27. ELEASIAS 1374
Zeit für ein Frühstück bleibt nicht, weil Evendur zur Eile drängt. Notdürftig versorgen wir uns mit Bissen aus der Küche und verschlingen diese hastig auf dem Weg zum Tempel.
Heute ist ein sonniger Tag! Unsere Stimmung ist ob dieses guten Omens gehoben. Erfreut stellen wir bei unserer Ankunft fest, dass Haera die Wachen aufgestockt hat. Trotz der frühen Stunde sind bereits zwei Pilger anwesend, denen Alexander mit Drohgebärden nahe legt, diesen Ort, der nichts Gutes verheißt schleunigst zu verlassen. Der Griff zur Waffe, wenngleich noch in ihrer Hülle und von Friedensbändchen geziert, ruft den Unmut der Wachen hervor, welche ihrerseits dem Barbaren mit gespannten Bögen drohen. Ich halte alarmiert die Luft an, dränge mich an Alexander vorbei und hebe an zu sprechen, darauf bedacht, meinem Blick Schwere und Ernsthaftigkeit zu verleihen: „Verehrte Pilger, mein Name ist Lily Weg und ich bin die zuständige Kraft zur Einhaltung der Vorschriften auf dem Tempelgelände. Gibt es ein Problem?“ Einer der Pilger mit vor Zorn und Empörung hochrotem Gesicht fährt mich an: „Und ob es ein Problem gibt! Dieser ungehobelte Klotz hier verweigert uns das Betreten des Tempels!“ „Womit er absolut im Recht ist“, antworte ich, „denn innerhalb der Tempelmauern ist eine schreckliche Epidemie ausgebrochen. Eine hochansteckende Krankheit, welche wir einzudämmen versuchen. Wir bitten um Ihre Mithilfe. Bitte unterstützen Sie uns, indem sie Ihren Aufenthalt hier, auch in den äußeren Bereichen, so kurz wie möglich halten. Mein Kollege hier ist etwas angespannt, da wir den Tempel zu diesem Zeitpunkt bereits weiträumig abgesperrt haben wollten, jedoch auf Grund der frühmorgendlichen Pilgerzugänge mit unserer Arbeit arg im Verzug sind.“ Zu all dem setze ich ein möglichst seriös wirkendes Lächeln auf und begleite die Pilger, welche höchst verdattert dreinschauen, zum Ausgang. „Mystra segne euch für euren Besuch im Tempel! Und kehrt wieder, sobald ihr hört, dass die Epidemie bereinigt wurde.“ , ruft ihnen Elenya noch hinterher.
Nun wenden wir uns den Wachen zu und fragen sie nach dem Zustand des inneren Tempels. Wir sind ein wenig beunruhigt, als wir vernehmen, dass weder Bruder Shan Thar, noch der Leichnam des Sternenwebers, noch die körperlichen Überreste der Schattenwachen zu finden waren. Lediglich die Leiche des Wachmanns Ferrus liegt noch vor dem Altar, hinter welchem heute eine Wand anstelle der Tür und der in die tiefe führenden Treppenstufen zu sehen ist. Uns alle macht dieses Bild stutzig und Garon entlarvt die Wand als Illusion. Jedoch ist die Tür verschlossen. Nur Evendur glaubt fest daran, dass diese Wand existiert und es irgendwo einen Mechanismus geben müsse, der sie zur Seite fahren lässt. Während er noch fieberhaft sucht, betätigt sich Alexander als Abrissbirne. Die Tür bricht unter seinen brachialen Schwerthieben entzwei und die Treppe, die abwärts in die Dunkelheit führt, tut sich vor uns auf. Vorsichtig steigen wir hinab. Garon erleuchtet uns den Gang mittels eines einfachen Lichtzaubers, der bei ihm allerdings zugegebenermaßen sehr stilvoll wirkt. Mir fiel schon einige Male auf, wenn ich versuchte einen seiner Zauber mittels Zauberkunde zu erahnen, dass alle seine Effekte wie Totenschädel geformt sind. So auch der Lichtzauber: unser Weg wird erhellt durch einen leuchtenden Totenkopf, welcher über der Hand des Magiers schwebt.
Die Treppe mündet auf einem Podest, von welchem sie in zwei Richtungen, aber offensichtlich im selben Raum mündend, weiter geht. Evendur geht links herum um die Ecke, weil er verhindern will, dass uns jemand in den Rücken fällt. Wir anderen gehen, Alexander voran, rechts herum langsam weiter hinunter. Diese neue Treppe mündet in einem zerfallenen Altarraum, der von einer riesigen Statue dominiert wird, welche auf einer Art Podest steht. Rund herum liegen Trümmer aus Gestein und Holz. Kaum hat Alexander das Ende der Stufen erreicht, so wird er auch schon von zwei Schattenwachen angegriffen, die mit ihren Bögen auf ihn feuern. Aus einer Tür, die ich von meinem Standpunkt aus nicht einsehen kann, tritt Shan Thar heraus und sagt uns, dass es nun Zeit sei zu sterben. Als Antwort stürmt unser Barbar vor und überrennt eine der Wachen, um sie im Fallen mit einem gewaltigen Schwerthieb in zwei Hälften zu teilen. Als ich die Stimme des falschen Priesters höre, beginne ich damit, ein Lied anzustimmen, dessen Klänge sich mit Mystras Gewebe verweben und dessen Worte den Willen meiner Gefährten stärken soll, um sie widerstandsfähiger gegenüber Bezauberungen zu machen. Tatsächlich habe ich mein Lied nicht zu früh angestimmt! Shan Thar murmelt seinerseits magische Worte, leider kann ich ihn nicht sehen und ich verstehe seine leise gemurmelten Worte nicht.
„Verdammt! Wo ist er hin?“, höre ich Evendur fluchen. Im selben Augenblick hört man das hässliche Geräusch, welches ein von der Sehne gelöster Pfeil verursacht. „Au! Verdammt! Wo kam der Pfeil her?“, flucht der Kundschafter kurz darauf. „Ja genau, wo ist er hin?“, ist nun auch Alexanders Stimme zu hören. Garon antwortet ihnen: „Er hat sich unsichtbar gemacht. Er könnte fast überall sein. Moment, ich versuche was.“ Nun hört man ihn magische Worte rufen und ich sehe einen hellen Fackelschein das diffuse violette Dämmerlicht erhellen. „Hmm, hier ist er zumindest nicht.“
„Hey, Kuttenträger, pass nächstes Mal besser auf, wohin du deine Feuerwalze wendest! Sonst schiebe ich dir deinen Zauberstab in deinen Arsch. Mann! Um ein Haar wäre zumindest mal ein Teil von mir kross geröstet gewesen.“
„So ein Unsinn, Muskelprotz, das war alles berechnet.“
„Schon klar du Gehirnakrobat, aber ich sag´ dir... .“ Die Worte des Barbaren werden jäh von meinem Entsetzensschrei unterbrochen. Unmittelbar hinter mir, ist ein schattenhaftes Erdenwesen aus der Wand getreten und schlägt grob nach mir. Stark getroffen rutsche ich an der Wand ab und taumele einige Stufen nach unten. Ich muss versuchen Elenya, die nur wenige Schritte von mir entfernt im Zweikampf mit einer Wache steht, zu erreichen. Doch der Erdelementar zwingt mich in eine tödliche Umarmung, aus der ich mich nicht befreien kann. Mein Brustkorb kracht und knackt, ich drohe im Würgegriff zu ersticken. Vor meinen Augen beginnen funkelnde Sterne zu tanzen. Mein letzter verschwommener Blick, begleitet von einem Röcheln, sieht Garon, wie er beeindruckend die Schattenwache zu Asche zerfallen lässt. Ich lächle ihm zu.
