Epilog
Sommer Das Jahr der Visionen 731 TZ Chondathan
Beinahe zärtlich streiche ich die Konturen des hölzernen Einbandes meines Zauberbuches nach. Es zeigt mein arkanes Siegel, das Gesicht einer lachenden Katze mit zwei spitzen Zähnen und mit halbkreisförmig geschlossenen Augen. Ein Siegel, wie es wohl nur eine so junge Frau wie ich kreieren würde. Es ist das Zeichen dafür, dass ich die hohe Kunst der Magie soweit gemeistert habe, dass ich meinen Weg nun ohne Lehrer beschreiten kann. Ich knickse ein weiteres Mal von Direktor Lewarn und der übrigen Prüfungskommission, die aus den Kollegiaten Meister Repp und Meister Kessev besteht. Dann drehe ich mich und werfe meinen Hut in die Reihen der übrigen Scholaren, welche heute ihre Prüfung abgelegt haben. Ich habe es geschafft! Die Prüfung mit zwei Zaubersternchen bestanden. Und das in dreieinhalb Monaten. Es scheint wohl, dass ich eine große natürliche Begabung für die Kunst und das Verständnis des Gewebes habe. Auch wenn ich das alles in arkane Formeln packen muss und nicht so locker flockig wie Xana mit Zaubern um mich werfen kann.
Die Zeremonie endet schließlich und wir Scholaren brechen ein weiteres Mal in Jubel aus. Die letzten Monate sind wahrlich wie im Flug vergangen. Es ist, als wäre es gestern gewesen, dass ich zum ersten Mal die graue Robe der Scholaren mit dem aufgenähten fünfarmigen Kerzenständer angezogen und dann einen der Unterrichtsräume betretet habe. Ein Podest in der Mitte für den Lehrer, Stehpulte für die Schüler im Halbkreis. Das Kollegiat an sich ist hat eine viel größere Ausdehnung, als es von außen eigentlich sein kann. Unterrichtsräume, Labore, Unterkünfte und Bibliotheken reihen sich auf und sind für ein Vielfaches an Schülern, Lehrern und Mitgliedern ausgelegt, als das Kollegiat heutzutage wirklich beherbergt. Die Schule ist noch in der alten Heimat gegründet worden, aber erst nach der großen verschlingenden Flutwelle der elfischen Hochmagier. Seit vierhundert Jahren hat sie nun den Sitz auf diesem Berg. Vor Jahrhunderten waren es wohl noch Dutzende von Schülern hier, die vier Schlafräume haben jeweils Platz für zwanzig Betten, könnten aber durchaus noch mehr aufnehmen. Allein der große Saal für die Versammlungen könnte hunderte Leute fassen, die heutige Anzahl verliert sich aber in dem großen weitläufigen Saal. Vierzehn Scholaren waren wir, etwas weniger als zwanzig Kollegiaten leben, lehren und forschen hier. Es gibt noch drei Direktoren und ein paar Bedienstete.
Der Frauenschlafsaal beherbergte mit mir gerade mal fünf Frauen. Sie sind alle etwas älter als ich und aus vermögenden Häusern. Aber Dank Mili konnte ich das Eis schnell brechen. Mein Töchterchen ist ja auch zu süß. Leider ist sie das einzige Kind hier und war oft alleine die letzen Monate. Vielleicht zu oft. Mit Meister Kessev, einem meiner Lehrer, hat sie sich zwar etwas angefreundet, aber das ersetzt keinen gleichaltrigen Spielkameraden. Sie ist es ja gewöhnt sich mit sich selbst zu beschäftigen, ich habe ihr auch einen kleinen Schaukeldrachen gekauft und ein paar andere Spielzeuge. Aber dieser Ort ist irgendwie düster, weiträumig und still. Geräusche tragen hier nicht weit. Man kann normal reden und hört auch ohne Probleme, wenn man sich normal gegenüber steht, aber es ist unmöglich, etwas zu verstehen, was in einem Gang zehn Meter weiter jemand schreit. Als Mili schließlich anfing, sich mit imaginären Freunden zu umgeben, war es für mich an der Zeit, etwas zu tun.
