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Autor Thema: Berandors Stadt in Ketten: Geheimnisse der Seelenpfeiler  (Gelesen 72744 mal)

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Berandor

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Berandors Stadt in Ketten: Geheimnisse der Seelenpfeiler
« Antwort #60 am: 08. September 2006, 22:36:48 »
Schlechtes Timing

»Faszinierend«, sagte Helion.

Im Sonnenlicht wirkte die Phiole so leer, wie sie bei ihrer Abreise von Occipitus gewesen war. Wenn man sie aber aus dem Licht nahm, füllte sich das kleine Gefäß mit wirbelnder Finsternis.

»Ich bin nur froh, dass ich den flüssigen Schatten noch habe«, meinte Thamior. »Sonst ist uns nichts aus der Vision geblieben.«

»Nur neue Rätsel«, stimmte Dirim zu.

»Und erhellende Charaktereinsichten«, sagte Thargad und tätschelte seine Kurzschwerter. »Meerthan wird sich freuen, uns wiederzusehen.«

»Vielleicht sollten wir erst einmal herausfinden, wann wir sind?«, sagte Helion und gab Thamior die Phiole zurück. »Schließlich sind wir im Winter losgezogen, und jetzt ist es ziemlich sommerlich.«

»Ist der Glückliche Affe nicht hier in der Nähe?«, fragte Boras.

»Also verhalten wir uns wie in der Vision?«

»Ich bin immer noch nicht überzeugt, dass es eine Vision war«, sagte Dirim, »aber wahrscheinlich ist es das Beste.«

»Dann auf zum Glücklichen Affen«, sagte Helion. »Und hoffen wir, dass er eine Vordertür hat.«

-

Der Glückliche Affe wartete im Licht der untergehenden Sonne auf die Kettenbrecher. Aus dem abseits des Grenzwegs gelegenen Stall hörte man das Schnaufen mehrerer Reittiere, und ein gelangweilter Stallbursche saß gegen die Wand gelehnt und döste vor sich hin. Sanfte Musik lag in der Luft, und Pärchen tanzten oder lagen umschlungen im Licht von etwa einem Dutzend halruaanischer Drifter. Diese magischen Schwebelichter, die in ruhigem Takt und gedämpften Farben pulsierend über die Lichtung drifteten, waren das eindeutigste Zeichen dafür, an was für einem Tag die Kettenbrecher zurückgekehrt waren.

»Mittsommer«, sagte Dirim. »Also waren wir ein halbes Jahr weg.«

»Und morgen ist unsere einzige Chance, auf den Schattenmarkt zu kommen und Morena zu treffen«, sagte Helion. »Schließlich soll diese Frau nicht nur etwas über das Verschwinden unserer Eltern wissen, sondern vielleicht sogar einige ihrer Waffen besitzen.«

»Ist morgen nicht Schildtreff?«, fragte Boras. »Aber da soll Terseon im Gottesurteil kämpfen!«

»Und von Finster getötet werden«, sagte Thargad,

»Wir müssen ihm helfen«, sagte Boras.

»Wir sollten inkognito nach Cauldron reisen«, widersprach der Assassine. »Wenn niemand weiß, dass wir zurück sind, dann können wir die Mistkerle überraschen.«

»Wir müssen auf den Schattenmarkt«, sagte Helion.

»Ich will nicht unerkannt bleiben«, sagte Dirim. »Ich will den Mistkerlen ins Auge sehen.«

»Ich bin auf Helions Seite«, sagte Thamior. »Auf dem Schattenmarkt finde ich vielleicht die letzte Zutat für den Seelenbogen. Dann kann ich Anna retten.«

»Überhaupt«, sagte Thargad. »Wie wollt ihr Terseon helfen? Er wird kämpfen. Und wenn er gewinnt, dann stirbt Maavu.«

»Vielleicht könnte ich gegen ihn antreten«, sagte Boras. »Ich würde ihn nicht umbringen.«

»Dann können wir gleich vergessen, inkognito zu bleiben.«

»Du musst ja nicht mitkommen«, sagte Dirim. »Wir behaupten dann, du wärest tot.«

»Und die setzen sich über ihren Zauberspiegel und suchen mich, und schon ist klar, dass ich nicht tot bin«, gab Thargad zurück. »Super.«

»Ich will unbedingt auf den Schattenmarkt«, sagte Helion.

»Ich auch«, meinte Thamior.

»Können wir nicht beides machen?«, fragte Dirim. »Terseon helfen und auf diesen Markt?«

»Kommt darauf an«, sagte der Kobold. »Wir müssen wahrscheinlich genau zur Mittagszeit den Schattenmarkt betreten. Wann ist das Duell?«

»Keine Ahnung«, sagte Dirim. »Aber ich wenn ich raten müsste: zur Mittagszeit.«

Thamior schmunzelte. »Das nennt man dann wohl schlechtes Timing.«
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-

Thargad betrat den Schankraum des Glücklichen Affen. Er hatte sich die Weste eines besonders beschäftigten jungen Mannes geborgt, der auf der Lichtung mit seiner Angebeteten beschäftigt war, und hatte mir wenigen Handgriffen eine Verkleidung als einfacher Bürger hergstellt. Jetzt wollte er herausfinden, wann das Duell stattfinden sollte, und ob es eine Möglichkeit gab, sich nach Cauldron zu schleichen. Alles weitere, wie Informationen über den status quo oder ein paar Reittiere, war die Glasur auf einem ziemlich trockenen Kuchen.

Allein der Gedanke machte Thargad durstig. Er sah sich um. Eine große Gruppe von Leuten hatte mehrere Tische zusammen gestellt und prostete sich fröhlich zu. Es waren bestimmt zwei Dutzend oder mehr Menschen, die dort beisammen saßen. Die Gruppe wurde beobachtet von einem älteren Gnom mit Goldmünzen im Blick. Jeder Schluck der Gesellschaft schien sein Lächeln zu verbreitern. Etwas abseits saßen vier Männer um ein Schachspiel herum und schlugen sich gegenseitig Züge vor. An einem weiteren Tisch sah Thargad eine sehr vornehm gekleidete junge Frau, neben ihr ein beträchtlich angeheiterter Jüngling und ein verdrießlich dreinschauender älterer Mann. Eine Gruppe von Wachleuten, alle mit einem Familienwappen über dem Herzen, saß nahebei.

Neben den Gästen gab es zwei Schankfrauen, die zwischen Theke und der trinkgesellschaft hin und her flitzten. Der Wirt, ein junger Mann, erinnerte eine gerade daran, auch die anderen Gäste nicht zu vergessen. Auf der Bühne stand ein Halbelf mit grünen Strähnen im blonden Haar und goldenen Sprenkeln in den grünen Augen. Es war der Wahrsänger, den die Kettenbrecher zuletzt in Redgorge, in dem geheimen Unterschlupf der Steinmetze gesehen hatten. Der Barde nickte Thargad unverbindlich zu, wie er es sicher bei jedem neuen Gast tat. Bevor Thargad sich fragen konnte, ob der Wahrsänger ihn erkannt hatte, betrat Shensen Tesseril den Raum.

Die Dunkelelfe sah besser aus, als Thargad sie in Erinnerung hatte. Natürlich war in seiner Erinnerung eine Schattenwurzel aus ihrem Mund gesprossen, deshalb besagte das nicht viel. Shensen stockte in ihrem Schritt, als sie Thargad sah und höchstwahrscheinlich erkannte, aber dann wandte sie den Blick ab und setzte sich nahe der Bühne an einen Tisch. Thargad war ihr dankbar dafür, ärgerte sich aber, dass er erkannt worden war. Es war nicht zu ändern. Er sollte besser anfangen, Informationen zu sammeln.

Die reiche Dame und ihr Gefolge erschienen ihm an vielversprechendsten. Er näherte sich also ihrem Tisch.

»Waukeen zum Gruße«, sagte er. »Mein Name ist Thilo Weißdorn. Darf ich Euch vielleicht Gesellschaft leisten?«

»Waukeen zum Gruße«, erwiderte die Frau höflich.

»Was wollt ihr?«, unterbrach der Ältere schroff.

»Ich möchte mich nur unterhalten«, sagte Thargad. »Die Spielgruppe scheint mir zu vertieft in ihr Spiel, und die Gesellschaft dort vorn ist mir etwas zu laut.«

»Und?«, fragte der Mann wieder.

