Teil 14: ShowdownFortsetzung Session 03.11.2007Wir einigten uns schließlich darauf, sämtliche Türen so gut wie möglich zu verbarrikadieren und die Patienten für die kommende Nacht allesamt ins Erdgeschoss zu verlegen, um sie besser im Auge behalten zu können - ein einziger Flur war schließlich leichter zu überwachen als zwei. Sogleich machten wir uns an die Arbeit.
Zunächst räumten wir die persönliche Habe der verstorbenen Mrs. Randolph in die Abstellkammer, dann quartierten wir Darlene in ihr Zimmer um. Den nun frei gewordenen, ehemals leer stehenden Raum belegten wir mit Leonard Hawkins, da er sich in Mrs. Randolphs Zimmer sicherlich unwohl gefühlt hätte. Da es nun im Erdgeschoss kein freies Zimmer mehr für Allen Harding gab, verlegten wir Colonel Billings kurzerhand ins Wohnzimmer - da er ohne fremde Hilfe noch nicht einmal seinen Rollstuhl verlassen konnte, erschien er uns als der geeigneteste Kandidat dafür. Schließlich führten wir den immer noch dahindämmernden Allen Harding in das Zimmer von Colonel Billings. Damit waren nun alle Patienten im Erdgeschoss untergebracht.
Danach begaben wir uns zu den Schuppen, um nach geeignetem Werkzeug zu suchen. Neben Hämmern und Nägeln fanden wir auch ein Brecheisen, mit dem wir sogleich damit begannen, Bretter aus einem der Schuppen zu hebeln und zum Sanatorium zu tragen. Sämtliche Türen, die in den Keller führten, wurden von uns verschlossen und mit Brettern vernagelt. Dann kümmerten wir uns um den zerstörten Hintereingang: Wir hoben die Tür des Wäscheschranks aus ihren Angeln, positionierten sie in der leeren Zarge der Hintertür und nagelten sie mit mehreren Brettern fest, dann rückten wir noch den schweren Wäschetrockner davor. Wenn Johnson hier einzudringen versuchen würde, dann hätte er zumindest ein hartes Stück Arbeit vor sich. Schließlich existierten noch zwei kleinere Nebeneingänge, von denen einer ins Foyer und der andere in die Küche führte. Beide wurden von uns verschlossen, außerdem stellten wir jeweils einen Stuhl davor, so dass wir hoffentlich durch Lärm gewarnt würden, falls Johnson es hier versuchen würde. Unser Plan war, uns an der verstärkten Tür zwischen Foyer und Patiententrakt zu postieren, da wir von dieser Position aus den Haupt- und den Hintereingang sowie den gesamten Flur mit den Patientenzimmern überblicken konnten.
Als wir mit der Arbeit fertig waren, begann der Abend zu dämmern. Wir rechneten jedoch nicht damit, dass Johnson vor Mitternacht auftauchen würde, und bis dahin waren es noch ein paar Stunden. Also beschlossen Dr. Tiller und ich, eine therapeutische Sitzung mit Leonard Hawkins abzuhalten, während die anderen Wache hielten oder sich ausruhten. Aus Hawkins' Akte wussten wir ja bereits, dass er in seinem religiösen Wahn von der "Ankunft derer, die warten" gesprochen hatte - ein ähnlicher Terminus wie er auch im Castro-Manuskript auftauchte. Wir hatten die Hoffnung, dass er uns vielleicht etwas mehr darüber erzählen konnte. Sicherheitshalber nahm ich meine Elefantenbüchse mit - wir hatten ja schon einmal eine Sitzung mit Hawkins abgehalten, bei der wir ihn nach den Ereignissen der Mordnacht befragt hatten, und auch dabei war er schon sehr unruhig geworden. Außerdem neigte er ja ohnehin zu gewalttätigen Ausbrüchen - wie er reagieren würde, wenn wir ihn auf "jene, die warten" ansprachen, konnte also niemand vorhersagen.
