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Autor Thema: Cthulhu: Das Sanatorium  (Gelesen 36693 mal)

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DU#1229

  • Gast
Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #45 am: 28. April 2008, 22:37:17 »
Ich gehe bald in den Urlaub und werde das Abenteuer mal vorbereiten. Dann poste ich meine Ideen mal und ihr dürft zerreissen   :D

Halvar

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Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #46 am: 29. April 2008, 04:19:27 »
Ich habe die Erklärung des Berufs "Nichtstuer" oben bei der Quizfrage jetzt mal nachgetragen. Sorry, hätte ich vielleicht direkt machen sollen.

@Nadir-Khân: Dich zerreiß' ich doch immer gern. :wink:
Take me out to the black, tell 'em I ain't comin' back.

Lily Weg

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Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #47 am: 29. April 2008, 18:31:50 »
Nichtstuerin fände ich für sie passend.
Sie hätte durch ihr Geld vielfältige Möglichkeiten sich beispielsweise im "Kampfsport" schulen zu lassen. (Reisen in entlegene asiatische Regionen ;) )

Auch sind es ja "oft" gerade diesen reichen Leute, die es vor lauter gesellschaftlicher Langeweile nach Abenteuern gelüstet. Auch bilden diese - vielleicht als gewollten Kontrast zu ihrem biederen, gutbürgerlichen/adligen Leben - gewisse Fähigkeiten aus, welche so ganz ANDERS sind, als das, was von Damen ihres Status erwartet wird. (z.B. Schlösser knacken/Safe öffnen etc.)

Halvar

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Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #48 am: 07. Mai 2008, 04:46:17 »
So, vor dem nächsten Update hier zunächst die Auflösung der Quizfrage:

Lady Elizabeth Gordon ist eine Privatdetektivin. Gratulation an Nadir-Khân! :)

Eure gut begründeten Antworten haben mir aber gezeigt, dass die Frage wohl doch nicht so einfach war, wie ich nach Nadir-Khâns prompt richtiger Antwort schon befürchtet hatte. Von den aufgelisteten Berufen hätte es wirklich jeder sein können, denke ich, denn einen eindeutigen Hinweis gab es in der Geschichte bisher nicht. Ich bin jedenfalls jedem dankbar, der hier seine Gedanken dargelegt hat.
Take me out to the black, tell 'em I ain't comin' back.

Halvar

  • Mitglied
Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #49 am: 07. Mai 2008, 04:52:17 »
Teil 11: Böses Erwachen

Fortsetzung Session 03.11.2007

"Was machen wir jetzt?", fragte Mrs. Stevens-McCormmick, nachdem sie ihre Augen von der Leuchterscheinung losgerissen hatte. Ich wusste, dass es allenfalls noch eine oder zwei Minuten dauern würde, bevor der Mörder seine Tat vollendet haben würde - es in dieser Zeit bis ans gegenüberliegende Ende der Insel zu schaffen, war unmöglich. Der schreienden Frau konnten wir nicht mehr helfen. "Schnell, zum Leuchtturm!", antwortete ich und rannte auch schon los. Mrs. Stevens-McCormmick setzte mir nach.

Der Spurt über den Trampelpfad erwies sich angesichts der schlechten Lichtverhältnisse als äußerst tückisch. Sich nicht die Füße umzuknicken und dabei die Öllampe halbwegs im Gleichgewicht zu halten, war reine Glückssache. Als wir etwa 30 Sekunden gerannt waren und bereits das nordwestliche Wäldchen erreicht hatten, hörte ich hinter mir einen kurzen Schrei und einen dumpfen Aufschlag. Dann sah ich Mrs. Stevens-McCormmicks Öllampe in einem hohen Bogen Richtung Wald fliegen. Kurz vor der ersten Baumreihe zerschellte sie auf dem Boden und das Öl, das sich noch in ihr befunden hatte, entzündete sich mit einem Knall in einer zwei Meter hohen Stichflamme.

Kurz erwog ich, einfach weiterzurennen. Dann entschied ich mich jedoch, umzukehren und nach Mrs. Stevens-McCormmick zu schauen. Falls sie sich ernsthaft verletzt hatte, würde ich sie nicht einfach so hier liegen lassen können - nicht in der Nähe des Signalfeuers, das sie soeben entfacht hatte. Wie sich herausstellte, war der Sturz jedoch glimpflich verlaufen, und so konnte ich ihr wieder auf die Füße helfen. Sofort eilten wir weiter den Pfad entlang.

Wir waren nur wenige Meter weitergelaufen, als die Schreie der unbekannten Frau abrupt abbrachen. Wenn es sich so abspielen würde wie in der vergangenen Nacht, dann würde nur wenige Momente später auch das Leuchten verschwinden. Verbissen hastete ich weiter - es konnte nun nicht mehr allzu weit sein. Kurz bevor wir den Punkt erreichten, an dem der Leuchtturm hinter dem Wäldchen hätte auftauchen müssen, erstarb das rote Licht. Nur mit Mühe konnte ich einen vulgären Fluch unterdrücken und drosselte mein Tempo auf normale Schrittgeschwindigkeit. Mrs. Stevens-McCormmick tat es mir gleich.

Nach kurzer Absprache entschlossen wir uns dazu, unseren Weg dennoch fortzusetzen. Es war nun in der Tat nicht mehr weit bis zum Leuchtturm und nach nur wenigen Minuten hatten wir ihn erreicht. Zu sehen war nichts. Der Turm sah noch genauso aus wie wir ihn tags zuvor verlassen hatten, und auch in der Umgebung war nichts Ungewöhnliches zu entdecken. Eine zeitaufwendige Spurensuche erschien uns allerdings zu riskant, denn wir hatten die Befürchtung, dass die Explosion von Mrs. Stevens-McCormmicks Lampe den Mörder auf uns aufmerksam gemacht haben könnte. Möglicherweise war er bereits auf dem Weg hierher. Nachdem wir uns nur kurz umgeschaut hatten, drückte ich Mrs. Stevens-McCormmick die verbliebene Öllampe in die Hand und machte mein Gewehr schussbereit, dann setzten wir uns in Bewegung - zurück in Richtung Sanatorium. Als wir die Stelle passierten, an der das Missgeschick geschehen war, trat ich noch schnell die restlichen Flammen aus, um einem möglichen Verfolger die Orientierung wenigstens noch ein bisschen zu erschweren.