»Ach hör auf«, lallte der Jüngling. Zu Thargad sagte er: »Setz dich, Thilo. Ich bin Julian, und das ist meine Herrin Samara Silberfunkel. Und der da ist der bemitleidenswerte Rufo, bei dem die Götter das Lächeln vergaßen.«

Samara Silberfunkel lächelte bei dieser Beschreibung. Rufo blieb ernst. Thargad wartete nicht lange, sondern setzte sich schnell.

»Darf ich Euch etwas zu trinken spendieren?«, fragte er.

»Ja!«, rief Julian aus. »Gute Idee! He, Mädchen, noch eine Karaffe von dem Roten! Und einen neuen Kelch!«

Bald stand eine Karaffe Rotwein auf dem Tisch. Der Wein sah teuer aus, und er roch teuer. Thargad musste einfach herausfinden, ob er auch teuer schmeckte. Tat er.

»Also«, sagte er nach einem Schluck, »wie stehen die Dinge in Cauldron?«

»Warum wollt ihr das wissen?«, blaffte Rufo.

Julian verdrehte die Augen. Thargad setzte zu einer Erklärung an, aber Samara kam ihm zu Hilfe.

»Das nennt man unverbindliche Unterhaltung, Rufo. Wollt ihr unseren Gast beleidigen?«

Der Angesprochene schlug die Augen nieder. »Nein Herrin.«

»Also dann«, sagte Samara. »Ich bin Euch für Eure Vorsicht dankbar, aber haltet sie ein wenig zurück.«

Damit lehnte sich die Dame wieder nach hinten und überließ Julian und Thargad das Gespräch. Hauptsächlich jedoch Julian.

Leider wusste auch die Reisegesellschaft wenig über den aktuellen Stand der Dinge. Sie hatten vom Gottesurteil gehört, und dass es stattfinden sollte, wenn die Sonne am höchsten stand; Dirim hatte Recht gehabt. Ansonsten war das Gespräch mit den Reisenden wenig ergiebig, da sie sich über die eigenen Vorhaben ausschwiegen und über die anderen wenig wussten. Die Gesellschaft feierte den Vorabend einer Hochzeit, und die Schachspieler hatten in Cauldron ein Turnier. Der Gnom wiederum war der Bier- und Weinlieferant für den heutigen Abend und die morgige Hochzeit. Als Thargad spürte, dass er nichts mehr herausfinden konnte, verabschiedete er sich.

»Vielleicht gratuliere ich noch dem jungen Paar«, sagte er, als er aufstand.

»Gute Idee«, sagte Julian, dem seine Herrin keine Getränke mehr kaufen wollte. »Ich komme mit.«

»Wollt ihr mich wirklich allein lassen?«, fragte Samara Silberfunkel jedoch, und so blieb der betrunkene Barde sitzen.

Thargad hingegen ging zu den Feiernden und wurde freudig begrüßt, auch wenn das Paar sich bereits schlafen gelegt hatte, wie mit viel Augenzwinkern und rauhem Lachen versichert wurde. Hier erfuhr der Schurke zwar auch nicht mehr viel, aber es wurden ihm noch ein paar Getränke angeboten. Gut erzogen, wie Thargad war, lehnte er die Gastfreundschaft natürlich nicht ab.
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Etwas später machte er sich auf den Weg zurück zu seinen Gefährten. Es war schwer gewesen, aber er hatte sich losreißen können, bevor er wirklich betrunken war. Er hatte mit einem kurzen Bericht begonnen, als Shensen Tesseril aus dem Wald platzte.

»Ihr seid zurück! Silvanus allein weiß, wo ihr so lange gesteckt habt.«

Die Kettenbrecher sahen Thargad an. Der schwieg.

»Ich dachte, ich hätte Euch erkannt. Also bin ich Euch gefolgt. Keine Angst, ich war vorsichtig.«

»Ihr ja«, sagte Thargad mürrisch.

»Was ist mit Eurem Auge geschehen?«, wandte sich Tensen an Dirim.

Helion schob sich vor den Zwerg. »Wo ihr schon mal hier seid«, sagte er zu Shensen, »erzählt uns doch: was ist passiert, seitdem wir aufbrachen?«

Die Antwort viel recht kurz aus, da Shensen auf das Gerede von Reisenden angewiesen war, und deren Erzählungen meist nur die Oberfläche kratzten. Aber sie berichtete, dass Maavu gefangen genommen wurde und am morgigen Tag ein Gottesurteil zwischen Terseon Skellerang und einem bislang ungenannten Kämpfer stattfinden würde. Shensen wusste ebenfalls, dass inzwischen zwischen einhundertfünfzig und zweihundert Halborksöldner in Cauldron waren, und dass die Stadtwache sogar einige Oger in ihren Reihen hatte. Der Finger genannte Azuthtempel war kurz vor der Fertigstellung und musste nur noch geweiht werden. Tenebris Valanthru hatte die Tagesgeschäfte Cauldrons mehr oder weniger übernommen.

»Das sind wohl die wichtigsten Ereignisse«, sagte die Halbdunkelelfe.

Die Kettenbrecher berieten sich für einige Augenblicke. Schließlich kamen sie zu einem Entschluss.

»Du kannst etwas für uns tun«, sagte Dirim. »Erstens: ich werde einen Brief schreiben, den du zum Kloster der Barakmordin schicken musst. Sie sollen wissen, dass ich zurück bin. Zweitens: Wir brauchen Reittiere, und zwar solche, die in der Lage sind, durch die Berge zu kommen. Drittens: Du darfst niemandem sagen, dass wir zurück sind.«

»Der Brief ist kein Problem. Ich kann bestimmt ein paar Bergponys mieten. Und ich erzähle ohnehin nicht viel.«

»Auch Meerthan darf es nicht wissen«, sagte Thargad.

»Aber«, begann Shensen.

»Er wird es früh genug erfahren«, betonte der Schurke. »Aber wir wissen nicht, ob er nicht überwacht wird.«

»Ach so. Verstehe. Ich werde schweigen. Und ich nehme an, ihr wollt den Falken zurück haben?«

»Den Falken?«, fragte Thamior. »Sheera?«

»Das Tier war in Cauldron, ganz verstört. Meerthan hat mich verständigt, und ich habe sie zu mir geholt.«

»Danke«, sagte der Elf, obwohl es ihm schwer fiel angesichts der dunklen Haut seines Gegenüber.

»Ich gehe dann mal und besorge die Pferde«, sagte Shensen.

Als sie weg war, sprachen die Kettenbrecher noch einmal alles durch.

»Thamior und ich reisen also zum Schattenmarkt, und Thargad nehmen wir mit, damit er seine Anwesenheit nicht offenbart«, fasste Helion zusammen. »Dirim reitet nach Cauldron und nimmt die Arbeit am Tempel wieder auf. Hoffentlich sind wir vom Schattenmarkt zurück, bevor sich die Käfigmacher von ihrem Schock erholt haben. Und Boras–«

»Alles klar«, sagte der Barbar. »Ich gehe mit Dirim, und wenn möglich, fordere ich Terseon Skellerang zum Zweikampf.«
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Berandors Stadt in Ketten: Geheimnisse der Seelenpfeiler
« Antwort #61 am: 09. September 2006, 18:16:09 »
Oh Ja, die planenden Diskussionen... Das kann dauern und man selbst sitzt als SL daneben und hört interessiert zu, mit einem Lächeln.
Wir wollen Boras in der Arena!

Warum Thilo Weißdorn?

Schönes Häppchen für die kommenden Ereignisse. Bin gespannt!
"die untoten Drachen werden die Welt beherrschen"

Berandor

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Berandors Stadt in Ketten: Geheimnisse der Seelenpfeiler
« Antwort #62 am: 10. September 2006, 01:55:02 »
Thilo Weißdorn habe ich mir spontan ausgedacht. Ich weiß nur noch, dass Thargad sich nicht als Thargad vorgestellt hat. Und Thilo Weißdorn klingt schön ländlich :)

Das nächste update ist bereits fertig. Montag.

Dann Donnerstag (wahrscheinlich), damit am Samstag alles aktuell ist.
Bitte schickt mir keine PMs hier, sondern kontaktiert mich, wenn nötig, über meine Homepage

Boïndil

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Berandors Stadt in Ketten: Geheimnisse der Seelenpfeiler
« Antwort #63 am: 10. September 2006, 15:06:40 »
Das klingt doch gut, weiter so  :wink:
"Hört auf zu reden! Lasst uns Köpfe spalten und Knie zertrümmern!"

