisepapiere belegen, das ihr auf der Starkwind, einer Galeone von Haus Lyrandar, in die Stadt gekommen seid und dass ihr Angehörige einer Forschungsexpedition der Morgrave-Universität seid.“
Er gab jeden von ihnen einen Umschlag mit dem Siegel von Haus Sivis darauf. Dann lachte er:
„Ihr solltet das allerdings nicht herumerzählen. Ansonsten würde es wohl nicht lange dauern, bis eure Geschichte auffliegt.“
Er sah die vier Abenteurer nacheinander mit ernstem Gesicht an.
„Viel Glück. Ihr werdet es brauchen.“

***

Sie marschierten eine gute Stunde, bis sie Sturmkap vor sich sahen.
„Das ist ja eine Ruine!“, entfuhr es Adamant. „Irgendetwas schreckliches muss dieser Stadt passiert sein…“
Astamalia lachte. Sie kannte die Geschichten über die Stadt.
„Nein, Adamant. Sieh genauer hin. Die Stadt ist noch weiter entfernt, als es scheint.“
Der Kriegsgeschmiedete blickte die Magiern verwirrt an, warf dann aber noch einen genaueren Blick auf die Mauern der Stadt. Dann sah er, was Astamalia gemeint hatte. Was er auf den ersten Blick gesehen hatte, waren die Ruinen der Riesenstadt, die hier einst gestanden hatte. Zwischen den gewaltigen Blöcken befanden sich aber kleinere, neuere Gebäude in den unterschiedlichsten Stilrichtungen. Der geflammte Stil Thranes war ebenso zu erkennen wie die Holzhütten aus den Schattenmarschen. Etliche riesige Steinmauern liefen quer durch die Stadt und außen rundherum.
„Eine beeindruckende Stadt“, nickte Adamant staunend.
„Nur von Riesen gebaut“, lenkte Thalaën ein. Sein Blick war düster und nicht sehr freundlich, als der die Stadt musterte.
Astamalia nahm an, dass es an der Vergangenheit der Stadt lag.
Sie marschierten weiter und betraten die Stadt über den Hafen, wie es ihnen Byman geraten hatte. Direkt an den Hafens schloss sich das Marktviertel der Stadt an.
Quer durch das Marktviertel lief ein breiter Kanal, der von einer breiten Brücke überspannt wurde. Überall im Viertel, ja sogar auf der Brücke, standen kleine Verkaufsstände und Händler priesen lautstark ihre Waren an: Geflügel, Vieh, Süßigkeiten, Holz, Silber, Perlen, Felle, Kristalle, Pergament, Waffen und exotische Früchte; hier schien es wahrhaft alles zu geben. Zwischen den Ständen buhlten Tänzer, Jongleure, Feuerschlucker, Puppenspieler und angebliche Hexenmeister um die Aufmerksamkeit der vorbeieilenden.
Staunend schritten sie durch die Straßen, die nur so überquollen vor mit Waren beladenen Wagen und karren und Dutzenden verschiedenen Spezies, die hier alle ihrem Tagesgeschäft nachgingen. Hunderte Stimmen in ebenso vielen Sprachen ertönten rund um sie. Sturmkap schien ein Schmelztiegel der Kulturen zu sein, neben dem sogar Sharn alt aussah.
„Wir sollten uns eine Unterkunft suchen. Beziehungsweise herausfinden, wie wir am besten in den Dschungel kommen“, schlug Esra vor.
Astamalia lief ein kalter Schauer über den Rücken. Dschungel. Wald.
Sie unterdrückte ihre Furcht und nickte.
Immerhin war es einer einfachen Waldläuferin gelungen ihre Furcht vor dem Wasser und den modernen Transportmöglichkeiten zu bezwingen. Dann würde es ihr als Magierin doch möglich sein, in einen Wald zu gehen. Zumal sie schon gefährlicheres bezwungen hatten, als ein paar Tiere, die im Wald lebten.
„Wir sehen am besten am Fluss nach. Ich bin mir sicher, das ist der Rachi, der hier ins Meer mündet. Jener Fluss also, an dem wir auch das Schema finden werden; wenn alles gut geht.“
Die anderen nickten zustimmend.

Thalaëns Gefühle waren zwei gespalten. Auf der einen Seite freute er sich, endlich einmal die Heimat seiner Vorfahren zu besuchen und hier beweisen zu können, dass er seiner Ahnen würdig war. Auf der anderen Seite beschworen die Ruinen der Riesen – jenes Volk, dass das seinige erschaffen und als Sklaven gehalten hatte – Urängste in ihm, die ihn dazu drängten den Kontinent sofort wieder zu verlassen.
Er verstand nun, warum sein Volk es damals vorgezogen hatte, die Riesen und Xen’drik hinter sich zu lassen und auf Aerenal noch einmal ganz von vorne anzufangen. Dieser Ort hier war zu alt und hatte zu viel erlebt, als dass es einer neuen Kultur möglich wäre, hier etwas neues aufzubauen.
Das zeigte schon alleine das Flickwerk hier in Sturmkap. Die Menschen hatten nichts neues aufgebaut, sondern sich die Ruinen der Riesen zunutze gemacht. Nun hausten sie hier zwischen Jahrtausende alten Ruinen, ohne wirklich zu wissen, worauf sie ihre Stadt hier in Wahrheit errichtet hatten.
Das war nicht gut.
„Das hier sieht gut aus!“, rief Esra und deutete auf eine kleine Baracke am Ufer des Rachi, neben der ein kleines Flussboot in den Wellen trieb. Über der Tür der Baracke war das verblasste Siegel des Hauses Orien zu sehen.
„Aber ob hier noch jemand zu Hause ist“, zweifelte Adamant.
Die Fensterläden waren geschlossen und die Büsche und Wiesen rund um die Baracke wirkten verwildert. Immerhin schien das Flussboot noch in einem einigermaßen passablen Zustand zu sein. Zumindest schwamm es noch.
„Es gibt wohl nur eine Möglichkeit das herauszufinden“, erklärte Thalaën und klopfte fest gegen die Tür.
Von drinnen war ein Fluch und ein poltern zu hören.
Dann geschah länger gar nichts, ehe die Tür einen kleinen Spalt weit geöffnet wurde. Der Geruch nach billigem Schnaps und Schweiß schlug Thalaën entgegen.
„Ja?“, lallte der unrasierte Mann, der dem Elfen entgegen blickte. Seine Alkoholahne ließ Thalaën schauern.
„Wir suchen eine Passage den Rachi hinauf und wollten fragen, ob man Euer Flussboot mieten kann.“
„Ja, kann man“, gähnte der Mann und öffnete die Tür weiter. Er hatte dunkles Haar und eingefallenes rotgeränderte Augen. Sein Oberkörper war nackt, die Hose bestand wahrscheinlich aus Leinen, aber da war sich Thalaën nicht so sicher.
„Ich bin Chinxero, Kapitän der Marlow. Wo soll’s denn hingehen?“, fragte er und kratzte sich unter der rechten Achsel.
„Den Rachi hinauf.“
„Wie weit denn?“
„Etwa sechshundert Kilometer. Bi dorthin wo…“, begann Adamant.
Doch noch bevor jemand aus der Gruppe ihm einen Tritt geben konnte hatte der Kapitän schon heftig den Kopf geschüttelt.
„Sehe ich aus, als wär’ ich lebensmüde? Ich fahre doch nicht so tief in den Dschungel hinein. Hab ja außerdem auch noch andere Geschäfte am Laufen, die ich nicht so lange liegen lassen kann.“
Er warf einen Blick in die Dunkelheit der Baracke.
„Außerdem ist der Schnaps alle. Muss neuen besorgen. Ist dieser Tage etwas schwierig geworden guten Stoff in der Stadt zu bekommen.“
Er rülpste.
„Sucht euch jemanden anderen“, lachte er. „Auch wenn es schwer werden dürfte. Marlow ist das beste und schnellste Flussboot am Rachi. Ist aber auch fast das einzige.“
Er lachte grölend über seinen eigenen Witz und schlug Thalaën dann die Tür vor der Nase zu.
„Das war dann wohl nichts“, murmelte der Elf.
„Wir könnten das Boot stehlen“, schlug Esra vor, was ihr einen bösen Blick von Adamant einbrachte.
„Äh… leihen.“
Astamalia schüttelte den Kopf.
„Nein, wir brauchen jemanden, der sich hier auskennt. Außerdem kann ich nicht mit einem Schiff fahren und ich denke, von euch kann das auch keiner. Wir brauchen also diesen Kapitän und seine Mannschaft, oder ein anderes Fortbewegungsmittel.“
Sie drehte sich zur Stadt um und überlegte.
„Hm, wie wäre es, wenn wir dort nachfragen!“, rief sie plötzlich und deutete auf einen hohen schlanken Turm.
„Das sieht mir sehr nach einer Andockstation für Luftschiffe aus.“
Esra seufzte.

***

Der Andockturm stand auf den Überresten einer alten Mauer der Riesen und war relativ klein und schäbig. Zwar war die Einrichtung um ein vielfaches besser als in der Baracke am Fluss, aber die Arbeitseinstellung hier schien die gleiche zu sein.
Die leitende Halbelfe der Enklave hatte die Füße auf ihrem Schreibtisch und blickte die vier gelangweilt an.
„Ja, was gibt’s denn?“
„Wir wollten fragen, ob es möglich ist eine Passage mit einem Luftschiff zu buchen? Oder am besten ein Luftschiff zu mieten“, kam Astamalia gleich zur Sache.
„In Sturmkap gibt es keinen regelmäßigen Luftschiffverkehr. Daher könnt Ihr auch keine Reise buchen. Und wie Ihr sicherlich feststellen konntet, liegt im Moment auch kein Schiff vor Anker, welches man mieten könnte. Tut mir leid.“
„Wann ist denn damit zu rechnen, dass wieder ein Luftschiff vorbeikommt?“, erkundigte sich Esra.
Die Halbelfe zuckte mit den Achseln.
„Was weiß ich. Über das letzte wurde ich ja auch nicht informiert. Das waren auch so merkwürdige Typen wie Ihr.“
Astamalia spitzte die Ohren.
„Was waren denn das für Typen?“, fragte sie.
„Bin ich ein Auskunftsbüro?“, giftete die Angestellte zurück.
Astamalia unterdrückte die Worte, die ihr auf der Zunge lagen und legte eine Handvoll Galifar auf den Tisch. Diese Stadt fing an sie zu nerven.
„Sind nur kurz hier gewesen und haben etwas Proviant aufgenommen. Außerdem wollten sie zu einer Stelle mitten im Dschungel. Ich habe ihnen davon abgeraten auf direktem Weg dorthin zu fliegen und stattdessen dem Rachi zu folgen. Waren darüber nicht sehr erfreut.“
„Könntet Ihr uns noch sagen, wer Kapitän des Schiffes war, oder ob Ihr etwas merkwürdiges festgestellt habt?“, erkundigte sich Astamalia weiter.
Der Blick der Angestellten fiel auf grinsend auf ihren Geldbeutel und die Magiern legte abermals ein paar goldene Münzen auf den Tisch.
„Der Kapitän nannte sich Rarwog. Er war auch der einzige, der das Schiff verlassen hat. Alle anderen sind während des ganzen Aufenthalts nicht einmal vom Schiff gekommen. Sehr seltsam. Dabei reißen sich die meisten darum sich etwas die Beine zu vertreten, sobald sie die Shargonzähne hinter sich haben. Achja, ich habe einmal einen Kriegsgeschmiedeten an Bord gesehen. Finsterer Bursche wie mir schien.“
Sie zuckte mit den Achseln.
„Aber egal. So unerfahren, wie sie alle wirkten, werden wir sie wahrscheinlich alle nie wieder sehen.“
Sie grinste.
„Danke für die Information“, bedankte sich Astamalia und wandte sich zum gehen.
„Ah, noch eine Frage“, warf Esra ein. „Ihr habt doch sicherlich gute Beziehungen zu den Märkten. Wo könnten wir denn eine gute Flasche Alkohol erstehen, wenn wir eine brauchen würden?“
Die Angestellte nahm ihre Füße vom Tisch und wirkte mit einem Mal sehr professionell.
„Wie viel seid ihr denn bereit auszugeben?“
„Was verlangt Ihr denn wofür?“
„Eine Flasche besten Lhazaar Rum für 50 Galifar.“
„Das kommt mir etwas teuer vor“, murrte die Wandlerin.
„Nun, es ist wahrscheinlich auch eine der letzten Flaschen in der Stadt, ehe Nachschub eintrifft. Und wenn das sein wird, weiß wohl nur die Heerschar.“
Ohne weiter zu murren warf Esra das Geld auf den Tisch und erhielt im Austausch eine Flasche mit dunklem Inhalt, von der offenbar jemand versucht hatte ein Etikett abzulösen.
„Schmu..ware besch…nahmt“, las Esra, bevor sie die Flasche wegsteckte und sich verabschiedete.