Glücksbote Ryan hat in seinem Tempel einen kleinen Kindergarten gegründet, wo Kinder unter Aufsicht spielen, toben und lernen können. Inzwischen haben wir beide auch ein paar Tymora gefällige Puppentheaterstücke ausgearbeitet, welche Kindern große Freude bereiten und die Lehre der Göttin gut transportieren. Mein Stück war die Reise des mutigen Händlers, der risikobereit eine Abkürzung durch einen Pass nimmt, auf dem von einem Beshabapriester gedungene Orks auf Beute lauern. Aber die Göttin lächelt auf all seinen Wegen und ihm gelingt es die Orks auszutricksen und so den Pass zu überqueren. Natürlich macht er dadurch dann ein Vermögen und dreht den anderen Händlern, die nun durch den langen Umweg zu spät kommen, die Nase. Ryan hat auch ein Stück geschrieben, welches seinen Kampf gegen den gemeinen Beshabapriester zum Inhalt hat. Glücksbote Ryan von Tymora ist ja inzwischen so was von sich überzeugt, dass er teilweise richtig arrogant wirkt.
Am Anfang war Mili sehr zurückhaltend im Hort gegenüber den anderen Kindern. Man musste sie immer ermuntern, mitzumachen. Zum einen, weil sie eben meist alleine spielt, zum anderen, weil sie fast das jüngste der ganzen Kindern ist. Es ist zwar etwas besser geworden, aber sie ist immer noch schüchterner als es ihr wirklich gut tut. Glücksbote Ryan hat mich deswegen schon mehrmals darauf angesprochen, und zwar so, dass es mich nervt und mir auch etwas wehtut. Ich bin keine schlechte Mutter! Ich liebe mein Kind und alles was ich tue, mache ich auch dafür, dass es Miliandra mal viel besser geht. Aber im Grunde hat er recht, das Kollegiat ist kein guter Ort für Kinder. So kaufte ich mir eine genügsame Stute namens Pferdchen, mein Töchterchen durfte sich einen Namen für die Stute ausdenken und das war ihre Wahl, um Mili jeden Morgen vor dem Unterricht in die Stadt zum Tymoraschrein zu bringen und sie am Abend wieder abzuholen.
Meine Studien fielen mir sehr leicht, die Kunst liegt mir wohl einfach. Das Manipulieren des Gewebes war mir wohl schon in die Wiege gelegt worden und anhand der arkanen Formeln kann ich es nun meinem Willen unterwerfen und umformen. Das Gewebe umgibt uns nicht nur, wir sind Teil davon. Man muss nur seine Begabung zur Kunst erheben und es manipulieren. Es war ein erhebendes Gefühl, als ich zum allerersten Mal mit einem Zaubertrick und einem Fingerschnippen eine Kerze angezündet habe, allein dadurch, dass ich wollte, dass der Docht brennt. So langsam verstehe ich, warum es in den Geschichten so viele machthungrige Magier gibt. Die Kunst macht süchtig. Allein der Wille und die Gabe zur Manipulation des Gewebes anhand einiger Formeln reicht, um etwas zu bewirken. Das ist Macht, es berauscht einen, macht einen süchtig nach mehr. Stärkere Zauber, andere Anwendungsgebiete. Am Anfang konnte ich nur die ganz kleinen Zauber beherrschen, inzwischen sind es schon einige mehr und auch stärkere. Ich kann einen unsichtbaren Diener herholen, der mir den Rücken schrubbt oder etwas sauber macht, einen Riss in Milis Kleidung näht oder was auch immer. Es ist einfach wunderbar, zaubern zu können!
Das wurde mir besonders klar, als ich vor gar nicht so langer Zeit Mili vom Kindergarten des Tymoratempels abgeholt habe. Meine Kleine saß mit hochrotem Gesicht Rotz und Wasser heulend in einer Ecke, vor ihr die zerbrochene bunte Ente auf Rollen zum Hinterherziehen, die sie von mir zum zweiten Geburtstag bekommen hatte. Beim Balgen waren zwei Jungen auf die Ente gestürzt und hatten sie zerbrochen. Quack, so nennt Mili ihr Lieblingsspielzeug, war dem Aufprall nicht gewachsen gewesen und lag nun in mehreren Trümmern vor ihr auf dem Boden. So aufgelöst habe ich meine Kleine noch nie gesehen. „Quack kaputt! Mama mach ganz!“, flehentlich hielt sie mir ein Trümmerstück entgegen. Das konnte ich leider jetzt nicht, aber ich hatte einen Zauber gerade erst heute gelernt, der so was ausbessern könnte. Leider hatte ich ihn schon zur Übung am Nachmittag gewirkt, aber morgen würde ich ihn mir noch mal einprägen und dann auf Quack anwenden. Ich kriegte Mili soweit beruhigt, dass sie mich die Überreste ihres heiligen Lieblingsspielzeugs aufsammeln ließ und ich setzte sie dann vor mir aufs Pferd. Den ganzen Weg über schniefte mein armes, trauriges, kleines Töchterchen ganz erbärmlich.