Berandor

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Berandors Stadt in Ketten: Geheimnisse der Seelenpfeiler
« Antwort #64 am: 10. September 2006, 21:51:16 »
Planänderung: Ich komme mit zwei Updates nicht aus. Also hier das nächste, dann Dienstag, dann Donnerstag.

Der Graf
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Die Kettenbrecher verbrachten die Nacht im Wald, dann brachen sie auf. Dirim und Boras hatten Reitpferde erhalten. Auf ihrem Weg nach Cauldron überholten sie einige Reisende, auf halber Höhe mussten sie einer größeren Reisegruppe Platz machen. Dann endlich war die Heimatschleuse in Sicht.

Cauldrons Wände waren immer noch hoch und aus schwarzem Malachit, aber anders als in der Vision waberte kein Schattenvorhang, sondern stand das große versenkbare Tor offen und enthüllte den Blick auf eine mit den Überresten der gestrigen Feierlichkeiten gesäumten Straße. Zwei halborkische Stadtwachen und ein Oger, den man in eine viel zu kleine Rüstung gesteckt hatte, hielten die Beiden an.

»Halt! Reisende müssen ihr Gut verzollen, und Eure Waffen wollen angebunden sein.«

Dirim fixierte den Sprecher mit seinem brennenden Auge. »Wir zahlen keine Zölle. Wir sind Bürger der Stadt. Und unsere Waffen bleiben frei.«

Damit ritt er los, und Boras folgte ihm. Der Oger stellte sich ihnen in den Weg, aber der Sprecher zog ihn wieder zurück.

»Lass man, ich kenne die. Um die wird sich gekümmert.«

Der Oger grunzte traurig.
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Dirim und Boras lenkten die Pferde im Schritt nach Cauldron hinein. Von dem Vorplatz hatte man einen guten Blick über die Stadt, und die beiden sahen die provisorische Arena, die man auf dem Stadtplatz errichtet hatte. Außerdem sahen sie den gewaltigen, über hundert Schritt hohen Turm des Azuthtempels. An der Spitze verbreiterte sich der Finger wie zu einem Auge, und die äußeren Ecken glänzten golden im Sonnenlicht.

Dirim verzog das Gesicht. »Zuerst zum Gottesurteil«, sagte er.

Die Einwohner Cauldrons blickten auf, wenn sie an ihnen vorbei ritten. Mehr als einer grüßte sie lautstark, und einige besonders flinke rannten an ihnen vorbei, um des Wegs von ihrer Rückkehr zu berichten. Bald hatte sich eine Menschentraube gebildet, und als Dirim und Boras die Arena erreichten, waren sie von Schaulustigen und Besuchern des Kampfes gleichermaßen eingezwängt. Nur dank ihrer Pferde kamen sie weiter voran.
Endlich waren sie am Eingang zur Arena angelangt. Die dortigen Wachen traten sofort vor.

»Wohin des Wegs?«, fragte die eine Wache barsch und hob den Arm.

»Zum Gottesurteil.«

Boras stieg ab und gab dem Mann die Zügel in die Hand.

»Danke.«

Der Mann ließ die Zügel fallen. »Ihr könnt hier nicht einfach durch!«

»Wer sagt das?«

»Ich«, kam eine Stimme vom Eingang. Sie war immer noch genauso ölig wie vor einem halben Jahr, aber sie klang nicht gewohnt hochnäsig. Auch sonst wirkte Tenebris Valanthru irgendwie blass um die Nase herum. Der Goldelf war wie immer in feinste Gewänder gehüllt, und seine goldenen Augen fixierten Dirim, der noch im Sattel saß.

»Wir kommen, um für Maavu zu kämpfen«, sagte Dirim.

»Mit welchem Recht?«

»Sprecht ihr einem Priester Tyrs die Rechtmäßigkeit ab, Valanthru?«

Der Elf hob abwehrend die Hände. »Aber nein. Seid ihr denn ein Priester Tyrs?«

Dirim hielt ihm seinen Schild entgegen. »Seht ihr dieses Zeichen nicht?«

Die Leute verfolgten das Schauspiel gebannt. Dirim spürte, dass er hier nicht klein beigeben dürfte.

»Ihr tragt die Kleidung eines Tyr-Priesters«, sagte Valanthru, »so viel gestehe ich ein. Aber Euer Auge brennt in infernalischem Feuer. Wer sagt mir, dass ihr der seid, der ihr zu sein vorgebt? Und dass ihr nicht in Tyrs Ungnade gefallen seid, als ihr mit Dämonen paktiertet?«

Die Menge wurde unruhig. Das Auge qualmte, und der Rauch roch wirklich stark nach Schwefel. Dirim hörte mehr als einmal das Wort ›Dämon‹ heraus. Valanthru lächelte.

»Infernal? Ist Cauldron tatsächlich schon zur Hölle gefahren?« Dirim hob sich aus dem Sattel. Er sprach zu den Umstehenden, so laut er konnte. »Sehet die Wachen! Blickt zum Finger, und gedenkt dem Namen des Helmtempels. Das Flammende Auge ist kein Teufelszeichen, sondern Wappen der Stadt. Tyr hat mich gesegnet. Ich, Dirim Gratur, komme als Beschützer Cauldrons, nicht als ihr Untergang, denn ich trage Cauldrons Zeichen!«

Mit diesen Worten jubelte die Menge auf, auch wenn Dirim noch einige zurückhaltende Gesichter sah. Diese Schlacht war gewonnen, aber der Krieg? Hatte gerade erst begonnen. Das besagte auch der Blick, mit dem ihn der Goldelf bedachte.

»Und jetzt lasst uns durch, wir haben einen Kampf auszutragen.«

-

Steile Bergpfade hatten Helion, Thamior und Thargad nach Osten geführt, tief in die Omlarandinberge. Hier, südlich vom Cauldron, lag irgendwo die verlassene Feste der Silberkelche. Der Paladinorden war inzwischen fast vollständig an den Hof Tethyrs berufen worden. Zwischen dieser alten Burg und der Kesselstadt lag Silberquell, überwiegend als ›die Geisterstadt‹ bekannt. Die Silberminen des kleinen Dorfes waren der Legende nach zum Erliegen gekommen, und in ihrer Gier hatten die Bewohner am falschen Ort gegraben. Die Stadt verging in einer Seuche, und bald herrschten Geister und Untote über diesen Ort. Kurz darauf kappte man die Brücke über die Silberschlucht, und seitdem gab es keinen Kontakt mehr mit dem Dorf, abgesehen von ein paar Übermütigen, die dort nach Schätzen oder dem Eingang in andere Dimensionen suchten.

Jetzt lag Silberquell vor den drei Kettenbrechern, und es war alles andere als verlassen. Schon aus der Entfernung sah man Arbeiter, die über die Straßen gingen oder an Häusern werkelten. Am Eingang der Stadt standen drei Wachen.

»Unerwartet«, sagte Helion, »aber nicht unwillkommen. Sagen wir hallo.«

Thamior schüttelte den Kopf. »Das sind Untote.«

»Wer?«, fragte Helion und kniff die Augen zusammen, aber das Sonnenlicht machte ihm zu sehr zu schaffen, um genaueres zu erkennen.

»Alle.«

Es verging ein Atemzug, bevor Thargad seine Stimme wiederfand.

»Alle?«

»Alle, die ich sehen kann«, sagte der Elf.

»Sie haben uns jedenfalls schon gesehen, und wir müssen ins Dorf hinein«, sagte Helion. »Sehen wir mal, ob sie friedlich sind.«

Die drei ritten langsam näher. Tatsächlich war die Stadt bevölkert von Untoten, skelettartigen Geschöpfen, deren Knochen mit Runen und Glyphen besetzt waren. Zwei der drei Wachen trugen nur kleine Glyphen auf Arm und Brust, der dritte hatte eine kleine Rune auf der Stirn und mehrere am Körper. Dieser dritte trug auch eine minderwertige Kettenrüstung. Alle waren sie bewaffnet.

»Halt«, sagte der Gerüstete, als die Kettenbrecher etwa zwanzig Schritt entfernt waren. »Was wollen?«

»Wir wollen nach Silberquell«, sagte Pecarri. Das Wachskelett war davon anscheinend überfordert.

»Warten! Holen.« Es wandte sich an die anderen Skelette. »Kru-chakarat. Nih!«

Die Skelette nickten.

