Okay, dann gibt es Montagsupdates:
06.08 – Kapitel 4: Überhört und Unterschätzt
13.08. – Kapitel 5: Nearly Total Party Kill
20.08. – Zwischenspiel: Revision
und damit jetzt...
Überhört und Unterschätzt
Dirim blickte Boras hinterher. »Ich hätte ihn gerne dabei.«
Jørgen nickte. »Vielleicht schafft er es ja rechtzeitig.«
Boras hatte den gefesselten Finch unter den Arm geklemmt. Über die Schulter trug er die Überreste des Hofnarren, die Dirim auf keinen Fall zurücklassen wollte. Der Barbar schien von dieser doppelten Last kaum behindert zu sein. Seine Aufgabe war es, den Gefangenen und den zerstörten Untoten in den Helmtempel zu bringen und Jenya zu übergeben, bis die Lage im Helmtempel geklärt war.
Dirim blickte zum Himmel. Die Sonne hatte fast ihren höchsten Punkt erreicht. Gemeinsam mit Jørgen marschierte zum Anwesen der Dame Rhiavadi. Es waren keine Wachen zu sehen. Die Straßen waren verhältnismäßig leer, und die wenigen Bewohner, die man sehen konnte, hielten sich von den Kettenbrechern fern. In der Ferne heulte ein Hund. Etwas lag in der Luft, das schienen selbst die Tiere zu spüren. »Das mit der Trennung gefällt mir auch immer noch nicht.«
»Es ist die beste Möglichkeit«, gab Jørgen zurück. »Wir hätten Thamior ohnehin nicht aufhalten können. Wenigstens ist er jetzt nicht alleine.«
»Ja, Thargad kann ihm auf die Finger schauen«, sagte Dirim sarkastisch.
»Sieh es mal so: Wir sind die Ramme des Rechts, während die beiden eher Heimlichkeit und Hinterhalt bevorzugen.«
»Ramme des Rechts«, sagte Dirim genießerisch. »Klingt gut.«
»Herr!« Ein älterer, hagerer Mann kam auf die beiden zu. Dirim erkannte den Mann als einen der Bettler, die sich in der Nähe des Helmtempels aufhielten und morgens von Tomker ein Frühstück bekamen. »Herr!« Der Mann stoppte bei Dirim, keuchend.
»Holt erst einmal tief Luft«, sagte Dirim. »Was ist denn los?«
»Sie... sie haben sie geholt.«
»Wer hat wen geholt?«
»Wachen, Herr. Sie haben die Barakmordin verhaftet. Wegen Aufrührerei.«
Dirim schwieg einen Moment. Dann sagte er: »Danke. Geh jetzt heim. Versteck dich irgendwo.«
Der Mann sah Dirim mit großen Augen an. Er nickte hastig, dann verschwand er in einer Seitenstraße.
»Das wäre dann auch geklärt«, sagte Jørgen. »Das wird ein arbeitsreicher Tag, wie es aussieht.«
-
Das Anwesen der Dame Rhiavadi war zweistöckig und erbaut aus schwarzem Malachit. Das Haus selbst glich einem breiten Sechseck mit Türmen an vier Ecken; die beiden anderen Ecken flankierten den Eingang. Drei der Türme endeten in einem Spitzdach, der vierte in der Glaskuppel eines Observatoriums. Der Eingang war von einem Vordach geschützt; das Dach wiederum wurde von Säulen in Drachenform getragen. Durch das bleiche Glas der Fenster sah man immerwährende Fackeln leuchten. Vor dem Eingang standen vier Halborks mit dem Symbol der Stadtwache.
Thamior und Thargad beobachteten das Haus aus sicherer Entfernung. »Was meinst du?«, fragte Thamior. »Durch die Kuppel?«
Thargad betrachtete die Glaskuppel. »Wahrscheinlich die beste Möglichkeit.«
»Hoffentlich sieht uns keiner,« sagte Thamior. »Am Tage ist schlecht munkeln.«
Thargad reichte ihm eine Flasche. »Das wird helfen.« Er selbst entkorkte eine identische Phiole und trank den Inhalt. Seine Umrisse zerflossen, dann war er gänzlich unsichtbar.
»Gut vorbereitet«, sagte Thamior anerkennend und trank seinen Unsichtbarkeitstrank.
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Boras blieb verdutzt in der Tür zur Helmkirche stehen. Am anderen Ende der Halle, vor dem Altar, hatten sich die Priester versammelt. Allerdings beteten sie nicht, sondern versorgten ihre Wunden. Mit einem Grunzen marschierte Boras auf die Gruppe zu.
»Meister Boras«, begrüßte ihn Rufus Laro, während ein Akolyth seinen rechten Arm verband.