Ohne weitere Zwischenfälle erreichten wir nach ca. 45 Minuten Fußmarsch unser Ziel und begaben uns sogleich in die Bibliothek, wo Lady Gordon auf uns wartete. Pater Benedict und Dr. Tiller hatten sich in die Gästezimmer im Obergeschoss zurückgezogen, um zu schlafen. Als wir Lady Gordon von unseren Erlebnissen berichteten, teilte sie uns mit, dass sie von irgendwelchen Schreien nichts mitbekommen hätte und ihr auch ansonsten nichts Ungewöhnliches aufgefallen wäre. Welches Opfer der Mörder gefunden hatte, konnte sie sich genauso wenig erklären. Um auf Nummer sicher zu gehen, entschlossen wir uns jedoch dazu, die Patientenzimmer zu überprüfen.

Wir begaben uns ins Foyer. Ich machte meine Elefantenbüchse bereit, während Lady Gordon die Tür zum Erdgeschoss des Patiententrakts aufschloss. Sofort nachdem sie die Tür geöffnet hatte, verriet uns ein kalter Luftzug, dass hier irgendetwas nicht in Ordnung sein konnte. Die Sicherheitstür am anderen Ende des Ganges stand auf! Ebenso die Tür zu Mrs. Randolphs Zimmer! Sofort rasten wir den Gang entlang und in den Raum hinein: er war leer. Auf dem Bett befand sich lediglich ein tellergroßer Blutfleck. "Nein!", rief ich bestürzt und hastete durch die offene Sicherheitstür in die Waschküche, das Gewehr im Anschlag. Nichts und niemand war zu sehen, durch den zerstörten Hintereingang drang nur die kalte Nachtluft hinein. Der Mörder war einfach hier hereinspaziert und hatte sich Mrs. Randolph geschnappt! Ich konnte es nicht fassen.

"Wie ist das möglich?", fragte ich die Damen, in deren Gesichtern sich die gleiche Fassungslosigkeit widerspiegelte wie in meinem. Und, an Lady Gordon gerichtet: "Haben Sie denn gar nichts gehört?" Natürlich war das eine überflüssige Frage, wie ich bereits an dem Entsetzen erkennen konnte, das sich nun in ihrem Gesicht abzeichnete, als sie begriff, wie knapp sie offenbar selber dem Tod entronnen war. Außerdem offenbarte mir aber auch ein schneller Blick auf die Schlösser beider Türen keine Gewalteinwirkung. Scheinbar hatte der Mörder kaum Lärm verursacht - wie auch immer er das angestellt hatte. Und die ansonsten eher schreifreudige Mrs. Randolph? Warum hatte sie keinen Mucks von sich gegeben? Mir fiel ein, dass Dr. Tiller ihr nach ihrem Fluchtversuch am Nachmittag starke Beruhigungsmittel verabreicht hatte. Vermutlich hatte sie nichts bemerkt, bevor es zu spät war.

Ich ließ mich gegen die Wand sinken und rieb mir die Stirn. Wie war es möglich, dass der Mörder hier einfach so eindringen konnte? Bisher waren wir davon ausgegangen, dass er keine andere Möglichkeit hatte, als sich hier gewaltsam Zutritt zu verschaffen, was mit Sicherheit Lärm verursacht und uns alarmiert hätte. Natürlich wussten wir, dass er theoretisch durch den zerstörten Hintereingang problemlos in die Waschküche gelangen konnte, aber dann hätte er vor einer verschlossenen Sicherheitstür gestanden. Von der Waschküche führte noch eine Treppe in den Keller, aber auch dieser Weg endete schnell vor einer solchen Tür. Es gab dafür nur eine mögliche Erklärung, und Mrs. Stevens-McCormmick sprach sie aus: "Kann es sein, dass er Schlüssel hat?"

Ich dachte darüber nach und dann durchfuhr es mich wie ein Blitz: "Oh, mein Gott, wir Hornochsen! Natürlich hat er welche!", platzte es aus mir heraus. Mir war eingefallen, dass wir in Charles Johnsons Kellerraum an der Wand einen Haken gesehen hatten, der offensichtlich für ein Schlüsselbund dort angebracht worden war - einen leeren Haken. Ich vergrub mein Gesicht in den Händen und war der Verzweiflung nahe. Unsere Gedankenlosigkeit hatte soeben ein Menschenleben gefordert. Am liebsten wäre ich auf der Stelle tot umgefallen.

Es dauerte einen Moment, bis wir uns nach diesem Schock wieder so weit zusammengerissen hatten, dass wir die Türen erneut abschließen und uns wieder in die Bibliothek begeben konnten. Die Damen legten sich auf den Matratzen schlafen, ich jedoch patrouillierte die ganze restliche Nacht mit geladener Waffe durch die Gänge des Sanatoriums. So etwas würde mir nicht noch einmal passieren. Sollte sich der Mörder dazu entschließen, noch einmal zurückzukehren, würde ich ihm einen angemessenen Empfang bereiten.

3. Tag

Gegen 8 Uhr morgens weckte ich Pater Benedict und Dr. Tiller, den Damen wollte ich noch etwas mehr Schlaf gönnen. Nachdem die beiden Herren im Esszimmer Platz genommen hatten, setzte ich sie über die Geschehnisse der letzten Nacht ins Bild. Wie zu erwarten, zeigten sie sich merklich betroffen, und waren wie ich der Meinung, dass wir uns auf die kommende Nacht entsprechend vorbereiten müssten. Charles Johnson würde sich mit Sicherheit ein weiteres Opfer holen wollen, und das galt es unter allen Umständen zu verhindern.