Das Wachskelett drehte sich um und stiefelte ins Dorf hinein. Die Kettenbrecher betrachteten das Schauspiel, das sich ihnen bot. Im ganzen Dorf liefen Untote Skelette herum, alle mit noch minderwertigeren Glyphen als die Wachen, und gingen Tätigkeiten nach. Manche arbeiteten an Häusern, andere rupften Unkraut aus ihrem Vorgarten, wieder andere fuhren mit einem Karren durchs Dorf voller Waren, die niemand kaufte. Es war verrückt.

Endlich kam das Wachskelett zurück, und mit ihm ein größeres Skelett im Plattenpanzer, ein Zweihänder auf dem Rücken.

»Kommt«, sagte das Panzerskelett. »Folgt mir.«

»Wohin gehen wir?«, fragte Thamior.

»Zum Grafen.« In diesem Moment donnerte es vernehmlich.

»Zum Grafen«, wiederholte Thamior. Es donnerte, etwas leiser.
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Das Panzerskelett führte die drei zu einem großen Herrenhaus mitten in Silberquell. Dunkle Wolken hingen über dem Haus. Hohe Fenster ließen etwa zehn Schritt hohe Räume vermuten und gaben den Blick auf große Wandgemälde frei. Das Panzerskelett bat die Kettenbrecher, abzusteigen, und stieg dann die Treppen zum Eingang hoch.

Der Türklopfer war ein ginsender Mund, dessen Klopfen dreifach verstärkt durch das Haus hallte. Die Kettenbrecher hörten das Rasseln mächtiger Ketten, das Rumpeln schwerer Zahnräder und das Keuchen einfacher Dampfmaschinen. Dann schwang die Tür auf, und eine helle Stimme ertönte.

»Danke, Hugo. Du kannst jetzt gehen.«

Vor den Kettenbrechern erhob sich ein vier Schritt hohes Ungetüm aus schwarzem Stahl. Grauer Rauch drang aus einem kleinen Schlot, und in seiner Brust glomm ein Feuer. Anstelle von Beinen besaß das Wesen Ketten, die sich um eine Achse drehten, und an seiner Spitze war eine Kristallkugel, in der ein Totenschädel schwamm. Dieser Schädel sprach.

»Willkommen, Reisende. Ich bin Graf Silberquell!«

Es donnerte bedrohlich.

-

»Boras. Komm doch rein.«

Terseon Skellerang saß auf einem einfachen Schemel und polierte sein Schwert. Er sah schlecht aus: dunkle Ränder unter den wässrigen Augen, unrasiert, und aus der Nähe roch man deutlich Alkohol.

Boras gab ihm beide Hände. »Ich freue mich, dich zu sehen.«

»Gleichfalls. Ich bin froh, dass du es sein wirst, der mich tötet.«

»Tötet? Ich habe nicht vor, dich zu töten.«

»Nicht?« Terseon musste husten. Er spuckte einen Klumpen Schleim in einen Eimer in der Ecke. »Da hast du dir aber eine komische Art ausgesucht, das zu zeigen.«

»Wenn ich nicht kämpfen würde, würdest du sterben«, sagte Boras. »Darum kämpfe ich.«

»Das tut mir leid«, sagte Terseon. »Ich dachte, du weißt Bescheid.«

»Worüber?«

»Ich bin der Hauptmann der Stadtwache. Auch wenn das nur mehr ein Viertel von Cauldrons Streitmacht ist. Ich kann nicht aufgeben. Ich kämpfe für Cauldron.«

»Trotzdem–«, begann Boras.

»Entweder tötest du mich«, sagte Terseon, »oder ich töte dich.«

»Es muss auch anders gehen.«

Terseon schüttelte den Kopf. »Dann hättest du nicht antreten sollen. Meine Nützlichkeit hat sich erschöpft. Deine und Maavus nicht. Aber wenn meine letzte Tat sein soll, dass ich euch beide zum Tode verurteile, dann ist das Tempus’ Wille. Und deine Entscheidung.«

Boras schluckte. »Maavu wird leben.«

»Versprich mir das. Versprich mir, dass du mich töten wirst. Und versprich mir, dass du meine Leiche Gendry Lathenmire übergibst, damit ich in meiner heimat beigesetzt werden kann.«

Boras sah Terseon in die Augen. »Ich verspreche es.«

Terseon nickte. »Geh jetzt und bereite dich vor. Ich will alleine sein, und noch etwas trinken.«

-

»Ist das nicht klasse?«, fragte der Graf die Kettenbrecher.

»Was?«, fragte Pecarri.

»Na, der Donner. Es hat ewig gedauert, bis ich es richtig hinbekommen habe. Hört nur«, sagte er und sprach in düsterer Stimme weiter: »Bluut.« Windgeheul jaulte auf. »Das Essen ist – serviert.« Es blitzte. »Also, was sagt ihr?«

»Klasse«, sagte Thargad tonlos.

»Toll«, fiel Thamior monoton ein.

»Bewundernswert«, sagte Pecarri mit genau der richtigen Menge an gespielter Ehrfurcht.

»Ich wusste, es würde euch gefallen. Kommt, gehen wir ins Esszimmer. Ich glaube, die Igors haben etwas Wein und Häppchen vorbereitet.«

Die Igors waren die persönlichen Skelette des Grafen. Sie hießen alle Igor, angeblich ein traditioneller Name. Der Graf selbst war ein Nekromant, der nach Silberquell gekommen war, weil es dort Nekrotitvorkommen gab, die er zum Überleben brauchte, seit er ein seltenes Ritual durchgeführt und zu einer Eisenleiche geworden war. Im Moment arbeitete er daran, zauberkundige Skelettdiener zu erschaffen.

»Und dabei bin ich auf Nekrotitdampf gekommen«, sagte er.

»Und?«, fragte Pecarri, ohne diesen Dampf zu kennen.

»Ein Fehlschlag. Er dient höchstens dazu, Lebewesen in einfachste Untote zu verwandeln, völlig wildgewordene Skelette, die alles in ihrer Umgebung angreifen. So etwas kann ich wirklich nicht gebrauchen.«

»Wer kann das schon«, bemerkte Thamior bissig.

»Ihr würdet euch wundern. Ich habe alle meine Vorräte verkauft.«

»Ach ja? An wen?«

»An eine Frau aus dem Kessel. Sie hat mir dafür Seelen versprochen.«

Seelen waren der zweite Grund gewesen, dass der Graf nach Silberquell gekommen war. Er benötigte Seelen, um seine Magie zu wirken, und die Geister der Geisterstadt dienten ihm als Treibstoff, der nicht vermisst wurde.

»Was für eine Frau war das? Und was für Seelen?«

Der Graf dampfte vor sich hin. »Sie hat ihren Namen nicht genannt. Und sie wollte mir zum Tode verurteilte Verbrecher schicken. Ich habe extra darauf bestanden, dass ich keine Unschuldigen töte.« Er legte den Kopf schief. »Hört ihr?«

»Was denn?«

»Nichts! Früher hat die Wolke solche Sätze aus dem Zusammenhang gerissen. Ich habe ein ganzes Gemüsebeet verloren, weil ich unvorsichtig formuliert habe und einen Sturm auslöste. Aber nicht mehr!«

»Der Nekrotitdampf«, erinnerte Pecarri. »Wie funktioniert das?«

»Ganz einfach: Ihr lasst ihn frei, und nach etwa einer Minute werden die Lebewesen zu Erweckten. Es sei denn, er wird vorher gereinigt.«

»Wie macht man das?«

»Kleriker können das Nekrotit ebenso vertreiben wie einen Untoten. Damit reinigen sie den Dampf. Seid ihr etwa wegen des Nekrotits gekommen?«

»Nein«, gab Pecarri zu. »Wir wollen auf den Schattenmarkt.«

»Oho!«, machte der Graf. Die Fenster ratterten.

»Gibt es ein Problem?«

»Nein, nein. Ihr könnt den Markt natürlich besuchen. Gegen einen Gefallen.« Ein Wolf heulte.

Thargad seufzte. »Und was für ein Gefallen?«

»Na ja...« Der Graf stockte. »Es gibt da diese Vampirin... kommt mit.«

Er rollte eine Rampe hoch in den ersten Stock, wo auf einem stabilen Podest ein Schachspiel stand.

»Wie spielen seit Jahrzehnten. Ich denke, es ist mir endlich gelungen, ihre Verteidigung zu durchbrechen, aber ich... wir haben uns noch nie gesehen. Wenn ihr einen Brief an sie mitnehmt, und falls möglich ihre Antwort mitbringt, dann lasse ich Euch in die Schattenwelt.«

»Das sollte sich machen lassen«, sagte Pecarri nach kurzer Überlegung.

