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Autor Thema: Cthulhu: Das Sanatorium  (Gelesen 36719 mal)

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Sirius

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Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #15 am: 03. März 2008, 11:18:20 »
Ich sage D - Henry Tiller.
Dass er so lange Zeit alleine mit der Patientin verbracht hat, könnte eine typische NSC-Beschäftigungsmaßnahme sein, damit er den Spielern bei der Erkundung des Sanatoriums nicht ständig über die Füße stolpert.

Lily Weg

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Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #16 am: 03. März 2008, 18:07:00 »
Stimme Sirius zu, selbe Begründung :)

Halvar

  • Mitglied
Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #17 am: 05. März 2008, 09:04:00 »
Okay, das war wohl zu einfach... :wink:

Ihr habt Recht: Es ist Dr. Tiller. Der SL hat ihn nicht ohne Grund eingeführt, denn von uns Spielern hat niemand einen Charakter gemacht, der sich auch nur ansatzweise mit Psychologie auskennt, was für dieses Abenteuer - wie man sich leicht vorstellen kann - sehr nachteilig gewesen wäre.

Die Frage habe ich auch absichtlich so früh gestellt, denn ab dem nächsten Teil wird die Sache ziemlich offensichtlich.
Take me out to the black, tell 'em I ain't comin' back.

Halvar

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Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #18 am: 05. März 2008, 09:18:26 »
Teil 5: Das Erdgeschoss

Fortsetzung Session 06.10.2007

Abgesehen von Dr. Tiller, der sich weiter in der Bibliothek mit den Patientenakten beschäftigen wollte, versammelten wir uns vor der Tür zum Patiententrakt im Erdgeschoss. Ich machte meine Doppelbüchse bereit und Lady Gordon suchte den passenden Schlüssel an dem Bund, das wir in Dr. Brewers Büro gefunden hatten, drehte ihn vorsichtig im Schloss herum und drückte die Klinke herunter. Während wir in der Erwartung, gleich von einem Patienten oder dem Mörder angefallen zu werden, den Atem anhielten, öffnete Lady Gordon leise die Tür.

Der Anblick, der sich uns bot, glich dem im ersten Stock: Ein von heruntergedrehten Öllampen schwach erleuchteter Gang, am gegenüber liegenden Ende die verstärkte Tür, die in die uns bereits bekannte Waschküche führte. Auch hier befanden sich wieder mehrere Türen an den Wänden, von denen einige offen standen, außerdem konnten wir erkennen, dass der Gang sich direkt hinter dem Eingang rechterhand fortsetzte und zu einem kleinen Raum öffnete, in den uns momentan jedoch noch der Blick verwehrt war. Es herrschte Totenstille.

Nach einigen Sekunden gespannten Wartens wagten wir uns den ersten Schritt vor und warfen zuerst einen Blick in den Raum, der sich rechterhand öffnete. Dort befanden sich ein Schreibtisch und ein Stuhl, auf dem einer der Pfleger saß. Es dauerte einen Moment, bis ich realisierte, was an diesem Bild nicht stimmte: Der Stuhl des Pflegers war zum Fenster hin gedreht, also von uns weg, nichtsdestotrotz starrte er uns mit leeren Augen an - sein Kopf war vollständig nach hinten gedreht. Wieder einmal verspürte ich Lust, schreiend davonzulaufen. Auch den anderen ging dieser erneute Leichenfund nahe, wie ich an den bleichen Gesichtern erkennen konnte, jedoch behielten glücklicherweise alle die Fassung. Wahrscheinlich waren wir inzwischen abgestumpft genug, um solche Bilder besser ertragen zu können - ich weiß es nicht.

Direkt gegenüber des toten Pflegers, in der linken Wand des Ganges befand sich die erste geschlossene Tür. Da sie keine Kennung als Patientenzimmer trug, erwarteten wir hier keine Gefahr, und tatsächlich erwies sich der dahinter liegende Raum als Abstellkammer. Eine ähnliche geschlossene und nicht gekennzeichnete Tür in der rechten Wand des Ganges verbarg einen geräumigen Putzschrank mit Waschbecken. Beide Räume waren fensterlos.

Nun näherten wir uns jedoch der ersten offenen Tür auf der linken Seite, bei der es sich um eine Sicherheitstür handelte, und welche die Kennung "E1" trug - das Zimmer von Blanche. Vorsichtig lugten wir hinein und schauten in einen kleinen, aber gemütlich eingerichteten Raum, dessen Mobiliar aus einem großen Schrank mit integriertem Schreibtisch, einem Sofa und einem Bett bestand. Das Zimmer war sogar mit einem eigenen kleinen Badezimmer samt Toilette und Duschkabine ausgestattet. Das einzige, das die heimelige Atmosphäre etwas störte, war das vergitterte Fenster. Blanche war auch da: Sie lag auf dem Bett und schlief. Auf dem Schreibtisch entdeckten wir ein weiteres Schlüsselbund, das Blanche offenbar benutzt und dann dort abgelegt hatte.



Nach kurzer Absprache schlich ich mich ins Zimmer hinein und konnte das Schlüsselbund an mich nehmen, ohne Blanche zu wecken. Als ich mich jedoch umdrehte, um mich wieder leise aus dem Raum heraus zu bewegen, musste sie etwas bemerkt haben: Plötzlich schreckte sie hoch und stieß einen Schrei aus. Ich stürzte aus dem Zimmer und schlug die Tür zu, die man ja so glücklicherweise nur von außen öffnen konnte. Im Nu war Blanche an der Tür und trommelte mit ihren Fäusten gegen das Holz. "Lasst mich raus!", schrie sie dabei mehrere Male hysterisch. Wir suchten den passenden Schlüssel heraus, schlossen die Tür sicherheitshalber auch noch ab, und atmeten erst einmal erleichtert auf: Falls Blanche tatsächlich die Mörderin war, dann saß sie jetzt in der Falle! Wir hofften nur, dass der Lärm niemanden sonst geweckt hatte.

Mit Schlüsselbund und Elefantenbüchse bewaffnet näherten wir uns der schräg gegenüber liegenden Tür, welche die Kennung "E4" trug und somit von dem uns noch unbekannten Patienten namens "Henry Adam Barber" bewohnt sein musste. Auch dieses Zimmer war ähnlich gemütlich eingerichtet und ausgestattet wie das von Blanche. Auf dem Bett, das sich von der Tür aus gesehen rechterhand befand, lag eine Gestalt. Als wir vorsichtig in das Zimmer hinein leuchteten, hob sie den Kopf und zischte: "Verschwinden Sie! Und machen Sie gefälligst die Tür zu, bei dem Krach kann ja kein Mensch schlafen!"

Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Wir zogen die Tür zu und schlossen sie ab, dann wandten wir uns wieder dem Gang zu. Als nächstes folgte auf der linken Seite das Patientenzimmer "E2", in dem laut den Akten Colonel Billings untergebracht sein sollte. Tatsächlich saß er dort auch in einem Rollstuhl und starrte aus dem Fenster in die Dunkelheit. Ich stellte mich vor ihn und begrüßte ihn, überglücklich, dass er offenbar unversehrt war. Leider reagierte er überhaupt nicht auf mich und starrte nur durch mich hindurch, als wäre ich unsichtbar. Als ich mich mit vollem Rang und Namen vorstellte und vor ihm salutierte, schien er kurz aus seinem Dämmerzustand zu erwachen - er hob den Kopf und schaute mich an. Dann jedoch riss er auf einmal beide Arme in die Höhe und schrie: "Zum Angriff!"



In diesem Moment erst bemerkte ich, dass sich Colonel Billings völlig eingenässt hatte. Mich überkam eine tiefe Betroffenheit und Trauer. Das war also aus dem Mann geworden, den ich während meiner Ausbildung schätzen gelernt und dem ich meine gesamte militärische Laufbahn zu verdanken hatte: ein sabbernder Greis, der nicht mehr alleine auf die Toilette gehen konnte. Ich war mit der Hoffnung hierher gekommen, dem Colonel noch irgendwie helfen zu können, vielleicht indem ich ihn wieder an ein paar alte Geschichten erinnern würde, aber wie sollte das bitte funktionieren, wenn er nicht in der Lage war, sich auch nur auf einfachste Weise zu artikulieren und wahrscheinlich noch nicht einmal verstand, was man ihm sagte? Mit einer Mischung aus Mitleid und grenzenloser Enttäuschung führte ich Colonel Billings ins Badezimmer, wusch ihn ab und wechselte seine Hosen. Als ich das Bad wieder mit ihm verließ, hatte irgendjemand den Rollstuhl gesäubert und den Boden aufgewischt. Wir legten den Colonel auf sein Bett, deckten ihn zu und ließen ihn schlafen. Dann verließen wir das Zimmer und schlossen die Tür ab.

