Eines der größten Probleme, die ich bei D&D inzwischen als für mich unerwünscht identifizieren konnte, besteht darin, dass die Komplexität bei D&D an der falschen Stelle liegt: Nämlich bei Charaktererschaffung bzw. -entwicklung. Da präsentiert man schon ein Kampfsystem, für das Visualisierung in Form einer Battlemap ausdrücklich empfohlen wird und suggeriert damit "Taktik", aber im Endeffekt sehen 90% aller Begegnungen dann ziemlich gleich aus und von Taktik fehlt während des eigentlichen Spiels oft jede Spur.
Tiefgreifende Systemkenntnis braucht man nur für die Erstellung effektiver Charakterkonzepte, am Spieltisch fährt man dann meist Schema F und am Ende gewinnt der mit dem besseren Konzept bzw. mit mehr Glück beim Würfeln. Es kommt viel mehr darauf an, welche Völker, Klassen und Talente man wie kombiniert, als darauf, welche Entscheidungen man am Spieltisch selbst von Runde zu Runde trifft. Wenn man das Charakterkonzept als die auf einen längeren Zeitraum ausgelegte Strategie betrachtet, könnte man sogar sagen, dass es in D&D viel Strategie aber kaum Taktik gibt.
Tatsächlich ist die Erstellung solcher Strategien (a.k.a. Konzepte) schon ein Spiel für sich und kann wirklich Spaß machen, mir persönlich fehlt aber der Kick wenn alle wirklich relevanten Entscheidungen längst getroffen sind, wenn ich dem großen roten Drachen dann letztendlich gegenübertrete. Denn ehrlicherweise muss man gestehen, dass man im Kampf selbst selten vor wirklich harte Entscheidungen gestellt wird, und wenn man einen bestimmten Gegner nicht besiegen kann, dann liegt das entweder am Würfelpech, oder daran, dass man z.B. nicht gut genug trifft, um die hohe AC des Gegners zu schlagen (bevor dieser den eigenen Charakter zerlegt). Man kann zwar an diesen Wahrscheinlichkeiten auch im Spiel noch drehen (über Zauber, Items, usw.) allerdings sind diese Modifikatoren im besten Fall das Zünglein an der Waage und meist eher zu vernachlässigen.
Demgegenüber gibt es zwei dicke Faktoren, die über Erfolg und Scheitern bestimmen, und das ist eben einmal das Würfelglück und zum anderen die Wahl von Talenten, Zaubern, PrCs usw. Die Faktoren, die erst zur Spielzeit in Kraft treten taugen in der Regel gerademal dazu, die doch recht hohe Varianz des d20 abzufedern, und somit im Endeffekt das Charakterkonzept vom Zufall zu entkoppeln.
Deswegen wünsche ich mir nach wie vor das Gleiche wie schon in einem anderen Thread genannt: Ich will nicht unbedingt dass D&D einfacher wird, sondern, dass die Komplexität an einen anderen Schwerpunkt verlagert wird. Ich will am Spieltisch, wenn ich mich mit meinen Freunden treffe, mitten in der Hitze des Kampfes die wirklich relevanten Entscheidungen treffen, und nicht wenn ich zu Hause am Reißbreitt mein Charakterkonzept erstelle.
Ich habe es noch nicht selbst ausprobiert, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Problematik mit jedem Splatbook verschärft wurde, denn je mehr Optionen für den Aufbau des Charakters bereitstehen, desto stärker kann ich schon zur Entwurfszeit an den Wahrscheinlichkeiten drehen. Insofern lehne ich mich vielleicht weit aus dem Fenster wenn ich sage: Core Only ist nicht für Puristen, es ist einfach das bessere Spiel.
Dabei denke ich gerade auch an den vom Raben genannten Metagameaspekt. Bei der unglaublichen Vielfalt an Optionen ist es schier unmöglich, die Aktionen des Gegners vorherzusehen. Dadurch wird es leider auch schwerer, Entscheidungen auf Basis einer Situationsanalyse zu treffen. Im Zweifelsfall entscheidet man sich (um das Beispiel des Nahkämpfers zu wählen) für die Full Attack und ignoriert andere Optionen die stärker von den Aktionen und Eigenschaften des Gegners und/oder der eigenen Verbündeten abhängen. Wer mir an dieser Stelle Quärulantentum und Schwarzmalerei unterstellt, kann das gerne tun, aber meine Erfahrung zeigt, dass fast jeder Spieler im Kampf das immer gleiche Schema abspult.
Das bedeutet für mich aber im Endeffekt, dass D&D auf lange Sicht wohl nicht mehr mein Lieblingssystem bleiben wird, da ich durchaus wetten würde, dass ein derartig radikaler Paradigmenwechsel niemals stattfinden wird. Die zwölf Punkte lassen zumindest keine Vermutung zu, dass man in diese Richtung etwas unternehmen wird - obwohl ich einen Großteil dieser Punkte unterschreiben würde. Ich werde demnächst mal eine Recherche starten, ob es vielleicht doch irgendwo ein Regelwerk gibt, dass mir gefälllt. Es sei denn jemand hier im Forum hat genau das, was ich suche