Verrat“Nimm deinen Dolch und töte den Wilden!“ befahl ihm die Elfin mit ihrer kalten, klaren Stimme … und Rikku nahm seinen Dolch hervor, ging zu Kordilvar, kniete sich neben ihn, stemmte ein Knie in dessen Rücken während er mit der linken Hand in die Haarmähne des Barbaren griff und seinen Kopf hinaufzog. Innerlich schreiend, äusserlich kalt, setzte er den Dolch an Kordilvars Kehle und zog durch, spürte wie Muskeln, Sehnen, die Kehle zerfetzt wurden. Blut spritzte und Rikku liess die Haare des Barbaren los und stand wieder auf. Innerlich hätte er sich am liebsten übergeben, doch die Macht die ihn fesselte liess es nicht zu…
Serallren hatte sich inzwischen zu Leoram begeben. Es wärmte ihre Seele den Mann auf seinem Gesicht liegen zu sehen. Hätte sie doch nur die Zeit sich mit ihm so abzugeben, wie er es verdiente. Doch sie mussten schnell sein. Udûne würde bald zurückkehren und dann mussten sie weg sein. Irgendwo im Hinterkopf nahm Serallren wahr, dass Alfia ihre dunkle Stimme in Anbetung erhob um das Licht der himmlischen Kreatur in ein neues Gefäss zu bannen. Doch das interessierte die Dralai im Augenblick nicht wirklich. Genüsslich beugte sie sich zu dem Mann vor ihr nieder, leckte in Vorfreude ihre Lippen und flüsterte ihm noch eine letzte Warnung ins Ohr, eine Warnung die ihn noch in seinem Weg ins Jenseits verfolgen sollte, wenn er wirklich ein anerkannter Träger des Krajol war.
“Talloren ist die Nächste!“Sie spürte wie der Schwächling innerlich zusammenzuckte. Mit einem breiten Grinsen schob sie ihm genieserisch ihr Schwert durch die Brust bis in sein Herz, wo sie es noch einige Male drehte, bevor sie es ganz durch ihn hindurchstiess und bis sie spürte, dass kein Leben mehr in dem Mann war.
Alfia schrie vor Wut auf. Das Licht der Himmlischen war erloschen, doch nicht, weil es in den Dolch gefahren war … es war einfach plötzlich weg. Wütend und suchend schaute sie sich um. Da lag noch der Druide herum. War er auch tot? Sie sollte wohl sichergehen … doch dann lauschte sie auf Udûnes Lied und etwas in ihr flüsterte ihr zu, dass sie keine Zeit mehr hatte. Kurz spielte sie mit dem Gedanken den Untoten noch schnell gänzlich zu zerstören, schliesslich war er ja der Frevler, wegen dem sie die ganzen Möchtegern-Helden auslöschte … er, und der Andere, der ihr schon einmal in die Quere gekommen war … doch der Untod war die grössere Strafe für das Grossmaul. Er würde noch einiges an Chaos und Verderben in die Welt bringen, bevor er schliesslich von irgendwelchen Dalrei zerstört werden würde. Im Grossen und Ganzen war ihre Mission erfolgreich … aber ein kleines Souvenir würde sie doch noch mitnehmen.
“Das Schosstier werde ich mitnehmen, es wird einen guten Preis erzielen. Und dich, dich werde ich nicht zerstören ... du darfst dich noch etwas an deiner Tat freuen und dann sollen die Dalrei meine Drecksarbeit erledigen!“ Nach einem kurzen Zauber, gesellte Abraxas sich zu Alfia und Serallren. Alfia nahm eine Schriftrolle hervor und noch bevor sich Rikku von seinem Schock erholen konnte, verschwanden die Frauen und sein Familiar vor seinen Augen.
… Rikku wollte weinen, doch seine toten Augen konnten nicht. Verzweifelt blickte er auf das Blut an seinen Händen und seinen Kleidern … Kordilvars Blut. Mit schreiendem Herz blickte er zu Leoram, der mit dem Gesicht nach unten und ausgestrecktem Arm in einer immer grösser werdenden Blutlache lag. Julién war der einzige, der noch lebte. Doch auch mit ihm stimmte etwas nicht … langsam sank Rikku auf seine Knie … was sollte er tun? Was hatte er getan? Was war geschehen?
Plötzlich kam ein Geräusch aus Juliéns Richtung. Als Rikku zu ihm schaute, sah er, wie sich dessen Rücken durchbog, so dass nur noch Füsse und Kopf des Druiden den Boden berührten.
Spoiler (Anzeigen)Ewig schon dauerte die Gefangenschaft, und die Verzweiflung und Panik wichen nicht. Die Dunkelheit wurde nicht heller. Langsam wurde Julién bewusst, dass er sich selbst verlor. Gefangen auf ewig … ewig schwindend …
…
… doch mit einem mal sah er etwas … ein Licht … SIE! Die Geflügelte, die Himmlische mit der goldenen Haut und den beiden vollkommenen weissen Flügeln. Sie stand bei ihm und sein Geist wurde ruhig.