Ich versuchte, mich wieder zusammenzureißen - hier warteten schließlich noch ganz andere Dinge, zum Beispiel die letzte noch verbliebene Patientin. Wir folgten weiter dem Gang bis zur nächsten Tür auf der rechten Seite: "E5" - laut Akten das Zimmer von Mrs. Cecil Randolph. Noch während wir uns der Tür näherten, ertönten auf einmal Schreie aus dem Raum - eine weibliche Stimme schrie um Hilfe. Wir stürmten die letzten Meter bis zur Tür, da kam uns die Patientin auch schon völlig panisch entgegen. Sie schrie irgendetwas von Fledermauswesen, die sie vor ihrem Fenster gesehen haben wollte. Wir redeten zunächst beruhigend auf die Frau ein, dann führten wir sie zurück in ihr Zimmer. Ich ging ans Fenster und sah nichts als Dunkelheit. Zum Glück konnten wir die Frau beruhigen und schlossen sie schließlich ebenfalls ein.



Das letzte Patientenzimmer, "E3", enthielt dann tatsächlich nur noch ein Bettgestell, wie nach den Patientenakten zu erwarten war. Damit hatten wir auch das Erdgeschoss komplett erkundet.

Wir kehrten in die Bibliothek zurück und berichteten Dr. Tiller von unseren Entdeckungen. Dieser merkte an, dass es von äußerster Wichtigkeit wäre, so schnell wie möglich die Patientenakten zu studieren, da die Kranken wahrscheinlich bestimmte Medikamente benötigen würden und ihren Leiden entsprechend behandelt werden müssten. Dem stimmten wir zu, wollten jedoch zunächst eine andere Sache klären: Da wir nur einen Krankenpfleger tot vorgefunden hatten, rätselten wir über den Verbleib des zweiten. Zunächst war da die Frage nach der Identität - um diese zu klären, durchsuchten wir gründlich alle Schlafzimmer im Obergeschoss sowie den Schlafraum im Keller, fanden jedoch keine eindeutigen Hinweise. Eine Merkwürdigkeit fiel uns jedoch dabei auf: In dem Zimmer mit dem Doppelbett, welches wir als jenes von Dr. Brewer vermuteten, befand sich unter dem Bett ein Paar abgetragener Hausschuhe, die eindeutig einer Frau zuzuordnen waren. Wir konnten uns nicht erklären, wem diese Schuhe wohl gehören würden - nach unserem Kenntnisstand war Dr. Brewer Junggeselle.

Mehr Erfolg hatten wir aber zumindest bei jener Dame, die nach wie vor in der Bibliothek saß und beharrlich in ihrem Buch weiterlas. Da wir Mrs. Randolph und Blanche in ihren jeweiligen Zimmern angetroffen hatten, konnte es sich bei ihr nur noch um Darlene handeln, denn weitere weibliche Patienten gab es nicht. So konnten wir auch sie auf ihr Zimmer führen und einschließen - natürlich nicht ohne ihr Buch.

Nach diesen ganzen Aufregungen stellten wir fest, dass uns doch gehörig der Magen knurrte. Wir richteten ein schnell improvisiertes Abendessen her, dann schnappte sich schließlich jeder eine Akte und wir begannen zu lesen - es hätte ohnehin niemand ruhig schlafen können.

Es war kurz nach Mitternacht, als Pater Benedict plötzlich aufhorchte. "Da war irgendwas", sagte er, ging zum Fenster und öffnete es. Jetzt konnten wir es alle hören: Da schrie jemand!

Irgendwo auf der Insel schrie ein Mann um sein Leben.

Fortsetzung in Teil 6: Die erste Nacht
Take me out to the black, tell 'em I ain't comin' back.

Halvar

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Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #19 am: 16. März 2008, 02:45:30 »
Teil 6: Die erste Nacht

Fortsetzung Session 06.10.2007

"Der Ornithologe!", stieß Mrs. Stevens-McCormmick hervor. Als sie in vier fragende Gesichter blickte, ergänzte sie: "Das muss der Ornithologe sein!"

Es vergingen einige Sekunden, in denen jeder darauf wartete, dass jemand anders etwas sagte. Pater Benedict hielt es als erster nicht mehr aus: "Was für ein Ornithologe?"

"Auf der Insel lebt ein Ornithologe", erklärte Mrs. Stevens-McCormmick schließlich. "Er hat ein Zelt auf dem Strand im Norden der Insel und geht dort seinen Forschungen nach. Vielleicht ist er das."

"Jedenfalls braucht er Hilfe", sagte ich und ärgerte mich darüber, dass Mrs. Stevens-McCormmick dieser Ornithologe erst jetzt wieder eingefallen war. Ich griff nach meiner Elefantenbüchse. "Wer kommt mit?"

"Ich", sagte Pater Benedict, dann herrschte Stille. Wie sich herausstellte, war den anderen die Sache zu gefährlich. Sie zogen es vor, weiter die Akten zu studieren.

Nur der Pater und ich? Kurz erwog ich, die anderen aufzufordern, uns zu begleiten, aber das hätte wahrscheinlich nur Diskussionen verursacht, für die jetzt keine Zeit war. Der Pater organisierte sich noch eine Öllampe aus dem Foyer, dann traten wir aus dem Haupteingang, wo uns die stockdunkle Nacht begegnete. Die geringe Leuchtkraft der Öllampe war zwar eigentlich ein großer Nachteil für uns, sorgte jedoch auf der Eingangstreppe dafür, dass dem Pater wenigstens der Anblick von Ebenezers gespaltenem Schädel erspart blieb. Wir folgten den immer heftiger werdenden Schreien hinter das Sanatorium, wo ein Trampelpfad ins Inselinnere zu führen schien.

Wir folgten dem Pfad so schnell es unsere magere Beleuchtung zuließ. "Was ist das?", fragte Pater Benedict plötzlich, und dann sah ich es auch: Am Horizont, vermutlich am anderen Ende der Insel, erhellte ein rötliches Leuchten den Nachthimmel. "Keine Ahnung, vielleicht ein Schiff?", antwortete ich. Wir eilten noch einige Schritte weiter, dann traf der Pfad, auf dem wir uns befanden, in einem 90 Grad-Winkel auf einen anderen Pfad. "Links oder rechts?", fragte der Pater. Die Schreie kamen von uns aus gesehen aus nordöstlicher Richtung, das Leuchten war jedoch in nordwestlicher Richtung zu sehen. "Rechts", antwortete ich, "um das Leuchten können wir uns später kümmern."

Gesagt, getan. Der Pfad beschrieb einen weiten Linksbogen und führte schließlich genau auf die Schreie zu. Wir waren schätzungsweise 100 Meter weit gekommen, als sie erstarben. Wir hielten inne und lauschten - Stille. "Verdammt, was sollen wir jetzt machen?", fragte ich den Pater. Jetzt noch weiter zu gehen, erschien mir zu riskant, da wir nun jederzeit auf den Mörder treffen konnten, ohne vorgewarnt zu sein. Stattdessen würden wir durch unsere Schritte und noch viel mehr durch den Schein unserer Öllampe eher ihn vorwarnen. Pater Benedict sah das wohl ähnlich. "Schauen wir uns das Leuchten an", antwortete er.

Wir kehrten um, eilten den Pfad zurück bis zur Weggabelung und gingen dann geradeaus weiter. Wie sich herausstellte, machte der Pfad einen weiten Rechtsbogen und führte dann genau auf den rötlichen Schein zu. Wir konnten noch erkennen, dass das Leuchten irgendwo auf der Insel seinen Ursprung haben musste, dann wurde es jedoch schwächer und verging schließlich ganz. Wieder waren wir nur etwa 100 Meter weit gekommen. Ich fluchte. Pater Benedict und ich entschlossen uns, zum Sanatorium zurückzukehren, jedoch mit der festen Absicht, die Insel morgen bei Tageslicht einer genaueren Erkundung zu unterziehen. Frustriert berichteten wir den anderen in der Bibliothek von unseren mageren Ergebnissen.

Wenigstens hatten die anderen bereits einige der Akten durchgearbeitet. Lady Gordon hatte die Akte von Blanche gelesen und berichtete nun, dass diese extrem paranoid sei und unter schwerem Verfolgungswahn litt. Andauernd würde sie von ihren drei erwachsenen Kindern sprechen, die hinter ihrem Vermögen her seien. Blanche hatte tatsächlich einmal drei Kinder, jedoch hatte sie diese bereits in jungen Jahren im Wahn ermordet. Grundsätzlich galt Blanche aber im Sanatorium als ungefährlich. Aus den Akten ging hervor, dass sie weitgehende Bewegungsfreiheit besaß und sogar die Schlüssel für die Küche hatte, wo sie auch fleißig aushelfen durfte.

Mrs. Stevens-McCormmick hatte die Patientenakte von Allen Harding gelesen, dem Mann, der sich die Fingerkuppen abgeschabt hatte. Sie konnte uns berichten, dass es sich bei ihm um einen besessenen Lyriker handelt, der als hoffnungsloser Fall eingestuft wurde und unter starken Beruhigungsmitteln gehalten werden musste:

Zitat
Patientenakte Allen Harding



Nach der Veröffentlichung seiner ersten und bisher einzigen Lyriksammlung verschwand Harding spurlos für sechs Monate, die er vermutlich im Alkohol- und Drogenrausch verbracht hatte. Bei seinem Auffinden war er zwar wach, sein Körper befand sich jedoch in einem Starrezustand.