***

Die Taverne zur Schiffskatze war zwar sicherlich nicht die beste in der Stadt, aber auch nicht die schlechteste. Und sie hatte sich auf Abenteurer und ihre begleitenden Tiere spezialisiert und kam ihnen daher recht gelegen.
„Das essen hier ist immer noch um einiges besser als die Trockennahrung auf der Meerespfeil“, erklärte Thalaën mit vollem Mund, nachdem er gerade de dritten Teller leer gemacht hatte.  „Und wenn die Zimmer auch noch etwas größer sind, dann stört mich gar nichts mehr.“
„Da hast du wohl recht“, nickte Astamalia und lächelte dabei innerlich.
Es war doch erstaunlich, wie weit ihre Ansprüche gesunken waren, seit sie ihre drei Freunde kennen gelernt hatte. Früher wäre sie nie und nimmer in einer solchen Absteige hängen geblieben. Heute teilte sie die Meinung Thalaëns, dass eine warme essbare Mahlzeit und ein trockenes Bett schon mehr war, als man sich erwarten konnte.
„Entschuldigt bitte, aber ich denke ich habe eine Nachricht für Euch.“
Alle vier drehten sich zu dem blonden Jungen um, der etwas unsicher an ihrem Tisch stand und ihnen ein schmales Stück Pergament entgegen hielt.
„Ich sollte vier Personen finden, die gerade aus Sharn angekommen sind. Eine Gruppe bestehend aus einem Kriegsgeschmiedeten, einer Wandlerin, einem Elfen und einer Halbelfe. Seid Ihr gerade aus Sharn gekommen?“
„Ich denke, wir sind diejenigen, die du suchst“, nickte ihm Adamant freundlich zu. „Wer schickt uns denn diese Nachricht?“
„Ein Mann hat mich vor ein Paar Tagen beauftragt nach Euch Ausschau zu halten.“
„Das hast du gut gemacht“, nickte Adamant und warf dem Jungen einen Galifar zu.
Staunend betrachtete der das goldene Stück, ließ es dann aber ganz schnell in seiner Hosentasche verschwinden und lief davon, ehe es sich der Besitzer anders überlegen konnte.
Inzwischen hatte Thalaën den Brief geöffnet.
„Ich antworten - Fragen für Gold. Ich Surthain. Mich treffen jetzt Xaponath Straße, altes Viertel“, las er vor. „Ich nehme nicht an, dass jemand von euch diesen Surthain kennt, oder?“
„Nein. Aber ich nehme auch an, dass es eine Falle des Orden ist, um uns unschädlich zu machen“, vermutete Astamalia.
„Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht hat nur jemand mitbekommen warum wir hier sind und will uns helfen. Oder es handelt sich um einen Freund oder Bekannten von Elaydren. Du solltest öfter das Positive in den Wesen rund um dich sehen“, forderte sie Adamant auf.
„Egal. Wir werden es ohnehin nur herausfinden, wenn wir uns dorthin auf den Weg machen und ihn fragen, oder?“, warf Thalaën ein.
Und dagegen konnte niemand etwas sagen.

***

Die Straße, die sie suchten, befand sich in einem eher schlechteren Teil der Stadt. Die meisten Marktstände hatten immer noch geöffnet, obwohl es schon längst dunkel war. Aber wenn Esra einen Blick auf die Waren warf, dann war ihr auch klar warum. Viele von den Dingen schienen gebraucht zu sein und sie war sich sehr sicher, dass nicht jeder der ursprünglichen Besitzer sich freiwillig von ihnen getrennt hatte.
„Sieht so aus, als wäre das unsere Straße“, meinte Astamalia und bog in eine schmale, dunkle Seitengasse ein.
Die sich rasch als Sackgasse entpuppte.
„Ich denke, das ist eine Falle…“, murmelte Thalaën und zog seinen Krummsäbel.
Auch Esra hatte bereits ihren Bogen in der Hand und wandte sich um. Aus den Schatten kam ein riesiger Oger. Allerdings schien es kein normaler Oger zu sein. Zumindest wirkter er sauberer, seine Augen intelligenter, vor allem aber seine Ausrüstung teurer und gepflegter, als die eines normalen Vertreters seiner Art.
Mit einem grölenden Schrei zog er sein riesiges Bastardschwert und stürmte auf sie zu.
Zwei Pfeile trafen ihn beinahe gleichzeitig, aber das schien ihn nicht zu stören.
Mit einem gewaltigen Schlag hieb er auf Thalaën ein.
Blut spritzte in alle Richtungen und der Elf taumelte.
„Für die Flamme!“, rief Adamant und drang nun seinerseits auf den Oger ein, während sich der Elf von dem Angriff erholte und Seite an Seite mit dem Kriegsgeschmiedeten auf den Feind einhieb.
Astamalia zauberte magische Geschosse und Unterstützungszauber so rasch sie konnte. Aber nur langsam zeigten die Schläge auf den Oger Wirkung.
Irgendwann gab es Esra auf, ihn mit Pfeilen zu verletzen und griff nach ihrem Bihänder.
Zu dritt im Nahkampf und mit Astamalia im Rücken als Unterstützung gelang es ihnen nach und nach den Oger zurückzudrängen, bis er schließlich in die Knie ging und ihm Adamant sein Schwert durch die Kehle rammte.
„Nun, der wird uns wohl nichts mehr verraten“, keuchte Astamalia. Sie war die einzige, die nicht von oben bis unten mit Blut besudelt war, wie Esra feststellte.
„Ich verfüge über einen Zauber, mit dem ich mit ihm sprechen könnte. Aber ich kann nichts garantieren.“
„Was soll der uns schon sagen?“, wunderte sich Thalaën. „Er wurde sicherlich nur angeheuert uns hier zu töten und mehr wird er auch nicht wissen.“
Er blickte auf die Leiche hinab.
„Lasst uns nachsehen ob wir seine Ausrüstung verkaufen können. Dann sollten wir wieder in die Schiffskatze zurück, wenn wir wirklich morgen mit der Marlow aufbrechen wollen. Immer vorausgesetzt natürlich, dieser versoffene Kapitän ist bereit uns zu fahren.“

***

Der Schankraum der Schiffskatze war gut gefüllt.
Und Adamant fiel sofort beim eintreten eine schlanke silberne Gestalt auf, die gegenüber dem Eingang saß und ihn anstarrte.
Bis gerade eben war ihm noch gar nicht aufgefallen, dass er noch nicht einen anderen Kriegsgeschmiedeten gesehen hatte, seid sie in der Stadt angekommen waren.
Umso erstaunter war er über die Gestalt, die ihn gerade mit unverhohlener Offenheit musterte.
Die Kriegsgeschmiedete war sehr klein, zierlich und besaß außerdem nicht zu übersehende weibliche Formen. Etwas, das Adamant noch bei keinem seiner Art gesehen hatte.
Als Panzerung trug sie eine schimmernde Mithralrüstung.
Ohne auf seine Gefährten zu achten ging er auf sie zu.
„Hallo“, begrüßte er sie.
„Ich grüße Euch“, erwiderte sie mit heller, klingender Stimme.
„Mir ist gerade, als ich Euch gesehen habe, aufgefallen, dass ich hier in Sturmkap noch keine anderen Kriegsgeschmiedeten gesehen habe. Habt Ihr etwas dagegen, wenn ich mich daher kurz zu Euch setze?“, fragte Adamant und war selbst etwas überrascht über diese Frage.
Sein Gegenüber nickte.
„Es ist wahr, es gibt nicht sehr viele von uns hier. Die meisten, die es nach Xen’drik verschlägt, versuchen ihr Glück im Dschungel. Nur wenige bleiben in der Stadt. Mein Name ist übrigens Mithralklinge“, stellte sie sich vor und reichte ihm die Hand.
Adamant konnte sich nicht erinnern, je einen Kriegsgeschmiedeten erlebt zu haben, der sich so menschlich verhielt wie sie.
„Mein Name ist Adamant“, stellte er sicht vor.
Dann musterte sie genauer und Misstrauen stieg in ihm hoch.
„Ihr seid doch nicht Mitglied des Klingenfürsten, oder?“
Sie lachte, leise und hell.
„Nein, warum sollte ich? Ich kann mit diesem Fanatiker nichts anfangen. Unser Volk tauscht mit ihm nur eine Herrschaft gegen eine andere aus. Es wird dadurch nichts gewinnen. Aber denkt deshalb nicht, dass ich seinen Lehren ablehnend gegenüber stehe.“
„Wie meint Ihr das?“
„Nun, ich finde die Idee, unserer Rasse einen eigenen Staat zu geben durchaus vernünftig. Und warum nicht auch im Klagland. Dieser Landstrich wird doch ohnehin von keiner anderen Spezies mehr beansprucht und außer uns kann dort auch niemand überleben.“
„Hm“, machte Adamant. „Wahrscheinlich habt Ihr damit recht. So habe ich das noch nie betrachtet.“
„Ihr dachtet wohl immer nur, dass der Klingenfürst schlecht ist und damit auch alles andere, was er verkörpert?“
„So etwas in der Art“, gestand der Kleriker, worauf sie wieder lachte.
„Macht deswegen kein so trauriges Gesicht. Es geht doch vielen so. Aber Ihr solltet wahrlich bedenken, dass eine schlechte Umsetzung noch lange keine schlechte Idee bedeutet.“
„Da habt Ihr recht“, musste ihr Adamant abermals zustimmen, worauf eine kurze Pause entstand.
„Eine interessantes Symbol habt Ihr hier auf Eurer Brust“, begann sie wieder zu sprechen und fuhr mit ihren Fingern die eingebrannte XIII nach. „Ich hatte so etwas ähnliches“, erwähnte sie nebenbei, als sie aufstand und sich dem Ausgang zuwandte. „Es war eine II. Ich habe sie mir schon vor geraumer Zeit entfernen lassen.“
„Dann wisst Ihr, was es damit auf sich hat?“, staunte Adamant.
„Wer weiß. Bis bald!“, lachte sie und winkte.
„Werden wir uns wieder sehen?“, wunderte sich der Kleriker.
„Ah, ich denke doch. Eberron ist eine so kleine Welt“, meinte sie geheimnisvoll und verließ das Lokal. An ihr vorbei drängte sich eine junge Elfe herein.

