Schatten krochen die Wände empor und schlugen an der Decke zusammen wie eine Woge in einem Sturm.
Das Licht der einzigen Kerze in dem Zimmer war unnatürlich gedämpft und vermochte es nicht, die Dunkelheit zurückzudrängen. Es war, als ob sich die Schatten von selber bewegen würden, als ob sich Klauen, Gliedmaßen und Gesichter in ihnen bildeten und wieder verschwanden.
Der junge Mann auf dem Bett warf sich hin und her. Unruhig wälzte er sich in seinem Alptraum gefangen von einer auf die andere Seite. Schweiß rann ihm seinen kahl geschorenen Schädel hinab.
Der schwarze große Rabe am Fußende des Bettes betrachtete seinen Meister mit schief gelegtem Kopf. Fast schien es so, als ob er einen Teil des Alptraumes seines Herrn mitfühlen würde.
Auf dem Nachttisch lag die juwelenverzierte Augenklappe seines Meisters, das erste magische Stück, das er fertig gestellt hatte.
Diese glich den Verlust seines rechten Auges aus, mehr als das, sie erlaubte es ihm unsichtbares zu entdecken. Sein Auge hatte er auf dem Hochplateau eines Berges verloren, ein Fey´ri hatte es ihm herausgerissen, während er durch einen Zauber gefesselt worden war.
Arssuum schreckte hoch.
Sein linkes Auge weit aufgerissen, die rechte Augenhöhle mit tiefem Schatten erfüllt. Sein drahtiger Oberkörper war mit Tätowierungen versehen die über die Seite seines Halses über seine rechte Gesichtshälfte bis hinauf auf die Stirn gingen.
Kurz holte er tief Luft, dann beruhigte sich sein Atem wieder. „Die Schatten…“ Sie suchten ihn jede Nacht, versuchten seinen Geist zu zerstören und ihn zu verlocken.
In ganz seltenen Momenten dachte er über die Entscheidung nach die er einst getroffen hatte.
Das Schattengewebe hatte ihn willkommen geheißen und es hatte sich so gut angefühlt.
Es war ja auch nicht so, dass er eine Wahl gehabt hätte. Hätte er nicht diesen Weg gewählt, hätte ihn sein Meister getötet, oder die Schatten hätten seine Seele verschlungen.
Aber manchmal wünschte er sich die Ruhe die er als Kind gefühlt hatte, als sein Geist noch unbefleckt gewesen war. Nun ließ ihn sein Weg keine Nacht mehr durchschlafen. Aber das war der Preis.
Er musterte Deco, fast liebevoll glitt sein Blick über das nachtschwarze Gefieder seines Vertrauten, es schien ihm fast so, dass je machtvoller seine Magie wurde, das Gefieder des Raben schwärzer wurde, nahezu schattenartig.
Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Er streckte seine Hand aus und ließ den Raben mit einem telepathischen Befehl auf seinem Handgelenk Platz nehmen.
Arssuum genoss die Nähe des einzigen Wesens dem er vertraute. Der Vogel rieb seinen Schnabel zärtlich an den Fingern seines Meisters.
Der glatzköpfige Mann lauschte in das Zwielicht hinein.
Unten aus dem großen Schankraum drangen die fernen Klänge einer Flöte. Zweifellos Pfeifer, der seltsamste Elf, den Arssuum je kennen gelernt hatte. Ein fröhlicher, vom Wesen her fast zwergenhafter Barde, den Bash angeschleppt hatte.
Im Heim und Herd hatte er seine Heimat gefunden, wobei seine Auftritte im Schwarzen Krug nun mehr und mehr zunahmen. Das Etablissement in dessen Führung Bash irgendwie verstrickt war, lief mehr als gut.
Egal, das waren Sachen die ihn nichts angingen und sollte Bash doch damit seinen Spaß haben. Er hatte wirklich Wichtigeres, Größeres vor.
Der Blick seines verbliebenen Auges fiel auf seine Rote Robe die neben der Tür an einem Haken hing.
„Eine Enklave. Eine Enklave hier in Sundabar. Und er wäre der Leiter. Leider nicht der uneingeschränkte, Morg der Zähe war ja noch da, aber vielleicht konnte man den ja…“ Arssuum zuckte zusammen,
„Ich muss aufpassen. Mein Schatten-Ich wird wieder stärker.“
Er würde gar nichts mit Morg anstellen. Der Nekromant war aus Tay angereist um ihm bei dem Aufbau seiner Enklave zu helfen und ihm zur Seite zu stehen.
Allerdings würde er versuchen einige Nachforschungen über den dürren Mann mit der lederartigen Haut anzustellen. Nicht, das die Schatten der Vergangenheit ihn einholen würden. „Die Schatten der Vergangenheit, wie passend.“
Arssuum zog sich die Augenklappe über den Kopf und griff nach seinem Zauberbuch.
Liebevoll strich seine Hand über den Einband. Schmerzvoll dachte er an die kurze Zeit zurück, als er von ihm getrennt gewesen war. Es war zwar nicht lange gewesen, aber er hatte sich so schwach gefühlt ohne seine Folianten.