„Lilyyyy!!!!“ Höre ich Alexander aus weiter Ferne, wie durch Watte rufen. Er kämpft sich zu mir durch, dennoch kann er nicht verhindern, dass das Erdenwesen seinen Griff um meinen Leib verstärkt. Als er hört, wie meine Rippen bersten und sieht, wie ein dünnes Rinnsal Blutes aus meinen leicht geöffneten Lippen läuft, gerät er in eine fürchterliche Raserei und zerstückelt alles, was in seinem Weg liegt. Seine Augen sind unnatürlich schwarz verfärbt, nichts Weißes ist mehr zu sehen, sein Kopf ist dunkelrot angelaufen und die große Ader auf seiner Stirn pulsiert rhythmisch im Takt zu den zerstörenden Hieben seines immensen Schwertes.
Ich weiß jedoch mit Sicherheit, dass Elenyas Heilung diesmal zu spät für mich kommen wird, als ich in tiefe Schwärze abgleite und im Nichts versinke. Ein Rauschen in meinen Ohren kündet vom Ende der Schwärze. Ich sehe nun alles grau um mich her. Schemen hetzen an mir vorüber. Es ist unwirtlich hier, aber ich fühle keine Schmerz mehr. Einen kurzen Augenblick lichtet sich der karge Nebel und ich blicke auf ein farbloses aufgewühltes Meer und ich in der Ferne einen hohen grauen Trum. Boote trotzen furchtlos den Wellen und eins von ihnen scheint sich mir zu nähern. Nein, ich will dieses Meer nicht befahren! Dann umhüllt mich der Nebel wieder.
Überrascht schlage ich nach für mich nicht klar definierter Zeit die Augen auf und spüre, wie ich auf den Treppenstufen des zerfallenen Altarraums liege. Elenya lächelt mir zu: „Hui, das war knapp! Leute, sie lebt, nun lasst uns diesen Abschaum zur Strecke bringen!“
Sie erntet einen dankbaren Blick Alexanders. „Tut mir leid Lily, ich kam zu spät“, schnauft er, „diese Ausgeburt des Abyss hat dich zerquetscht, bevor ich sie zermalmen konnte.“ Die große Ader auf seiner Stirn pulsiert, und obwohl seine Stimme mich besorgt und freundschaftlich anspricht, sehe ich einen Fremden vor mir, mit hochrotem Kopf, das Gesicht zu einer Fratze verzerrt und mit tiefliegenden schwarzfunkelnden Augen. Erst als sich der Hüne entspannt, nehmen seine Konturen wieder ihre normale Gestalt an und ich blicke in die besorgten Augen meines Freundes, in deren Pupille ich mich spiegele. Dafür, dass ich dem Tode nahe war, sehe ich recht frisch aus, finde ich und preise im Stillen Kelemvors Macht, welche durch Elenya kanalisiert wird.
„Shan Thar ist vermutlich da drinnen in der Bibliothek!“, ruft Evendur, auf die offene Tür zeigend, die der Priester für seinen Auftritt durchschritten hatte, „Ich habe ihn zwischen den Bücherreihen magische Formeln murmeln hören.“ Garon intoniert ebenfalls magische Worte und beginnt golden zu glänzen. Allmählich wird meine Wahrnehmung besser und ich beginne sofort damit, meinen Gesang wieder aufzunehmen. Auch lege ich einen Pfeil auf meinen Bogen und ziele auf die Tür, die unser Kundschafter bezeichnet hat. Noch immer in Rage stürmt Alexander hinüber zu Evendur.
„Pass auf Holzkopf! Da ist der Verräter Priester!“ heißt ihn sein Halbbruder willkommen, als sich genau zwischen den beiden der Priester materialisiert, während dieses Vorgangs unheilige Worte sprechend. Augenscheinlich ist Alexander das Ziel des Zaubers. Ich erhebe meine Stimme, um meinen Willen stählenden Gesang weithin hörbar zu machen und tatsächlich scheint der Zauber fehl zu schlagen. Zumindest wirkt unser aufgebrachter Kämpfer völlig unbeeindruckt von dem magischen Singsang des Klerikers, den wir uns nun mit vereinten Kräften vorknöpfen. Gegen die Macht der Greifenbrut ist Shan Thar nicht gefeit und so fällt er nachdem Zauber, Pfeile und Schwerter auf ihn einhageln schließlich unter Alexanders mächtigem Schlag zu Boden. Evendur trennt ihm den Kopf ab. „Nur zur Sicherheit. Man kann ja nie wissen. Dieser Fembrys ist schließlich auch irgendwie verschwunden. Wer weiß, was Shar mit ihren Gläubigen anstellt.“ , rechtfertigt er sich vor Elenya, die der Enthauptung missbilligend zugeschaut hat.
Abermals nutzen wir die Kraft des Heilstabes, jenes Geschenks unserer Eltern, um uns allen die teils schweren Spuren des Kampfes gegen den Shar Kleriker zu nehmen. Danach widmen wir uns den beiden Privaträumen Shan Thars. Ein schlichter fast quadratischer Raum, nur mit einem Bett und einigen Möbeln eingerichtet Raum, ähnlich einem Gästezimmer.
In seinen Gemach finden wir Bücher über Mystra, jedoch vermisst Elenya die inhaltliche tiefe der hier stehenden Werke und Abhandlungen. „Das sind Bücher für Unkundige, für Leute, die sich ein grundlegendes Wissen über den Kult um Mystra aneignen wollen. Sowas ist eine Standardlektüre in jeder Ausbildung eines guten Klerikers!“, schnaubt sie verächtlich. „Dieser Shan Thar ist ein Hochstapler. Ein echter Kleriker Mystras ist der sicherlich nicht.“ Ich stimme ihr zu, nachdem ich die Bücherauswahl des „Bruders“ durchgesehen habe. In diesem Gemach befindet sich zudem noch ein kleines Laboratorium, mit einigen gefüllten Phiolen. Elenya steckt sie ein, wer weiß, vielleicht ist etwas Brauchbares dabei. Zudem entdecken wir einen Brief, in roter Tinte geschrieben, der in der Schublade seines Sekretärs liegt. Gemäß dieses Briefes, der von Lady Arthas unterzeichnet ist, gibt es augenscheinlich weitere Hintermänner, namentlich mit Esvele und Despayr benannt, die fordern, neue Rekruten für die Sache zu gewinnen. Vorsichtshalber nehme ich den Brief mit. Ein weiterer der von uns bei den Schergen des dunklen Portals gefundenen Schlüssel öffnet die andere Tür.