Zunächst wollte ich jedoch der Steinplatte auf dem Ostteil der Insel einen Besuch abstatten, um nach Hinweisen zu suchen und mich zu vergewissern, dass Mrs. Randolph wirklich nicht mehr zu helfen war. Dr. Tiller zeigte sich von dieser Idee wenig angetan, Pater Benedict bot sich jedoch an, mich zu begleiten. Bei dem Anblick, der mich dort wahrscheinlich erwarten würde, war ein wenig geistlicher Beistand vermutlich nicht die schlechteste Idee, und so nahm ich das Angebot gerne an.

Kurz darauf waren wir bereits unterwegs. Wir folgten dem Trampelpfad ins Inselinnere und wandten uns an der Abzweigung nach rechts. Der Weg beschrieb eine weite Linkskurve an der Küste entlang und nach etwa 30 Minuten Fußmarsch kam der Steintisch in unser Blickfeld. Schon von weitem sahen wir, dass sich darauf etwas bewegte. Ich machte meine Elefantenbüchse bereit und wir näherten uns weiter an. Es war ein Schwarm Möwen, der sich auf dem Tisch niedergelassen hatte. Die Tiere pickten eifrig auf der Oberfläche der Steinplatte herum, und einige sahen wir mit roten Fleischfetzen im Schnabel davonfliegen. Weitere Möwen kreisten über dem Tisch und warteten offenbar darauf, dass sie an der Reihe waren.

In etwa zehn Metern Entfernung blieben wir stehen. Natürlich war uns im Grunde vollkommen klar, womit sich die Tiere da gerade den Bauch vollschlugen, aber die Situation war einfach zu bizarr. Ich musste daran denken, dass auf dem Tisch ja auch noch die Überreste des Ornithologen lagen und hätte angesichts der Ironie seines Schicksals beinahe laut aufgelacht. Stattdessen hob ich kurzerhand mein Gewehr und schoss in die Luft.

Pater Benedict fuhr zusammen und starrte mich entsetzt an. Die Möwen stieben auf und flatterten in alle Richtungen davon - Ziel erreicht. In beiden Fällen. Mein eisiger Blick hielt Pater Benedict offenbar davon ab, irgendetwas zu sagen, aber ab diesem Moment ließ er mich nicht mehr aus den Augen. Egal. Irgendwie hatte ich mich abreagieren müssen, um den angestauten Frust über die eigene Machtlosigkeit loszuwerden. Die Gelegenheit war günstig und Pater Benedict gerade da - Pech gehabt.

Ich ging zum Steintisch.

Fortsetzung in Teil 12: Spurensuche
Take me out to the black, tell 'em I ain't comin' back.

DU#1229

  • Gast
Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #50 am: 07. Mai 2008, 10:18:36 »
sehr nett!

Halvar

  • Mitglied
Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #51 am: 14. Mai 2008, 06:34:24 »
Teil 12: Spurensuche

Fortsetzung Session 03.11.2007

Jeder geistig und moralisch gesunde Mensch würde versuchen, sich den Anblick eines zerrissenen Körpers zu ersparen, und normalerweise würde auch ich so handeln. Hier aber war es etwas anderes: Für den Tod von Mrs. Randolph fühlte ich mich in gewisser Weise mitverantwortlich. Ich war es ihr einfach schuldig, mich den Tatsachen zu stellen. Vielleicht wollte ich mich auch nur selbst bestrafen für meine Unbesonnenheit, wer weiß. Dr. Tiller hätte das bestimmt herausfinden können, aber der war nicht hier und mir war es ohnehin einerlei.

Bevor ich es überhaupt wagte, einen Blick auf die Steinplatte selbst zu werfen, ließ ich auf dem Weg dorthin meine Augen über den Boden schweifen und suchte nach Spuren. Pater Benedict blieb in weiser Voraussicht an der Stelle stehen, an der ich den Schuss abgegeben hatte.

Tatsächlich hatte jemand den gleichen Weg genommen wie wir: Eine noch relativ frische Spur aus Schuhabdrücken führte vom Trampelpfad aus direkt zum Steintisch, außerdem hatte der Betreffende etwas Schweres hinter sich hergezogen - es hätte mich auch gewundert, wenn Mrs. Randolph freiwillig hierher gekommen wäre.

Mit fest auf den Boden gehefteten Augen umrundete ich in geringem Abstand den Tisch und fand weitere Schuhabdrücke. Schließlich führte noch eine Spur vom Ort des Geschehens auf geradem Weg Richtung Nordwesten in den Wald hinein. Offenbar hatte sich der Mörder nach getaner Arbeit direkt dorthin zurückgezogen.

Nun kam ich jedoch nicht mehr umhin, einen Blick auf die Steinplatte zu werfen. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und hob den Kopf. Der Anblick glich jenem des Ornithologen vom Vortag, dieses Mal jedoch hatte sich der Mörder etwas Besonderes einfallen lassen: Die obere Hälfte von Mrs. Randolphs Schädel stand mittig auf dem Tisch, so dass es aussah, als wäre sie bis zur Nase in dem Stein versunken. Darauf waren über Kreuz ihre Arme drapiert - oder besser: das, was davon übrig war. Viel mehr als Knochen, einige Fleischreste und Kleidungsfetzen war nicht mehr zu erkennen. Auch ihre Augenhöhlen waren leer - die Möwen hatten ganze Arbeit geleistet.



Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken und Ekel stieg in mir auf, aber ich schaffte es glücklicherweise, ihn wieder hinunterzuschlucken. Der Anblick von so vielen schrecklich zugerichteten Leichen während der letzten beiden Tage hatte mich wohl etwas abstumpfen lassen - in diesem Moment kam mir das sehr zupass.

Ich ging zurück zu Pater Benedict und berichtete ihm, was ich gefunden hatte. Als ich ihm den merkwürdigen Zustand von Mrs. Randolphs Überresten schilderte, wollte er sich die Sache jedoch unbedingt selbst ansehen, und so begleitete ich ihn zum Tisch zurück.