Er musste noch einige Nachforschungen anstellen.
Berem, ein Mitglied der Dämonenjagd, der er auch angehörte, hatte eine alte Verbündete an die Schatten verloren.
In Ascore, einer Ruinenstadt am Rande der großen Wüste war sie einer alten Zwergenfalle zum Opfer gefallen. Nun ruhte ihr Geist auf der Schattenebene und Berem war davon besessen ihn zurückzuholen.
„Als ob ich nichts Besseres zu tun hätte.“ aber ein Ausflug auf diese Ebene würde ihn schon reizen. Arssuum dachte über die Möglichkeiten eines Ebenenwechsels nach.
„Vielleicht könnte der Kleriker ja auch mal was machen.“ Kopfschüttelnd dachte der Magier an Melarn Silbersturm, Kleriker des Kelemvor und unbrauchbar.
„Reiß dich zusammen. Sie sind deine Freunde, sie helfen dir.“ Arssuum holte tief Luft.
Jeden einzelnen Augenblick musste er kämpfen.
Kämpfen, dass er selber die Oberhand behielt und nicht seine dunkle Seite empor kroch. Manchmal hatte der Magier aus Tay das Gefühl die Kontrolle zu verlieren.
Oft wenn er einen mächtigen Zauber wirkte schien es ihm, als ob er sich selbst von oben sah und den Schatten beobachten konnte, der in seinen Körper hinein trat und Machtquellen anzapfte, die nie ein Sterblicher nutzen sollte.
Jedesmal wenn er einen Zauber wirkte, musste er sich beherrschen um nicht die herkömmliche Quelle der Magie anzuzapfen. Mystras Gewebe. Er durfte es nie wieder nutzen.
Das Schattengewebe war zwar mächtiger, aber die Gefahr war viel größer.
Wenn seine Gefährten wüssten wie nahe er beim Wirken seiner Zauber schon einige Male an der Katastrophe vorbei geschrammt war.
„Sie würden ihm glatt die Hände abhacken.“ Arsuum grinste bei der Wiederholung der Drohung die Azhamon schon oft gegen ihn ausgesprochen hatte.
Er musste nur schnell genug sein und der Paladin wäre kein Problem mehr für ihn.
„Nein. Er war ein Freund. Und die Schatten seiner Seele würden ihn nicht in Versuchung führen.“
Azhamon war sogar der erste, der ihm vertraut hatte. Ein Wunder bei dem Misstrauen das sein elfischer Gefährte gegen alles und jeden erst einmal an den Tag legte.
Aber als Arssuum mit Hilfe eines Zaubers, einen Teil seiner Lebenskraft abgegeben hatte um ihn zu heilen hatte er sich sein Vertrauen erarbeitet.
Arsuum wusste nicht mehr, warum er das damals getan hatte, er hatte einfach ohne zu überlegen gehandelt.
Ein Kopfschmerz stellte sich ein.
Arssuum betrachtete die zuckenden Schatten welche die Kerze an die grau getünchten Wände warf.
In ihnen offenbarten sich Kreaturen, Gestalten, Gedanken, sie waren der Schlüssel und der Weg, das Tor zu einer anderen Welt.
Sein Körper war durch den Kontakt mit dem Schattengewebe immer mehr verändert worden.
Er konnte nun in der Dunkelheit sehen als wäre es Tageslicht und seine Augen waren mittlerweile tiefschwarz.
Seine Tätowierungen, Symbole seiner Zugehörigkeit zu den Roten Magiern von Tay, waren zu Streifen Schattens geworden.
Wenn man sie betrachtete, schien es fast so, als ob sie mit der Schattenebene verbunden waren.
Die Veränderungen würden weitergehen. Arssuum war klar, dass er den Weg, den er eingeschlagen hatte, nicht eher würde verlassen können, ehe ihn die Schatten verschlingen würden oder er die Spitze der Macht erklommen hatte.
Man kannte ja die Geschichten von Magiern, denen ihr Machthunger zum Verhängnis geworden war.
„Aber mir ist ein anderes Schicksal beschieden!“
Eines Tages würde er den Tod selber überlisten. Arssuum Tharaum würde mächtiger werden als alle vor ihm. Wieder schüttelte er den Kopf, kämpfte sein anderes Ich nieder und konzentrierte sich auf seine Aufgabe.
In einigen Büchern die er sich von Sadur, dem Magier vom Nordturm geliehen hatte, suchte er nach Möglichkeiten und Hinweisen die Schattenebene mit seinen Gefährten zu betreten.
Er forschte nach Mitteln seine Freunde auf die Gefahren die einen dort erwarten würden vorzubereiten.
Sie würden ihn brauchen. Sie würden von ihm abhängig sein. Ohne ihn wären sie vollkommen aufgeschmissen. Ein falscher Schritt und die Bewohner der Schattenebene würden sie ergreifen und zu welchen der ihren machen.
Arssuum wühlte sich mehrere Stunden durch seine und Sadurs Bücher bis er endlich einen Hinweis darauf fand wie sie vorzugehen hatten. Befriedigt stand er schwankend auf.