Ein stechender Gestank schlägt uns entgegen. Mich erinnert es entfernt an Balsamierungsflüssigkeit. Als ich Licht mache, erkennen wir an den Wänden insgesamt acht Trophäenköpfe. Im Lichtschein erkennen wir zudem eine Vitrine und einen Tisch, auf dem Präparierbesteck liegt. Angeekelt stoße ich leise hervor: „Welche perverse Sau schläft hier?“ Wenig später wissen wir es. Fembrys! Ich hätte es wissen müssen. In seinem Tagebuch finden wir einen Brief: [Bild fehlt]
Die letzte Ladung Gäste wartet auf Anweisungen unten am Fluss-Dock. Wag es nicht auch nur einen von ihnen für dein krankes Hobby zu benutzen, Fembrys, oder dein Kopf hängt schenller an der Wand, als dir lieb ist.
[Bild fehlt]
Arthas
Alexander sitzt, während wir die Räumlichkeiten dieses Trakts gründlich untersuchen, teilnahmslos und völlig erschöpft auf dem Boden. Welche Dämonen wohnen bloß in seiner Brust? Was quält ihn so? Auf mein besorgtes Nachfragen reagiert er nicht. Während Garon, seine Schwester und ich die Gemächer Shan Thars und Fembrys´ durchsuchen, macht sich Evendur daran, den verbleibenden Nebengang zu erforschen. Lautstark verkündet er, als er wieder zu uns stößt, dass es sich um die größte Latrine handelt, die er je gesehen hat. Sogar einen unterirdischen Zu- und Abfluss gäbe es. Wir kombinieren die neuen Erkenntnisse des Kundschafters mit den Informationen aus dem Brief in Fembrys´ Kammer und vermuten irgendwo jenseits des Säulenganges die im Brief erwähnte unterirdische Anlegestelle. Einen Moment lang beratschlagen wir uns, ob wir ohne Alexander den Säulengang erforschen sollen oder darauf hoffen, dass er baldigst wieder in sich wohnt. Garon und Evendur setzen sich mit ihren Frozzeleien gegen mich durch und so gehen wir ohne Alexander. Ich spüre heiße Wellen der Wut in mir hoch kochen. Dennoch bleibe ich äußerlich ruhig und füge mich dem Beschluss der Mehrheit.
Wir präparieren zunächst die Tür zum Säulengang mittels eines Gesteinsbrocken, damit uns der Rückzug nicht versperrt werden kann. Ich gehe zu Alexander und unterrichte ihn leise von unserem Vorhaben. Inständig flehe ich ihn an, möglichst rasch nach zukommen. „Lily, nun komm schon, der Holzkopf versteht ohnehin nicht, was du zu ihm sagst.“, dröhnt Evendurs Stimme inmitten meines leisen Gesprächs. Mühsam beherrsche ich mich, indem ich mir eine gedankliche Notiz mache: das war wieder ein Kommentar, werter Evendur, welcher dich an den Rand des Abgrundes bringt. Es wird der Tag kommen, das schwöre ich beim Leben meiner Mutter, an dem du für deinen Sarkasmus und deinen Hochmut büßen wirst! Zur Unterstützung der gedanklichen Notiz ritze ich den Zeigefinger meiner rechten Hand an Alexanders Schwertschneide an. Genüsslich lecke ich den hervorquellenden Blutstropfen ab, bevor ich mich zu den anderen herumdrehe. Vier kleine Kerben sind es nun... .
Der Säulengang, welcher sich vor uns erstreckt, ist beidseitig von je drei abstrakten Frauenstatuen gesäumt, die entfernt an die Göttin Shar erinnern. Der Gang mündet an einer schweren Holztür. Da sich unsere Klerikerin sicher ist, dass von den Statuen keine Gefahr ausgehen kann, weil es sich ansonsten um einen religiösen Affront gegenüber Shar handeln würde, beschließen wir die Zwischenräume zwischen jeweils zwei Säulen einer Seite als Versteck zu nutzen. Unseren Kundschafter schicken wir vor, um die Lage zu sondieren. In dem Moment, als Evendur die Klinke der Tür herunterdrückt, flucht er herzhaft: „Verdammte Scheiße! Leute, in Deckung, irgendetwas ist hier drinnen gerade zerrissen!“ In diesem Moment großer nervlicher Anspannung hört Elenya ein schleifendes, scharrendes Geräusch hinter uns. Sie fährt herum und beginnt im selben Moment göttliche Energie um sich zu versammeln. Glücklicherweise kann sie den Zauber gerade noch stoppen, als sie Alexander erkennt, der noch sehr mitgenommen aussieht und sein mächtiges Schwert hinter sich herschleifend in den Gang tritt. Schweigend stellt er sich in die hinterste Nische. Hörbar atmen wir alle auf. Nachdem sich der Schreck gelöst hat, öffnet Evendur vorsichtig die Tür am Ende des Ganges und tritt ein. „Komm zurück!“, wispert Garon ihm hinterher, „Lass uns zusammen reingehen. Hey, ich kann einen Zauber wirken, der... .“ „Lass ihn doch“, rät ihm Elenya, die beschwichtigend ihre Hand auf seine Schulter legt. Ich nicke ihr zu und grinse. Entweder hört der Kundschafter schlecht – was ich ernsthaft bezweifele – oder er will es nicht hören, dieser Eigenbrödler! Soll er halt alleine klar kommen. „Wenigstens hat er die Tür weit genug geöffnet.“, seufzt der Magier. Alexander schnaubt und verdreht die Augen. „So wird das nix.“, kommentiert er lakonisch die Lage. Wir blicken in einen langen, recht schmalen Raum, eigentlich sieht er wie ein weiteres Gangstück aus, nur ohne die Frauenstatuen. An der rechten Seite sind zwei große, verzierte Türen zu sehen und auf der linken Seite drei kleine, schmucklose Holztüren. An der Stirnseite des Raumes hängt eine riesige, runde Scheibe, die schwarz ist und von einem violetten Rand gesäumt wird. Neben und zwischen den Türen sind Fackelhalter angebracht, in denen seltsame violette Fackeln ihr unheimliches Licht verströmen.
Als unser Kundschafter in etwa die Mitte des Raumes erreicht, wird er von zwei Schattenwachen angegriffen, die sich aus den flackernden Schatten der magischen Fackeln heraus materialisieren. „Mann, ich sagte dir: Komm zurück!“ , brüllt Garon, während er schon beginnt, mit seinen Händen rhythmische Gesten zu vollziehen, welche die Luft um ihn zum Knistern bringen, begleitend murmelt er „AttaÙmbar Yello!“ und aus seinen Fingerspitzen schießen winzige Totenschädel in den Raum hinein, welche sich blitzschnell aufdröseln und zu einem klebrigen Netz werden, welches den Boden des Raumes binnen weniger Augenblicke vollständig bedeckt. Gerade noch rechtzeitig kann Evendur aus dem Raum fliehen (ich sage es ja: er will nicht hören, denn diese Worte hat er wohl offensichtlich gehört). Aber auch die Schattenwachen haben rasch reagiert und die Tür, welche uns von ihnen trennt zugestoßen. Alexander macht sich daran, sie einzuschlagen. Mit einer Fackel entzünden wir das Netz unter der Tür. Durch die Durchbrüche in der Tür sehen wir, dass der Raum nun scheinbar leer ist. Wir nehmen an, dass die verfluchten Wachen den Flammen zum Opfer gefallen sind.