„Was wolltest du denn von der? Kanntest du die?“, forschte ihn Astamalia aus, während sie sich alle zusammen zu Adamant setzten.
„Nein, ich wollte nur mit ihr reden. Sie hatte einige interessante Erkenntnisse bezüglich des Klingenfürsten. Aber bevor ich mit euch darüber rede, muss ich mir wohl selbst erst darüber klar werden, was sie mir alles gesagt hatte“, murmelte Adamant und verfiel in Schweigen.
„Die Prophezeiung hatte recht. Ich wusste, dass ich euch hier finden würde“, sprach sie plötzlich die Elfe an, die gerade das Lokal betreten hatte.
Alle vier wandten ihr interessiert den Blick zu.
Sie hatte schulterlanges schwarzes Haar und gebräunte Haut. Über ihrer schweren Rüstung trug sie eine Kleidung aus seltsamen Fellen. Darunter musste sie erbärmlich schwitzen. Um den Hals hatte sie eine Kette mit den Zähne und Klauen von Tieren und das Haar hatte sie sich mit vielen kleinen leuchtenden Perlen geschmückt. Ihre blauen Augen wirkten, als würden sie durch die vier und das ganze Lokal hindurchblicken.
„Ah, und wer seid Ihr, wenn ich fragen darf?“, warf Astamalia schließlich ein.
„Mein Name ist Muroni. Eine einfache Gelehrte, die den Mythen der Drachenprophezeiung folgt, um die wahre Bedeutung hinter den Geschehnissen der Welt zu enträtseln.“
Sie verbeugte sich leicht.
„Angenehm, wir sind…“, begann Adamant, der froh war, dass ihn etwas von seinen Gedanken ablenkte.
„Ich weiß wer ihr seid“, wehrte Muroni ab. „Die geschickte Esra Emorien, der tapfere Thalaën Tedaé, der weise Adamant und die kluge Astamalia d’Lyrandar. Die Prophezeiung hat mich direkt zu euch geschickt. Sie spricht von großen Ereignissen, die sich hier in Xen’drik abspielen sollen. Ereignisse, bei denen ihr eine zentrale Rolle spielen werdet.“
Sie holte tief Luft und kurz schienen ihre Augen klar zu werden.
„Würdet ihr mir erlauben Zeugin dieser Ereignisse zu werden? Ich würde euch unterwegs beistehen, so gut es in meinen Kräften steht.“
„Wenn das nicht die dümmste Falle des Ordens ist, die uns je untergekommen ist…“, murmelte Thalaën und griff langsam nach seinem Säbel. Doch Astamalia schüttelte den Kopf.
„Ich glaube nicht, dass das eine Falle ist. Denkt doch an die Male, die uns immer wieder erscheinen. Wir scheinen wirklich ein Teil der Prophezeiung zu sein. Auch wenn ich nicht sehr erfreut darüber bin“, meinte sie mit einem Seitenblick auf Muroni, die immer noch lächelnd auf eine Antwort wartete.
„Aber wenn Ihr die Prophezeiung schon kennt, wenn Ihr wisst, was kommen wird, warum wollt Ihr dann dabei sein, wenn sie sich erfüllt“, wunderte sich Adamant.
„Nun, zum einen kann ich selbst die Linien der Drachen nicht lesen“, erklärte sich Muroni geduldig. „Das kann nur mein Meister. Und auch er kann nicht alles erkennen, was da kommen wird. So weiß er etwa nicht, welche Ereignisse hier ihren Höhepunkt finden werden. Darum bin ich hier.“
„Und wer ist dein Meister?“, hakte Thalaën misstrauisch nach.
„Ein weiser alter Drache namens Vuulaytherus“, erklärte die Elfin offen.
„Drachen“, fauchte Thalaën. Doch Esra legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter.
„Drachen bekämpfen mein Volk schon seit Jahrtausenden.“
„Mag sein“, erklärte Muroni gleichmütig. „Aber nicht alle Drachen sind wütend auf die niederen Rassen oder sind der Meinung, dass man sich von ihnen distanzieren sollte. Manche sind der Meinung, dass die niederen Rassen durchaus einer Beobachtung und Einmischung wert sind. Diese Drachen haben sich in der Kammer zusammengefunden – der auch meine Herrin angehört. Sie riskieren ihr Leben indem sie das Leben auf den anderen Kontinenten untersuchen und den Menschen und den anderen Völkern helfen und bei ihnen das auftreten der Drachenmale untersuchen.“
„Scheint mir nichts böses“, nickte Esra. „Auch wenn ich von dem Begriff ‚niedere Rassen’ nicht begeistert bin.“
Astamalia grinste.
„Dann hat wohl niemand etwas dagegen, wenn wir Muroni mit uns nehmen?“
„Nicht, wenn wir dauerhaft ein Auge auf sie werfen“, warf Thalaën ein.
„Damit bin ich einverstanden, schlafender Elf“, nickte Muroni, immer noch lächelnd.

***

Mit aller Kraft schlug Thalaën gegen die Holztür der Baracke, bis endlich ein Geräusch aus dem Inneren zu hören war.
„Verschwindet!“, lallte Chinxero. „Ich fahre erst morgen wieder!“
„Wir wollen aber heute Ihr Flussboot mieten!“, rief Thalaën und trommelte weiter gegen die Tür.
Esra hielt ihn gerade noch davon ab sie einzuschlagen.
„Wir haben außerdem Rum dabei“, rief sie in der kurzen Ruhepause.
Sofort waren schlurfende Schritt von drinnen zu hören, dann öffnete sich die Tür einen Spalt weit.
„Kein Witz?“, fragte der Kapitän.
Esra schüttelte den Kopf und schwenkte die Flasche vor seinem Gesicht.
Sofort öffnete Chinxero die Tür vollends und griff nach der Flasche. Doch Esra war schneller und zog sie ihm weg.
„Wir wollen 600 Kilometer den Rachi hinauf“, erklärte sie ihm noch einmal.
„Ich habe euch doch schon gesagt, dass das zu weit und zu gefährlich ist“, brummte er und fixierte dabei die Flasche wie die Schlange das Kaninchen. „Ich kann euch die Halbe Strecke fahren.“
Thalaën schüttelte den Kopf, als er sah, dass Astamalia darauf eingehen wollte.
„Dann schaffen wir es nie rechtzeitig vor dem Orden. Ein Fußmarsch durch den Dschungel bei dieser Entfernung würde Monate dauern. Nein, er muss uns bis zum Ende fahren.“
„Ah kommt schon, so schlimm wird der Dschungel für einen mutigen Mann wie euch doch nicht sein“, versuchte es nun auch Adamant. Und anscheinend hatte er Chinxero damit bei der Ehre gepackt.
„Mutig pah!“, rief er. „Nun gut. Für 4000 Galifar fahre ich euch. Aber nicht für eine Münze weniger“, stellte er klar.
„Das ist Wucher!“, rief Astamalia aus. „Dafür können wir das Schiff ja kaufen!“
„Und wer soll es dann fahren?“, grinste Chinxero zurück.
„Viertausend sind in Ordnung“, vernahmen sie da eine ruhige Stimme aus dem Hintergrund. Muroni trat vor und drückte dem Kapitän einen dicken Lederbeutel in die Hand der sehr schwer aussah und laut klimperte.
„Ihr könnt das Geld nachzählen, wenn wir uns an Bord befinden. Los jetzt.“
Damit stapfte sie den anderen voraus zum Dock hinab, wo das Flussboot von der Besatzung gerade beladen wurde.

***

Kaimane, Flussotter und zahllose Fische schwammen neben und hinter der Marlow her. Der Dschungel zu beiden Seiten des Schiffes wurde immer dichter, je weiter sie sich von der Stadt entfernten. Hin und wieder waren Bereiche kahl geschlagen und kleine Gehöfte oder auch Ansiedlungen waren zu sehen. Aus dem Dschungel waren hunderte verschiedene Vogelarten zu hören und zu sehen. Selbst die Mannschaft schien sie nicht alle zu kennen, denn immer wieder blickten sie staunend einem der Vögel hinterher oder lauschten einem besonders markantem Ruf.
„Es war sehr freundlich von Euch, uns das Geld für die Fahrt zu geben“, bedankte sich Astamalia bei der Elfe und setzte sich neben sie an den Bug des Bootes.
„Keine Ursache“, wehrte sie ab und starrte dabei weiter den Fluss entlang. „Ich sagte bereits, dass ich euch mit all meinen Kräften unterstützen werde. Allerdings sind meine finanziellen Mittel nun aufgebraucht. Nur zu eurer Information.“
„Ah“, machte Astamalia.
„Wisst Ihr auch, wie dieses Abenteuer ausgehen wird?“
„Natürlich“, lachte Muroni. „Die Prophezeiung hat es vorhergesagt. Aber es hat keinen Sinn mich danach zu fragen, ich werde es euch nicht verraten. Die Pfade von Schicksal und Bestimmung dürfen sich erst zur rechten Zeit verweben und nicht vorher.“
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 07. Mai 2008, 23:11:44
Die Ruine

Fünf Tage, einen Angriff durch zwei Trolle und durch mehrere aggressive Dinosaurier später erblickte Esra jene Landschaftsmerkmale am Fluss, welche die Dame Elaydren ihnen beschrieben hatte.
Der Rachi floss hier um eine Biegung und das Land ringsum begann sich aus der dichten Vegetation des Dschungels empor zu heben. Und als die Marlow um die Biegung fuhr konnte Esra auch die beiden riesigen Hände aus Stein sehen, die sich zum Himmel empor zu recken schienen. Esra fröstelte beim Anblick der titanischen Ruinen. Selbst für die Riesen mussten diese Hände gigantisch gewesen sein.
„Scheint so als wären wir da“, atmete Astamalia an Esras Seite durch. Sie bebte. Wahrscheinlich bei der Aussicht bald durch den dichten Wald laufen zu müssen, dachte sich Esra.
Sie selbst konnte es kaum erwarten endlich wieder den Waldboden unter sich und das Laub der Bäume über sich zu haben. Die Flussfahrt war zwar im allgemeinen sehr angenehm gewesen aber sie zog doch einen etwas langsameren Fußmarsch vor.
Sie spähte entlang des linken Flussufers. Hier irgendwo sollte das letzte Schema liegen. Hoffentlich war es nicht in den letzten Jahrhunderten vom Urwald überwuchert worden.
„Sieh mal, dort!“, rief sie und deutete auf eine Lichtung am Ufer.
Ein kleines Luftschiffbeiboot lag dort sechs Meter über dem Boden vor Anker und ein Mann stand darunter. Anscheinend etwas hilflos, was er machen sollte. Einige Hundert Meter hinter dem Boot und dem Mann erhoben sich die Überreste eines alten riesischen Gebäudes aus dem Dschungel. Wahrscheinlich der Ruheplatz des vierten Schemas.
Kurz darauf legte die Marlow direkt neben dem Boot an und Thalaën sprang mit erhobener Klinge von Bord.
„Nur eine Bewegung du nichtsnutziger Abschaum und ich werde dir die Kehle aufschlitzen“, fuhr er den Mann an, der den Wappenrock des Ordens der Smaragdklaue trug, an. Aber Esra hatte nicht das Gefühl, dass er eine Gefahr darstellte Er hatte seine zitternden Hände erhoben und war käsebleich.
„Wir sollten ihn fesseln und dann befragen“, schlug Adamant vor und sprang, bereits mit einem Seil in der Hand von Bord.

„Ich nehme einmal an, du gehörst zu jener Gruppe des Ordens, welche das Schema sucht“, begann Adamant die Befragung. „Ist Garrow immer noch euer Anführer?“
Der Soldat nickte eifrig.
„Ja, der mächtige Garrow führt uns!“
„Wie viele Männer hat er bei sich?“
„Alles in allem fast fünfzig Mann, unter ihnen auch eine brutale kriegsgeschmiedete Kriegerin“, grinste der Soldat. „Und ihr seid nur wenige!“
„Fünfzig Mann sind ziemlich viel“, warf Astamalia ein.
„Ah, der übertreibt doch. Und selbst wenn. Fünfzig Mitglieder des Ordens sind keine zehn wahre Männer wert. Und zehn auf einmal haben wir auch schon getötet“, hat Thalaën die Zahlen ab.
„Seit wann befindet sich denn Garrow mit seinen fünfzig Männern in der Ruine?“
„Seit gestern früh. Ich wurde beauftragt hier Wache zu schieben.“
Esra kratzte sich an den Kotletten.
„Sie haben mehr als einen Tag Vorsprung, das könnte zu einem Problem werden.“
„Ich denke nicht, dass das Schema so einfach zu finden sein wird“, warf Astamalia ein. „Und wenn wir daran denken, dass Garrow auch damals in Rotbruch fast an dem Rätsel gescheitert wäre, habe ich wenig bedenken, dass wir noch rechtzeitig kommen werden.“
„Gut. Was machen wir mit ihm?“, fragte Thalaën und zog seinen Säbel.
„Wir übergeben ihn Chinxero. Er kann ihn in Sturmkap einer Gerichtsbarkeit überstellen“, überging Adamant Thalaëns offensichtliche Idee. Missmutig steckte der Elf seine Waffe wieder weg.
„Aber eine Frage hätte ich noch“, warf Adamant ein und wandte sich wieder dem Gefangenen zu. „Ist Garrow ein Vampir?“
„Oh ja!“, lachte der Soldat. „Er ist ein mächtiger Vampir! Und wenn er euch zu fassen bekommt, dann wird er euch alle zu treuen Soldaten machen.“
„Dazu muss er uns erst einmal bekommen“, grinste Thalaën zurück. „Und er wäre nicht der erste Vampir, den wir töten. Schafft ihn weg und lasst uns aufbrechen.