Stumm starrte er einige Sekunden auf die grausige Szenerie. "Sieht aus wie ein Ritual", murmelte er dann leise in sich hinein, ohne den Blick von dem Tisch abzuwenden. Ich hob eine Augenbraue. "Sehen Sie diese Kerben hier?", fragte er und deutete auf mehrere Stellen auf der blutbesudelten Oberfläche des Steintischs. Widerwillig beugte ich mich etwas vor. An den von Pater Benedict angedeuteten Stellen befanden sich in unregelmäßigen Abständen mehrere halbmondförmige Einkerbungen in der Steinplatte, die relativ frisch zu sein schienen. "Ja?", fragte ich zurück und war äußerst gespannt darauf, was nun kommen würde. "Die stammen wahrscheinlich von einer Axt", sagte er schließlich. Ich entspannte mich etwas. Dass der Mörder eine Axt besaß, hatten wir ja bereits seit Ebenezers gespaltenem Schädel vermutet, und dies schien sich hier zu bestätigen. Ich hoffte bloß, dass Pater Benedict sein Wissen über Axtspuren vom vielen Holzhacken her hatte.

Pater Benedict sprach noch ein kurzes Gebet, dann entschlossen wir uns, den Spuren weiter in den Wald hinein zu folgen. Vielleicht konnten wir so herausfinden, wo sich der Mörder versteckt hielt. Die Abdrücke setzten sich auch im Wald in einer relativ geraden Linie fort, so dass es nicht allzu schwer war, ihnen zu folgen. Nach etwa 50 Metern hörte die Spur jedoch plötzlich auf. Ich ging zurück zu der Stelle, an der ich den letzten Abdruck gesehen hatte, um zu untersuchen, ob der Mörder vielleicht die Richtung gewechselt hatte, fand jedoch auch in der näheren Umgebung nichts. Ich musste Pater Benedict gestehen, dass ich die Spur verloren hatte.

Die einzige Möglichkeit, die uns noch blieb, war einfach in die Richtung weiterzugehen, in die die Spur zuletzt geführt hatte - mit etwas Glück hatte der Mörder seinen Weg einfach in gerader Linie fortgesetzt. Also taten wir es ihm gleich. Wir waren etwa weitere 50 Meter gegangen, als wir den Waldrand erreichten und auf den nördlichen Strand hinaussahen, genau auf das alte Schiffswrack. Pater Benedict und ich warfen uns fragende Blicke zu - sollte sich der Mörder doch dort irgendwo versteckt halten? Wir hielten es kaum für möglich, aber scheinbar war das Wrack das Ziel des Mörders gewesen.

Bevor wir uns auf den Weg über den Strand machten, wollte ich jedoch den Waldrand erneut nach Spuren absuchen. Spätestens auf dem Sand sollten die Fußabdrücke eigentlich leicht wiederzufinden sein. Ich ging ein wenig auf und ab und ließ meinen geübten Blick über den Boden streifen - ergebnislos. Wahrscheinlich war der Mörder gar nicht hier gewesen, sondern hatte im Wald doch eine andere Richtung eingeschlagen.

Trotzdem wollten Pater Benedict und ich sicherstellen, dass an dem alten Holzwrack nicht doch noch irgendetwas faul war, also begaben wir uns dorthin und nahmen eine gründliche Untersuchung vor. Auch am Wrack selbst waren keine frischen Spuren zu erkennen, ebenso wenig darin. Pater Benedict schätzte das Alter des Schiffs auf etwa 100 Jahre und hielt es für einen Walfänger - in solchen Dingen kannte er sich also auch noch aus. Ich nahm mir vor, ihn bei nächster Gelegenheit mal zu fragen, was er neben seiner Haupttätigkeit als Bettelmönch noch so alles in seiner Freizeit anstellen würde.

Momentan jedoch mussten wir uns eingestehen, dass unsere Spurensuche erfolglos gewesen war und es wohl auch bleiben würde. Also beschlossen wir, zum Sanatorium zurückzukehren und den anderen von Mrs. Randolphs Tod zu berichten. Als auf dem Rückweg die Anspannung allmählich von mir abfiel, brach die Müdigkeit über mich herein. Mir fehlte eine Nacht Schlaf, und das ließ sich nun auch nicht mehr verleugnen.

Als Pater Benedict und ich im Sanatorium eintrafen, waren die anderen gerade dabei, ihr Frühstück einzunehmen. Da die Patienten mit am Tisch saßen, verloren wir über unsere Entdeckungen natürlich vorerst kein Wort. Als einer von ihnen fragte, wo denn Mrs. Randolph wäre, antwortete Dr. Tiller, dass sie leider momentan unpässlich sei. Glücklicherweise reichte diese Erklärung, und streng genommen war das ja auch noch nicht einmal gelogen. Pater Benedict und ich beendeten das Frühstück mit den anderen, dann brachten wir die Patienten auf ihre Zimmer zurück und begaben uns allesamt in die Bibliothek.

Natürlich waren die Damen und Dr. Tiller nicht überrascht, von Mrs. Randolphs Tod zu hören. Pater Benedict und ich hatten allerdings auch beschlossen, ihnen die grausigen Einzelheiten der Umstände von Mrs. Randolphs Auffinden zu ersparen - sie waren auch so schon mehr als genug aufgewühlt. Pater Benedict und ich waren zu der Auffassung gelangt, dass uns der Mörder damit ohnehin nur Angst einjagen wollte, und maßen dem keine weitere Bedeutung bei.

Inzwischen konnte ich jedoch kaum noch die Augen offen halten. Ich entschuldigte mich, erledigte meine Morgentoilette und legte mich in eines der Gästezimmer. Sofort schlief ich ein.

Fortsetzung in Teil 13: Audienz bei Annephis
Take me out to the black, tell 'em I ain't comin' back.

Halvar

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Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #52 am: 14. Mai 2008, 06:37:49 »
Als Entschädigung dafür, dass dieser Teil wieder nur sehr kurz ist, folgt noch ein kleines Schmankerl, außerdem kann ich jetzt schon mal sagen, dass Teil 13 dafür um so länger ausfallen wird. :)
Take me out to the black, tell 'em I ain't comin' back.

Halvar

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Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #53 am: 14. Mai 2008, 06:49:32 »
Dramatis personae: Lady Elizabeth Gordon

Ich stamme aus guten Verhältnissen, habe allerdings mit 17 den letzten Verwandten verloren.