Sobald die Öffnung es zulässt, quetscht sich Elenya in den Raum hinein. Noch bevor einer von uns seine Bestürzung über diese Handlung kundtun kann, wird auch sie von zwei Schattenwachen attackiert, welche sich abermals aus den Schatten der magischen, violetten Fackeln heraus materialisieren. „Wir müssen die Fackeln löschen!“, rufe ich. Im selben Moment schleudert die Klerikerin zwei gleißende Lichtkugeln auf die beiden Schemen, welche ihr Ziel jedoch knapp verfehlen. Die Situation gerät außer Kontrolle als plötzlich Leben in die, an der Stirnseite befindliche, schwarze Scheibe fährt. Aus der tiefen Schwärze springen drei große, pantherartige Kreaturen heraus, auf deren Rücken Tentakeln wachsen. Zudem tritt aus einer Tür an der rechten Seite eine hochgewachsene Frau heraus, deren Gesicht von einer Narbe, die über ihr linkes Auge verläuft, verunziert wird. Höhnisch begrüßt sie uns: „Soso, der Segen Mystras, dieser schwachen Göttin, war euch wohl nicht genug? Ihr werdet die Erleuchtung durch die Sterne schon noch erfahren!“ Noch während die Frau, die vermutlich Lady Arthas ist, spricht, singe ich einige Akkorde, die so disharmonisch klingen, dass es der Dame schwer fällt, sich zu konzentrieren. Der Rest ihrer Rede klingt abgehackt und zerstückelt. „Es w... ei...g....fehler, euch...m...entgeg....stellen! M....euer.... tament, oder w....ihr um... Gn... wins... u...d...wahren... Göt...beitreten?“ Sie lacht hämisch. Noch lacht sie, denke ich bei mir, denn ich weiß, dass sie nun größte Schwierigkeiten haben wird, Zauber zu wirken. Still lächele ich vor mich hin und stimme ich einen trotzigen Gesang an, welcher die Willenskraft meiner Gefährten stählt, um etwaigen Zaubern zu entgehen, die sich auf die Beherrschung des Geistes beziehen.
Wir ziehen uns in den von Stauen gesäumten Teil des Ganges zurück, um zumindest teilweise Deckung zu haben, denn schnell erkennen wir die Tücke unserer Gegner: die schattenhaften Wesen sind schwierig zu treffen. Garon vermutet, dass sie phasenweise aus Schattengewebe bestehen und phasenweise aus ihrer eigentlichen Essenz. Nur in der Phase ihrer Essenz sind sie zu verwunden. Der Kampf wird zäh und zusätzlich überschattet durch Anschuldigungen Garons und Evendurs, man hätte rasten müssen. Ich schüttele ob dieser Kommentare nur ungehalten den Kopf. Wer wollte denn so dringend weiter gehen? Ich wollte bei Alexander bleiben, sie haben gedrängelt. Inmitten des Getümmels bricht noch eine magische Dunkelheit herein. Irgendwo neben mir höre ich Elenya fluchen, als ein weiterer Zauber seine Wirkung nicht entfalten konnte. Alexanders Schwert schlägt hart oberhalb meines Kopfes in die Statue ein und verkeilt sich offenbar, denn ebenfalls wütend brüllend versucht er es wieder frei zubekommen um weiter die Panther attackieren zu können. Wertvolle Momente verstreichen, in denen wir unserer Fähigkeiten beraubt sind oder schlichtweg mit den unfairen Gegebenheiten zu kämpfen haben. Dazwischen immer wieder die Vorwürfe, man hätte rasten müssen. Laut erhebt sich immer wieder die Stimme der geheimnisvollen Frau über den Tumult hinweg, wenn sie versucht einen Zauber zu wirken. Schließlich bekommt Alexander sein Schwert frei und wirft sich heldenhaft in die Bresche, womit er der arg in Bedrängnis geratenen Elenya und Garon das Leben rettet. Dieser Gewaltakt geht über seine vorhandene Kraftreserve hinaus und lässt ihn nachdem er einige schwere Hiebe rund um sich austeilen konnte, unter den Prankenhieben der Panther und Schlägen der Schattenwachen zu Boden gehen. Die magische Dunkelheit löst sich und ich erblicke meinen Freund leblos am Boden liegen. So schnell ich kann eile ich zu ihm und es gelingt mir wie durch ein Wunder in all dem Chaos, ihn zu stabilisieren, indem ich die größte Blutung mit einem Lappen meines Hemdes stille. „Halt durch Alexander, bitte, lass mich nicht allein! Verdammt, du hättest dich nicht so sehr in Rage kämpfen sollen, du weißt doch, wie sehr du danach immer der Ruhe bedarfst.“ Sein Atem geht ruhiger und kräftiger, aber er ist totenbleich. Durch einen Tränenschleier tobt der Kampf um mich herum weiter. Wenn wir nicht bald siegreich sind, wird Alexander sterben, dessen bin ich mir gewiss. Ich stimme ein neues Lied an, eine Melodie, welche mitreißend und heldenhaft klingt, hoffend, dass dieses die Greifenbrut stärken wird. Ich richte mich auf, die Stimme laut und hell erhoben über das Getose des Kampfes und ziehe meinen Bogen. Gewissenhaft lege ich einen Pfeil ein und ziele auf den letzten verbliebenen Panther, der tödlich getroffen wird. Nun widmen wir uns mit neuem Mut der Dame, welche uns am Ende auch nichts mehr entgegen zu setzen hatte, nachdem ich sie eines Großteils ihrer Magie beraubt hatte.
Erschöpft sinken wir um Alexander herum auf den Boden. „Einen netten Spruch hast du da, Lily.“, sagt Garon mit vor Anerkennung hochgezogener Braue. „Sehr nützlich, in der Tat. Sonst wäre der Sieg vielleicht nicht unserer gewesen, denn immerhin verfügte ich nicht über das volle Sortiment meiner Sprüche. Wir hätten rasten müssen.“ Die Freude über das Kompliment weicht augenblicklich einem giftigen Gefühl der Rache, welches ich jedoch herunterschlucke, weil Alexander in diesem Moment das Bewusstsein wiedererlangt.