***

Adamant musste den Kopf in den Nacken zu legen, um zur Spitze der Ruine zu blicken. Sie war sicherlich 100 Meter hoch! Die Türme in Sharn waren natürlich deutlich höher, aber dabei nicht so massiv, so wuchtig, und auch nicht so groß dimensioniert!
Adamant konnte nicht anders, als sich etwas klein zu fühlen.
„Das hier scheint der Eingang zu sein“, staunte auch Thalaën, der vor fünf Stufen stand, die etwa fünfzehn Höhenmeter überwanden und hinauf zu einer offenen Galerie führte.
„Wir nehmen den Dienstboteneingang“, schlug Muroni vor und deutete auf einen Einschnitt, der neben der Haupttreppe lag. Die Stufen hier schienen eher für Kreaturen ihrer Größe gemacht worden zu sein.
Und sie waren anscheinend nicht die ersten, die hier hochwollten. Auf der Treppe hatte ein Massaker stattgefunden.
„Nun, wie viele Männer Garrow wirklich hatte. Fünfzig sind es keine mehr“, stellte Thalaën klar und musterte die Toten.
Dutzende Körper lagen kreuz und quer über die Treppe und in der Umgebung verstreut. Ein paar Leichen trugen die Uniformen der Smaragdklaue. Aber bei dem Großteil der Leichen handelte es sich um kleine, dunkelhäutige Elfen mit weißem Haar, die primitive Rüstungen und Kleidung trugen.
„Verwandte von dir?“, fragte Esra an Thalaën gewandt.
„Nicht alle Elfen sind nach Aerenal ausgewandert, als die Riesen untergingen“, war alles, was der Elf dazu sagte. Er wandte seinen Blick von den Leichen ab und die Treppe empor.
„Der ideale Platz für einen Hinterhalt“, stellte er fest.
„Aber wir müssen hier hoch.“
„Ich werde vorweg gehen und berichten, was sich oben befindet“, fand sich in Adamant ein Freiwilliger. Und mit diesen Worten marschierte er auch schon los.
Die anderen hoben vorsorglich ihre Waffen. Sogar Muroni zog ihren Streitkolben, dessen Waffenkopf den Kopf eines Drachen darstellte.
Adamant kam nicht weit.
Mit lautem gepolter fiel ein riesiger Stein die Treppe herab.
Der Kriegsgeschmiedete warf sich zu Boden und versuchte sich so klein wie möglich zu machen; der riesige Fels überrollte ihn, raste an den anderen vorbei und verschwand krachend im Wald.
Thalaën blickte die Treppe hinauf.
Einen trällernden Kriegsruf ausrufend stürmten sieben dunkle Elfen die Treppen herab.
Adamant rappelte sich gerade wieder hoch. Sein Körper war an vielen Stellen von dem Felsen eingedellt.
„Ich komme, Adamant!“, rief Thalaën aus und stürmte den Elfen entgegen.

***

„Zumindest wissen wir jetzt, warum der Orden nur so wenige Leute verloren hat“, schlussfolgerte Adamant, während er von Astamalia mit einem Zauberstab zusammengeflickt wurde.
Kaum einer aus der Gruppe hatte einen Kratzer abbekommen. Nichts zumindest, was Adamant nicht in wenigen Sekunden wieder heilen konnte.
„Denkt ihr, dort oben ist es jetzt sicher?“, überlegte Esra und warf einen Blick die Treppe empor.
„Nun, es gibt nur eine Möglichkeit das herauszufinden“, lächelte Thalaën.

Sie standen auf einer riesigen Galerie, die von gewaltigen, sechs Meter hohen Säulen gestützt wurde.
„Atemberaubender Ausblick“, flüsterte Astamalia und blickte über den Dschungel hinweg. Sie konnte von hier aus die Riesenhände sehen, einen Teil des Flusses und etliche andere Ruinen, die überall im Urwald verteilt lagen. Welche Schätze waren hier wohl verborgen?
„Leider sind wir nicht wegen der Landschaft hier. Wir sollten weitermachen. Weiter nach oben, oder erst einmal dieses Stockwerk untersuchen?“, erkundigte sich Thalaën und deutete dabei auf die breite Treppe, die vor ihnen steil weiter nach oben führte. Auch hier gab es Stufen für Riesen und für ihre elfischen Sklaven.
„Dieses Stockwerk zuerst. Damit kann uns niemand in den Rücken fallen“, schlug Adamant vor. Damit waren auch die anderen einverstanden.

Sie stöberten mehrere Schreckensratten auf, die sich in einem seltsamen, an Nester erinnernden Gebilde versteck hielten, das sich auf der Westseite der Galerie befand. Ohne einen Kratzer davonzutragen entledigten sie sich der Tiere und suchten weiter.
„Seht mal, dort steht eine Tür offen!“, deutete Esra auf einen Spalt in einer nahen Mauer.
„Tür?“, keuchte Thalaën. „Das ist das größte Portal, das ich je gesehen habe!“
„Du musst beginnen in anderen Dimensionen zu denken“, lachte Esra und besah sich die Öffnung genauer. Die Tür stand weit genug offen, dass man sich hindurchzwängen konnte. Dahinter war es dunkel und still.
Ohne auf Esras Antwort zu warten schoben Adamant und Thalaën die Tür weiter auf.
Dann entzündeten sie Fackeln und traten in das Innere.
Der Boden des riesigen Raumes dahinter war mit einer dicken Staubschicht bedeckt, die man sogar im Schein der Fackeln gut erkennen konnte. Quer durch den Raum zur gegenüberliegenden Tür verlief eine breite Spur durch den Staub.
„Hier müssen im Verlauf von Jahrhunderten immer wieder Kreaturen entlanggegangen sein“; vermutete Esra und kniete nieder um sich die Spuren genauer anzusehen. „Die Spuren sind sogar im Felsen selbst zu sehen“, staunte sie.
Sie hob ihre Fackel wieder höher.
An der gegenüberliegenden Tür lag ein Stapel von Blättern, mit Wein gefüllte Gefäße und Stücke verrottenden Fleisches.
„Hier wurden jemandem geopfert, wie es scheint“, kombinierte Thalaën. „Und das eigentliche Heiligtum befindet sich sicherlich auf der anderen Seite dieser Tür.“
Er leuchtete das große Portal an. Auch dieses stand einen Spalt weit offen.
„Adamant hilf mir, das hier aufzudrücken!“, forderte er den Kriegsgeschmiedeten auf und legte seine Fackel beiseite.
„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist“, warf Astamalia ein, doch da war die Tür schon weit aufgeschwungen. Hinter der Tür lag der verdrehte und zermalmte Körper einer humanoiden Kreatur.
Astamalia leuchtete dorthin.
Die Leiche schien blutleer und war fürchterlich verstümmelt. Unter all den Fetzen waren die Überreste eines grünen Wappenrockes zu sehen.
„Der Orden hatte hier wohl auch kein Glück“, stellte Esra ohne großes Bedauern fest.
„Ich weiß auch warum“, keuchte Astamalia. „Und uns hat das Glück ebenfalls verlassen.“
Aus der Dunkelheit vor ihnen schälte sich ein ins gigantische vergrößerter Skorpion heraus, der bedrohlich mit seinen Scheren klapperte und seinen Giftstachel hoch erhoben hatte.
„Verdammt“, murmelte Thalaën und zog seine Waffe. Die anderen taten es ihm gleich. Sekundenlang blickten sich der Skorpion und sie bewegungslos an. Dann brach die Hölle los.
Der Skorpion stürmte vor und schnappte mit seinen riesigen Klauen nach Adamant und Thalaën. Adamant gelang es zurückzuspringen, doch der Elf wurde voll von der linken Klaue erwischt. Blut spritzte durch den Fackel erhellten Raum.
Dann brach eine Kältewelle herein. Muroni hatte sich nach vor gebeugt und den Mund weit geöffnet. Eine kegelförmige Welle aus kalter Luft und Eis strömte daraus hervor und erfasste den monströsen Skorpion. Das Monster war nun mit Eis überdeckt, schien aber ansonsten keine größeren Beeinträchtigungen zu haben.

Esra feuerte in rascher Folge ihre Pfeile auf den Skorpion ab und versuchte dabei ständig in Bewegung zu bleiben, außerhalb der Reichweite seiner Klauen und des Stachels. Sie beneidete die drei Nahkämpfer – Adamant, Thalaën und Muroni – nicht wirklich, die sich immer wieder in die Nähe der tödlichen Greifwerkzeuge wagten. Thalaën blutete um die Taille und Fleischfetzen hingen von ihm herab. Auch von Adamants Körper hatten sich bereits zahlreiche Strähnen gelöst.
Zu Esras rechten stand Astamalia und wirkte die stärksten Zauber, die sie noch im Repertoire hatte. Dazu gehörte auch ein Beschwörungszauber. Mit einem Mal stand ein riesiger Bison im Raum, hinter dem Skorpion, und attackierte ihn mit seinen scharfen Hörnern.
Esra war erstaunt über dieses Stück mächtige Magie. Und die Methode schien Erfolg versprechend zu sein. Der Skorpion wandte sich von ihren Freunden ab und dem neuen Kampfteilnehmer zu.
Die beiden riesigen Tiere waren auf jeden Fall würdige Gegner, dachte Esra und grinste. Nur Sekunden später verging ihr das Lachen wieder. Die linke Schere verpasste dem Bison eine schwere Wunde am Kopf und die Rechte riss ihm die Eingeweide heraus. Mit einem Brüllen brach das Tier zusammen.
Damit war die Angelegenheit für den Skorpion erledigt. Zumindest hatten Thalaën und Adamant zwei gute Treffer anbringen können, bevor er sich wieder ihnen zuwandte. Sich sehr rasch umwandte, wie Esra feststellen musste. In einer fließenden Bewegung fuhr er herum und traf Thalaën voll an der Brust. Lautlos segelte der Elf quer durch den Raum und schlug dann hart auf dem Boden auf. Er rührte sich nicht mehr.
Esra fluchte und zog einen weiteren Pfeil aus ihrem Köcher.
„Adamant, kümmere dich um Thalaën!“, rief Astamalia und feuerte eine Salve magischer Geschosse auf den verwundeten Skorpion. Doch in diesem Augenblick wurde auch der Kriegsgeschmiedete kurz hintereinander von beiden Scheren und dem Stachel getroffen. Wie ein nasser Sack fiel er zu Boden.
„Wir werden hier sterben“, flüsterte Astamalia.
Der Skorpion sonderte zwar bereits aus vielen sehr großen Wunden ein widerliches gelbliches Sekret ab, aber dennoch zog er sich nicht zurück.
Muroni schwang weiter ihren Drachenkopfbesetzten Streitkolben. Doch auch sie blutete bereits stark. Und untätig mussten die beiden Frauen mit ansehen, wie auch die Elfe schließlich zu Boden ging.
Kurz hielt der Skorpion inne und wandte sich dann seinen letzten beiden Opfern zu.
„Das sieht gar nicht gut aus“, murmelte Esra, warf ihren Bogen weg und zog ihren Bihänder. Der Skorpion zögerte noch, taumelte unter seinen Wunden.
Esra nutzte diese Pause, stürmte vor und sprang zwischen die weit gespreizten Klauen. Das Schwert hoch erhoben rammte sie es dem Monster zwischen den Augen durch den Panzer.
Mit einem hohen Quicken brach er zusammen.