Am nächsten Morgen stand ich früh auf und prägte mir den Zauber so oft ein, wie ich konnte. Auf dem Arbeitstisch breitete ich die Bruchstücke aus und sprach die notwendigen arkanen Worte „Füge zusammen, was zusammen war.“ Mit meinen Händen vollführte ich Bewegungen in der Luft über dem Tisch, als ob ich die Bruchstücke zusammenfügen würde. Und tatsächlich fügte die Kunst die zerbrochene Quack Stück für Stück wieder zusammen. Und ich musste den Zauber mehrmals sprechen, aber dann stand Quack in dem Zustand vor mir, wie ich sie gekauft hatte. Meine Kleine war ganz aus dem Häuschen, als ich sie dann weckte und ihr Quack zeigte. Sie konnte es zuerst gar nicht fassen. Streichelte das Spielzeug und beäugte es kritisch von allen Seiten. Aber dann quietschte sie laut auf, setzte Quack auf den Bogen und zog ihn hinter sich her, bei jedem Wippen der Ente ein lautes „Quack!“ ausstoßend. Sie zeigte jeder meiner Mitbewohnerinnen, dass ihre Ente wieder ganz sei. In dem Moment wusste ich, dass Magie zu lernen eine gute Sache war, denn mit Magie hatte ich ein Mädchen unendlich glücklich gemacht.
Spaßmacher, die freche Fee, die wir einst aus dem Myrkultempel befreit haben und die unsere Freundlichkeit mehrmals auf gemeinste Art zurückgezahlt hat, ist immer noch in dem Glas, in dem ich ihn bekommen habe. Der kleine Kerl ist frech und uneinsichtig wie eh und je. Ich habe beschlossen, ihn solange da drin zu lassen, bis er einsieht, dass Scherze, die andere in körperliche Gefahr bringen, nicht akzeptabel sind, sondern nur unglaublich fies sind. Aber bis jetzt beharrt er auf seinem Standpunkt, dass alles erlaubt ist, was ihm Spaß macht. So was auch!
Jeden Abend habe ich auch ein oder zwei Seiten aus den Aufzeichnungen von Luvius dem Schneider übersetzt, die wir gefunden haben. Am Anfang ist wohl eine Abhandlung über seinen Werdegang, vom unbescholtenen Händler, der aus wirtschaftlicher Not zum Schmuggler wurde, der dann eine Schutztruppe aufstellte, um es mit Gruppen schutzgelderpressender Gangster aufzunehmen. Er besiegte diese Gruppen und übernahm selbst das Geschäft. Daraus wurde dann die Diebesgilde. Er führte sie mit harter Hand, auch wenn er gerne einen anderen Stil drauf gehabt hätte. Aber nur mit Härte konnte man sich in so einer Umgebung durchsetzen. Im zweiten Drittel wird es dann für mich interessanter. Hier findet er dann das Zwergengewölbe mit dem Schrein und Grabmal. Und wie er es für seine Interessen nutzt. Und wie er auf eine Hinterlassenschaft von einem gewissen Halblingsmagier mit dem Namen Haparius stolpert, wovon besonders ein Gegenstand interessant ist. Leider ist die Stelle, wo der Gegenstand benannt wird, offen gelassen.
Ich kann nicht erkennen, ob Luvius das selbst war, oder ob jemand das gelöscht hat. Das Papier sieht jedenfalls intakt aus, da hat keiner dran rumgeschabt oder was übermalt. Ab diesem Eintrag wird es dann konfus. Die Lücken häufen sich und ich kann mir bald gar nichts mehr zusammenreimen. Ich glaube nicht, dass Luvius das war. Jemand hat sich daran zu schaffen gemacht und gewisse Passagen und Wörter gelöscht. Aber wer macht so was? Warum nicht gleich das ganze Buch verschwinden lassen? Oder war das nicht möglich?
Der einzige Begriff ist noch, „die längste Nacht“. Damit kann ich nichts anfangen. Wie gut, dass unser Kollegiat so eine gute Bibliothek hat. Allerdings ist die für Scholaren nur begrenzt zugänglich. Da ich noch so meine Probleme mit magischen Fallen habe, lasse ich es auch wohlweißlich sein, da einzubrechen. Es gibt einige Abhandlungen über Magier in der Geschichte und Halblingsmagier sind eine gewisse Kuriosität. Aber Haparius kommt nirgendwo vor. Über „die längste Nacht“ finde ich viel und nichts. Kalendarisch gibt es eine längste Nacht, die obendrein noch ein hoher Shar Feiertag ist. Auch haben die ein Ritual, das sich ähnlich schimpft. Aber das ist wohl nicht damit gemeint. Wortwörtlich Finsternis!