»Ich bringe Gefangene. Was ist hier passiert?«
»Ein riesengroßes Missverständnis, fürchte ich. Der Stadtherr ist tot. Ermordet.«
»Weiß man schon, von wem?«
»Sie haben die Mordwaffe am Tatort gefunden. Es war der Stern des Morgens.«
Boras stutzte. »War das nicht die Waffe, die Jenya gestohlen wurde?«
»Davon weiß ich nichts«, sagte Rufus überrascht. »Aber das würde erklären...«
»Moment mal. Soll das heißen-«
»Ja«, unterbrach ihn der Priester. »Sie haben Jenya verhaftet.«
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Jorak spuckte aus. »Ich muss mal die Naga würgen.« Er trat an den Rand der Empore und fummelte an seiner Rüstung herum.
Brig war mitten in seiner Erzählung seines freien Abends. »Ich sag dir, die hatte solche–«
»Ach komm, hör auf«, sagte Hurl. »Gibts bei dir auch normale Weiber?«
»Ehrlich«, sagte Brig. »Ich schwöre.«
Kwum gähnte. Der Tag konnte noch lang werden. Wenn nicht bald was passierte, würde er durchdrehen.
»He«, sagte Jorak und unterbrach die Schlangenbeschwörung. »Da kommt wer.«
Tatsächlich. Zwei Männer marschierten zielstrebig auf den Wachtrupp zu. Kwum musste nicht erst das Kelchwappen bei dem Menschen in der Schuppenrüstung sehen, oder das rauchende Auge des Zwergs, um zu wissen, wer da kam. Kurz wurde ihm flau im Magen, aber nur kurz. Schließlich waren sie zu viert und die Kettenbrecher – denn natürlich waren das Zwerg Gnadenlos und Ritter Wichtigtuer – zu zweit.
»Aus dem Weg«, sagte Jørgen.
»Tut mir leid«, gab Kwum zurück. »Geschlossene Gesellschaft.«
Jørgen legte die Hand auf den Schwertgriff. »Willst du meine Einladung sehen?«
Kwum zweifelte, dass der Paladin auf offener Straße die Stadtwache angreifen würde. Andererseits, wenn er die beiden so ansah... und wer wusste schon, wo die anderen Kettenbrecher steckten. Kwum sah sich um. »Kommt Jungs, wir verziehen uns. Wenn die beiden unbedingt auf die Feier wollen, werden wir sie nicht aufhalten.« Er lachte, aber es klang selbst in seinen eigen Ohren künstlich.
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Jørgen sah den Wachen nach. Sie sahen nicht so aus, als kämen sie schnell zurück. Gut. Dirim war bereits zur Eingangstür gegangen und stand bereit. Als Jørgen sich zu ihm unwandte, stieß er die Tür auf. Die Eingangshalle war groß und leer; in der Mitte des Raums schwebten Blüten durch die Luft, und Glöckchen klingelten aus der Ferne. Es war niemand zu sehen. Große Türen führten in weitere Räume. Die Türme waren mit Wendeltreppen ausgestattet. Jørgen betrachtete die Türen.
»Denkst du, was ich denke?«, fragte er Dirim.
Der Zwerg nickte. »Hoch.«
Sie erklommen die Treppe in den ersten Stock. Als sie sich der Tür näherten, schwang sie von alleine auf. Dahinter lag ein kleiner Vorraum mit einer weiteren Tür. Hinter dieser Tür wiederum war jemand; man konnte die Stimmen bis in den Vorraum hören. Dirim legte den Finger auf die Lippen, und die beiden Kettenbrecher spitzten die Ohren.
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Das Observatorium war geschlossen, aber Thargad hatte keine Probleme, den Mechanismus zu entriegeln und die Glasdecke zu öffnen. Lautlos schlüpften er und Thamior in den Raum. An der Wand war eine Sternenkarte angebracht, und in der Mitte des Zimmers prangte ein Teleskop an einer festen Halterung.
»Ganz schöner Luxus«, sagte Thamior. »Aber etwas karg.«
Die Tür zur Treppe öffnete sich, als sie ihr näherkamen. Sie stiegen die Stufen hinab in den ersten Stock. Hier kamen sie in einen großen Raum, in dem einige Tische mit Nahrungsmitteln aufgestellt waren: Braten, Wein, Brot, rohes Fleisch. Durch eine Doppeltür drang Gelächter, dann der Klang von Metall gegen Glas, und Stille.
Die beiden Kettenbrecher spitzten die Ohren.
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»Verehrte Anwesende«, sagte die Stimme einer Frau, »es freut mich, dass Ihr alle hergefunden habt. Der wahre Stadtherr lässt sich entschuldigen; wir mussten unsere Pläne etwas vorverlegen. Ich nehme an, ihr kennt euch bereits, aber zur Vorsicht noch einmal für alle. Wir begrüßen heute Adrick Garthun und seine Leibwächter aus dem Nordkamm, Khyron Knochenschwur von der Dunklen Triade, Zarn Kyass den Blauen, Herr der Oger aus den Südbergen, Vervil Aschenmantel und, äh, Gefolge, Ebenenwandler, Elayne von der samtenen Klaue und Melagorn den Verräter, Gesandter der Rebellen aus dem Tethirwald. Meine Wenigkeit sollte keiner Vorstellung bedürfen, schließlich seid ihr auf meine Einladung hin in mein Haus gekommen.«
Dirim und Jørgen sahen sich an. Thamior und Thargad hätten sich gerne angesehen. Das waren ziemlich viele.