***

„Ich hoffe dieser Tag wird besser als der letzte“, murrte Astamalia, als sie den Sonnenaufgang über dem Dschungel betrachteten und dabei ihr kärgliches Frühstück verzehrten. Die Wunden von Adamant, Thalaën und Muroni hatten sie so gut es ging am letzten Tag noch versorgt. Dennoch waren sie alle noch über und über mit Blut beschmiert, erschöpft und wahrscheinlich auch alle etwas traumatisiert.
„Wie soll es weitergehen?“, fragte sie die anderen.
„Wir sollten weiter nach oben. Irgendwie scheint mir das der richtige Weg zu sein“, schlug Adamant vor. „Was denkst du, Muroni?“
„Es wird so passieren, wie es die Prophezeiung vorhergesehen hat“, erwiderte sie ominös.
„Dann eben aufwärts“, beendete Thalaën das Frühstück.

Im hinteren Bereich des Gebäudes gab es ein Treppe nach oben. Sie schien in das zweite Stockwerk zu führen. Im Gegensatz zur vorderen Treppe, die so steil nach oben führte, dass sie wahrscheinlich in das dritte führte.
Rasch beschlossen sie, sich zuerst das zweite anzuführen.
„Wartet mal“, wehrte jedoch Esra ab, als sie am Fuß der Treppe standen und Thalaën nach oben stürmen wollte. „Ich denke, ich habe da etwas gehört. Wartet hier, ich gehe nachsehen!“
Sie legte ihren Rucksack ab und huschte die alte Sklaventreppe hinauf. Die letzten Meter legte sie robbend zurück.
Vorsichtig lugte sie über die letzte Treppe hinauf.
Im Licht flackernder Kerzen sah sie sechs Soldaten der Klaue, die auf dem Treppenabsatz an irgendeiner Gerätschaft hantierten, mit der sie offenbar versuchten die beiden riesigen verschlossenen Torflügel zu öffnen. Sie wirkten sehr beschäftigt.
Rasch kroch Esra wieder eine Schritte zurück und winkte den anderen zu. Während die sich ebenfalls nach oben arbeiteten – Esra fragte sich, wie man dabei so viel Lärm machen konnte – zog sie ihren Bogen.

„Irgendwie sind diese Burschen keine Herausforderung“, murrte Thalaën und wischte seinen Säbel an einer der Leichen ab, die nun den Treppenabsatz säumten.
„Wäre dir ein Riesenskorpion lieber gewesen?“, fragte Adamant.
„Streitet nicht. Sehen wir lieber zu, dass wir die Tür aufbekommen“, warf Astamalia ein.
Dem konnten die anderen auch nicht widersprechen.
„Wahrscheinlich wollten sie das Tor mit diesen Dornen aufbrechen und die Winde als Seilzug benutzen.“
„Was die Burschen können, können wir doch schon lange“, grinste Thalaën und ging gemeinsam mit Adamant zur Winde. Mit aller Kraftanstrengung warfen sie sich in die Konstruktion.
Ein zweites Mal.
Ein drittes Mal.
Knirschend ging die Tür auf. Und mit einem Mal brach das Chaos aus.
Die Tür wurde aufgerissen und eine wahre Wasserwand schoss daraus hervor.
Adamant sah nur noch die wirbelnden Körper seiner Freunde, die Überreste der Maschinerie und die Leichen der Ordensmitglieder. Die Stufen der Sklaventreppe wirbelten rund um ihn herum, als sie wieder in das erste Stockwerk hinunter gespült wurden.
Langsam wurde das Wasser weniger, aber noch immer trieb ihn die Flutwelle vor sich her, quer durch die Galerie. Verzweifelt versuchte er sich mit seinen Händen am Boden festzukrallen. Aber der Steinboden ließ keinen Halt zu und mit einem Mal fühlte Adamant, wie er flog.
Neben ihm schrie Astamalia auf.
Dann schlugen sie hart am Boden des Dschungels auf.
Benommen blieb Adamant liegen und starrte in den blauen Himmel hinauf. Weit über ihm lag das Galeriestockwerk, von dem Esra und Muroni ängstlich herabblickten. Sie waren gut und gerne 15 Meter weit abgestürzt.
Ächzend setzte sich Adamant wieder auf. Neben ihm lagen Astamalia, Thalaën und Esras Wolf Balinor. Bis auf den Wolf schien es jedem den Umständen entsprechend gut zu gehen. Doch Balinor lag mit verrenkten Gliedmaßen am Dschungelboden, die Zunge hing ihm aus dem Maul und er lag in einer mit viel Wasser verdünnten Blutlache.
Zögernd tastete er nach dem Wolf, doch er spürte kein Lebenszeichen mehr in ihm.

***

Noch immer strömte Wasser aus dem abgeschlossenen Stockwerk, doch zumindest war es nun möglich die Treppe hinaufzuklettern, ohne wieder hinabgeschwemmt zu werden.
Astamalia warf Esra einen flüchtigen Seitenblick zu, als sie wieder am Portaleingang standen. Die Wandlerin hatte kurz geweint, als sie Balinors zertrümmerten Körper gesehen hatte. Nun war sie sehr schweigsam und in sich gekehrt. Aber sie wollte auch mit niemandem darüber sprechen. Astamalia respektierte das, auch wenn sie es nicht ganz verstand. Sie selbst wäre mit dem Verlust etwas anders umgegangen.
Vor der Tür zündeten sie – mit etwas Mühe – ihre Fackeln an und traten dann in die Dunkelheit. Rasch erkannten sie, dass ein einziger riesiger Raum das gesamte Stockwerk einnahm. Mehrere mächtige Säulen stützten das Gewölbe. Außerdem gab es einen Abfluss von Lamannia, der Ebene des Wassers. Was erklärte, warum hier bis unter die Decke Wasser gestanden hatte. Noch immer strömte ein steter Fluss aus kaltem kristallklarem Wasser aus dem Portal. Ein zweites Portal am Entgegengesetzten Ende des Raumes zeige ebenfalls nach Lamannia. Jedoch strömte hier kein Wasser hervor. Astamalia nahm an, dass es sich hierbei um eine Art Einwegportal handelte, durch welches man die Ebene erreichen konnte, jedoch nichts herauskam.
Was die Magierin und auch die anderen jedoch viel mehr faszinierte, war ein Ziggurat, der im hinteren Bereich des Raumes stand. Die Pyramide hatte drei Stufen mit je drei Metern Höhe und bis auf die oberste Stufe waren alle mit verwirrenden und verschlungenen Mustern bedeckt. Auf der dritten Stufe prangten auf drei Seiten je eine riesige seltsame Glyphe, wohingegen die vierte Seite völlig glatt war.
„Kannst du das lesen?“, fragte Thalaën und bewunderte die Schriftzeichen auf der Pyramide.
Astamalia schüttelte den Kopf.
„Ich nehme an, dass es riesisch ist, auch wenn ich mir dessen nicht sicher bin. Ich kann die Sprache nämlich nicht. Wir haben sie zwar kurz einmal auf der Akademie besprochen, aber das ist schon lange her. Außerdem hatte ich damals anderes im Kopf als alte Runen zu studieren“, grinste Astamalia. „Ich habe einen Zauber in meinem Kristall, der uns dabei weiterhelfen könnte, die Zeichen zu lesen. Aber ich habe ihn für heute nicht vorbereitet.“
„Vielleicht wäre es ohnehin am besten, wenn wir für heute aufhören würden“, schlug Adamant vor und nickte dabei in Esras Richtung, die etwas abseits stand und ins Leere blickte. „Wir sind alle mitgenommen von dem Sturz und vor allem Esra scheint etwas Zeit zu brauchen, bis sie wieder voll auf der Höhe ist.“
Astamalia wirkte nicht sonderlich überzeugt.
„Ihr habt natürlich recht, dass wir eine Rast gut gebrauchen könnten. Aber bedenkt auch, dass wir mit jedem Tag in der Ruine dem Orden mehr Vorsprung geben das letzte Schema vor uns zu finden. Davon abgesehen, dass es Garrow und seinen Männern bald einmal auffallen wird, das jeden Abend weniger in ihr Lager zurückkehren. Sie werden bald gezielt nach uns suchen.“
Thalaën winkte ab.
„Gegen diese einfachen Soldaten kämpfen ist doch kein Problem.“
„Auch dann nicht, wenn sie von einem Vampir geführt werden?“, hakte Astamalia nach, was den Elfen zum verstummten brachte.
„Wir gehen am besten in den Raum zurück, indem sich der Skorpion befand. Andere Tiere der Ruine werden diesen Bereich hoffentlich noch meiden, aus Angst vor dem Monster.“

***

Der nächste Tag begann wie der vorhergehende. Nur, dass Balinor ihr diesmal beim Frühstück keine Gesellschaft leistete. Esra seufzte unterdrückt und zwang sich noch ein paar Bissen ihrer Trockennahrung zu sich zu nehmen. Die Stimmung im Lager war allgemein eher schlecht, fand sie. Kaum jemand redete, alle kümmerten sich nur im ihr Essen und darum, dass die Waffen für diesen Tag bereit waren. Das ewige Kämpfen, ohne einen sicheren Platz zum Schlafen zu haben, schlug auf ihr aller Gemüt. Es war an der Zeit, dass sie aus der Ruine herauskamen und wieder ein Stück Zivilisation sahen.
Für diesen Tag hatten sie sich das dritte Stockwerk vorgenommen.
Am Treppenabsatz oben angekommen, sahen sie sich mit drei weiter führenden Türen konfrontiert.
„Welche nehmen wir?“, fragte Adamant.
„Die, hinter der Stimmen zu hören sind?“, schlug Esra vor und deutete dabei auf die Tür gegenüber der Treppe. „Leute, ihr solltet wirklich öfter die Ohren spitzen“, meinte sie kopfschüttelnd und wagte einen Blick durch die angelehnte Tür.
Ein riesiger, gut beleuchteter Raum lag dahinter, in dessen Mitte ein Ziggurat stand, ähnlich dem, den sie am Vortag bereits entdeckt hatten. Am Südende der Pyramide hatte der Orden ein Lager aufgeschlagen und überall im Raum standen und arbeiteten Mitglieder der Smaragdlaue. Selbst auf der Pyramide standen welche.
Insgesamt zählte sie sechs Personen. Aber es konnten noch etliche mehr sein, die sich in den Zelten oder im nördlichen Bereich des Raumes in der Dunkelheit versteckten.
Sie zog ihren Kopf wieder zurück und erzählte den anderen was sie gesehen hatte.
„Sechs? Die schaffen wir doch locker. Auch wenn noch weitere hinzukommen sollten“, wehrte Thalaën ab und zog seine Waffe.
Auch die anderen schienen mit einem Kampf einverstanden zu sein. Astamalia begann die ersten Zauber auf sich zu wirken und Adamant sprach rasche Gebete, welche ihren Mut und ihre Kampfkraft steigern sollten.
Geduldig warte Esra mit den anderen beiden, bis sie fertig waren.
Mit einem knappen nicken gab Adamant das Signal zum Angriff.