»Hervorragend! Wir haben allerdings noch etwas Zeit bis dort hin. Wie wäre es mit einer Partie Schach?«

Keiner der Kettenbrecher kannte das Spiel. Der Graf war schockiert.

»So kann ich euch nicht in die Schattenwelt lassen. Also gut, das sind die Regeln...«

-

Eine gute Stunde später standen ein Kobold, ein Elf, ein Mensch sowie zwei untote Krieger und Graf Feuerstein im Lagerraum eines ehemaligen Handelspostens, als sich pünktlich zur Mittagsstunde ein Riss in der Luft bildete.

»Wir warten, bis ihr wieder herauskommt«, sagte der Graf.

»Wir wissen nicht, wie lange wir bleiben«, mahnte Pecarri.

»Höchstens ein paar Minuten«, gab der Graf zurück. »Die Zeit funktioniert etwas anders, wenn ihr in die Schatten geht. Jetzt los, bevor sich der Riss wieder schließt. Und vergesst nicht: Wenn ihr zu viel Angst habt, um eure Spielsteine zu opfern, lasst ihr Euch am Ende in die einfachsten Fallen lotsen.«

»Alles klar«, antwortete Thamior mit mental rollenden Augen.

Die Kettenbrecher wandten sich dem Riss zu. Er war hoch genug, um selbst den Grafen durchzulassen, wenn er denn durchgehen wollte. Ohne noch länger zu zögern, traten sie hindurch.

-

Um sie herum war es dunkel, aber das Dunkel schien in Bewegung zu sein. Die Luft war weder kalt noch warm. Die Kettenbrecher standen auf einem Pfad aus bleicher Erde, dessen Ränder im Schatten verschwanden. Hinter ihnen war der Riss. Vor ihnen war eine gerade Brücke, die über ein Nichts führte.

Die Brücke war in rechteckige Felder eingeteilt, hell und dunkel wie ein Schachfeld gemustert – obwohl die Brücke nicht quadratisch war. Einige der Felder waren zerstört und nur mehr Löcher im Nichts. Auf der anderen Seite der Brücke standen menschengroße Figuren: zwei Türme, zwei Pferde, ein König und seine Dame.
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Helion betrat vorsichtig die Brücke. Eine goldene Krone entstand über seinem Kopf.

»Ich bin der König«, murrte er. »Hurra.«

Thamior wurde Läufer, und Thargad bekam ein Pferd an die Seite. Die jeweils erlaubten Züge wurden ihnen durch Kraftfelder angezeigt. Das Ziel schien einfach: entweder auf die andere Seite zu kommen, oder den König Matt zu setzen. Dann wurde Thargad von der gegnerischen Dame geschlagen. Er wurde von einem elektrischen Schlag getroffen und zurück ans Ende der Brücke befördert.

Als er den Schock abgeschüttelt und die Brücke erneut betreten hatte, war er ein Turm. Die gegnerischen Figuren waren immer noch in der Überzahl; tatsächlich nahmen sie keinen Zug, der sie in Gefahr brachte, geschlagen zu werden.

»Hat der Graf nicht etwas von defensiver Spielweise erzählt?«, fragte Helion.

»Hab ich ihm zugehört?«, konterte Thargad.

Trotzdem hatten sie nun einen Ansatzpunkt. Mit geschicktem Spiel schafften sie es, einen Springer dazu zu bringen, dass er in eines der Löcher sprang. Jetzt wussten sie, wie der Gegner spielte, aber das machte es immer noch nicht einfacher, diese im Zweifel flüchtenden Figuren zu stellen. Bald wurde Thargad zum zweiten Mal geschlagen. Diesmal kam er als Bauer zurück. Aber nach langer Strategie hatten sie es geschafft: der Gegner hatte nur noch den König, und auch wenn Thamior ebenfalls ein Bauer geworden war, hatten sie das Spiel doch gewonnen.

Auf der anderen Seite der Brücke lag ein großes Tal, dessen Gras aus schwarzen Pflanzen bestand. Zelte, Stände, sogar einige feste Gebäude säumten das Tal. Eine schwarzgekleidete Gestalt schwebte heran. Greifarme wuchsen aus ihrem Rücken, und zwei muskulöse Oberkörper, deren Hüften in Schläuchen endeten, schwebten nebenher.
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»Willkommen auf dem Markt der Schatten. Diebstähle werden mit Versklavung geahndet. Unprovozierte Gewaltakte mit Seelen bezahlt. Wenn ihr etwas zu verkaufen habt, so geht mit dem Verkauf der Gegenstand unwiderruflich in den Besitz des Käufers über. Gekauft ist gekauft.«

»Alles klar«, sagte Thargad. «Dann suchen wir mal Morena von den Schatten.«

»Erst bringen wir den Brief weg«, sagte Helion. Er hielt den Umschlag hoch, den ihnen ein aufgeregter Graf Feuerstein gegeben hatte. »Sofia von Ketten. Unauffälliger Name.«

-
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Die Arena war überfüllt. Dirim hatte das Angebot bekommen, sich zu Tenebris Valanthru in die Ehrenloge zu setzen, aber er hatte abgelehnt. Stadtherr Severim Nalavant war nicht anwesend, ebensowenig Jenya Urikas. Allerdings saßen Asfelkir Hranleurt, der Hohepriester der Gondkirche, und Embril Aloustinai neben dem Goldelfen. Ebenfalls nahebei waren die adeligen Familien der Stadt: Vanderboren, Lathenmire, Aslaxin, Taskerhill, Rhiavadi, sogar Ophellia Knowlern, obwohl sie eigentlich nur elfischem Adel entstammte, sah zu. Und allein für sich, bewacht von einem halben Dutzend Wachen, stand Maavu, um dessen Schicksal es ging.

In der Mitte der Arena standen sich Terseon und Boras gegenüber. Boras trug seine übliche Kettenrüstung und Schlachtenwut. Terseons Rüstung war ein zwergischer Plattenpanzer mit besonderen Scharnieren und verstärktem Stahl. Auf die Brust war ein Wappen eingeätzt, dass nur die Kundigen unter den Zuschauern als das Wappen der Familie Nalavant erkannten. Terseons Waffe war ein großes Zweihandschwert.

Dirim trat in die Arena, um den Kampf in Tyrs Namen zu segnen. Dieser Bitte Valanthrus war er nachgekommen.

»Bürger. Landsleute. Cauldroniten«, rief er. »Heute geht es um das Schicksal eines Mannes, dessen Taten zu viel Blutvergießen führten. Aber handelte Maavu in böser Absicht? Oder ist die Reue, von der er berichete, echt? In dieser Arena stehen sich zwei Männer gegenüber, die die Antwort auf diese Fragen suchen. Für die Stadt kämpft Terseon Skellerang, den ihr Hauptmann der Stadtwache nennt, obwohl die wahre Macht schon längst nicht mehr in seinen Händen liegt. Für Maavu tritt an Boras Breda, der den Bebilithen Thathnak mit einem Schlag tötete, und dessen Gebete Engel erhören. So weit ist es also, dass sich Freunde von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen. Möge Tyr ihre Arme führen und das Leben der Gerechten schonen.«

Dirim berührte sowohl Terseons Schwert als auch Boras’ Axt mit seinem heiligen Symbol. Dann trat er zurück. Terseon hob sein Schwert zum Gruß, und Boras entgegnete die Geste.

»Möge die Wahrheit obsiegen. Kämpft!«
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Berandor

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Berandors Stadt in Ketten: Geheimnisse der Seelenpfeiler
« Antwort #65 am: 10. September 2006, 21:56:53 »
Der Graf ist ein Iron Lich (CR 14), die Untoten sind Thralls (CR 1/2 bis CR 4) aus dem Monsternomicon für die Iron Kingdoms. Und ja, der Graf ist LE.

Und hier als Teaser:
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Berandors Stadt in Ketten: Geheimnisse der Seelenpfeiler
« Antwort #66 am: 10. September 2006, 22:18:18 »
Rocky Musik! Immer wieder was Neues Berandor!

Sehr feine Szenerie mit der Arena und dem Weg dorthin, kommt sehr atmosphärisch rüber.
(Gibts noch die Werte für die Ausrüstung von Skellerang)
"die untoten Drachen werden die Welt beherrschen"

Berandor

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Berandors Stadt in Ketten: Geheimnisse der Seelenpfeiler
« Antwort #67 am: 10. September 2006, 23:56:51 »
Wie Werte?