Nachdem wir unsere Wunden weitestgehend versorgt haben, befassen wir uns mit dem Symbol an der Stirnseite des Raumes. Der Kundschafter und Elenya vermögen hinter die schwarze Scheiben zu blicken. Ungläubig betrachten auch wir anderen die scheinbar undurchdringliche Schwärze. Tatsächlich! Auch der Magier und ich sehen durch das schwarze Wabern hindurch in einen riesigen Raum hinein. Mit wissenschaftlichem Sachverstand bricht Garon eine Diskussion von Zaun, ob es sich nun um eine Illusion oder ein Portal handelt. Währendessen erkunden wir die Räume auf der rechten Seite. Auf der linken Seite, hinter den drei kleinen Türen verbargen sich lediglich ein spartanisch eingerichtetes Quartier, ein Vorratsraum und ein Folterkeller. Hinter der ersten Doppeltür befindet sich ein verschwenderisch luxuriöses Schlafgemach mit einem immensen Bett in der Mitte. Alles sehr stilvoll und extrem teuer eingerichtet. Wir finden es nur gerecht, alles mitzunehmen, was tragbar ist, schließlich wurde uns übel mitgespielt. „Nun macht mal halblang, Leute, um all den Krempel hier raus zu transportieren brauchen wir inzwischen einen Wagen!“, merkt Garon oberlehrerhaft an. Evendur raunt mir grinsend zu: „Naja, den Esel für den Karren hätten wir schon mal.“, dabei nickt er in die Richtung des Magiers, der staunend irgendwelche Gegenstände untersucht. Als wir den zweiten Raum der Dame untersuchen, erhalten wir Gewissheit über die Identität der selben. Es ist wie vermutet Lady Arthas, soviel geht aus ihrer zahlreichen Korrespondenz hervor, unter anderem aus der für sie offenbar charakteristischen blutroten Tinte.
Indessen schickt unsere Kelemvor Priesterin ein tanzendes Licht durch das schwarze Loch und die zuvor fast undurchdringliche Schwärze weicht einem flüchtigen Lichtschein. Inmitten des Raumes befinden sich zwei massive Steinsäulen in dessen Zentrum ein Vorhang aus dunklen Schwaden weht. Durch den teils transparenten Vorhang hindurch, kommt dahinter ein Altar überhäuft mit Knochen zum Vorschein.
Wir vermeiden es, dem Vorhang aus Dunkelheit zu nahe zu treten. Garon erklärt uns großspurig, es dies ein gefallenes Schattentor sei. Durch seine hochgestochene Art des Erklärens versteht wohl keiner von uns so recht, was dies genau ist. Immerhin begreife ich soviel: wer durch dieses – augenscheinlich kaputte – Tor tritt, der stirbt entweder oder verwandelt sich in eines der Schattenwesen. Nun, dies würde zumindest den beachtlichen Knochenhaufen vor dem Obsidianaltar erklären. Diese Knochen sind übrigens nicht von Magie beseelt, wirft Elenya ein. Während des langweiligen Monologs des Magiers versuchen Evendur und ich weiterhin Alexander von der Existenz des Raumes hinter der schwarzen Scheibe zu überzeugen. Stur behauptet der Barbar weiterhin, es gäbe diesen Raum nicht und wir seien allesamt verrückt. Selbst Sprüche wie „Der Klügere gibt nach“ lassen die Wand nicht durchlässig werden. Garon bietet an, die Illusion zu bannen „Nelde Hen Cant Berio!“, ruft er pompös und untermalt diesen Zauberspruch mit einer weitausholenden Geste. „Und?“, frage ich gespannt. „Was und?“, brummt Alexander mürrisch. „Na, kannst du es nun sehen?“, will ich wissen. „Liebe Lily, könnte ich es sehen, stünde ich mit Sicherheit nicht mehr dämlich auf der anderen Seite, oder?“, donnert er ungehalten. Verletzt schlage ich die Augen nieder und krame in meinem Rucksack nach einem Seil. „Hier nimm!“, fordere ich ihn zerknirscht auf. „Was soll ich damit?“ „Nimm es einfach. Evendur, Elenya und ich nehmen das andere ende und ziehen dich einfach durch die Wand.“ „Ich verstehe das nicht.“, murmelt der selbstbewusste Magier plötzlich ungläubig, „Warum kann er es immer noch sehen? Ich habe doch die Illusion gebannt... .“ „Ach Bruderherz, komm gräm dich nicht, hier ist vermutlich sehr mächtige Magie im Spiel. Womöglich sogar böse göttliche Magie. Ist doch nicht schlimm.“ Grummelnd nimmt Alexander das Ende des Seils in seine mächtige Pranke und wir anderen, den immer noch verwirrt und ungläubig dreinschauenden Garon ausgenommen, ziehen mit aller Kraft, um den großen Barbaren durch die für ihn massive Wand zu ziehen. Leider ging es nicht so vonstatten, wie ich es geplant hatte. Viele Momente und etliche Blessuren später gelingt es Alexander dann aus eigener Kraft, die magische Illusion zu durchschauen und uns in den unheimlichen, nach Verwesung riechenden Raum zu folgen.
Vorsichtig untersuchen Garon und Elenya den Knochenberg vor dem Altar und kommen zu dem Schluss, dass es sich nicht um nekromantisch verzauberte Kreaturen handelt, die ihres schauerlichen Auftritts harren, sondern um die kläglichen Überreste jener Kreaturen, welche beim Versuch das gefallene Schattenportal zu durchqueren starben.
Mit dieser neu gewonnenen Sicherheit untersuchen wir die Tiefe des Raumes genauer, dabei jedoch den wabernden Schleier aus Schatten nicht berührend.
Linkerhand verbirgt sich im toten Winkel des Raumes eine unscheinbare hölzerne Tür, die wir öffnen. Ein langer, schmaler Gang liegt dahinter, welchem wir folgen. Schon bald vernehmen wir das Plätschern von Wasser und vermuten, in der Nähe der unterirdischen Landungsstelle zu sein. Eine weitere Tür trennt den langen Gang von einer großen Höhle, die tatsächlich eine Anlegestelle beherbergt. Wir erblicken mehrere Zellen, sowie einen schmalen Steg oder besser gesagt eine Art primitive, glitschige Brücke über brackiges Wasser und einen Katamaran, der halb an Land gezogen ist. Genau vor uns, über die Brücke hinweg, erblicken wir eine Menschenfrau, die in einer der rostigen Zellen liegt. Vor der Zelle stehen zwei Schattenwachen. Unser Magier reagiert in Windeseile, noch bevor die Wachen uns richtig wahrnehmen können, ruft er mit donnernder Stimme: „Atta´ Umbar Yello!“ Aus seinen Fingerspitzen schießen augenblicklich winzige Totenköpfe, welche sich auf dem Boden vor der Zelle mit der gefangenen Frau blitzschnell zu klebrigen Spinnenfäden entwirren und die Schattenwachen verstricken.