Esra warf sich in einer Rolle durch die offene Tür und feuerte eine rasche Salve von Pfeilen auf einen der Soldaten auf dem Ziggurat ab. Hinter ihr stürmte Astamalia herein, nicht ganz so leichtfüßig wie sie, aber doch elegant.
Eine kleine rote Kugel sprang aus ihrem ausgestreckten Zeigefinger und flog rasch wie ein Pfeil durch den Raum hoch zur Pyramide. Dort blähte er sich zu einer riesigen flammenden Kugel auf und erfasste mehrere Soldaten, die schreiend zu Boden gingen.
Esra hob über diesen gezielt angebrachten Feuerball erstaunt die Augenbrauen.
Adamant feuerte an ihr vorbei einen Bolzen auf einen weiteren Soldaten, der lautlos zusammenbrach. Er hatte nicht einmal mehr die Zeit die Waffe zu heben.
Thalaën und Muroni kamen Seite an Seite durch die Tür und hielten sich nicht lange mit Fernkämpfen auf. Ohne auf ihre eigene Sicherheit zu achten stürmten sie mit hoch erhobenen Waffen auf den Ziggurat zu. Wahrscheinlich hofften sie so, aus den Zelten kommende Soldaten rechtzeitig abzufangen.
Für das nächste Mal, entschied Esra, sollten sie sich einen besseren Plan zurechtlegen, bevor sie ein solches Lager stürmten.
Dann kam der Gegenangriff. Ein Bolzen durchschlug ohne Probleme Adamants Panzerung und ließ den schweren Kriegsgeschmiedeten kurz taumeln. Dann folgte ein magisches Geschoss jenes Ordenmitglieds, das auf der obersten Stufe des Zigguarts stand.
Ein Magier, durchzuckte es Esra. Er musste ausgeschaltet werden.
Es war schon erstaunlich, dass er den Feuerball überstanden hatte.
Mehrere weitere Bolzen wurden in ihre Richtung abgefeuert, aber alle verfehlten ihre Ziele.
Esra nutzte die Sekunden, welche die Soldaten zum Nachladen brauchten, um den Magier auf der Pyramide unter Beschuss zu nehmen. Einer ihrer Pfeile traf, aber das schien ihn nicht zu stören.
Wie war das möglich?
Ein magisches Geschoss aus einem Zauberstab von Astamalia, verpuffte wirkungslos an einer unsichtbaren Wand vor dem Magier.
„Konzentrier euch auf diesen Magier!“, rief Esra.
Das hätte sie besser bleiben lassen sollen.
Ein magisches Geschoss traf sie in der Brust du hinterließ ein hässliches Brandloch in ihrer Rüstung und auf ihrer Haut.
Inzwischen hatten Thalaën und Muroni die Zelte erreicht. Ohne in seiner Bewegung langsamer zu werden riss der Elf eine Fackel des Lagers los und fuhr damit über die Zeltplanen, die in seiner Reichweite lagen.
Inzwischen standen nur mehr jene beiden Soldaten, welche auf der Pyramide standen. Die anderen waren unter Esras Pfeilen, Adamants Bolzen und Astamalias Magie gefallen.
Der Elf und die Elfe kämpften sich eine Leiter hoch, auf die erste Stufe der Pyramide.
Der Kämpfer dort warf seine Bolzen weg und zog sein Landschwert. Doch er blutete bereits aus zahlreichen Wunden und hatte kaum noch genug Kraft das Schwert zu halten.
Esra hatte das Gefühl, dass Thalaën ihm nicht einmal die volle Aufmerksamkeit schenkte, als er ihm den Säbel durch den Bauch rammte und zur nächsten Stufe hochblickte.

„Es ist eine Mumie!“, keuchte Thalaën auf, als er in die leeren Augen des Magiers blickte, der ihm entgegenblickte. Bandagen hingen von seinem Körper herab. Sein untöter Körper schien bereits schwer beschädigt zu sein. Aber nicht so stark, dass er Thalaën nicht noch mit Magie befeuern konnte.
Thalaën ignorierte den Schmerz der Säure, welche die Mumie auf ihn abgefeuert hatte und begann die Leiter hoch zu klettern. Der Mumienmagier wich vor ihm zurück.
Keuchend beförderte sich Thalaën mit einer Rolle vorwärts auf das Plateau des Ziggurats und machte sich im Bruchteil einer Sekunde ein Bild von der Lage. Die Mumie stand am anderen Ende der Plattform, die Klauen furcht erregend erhoben und das Gesicht zu einer Maske aus Schmerz und höhnischem Lachen verzerrt. Aus der Mitte des Plateaus erhob sich ein Stab mit einer kleinen schimmernden Kugel darauf.
Wahrscheinlich war es das, was Astamalias Zauber zurückwarf, überlegte Thalaën und wandte sich dann wieder dem ernsteren Problem der Mumie zu.
Der Magier schien seine Zauber verbraucht zu haben. Zumindest versuchte er nicht ihn in einen Frosch zu verwandeln oder in Staub aufzulösen.
„Gib auf!“, keuchte Thalaën und machte einen Schritt zur Seite, um Muroni Platz zu machen. „Gib auf, und wir werden dich am Leben lassen!“
„Am Leben!“, kreischte die Mumie. „Seht mich an! Ich lebe nicht mehr! Ich wurde ermordet und dann zu dem hier gemacht, was vor euch steht! Tötet mich! Tötet mich! Das ist das beste, was Ihr machen könnt!“
Mit diese Worten stürmte er nach vor und hieb nach Thalaën. Nur seine Rüstung beschützte ihn vor den Leben aussaugenden Klauen seines Angreifers.
Dann schlug er zurück.
In einem wahren Blutrausch ließ er seine Doppelklinge wirbeln und zersäbelte die Mumie in kleine handliche Stücke.

Zu fünft blickten sie auf die Überreste der Mumie hinab.
„Warum habe ich das Gefühl, dieses Gesicht schon einmal gesehen zu haben?“, wunderte sich Adamant und drehte mit seinem Fuß den abgetrennten Kopf mehrmals hin und her.
„Weil wir nach ihm gefragt wurden“, erwiderte Astamalia und kniete sich nieder, um die Konturen des Kopfes unter den Bandagen besser erkennen zu können. „Erinnert ihr euch nicht? Feldwebel Dolom hat uns nach ihm gefragt und uns sein Bild gezeigt. Das hier ist Professor Arkaban von der Morgrave-Universität! Anscheinend hat ihn der Orden wieder belebt, nachdem ihn die Agenten des Klingenfürsten ermordet hatten.“
„Kein Wunder, dass er mich angefleht hat, ihn zu töten“, zuckte Thalaën mit den Achseln.
„Wie es scheint, ist der Orden daran interessiert, hinter die Geheimnisse dieses Ziggurats zu kommen“, wechselte Adamant das Thema. „Vielleicht enthalten seine Inschriften einen Hinweis auf den Verbleib des letzten Schemas.“
„Wäre möglich“, überlegte Astamalia. „In diesem Fall hätten wir einen entscheidenden Vorteil. Der Orden weiß noch nicht, dass es einen zweiten Ziggurat in dem verschlossenen Stockwerk gibt.“
„Aber das hilft uns leider nicht weiter. Wir haben keine Ahnung, was auf diesen Wänden steht“, warf Esra ein.
Astamlia grinste sie an.
„Nicht ganz. Ich habe heute Morgen einen Zauber gelernt, der es mir ermöglicht alle Sprachen zu lesen. Schon bald werden wir wissen, was auf diesen Wänden steht.“
Mit diesen Worten stieg Astamalia eine Stufe des Ziggurats hinab.
Dort begann sie ihren Zauber zu wirken und plötzlich schienen all die unterschiedlichen Glyphen an den Wänden vertraut. Aber dennoch ergaben sie keinen Sinn. Sie waren willkürlich aneinander gereiht, ohne Wörter oder gar Sätze zu bilden.
„Da habe ich die Riesen wohl etwas unterschätzt“, stöhnte sie auf und beendete den Zauber.
Die anderen blickten sie verwirrt an.
„Die Zeichen auf den Wänden scheinen nicht in normalem Riesisch geschrieben zu sein. Sie wurden verschlüsselt. Und nur derjenige, welche den richtigen Codeschlüssel besitzt, kann die Zeichen entschlüsseln.“
„Womit wir doch wieder nicht besser dran sind, als der Orden“, stellte Esra unnötigerweise fest.
„Wonach müssen wir also suchen?“, fragte Adamant.
Astamalia zuckte die Schultern.
„Es kann alles möglich sein. Vielleicht eine Schriftrolle, auf der sich der Code befindet. Oder aber auch ein magischer Gegenstand, der, wenn man ihn trägt, die Glyphen richtig anordnet. Ich weiß es nicht. Aber auf jeden Fall wird er, wenn die Inschriften wirklich so wichtig sind, gut versteckt sein.“
„Dann sollten wir uns auf die Suche machen, oder nicht?“
„Am besten weiter nach oben. Wenn wir den Schlüssel dort nicht finden, finden wir dort sicher noch andere Ordensmitglieder. Und je weniger von ihnen noch durch die Ruine streifen, desto besser“, schlug Thalaën vor.
Damit waren alle einverstanden.

Am oberen Treppenabsatz hielten sie zwei Soldaten des Ordens kurz auf, stellten aber kein Hindernis dar.
„Und wie nun weiter?“, fragte Esra und lugte um die Ecke.
„Dort ist eine verschlossene Tür. Vielleicht sollten wir einen Blick dahinter wagen“, schlug Thalaën vor. „Vielleicht befindet sich dort der Schlüssel.“
„Habt ihr immer noch nicht genug davon, verschlossene Türen in dieser Ruine aufzumachen“, stöhnte Astamalia. Aber irgendwie wurde sie nicht gehört.
Auch wenn Muroni ebenfalls nicht sonderlich begeistert wirkte. Aber wie schon die ganz Zeit über, seit sie in der Ruine waren, kommentierte sie ihre Pläne nicht.
Knarrend drückten die beiden Männer die Tür auf.
Ein großer Raum kam dahinter zum Vorschein, relativ staubfrei, wenn man die Jahrtausende bedachte, die er verschlossen gewesen war. Im schein ihrer Fackeln betraten sie den Raum. Diesmal war sogar Muroni mit in der ersten Reihe.
Fließen in unterschiedlichen Farben bedeckten den Boden. Im Osten befanden sich zwei halb geöffnete Türen.
Eine öffnete sich langsam
„Verdammt, nicht schon wieder“, fluchte Astamalia und überlegte nach passenden Zaubersprüchen, die sie noch in Reserve hatte.
Ein riesiges Monster kam hinter der Tür zum Vorschein. Ein Monster, dass von der Größe her sehr gut in diese Räumlichkeiten passte.
Es war ein Riese.
Ein Riesenskelett.
„Pah“, machte Thalaën und entspannte sich sichtbar. „Und ich dachte schon, es käme etwas gefährliches.“
Mit einem elfischen Kriegsschrei stürzte er sich nach vor.
„Nein!“, kreischte Muroni im gleichen Moment und sprintete ihm hinterer.
Kurz bevor der Elf den Riesen erreichte, hob dieser seine knochige Hand zum Schlag, zielte er auf den Kopf und ließ die Hand herab krachen.
Muroni erreichte Thalaën den Bruchteil einer Sekunde, bevor die Hand den Elfen erreichte. Mit aller Kraft warf sie den Elfen zur Seite.
Krachend traf die Klaue ihren Kopf. Sie wurde herumgeschleudert und mit einem hässlichen Knacken brach ihr Rückgrat. Leblos fiel sie in sich zusammen.