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Berandors Stadt in Ketten: Geheimnisse der Seelenpfeiler
« Antwort #68 am: 11. September 2006, 01:14:49 »
Meinte ich doch! Die Rüstung.
"die untoten Drachen werden die Welt beherrschen"

Kylearan

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« Antwort #69 am: 12. September 2006, 13:21:44 »
Zitat von: "Sohn des Sammaster"
Oh Ja, die planenden Diskussionen... Das kann dauern und man selbst sitzt als SL daneben und hört interessiert zu, mit einem Lächeln.

An dem Tag haben wir uns selbst übertroffen. Endlose Debatten, dann das Schachspiel, wo wir auch wenig glorreich waren (das hat einfach zu lange gedauert, weil wir nicht gepeilt haben, dass es nur ums Überqueren der Brücke geht)... danach geht's aber wieder mit ein bisschen Action weiter.

Und Boras hat seinen großen Auftritt.

Kylearan
"When the going gets tough, the bard goes drinking."

Berandor

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Berandors Stadt in Ketten: Geheimnisse der Seelenpfeiler
« Antwort #70 am: 12. September 2006, 14:25:42 »
Nämlich jetzt :)

Annastriana

Helion, Thamior und Thargad standen vor einem schmalen Turm. Seine Mauern waren außerordentlich glatt und hatten sich tief in den Boden eingegraben. Dies war der Turm Sofia von Kettens.

»Eine Daernsche Festung«, sagte Helion bewundernd. »Eines Tages...«

Daern, ein Magier, der es aufgrund diverser Frauengeschichten meist nicht lange in einer Stadt aushielt, hatte die Magie erfunden, die es dem Besitzer seines Turms erlaubte, diesen auf Taschengröße zu verkleinern und an einem anderen Ort wieder anwachsen zu lassen. Daerns Flotte Festungen, wie man sie nannte, waren selten, teuer, und begehrt.

Thargad zog am Klingelseil. Die schwere Eingangstür schwang auf. Die Kettenbrecher traten in einen dunklen Raum. Eine sehr elegante Frau, deren Haut schon lange keine Sonne mehr gesehen hatte, kam eine Treppe hinab ihnen entgegen.

»Shar decke ihren Mantel über euch, Fremde. Ich bin Sofia von Ketten. Was führt euch zu mir?«

»Was verkauft ihr denn?«, fragte Thamior.

»Ich biete Euch Unsterblichkeit. Für nur fünfundzwanzigtausend Goldmünzen und hundert Jahre Gehorsam mache ich Euch zu meinesgleichen, einem Vampir, einem Herren der Nacht.«

»Eigentlich wollten wir nur einen Brief abgeben«, sagte Pecarri schnell, bevor Thargad auf dumme Gedanken kam.

»Vom Grafen!«, sagte Sofia, als sie den Umschlag in Händen hielt. »Da bin ich aber gespannt.« Sie sah zu den Kettenbrechern. »Bevor ihr geht, kommt bei mir vorbei. Ich gebe Euch dann eine Antwort mit.«

»Da wäre noch etwas«, sagte Pecarri. »Oder besser zweierlei. Wir suchen Morena von den Schatten, und außerdem wüssten wir gerne, wie sich das mit der Zeit verhält, während wir hier sind. Der Graf hat da so etwas angedeutet.«

»Ha!« Die Vampirin lachte und entblößte dabei unangenehm lange Vorderzähne. »Die liebe Morena hat den Stand am Ende des Tals. Aber sie hat bestimmt nichts, was euch interessiert. Sie macht eine Durststrecke durch.« Bei dem Wort Durststrecke fuhr sie sich mit der Zunge über die Zähne.

»Das lasst unsere Sorge sein«, sagte Thargad. »Was ist mit der Zeit?«

»Kennt ihr die Hosenträger aus Tiefwasser? Sie sind aus einem dehnbaren Material.«

»Gummi«, sagte Pecarri.

»Genau. Die Welt der Schatten ist ähnlich. Wenn ihr sie betretet, dehnt sich die Zeit wie ein Gummiband. Je nachdem, wie fokussiert oder mächtig ihr seid, dehnt sie sich länger. Aber irgendwann ist der Zug zu straff, und dann schnappt sie vor. Solange sich die Zeit dehnt, könnt ihr an euren Einstiegsort zurückkehren, und es ist kaum Zeit vergangen. Darum gehen Reisen durch die Schattenwelt so schnell. Aber wenn ihr die Zeit überdehnt habt, dann ist die ganze Zeit, die ihr hier gewesen seid, wirklich vergangen. Und nicht nur das: Solange ihr in der Dehnung seid, kann euch die Schattenwelt nur bedingt beeinflussen. Auf dem Markt z.B. sind nur diejenigen zu sehen, die gleichzeitig mit Euch hierher kamen, und die Händler und Aufpasser, dank einer besonderen Verabredung mit den Herren dieser Ebene. Aber wenn die Zeit sich ausgleicht, dann seid ihr wirklich auf der Schattenebene, und ungeschützt.«

»Wie lange können wir hier bleiben?«, fragte Thamior, der hoffte, den Seelenbogen hier fertigstellen zu können.

»Ihr?« Sofia von Ketten maß sie mit ihrem Blick. »Drei oder vier Tage habt ihr in Euch, wenn ihr Euch konzentriert.«

»Hmm. Das könnte reichen.«

Die Kettenbrecher bedankten sich bei der Vampirin und machten sich auf die Suche nach Morena von den Schatten.

-

Morena von den Schatten war eine schlanke, fast zierliche Frau. Sie trug ein Kleid aus schwarzem Leder und eine passende Kappe, die ihren Kopf und ihren Hals bis auf die Schultern bedeckte und nur ihr Gesicht freiließ. Ihr Stand war ein einfacher Holzstand, hinter dem einige Kristall- und Metallbehälter sowie mehrere Waffen aufgereiht waren.

»Willkommen, Reisende, bei Morenas Meisterware. Was begehrt euer Herz?«

»Wir haben gehört, Euer Stand läuft nicht sehr gut«, sagte Thamior.

»Und jetzt kommt ihr, um euch über mich zu amüsieren? Dann geht lieber gleich wieder, von Eures gleichen sehe ich genug.«

»Also stimmt es?«, fragte Thargad.

»Ich weise darauf hin, dass ich sehr weitreichende Verträge mit den Neun Höllen abgeschlossen habe. Ich bin einer ihrer wichtigsten Seelenlieferanten.«

»Und was macht ihr dann hier?«, fragte Pecarri.

»Also gut, bitte, die Händler haben euch ja wahrscheinlich schon alles erzählt. Ja, ich habe einen Moment nicht aufgepasst. Muss ich darum Jahrzehnte leiden?«

»Wir würden gerne Eure Waren sehen«, sagte Pecarri.

Morena richtete sich auf. »Wirklich?«

»Ja. Habt ihr gute Waffen da?«

Morena musterte die drei für einen Moment. Dann lächelte sie. »Ich habe ein ganz besonderes Angebot.«

Sie griff in einen Nimmervollen Beutel und entnahm ihm drei Gegenstände. Zuerst ein mittelgroßer Stahlschild, dessen Oberfläche so glatt poliert war, dass man sich darin spiegeln konnte. Von der anderen Seite konnte man durch den Schild hindurch sehen. Der zweite Gegenstand war ein schlankes Langschwert aus dunkelgrauem Metall. Die Parierstange des Schwertes war in Form einer Waage gehalten. Zuletzt kam eine große Axt aus blauem Stahl, die Klinge gefurcht. Ins Axtblatt waren Runen der Vergeltung, in den Griff Symbole des Schutzes eingelassen.

»Dies sind sehr mächtige Gegenstände, aber ich würde sie ungern nicht zusammen verkaufen. Für zwanzigtausend Goldmünzen gehören sie euch, und schon ein einfacher magischer Blick wird euch enthüllen, dass dieser Preis geradezu lächerlich ist.«

»Warum verkauft ihr sie dann für so wenig?«, fragte Pecarri. »Am Ende sind diese Waffen schuld an Eurem Unglück.«

»Ach was, ich betrachte diesen Verkauf als Investition in die Zukunft. Fünfzehntausend?«

»Sie sehen aus wie die Waffen der Schätze von Tethyr«, sagte Thargad.

»Also kennt ihr die Waffen? Dann wisst ihr ja, dass sie ihr Geld mehr als wert sind. Zehntausend, mein letztes Angebot.«

Thamior nahm einen Geldbeutel heraus und legte ihn auf den Tisch.