Bruchteile später stapft ein Mann mit blondem, struppigen Haar und Kapitänskleidung um die Ecke und schnauzt uns an: „Was macht ihr denn hier, ihr Freaks?“ Alexander taxiert ihn kurz, schätzt ihn nicht als Bedrohung ein und antwortet höflich: „Wir sind auf der Durchreise. Und Ihr?“ „Ich bin der Fährmann und es war ein Fehler hierher zu kommen, denn dies ist mein Revier.“ Unser Barbar zieht verächtlich eine Augenbraue hoch und baut sich bedrohlich zu voller Größe und Pracht auf, bevor er erwidert: „Wollt Ihr uns etwa drohen?“ „Niemand betritt mit gezückten Waffen die Kabine von Kapitän Mahir!“, antwortet der törichte Mann mit trotzig erhobenem Kinn. Im selben Atemzug zieht er seinen Säbel und attackiert Evendur. Glücklicherweise habe ich seine Handlung vorsehen können und wirke rasch einen Zauber, welcher den Kapitän inmitten seines Ausholschlages verharren lässt. Alle stoßen vernehmlich erleichtert die Luft aus. Doch eine Pause, um uns zu fangen und die Lage taktisch einzuschätzen bleibt nicht. Schon taucht aus den Tiefen des brackigen Wassers an dessen Ufer wir stehen eine scheußliche Gestalt auf. Es scheint eine art riesiges Tentakelwesen zu sein, welches mit einer Geschwindigkeit, die ihm niemand von uns zugetraut hätte, unseren Magier aus unserer Mitte reißt und mit ihm hinab in die Düsternis des trüben Wassers taucht. Entsetzt tauschen wir hilflose Blicke aus, bis Alexander den Bann bricht und den Kapitän Mahir mit einem geschmeidigen Coupe de Grace enthauptet. „So, den hätten wir schon mal.“ Gemeinsam wenden wir uns der Bedrohung aus dem Wasser zu. Aus Elenyas geöffneten, nach oben gerichteten Handflächen schießt ein Regen aus Schnee und Eis hervor, den sie auf die Kreatur im Wasser regnen lässt. Gleichzeitig versuche ich das Wesen zu blenden, doch beide Zauber zeigen nicht die erhoffte Wirkung. Mit einem wütenden Schrei springt Alexander in das brackige Nass, sein mächtiges Schwert zum tödlichen Schlag erhoben. Mit einem gewaltigen Hieb schlägt er die Bestie zu Brei, bevor sie Evendur, der einen Schuss nach dem anderen auf den Feind abfeuert, zu packen bekommt. Besorgt suchen wir die trübe Brühe nach Garon ab. Bange Augenblicke dehnen sich wie Stunden. Plötzlich kräuselt sich die Wasseroberfläche und Garon taucht auf. Wir folgen ihm mit Blicken, wie er an Land schwimmt, dort eine in flammen stehende Hand nach einer dort am Ufer stehenden Schattenwache ausstreckt, woraufhin diese sich in eine lodernde Flammensäule verwandelt, welche binnen weniger Augenblicke zu einem Häuflein Asche zusammenfällt. Die zweite Schattenwache geht uns hart an, doch mit vereinter Kraft gelingt es uns die tückischen Abwehrmechanismen der Kreatur zu überwinden. Elenya und Evendur sind frustriert, weil sie keine Treffer landen können, weil sich das schattenhafte Wesen im Moment des Angriffs stets dem körperlichen Angriff entzieht, indem es seinen Körper mit Schattengewebe verschmelzen lässt, wodurch seine Essenz nicht berührt werden kann. Doch endlich stirbt auch diese Wache. Sofort widme ich mich der in der Zelle liegenden Frau. Während ich feststelle, dass sie geistig nicht in unserer Welt weilt, trocknet, glättet und säubert Garon seine teure Kleidung auf magischem Wege. Danach stellt er lakonisch mit einem Blick auf die Frau fest, dass sie augenscheinlich unter dem Einfluss eines Banns steht. Seine Schwester geht sogar soweit zu vermuten, die Kugel sei für die Aufrechterhaltung des Banns verantwortlich. Willenlos wie die Frau sich uns darstellt, nehmen wir sie mit, um von fähigen Leuten den Bann brechen zu lassen, unter dem sie steht.
Akribisch durchsuchen wir die gesamte Anlegestelle, jedoch finden wir nirgendwo eine Spur von Amnik Basult. In der Kabine von Kapitän Mahir finden wir jedoch einige detaillierte Karten des Whelooner Umlandes. Die Interpretation dieses Kartenmaterials lässt uns schlussfolgern, dass einige geistig beeinflusste Gefangene über den Fluss ins östliche Cormyr verschleppt wurden. An einen Ort, der auf einer der geheimen Karten als „Verlassene Zuflucht“ gekennzeichnet ist.
Ob Amnik Basult unter den Verschleppten ist? Zumindest ist dies die einzige Spur, welcher wir momentan folgen können.
Garon lässt uns wissen, dass er gern den unterirdischen Fluss, sowie ein Stück des normalen Ufer- und Wasserverlaufs untersuchen möchte, um zu erkunden, wo der geheime Eingang ist bzw. ob dort vielleicht noch mehr Zellen oder Wächter sind. Als Evendur den Katamaran für diesen Zweck klar machen will, lächelt der Magier nur milde und sagt geheimnisvoll: „Lass mal, ich sagte doch, dass ich dies gern tun würde.“ Er erhebt seine Stimme und ruft seltsame Worte, in seiner für uns unverständlichen Sprache der Magier, dann beugt er sich zum brackigen Wasser, lässt eine kleine Menge Wasser durch seine Finger rinnen und verschwimmt fast im selben Moment vor unseren Augen. Irgendetwas (Garon?), das wie ein durchschimmernder, wässriger Humanoider aussieht, taucht in das Wasser ein, verbindet sich scheinbar mit den Fluten und entzieht sich unseren neugierigen Blicken. Mit offenen Mündern stehen wir am Ufer und starren der Kreatur nach. Alexander schnaubt verächtlich und mahnt uns zum Gehen. Evendur ist seltsamerweise nicht anderer Meinung und so machen wir uns auf, den Rückweg durch den Tempel anzutreten. „Was sollte das denn?“, raune ich Elenya, in Richtung des Wassers nickend zu. Doch diese schmunzelt bloß und ein gewisser Stolz zeigt sich in ihren Augen. Ich lasse nicht locker. „Das war doch dein Bruder gerade, oder? Ich meine...das sah verdammt noch mal so aus, als hätte sich Garon in irgendein, ich suche hilflos nach Worten, ...Ding verwandelt.“ Elenya winkt amüsiert ab. „Lily, entspann dich, mein Brüderchen hat lediglich einen neuen Trick gelernt und musste ihn uns unbedingt vorführen. Er kommt wieder und zwar bald. Lass uns gehen, Alexander und Evendur haben recht, wir haben hier nichts mehr zu suchen und diese Frau hier braucht dringend Hilfe.“ Seufzend trotte ich den anderen hinterher. Garon das Ding aus dem See...ich kichere in mich hinein.
Auf dem Weg nach draußen durchsuchen Evendur und ich noch den Altar. In ein Geheimfach passt der Schlüssel von Lady Arthas. Dort finden wir ein in Schatten gehülltes, magisches Shakram, welches Elenya zur Verwahrung an sich nimmt. Kurz darauf holt uns Garon ein. Ich betrachte ihn misstrauisch, denn seine Kleidung ist trocken und sauber. Er bemerkt meinen Blick „Magie, Lily, Magie.“, grinsend streicht er sich über sein edles Gewand. „Achja, für diejenigen, die es interessiert“, fährt er fort, „der unterirdische Kanal kommt unmittelbar hinter dem Tempel raus. Eigentlich hätte man von außen einen Zugang entdecken müssen (tadelnder Blick zu Alexander und Evendur, welche ja dort alles abgesucht hatten). Nunja, sei es drum, lasst uns weiter gehen.“ Alexander ballt drohend seine mächtigen Fäuste. Evendur schüttelt nur den Kopf.