Im Behandlungszimmer angekommen legte sich Hawkins auf die Liege, Dr. Tiller setzte sich neben ihn und ich nahm wie gehabt auf einem Hocker etwas abseits Platz. Wie üblich begann Tiller die Sitzung damit, dass er beruhigend auf den Patienten einredete, sich nach seinem Befinden erkundigte und versuchte, dessen Vertrauen zu gewinnen. Während des Gesprächs war Hawkins zwar wie gewohnt ungehalten, beantwortete aber alle Fragen und verhielt sich ansonsten nicht weiter auffällig. Als Dr. Tiller ihn jedoch auf "jene, die warten" ansprach, änderte sich sein Verhalten schlagartig: Schweiß brach auf seiner Stirn aus, seine Atmung wurde schneller, er zitterte am ganzen Leib und blickte verängstigt im Raum umher. Dr. Tiller versuchte, beruhigend auf ihn einzureden, aber es war zwecklos. Als Hawkins sich anschickte, aufzustehen, sprang ich zu ihm hin und drückte ihn auf die Liege zurück. Er wehrte sich gegen meinen Griff und spie mir wüste Flüche ins Gesicht, dann hielt er jedoch kurz inne und brüllte: "Jene, die warten, sind die wahren Götter! Sie sind hier! Ihr solltet niederknien und sie preisen! Bald werden sie ihre Transformation abgeschlossen haben!"
Nach diesen wirren Worten wurde er etwas ruhiger und ich lockerte meinen Griff. Dr. Tiller fragte noch, woher er dieses Wissen habe, aber Hawkins hatte sich offenbar dazu entschieden, nichts mehr zu sagen. Er lag nur noch schwer atmend auf der Liege, die Augen geschlossen und beharrlich schweigend. Nach wenigen Minuten gab Dr. Tiller schließlich auf und wir brachen die Sitzung ab. Wir führten Hawkins in sein neues Zimmer zurück, begaben uns in die Bibliothek und erstatteten den anderen Bericht.
Wir nahmen noch ein schnelles Abendessen ein, dann sperrten wir die Patienten für die Nacht in ihre Zimmer und bezogen Posten am Eingang zum Patiententrakt. Die verstärkte Tür am Anfang des Flurs ließen wir geöffnet, damit wir alles hören konnten und freie Sicht durch das Foyer auf den Haupteingang hatten. Meine Elefantenbüchse hatte ich natürlich geladen und Mrs. Stevens-McCormmick trug den Revolver aus Dr. Brewers Schreibtisch.
Voller Anspannung warteten wir so noch eine Stunde, bis es Mitternacht war. Wir hatten uns auf den Boden gekauert und verhielten uns mucksmäuschenstill. Die Damen behielten die ganze Zeit über den Haupteingang im Auge, während ich durch den Flur in Richtung des Hintereingangs schaute. Pater Benedict und Dr. Tiller hatten sich in die Nische zurückgezogen, in der der Schreibtisch des Pflegepersonals stand, um im Ernstfall nicht im Schussfeld zu sitzen.
Es vergingen noch einige Minuten, ohne dass etwas geschah. Dann horchte Lady Gordon plötzlich auf. "Da war was", flüsterte sie. In diesem Moment hörten wir ein Krachen und Splittern hinter der verstärkten Tür zur Waschküche. Offenbar war irgendjemand gerade dabei, den verbarrikadierten Hintereingang einzuschlagen. Ich legte mich bäuchlings auf den Boden und legte auf die geschlossene Sicherheitstür an. Mrs. Stevens-McCormmick hockte sich neben mich und tat es mir mit ihrem Revolver gleich. Kurz darauf erfolgte ein erneuter Hieb, dann ein dritter. Wir hörten wie das Holz zerbarst, gefolgt von einem rumpelnden Schaben - der Wäschetrockner wurde verschoben. Es vergingen einige stille Sekunden, dann erfolgte der nächste Hieb, diesmal gegen die Sicherheitstür. Staub rieselte herab. Beim fünften Schlag sahen wir, wie die Klinge einer Axt durch die Tür drang - Johnson war da!