Einige Jahre meines Lebens war ich mit einem ebenfalls adeligen Mann verheiratet. Diese Ehe zählte zu den schlechtesten Erfahrungen, die ich bisher gemacht habe.

Mein Beruf "Privatdetektiv", den ich seit meiner Scheidung ausübe, macht mir Spaß. Ich betreibe ihn allerdings nicht öffentlich mit Kanzlei, Visitenkarte, etc., sondern werde nur weiterempfohlen, da ich hauptsächlich in den gehobenen Kreisen recherchiere und da ein "Schnüffler" nicht erwünscht ist. Für ein unauffälliges Arbeiten dort hilft mir meine adlige Abstammung, da ich ohnehin dort verkehre. Ehemalige Kunden reden nicht darüber, dass sie mich beauftragt haben, um ggf. neue Aufträge aussprechen zu können und auch, um sich nicht selbst zu schaden, indem bekannt wird, dass sie einen Privatdetektiv beauftragt hatten. Außerdem bitte ich bei jeder Beauftragung um gegenseitige Diskretion.

Aufgrund der alleinigen Arbeitsweise wurde es in der Vergangenheit trotz aller Diskretion und Vorsicht immer mal brisant und ich musste mich verteidigen. Dazu habe ich Kampfsport gelernt und nutze nur in absoluten Ausnahmefällen den Revolver, da ich keinerlei Auffälligkeiten wünsche.



Steckbrief:

  • Name: Lady Elizabeth Gordon
  • Geburtsort: Salisbury
  • Alter: 36
  • Geschlecht: Weiblich
  • Titel: Lady
  • Wohnort: London-Camden
  • Hautfarbe: Weiß
  • Haarfarbe: Braun
  • Augenfarbe: Grün
  • Besondere Kennzeichen: Jugendliches Aussehen
  • Beruf: Privatdetektivin

Anmerkung: Hintergrund und Steckbrief wurden auf jene Dinge gekürzt, die den anderen Spielern bekannt sein dürfen.
« Letzte Änderung: 06. September 2008, 21:08:22 von Halvar »
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Der Wurm

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  • Hair Loss is God's Way to tell me I'm human
    • http://www.lastfm.de/user/Rentner65/
Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #54 am: 14. Mai 2008, 09:05:57 »
Wieder sehr schön zu lesen.
Arbeitslos in Grönland
"I'm burning gas until I feel all right"

Nyarlathotep

  • Mitglied
Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #55 am: 14. Mai 2008, 10:43:15 »
Freut euch schon mal auf den nächsten Teil! Genial!
 :D

Falls sich jemand wundert, warum ich hier als SL, der das Abenteuer geleitet hat, meinen Senf dazugebe, auch für mich ist es spannend, das ganze aus Spielersicht zu "erleben".
DO NOT FUCK WITH CTHULHU

Gilvart

  • Mitglied
Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #56 am: 25. Mai 2008, 21:27:45 »
Super geniale Story Hour, schön zu lesen und endlich mal was zu Cthulhu!
Allerdings wirds Zeit für ein neues Update!;)

Halvar

  • Mitglied
Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #57 am: 26. Mai 2008, 04:22:14 »
Ja, wird es allerdings, sorry.  :-\

Zwei Gründe dazu:
1. Teil 13 musste ich mehrmals überarbeiten und wollte sicherstellen, dass sich nicht noch was ändert (das ist aber inzwischen gewährleistet, denke ich).
2. Teil 14 habe ich nocht nicht mal angefangen, weil ich noch andere Dinge erledigen muss(te). Das wird sich aber in Kürze wieder bessern und dann geht's weiter.

Vielen Dank aber jedenfalls für das Lob!

Als kleine Entschädigung kann ich lediglich noch ein paar Meta-Infos anbieten - vielleicht interessiert das ja den ein oder anderen:
  • In der Hintergrund-Geschichte meines Charakters (hier) spielt ja dessen Cousin Edward Mannock eine große Rolle. Den gab es wirklich: Wikipedia Deutsch/Englisch (die englische Version ist ausführlicher). Ich habe mich bei meinem Charakter stark von dessen Geschichte inspirieren lassen.
  • Mein Charakter-Portrait ist ein Bild von Erik von Otter, einem schwedischen Baron, der nach Ostafrika ausgewandert ist.
  • Das Charakter-Portrait von Lady Elizabeth Gordon ist ein Bild von Alice Paul, einer amerikanischen Frauenrechtlerin.
« Letzte Änderung: 03. August 2008, 21:47:48 von Halvar »
Take me out to the black, tell 'em I ain't comin' back.

Gilvart

  • Mitglied
Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #58 am: 26. Mai 2008, 22:00:14 »
Qualität ist leider nicht in 5 Minuten getippt!;)
Aber weiter so. Hoffe es bleibt nicht bei diesem Abenteuer!

Halvar

  • Mitglied
Cthulhu: Das Sanatorium
« Antwort #59 am: 01. Juni 2008, 07:27:54 »
Teil 13: Audienz bei Annephis

Fortsetzung Session 03.11.2007

Es war erst früher Nachmittag, als ich durch ein vorsichtiges Klopfen an meiner Zimmertür geweckt wurde. "Ja, bitte?", fragte ich verschlafen. "Mr. Mannock, bitte entschuldigen Sie die Störung, aber ich denke, es ist besser, wenn Sie aufstehen", antwortete die besorgt klingende Stimme von Mrs. Stevens-McCormmick. "Was ist los?", fragte ich und warf mich aus dem Bett. Während ich mich hastig ankleidete, berichtete sie mir durch die geschlossene Tür, dass sich Lady Gordon und Dr. Tiller nun schon seit einiger Zeit in einer Sitzung mit Darlene befinden würden. Sie hatten Darlene den in ihrer Patientenakte angegebenen Drogencocktail verabreicht, um mit ihrer multiplen Persönlichkeit Annephis Kontakt aufzunehmen. Mrs. Stevens-McCormmick selbst hatte an dieser Sitzung zunächst auch teilgenommen, dann jedoch den Raum verlassen, nachdem es ihr zu bunt geworden war: "Diesen Unfug wollte ich mir nicht länger anhören." Mehr wollte sie zum Inhalt des Gesprächs nicht sagen, fügte dann jedoch hinzu: "Allerdings dauert die Sitzung nun schon außergewöhnlich lange und so allmählich fange ich an, mir Sorgen zu machen."