»Unsere Pläne sollten Euch bekannt sein«, fuhr Thirifane Rhiavadi fort. »Wir werden Cauldron in die Schatten stürzen und den Käfigmachern so den Weg bereiten. Über die Schattenebene wird ein Tor nach Carceri geöffnet, damit die Käfigmacher ihren Herren befreien können. An der Spitze einer Armee werden wir dann die Region erobern und unterjochen.«
»Das klingt alles zu einfach«, kam eine männliche Stimme durch die Tür. »Wozu braucht ihr uns noch?«
»Tethyr ist abgelenkt dank des drohenden Krieges mit Calimshan. Aber das reicht uns nicht. Eine Gefahr von außen stärkt den Zusammenhalt. Ihr seid Schmuggler, Entführer, Mörder. Ihr habt Verbindungen ins Innere des Landes. Nutzt diese Verbindungen, werdet zum Geschwür, zur Krankheit, dann wird unsere Armee ein leichtes Spiel haben. Eure Belohnung ist einfach. Cauldron gehört uns – mir und Fürst Vlaathu. Aber Tethyr ist groß. Gewinnt eure eigene Stadt. Herrscht, offen oder verdeckt, wie ihr es wünscht.«
Kurz brandete Gemurmel auf. Thamior nutzte die Gelegenheit, um Thargad zuzuflüstern: »Meinst du, Dirim geht da rein?«
Thargad antwortete nicht.
»Und was ist mit diesen Abenteurern, die hier rumspuken?«, erklang eine weitere Stimme.
Rhiavadi lachte. »Sie stellen keine Gefahr dar. Ich gebe zu, sie haben uns ein paar Stöcke zwischen die Beine geworfen, aber das ist jetzt vorbei. In diesem Moment wird Jenya Urikas wegen Mordes am Stadtherren Severen Nalavant verhaftet. Grukk Zwölftöter und die MGA schnappen sich gleichzeitig die Barakmordin. Vortimax Weer hat von uns den Aufenthaltsort der Silberschreiter erfahren; er wird sie vernichten. Währenddessen machen die Kettenbrecher die Überreste des Letzten Lachens nieder – ein Verlust, aber kein großer, und vielleicht kann der Hofnarr einen von ihnen mit ins Grab nehmen. Und wenn sie damit fertig sind, werden unsere feinen Helden feststellen, dass sie keinerlei Verbündete mehr in dieser Stadt haben. Außer vielleicht diesen verrückten Lathanderpriester. Sie werden über kurz oder lang versuchen, ihre Leute zu befreien. Grukk wird auf sie warten. Und dann wird – aber genug davon. Wollen wir etwas essen?«
Als zustimmendes Gerede erklang, flüsterte Thamior wieder. »Er wird doch nicht da reingehen, oder?«
Thargad antwortete nicht.
»Solonor steh uns bei. Er geht da rein.« Thamior machte sich kampfbereit.
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Auf der anderen Seite hatten Dirim und Jørgen mit zusehends versteinerter Miene gelauscht. Jetzt zog Jørgen sein Schwert. Dirim wartete nicht so lange. Er trat auf die Tür zu. Sie schwang auf.
Der Versammlungsraum war groß und unmöbliert. Lediglich eine Handvoll Stühle waren in den Raum gebracht worden, aber keiner der Anwesenden saß mehr. Nahe an dieser Tür standen zwei gerüstete Zwerge. Ein dritter Zwerg stand mitten im Raum; dieser hatte über die Hälfte seines Gesichts eine juwelenverzierte Maske. Neben dem Zwerg stand ein groß gewachsener Mensch in schwarzer Plattenrüstung, ein Schädel auf seinem Schild. Gegenüber stand ein gewaltiger Oger mit blauer Haut, zwischen den beiden ein fetter Elf mit Teufelshörnern und einem langen Schwanz. Hinter dem Elf, nahe der gegenüberliegenden Tür, standen zwei muskulöse, schwarzhäutige Dämonen mit spitzen Klauen Wache. An einer dritten Tür wachte ein großes Konstrukt. Davor standen zwei Frauen. Die eine war bleich, jung, gutaussehend, gekleidet in einen schwarzen, beinahe lebendig aussehenden Umhang. Die andere war mittelalt und trug ein teures Kleid. Aus ihrer Stirn wuchs ein drittes Auge an einem Strang, wie das eines Betrachters. In der Mitte des Raums schließlich war noch ein dürrer Halbelf mit grauem Haar, ebenso berobt wie der fette Tiefling hinter ihm. Das waren sie: die Leibwächter und Adrick Garthun, Khyron Knochenschwur, Zarn Kyass der Blaue, Vervil Aschenmantel und seine Babau-Dämonen, ein Schildwächter, Elayne, Thirifane Rhiavadi und schließlich Melagorn der Verräter.
Elayne bleckte spitze Vampirzähne. »Das Essen ist serviert!«