Sein Verstand ist derartig zerüttet, dass eine herkömmliche Therapie unmöglich ist. Durch Hypnose kann man bei ihm jedoch eine andere, fremde Persönlichkeit zutage fördern, die zwar nicht sehr mitteilsam ist, aber wenn sie spricht, dann mit einer sehr tiefen, klugen und einnehmenden Stimme. Sie zieht es vor, keine Fragen zu beantworten, sondern stattdessen Prophezeiungen über die Ankunft von "Ihm, der wartet" zu äußern.

Dr. Tiller schließlich hatte die Akte von Darlene studiert. Er teilte uns mit, dass die Dame nicht nur unter Autismus, sondern auch unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung und einer kompletten, irreversiblen Amnesie litt:

Zitat
Patientenakte Darlene



Darlene wurde aufgegriffen, während sie nackt in der Innenstadt von Boston herumlief. Bis heute ist es nicht gelungen, ihre Identität zu ermitteln, noch nicht einmal ihren Familiennamen.

Herkömmliche Therapien erwiesen sich bei ihr als wirkungslos, unter Einfluss von Hypnose und einer Zusammenstellung verschiedener Drogen öffnet sie sich jedoch. Bei wiederholten Behandlungen erhielt man so Kontakt zu insgesamt 27 Persönlichkeiten, wovon einige nur ein Mal, andere mehrmals auftauchten. Die interessanteste davon ist jene der ägyptischen Prinzessin Annephis, die vor mehr als 3.000 Jahren gelebt haben soll. Als jene zeigt Darlene ein erstaunliches Wissen über das alte Ägypten und sagte sogar die Entdeckung von König Tutenchamuns Grab voraus, nachdem sie in der Zeitung gelesen hatte, dass eine Expedition dieses Gebiet untersuchen wollte.

Da die Aussagen von "Annephis" sich sehr mit jenen von Harding während dessen "besessenen" Phasen und Hawkins während dessen Tobsuchtsanfällen gleichen, wertet Dr. Brewer dies als Beweis für seine Theorie von einem tief verwurzelten Urmythos, der einem kollektiven Unterbewusstsein entspringt.

Die Zusammensetzung des Drogencocktails, mit der man bei Darlene die anderen Persönlichkeiten zum Vorschein bringen konnte, war ebenfalls in der Akte beschrieben. Dr. Tiller sah sich durchaus imstande - vorausgesetzt, die entsprechenden Ingredienzien ließen sich hier irgendwo auftreiben - diesen herzustellen und der Patientin gegebenenfalls zu verabreichen. Ich war sehr zuversichtlich, dass wir die entsprechenden Ingredienzien im Medikamentenraum finden würden, war jedoch auch der Überzeugung, dass wir derartige Experimente nur im äußersten Notfall durchführen sollten. Momentan jedenfalls sah ich dafür nicht den geringsten Anlass, und so hielt ich meinen Mund.

Inzwischen waren alle reichlich müde geworden, jedoch wollte niemand alleine schlafen. In Anbetracht der letzten Ereignisse konnten wir uns keineswegs in Sicherheit wähnen. Wir entschlossen uns zu der etwas unorthodoxen Vorgehensweise, gemeinsam in der Bibliothek zu nächtigen, und zwar abwechselnd, damit immer jemand wach war und gegebenenfalls Alarm schlagen konnte. Zu diesem Zweck holten wir drei Matratzen aus den Schlafzimmern im ersten Stock und legten sie in der Bibliothek aus. Da ich am nächsten Tag relativ früh aufstehen wollte, um die Insel zu erkunden, legte ich mich als erstes hin, während die anderen weiter Akten studierten. Pater Benedict wollte nur noch die Akte von Leonard Hawkins beenden und sich dann auch hinlegen.

---

2. Tag

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lagen der Pater und Mrs. Stevens-McCormmick neben mir und Dr. Tiller hatte sich auf der Couch ausgestreckt. Nur Lady Gordon war noch wach - wie sich herausstellte, hatte sie die ganze Nacht Akten gelesen. Dabei hatten sie noch die folgenden Erkenntnisse gewonnen:

Zunächst hatte Pater Benedict die Akte von Leonard Hawkins beendet und berichtet, dass dieser sich für einen Propheten halten würde und einen enormen Hass auf alle Frauen entwickelt hätte:

Zitat
Patientenakte Leonard Hawkins

Bis zu seinem Zusammenbruch führte Hawkins ein völlig normales Leben. Nachdem er eine Woche lang bewusstlos war, zeigte er nach seinem Erwachen Anzeichen akuter Paranoia und konnte nicht einmal seine Frau wiedererkennen. Während der kommenden zwei Monate erholte er sich jedoch weitestgehend.

Kurz nachdem er wieder angefangen hatte, in seinem Beruf als Buchhalter zu arbeiten, schloss er sich einer Sekte ultra-konservativer Baptisten an. Seine Familie brachte er auch dazu, sich der Sekte anzuschließen, außerdem versuchte er, seine Kollegen zu missionieren. Zwei Wochen später trat er jedoch aus der Sekte aus und begann, auf der Straße zu predigen. Er zog aus seinem Haus aus, verlor seinen Arbeitsplatz und wurde kurze Zeit später festgenommen, nachdem er mehrere Polizisten attackiert hatte.

Seit seine Frau ihn ins Sanatorium eingewiesen hat, schwelt in ihm ein gewalttätiger Hass auf alle Frauen, insbesondere seine Ehefrau. Er predigt weiter von der "Ankunft, derer die warten", ist jedoch nicht bereit, zu verraten, woher er dieses Wissen hat.

Zusätzlich ging aus der Akte hervor, dass sein ursprünglicher Zusammenbruch von einer Kopfverletzung herrührte und er an einer Herzschwäche litt.

Bevor Mrs. Stevens-McCormmick sich hingelegt hatte, hatte sie das Tagebuch von Dr. Brewer durchgelesen und dabei eine interessante, aber auch etwas beunruhigende Stelle gefunden:

Zitat
Auszug aus Dr. Brewers Tagebuch

Hätten Hagen und Allen das gehört, was ich gehört habe, so bin ich sicher, dass sie von ihrem hohen Ross nur so runtergepurzelt wären. Ich bin mir noch nicht sicher, was ich hier genau vor mir habe, aber allein die schiere Macht von H's Stimme unter dem Einfluss der anderen Persönlichkeit ist beeindruckend. Jameson hat in London ein Buch gefunden - ein sehr altes - von dem er sagt, dass es Hinweise auf Dinge enthält, die sowohl H und D erwähnt haben. Er hat mir in seinem letzten Brief versprochen, es mir umgehend zu schicken. Man sagt, dass es sich dabei um die Kopie einer Handschrift handelt, welche im 15. Jahrhundert von einem spanischen Mönch angefertigt wurde. Es sind die fiebrigen Ergüsse eines Irrsinnigen, der von der Inquisition zum Tode verurteilt wurde. Das Buch kam gestern an und ich habe mich ein wenig damit beschäftigt. Das Meiste war scheinbar unverständlicher Unsinn, dennoch hatte Jameson Recht. Jene Seiten, die er freundlicherweise markiert hat, enthielten Zeilen, die mich an die Erzählungen von H und D denken ließen. Manches erinnerte mich auch an die Gespräche mit H. Die Lektüre dieser ausgewählten Seiten ließ mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Es war so, als ob ich H's andere Stimme noch einmal hören würde - etwas, was mich stets hautnah berührt.

Lady Gordon selbst schließlich hatte sich nach Blanches Akte mit sämtlichen Dokumenten des Personals beschäftigt. Demnach handelte es sich bei dem toten Pfleger, den wir im Erdgeschoss an seinem Schreibtisch vorgefunden hatten, um Bobby Birch, und bei dem Pfleger, den wir noch vermissten, um Charles Johnson. Ausgerechnet in der Personalakte von Letzterem hatte sie ein interessantes Schreiben gefunden:

Zitat
Empfehlungsschreiben für Charles Johnson

Sehr geehrter Dr. Brewer

Ich kann Ihnen betreffend Mr. Johnson von ganzem Herzen meine Empfehlung aussprechen. Seine Arbeit in unserer Anstalt war beispielhaft und ich bin sicher, dass er die Arbeit auf North Island zu Ihrer Zufriedenheit erledigen wird. Vielleicht hat er während seiner eigenen Jahre in einer Anstalt ein besonderes Gespür für diese Arbeit entwickelt. Ich konnte beobachten, wie er stets selbst die gewalttätigsten Patienten in den Griff bekam, ohne ihnen unnötig Leid zuzufügen. Natürlich brauche ich wohl kaum hinzuzufügen, dass seine Körpergröße und seine Stärke auch für ihn sprechen.