Es ist gegen Mittag, als wir durch das illusionäre Scheibensymbol treten. Auf der anderen Seite treffen wir auf Stadtwachen, die den Raum gerade durchsuchen. Überrascht drehen sie sich zu uns um „Halt! Was ist das für ein fauler Zauber, der euch ungesehen durch die Wand treten lässt?“ In mildem Tonfall erklärend spricht Garon zu ihnen: „Eine Wand und keinen Durchgang nehmen nur diejenigen wahr, die lediglich mit ihren Augen sehen.“ Als ich den verwirrten Gesichtsausdruck des Anführers sehe, schubste ich den Gelehrten unsanft zur Seite und trete vor. „Entschuldigt bitte, dass wir uns unbeabsichtigt angeschlichen haben. Wir gehören der Greifenbrut an und waren jenseits dieses magischen Durchgangs unterwegs, um die Fäulnis aus diesem Tempel zu vertreiben. Mein Name ist Lily Weg und dies sind meine Gefährten. Wir möchten nun rasch zu Port Haera, um Meldung zu machen, wie wir es verabredet haben.“ Verwirrung weicht Erkenntnis und so spricht uns der Kommandant nun freundlicher an: „Und ist die Greifenbrut auf der Flucht, oder war sie siegreich?“ Alexander wirft ihnen die Köpfe der Rädelsführer dieser falschen Priesterschaft vor. Ich versuche charmant zu lächeln. „Aha...und wer ist das hier?“, will der Wachmann wissen, wobei er auf die unter Bann stehende Frau zeigt. „Diese Frau fanden wir in diesem bedauernswerten Zustand in einer der Zellen dieses Ortes dunkler Macht.“, antwortet Elenya. „Ebenso eine Reihe wichtiger, magischer Gegenstände, die wir unverzüglich Hauptmann Haera zeigen müssen.“, drängt Evendur. Der Wachtrupp geleitet uns aus dem Tempel und durch die Stadt zum Haupthaus der Wache, wo wir augenblicklich zu Port Haera vorgelassen werden. In der Stadt trennen sich Elenya und Garon von uns, weil sie sich eilig um die Erweiterung ihrer Lizenz kümmern müssen, anderenfalls ist es ihnen untersagt, mächtige Magie wirken zu dürfen, worauf wir natürlich nicht verzichten möchten. „Kommt herein, kommt herein! Gerade rechtzeitig, gerade wollte ich Meldung an den Marschall machen.“, empfängt uns Haera,
„Was habt ihr gefunden?“
Bildhaft und theatralisch schildere ich das gefundene, gefallene Schattenportal und die Kreaturen, welche aus seiner Tiefe entspringen, von nichts anderem beseelt als der Lust zu töten... – doch meine Schilderung wird jäh durch Evendur unterbrochen, der sich räuspert, mich sanft zur Seite schiebt und selbst das Wort ergreift: „Hauptmann? Ich denke Ihr könnt lesen.“ Mit dieser Feststellung legt er ihm die im falschen Tempel gefundenen Briefe vor. Haera überfliegt alle drei Schriftstücke und schickt unmittelbar danach jemanden aus, um Marschall Tholl zu informieren.
Wenig später findet sich die gesamte Greifenbrut in der Altsteinhalle, dem Sitz des Fürsten, wieder. Wir fühlen uns reichlich unwohl in unserer zerfetzten, blutigen Kleidung und der geschundenen, teilweise von zahlreichen Wunden übersäten Haut. Nur Garon blickt der Aufwartung gelassen entgegen, mittels eines seiner kleinen Taschenspielertricks, war er in der glücklichen Lage, seine Robe zu flicken und allem einen sauberen, ordentlichen Anschein zu verleihen. Ich knirsche mit den Zähnen, als ich den Lackaffen sehe. Wir werden gebeten in einem Vorzimmer platz zu nehmen, während Port Haera zunächst allein mit dem Marschall redet. Nach wenigen Minuten bittet man uns in die Audienzhalle. Dort treffen wir auf den Fürsten Rotbart, welcher zu beiden Seiten von Kampfmagiern flankiert wird. Neben ihm steht außerdem sein Marschall, der ein hünenhafter Mann ist fast so groß wie Alexander, der seinen Konkurrenten in Sachen Größe misstrauisch mustert. Da sich so etwas nicht in Gegenwart solch hoher Herren schickt, stoße ich den Barbaren an und erinnere ihn flüsternd daran, wo wir sind, wer wir sind und dass er aufhören soll, den Marschall so anzustarren. Zur Antwort bekomme ich nur ein kehliges Knurren. Ich finde den Marschall recht ansehnlich, er macht zumindest eine Menge her, mit seiner runenverzierten Adamantitrüstung, seinem weißen mit einem Drachenwappen bestickten Cape und seiner aufrechten Haltung. Elenya und ich tauschen fachfrauliche Blicke aus und nicken anerkennend.
Zudem flankieren gewiss ein Dutzend Purpurdrachen die Halle, welche wohl der Leibgarde des Fürsten angehören.
„Tretet ein und erzählt abermals, was ihr im Mystratempel erlebt und gesehen habt“, richtet Fürst Rotbart das Wort an uns, „Nehmt platz und wisset, dass Lügen in dieser Halle keinen Platz finden.“ Geschickt nickt er einem bis eben im Hintergrund stehenden Kleriker zu. Elenya raunt uns zu: „So einen Zauber beherrsche ich auch. Unser jeweiliger Gott gewährt uns die Erleuchtung Lüge von Wahrheit unterscheiden zu können und zudem können wir durch unsere von den Göttern gegebene Aura dafür Sorge tragen, dass ein jeder in einem bestimmten Umkreis die Wahrheit sagen muss.“ Evendur erwidert: „Ich für meinen Teil hatte ohnehin nicht vor, die Unwahrheit zu sagen.“
Recht selbstbewusst setzen wir uns und Garon, Alexander und Evendur bedienen sich reichlich am bereitgestellten Essen und Trinken. Währendessen beginne ich unsere Erlebnisse zu erzählen. Während meiner Ausführungen nimmt sich der persönliche Heiler des Fürsten unserer Wunden und Blessuren an.