»Das ist unseres.«

»Wie viel ist da drin?«, wollte Morena wissen.

»Hundert Goldmünzen.«

»Hundert? Ihr seid verrückt. Verschwindet.«

»Ich bin sicher, die Nachfahren der Schätze würde es sehr interessieren, dass ihr die Waffen hier habt, und dass sie euch gar nicht gehören.«

Morena erstarrte. Dann schüttelte sie den Kopf. »Das ist ein Bluff. Ihr kennt keine Nachfahren der Schätze.«

Pecarri lächelte. »Nehmt das Gold.«

Morena kniff die Augen zusammen und studierte die drei.

»Möge die Hölle Eure Seelen schlucken«, sagte sie schließlich und griff den Goldbeutel. »Wenigstens bin ich die verfluchten Dinger los. Nehmt sie, bevor ich es mir anders überlege.«

Thargad packte sich die Waffen.

Thamior beugte sich über die Theke.

»Was denn noch?«, schnappte Morena.

»Habt ihr zufällig den Muskel einer lebenden Maschine?«

Ein teuflisches Glitzern trat in Morenas Augen. »Möglich.«

»Was würde das kosten?«

»Zehntausend Goldmünzen«, sagte die Händlerin sofort.

»Nehmt ihr Gegenstände in Zahlung?«, fragte Thamior.

»Für die Hälfte ihres Wertes.«

Thamior drehte sich zu seinen Gefährten. »Ich brauche diesen Muskel.«

Pecarri nickte. »Legen wir zusammen.«

Er nahm seinen unbeweglichen Stab heraus, sah ihn noch einmal sehnsüchtig an, dann reichte er ihn dem Elfen. Thamior nahm seinen magischen Bogen ab, seine Armschienen und einen Ring. Die Kettenbrecher sammelten all ihr Gold. Immer größer wurde der Haufen, bis Morena endlich seufzte, dass ihr Preis bezahlt sei. Mit zitternden Fingern nahm Thamior den Muskel entgegen.

»Jetzt habe ich alles beisammen«, sagte er. »Ich kann Anna retten.«
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-

Terseons erster Hieb trieb Boras die Luft aus der Lunge. Noch bevor er sich erholen konnte, schlug ihm Terseon mit der Klinge gegen Schlachtenwuts Schaft. Fast wäre die Axt ihm aus der Hand gerutscht. Boras machte einen Schritt nach hinten und holte tief Luft. Terseon hielt den Zweihänder schräg vor sich.

»Komm schon«, forderte Terseon.

Boras schlug von rechts auf ihn ein. Terseon schwang sein Schwert sofort zum Block und änderte dann den Griff, um auch den zweiten Hieb des Barbaren zu parieren. Dann trat er vor und klemmte sein Bein hinter das seines Gegners, während er gleichzeitg mit der Schulter zustieß. Boras stürzte nach hinten, und kaum lag er auf dem Boden, als Terseons Zweihänder schon niederfuhr. Boras rollte sich aus dem Weg und kam wieder auf die Beine.

»Zu langsam, alter Mann«, sagte Boras. »Oder zu betrunken?«

»Vielleicht hättest du dir Mut antrinken sollen, Kleiner. Zeig, was du kannst.«

Beiden Kontrahenten machte dieser Kampf sichtlich Spaß.

Wieder drang Boras auf Terseon ein. Der Hauptmann parierte jeden Schlag. Dann verkantete er seine Klinge mit der Axt und zog. Boras musste einen Schritt nach vorne machen, um die Waffe nicht zu verlieren. Terseon wirbelte herum und schlug ihm auf den Rücken. Die Rüstung hielt, aber Boras kniff schmerzhaft die Augen zusammen.

»Irgendwie bin ich enttäuscht«, sagte Terseon kopfschüttelnd.

»Genug«, sagte Boras. »Jetzt spielen wir nach meinen Regeln.«

Er schlug mit Schlachtenwut zu und legte alle Kraft in den Schlag. Terseon hielt das Schwert zum Block, aber die Wucht des Hiebs trieb ihn zurück, anstatt ihm einen Konter zu erlauben. Wieder krachte die Axt in seine Deckung, und wieder machte er einen Schritt zurück, und mit einem weiteren Schritt brachte er sich außer Reichweite. Dann lockerte er seinen Griff und seine Schultern.

»Hat das wehgetan?«, fragte Boras.

Terseon griff an. Sein Zweihänder beschrieb einen weiten Kreis. Boras wich aus, aber den folgenden Schlag musste er parieren. In diesem Moment trat Terseon wieder nah an ihn heran und versuchte, ihn zu Fall zu bringen. Boras bohrte sein Bein in den Sand und schob zurück. Terseon taumelte, dann stolperte er zurück. Boras folgte sofort. Schlachtenwut pfiff durch die Luft. Terseon brachte das Schwert vor. Die Waffen kollidierten, und Terseons Schwert flog zur Seite. Der Hauptmann war ungeschützt. Boras nutzte die Wucht des Schlags und drehte sich einmal um sich selbst, ließ die Axt ihren eigenen Weg zum Ziel finden. Einen Atemzug, bevor sich Schlachtenwut in die Brust des Hauptmanns bohrte, schloss Terseon die Augen. Einen Atemzug danach fiel er zu Boden.

Boras zeigte mit dem Arm auf den Gefangenen. »Lasst Maavu frei. Sofort!«

Die Menge jubelte und buhte. Langsam erhob sich Tenebris Valanthru und breitete die Arme aus. Nach und nach kehrte Ruhe ein. Valanthru fixierte Boras mit Triumph in den Augen.

»Tyr hat gesprochen. Der Gerechtigkeit wurde genüge getan. Maavu soll leben.« Das Volk jubelte, einige buhten. »Und doch ist dieser Tag getrübt, denn Cauldron hat einen seiner Treuesten verloren. Terseon Skellerang war der Stadt ergeben. Und auch wenn er zuletzt Probleme hatte, so zog er doch gegen Redgorge, um uns den Mann zu bringen, dessen Schicksal sich hier heute entschied. Noch seine letzte Tat brachte Gerechtigkeit nach Cauldron. Darum werden wir binnen eines Zehntags ein Fest feiern, auf dem wir Terseon Skellerang gedenken werden und seine Leiche dem Feuer übergeben.«

Jetzt buhte niemand.

»Er wollte nach Hause geschickt werden«, sagte Boras laut.

»Wie bitte?«, wollte Valanthru wissen.

»Terseon hat mir das Versprechen abgerungen, dass ich seine Leiche zu seiner Familie bringen lasse, damit er dort bestattet wird.«

Valanthru lächelte. »Unser guter Hauptmann. Wahrscheinlich betrachtete er sich als nicht würdig, ein Ehrenbegräbnis zu bekommen. Wachen! Nehmt die Leiche des Hauptmanns und bringt sie in den Finger, wo sie konserviert werden soll, bis wir sie verbrennen.«

Vier Stadtwachen betraten die Arena und näherten sich der Leiche. Boras stellte sich dazwischen, die Axt in der Armbeuge. Er schüttelte den Kopf. Die Stadtwachen blieben stehen, der eine sah den anderen an. Dann blickten sie zu Valanthru.

»Jetzt macht schon!«

Die Wachen zögerten. Boras streichelte den Griff seiner Axt.

»Ihr behindert die Stadtwachen bei der Ausübung ihrer Pflicht«, rief Valanthru. »Tretet zur Seite!«

Einige Pfiffe tönten durch die Arena, aber die meisten Zuschauer waren still.

»Ich habe es ihm versprochen«, sagte Boras.

»Helm schütze uns vor den Versprechen eines Barbaren«, sagte Valanthru. »Also gut, ich werde eure Bitte dem Stadtherren vortragen. Er war Terseon sehr verbunden, und ich bin gewiss, er wird seinen letzten Willen wohlwollend betrachten. Jetzt lasst uns dafür sorgen, dass der Hauptmann nicht zu stinken anfängt.«

Boras deutete eine Verbeugung an und trat zur Seite.

»Aber vorsichtig«, ermahnte er die Stadtwachen, die ihn nicht aus den Augen ließen, bis sie aus seiner Sicht waren.

Schließlich winkte Boras noch einmal in die Menge und machte sich dann auf in seine Kabine, um den Rest seiner Ausrüstung zu holen und sich etwas auszuruhen.