Merkwürdig war an dem Schreiben nicht nur die ungewöhnliche Handschrift, sondern auch die Tatsache, dass es nicht unterzeichnet und der Verfasser damit für uns nicht zu ermitteln war. Wer bitte setzt ein Empfehlungsschreiben auf und unterzeichnet es dann nicht, und wer bitte akzeptiert ein solches Schreiben? Selbst wenn Dr. Brewer den Urheber der Zeilen vielleicht gekannt hatte - was die persönliche Anrede in dem Schreiben vermuten ließ - so erschien mir dies doch höchst unprofessionell. Die Tatsache, dass dieser Charles Johnson offenbar selbst einmal als Patient in einer Anstalt eingesessen hatte, ließ ihn auch nicht gerade vertrauenswürdiger erscheinen. Wenn man nun noch die Andeutungen auf seine Körpergröße und -kraft hinzunahm, zeichnete sich ab, dass unser wahnsinniger Serienmörder wohl noch frei auf der Insel umherlief. Das gefiel mir ganz und gar nicht.

Wie dem auch sei, Lady Gordon hatte noch etwas anderes zu berichten: Kurz, nachdem ich eingeschlafen war, hatten sie alle gehört, wie ein Geräusch verstummt war, dessen Existenz sie vorher so gar nicht richtig wahrgenommen hatten, da es anscheinend die ganze Zeit schon zu hören gewesen war. So richtig erklären konnten sie es sich nicht, aber es hatte sich um ein leises Brummen gehandelt, das mit einem Mal gestoppt hatte. Nachdem das Geräusch verstummt war, hatten sie festgestellt, dass der Strom weg war, woraus sie schlussgefolgert hatten, dass es sich offenbar um eine Art Generator oder etwas ähnliches gehandelt haben musste. Jedenfalls gab es jetzt kein fließendes Wasser mehr und wahrscheinlich war auch die Heizung aus.

Ich kam zu dem Schluss, dass dies wohl ein Grund mehr sei, um sich die Insel mal etwas genauer anzusehen, und weckte den Pater.

Fortsetzung in Teil 7: Auf Erkundungstour
« Letzte Änderung: 03. August 2008, 21:38:56 von Halvar »
Take me out to the black, tell 'em I ain't comin' back.

Tex

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Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #20 am: 27. März 2008, 16:55:22 »
Sehr schöne Geschichte, Halvar. Wann gibt's mehr?
Ceterum censeo Carthaginem esse delendam

Duty Calls.

Halvar

  • Mitglied
Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #21 am: 27. März 2008, 23:02:31 »
Sorry, ich liege momentan mit einer schweren Grippe flach. Ich denke aber, am Wochenende wird wieder was gehen. :)
Take me out to the black, tell 'em I ain't comin' back.

Halvar

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Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #22 am: 02. April 2008, 18:19:45 »
Officially Approved!

Dieser Thread wurde im offiziellen Cthulhu-Newsletter #101 vom 30.03.2008 als Spieltestbericht für das Abenteuer "Das Sanatorium" verlinkt.

Ich bedanke mich hiermit bei Frank Heller von Pegasus Press für die Veröffentlichung und bei meinem SL für die Bekanntmachung dort, und wünsche natürlich auch allen Lesern, die auf diesem Weg hierher finden, viel Spaß bei dieser Story Hour (und hoffe, dass die Eskapaden der Gateleitung zum 1. April nicht allzu viele potenzielle neue Leser abgeschreckt haben...).

Für mich bedeutet das natürlich einen weiteren Ansporn und ich verspreche, dass ich mich in den nächsten Tagen wieder mehr reinhängen werde. Teil 7 folgt in der kommenden Nacht.
Take me out to the black, tell 'em I ain't comin' back.

Halvar

  • Mitglied
Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #23 am: 03. April 2008, 03:43:06 »
Teil 7: Auf Erkundungstour

Fortsetzung Session 06.10.2007

Pater Benedict wollte sich gerade frisch machen, als wir einen gellenden, panikerfüllten Schrei aus dem Obergeschoss vernahmen. Mrs. Stevens-McCormmick und Dr. Tiller schreckten aus dem Schlaf und wir stürmten nach oben. Wie sich herausstellte, kam der Schrei aus dem Zimmer, in das wir Melba Carson, das Zimmermädchen aus der Waschküche, gebettet hatten. Offensichtlich war sie erwacht. Als wir die Tür in ihr Zimmer aufrissen, lag sie starr auf dem Bett, Mund und Augen weit aufgerissen, die Hände an ihre Brust gekrallt. Dr. Tiller konnte nur noch ihren Tod feststellen. "Vermutlich ein Herzinfarkt, der durch eine Panikattacke ausgelöst wurde", stellte er nüchtern fest.

Deprimiert über diesen neuerlichen Todesfall stiegen wir die Stufen ins Foyer wieder hinab. "Was sollen wir jetzt machen?", fragte ich. "Nun, zunächst einmal müssen wir die Patienten versorgen", antwortete Dr. Tiller. Wie sich herausstellte, hatte niemand von uns Erfahrung im Umgang mit Kranken oder verstand etwas von deren Pflege. Wir entschlossen uns daher, Blanche aus ihrem Zimmer zu befreien - vielleicht könnte sie uns wenigstens in der Küche behilflich sein, da sie dies laut ihrer Akte ja früher auch schon getan hatte. Ich lud meinen Colt und folgte Dr. Tiller in den Patiententrakt, die anderen warteten derweil in der Bibliothek, um die Dame nicht allzu sehr zu beunruhigen.

Als Dr. Tiller die Klappe in der Tür zu Blanches Zimmer öffnete, um die Lage zu sondieren, dauerte es nicht lange, bis sie dies bemerkte und wieder mit ihren Fäusten gegen die Tür trommelte. "Lasst mich raus!", schrie sie dabei, offenbar völlig hysterisch. Dr. Tiller versuchte, beruhigend auf die Frau einzureden, und konnte damit zumindest erreichen, dass sie sich von der Tür entfernte. Ich verbarg meine Waffe so gut es ging vor ihren Blicken und öffnete das Schloss. Kaum war die Tür auf, stürzte Blanche auf uns zu und versuchte, sich an uns vorbeizudrängen. Dr. Tiller und ich traten ihr jedoch in den Weg und konnten sie aufhalten. Immer noch schimpfte sie auf uns ein und verlangte, freigelassen zu werden. Dr. Tiller meinte, er könne versuchen, mit ihr eine therapeutische Sitzung abzuhalten, um sie wieder zu beruhigen, also führten wir Blanche ins Behandlungszimmer im Obergeschoss. Oben angekommen hatte sie sich wieder so weit beruhigt, dass sie bereit war, mit Dr. Tiller zu sprechen. Also ließ ich die beiden allein und begab mich wieder in die Bibliothek.

Wie sich herausstellte, kam ich genau richtig, denn Lady Gordon hatte soeben die Akte von Henry Adam Barber beendet. Sie konnte uns berichten, dass es sich bei ihm um den einzigen Sohn der Familie, der die Barber Paper Company gehört, handelt - ein 28-jähriger, suizidgefährdeter Transvestit, der ein hochgradig asoziales Verhalten an den Tag legt. Bei ihrem Vortrag fielen Lady Gordon bereits fast die Augen zu, so dass sie sich genötigt sah, sich in eines der Gästezimmer im Obergeschoss zurückzuziehen, ohne noch das Frühstück abzuwarten. Wir wünschten ihr eine gute Nacht.

Nunmehr saß ich also mit Mrs. Stevens-McCormmick und Pater Benedict allein in der Bibliothek und wir schauten noch einmal die gefundenen Dokumente durch, während wir darauf warteten, dass Dr. Tiller seine Sitzung mit Blanche beendete. Mrs. Stevens-McCormmick las zum wiederholten Male den unvollendeten Brief, den wir auf Dr. Brewers Schreibtisch gefunden hatten, dann fragte sie in die Runde: "Was halten Sie eigentlich davon, wenn wir mal nachschauen, ob wir den Artikel, der ja offensichtlich der Stein des Anstoßes für diesen Disput zwischen Dr. Brewer und dessen Kollegen war, oben in seinem Büro suchen? Theoretisch müsste er ja in einer der letzten Ausgaben des Journal of the British Psychological Society erschienen sein - und diese befinden sich ja alle oben in dem Bücherregal." Ich stimmte zu und Pater Benedict meinte, dass er sich die Bücher von Dr. Brewer sowieso noch einmal genauer anschauen wollte. Ich begleitete die beiden nach oben, da ich bei Dr. Tiller und Blanche nach dem Rechten sehen wollte. Nachdem ich mich mit einem Blick durch die Tür zum Behandlungszimmer vergewissert hatte, dass alles in Ordnung war, ging ich wieder zurück in die Bibliothek und wartete.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis Dr. Tiller und Blanche die Treppe herunterkamen. Blanche hatte sich offenbar wieder beruhigt und sich sogar dazu bereit erklärt, das Frühstück für uns und die Patienten herzurichten. "Allerdings brauche ich die Schlüssel, damit ich von meinem Zimmer in die Küche komme", warf sie ein. Ich blickte zu Dr. Tiller und dieser nickte kurz. Da ich Blanche aber nicht das ganze Schlüsselbund anvertrauen wollte, löste ich die Schlüssel für die Küche und ihr eigenes Zimmer von dem Bund und überreichte ihr diese. Ich sagte ihr, dass wir die Sicherheitstür im Erdgeschoss tagsüber für sie offen stehen lassen würden. Mit den Worten "Gut, ich mach' dann jetzt mal Frühstück, wird ja eh höchste Zeit" verschwand sie in die Küche.