Auch Renya kann damit gar nichts anfangen, als ich sie darauf anspreche. Also hinterlasse ich eine Nachricht an der Wächterstatue und treffe mich mit Karn. Er hört mir interessiert zu, kann sich aber leider auch keinen Reim drauf machen. Ich frage noch mal nach, ob es möglich wäre, seiner Gilde beizutreten. Er sagt schon mal nicht nein, meint aber, dass er auf mich zurückkommen würde. Das kann alles und nichts bedeuten.
Irgendwie vermisse ich meine Freunde von der Schatzjagd. Na ja, bis auf Lia eben. Die hat mich ja am Ende so was von enttäuscht. Es war schon keine gute Sache, wie das mit dem Buch abgelaufen ist. Glücksbote Ryan hat ja zum Glück das Schlimmste verhindert. Lia ist auch aus der Stadt verschwunden. Dolon ist ebenfalls weg, hat eine Soldkompanie begleitet, die etwas im Norden bei den Scheusalen und deren Hilfstruppen aufräumen, die immer noch versprengt in Cormanthor für Unheil sorgen. Mit Glücksbote Ryan habe ich noch am meisten Kontakt, da ich ja regelmäßig den kleinen Tempel meiner Schutzgöttin besuche, auch wegen unseres gemeinsamem Projekts mit dem Puppentheater und des Horts, wo Mili sich tagsüber nun aufhält. Xana sehe ich ab und zu an ihrem Stand, als ob sie damit zufrieden wäre, wieder ganz die liebe Tochter und Verkäuferin zu sein. Mit Serenius hat sie inzwischen angebandelt und die beiden sind dabei, ein Paar zu werden.
Zum letzten Mal habe ich den ganzen Haufen gesehen, als wir die magischen Gegenstände aufgeteilt haben, die wir erbeutet haben. Es ging überraschend friedlich vonstatten. Ich hab mir die Handschuhe der Zerstörung gesichert, die den Schaden einer Waffe bei besonders guten Treffern steigen können, indem man dann „Töte!“ sagt. Dann das Heiligenbildchen von Maske, welches einem Glück bringt, wenn man eine fiese Falle entschärft und das von Windsturm, welches einem Glück bringt, wenn man waghalsige Manöver macht. Mit Lia habe ich Larnas beschlagene Lederrüstung gegen das Mithralkettenhemd getauscht, das mir in Zukunft mehr bringen wird, besonders da ich es im Kollegiat noch verzaubern lassen habe, gegen eine horrende Summe von eintausend Goldmünzen und einem Gefallen. Auch habe ich mir noch einen Trank gesichert, der mich vor bösen fiesen gemeinen Kreaturen beschützt.
Schlachtenrufer Dolon hat den Taktikhelm bekommen, welcher ihm und all seinen Freunde im Kampf hilft, mehr Kampfkraft aus flankierenden Manövern zu ziehen. Auch hat er die Blitzhandschuhe bekommen, welche einen Gegner mit Blitzen überschütten können.
Xana hat sich das Meteormesser geschnappt, eine magische Waffe ist, die explodieren kann, aber wieder intakt zum Werfer zurück kommt. Dazu noch den Resistenzumhang und das Heiligenbild des Jergal, welches einen besser Geschossen ausweichen lassen soll. Und dann noch einen Trank, welcher vor Angriffen schützt.
Glücksbote Ryan hat den Ring der flüchtigen Weihe und die Armschienen bekommen, welche einmal am Tag erlauben, noch mal zuzuhauen. Und aus alter Beute noch einen Trank, der vor Feuer schützt.
Lia bekam die Landeschuhe und die beschlagene Lederrüstung. Die Assassinenpeitsche und den kalt geschmiedeten Hammer haben wir gut verkaufen können. Ich habe mir zwar irgendwie mehr erwartet, aber im Großen und Ganzen bin ich zufrieden. Immerhin habe ich jetzt ein paar wirklich hübsche magische Gegenstände, wie die Helden aus den Geschichten. Und ich habe damit meine Ausbildung bezahlt. Und wer zaubern kann, ist immer im Vorteil. Mal sehen, was die Zukunft bringt. Denn wer wagt, gewinnt!
Ende der Chroniken der Kundschafterin
Kaira kommt wieder in:
Der Test der Zeit
Chroniken der Ungesehen Seherin