Ich machte mich bereit, zu schießen, sobald sich meinem Auge ein Ziel bot. Die Axt wurde wieder herausgezogen. Ich wartete auf den nächsten Hieb, doch nichts geschah. Gespenstische Stille senkte sich über den Gang herab. Mrs. Stevens-McCormmick und ich schauten uns fragend an. Wir konnten uns kaum vorstellen, dass Johnson schon aufgegeben hatte, also war er wohl gerade auf der Suche nach einem einfacheren Eingang. Vielleicht hatte er auch die Falle gewittert. Mrs. Stevens-McCormmick wandte sich wieder dem Haupteingang zu, ich beobachtete sicherheitshalber weiter die Hintertür.
Lange mussten wir nicht warten: Glas klirrte. Johnson hatte offenbar eine Fensterscheibe eingeschlagen. "Das kam aus dem Wohnzimmer!", rief Mrs. Stevens-McCormmick und hastete in Richtung Bibliothek. Verdammt, Colonel Billings! Lady Gordon und ich setzten ihr nach. Mrs. Stevens-McCormmick und ich rannten durch die Bibliothek zum Eingang des Wohnzimmers und richteten unsere Waffen in den Raum. Eines der drei Fenster war zerschlagen und die hereinströmende Nachtluft blähte die zugezogenen Vorhänge auf, aber ansonsten war nichts zu sehen. Colonel Billings saß unversehrt in seinem Rollstuhl. Lady Gordon eilte an uns vorbei in den Raum hinein, schnappte sich den Colonel und schob ihn ins Foyer, wo sie ihn unter der gegenüber liegenden Treppe abstellte. "Ein Ablenkungsmanöver?", fragte ich Mrs. Stevens-McCormmick. Sie zuckte mit den Achseln. "Ich bleibe hier, gehen Sie am besten in den Flur zurück", antwortete sie. "In Ordnung, aber stellen Sie sich besser an den Eingang zur Bibliothek, damit wir Sie sehen können", schlug ich vor. Mrs. Stevens-McCormmick stimmte mir zu und so bezog sie ihren neuen und ich meinen alten Posten. Lady Gordon blieb im Foyer bei Colonel Billings.
Es verstrichen einige Minuten, in denen nichts geschah. Gespannt warteten wir darauf, wo es der Mörder als nächstes versuchen würde. Plötzlich hörten wir, wie der Stuhl des Nebeneingangs in der Küche zur Seite geschoben wurde, dann folgten schnelle, schwere Schritte. Ich hatte gerade noch genug Zeit, um mich umzudrehen und in Richtung des Foyers zu zielen, als Johnson auch schon im Durchgang zum Esszimmer erschien. Er bot einen grauenerregenden Anblick: Ein Riese von einem Kerl, mindestens zwei Meter groß, seine ehemals weiße Pflegerkleidung vollständig von Blut und Dreck durchtränkt. In seinen Händen hielt er eine blutverschmierte Axt, die er zum Schlag erhoben hatte, während er quer durch das Foyer auf Mrs. Stevens-McCormmick zustürmte.
Diese schien vor Entsetzen gelähmt zu sein, jedenfalls starrte sie nur mit offenem Mund in seine Richtung. Als Johnson die Mitte des Foyers erreicht hatte, gelangte er in mein Schussfeld. Er musste mich jedoch in letzter Sekunde gesehen haben: Abrupt bremste er ab und warf sich zur Seite, als ich gerade abdrückte. Die Kugel verfehlte ihn und schlug ein großes Loch in die Wand neben dem Haupteingang. In diesem Moment hechtete Lady Gordon unter der Treppe hervor und stürmte ihm entgegen. Etwa zwei Meter vor Johnson sprang sie in die Luft und rammte ihm ihren rechten Fuß direkt unters Kinn. Wir hörten, wie Knochen und Zahnschmelz splitterten.