Meine Müdigkeit wich einer Mischung aus Bestürzung und Empörung und mir rasten einige Gedanken durch den Kopf. Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass solche fragwürdigen Methoden nur im äußersten Notfall zur Anwendung kommen sollten, und dieser war hier meiner Ansicht nach nicht gegeben. Warum hatten die Damen und Dr. Tiller das getan? Nichts, was uns Darlene in ihrer Gestalt als Annephis erzählen könnte, würde uns irgendwie gegen den wahnsinnigen Axtmörder alias Charles Johnson weiterhelfen, der uns gegenwärtig bedrohte. Hinzu kam, dass sie in meinen Augen ein unkalkulierbares Risiko eingegangen waren. Was, wenn Darlene in ihrer Annephis-Gestalt plötzlich gewalttätig werden und sie angreifen würde? Gut, Lady Gordon wusste sich durchaus zu verteidigen, aber man konnte nie wissen, wozu Menschen unter Drogeneinfluss imstande sind.

Als ich fertig angezogen war, schnappte ich mir meine Elefantenbüchse und riss die Tür auf. "Ich sehe mir das mal an. Besser, Sie warten hier", sagte ich und ging schnellen Schrittes in Richtung Patiententrakt. Mrs. Stevens-McCormmick blieb vor meiner Tür stehen und schaute mir mit sorgenvoller Miene hinterher.

Vor dem Behandlungsraum angekommen legte ich zunächst mein Ohr an die geschlossene Tür und lauschte. Ich hörte Gesang! In dem Zimmer sang eine mir fremde, weibliche Stimme in einer mir unbekannten Sprache. Mich beschlich ein äußerst ungutes Gefühl. Ich machte meine Waffe bereit und öffnete die Tür so leise wie möglich einen Spalt breit, um in den Raum hineinlugen zu können. Darlene saß auf der Liege und malte mit ihren Fingern auf einem Blatt Papier herum, während sie mit dieser fremden Stimme eine monotone Melodie sang. Dr. Tiller und Lady Gordon saßen davor und schauten ihr offenbar dabei zu, regten sich jedoch nicht. Augenscheinlich hatten sie mich nicht bemerkt, aber da sie mit dem Rücken zu mir saßen, konnte ich ihre Gesichter nicht sehen.



"Pst", machte ich in den Raum hinein und schob die Tür ein Stückchen weiter auf. Lady Gordon und Dr. Tiller drehten ihre Köpfe zu mir herum, Darlene jedoch schien nichts zu bemerken - jedenfalls setzte sie ihre Aktivitäten unbeeindruckt fort. Wie mir jetzt auffiel, befand sie sich scheinbar in einer Art Trancezustand. Mit verärgerter Miene gab ich Dr. Tiller und Lady Gordon durch eine Geste zu verstehen, dass ich wissen wollte, was hier los war. Lady Gordon antwortete mir ebenfalls mit einer Geste, dass alles in Ordnung sei, und deutete mir dann an, dass ich den Raum verlassen sollte. Ich traute dem Braten zwar nicht vollends, trotzdem erschien es mir als das Klügste, ihrem Wunsch zunächst zu entsprechen. Leise schloss ich die Tür, begab mich zu Mrs. Stevens-McCormmick zurück und berichtete ihr, was ich gesehen hatte.

Auf dem Weg nach unten in die Bibliothek bat ich Mrs. Stevens-McCormmick, mich darüber in Kenntnis zu setzen, was in der Zwischenzeit alles geschehen war. Wie sich herausstellte, war das so einiges: Zunächst waren sie und Pater Benedict in den Keller gegangen, da der Pater sich den Blutfleck an der Wand von Allen Hardings Zimmer noch einmal genauer anschauen wollte. Er meinte, der Fleck ergäbe eine Symbolik, die ihm irgendwie bekannt vorkommen würde. "Wo ist Pater Benedict jetzt?", unterbrach ich ihren Bericht. "Noch immer dort unten", antwortete sie und fügte hinzu: "Er sagte, dass er Zeit und Ruhe bräuchte, um den Fleck zu untersuchen, also habe ich mich Lady Gordon und Dr. Tiller angeschlossen." Ich runzelte die Stirn und nahm mir vor, dem Pater dort unten später mal einen Besuch abzustatten.

Inzwischen hatten wir in der Bibliothek Platz genommen. Mir fiel ein Buch auf, das dort aufgeschlagen auf dem Tisch lag und das ich noch nicht kannte. "Was ist das?", fragte ich. "Das Castro-Manuskript", antwortete Mrs. Stevens-McCormmick, "das ist das Buch, das Dr. Brewer in seinem Tagebuch erwähnt hat. Das Buch, das er wohl von diesem 'Jameson' aus London bekommen hat. Ich lese es gerade." Erstaunt nahm ich es in die Hände. Es fühlte sich irgendwie unangenehm an. "Woher haben Sie das?", fragte ich und legte es vorsichtig wieder auf den Tisch zurück. "Dazu komme ich jetzt", antwortete sie mir und setzte ihre Erzählung fort: "Wir hatten die Idee, mit Blanche eine psychoanalytische Sitzung abzuhalten, um in Erfahrung zu bringen, ob sie eventuell die Kombination des Safes weiß. Wie sich herausstellte, kannte sie zwar die Zahlenfolge selbst nicht, konnte jedoch sagen, wo sie zu finden war: Auf einem Zettel, der an der Unterseite von Brewers Nachttisch klebt. Tatsächlich haben wir dann an der angegebenen Stelle die Kombination gefunden und den Safe damit öffnen können. Neben wichtigen Dokumenten, Unterlagen und Wertpapieren, die jedoch allesamt nicht auffällig oder irgendwie ungewöhnlich waren, befand sich darin aber auch dieses Buch. Eine Seite war markiert, vermutlich ein Hinweis von Jameson an Brewer." Mit diesen Worten schlug sie die entsprechende Seite auf und zeigte darauf: "Hier!"