Ich beginne mit der Erzählung unseres Abenteuers mit dem Verschwinden Amnik Basults, wessen Auffinden für uns eine persönliche Motivation darstellte, den Tempel zu betreten und Nachforschungen anzustellen. Auch die Episode mit Tunaster Dranik, dem echten Mystrapriester lasse ich nicht unerwähnt. Ich erzähle, wie Garon die Falschheit des Mystrasymbols um Shan Thars Hals entlarvte und wie ich mich zu Spionage Zwecken in den Tempel einschleuste. Ich gebe möglichst genau den Wortlaut der Predigten des Sternenwebers wieder. Garon erläutert in einem wissenschaftlichen Diskurs das gefallene Schattentor. Evendur beschreibt unseren Weg durch die Katakomben, bis hin zum unterirdischen Fluss. Ich weise nachdrücklich darauf hin, welche Gefahr dieses Schattentor für Cormyr hat, da den Kreaturen von der Schattenebene ein Zugang in unsere Ebene gewährt wird und sie unser Land überrennen könnten. Evendur klärt die Anwesenden über die Hintermänner dieser Gefahr auf. Zunächst nennt er die Hohepriesterin Lady Arthas, welche hier vor Ort die Macht inne hatte, danach erwähnt er die Hintermänner, welche wir aus den gefundenen Unterlagen entwirrt haben: Esvele und Despayr. Er zeigt dem Fürsten und seinen Beratern zudem das bei Kapitän Mayhir gefundene Kartenmaterial. Elenya schließt unseren Bericht mit dem Hinweis auf die unter einem Bann stehende Frau. Sie spricht die Vermutung aus, der Bann sei durch die magische Kugel hervorgerufen. Fürst Rotbart hält die Kugel hoch: „Wisst Ihr etwas über den Gegenstand?“ „Man sollte sie nicht zu lange halten, wenn man nicht an Shar glaubt.“, antwortet unser Magier. Der Fürst weist einen seiner Kriegsmagier an, den Gegenstand in seiner Stadt zu zerstören. Zudem soll der zweite anwesende Kriegsmagier den Bann von der Frau nehmen. Dieser murmelt einige Worte, welche er durch komplizierte Gesten unterstreicht und deutet schließlich auf das teilnahmslos dastehende Weib, welches kurz blinzelt, um dann zu Boden zu fallen. Alle Augen ruhen auf ihr. Elenya und ich helfen ihr auf. Verwirrt schaut sich die Frau um. Als sie den Fürsten und die Purpurdrachen erkennt, tritt Schamesröte in ihr Antlitz und leise fragt sie: „Was ist geschehen?“ Fürst Rotbart antwortet: „Alles wird sich mit der Zeit erklären, doch nun nennt zunächst Euren Namen.“ „Ich heiße Weera Wavecrest. Ich komme von der Schwertküste. Ich bin...Schiffsmeisterin.“
„Sie lügt!“, donnert einer der Kriegsmagier.
Doch der Fürst winkt ab: „Egal, lasst uns fortfahren. Erzählt weiter.“ Sie berichtet, dass auch sie Gast im Tempel war, bis der Tag kam, an dem Sternenweber Fembrys nach Beendigung des Rituals die Kontrolle über ihren Geist erlangt hatte. Sie fand dies in Ordnung, weil sie ja Einsicht in das große Wissen der Sterne erhalten sollte und ihr Geist ohne Fembrys Hilfe vielleicht nicht bereit für solche Größe wäre. Außer ihr waren noch sieben weitere Reisende im Tempel, unter ihnen auch Amnik Basult, der Bücherhändler. Drei der insgesamt acht Novizen besaßen nicht die magische Gabe – was auch immer das sei – und kamen in der Folterkammer ums Leben. Weera sah keine Schande darin, solange sie unter dem Bann der Kugel und des Rituals stand. Die anderen fünf wurden in Zellen gebracht (sie auch), um auf das nächste Schiff zu warten, was sie nach Osten bringen sollte, zur verlassenen Zuflucht. Es war aber nur Platz für vier Leute und den Kapitän, weswegen Weera gebeten wurde, bis zum nächsten Termin zu warten. Dies alles sei vor acht Tagen gewesen.
Acht Tage! Besorgt werfen wir uns Blicke zu und werden unruhig.
Während Weera Wavecrests Erzählung rauft sich der Fürst die Haare. Schließlich sagt er wütend, dass Weera eine Entschädigung bekäme, und er sich dafür schäme, auf die süßen Einflüsterungen der Lady Arthas hereingefallen zu sein. Zu uns gewandt sagt er: „Ich biete euch einen ruhmreichen Eintrag ins Suzailer Buch der Abenteuer, sowie 50 Platin pro Person im Voraus an, wenn ihr die Personen aus den Fängen der Shar Priester zurückholt, die noch zu retten sind!“ Garon lächelt den Fürsten an und winkt großzügig ab: „Wir wollten ohnehin Amnik Basult aufspüren, der für unser persönliches Schicksal wichtig ist. Die Bezahlung ist von daher nicht so...“ Alexander unterbricht ihn unwirsch, nachdem ich ihn hilfesuchend und zu Garon nickend angeschaut hatte. „Genug geschwafelt. Wir haben noch einiges zu erledigen, bevor wir aufbrechen. Los geht´s!“
Oh Mann! Dieser weltfremde, verwöhnte Magier muss über Verhandlungen wegen Entlohnungen echt noch viel lernen! Ich schlucke ein kleines in mir aufwallendes Zörnchen hinunter und lächele den Fürsten artig an. „Falls Ihr beabsichtigt – wie Ihr angedeutet hattet – den Tempel noch einmal gründlich zu untersuchen, so empfehle ich Euch dringend jemand zum Bannen von Illusionen mitzunehmen, ansonsten könnten wohl einige Eurer Männer Blessuren davon tragen, weil sie gegen Wände rennen.“ Elenya und ich grinsen verschwörerisch, doch ein wütender Blick Alexanders, dem diese Spitze gegolten hatte, reicht aus, uns das Vergnügen für heimlichere Momente aufzusparen. „Apropos Magie bannen“, richtet Garon das Wort an Fürst Rotbart, „Wäre es wohl möglich, wegen unserer dringenden Mission eine Ausnahmeregelung bezüglich der Lizenz zum Ausüben von mächtigerer Magie zu erhalten? Wenn Elenya und ich erst bis Suzail reisen müssten wegen der Genehmigung, dann würde kostbare Zeit verstreichen.“ Er unterstreicht seine Frage mit einem höchst bedauernswerten Blick. Ob es der Blick oder die Worte des Magiers waren, oder beides ist letztlich egal, wichtig für uns ist nur, dass der Fürst tatsächlich der Ausnahmeregelung zustimmt. Er fordert den Magus und die Klerikerin auf, einen Antrag zu unterschreiben, welchen er selbst nach Suzail schicken wird. Nachdem die beiden den höchstkomplizierten Antrag ausgefüllt haben, verabschiedet uns der Fürst: „Möge der große Drache über eure Gruppe wachen und sein Segen euch bei euren Taten unterstützen.“
Wir verlassen den fürstlichen Hof.
Ich gehe zu Amniks Schwester, um sie über unsere Nachforschungen zu informieren. Anschließend gehen wir alle in die Stadt, um einzukaufen. Unsere Reise wird uns über Land führen, bis zu einem großen, wenig erforschten Sumpfgebiet, welches wir durchqueren müssen. Entsprechend viele Rationen müssen beschafft werden.
Wir decken uns reichlich mit Tränken, Schriftrollen und neuer Ausrüstung ein. Anschließend gönnen wir uns noch eine letzte erholsame Nacht im Luxus der Zivilisation, bevor wir unsere Expedition in die Wildnis antreten.