In diesem Moment kehrten auch Pater Benedict und Mrs. Stevens-McCormmick zurück. Sie hatten den Artikel von Dr. Brewer tatsächlich gefunden. Wir begaben uns alle in die Bibliothek und Mrs. Stevens-McCormmick las uns die interessanteste Stelle vor:

Zitat
Artikel von Dr. Brewer im Journal of the British Psychological Society

Dr. Brewer berichtet in dem Artikel von Experimenten, die er mit drei Testpersonen, die er mit den Buchstaben A bis C benennt, durchgeführt hat. Alle drei Testpersonen wurden von ihm unter starke Drogen gesetzt und dann hypnotisiert. Testperson A zeigte keine Reaktionen, Testperson B nahm eine andere, sehr dominante Persönlichkeit an, und Testperson C offenbarte mehrere Persönlichkeiten, von denen eine zur Zeit der ägyptischen Pharaonen gelebt haben soll. Die Experimente hatte Dr. Brewer offenbar durchgeführt, um seine Theorie von einem kollektiven Unterbewusstsein zu untermauern.

Als wir den Artikel mit den Patientenakten verglichen, so wurde uns recht schnell klar, dass es sich bei Testperson A um Leonard Hawkins, bei Testperson B um Allen Harding und bei Testperson C um Darlene handeln musste. Das machte auch Sinn, wenn man bedachte, dass genau diese drei im Keller untergebracht waren, alle anderen Patienten dagegen im Erdgeschoss.

Der feine Dr. Brewer hatte also seine Patienten unter Drogen gesetzt, um Beweise für seine wirre Hypothese von einem "kollektiven Unterbewusstsein" zu sammeln. Ich hoffte bloß, dass er das mit Colonel Billings nicht auch versucht hatte. Zugegebenermaßen fand ich es durchaus bemerkenswert, dass alle drei Personen unter Drogeneinfluss den gleichen Unsinn verzapft hatten, aber daraus eine Theorie von einer unterbewussten "Ur-Mythologie" herleiten zu wollen, die allen Menschen gemein ist, erschien mir doch sehr an den Haaren herbeigezogen. Kein Wunder, dass sich seine Kollegen darüber ziemlich respektlos geäußert hatten.

"Ich habe auch etwas gefunden", riss mich Pater Benedict aus meinen Gedankengängen und hielt mir ein kleines, schwarzes Büchlein hin. "Ein Gedichtband, steckte zwischen den anderen Büchern in Brewers Regal", ergänzte er. Ich fragte mich, was an einem Gedichtband besonderes dran sein sollte, aber dann las ich, wer der Autor war: Allen Harding. "Hm", machte ich und hob eine Augenbraue, "glauben Sie, das hilft uns irgendwie weiter?" - "Keine Ahnung, aber ich werde mal ein bisschen darin schmökern", antwortete der Pater und steckte das Buch ein.

"Frühstück ist fertig!", tönte es aus der Küche. Es war Zeit, die Patienten zu holen. Wir teilten uns in zwei Zweiergrüppchen auf und klapperten die Zimmer nacheinander ab, bis alle Patienten mit ihren jeweiligen Medikamenten versorgt und frisch gemacht waren - so gut dies ohne Wasser möglich war - und am Tisch saßen. Zum Glück fragte niemand nach Dr. Brewer oder dem anderen Pflegepersonal, ansonsten hätten wir ihnen zu dem eher dürftigen Frühstück auch noch irgendeine Lügengeschichte auftischen müssen.

Nachdem die Mahlzeit beendet war, brachten wir die Patienten nach dem gleichen Schema wieder in ihre Zimmer zurück, dann nahmen sich Dr. Tiller die Akte von Cecil Randolph und Mrs. Stevens-McCormmick die Buchführungsunterlagen des Sanatoriums vor, während Pater Benedict und ich endlich zu unserer geplanten Insel-Expedition aufbrechen konnten.

Als wir vor die Tür traten, begrüßten uns das typisch südenglische, diesige Wetter und ein wolkenverhangener Himmel. Wir schauten uns um und stellten fest, dass die Insel nicht allzu groß sein konnte. Wenn man die Landzunge, auf der das Sanatorium errichtet worden war, als Südspitze definierte (was wir mangels eines Kompasses leider nicht überprüfen konnten), dann bestanden die West-, Süd- und Ostküste aus mehr oder weniger hohen, aber sehr steilen Klippen, die direkt aus dem Meer ragten. Nach Norden hin schien sich das Gelände abzuflachen, allerdings konnten wir dieses Gebiet noch nicht einsehen. Die Mitte der Insel wurde von einem dichten Wäldchen dominiert, dessen Ausdehnung nach Norden hin wir ebenfalls noch nicht abschätzen konnten. In nordwestlicher Richtung befand sich ein weiteres kleines Wäldchen, außerdem standen ein paar Bäume direkt beim Sanatorium. Ein Blick über das Wasser zeigte uns weder ein Schiff, noch war das Festland auszumachen.

Pater Benedict und ich begaben uns auf den Trampelpfad, den wir bereits letzte Nacht genommen hatten, und wandten uns dann an der Abzweigung nach links. Wir marschierten etwa eine halbe Stunde den Pfad entlang, bis wir die nordwestliche Spitze der Insel erreichten. Zu unserer großen Überraschung fanden wir hier einen kleinen Leuchtturm vor, der bisher von dem nordwestlichen Wäldchen verdeckt gewesen war. Als wir näher traten, erkannten wir, dass der Turm komplett aus Metall bestand und offenbar nicht mehr in Betrieb war - das Glas des Leuchtfeuers war zerschmettert. Der einzige Zugang bestand aus einer metallenen Tür auf Bodenhöhe, ansonsten waren in dem Turm keine weiteren Öffnungen zu erkennen. Trotz des eher verfallenen Zustands klopften wir erst an der Tür und warteten ein paar Minuten, bevor wir versuchten, sie zu öffnen - vergeblich. Die Tür war abgeschlossen.



Da wir weder einen Anlass noch einen Weg sahen, in dieses Gebäude einzudringen, entschlossen wir uns, weiter dem Trampelpfad zu folgen, der nunmehr in die östliche Richtung führte. Schon nach wenigen Metern konnten wir linkerhand den Strand sehen, der sich über einen Teil der Nordküste der Insel erstreckte. Zwei Dinge fielen uns ins Auge: Ziemlich in der Mitte des Strandes befanden sich die Überreste eines offensichtlich eingestürzten Zeltes, etwas weiter davon entfernt ein altes Schiffswrack.

Wenn Mrs. Stevens-McCormmick Recht behalten sollte, dann war dies wohl das Zelt des Ornithologen. Während wir uns vorsichtig und die Umgebung im Auge behaltend näherten, sahen wir bereits, dass offenbar die gesamte Ausrüstung des Vogelkundlers in einem größeren Umkreis um das Zelt verstreut lag. Viele der Gegenstände waren zerschmettert, die zusammengesackte Zeltplane an mehreren Stellen gerissen, die Heringe herausgezogen. Ich bereitete mich auf den Anblick einer weiteren Leiche vor und hob die Zeltplane an, um ins Innere zu schauen. Wie sich herausstellte, war meine Befürchtung jedoch unbegründet: Auch innerhalb des Zeltes befanden sich nur verwüstete Ausrüstungsgegenstände. Ich durchsuchte sie kurz, fand aber nichts von Interesse.

Nun wandten wir uns dem Wrack zu. Den Ausmaßen nach zu urteilen handelte es sich um einen sehr alten Einmaster, wahrscheinlich ein Fischerboot. Vom Rumpf und den Aufbauten war nicht viel mehr übrig als ein hölzernes Gerippe, welches zudem etwa zur Hälfte im Sand versunken war. Eine genauere Untersuchung erschien mir unnötig und zu riskant - erstens lag das Schiff mit Sicherheit schon viele Jahre hier und zweitens konnte man quasi hindurchsehen, so dass sich nichts und niemand darin versteckt haben könnte.