Zitat
Markierte Seite im Castro-Manuskript

Und man sagt, dass, als "Jene, die warten" in das Land des Pharao kamen, sie das Land verwüsteten und erst dann gestoppt und vernichtet werden konnten, als sie der Priesterin Annephis vom Tempel der Bast gegenüberstanden. Sie wanderten des Nachts und fürchteten Ra ebenso wie das rauschende Wasser. Und die Steine wurden von ihr geschaffen und von der Priesterin getragen. Sie trieb mit diesen die Kreaturen in den Nil, welcher sie zum Meer trug, wo sie vernichtet wurden. Annephis starb an ihren Wunden und mit ihr, so sagt man, starb das Geheimnis der Steine. Sie wurde in einem Grab an einem Ort bestattet, der bislang noch nicht wiederentdeckt wurde.

Wie es schien, hatte ich hier die Erklärung, warum Darlenes multiple Persönlichkeit Annephis plötzlich für die Damen und Dr. Tiller so interessant geworden war, auch wenn das scheinbar nicht unmittelbar etwas mit unserem aktuellen Problem zu tun hatte, sondern wohl eher in die Richtung "wissenschaftliches Interesse" ging. Die Patienten unter Drogen zu setzen, konnte ich zwar trotzdem nicht gutheißen, aber zu erfahren, woran Dr. Brewer genau gearbeitet hatte, konnte sicherlich auch nicht schaden. Vielleicht hatten seine Experimente ja tatsächlich irgendetwas damit zu tun, dass Charles Johnson in den Wahnsinn getrieben und zu einem blutrünstigen Serienmörder geworden war. Andere Anhaltspunkte hatten wir jedenfalls nicht, und so war es zwar unschön, aber zumindest nachvollziehbar, dass die anderen nach diesem Strohhalm gegriffen hatten.

"Gratuliere!", sagte ich zu Mrs. Stevens-McCormmick, "Blanche zu fragen war eine großartige Idee." Sie errötete leicht und berichtete, dass sie vor Darlene noch eine "normale" Sitzung mit Henry Adam Barber abgehalten hatten, die jedoch ergebnislos verlaufen war. Danach hatte die Sitzung mit Darlene begonnen und den Rest würde ich kennen.

Allerdings stellte sich heraus, dass wir nun vor einem anderen Problem standen: Es war höchste Zeit, dass die Patienten ihre Medikamente bekamen, und Dr. Tiller, der dies ansonsten immer erledigt hatte, würde sich noch auf unbestimmte Zeit im Behandlungsraum aufhalten. Es blieb uns also nichts anderes übrig, als dies selbst in die Hand zu nehmen. Glücklicherweise hatte Dr. Tiller Mrs. Stevens-McCormmick detaillierte Anweisungen gegeben, so dass wir zumindest wussten, welchem Patienten wir welche Arzneimittel zu verabreichen hatten. Als problematisch erwies sich lediglich Leonard Hawkins, denn dessen Medikation gab es nur in Injektionsform. Weder Mrs. Stevens-McCormmick noch ich hatten jemals irgendjemandem eine Spritze gesetzt. Da ich jedoch aus dem Krieg zumindest einige Erfahrung als Ersthelfer hatte und Hawkins eine Frau bestimmt ohnehin nicht so nahe an sich heranlassen würde, blieb mir nichts anderes übrig, als es trotzdem zu versuchen.

Hawkins warf mir skeptische Blicke zu, während ich die Vene in seiner Armbeuge suchte. Als ich glaubte, sie gefunden zu haben, nahm ich allen Mut zusammen, drückte die Nadel in die Ader hinein und den Kolben der Spritze langsam herunter. Als sie leer war, zog ich die Nadel vorsichtig heraus und drückte einen Wattebausch auf die Einstichstelle - scheinbar hatte es geklappt. "Sie können von Glück sagen, dass ich nichts gespürt habe", drohte Hawkins und legte sich wieder hin.

Nach diesem medizinischen Husarenstück hatte ich mir mein Mittagessen redlich verdient. Mein Magen hing ohnehin schon in den Kniekehlen. Zum Glück hatten mir die anderen freundlicherweise etwas übriggelassen, das ich nun hastig in mich hineinschlang. Mrs. Stevens-McCormmick war in der Bibliothek geblieben und las weiter im Castro-Manuskript.

Ich wollte mich gerade auf den Weg in den Keller machen, um nach Pater Benedict zu schauen, als dieser auch schon die Treppe hinaufkam. Ich begleitete ihn in die Bibliothek und er berichtete uns, was er herausgefunden zu haben glaubte: "Die Linien, die Harding mit seinen Fingern in das Blut gezeichnet hat, bilden ein äußerst kompliziertes Muster. Es war nicht einfach, es zu entschlüsseln, auch aufgrund des fehlenden Teils in der Mitte, aber ich denke, ich weiß jetzt, was es bedeuten soll. Es handelt sich um eine Art Tor."

Mrs. Stevens-McCormmick und ich blickten Pater Benedict verständnislos und ungläubig an. "Was meinen Sie mit 'Tor'?", fragte ich schließlich. "Einen Durchgang auf die andere Seite der Wand?" Die Idee erschien mir zunächst selbst abwegig, aber dann fiel mir ein, was sich auf der anderen Seite der Wand befand: Charles Johnsons Bett.

"Nein, nein", antwortete Pater Benedict jedoch, "bei frühzeitlichen Naturreligionen hat man ähnliche Muster schon gesehen. Sie stellen einen Übergang in eine andere Welt oder eine andere Dimension dar. Für diese Naturreligionen waren dies die Pforten zur Welt der Götter." Das ergab für mich nun überhaupt keinen Sinn. "Und warum hätte Harding so ein Ding an seine Wand malen sollen?", fragte ich. Pater Benedict zuckte mit den Achseln: "Das kann ich Ihnen auch nicht sagen."