Als er die kleine Kammer betrat, lehte dort ein Besucher an der Wand. Er trug ein Gewand aus rotem Wildleder, seine blonden Haare waren zu einem Zopf zusammen gebunden. Bis auf einen kleinen Dolch war er unbewaffnet.

»Da seid ihr ja«, sagte der Fremde.

»Was wollt ihr?«, fragte Boras barsch.

»Euch gratulieren.« Er stieß sich von der Wand ab und hielt Boras die Hand hin. »Mein Name ist Finster.«

-

Ruhig setzte Thamior das Messer an und schnitzte eine Kerbe aus dem Drachenknochen. Er nahm den Muskel und zog ihn über die Kerbe, dann band er ihn um den Knochen, sodass der Muskel genauso straff gespannt war wie Kaurophons Darm neben ihm. Die Federn des gefallenen Engels prangten schon an der Spitze des Bogens. Thamior träufelte das Blut, das er von sich selbst, von Helion und von Annas Falken Sheera bekommen hatte, auf die Knoten. Das Material verhärtete sich und verband sich mit dem Knochen. Schließlich rieb er den ganzen Bogen geduldig mit flüssigem Schatten ein. Drei Tage hatte es gedauert, aber endlich war der Seelenogen fertig. Müde und erschöpft, aber auch dankbar, gedachte Thamior seiner Tochter und ließ den Tränen freien Lauf. Das salzige Wasser tropfte zischend auf die Waffe.

-

»Hiermit verurteilen wir dich, Annastriana, als eine der Ungläubigen. Zur Strafe sollst du diese Stadt beschützen. Deine Seele wird in die Seelenmauer verbracht, wo sie auf alle Zeiten unter ihresgleichen ist oder so lange, bis sie sich auflöst.«

Anna kannte nur Schmerz. Sie hatte keinen Mund, mit dem sie schreien, und keine Augen, die sie hätte verschließen können. Aber sie hatte Glieder, die gebrochen werden konnten, gestreckt, gedreht und wieder gebrochen, in ständiger Bewegung in der wimmelnden und wabernden Wand. Von ihrem Platz hoch in der Seelenmauer blickte sie auf das Treiben in der Stadt der Toten. Ab und an kam ein Dämon und erleichterte sich gegen die Mauer, ansonsten zogen die Unholde es vor, die Falschen zu bestrafen, die ihre Götter verleugnet hatten. Es kam Anna vor, als habe sie bereits Jahrhunderte in der Wand verbracht, und doch ahnte sie, dass es erst ein Atemzug war im Vergleich zu der Zeit, die ihr noch bevorstand. Sie wollte weinen, doch auch dazu war sie nicht imstande.

Dunkelheit umgab sie, und Kühle. Sie spürte ihre Glieder nicht mehr, eine Erholung nach den Schmerzen. Langsam drang Licht zu ihr vor, und jetzt sah sie einen Rastplatz um sich herum, gedämpftes Licht, und über ihr ein weinendes Gesicht. Das Gesicht ihres...


-

»Vater?«, kam Annas Stimme aus dem Bogen. »Wo bin ich?«

»Anna?« Thamior sah sich um, dann zurück zum Seelenbogen. »Tochter?«

»Ich bin hier«, antwortete der Bogen. »Aber ich weiß nicht, wo das ist. Und wer ist der Kobold neben dir?«

Thamior blickte zu Helion auf. »Was habe ich getan?«

»Du hast Annastriana gerettet«, sagte der Magier.

»Und ihre Seele in den Bogen gebannt«, fügte Thargad hinzu.

»Erklärt mir jetzt mal jemand, was hier los ist? Habt ihr mich wiederbelebt?«, fragte Anna.

»Du bist ein Bogen«, sagte Thargad kurz.

»Ein was?«

»Solonor ist schuld«, sagte Thamior düster.

Der Elf stand auf, den Seelenbogen in der Hand.

»Ich bewege mich«, sagte Anna. Dann schien sie zu verstehen. »Ich bin ein Bogen.«

»Machen wir uns auf den Rückweg, bevor uns die Zeit einholt«, sagte Thamior. »Und während wir reisen«, wandte er sich an den Bogen, »erkläre ich dir alles.«

Thamior marschierte auf die Brücke zu, Helion im Schlepp. Thargad blieb stehen.

»Was ist?«, fragte Helion.

»Geht schon mal vor«, sagte der Schurke.

»Und du?«

»Ich bleibe noch etwas hier. Es wäre nicht gut, mit euch zusammen nach Cauldron zu reisen. Schließlich ist Thargad verstorben.«

Helion nickte. »Es hat uns schwer getroffen«, bestätigte er.

Thamior nahm Thargad die Schatzwaffen ab. »Wir sehen uns dann in Cauldron«, sagte er.

»Ganz bestimmt«, gab Thargad zurück.

-

Der Graf wartete am Ausgang.

»Da seid ihr ja endlich«, sagte er. »Ihr wart fast eine halbe Stunde fort!«

»Wenns weiter nichts ist«, meinte Pecarri.

»Habt ihr bekommen, was ihr suchtet?«

»Ich denke schon.«

»Und habt ihr... eine Antwort?«

»Noch nicht. Aber unser Gefährte kommt nach. Er bringt Sofias Antwort.«

»Sie hatte nicht direkt eine Antwort parat?« Der Graf kicherte. »Ich wusste, dieser Zug wäre ihr Ende!«

Es donnerte laut.

»Kommt ihr noch mit zu mir?«, fragte der Eisenleichnam.

»Tut uns leid, Graf«, sagte Thamior. »Aber wir müssen aufbrechen. Wir haben es eilig.«

»Verstehe. Nun denn, gute Reise. Und wenn ihr die Frau trefft, der ich den Nekrotitdampf verkauft habe...«

»Ja?«

»Erinnert sie an ihr Versprechen. Wegen der Seelen.«

»Wegen der Seelen«, sagte Pecarri. »Wir tun, was wir können.«

-

»Finster«, sagte Boras. »Ich bin Boras.«

»Ich weiß«, sagte Finster. »Ich habe schon viel von euch gehört. Es ist schön, euch endlich gegenüber zu stehen.«

»Ich habe von Euch fast gar nichts gehört«, sagte Boras.

»Nicht?«

»Nein.«

»Nun, das kann auch so bleiben. Wenn ihr, sagen wir, binnen zweier Zehntage aus der Stadt verschwindet, dann hören wir vielleicht nie wieder voneinander. Wenn ihr bleibt, solltet ihr auf Euren Rücken achtgeben.«

Boras drehte sich um. Niemand stand hinter ihm.

»Droht ihr mir?«, fragte Boras verwirrt.

Finster lachte. »Ihr seid wirklich der Mühe nicht wert.«

»Also kann ich bleiben?«

Finster öffnete den Mund, aber es kam keine Antwort. Er war sprachlos.

»Ich muss gehen«, sagte er schließlich. »Entschuldigt mich.«

Der Mann drängte sich an Boras vorbei aus der Kammer. Boras sah ihm nach.

»Komischer Kerl«, sagte er.
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Berandor

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Berandors Stadt in Ketten: Geheimnisse der Seelenpfeiler
« Antwort #71 am: 12. September 2006, 14:35:09 »
So...

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Die Schatzwaffen:
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Kylearan

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Berandors Stadt in Ketten: Geheimnisse der Seelenpfeiler
« Antwort #72 am: 12. September 2006, 14:38:02 »
Berandor war ernsthaft sprachlos. Zum ersten Mal in der Kampagne. Allein das war es wert.

Kylearan
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Berandor

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Berandors Stadt in Ketten: Geheimnisse der Seelenpfeiler
« Antwort #73 am: 12. September 2006, 14:47:45 »
Teaser:

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Berandor

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« Antwort #74 am: 12. September 2006, 14:50:42 »
Zitat von: "Kylearan"
Berandor war ernsthaft sprachlos. Zum ersten Mal in der Kampagne. Allein das war es wert.

Kylearan

Wirklich großartig! Dass allerdings die Spieler mich dann zuerst zwangen, das Gespräch sofort aufzuschreiben und dann zur Probe direkt noch mal zu erzählen, fühlte ich mich schon etwas ausgelacht :)

Nein, absolut klasse, und da kann man wirklich sehen, dass die einfachsten Fragen manchmal die besten sind. Und einfacher als Boras stellt sie keiner :D

Ich wusste nichts darauf zu erwidern. Weiß ich eigentlich immer noch nicht. Und so wird aus einem imposant-bedrohlichen NSC eine weitere kleine Niete, die vor Boras kuscht. :)
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