"Vielleicht sollten wir am Zelt mal nach Spuren suchen", schlug Pater Benedict vor, und ich ärgerte mich darüber, dass mir das als geübtem Spurenleser nicht schon früher eingefallen war. Falls dort tatsächlich Spuren vorhanden waren, dann hatten wir sie jetzt wahrscheinlich schon zertrampelt. Also beschloss ich, den Sand in einem weiten Kreis um das Zelt herum nach einer Spur abzusuchen, die nicht von uns selbst stammte. Bereits nach kurzer Zeit wurde ich fündig: Eine Fußspur führte vom Zelt aus gesehen in östlicher Richtung bis zum Wald, der sich - wie wir inzwischen festgestellt hatten - im Norden der Insel bis ans Wasser erstreckte. Schleifspuren ließen außerdem vermuten, dass der Fußgänger irgendetwas Schweres hinter sich hergezogen hatte.

Als wir den Waldrand erreichten, sahen wir, dass sich der Trampelpfad dort ebenfalls fortsetzte, und zwar in südöstlicher Richtung, die verdächtige Spur führte jedoch in größerem Abstand neben dem Pfad entlang. Wir folgten weiter der Spur ein gutes Stück durch den Wald, bis wir uns einer Lichtung oder dem Waldrand zu nähern schienen. Ich hieß den Pater an, dort zu warten, wo er stand, und pirschte mich langsam an die Baumgrenze heran. Während ich mich näherte, vernahm ich ein lauter werdendes Summen, wie von einem großen Bienenschwarm.

Ich erreichte den Waldrand und schaute vorsichtig zwischen zwei Bäume hindurch auf offenes Gelände. Nur wenige Meter vor mir befand sich ein großer Felsblock, der oben abgeflacht war und eine Art Steintisch formte. Auf dem Tisch lagen die Überreste eines Menschen, aber mehr war kaum noch zu erkennen. Die Person sah aus, als wäre sie durch einen Fleischwolf gedreht worden. Der ganze Tisch stand voller Blut, außerdem war es natürlich auch die Seiten herabgeflossen. Das Summen stammte von unzähligen Fliegen, die in einer Wolke über dem Opfer standen und es auch wie mit einer schwarzen Decke überzogen. Übelkeit stieg in mir auf. Ich wandte mich von der Szenerie ab und musste mich mehrmals übergeben.

Als sich mein Magen wieder beruhigt hatte, wankte ich zu Pater Benedict zurück und berichtete ihm, dass ich den Ornithologen gefunden hatte. Ich riet ihm jedoch, sich diesen Anblick zu ersparen. Wir beschlossen, zum Sanatorium zurückzukehren und dabei den Weg zu nehmen, den wir gekommen waren. Nach meiner Vermutung setzte sich der Pfad auf der anderen Seite des Waldes ohnehin nur nach Süden bis zur Abzweigung beim Sanatorium fort, so dass es sich praktisch um einen Rundweg um die Insel handelte. Da der Pfad aber sehr nahe an dem Steintisch entlang führte, hätten wir ihn nicht nehmen können, ohne uns dabei erneut der grausigen Szenerie aussetzen zu müssen.

Nach einer guten Stunde Fußmarsch erreichten wir das Sanatorium und berichteten den anderen von unseren Entdeckungen.

Fortsetzung in Teil 8: Aufräumarbeiten
« Letzte Änderung: 03. August 2008, 21:42:51 von Halvar »
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Halvar

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Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #24 am: 13. April 2008, 06:21:39 »
Teil 8: Aufräumarbeiten

Fortsetzung Session 06.10.2007

Nachdem wir uns zurückgemeldet und den anderen kurz berichtet hatten, beschlossen Pater Benedict und ich, uns auch hinter dem Anwesen einmal umzuschauen. Wir verließen das Haus durch das Hauptportal und gingen außen herum bis zum zerstörten Hintereingang, zu dem ein paar Stufen hinaufführten. Die Tür lag zerschmettert einige Meter entfernt. Ich untersuchte die Stufen sowie den Bereich davor nach Spuren, fand jedoch keine. Dafür entdeckte ich aber etwas anderes: Neben dem Sockel der Treppe lag eine tote Katze, deren Zustand eine frappierende Ähnlichkeit mit demjenigen der Beine des Zimmermädchens aufwies: sie war völlig vertrocknet und zusammengeschrumpelt. Ich rührte sie nicht an.

Als wir uns ein wenig umschauten, entdeckten wir, dass sich zwischen den Bäumen, die neben dem Sanatorium standen, noch einige kleinere Gebäude verbargen. Bei näherer Betrachtung entpuppten sie sich als zwei kleine Wohnhäuser und zwei noch kleinere Schuppen, außerdem befand sich hier ein Brunnen, der mit einer metallenen Haube abgedeckt war, auf der eine große, elektrisch betriebene Pumpe thronte. Zunächst sahen wir uns aber die beiden Wohnhäuser an, die sich - wie wir erfreut feststellen durften - mit unseren Schlüsseln öffnen ließen. Beide Häuser erschienen bewohnt, jedoch befand sich niemand darin. Eines der Häuser war mit vielen Accessoires nautischen Charakters dekoriert, so dass wir stark vermuteten, dass es sich um die Heimstatt Ebenezers handelte. Das andere Haus konnten wir nicht zuordnen. Eine kurze Durchsuchung beider Häuser förderte keine Besonderheiten zutage.

Auch die beiden Schuppen ließen sich problemlos mit unseren Schlüsseln öffnen. Im ersten fiel uns ein großes Gerät auf, welches man mittig darin aufgestellt hatte. Es hatte Ähnlichkeit mit einem Motorblock, so dass Pater Benedict und ich schnell erkannten, dass es sich wohl um den Stromgenerator handeln musste, der im Laufe der letzten Nacht seinen Dienst quittiert hatte. Seitlich von dem Gerät befand sich ein Tank - leer. Dem Generator war offenbar der Sprit ausgegangen. Glücklicherweise fanden wir im zweiten Schuppen nicht weniger als zweiundzwanzig Kanister, die jeweils fünf Gallonen fassen konnten. Eine schnelle Überprüfung erbrachte, dass sämtliche Kanister mit Benzin gefüllt waren. Außerdem beinhaltete dieser Schuppen noch eine erkleckliche Auswahl diverser Werkzeuge und anderer Utensilien.

Der Pater und ich wollten versuchen, den Generator wieder in Gang zu setzen. Zunächst nahmen wir uns einen der Kanister und füllten den Inhalt in den Tank, dann jedoch überkam uns große Ratlosigkeit - weder Pater Benedict noch ich waren in der Handhabung derartiger Gerätschaften bewandert. Zwar befanden sich an dem Motor mehrere Schalter und Knäufe, jedoch war keiner davon beschriftet. Um kein Risiko einzugehen, entschieden wir uns dazu, lieber nicht daran herumzufummeln und den Generator damit eventuell zu beschädigen, sondern wollten uns zunächst erkundigen, ob sich vielleicht einer der anderen damit auskennen würde. Wir marschierten zum Sanatorium zurück.

Während wir den anderen berichteten, kam Lady Gordon die Treppe herunter. Sie hatte offenbar genug geschlafen und wollte sich nun mit Meerwasser ein wenig frisch machen, da ja im Haus kein fließendes Wasser mehr zur Verfügung stand. Kurz nachdem sie durch die Tür nach draußen getreten war, vernahmen wir einen spitzen Schrei. Wir stürzten zum Eingang und sahen Lady Gordon, wie sie an die Hauswand gelehnt mit schreckgeweiteten Augen auf Ebenezers Leichnam starrte. Verdammt, Ebenezer! Den hatte ich ja völlig vergessen! Nachdem Lady Gordon ihren Schreck überwunden hatte, machte sie ihrer Wut Luft: "Hätten sie mich nicht wenigstens vorwarnen können? Wieso liegt der überhaupt hier oben?!" Ich entschuldigte mich für meine erneute Unaufmerksamkeit und erklärte ihr, dass wir Ebenezer nicht einfach unten auf dem Steg liegen lassen gewollt hatten. Dass sie ihn andernfalls wenige Momente später unten ohnehin gesehen hätte, sagte ich ihr lieber nicht ins Gesicht - die Dame war auch so schon empört genug.

Als Lady Gordon wieder zurück war, stellte sich heraus, dass auch die Damen und Dr. Tiller in Sachen Generator völlig unbeleckt waren. Nichtsdestotrotz ließen sie es sich nicht nehmen, selbst einen Blick auf das Gerät werfen zu wollen, und so begaben wir uns allesamt zu den Schuppen - vielleicht hatte ja einer von ihnen eine buchstäblich "zündende" Idee. Wie sich herausstellte, war das leider nicht der Fall. Vorerst würden wir also wohl ohne Strom auskommen müssen.