Jeder normale Mensch wäre nach so einem Tritt zu Boden gegangen - Johnson jedoch blieb stehen. Schlimmer noch: Er hob seine Axt. Mit vor Ungläubigkeit weit aufgerissenen Augen musste Lady Gordon mit ansehen, wie Johnson ausholte und die Klinge tief in ihren rechten Oberarm grub. Sofort quoll Blut aus der Wunde, aber Lady Gordon war wohl selbst zum Schreien zu verdutzt. Nun hatte sich Mrs. Stevens-McCormmick offenbar gefangen. Sie hob den Revolver und schoss. Die Kugel pfiff knapp an Johnson vorbei und bohrte sich in die Wand zum Esszimmer. Ich hatte inzwischen wieder auf Johnson angelegt. Während er mit seiner Axt zu einem weiteren Hieb auf Lady Gordon ausholte, die sich verzweifelt von ihm weg zu bewegen versuchte, drehte er sich plötzlich um und schaute mir direkt in die Augen. Sein Blick war kalt und leer. Sein Unterkiefer hing schief herunter und Blut troff daraus hervor. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken.
Dieser Schuss musste einfach sitzen, andernfalls würde ich erst einige Sekunden brauchen, um das Gewehr nachzuladen - genug Zeit für Johnson, um Lady Gordon und mich in kleine Stücke zu hacken. Ich biss die Zähne zusammen, zielte auf seine Stirn und drückte ab. Krachend löste sich der Schuss. Die Kugel drang vorne in Johnsons Stirn ein und trat an seinem Hinterkopf in einer Fontäne aus Blut und Gehirnmasse wieder aus. Johnson stand immer noch da und schaute mich mit seinen kalten Augen an. Dann polterte die Axt aus seiner Hand und schließlich sackte er zu Boden. Der Körper zuckte noch kurz und blieb dann reglos liegen.
Stille senkte sich über den Raum. Es dauerte einige Sekunden, bis ich die Situation begriffen hatte: Johnson war tot. Und ich hatte ihn erschossen. Zwar fühlte ich irgendwo Erleichterung, aber nach Jubelgeschrei war mir nicht zumute. Mein Verstand sagte mir zwar, dass es die einzige Möglichkeit gewesen war, ihn aufzuhalten, aber es änderte nichts daran, dass ich soeben einen Menschen getötet hatte. Ein wahnsinniger Serienmörder zwar, aber nichtsdestotrotz ein Mensch. Den anderen erging es offenbar nicht anders. Ich blieb an der Stelle liegen, an der ich den Schuss abgegeben hatte und atmete tief durch.
Am Rande bemerkte ich, wie Dr. Tiller an mir vorbeieilte und sich um die Wunde von Lady Gordon kümmerte. Auch Pater Benedict und Mrs. Stevens-McCormmick näherten sich langsam der Eingangshalle. Sollte es wirklich vorbei sein? So recht konnte das niemand von uns glauben. Wie in einem bösen Traum ging ich zu Johnsons Leiche, um mich davon zu überzeugen, dass er wirklich tot war. Ich trat sogar die Axt ein Stück von seiner Hand weg, nur um auf Nummer sicher zu gehen, obschon mir sehr wohl bewusst war, dass einen solchen Kopfschuss niemand hätte überleben können. Johnson war so tot wie seine Opfer.
Wir wollten die Leiche so schnell wie möglich aus dem Haus haben, also organisierte Pater Benedict ein Bettlaken aus dem Wäscheschrank. Der Pater und ich wickelten Johnson auf die altbewährte Weise ein, trugen ihn nach draußen und legten ihn neben der Treppe ab, wo zuvor schon Ebenezer gelegen hatte. Mrs. Stevens-McCormmick hatte sich inzwischen einen Eimer und einen Putzlappen besorgt und kümmerte sich um Johnsons Überreste, die sich an der Wand und auf dem Boden des Foyers verteilt hatten.
All dies taten wir, ohne dabei viel zu sprechen. Um so mehr erschraken wir, als plötzlich Allen Hardings Stimme durch die Räume und Gänge dröhnte: "IHR DENKT, DASS IHR IHN AUFGEHALTEN HABT, ABER IHR IRRT EUCH! NUN WIRD ES NOCH SCHLIMMER WERDEN! SCHLIMMER FÜR UNS ALLE!"
Ende Session 03.11.2007
Fortsetzung in Teil 15: Der Morgen danach