Als sie den Kampf mit Taktik und Hirn bestritten, erwies er sich als nicht mehr so schwierig. Zwar bluteten sie aus zahllosen Wunden, aber sie lebten alle.
Alle, bis auf Muroni.
„Warum hat sie das getan?“, wunderte sich Thalaën, der neben ihr auf dem Boden kniete. Ihr gesamtes Gesicht war durch die Wucht des Riesen eingedrückt worden.
„Wahrscheinlich dachte sie, dass sie selbst für die Erfüllung der Prophezeiung nicht erforderlich sein würde. Im Gegensatz zu dir, Thalaën“, murmelte Adamant und begann dann weiter damit, ihr die letzten Ehren nach der Kirche der Silbernen Flamme zu erweisen.
„Wir sollten sie mit uns nehmen“, schlug Esra vor.
„Wozu? Sie ist tot?“, wunderte sich Thalaën.
„Sei nicht so herzlos. Sie hat sich wegen dir geopfert. Und ich bin mir sicher, dass wir eine Möglichkeit finden werden, sie von den Toten zurückzuholen. Immerhin“, lächelte Esra. „kennen wir mittlerweile die Hüterin der Flamme persönlich. Und mit all den Schätzen, die wir hier gefunden haben und der Bezahlung durch Dame Elaydren, wenn wir ihr die Schemata bringen, sollte es nicht zu schwer werden, einen Priester zu finden, der mächtig genug für einen solchen Akt ist.“
Astamalia nickte und auch Adamant schien beeindruckt zu sein.
„Das ist eine gute Idee. Wir werden ihren Körper jedoch vor dem natürlichen Verfall bewahren müssen. Aber das sollte mit der Macht der Flamme kein zu großes Problem darstellen.“
„Nachdem wir das geklärt haben“, fuhr Esra fort. „Ist außer mir noch jemandem aufgefallen, dass die Fliesen hier ein Mosaik bilden.“
Die anderen schüttelten den Kopf und blickten zugleich nach unten.
„Der Raum ist zu groß“, stellte Astamalia fest. „Man müsste das ganze von weiter oben betrachten. Etwas von der Höhe eines Riesen herab. Esra, kannst du auf Adamant klettern?“
Esra nickte.
Adamant stellte sich breitbeinig hin und machte ihr eine Räuberleiter auf seine Schulter.
„Und, was stellt es dar?“
„Ich bin mir nicht sicher. Aber es sieht aus wie das Bild einer Schöpfungsschmiede. Und es wird gerade ein Kriegsgeschmiedeter gebaut. Sieht ziemlich merkwürdig aus. Und ziemlich groß.“
„Vielleicht ist es das, wozu man das Schöpfungsmuster brachen kann?“, spekulierte Astamalia. „Man kann damit Kriegsgeschmiedete bauen?“
„Aber warum sollten dann alle dahinter her sein?“, wunderte sich Adamant. „Die Menschen wissen bereits, wie man solche Geschöpfe wie mich erzeugt. Und es gibt angeblich immer noch aktive Schöpfungsschmieden.“
„Dann muss es etwas mächtigeres, etwas einfacheres sein. Aber darüber müssen wir später spekulieren. Wenn wir das Muster haben. Jetzt lasst uns aufbrechen. Der Orden hat schon genug Vorsprung, wir müssen ihn nicht unnütz vergrößern.“

Ein großer Bereich des obersten Stocks schien von einem einzigen Areal eingenommen zu werden, welches sich quer von Ost nach West durch die Ruine zog und an eine breite künstliche Schlucht erinnerte. Obwohl es hellster Tag und der Bereich nach oben hin offen war, war es relativ dunkel und schattig, da die beiden Wände zur Längsseite hoch empor stiegen. Gut 30 Meter hoch stiegen sie empor und waren über und über mit kleinen Höhlen und Brüstungen versehen. Eine Unzahl von Spinnennetzen spannte sich in großer Höhe kreuz und quer zwischen diesen Wänden. In der Mitte der ganzen Anlage stand ein riesiger Stuhl aus Stein und Metall, der an einen Thron erinnerte, auf einer Scheibe. Rund um den Thron standen mehrere Holzkisten, Fässer und ein Schreibtisch, auf dem sich allerlei Dinge stapelten.
„Scheint, als hätten wir einen der Rückzugspunkte des Ordens gefunden“, grinste Thalaën.
„Sch!“, machte Esra und deutete auf eine kleine dickliche Frau, die über der Scheibe, auf der der Thron stand, gebeugt war, und sie anscheinend noch nicht bemerkt hatte.
„Keine falsche Bewegung, oder Ihr seid des Todes!“, rief Thalaën, bevor ihn jemand aufhalten konnte. Doch zum Glück schien die Frau nicht daran interessiert zu sein, zu fliehen. Sie blickte nur irritiert auf und sah ihnen entgegen.
„Ihr gehört nicht zum Orden oder seid Agenten des Klingenfürsten?“, stellte sie mit alter gebrechlicher Stimme fest.
„Das ist richtig“, erklärte Astamalia und sah sich zaghaft um.
„Dann seid ihr wohl die Abenteuergruppe, deren Ankunft Garrow so sehr fürchtet“, grinste sie.
„Mag sein“, wich Astamalia einer klaren Antwort aus. „Wer seid Ihr?“
„Ich bin eine Professorin an der Morgrave-Universität. Der Orden entführte mich und brachte mich hierher, weil ich mich sehr für die alte Zivilisation der Riesen interessiere. Sie gaben mir die Aufgabe, das Geheimnis dieses Throns zu entschlüsseln.“
„Warum?“, hakte Adamant nach.
„Anscheinend bringt es einen zum Aufenthaltsort des letzten Schemas.“
„Wie?“
„Das ist eine gute Frage“, erwiderte die Frau und deutete auf die Scheibe. „Irgendetwas haben diese Glyphen damit zu tun.“
Sie begann langsam rund um den Thron herumzuwandern.
„In einer bestimmten Anordnung öffnen sie den Zugang.“
Sie verschwand hinter dem Thron.
„Einen Zugang, den Ihr niemals findet werdet!“, rief plötzlich eine sehr veränderte Stimme, die sie alle gut kannten. Es war Garrow.
„Helft mir! Zu Hilfe! Eindringlinge!“
Astamalia warf einen raschen Blick hinter den Thron und erkannte, dass die alte Frau und damit auch Garrow verschwunden war.
Dafür waren aus einer anderen Richtung hastige Schritte mehrer Personen zu hören.
„Thalaën, jetzt bekommst du deine Chance, Soldaten des Ordens im größeren Maßstab zu töten.“
Acht Soldaten, angeführt von einem Kriegsgeschmiedeten mit einem Krummsäbel in den Händen, stürmten den Thronraum.

***

Garrow sah seinen heranstürmenden Soldaten mit Freuden entgegen, während er sich, unsichtbar, gegen die Wand des Throns presste. Das Schöpfungsmuster mit den ersten drei eingesetzten Schemata hielt er fest in seinen Händen.
So knapp vor dem Ziel würde ihn niemand mehr aufhalten.
„Nahe…“, hörte er da plötzlich eine Stimme in seinem Kopf. „Muss… vervollständigen…“
„Was?“, flüsterte er und sah sich um. Niemand war in seiner Nähe, der Kampf wurde weiter entfernt von ihm ausgetragen.
Verwundert blickte er auf die Teile aus Metall in seinen Händen.
Das Schöpfungsmuter?
„Wie kann ich dir helfen?“, flüsterte er. „Wie kann ich dich vervollständigen? Hilf mir, damit ich dir helfen kann!“
„Thron… Klettere auf den Thron“, erklang die Stimme wieder, diesmal gebieterischer. „Sprich mir nach…“
Ohne weiter darüber nachzudenken kletterte Garrow den Stein hinauf und tat, was das Muster von ihm verlangte.
Kurz darauf war er verschwunden.

***

Thalaën atmete schwer, als der letzte Soldat der Klaue zu Boden ging.
„Die Masse macht es aus“, stellte er fest.
„Und dieser Kriegsgeschmiedete“, fügte Esra hinzu. „Ich frage mich immer noch, was diese beiden Parteien dazu bringt, zusammen zu arbeiten.“
„Egal. Wir müssen uns jetzt um etwas wichtigeres kümmern“, unterbrach Astamalia. „Garrow ist verschwunden. Und er hatte mit Sicherheit die Schemata bei sich. Wenn er herausfindet, wie der Thron funktioniert, dann ist alles verloren!“
Sie hatte diese Worte kaum gesprochen, als ein irres Lachen durch den Raum gellte.
Überrascht und mit erhobenen Waffe sprangen sie alle herum.
Garrow stand auf dem Thron, das Gesicht vor Wahnsinn verzerrt.
„Ihr seid verloren! Ihr seid tot! Wir sind alle tot!“, gellte er und dabei veränderten sich seine Gesichtszüge ununterbrochen. So, als wären sie aus Wachs.
„Er ist ein Wechselbalg“, knurrte Thalaën. „Und kein verfluchter Vampir.“
„Und er ist offenbar wahnsinnig!“, rief Adamant.
„Aber immer noch in der Lage seine Göttin anzurufen“, flüsterte Astamalia, die ihre Armbrust spannte. Der Tag war lang gewesen. Sie hatte keine wirkungsvollen Zauber mehr.
„Vol! Meine geliebte, gnadenlose Vol! Gib mir Kraft, diese Ungläubigen zu vernichten!“, schrie er und beschwor seine göttlichen Kräfte.
„Langsam nervt mich diese Vol“, rief Thalaën und stürmte auf den Thron zu.
„Das beste, was ihr tun könnt, ist mich zu töten!“, lachte Garrow, als ihn die ersten Geschosse trafen. „Erlöst mich vom Wahnsinn des Lebens!“
Eine Welle magischer Energie durchflutete den Raum und traf Adamant, während Thalaën weiter rannte. Esra feuerte einen Pfeil nach dem anderen aus ihrem immer mehr schwindenden Reservoir und auch Astamalia versuchte das ihre, um Garrow zu treffen. Aber der Kleriker war nicht unvorbereitet in diese Konfrontation gegangen. Mehrere schützende Zauber lagen auf ihm und wehrten Pfeile und Bolzen ab. Auch Adamants göttliche Kräfte hatten ihre Mühe gegen jene des Wechselbalgs.
Thalaën erreichte den Fuß des Throns und versuchte mit dem einen Ende seines Doppelsäbels die Beine von Garrow zu erreichen. Mehr als eine Fleischwunde konnte er dem Kleriker aber nicht zufügen.
„Ihr Dilettanten werdet mich nicht aufhalten!“, lachte Garrow irre, während sich sein Gesicht immer noch rasend schnell von einer Mimik in die andere verwandelte. Er zog einen schweren Streitflegel und hieb damit auf den unter ihm stehenden Elfen.
Thalaën war bereits vom Kampf gegen die Soldaten und den mysteriösen Kriegsgeschmiedeten geschwächt und dieser von oben herab geführte Schlag ließ ihn taumeln. Wieder brach Garrow in ein irres Gelächter aus, welches aber gurgelnd abbrach, als Esra ihn an der Kehle erwischte.
Erstaunt sah er zu der Wandlerin herüber. Er fixierte sie immer noch, als ein zweiter Pfeil seine Rüstung durchschlug und ihn Astamalias Bolzen in die Beine traf.
Ein Hieb von Thalaën riss ihm den Boden unter den Füßen weg und er landete hart zu Füßen des Throns.
Das wütende Gesicht des Elfen, der zu einem erneuten Schlag ausholte, war das letzte, dass der Kleriker sah.