Auf dem Rückweg zum Sanatorium berieten wir uns, wie es weitergehen sollte. Selbst wenn wir dem Mörder irgendwie aus dem Weg gehen oder ihn sogar dingfest machen konnten, dann stand uns noch mindestens eine Woche auf der Insel bevor, und auch dies nur dann, wenn beim Ausbleiben von Ebenezers Besuch in dem Küstendorf sofort jemand nachschauen kommen würde. Wenn wir Pech hatten, würden wir zwei Wochen oder sogar noch länger hier festsitzen. So lange konnten wir die Leichen der Mordopfer unmöglich im Haus herumliegen lassen. Abgesehen davon, dass uns bei dem Gedanken nicht wohl war, dass in jedem zweiten Raum eine Leiche lag, wollten wir uns gar nicht ausmalen, welche Geruchsbelastung dies verursachen und welchem Krankheitsrisiko wir uns damit aussetzen würden.

Während die anderen sich wieder ihren Dokumenten hingaben, beschlossen Pater Benedict und ich, uns dieses Problems anzunehmen. Wir besorgten uns einen Stapel Bettlaken aus dem Wandschrank in der Waschküche, deckten dann nacheinander die Leichen von Ebenezer, Catherine Ames (die Krankenschwester, die im Wohnzimmer ermordet worden war), Bobby Birch (der Pfleger, der noch immer auf seinem Stuhl im Erdgeschoss des Patiententrakts saß) und Melba Carson (das Zimmermädchen aus der Waschküche, das noch in einem der Schlafzimmer lag) ab, wickelten sie ein und legten sie ein gutes Stück abseits des Sanatoriums nahe der Steilküste ab. Auch die verdorrten Beine von Melba Carson bargen wir auf diese Weise aus der Waschküche und brachten sie zu den anderen Überresten.

Nun folgte der schwierigste Teil: Wir besorgten uns eine Zange und zwei Eimer aus dem Werkzeugschuppen, füllten die Eimer am Steg mit Meerwasser und begaben uns dann in Dr. Brewers Büro. Zunächst zogen wir mit der Zange die Nägel heraus, die der Mörder durch seine Hände und Füße in den Boden gejagt hatte, dann wickelten wir Dr. Brewer in den Teppich ein, auf dem er lag, und schlugen ihn zusätzlich noch in zwei Laken ein. Nichtsdestotrotz hatte sich an der Unterseite ein großer Blutfleck gebildet, noch bevor wir mit dem Bündel an der Steilküste angekommen waren. Wir legten seinen Leichnam auf die anderen und kehrten dann in sein Büro zurück, um mit Hilfe weiterer Laken und des Meerwassers zumindest die gröbsten Unreinheiten zu entfernen. Nach getaner Arbeit begaben wir uns auf den Steg und wuschen unsere Kleidung, die das Ganze leider nicht unbeschadet überstanden hatte, so gut es eben ging.

Danach holten wir einen der Kanister aus dem Schuppen und verteilten den Inhalt über dem Leichenberg. Pater Benedict sprach noch ein kurzes Gebet, dann entzündete ich ein Streichholz und warf es auf das Benzin. Unglücklicherweise hatten wir uns in Bezug auf die Größe der entstehenden Stichflamme schwer verschätzt. Mit einem Fauchen bildete sich ein großer Feuerball, dessen Front auf Pater Benedict und mich zuraste. Der Pater konnte sich gerade noch rechtzeitig zu Boden werfen, ich jedoch wurde kurz von den Flammen erfasst und erlitt einige Verbrennungen, bevor ich auf dem Boden aufschlug.

Ich schrie vor Schmerz und Schock. Feuer! Genau die Art, auf die mein Cousin gestorben war: Verbrannt in seinem abstürzenden Wrack. Ich Idiot! Wie konnte ich nur so unvorsichtig sein? Wieso sind wir überhaupt auf die Idee gekommen, die Leichen zu verbrennen? Ich wusste es nicht. Als ich die Augen öffnete, sah ich Pater Benedict über mir. Er zerrte mich auf die Füße und dann ins Sanatorium hinein, zu Dr. Tiller. Immer noch benebelt sah ich, wie Tiller hektisch in seiner Tasche wühlte, eine Salbe hervorholte und sie auf meine Wunden auftrug. Als er schließlich einen Verband anlegte, hatten die Schmerzen schon erheblich nachgelassen. Wie er mir erklärte, waren die Wunden nicht sonderlich schlimm - ich würde keine bleibenden Schäden davontragen, bis auf ein paar kleine Narben vielleicht. Noch mal Glück gehabt.

Als ich wieder vollständig bei Besinnung war, dankte ich Dr. Tiller für die schnelle und kompetente Hilfe. Nach diesen ganzen Aufregungen hätte ich gut und gern einen Drink vertragen können. Leider gab es in diesem ganzen verdammten Sanatorium nicht einen einzigen Tropfen Alkohol, außer vielleicht in Form von Medikamenten. Verflucht!

Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, als Dr. Tiller berichtete, dass er die Patientenakte von Cecil Randolph durchgearbeitet und dabei herausgefunden hatte, dass es sich bei ihr um die Ehefrau eines Zeitungs-Tycoons handelt, die unter Halluzinationen und einer schweren Paranoia leidet. Ein Opfer von Alkoholmissbrauch - wie passend. Jedenfalls benötigte sie alle vier Stunden Beruhigungsmittel. Mrs. McCormmick hatte die Buchhaltungs-Unterlagen vollständig gesichtet, dabei jedoch nichts Bemerkenswertes gefunden.

Die Mittagszeit war zwar schon lange um, aber aufgrund der Tatsache, dass auch das Frühstück verspätet stattgefunden hatte, holten wir die Patienten nach unserem bewährten Schema aus ihren Zimmern und setzten sie an den großen Tisch im Esszimmer. Blanche kredenzte uns nur kalte Speisen, da es ihr ohne Wasser nicht möglich gewesen war, zu kochen. Der einzige, der sich lauthals beschwerte, was das hier für ein Saustall wäre, war natürlich Henry Adam Barber. Wenn er gewusst hätte, wie Recht er damit gehabt hatte...

Ende Session 06.10.2007

Fortsetzung in Teil 9: Der alltägliche Wahnsinn
Take me out to the black, tell 'em I ain't comin' back.

Halvar

  • Mitglied
Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #25 am: 22. April 2008, 09:53:34 »
Teil 9: Der alltägliche Wahnsinn

Session: 03.11.2007

Nachdem wir das Mittagessen beendet und die Patienten wieder in ihren Zimmern eingeschlossen hatten, meldete sich Lady Gordon zu Wort: "Ich würde gerne Ebenezers Haus durchsuchen. Vielleicht hatte er ein Morse- oder Funkgerät, mit dem wir Hilfe holen könnten." Einen Versuch war das sicherlich wert, und so schloss sich ihr Mrs. Stevens-McCormmick an. Außerdem nahmen sie noch Blanche mit, damit sich diese auch an dem Generator versuchen konnte. Nach eigenem Bekunden hatte sie zwar das Gerät noch nie bedient, aber wir wollten nichts unversucht lassen. So zogen die Damen von dannen.

Dr. Tiller schlug vor, derweil eine therapeutische Sitzung mit einem der Patienten abzuhalten, da diese eventuell von den gestrigen Vorfällen etwas mitbekommen hätten. Unter Umständen würden wir auf diese Art und Weise vielleicht einige Hinweise erhalten, was genau geschehen war. Dem konnte ich nur zustimmen. Als geeignetster Kandidat erschien uns Leonard Hawkins, denn er war derjenige, der uns von den drei "Testpersonen" Brewers noch am ehesten ansprechbar und am leichtesten zugänglich erschien. So holten wir Hawkins aus seinem Zimmer und begaben uns mit ihm in den Behandlungsraum im ersten Stock. Pater Benedict verzichtete auf eine Teilnahme an der Sitzung und machte es sich stattdessen in der Bibliothek mit seinem gefundenen Gedichtband bequem.

Dr. Tiller bettete Hawkins auf die Liege, setzte sich auf einen Stuhl neben das Kopfende des Patienten und redete beruhigend auf ihn ein. Ich setzte mich etwas abseits auf einen Hocker und verhielt mich möglichst still. Hawkins antwortete zwar auf Dr. Tillers Fragen, machte jedoch einen etwas verstörten Eindruck. Es dauerte eine Weile, bis Tiller Hawkins' Vertrauen gewonnen hatte, dann kam er auf die Ereignisse des vorigen Tages zu sprechen. Hawkins wurde sichtlich unruhiger. Wie sich herausstellte, hatte er wohl nicht allzu viel mitbekommen, gerade genug, um ihm ordentlich Angst einzujagen. Das einzige, was er konkret gesehen haben wollte, war ein "Haufen Seifenblasen", der an seinem Zimmer vorbeigekommen war. Danach wurde Hawkins zu nervös, um die Sitzung fortsetzen zu können. Er zitterte am ganzen Leib und stammelte nur noch unverständliches Zeug. Dr. Tiller beruhigte Hawkins wieder so gut es ging, dann brachten wir ihn in sein Zimmer zurück. Enttäuscht von diesem mageren Ergebnis begaben wir uns in die Bibliothek und berichteten Pater Benedict, dass es nichts zu berichten gab.