Als sie sprach war ihre Stimme wie ein Chor, wie ein samtiges Rosenblatt, dass über seine Haut strich.
“Julién, es bleibt nur wenig Zeit, also höre mir gut zu! Ich möchte dir mein Licht schenken, denn die Alternativen für mich sind der Alte Feind oder ewige Gefangenschaft. Wenn du zustimmst, wird mein Licht dir helfen dich zu befreien und es wird ein Teil von dir werden, ohne deine Seele zu verletzen. Es tut mir Leid, dich drängen zu müssen, doch du musst deine Entscheidung jetzt treffen! Willst du mein Geschenk annehmen?“
Verwirrt hatte Julién der Himmlischen gelauscht, doch nun waren seine Gedanken klar. Er wusste was er tun musste, denn dieses wundervolle Wesen durfte nicht missbraucht werden um den Alten Feind zu stärken, und es einzusperren wäre ein Sakrileg.
“Ja, ich nehme es an!“ antwortete Julién ohne ein Zögern in der Stimme.
Auf diese Worte hin, trat die Himmlische in sein Gefängnis, in ihn selbst hinein und Julién spürte ihr wundervolles Licht, dass ihn durchflutete, wärmte und schliesslich die Fesseln, die ihn hielten, zu weniger als Asche verbrannten.
Während sich Julién in dieser unnatürlichen Position befand, bemerkte Rikku einen Schatten, der regelrecht aus der Brust des Druiden zu springen schien und mit einem unnatürlichen Zischen in der Felswand verschwand. Dann entspannte sich der Druide und hob langsam seine zittrigen Hände vor sein Gesicht.
Vor Freude sackte Rikku regelrecht in sich zusammen. Wenigstens einer von ihnen hatte es lebend herausgeschafft! Julién brauchte nur kurz um zu sich zu kommen. Schockiert entdeckte er die Leichen seiner Freunde, mit welchen er schon so viel erlebt und durch gestanden hatte. Rikku teilte ihm mit, dass Alfia und Serallren beide getötet hatten – doch bevor er überhaupt Zeit zum Nachdenken hatte, endete der Gesang der Sirene und über der Quelle begann es wieder zu funkeln und leuchten. Udûne kehrte zurück – und obwohl sie fremdartig war, war es nur allzu deutlich, wie erschöpft sie war. Ihre grüne Haut hatte einen ungesunden Graustich erhalten, sie atmete schwer. Nur wenige Augenblicke benötigte sie um die Lage abzuschätzen. Ohne zu zögern trat sie zu den toten, aber noch warmen Körpern von Leoram und Kordilvar und zwischen beiden stehend, begann sie erneut zu singen.
Ihre Stimme rollte durch die Höhle wie Meeresbrandung, wie das Plätschern eines Baches, das Rauschen eines Flusses, das Trommeln von Regen auf einem See. Udûne liess sich fallen, fiel, und wurde aufgefangen von ihren Erinnerungen. Erinnerte sich an die Lehren ihres Volkes, erinnerte sich an ihre Mütter, an ihre Väter, an die alten Lieder, an die wunderschöne Lauriel, an das Opfer. Alle Erinnerungen band sie mit ihrem Glauben zusammen zu einem Lied, zu einer Rettungsleine. Eine Rettungsleine die sie auswarf, über die Grenze hinweg.
Es war beinahe zu spät. Schon hatten sich beide auf den Weg gemacht. Der Gläubige und der Ungläubige. Geleitet und einsam.
Sie hatte kaum noch Kraft, doch sie musste sie zurückholen. Sie schuldete es ihnen. Sie nahm die Erinnerung, die ihr am meisten Kraft gab, die Erinnerung an die wundersamen Tiefen, wo grün und blau verschmelzen, wo das Licht nicht von Oben kommt, sondern vom Wasser selbst, wo das Wasser lebt, wo die vielgeliebte Lauriel ihre Heimstatt hatte. Diese Erinnerung band sie in ihr Lied, in ihre Rettungsleine. Beinahe zu spät, beinahe … doch plötzlich spürte sie, wie einer von Beiden danach griff, kurz darauf der Andere. Mit aller Macht die ihr als Hohepriesterin und als Wächterin übergeben worden war, zog sie sie zurück, zurück über die Grenze … geschafft! Doch welch hoher Preis! Die Erinnerung an … an etwas … etwas kraftvolles … wunderschönes … vergessen …
Völlig ausgelaugt sank Udûne zusammen. Die Beiden Männer waren am leben. Sie selbst jedoch hatte kaum noch die Energie ihre eigenen Herzen schlagen zu lassen … und kaum noch den Willen dazu … denn sie hatte etwas verloren. Sie wusste nicht was sie verloren hatte, aufgegeben hatte – sie wusste nur, dass die verlorene Erinnerung ihr die Entschlossenheit gegeben hatte, so lange auszuharren … es war ihr Schatz, ihr Juwel gewesen – und nun war sie für immer verloren.