Astamalia trat etwas unsanft gegen den Körper des Toten. Sie wollte sicher sein, dass dieser Garrow nie mehr wieder ihren Weg kreuzte. Aber anscheinend hatten sie ihn wirklich besiegt.
Vorsichtig kniete sie neben ihm nieder, nahm ihm die Waffe ab und klopfte dann seinen weiten Umhang ab.
„Ich fürchte, er hat die Schemata nicht bei sich“, schüttelte sie den Kopf.
„Aber wo können sie dann sein?“, wunderte sich Adamant, während er immer noch mit Verachtung auf die Leiche hinabblickte. „Wir sind doch immer davon ausgegangen, dass Garrow die Schemata persönlich bei sich tragen würde.“
„Die alte Frau – also Garrow – meinte vorhin doch, dass der Thron eine Art Portal sei, wenn man den Schlüssel kenne“, überlegte Esra. „Was ist, wenn Garrow während des Kampfes die Lösung des Problems erkannt hätte. Das würde auch erklären, warum er plötzlich auf dem Thron wieder erschien.“
Astamalia nickte bedacht.
„Ja, das wäre eine Möglichkeit“, erwiderte sie gedehnt. „Aber das nützt uns insofern nichts, als dass wir den Code, mit dem wir das Portal öffnen können, nicht kennen.“
Thalaën zuckte mit den Schultern.
„Aber das ist doch kein großes Problem. Wo auch immer die Schemata jetzt sind, sie werden nicht vor uns weglaufen. Und es gibt immer noch weite Bereiche der Ruine, die wir nicht kennen. Vielleicht findet sich dort irgendwo der letzte Hinweis.“
„Wir sollten ihn verbrennen“, warf Adamant plötzlich ein.
„Was?“
„Wir sollten Garrows Leiche verbrennen“, wiederholte der Kriegsgeschmiedete. „Er hatte recht, als er meinte, wir sollten ihn vom Wahnsinn des Lebens erlösen. Für einen Angehörigen des Blutes der Vol, gibt es keine größere Ehre, als wenn man nach seinem Tod als Untoter wieder auferweckt wird. Das sollten wir auf jeden Fall verhindern. Und das ginge am besten, wenn wir ihn verbrennen…“
„Aber denkst du wirklich, dass ihn hier, mitten im Dschungel jemand finden und in einen Untoten verwandeln wird?“, zweifelte Esra.
Adamant zuckte wieder mit den Schultern.
„Die Möglichkeit ist zugegeben ziemlich gering, aber sie ist gegeben. Und dem möchte ich gerne vorbeugen.“
Thalaën hatte währenddessen bereits eine Fackel angezündet und als nun niemand mehr einen Einwand brachte hielt er sie gegen den Leichnam des Priesters, der kurz darauf in Flammen aufging.

***

Am nächsten Tag, nachdem sie ihre schlimmsten Wunden versorgt und sich mit neuen Zaubern eingedeckt hatten, durchsuchten sie die letzten Räume im zweiten Stockwerk, die sie zuvor so sträflich vernachlässigt hatten. Thalaen hatte, wie üblich, die Führung der Gruppe übernommen. Doch seit sie am Vortag Garrow nach Dollurh befördert hatten, waren sie auf keine gefährlichen Bestien oder Anhänger des Ordens mehr gestoßen.
Die Tatsache, dass die meisten Räume, die sie bis jetzt durchsucht hatten, alle leer gewesen waren, trug auch nicht gerade dazu bei, seine Aufmerksamkeit auf einem Hohen Level zu halten.
„Ich hasse es, wenn nichts passiert“, ärgerte er sich, als er sich zum wiederholten Male an diesem Tag durch eine fast geschlossene Riesentür quetschte.
Interessiert hob er seine Fackel und sah sich um. Dieser Raum war genauso leer wie der vorhergehende und wies ebenfalls eine weiterführende Tür auf.
„Hier geht es weiter“, rief er zu den anderen zurück, die sich dann ebenfalls in den Raum zwängten. Vor allem für Adamant war das eine Tortur.
Nachdem endlich alle eingetroffen waren, deutete Thalaën auf die verschlossene Tür.
„Die werden wir gemeinsam aufstemmen müssen.“
Ohne eine Antwort abzuwarten ging er auf die Tür zu.
Und plötzlich verlor er den Boden unter den Füßen.
Eine riesige Falltür, passend für ein Gebäude, das von Riesen gebaut worden war, öffnete sich unter ihm. Irgendwie gelang es ihm, sein Gewicht nach hinten zu werfen. Seine Waffe landete klirrend irgendwo in der Dunkelheit, die Fackel stürzte in das Tiefe Loch während er sich mit den Fingern einer Hand an der Kante festkrallte.
„Helft mir!“, kreischte er und warf einen flüchtigen Blick nach unten. Die Fackel war bereits nicht mehr zu sehen.
Einen solchen Sturz würde er nicht überleben.
Eine kalte metallische Hand packte ihn und zog ihn wieder nach oben.
„Das war knapp“, keuchte er und lehnte sich gegen die Adamants breite Brust.
„Das geht hier wirklich weit nach unten.“
Inzwischen waren auch die anderen beiden näher gekommen und inspizierten die Falle, die er ausgelöst hatte.
„Wir vor allem auch schwierig werden, jetzt zur Tür zu kommen“, kommentierte Astamalia.
Esra nickte.
„Schwierig ja. Aber nicht unmöglich. Es gibt immer noch einen schmalen Sims zwischen Tür und Abgrund. Zu schmal für einen Riesen, aber breit genug für einen von uns.“
„Mag sein, aber wir können von diesem Sims aus nicht die Tür aufdrücken“, warf Thalaën ein.
„Aber es muss doch auch hier einen Mechanismus geben, mit dem man die Falle deaktivieren kann. Wie sonst wären die Riesen in diesen Raum dort gekommen?“, warft Astamalia ein und begann die Wände abzusuchen.
„Vielleicht sind sie auch gar nie in diesen Raum gegangen, nachdem er erbaut worden ist“, warf Adamant als Theorie ein, wurde jedoch von niemandem beachtet.
Wenig später hatten sie des Rätsels Lösung gefunden.
Esra fand einen versteckten Hebel in einer der Wände, mit dem man die Fallgrube wieder verschließen und anschließend fixieren konnte.

***

Der Raum unterschied sich nicht sehr von den anderen, die sie am heutigen Tag gesehen hatten. Jedoch war er staubfrei. Und das war nach all den Jahrtausenden doch sehr erstaunlich. Zudem stand in der Mitte des Raumes ein niedriges Podest. Gerade groß genug, dass einer von ihnen einen Blick auf den Gegenstand darauf werfen konnte.
„Was ist das?“, wunderte sich Esra und betrachtete den Gegenstand genauer. Es sah aus, wie eine Scheibe Glas, die von einem Ring eingefasst wurde.
„Nicht sonderlich spektakulär“, schüttelte Thalaën den Kopf. „Deswegen soviel Aufhebens mit einer eigenen Falle zu machen…“
Astamalia schüttelte leicht den Kopf.
Es war eine der ersten Lektionen gewesen, die sie Punkto Magie gelernt hatte: Sie konnte in allen Formen auftreten.
Unbemerkt von den anderen wirkte sie einen schwachen Zauber, der ihr zeigte, dass der Gegenstand Magie ausstrahlte.
„Wir sollten ihn auf jeden Fall mitnehmen“, merkte sie an. „Vielleicht ist es wichtig. Oder zumindest wertvoll. Aber wir sollten…“
Sie wollte noch anmerken, dass es besser wäre vorsichtig zu sein. Der Elf war da aber anscheinend anderer Ansicht. Ohne zu zögern griff er nach dem Gegenstand.
Augenblicklich schoss eine Flammensäule aus der Decke und erfasste sowohl ihn als auch das Podest mitsamt dem Gegenstand darauf.
Schreiend und brennend sprang er von dem Podest weg. Aber zumindest besaß er noch genug Verstand dabei zumindest den magischen Gegenstand nicht loszulassen.
„Irgendwann wird deine Unvorsichtigkeit noch einmal dein Tod sein“, rügte Astamalia den Elfen und riss ihm den Gegenstand aus der Hand. Wimmernd ließ sich Thalaën inzwischen von Adamant erst versorgen. Doch die Verbrennungen sahen schlimmer aus, als sie waren.
Astamalia hatte keine Ahnung, was sie mit dem Gegenstand anfangen sollte. Sie blickte durch das Glas. Doch alles sah genauso aus, wie immer.
Für welche Art von Magie war dieser Gegenstand also gedacht?
Für gewöhnlich war es damit möglich die Wahrheit zu erkennen oder versteckte und getarnte Dinge zu entdecken.
„Ich denke, ich habe unseren Schlüssel für das Portal auf dem Thron“, grinste sie die anderen an.

***

„Ich habe immer noch Zweifel“, bemerkte Adamant.
„Aber warum?“, wunderte sich Astamalia. „Der Stein hat uns die Glyphen auf den Ziggurats entziffert und uns sechs Namen genannt. Bei zwei davon bin ich mir ziemlich sicher, dass sie alte riesische Sternbilder benennen. Das würde gut passen. Immerhin sieht das hier aus wie ein Sternobservatorium.“
„Aber es war zu einfach“, merkte Adamant abermals an.
„Ich finde nicht, dass es einfach war“, schmollte Astamalia. „Zumal nicht einmal Riesen ohne diesen Codeschlüssel die sechs Wörter erraten würden. Probieren wir es einfach aus, oder?“
Die beiden anderen nickten, während Adamant immer noch zweifelte. Alle jedoch hielten sie ihre Waffen in Händen, während Astamalia zu sprechen begann:
„Affenpfote, Einhornhuf, Ios Glitzern, Skorpionschwanz, Flussmündung, Gyroxauge.“
Für jeden Namen leuchtete auf dem Himmel ein Stern hell funkelnd auf. Beim sechsten verschwand plötzlich der Thron rund um sie und sie fanden sich in einer riesigen Halle wieder.
Fünf titanische Steinstufen führten von ihrer Ankunftsplattform zu einer Art Labor hinab. Überall waren titansiche, an Türme erinnernde Steinsäulen verteilt von denen ein unheimliches Leuchten ausging.
„Ich kenne diesen Raum“, keuchte Esra.
„Wir alle kennen ihn, denke ich“, nickte Thalaën und steckte seinen Säbel weg.
Es war derselbe Raum, von dem sie in einem der Räume ein Mosaik gesehen hatten. Ein Kriegsgeschmiedeter, der hier nicht zu sehen war.
„Seht nur“, flüsterte Esra und kniete sich hin. „Spuren eines Humanoiden im Staub.“
„Garrow.“
„Anzunehmen. Und das hier?“, deutete sie auf Spuren, groß wie die eines Riesen, welche aus dem Zwielicht die Treppen heraufführten und auf der Plattform, auf der sie standen, verschwanden.
„Sieht so aus, als wäre der Kriegsgeschmiedete hier gewesen.“
„Dann war auch das Schöpfungsmuster hier“, überlegte Astamalia. „Langsam ahne ich, was daran so mächtig ist. Es ist Teil einer riesischen Schöpfungsschmiede.“
„Dame Elaydren wird nicht sehr erfreut sein zu hören, dass wir es verloren haben“, vermutete Adamant.

***

Xulo war wieder eins und Xulo war frei. Aber es schien sehr viel Zeit vergangen zu sein, seit es das letzte Mal eins gewesen war. Seine Herren waren im Fluss der Zeit untergegangen, wahrscheinlich besiegt von den Invasoren. Doch auch die schien es nicht mehr zu geben. Seine ganze Heimat war wieder von Dschungel überwuchert und unbewohnt zu sein.
Nur die Sklaven hatten überlebt.
Sie hatten überlebt und sich entwickelt. Sie sahen etwas anders aus, als ihre Ahnen.
Aber sie waren immer noch Sklaven.
Sklaven, welche Magie einsetzten und anscheinend einen ganzen Kontinent ihr eigen nannten. Einen Kontinent, den Xulo zu beherrschen gedachte.

ENDE

des 1. Teils...
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Boïndil am 12. Juni 2008, 14:48:36
Wann geht es den mit dem zweiten weiter?  :)
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: Hunter am 13. Juni 2008, 15:03:28
Zur Zeit komme ich durch Diplomarbeit und vor allem durch Prüfungen und internationales Projekt gar nicht zum spielen und schon gar nicht zum schreiben.

Es sieht zudem so aus dass diese Runde nicht weiter fortgeführt wird. Darum habe ich - im Kopf - schon mal beschlossen das ganze einfach so weiter zu schreiben. Der Beginn eines Exposees steht bereits, verdient aber noch eine Fertigstellung und eine weitere Auformulierung.

Aber es geht hier definitiv einmal weiter!
Titel: Schatten der Vergangenheit
Beitrag von: AfterBusiness am 05. Februar 2014, 12:48:25
Wann gehts denn definitiv weiter?  :D