Wie es schien, kamen wir hier nicht weiter. Mrs. Stevens-McCormmick hatte ohnehin kein Verständnis für diesen "abergläubischen Hokuspokus" und ich kam zu dem Schluss, dass Pater Benedict sich irgendwie geirrt haben musste. Wahrscheinlich hatte Harding im Wahn sein Blut einfach an die Wand geschmiert und das ähnelte dann eben zufällig einem Muster, das der Pater schon mal in irgendeinem Buch gesehen hatte. Anders konnte ich mir das nicht erklären. Wie auch immer, gegen Charles Johnson würde uns das jedenfalls nicht weiterhelfen.

Glücklicherweise mussten wir nur noch wenige Minuten mit unserer Ratlosigkeit ausharren, bis Lady Gordon und Dr. Tiller in die Bibliothek traten. Sie baten uns, mit ihnen die inzwischen eingeschlafene Darlene aus dem Behandlungsraum zu holen, und schlugen vor, sie in das unbelegte Patientenzimmer im Erdgeschoss umzuquartieren, da sie sie als ungefährlich einstuften. Dagegen war nichts einzuwenden, und so holten wir Darlenes Bettzeug und Matratze aus dem Keller und richteten das leere Zimmer E3 provisorisch für sie her. Danach trugen wir sie aus dem Behandlungsraum und betteten sie in ihr neues Refugium. Da wir inzwischen sehr neugierig auf das Ergebnis ihrer Sitzung waren, begaben wir uns allesamt in die Bibliothek. Dr. Tiller berichtete:

"Vorab kann ich bestätigen, dass Darlene an einer multiplen Persönlichkeitsstörung leidet: Fakten und Wahnvorstellungen verbinden sich bei ihr zu zahlreichen, neuen Identitäten, die abwechselnd die Kontrolle über ihr Verhalten übernehmen. Nachdem ich ihr die in ihrer Patientenakte beschriebene Rezeptur verabreicht und sie unter Hypnose gesetzt hatte, ist es mir gelungen, Darlenes multiple Persönlichkeiten zu aktivieren. Sie wechselte mehrfach von einer Identität zur nächsten, bis wir endlich Kontakt zu jener Frau bekamen, nach der wir gesucht hatten: Annephis, die ägyptische Prinzessin - oder Priesterin, wenn man dem Castro-Manuskript Glauben schenken kann - die vor mehr als 3.000 Jahren gelebt haben soll."

"Geht das schon wieder los?", unterbrach ihn Mrs. Stevens-McCormmick, "diese 3.000 Jahre alte Ägypterin spricht also perfekt Englisch, ja?" - "Sie hatte ja genug Zeit zum Lernen", erwiderte Lady Gordon schlagfertig mit einem Lachen. Ich musste auch schmunzeln, aber Dr. Tiller fand diesen Einwand anscheinend ganz und gar nicht witzig: "Mrs. Stevens-McCormmick, es steht natürlich völlig außer Frage, dass wir uns hier mit der eingebildeten Persönlichkeit einer kranken Patientin unterhalten haben. Dass es sich selbstverständlich nicht um die echte Annephis gehandelt hat, ist doch wohl hoffentlich allen hier im Raum klar!" Nach einigen Sekunden Stille, in denen Dr. Tiller niemand widersprochen hatte, fasste er sich wieder und setzte seinen Bericht fort:

"Es ist uns gelungen, mit Darlenes Annephis-Identität eine Konversation zu führen. Lady Gordon schilderte ihr die bisherigen Geschehnisse hier auf der Insel, um irgendetwas aus ihr herauszukitzeln, woraufhin sie fragte, ob 'Jene, die warten' wieder da wären. Lady Gordon bejahte dies, um das Gespräch weiter in diese Richtung zu lenken, und erkundigte sich, ob es irgendwelche Mittel gäbe, mit denen man gegen diese Kreaturen vorgehen könnte. Annephis erklärte, dass es ein Zeichen gäbe, vor dem sie sich fürchten würden. Daraufhin haben wir ihr ein Blatt Papier und einen Füllfederhalter in die Hand gedrückt und sie gebeten, dieses Zeichen aufzumalen. Annephis untersuchte den Füller, nahm ihn auseinander, tauchte ihre Fingerspitzen in die Tinte und begann dann, mit den Fingern auf das Blatt Papier zu zeichnen. Sie schien sehr konzentriert auf diese Tätigkeit, außerdem stimmte sie dabei eine Art rituellen Gesang an. Es hat einige Zeit gedauert, bis sie fertig war."

Während Dr. Tiller sprach, legte Lady Gordon das Blatt Papier auf den Tisch, das sie die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte. Darauf befand sich ein extrem kompliziertes und verschnörkeltes Linienmuster. Als zentrales Element war ein unregelmäßiger, fünfzackiger Stern zu erkennen, dessen Spitze nach oben zeigte, und in dessen Mitte ein Auge mit einer Flamme als Pupille dargestellt war. "Kennen Sie das?", fragte ich Pater Benedict. "Der Stern ist ein Pentagramm, ein weit verbreitetes okkultes Schutzsymbol. Aber in diesem Zusammenhang habe ich so etwas noch nie gesehen", antwortete er.



"Das war noch nicht alles", warf Lady Gordon ein, "Annephis hat uns auch gesagt, wie diese Wesen vernichtet werden können: Nur durch Sonnenlicht, Feuer und Wasser."

"Also, das wird mir jetzt wirklich allmählich zu albern", erwiderte Mrs. Stevens-McCormmick, "wir haben es hier nicht mit irgendwelchen Fabelwesen aus dem alten Ägypten zu tun, sondern mit einem Krankenpfleger, der den Verstand verloren hat! Ich weiß beim besten Willen nicht, wie uns das Geschwafel einer offensichtlich geistig verwirrten Frau dabei behilflich sein soll. Lassen Sie uns lieber darüber nachdenken, wie wir uns in der kommenden Nacht vor Johnson schützen können."

Dem war nichts mehr hinzuzufügen.

Fortsetzung in Teil 14: Showdown
« Letzte Änderung: 03. August 2008, 21:49:55 von Halvar »
Take me out to the black, tell 'em I ain't comin' back.

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