Die Schatten um ihn herum krochen auf ihn zu.
Seine Nackenhaare stellten sich auf.
Krächzend schlug Deco mit seinen Flügeln.
Arsuum rief sich die Worte eines Zaubers ins Gedächtnis und warf unruhige Blicke in die Schatten.
Es war, als ob die Dunkelheit sich in Seen sammelte und langsam auf ihn zufloss.
In den Schatten schien sich ein Gesicht zu bilden. Es erinnerte an das eines Menschen, doch zwei kleine Hörner wuchsen auf seiner Stirn. Arssuum kannte dieses Gesicht. Sein Atem beruhigte sich wieder. Das Gesicht suchte mit seinen Augen die Kammer nach dem Roten Magier ab.
Arssuum duckte sich hinter den Tisch und wirkte flüsternd einen Zauber, der ihn vor der Ausspähung schützen würde.
Grimmig beobachtete er den Versuch seines alten Mitschülers ihn auszuspionieren.
Tr´enso.
Der Tiefling war in derselben Klasse wie Arsuum gewesen und auch ihm war es gelungen den Kontakt mit dem Schattengewebe zu meistern. Jahre später hatte Arsuum ihn dann mit seinen Gefährten in einem unterirdischen Raum in einem Tempel wieder getroffen.
Zu diesem Zeitpunkt war der Tiefling damit beschäftigt irgendetwas in der Kammer, die einen Knotenpunkt zur Schattenebene darstellte, herzustellen.
Er hatte Arssuum und seine Gefährten mit der Illusion eines Schattendrachens genarrt.
„Was wollte der Bastard mit Teufelsblut?“
Arssuum beobachtete die kläglichen Versuche seine Position festzustellen. Die Lippen des Schattengesichts murmelten etwas.
„Das war kein arkaner Zauber!“ Tr´enso wirkte göttliche Magie!
Arssuum wurde nun doch mulmig zumute.
Götter waren nichts mit dem er etwas anfangen konnte. Sie behinderten einen nur in der Entfaltung seiner Macht. Hinderten einen mit Ritualen und Pflichten am Lernen.
Tr´enso schien nun sein Vorhaben aufzugeben. Er blickte noch einmal durch den Raum, und blieb an dem Zauberbuch hängen. Ein Grinsen bildete sich auf dem nur aus Schatten bestehenden Gesicht.
Ein Teil der Schatten um das Gesicht floss vorwärts, sammelte sich und schoss in die Höhe.
Arssuum fluchte innerlich.
Tr ´enso war mächtiger als er vermutet hatte. Einen Schatten zu beschwören, nur mithilfe eines Ausspähungszaubers erforderte einiges an Können.
Der Schatten glitt geräuschlos über den Boden. Direkt auf das Bett und damit Arssuums Zauberbuch zu.
Arssuums Hände beschrieben einige Gesten, seine Lippen formten arkane Worte, er fühlte wie sein Körper das Schattengewebe anzapfte. Sein Geist öffnete sich für die Dunkelheit die dankbar und wohlig kühl in ihn hineinströmte.
Er erhob sich leise. Aus den Fingern seiner Hand schossen fünf dunkle Geschosse die in kurzer Reihenfolge bei dem Schatten einschlugen.
Der Schatten zuckte umher, zwei gelbe Punkte fokussierten den Magier, dann zerfloss er zu einer Pfütze Dunkelheit.
Ohne zu stoppen formulierte Arssuum den nächsten Zauber, wieder spürte er das Ziehen, seine Seele wollte mehr, sein Geist begann das Gewebe anzuzapfen, mit Gewalt zwang er ihn auf das negative Gewebe zuzugreifen.
Arssuum wurde schwindelig.
„Es wäre so einfach jetzt Mystras Gewebe zu nutzen.“
Nein, er durfte nicht. Um seine Hände herum sammelte sich Schatten, sein Körper wurde mit Schwärze überzogen, seine Augen wurden schwarz.
Hätten ihn seine Freunde in diesem Augenblick gesehen, sie hätten vermutet, er wäre von einen Schattendämon besessen.
Arssum trat taumelnd auf das Gesicht zu. Tr´enso konnte nicht durch die Barriere aus Schatten sehen die Arssuum geschaffen hatte.
Wie als ob Arsuum negative Energie sammeln würde und sie auf die Manifestation Tr´ensos zuschieben würde drückte der tätowierte Magier eine schwarze Wand vorwärts.
Als die Wand das Schattengesicht erreichte zerplatzte dieses in hundert Teile. Die Schatten flossen hinab und lösten sich auf.
Hinter Arssuums linkem Auge pochte es.
Vor Anstrengung zitternd ließ er sich aufs Bett fallen.
Alles drehte sich.
Von nun an würde er vorsichtiger sein. Er musste Verteidigungsmaßnahmen ergreifen. Sich vor unliebsamen Beobachtern und Besuchern schützen.
Erschöpft ließ sich Arssuum Tharaun in die wohlige Dunkelheit eines Alptraumes fallen.