Kurz darauf trafen auch die Damen wieder ein. Natürlich hatte Blanche den Generator nicht starten können. Auch die Durchsuchung von Ebenezers Haus war weniger erfolgreich verlaufen als erhofft, allerdings nicht ganz erfolglos: Zwar hatten die Damen kein Funkgerät gefunden, dafür jedoch einen Brief, der ihnen suspekt erschienen war. Sie hatten ihn mitgebracht:

Zitat
Brief an Ebenezer

13. Oktober 1896

Werter Ebenezer,

ich übergebe diesen Brief nun an einige Leute im Hafen und bin sicher, dass Du ihn erhalten wirst wenn Du wieder nach Hause kommst. Ich werde zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich wieder weg sein und ich weiß nicht wann ich Dich wieder sehen werde, somit wünsche ich Dir jetzt erstmal viel Glück. In diesem Umschlag wirst Du ein kleines Geschenk finden. Es ist ein Glücksbringer den mir einer der Eingeborenen gab, der uns auf den Inseln über den Weg lief. Ich weiß nicht ob er was taugt, aber ich habe ihn fast immer getragen - insbesondere zu jener Zeit, in der wir uns auf den Inseln aufhielten. Man sagte mir das einige Schiffe, die aus Innsmouth auslaufen, etwas ähnliches an deren Unterseite angebracht haben. Ich kenne meine neue Adresse noch nicht, aber sobald ich in Cincinnati bin werde ich Dir schreiben und Dir diese mitteilen.

Dein Freund William

Die Handschrift war kaum zu entziffern, außerdem war der Brief offensichtlich schon ein Vierteljahrhundert alt. Den "Glücksbringer", von dem in dem Brief die Rede war, hatten die Damen leider nicht gefunden. Wie auch immer, einen unmittelbaren Zusammenhang dieses Briefs mit unserer derzeitigen Situation konnte ich jedenfalls nicht erkennen, und ich fragte mich, warum den Damen ausgerechnet dieser Brief aufgefallen war. Noch bevor ich meine Frage artikulieren konnte, vernahmen wir jedoch erneut einen Schrei.

Schnell hatten wir als Ursprungsort das Erdgeschoss des Patiententrakts ausgemacht. Während wir dorthin eilten, ertönten weitere Schreie, die - wie wir nun feststellen konnten - aus Mrs. Randolphs Zimmer kamen. "Da ist etwas unter meinem Bett!", kreischte sie, offenbar in einem Zustand fortgeschrittener Panik. Ich entriegelte die Tür zu ihrem Zimmer und öffnete sie. Noch ehe ich reagieren konnte, war Mrs. Randolph an mir und den anderen vorbeigeschossen und rannte Hals über Kopf den Gang entlang in Richtung Foyer, wobei sie ihr Kreischen nicht unterbrach. Sofort stürzten wir hinter ihr her. Glücklicherweise war Mrs. Randolph auch in Panik keine allzu schnelle Läuferin, so dass ich sie überholen und mich in den Türrahmen stellen konnte, um sie aufzuhalten. Auch Dr. Tiller kam an ihr vorbei und warf die Tür zum Foyer ins Schloss - damit war ihr der Fluchtweg endgültig verbaut.

Als Mrs. Randolph an der Tür eintraf und stoppen musste, redete Dr. Tiller beruhigend auf sie ein. Er bat Mrs. Stevens-McCormmick, in das Medikamentenlager zu gehen und das Beruhigungsmittel zu holen, welches Mrs. Randolph laut ihrer Patientenakte benötigte. Noch bevor Mrs. Stevens-McCormmick mit den entsprechenden Arzneien eintraf, konnte Dr. Tiller Mrs. Randolph jedoch wieder so weit beruhigen, dass wir sie in ihr Zimmer zurückführen konnten. Natürlich schauten wir auch unter ihr Bett - erwartungsgemäß befand sich dort jedoch nichts. Nachdem Dr. Tiller Mrs. Randolph das Beruhigungsmittel verabreicht hatte, schlief sie ein. Während die anderen bereits in die Bibliothek zurückgingen, sah ich noch kurz nach Colonel Billings und brachte ihn auf die Toilette.

Wieder zurück in der Bibliothek erfuhr ich, dass den anderen Blanche über den Weg gelaufen war, die sich unwirsch darüber beschwert hatte, dass sie ohne Wasser kein Abendessen kochen könne. Lady Gordon und Mrs. Stevens-McCormmick hatten sich daraufhin entschlossen, sich der Sache anzunehmen, und waren verschwunden. Pater Benedict las immer noch in seinem Gedichtband und Dr. Tiller schien sich etwas entspannen zu wollen, also schnappte ich mir die Patientenakte von Colonel Billings.

Tatsächlich kehrten die Damen nach einiger Zeit zurück, ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt: Sie hatten sich ein Seil und einen Eimer aus dem Geräteschuppen organisiert, und es war ihnen gelungen, durch eine Wartungsklappe an der Pumpe Trinkwasser aus dem Brunnenschacht zu schöpfen. Immerhin hatten wir eine Lösung für unser Wasserproblem gefunden - blieb also nur noch der geisteskranke Killer.

Mangels einer besseren Idee begaben sich Mrs. Stevens-McCormmick und Lady Gordon in Dr. Brewers Arbeitszimmer, um sich den Safe vorzuknöpfen. Sie hatten sich vorgenommen, die Geburtsdaten von Dr. Brewer, des Personals und gegebenenfalls auch der Patienten an dem Zahlenschloss auszuprobieren, oder das Büro noch einmal speziell nach einem Hinweis auf die Kombination zu durchsuchen. Ich wünschte ihnen viel Glück, war jedoch wenig zuversichtlich. So allmählich wurde allen klar, dass wir hier im Prinzip vollkommen hilf- und ratlos waren. Irgendwo auf der Insel trieb sich noch dieser Axtmörder herum. Wahrscheinlich hatte er sich im Wald verkrochen und harrte nur darauf, dass es dunkel wurde. Uns blieb nichts anderes übrig, als darauf zu warten, was er als nächstes tun würde. Mit Sicherheit würde er keine Ruhe geben. Und wir saßen hier herum, lasen Akten und versuchten verzweifelt, die Zahlenkombination eines Safes zu erraten. Ich fühlte mich wie ein Opferlamm, das zur Schlachtbank geführt werden sollte.

Während ich meinen finsteren Gedanken nachhing, drang wieder einmal ein Schrei an mein Ohr. Fast hätte ich nicht darauf reagiert, aber ich erkannte die Stimme: Mrs. Stevens-McCormmick! Wir stürzten nach oben. Sie stand am Schreibtisch und blickte uns an, als ob sie selber nicht wüsste, was gerade passiert war. "Was ist los?", fragte ich. "Nichts, alles wieder in Ordnung", antwortete sie nach kurzem Zögern. Lady Gordon stand vor dem Safe, schaute Mrs. Stevens-McCormmick an, dann uns, und zuckte ratlos mit den Schultern. Wir vergewisserten uns noch einmal, dass es Mrs. Stevens-McCormmick gut ging, dann begaben wir uns wieder nach unten. Warum sie geschrieen hatte, wusste niemand. Wenn sie nicht gerade beim Durchsuchen des Schreibtischs eine Spinne gesehen hatte, dann blieb als einzige Erklärung, dass ihr die Nerven durchgegangen waren. Das konnte ich ihr kaum verübeln. Wenn wir jemals von dieser Insel runterkommen würden, dann wären wir wahrscheinlich alle reif für die Klapsmühle.

Fortsetzung in Teil 10: Die zweite Nacht
« Letzte Änderung: 03. August 2008, 21:45:28 von Halvar »
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DU#1229

  • Gast
Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #26 am: 22. April 2008, 10:34:29 »
Großartig! Nur etwas kurz  :wink:

Wann gehts weiter?

Halvar

  • Mitglied
Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #27 am: 22. April 2008, 11:35:55 »
Ja, Teil 9 war in der Tat etwas kurz.

Teil 10 habe ich heute fertig gemacht (und der hat auch wieder normale Länge), aber den gibt's erst, wenn er von meinen werten Mitspielern den "Approved"-Stempel bekommen hat. :wink:

In der Regel lasse ich ihnen ein paar Tage Zeit, Einspruch einzulegen, oder eben bis der nächste Teil fertig ist. Bis zum Wochenende sollte ich vielleicht schon noch warten. Ich möchte nicht in die Situation kommen, an einem Teil inhaltliche Korrekturen vornehmen zu müssen, der hier schon ein paar Tage drinsteht.
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DU#1229

  • Gast
Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #28 am: 22. April 2008, 12:30:28 »
Einspruch abgelehnt, Teil posten!  :wink:

Jilocasin

  • Mitglied
Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #29 am: 22. April 2008, 13:55:46 »
Hab die, zu meinem Bedauern bisher ignorierte, Storyhour förmlich verschlungen. Bin gespannt wie es weiter geht! Sehr spannend, bin begeistert.
Proud Member of the PL
Die Kraft des Geistes ist grenzenlos - Psionics rocks!

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