Autor Thema: [BW] Beliefs und Instincts in anderen Spielen  (Gelesen 2719 mal)

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Berandor

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[BW] Beliefs und Instincts in anderen Spielen
« am: 21. Februar 2008, 21:23:09 »
[BW]=Burning Wheel

In besagtem Burning Wheel werden Charaktere unter anderem durch jeweils 3 Beliefs und Instincts beschrieben. Beliefs sind die Prioritäten, Ziele, Glaubenssätze des Charakters und ermöglichen es, ordentlich artha (gaaanz grob vergleichbar mit Action Points) abzustauben. Instincts hingegen sind "Wenn-dann", "Immer" oder "Niemals"-Sätze, die Automatismen regeln, den Charakter etwas ausschmücken und die Regeln umgehen können.

Nun haben andere Rollenspiele diese Sachen nicht; im Folgenden will ich erzählen, wie sich auch ohne den mechanischen Vorteil diese beiden Beschreibungen dazu nutzen lassen, dem eigenen Spiel und dem gesamten Spiel-Erlebnis ein wenig mehr Power zu geben.

Das Spiel, um das es geht, ist in diesem Falle Midgard. Und zwar habe ich an einem Abenteuer teilgenommen, dass angeblich aus einer "Midgard 1880"-Reihe stammt und in einem deutschen Eliteinternat zu Bismarckschen Zeiten spielt. Jeder der Spieler verkörperte einen Internatsschüler, und kurz vor den Weihnachtstagen brach sich in diesem Internat ein Geheimnis mit Experimenten und Wolfsmenschen den Bann.

Da wir alle 12-jähre Jungs spielten, gab ich meinem Charakter ("Wilhelm von Eberswalde") folgende Beliefs und Instincts – die Instinkte habe in Ermangelung eines mechanischen Vorteils auch rollenspielerisch ausgelegt:

Beliefs
    [*]Mutter sagt, ich darf ihr keine Schande machen. Ich werde mich zu jederzeit meinem Stand angemessen verhalten und meine Höherstehenden respektieren.
    [*]Vater sagt, ich muss ein Mann werden. Ich werde nicht weinen, schwach sein oder um Hilfe bitten.
    [*]Gehorsam ist die oberste Tugend. Ich werde nichts Verbotenes tun.[/list]

    Instincts
      [*]Immer andere auf die Gefahren ihres Tun hinweisen (auf drohende Bestrafung)
      [*]Wenn ein Lehrer spricht, höre ich zu
      [*]Befehlen immer gehorchen.
      [/list]

      Dadurch wurde ich zu einem unter Schülern recht unbeliebten und unter Lehrern bekannten, aber manchmal als zu großer Schleimer bewerteten Jungen. Wilhelm war das Anhängsel der Bande von Raufbolden, welche die Schule unsicher machten, und in ihrer Gegenwart entsprechend auffällig – aber er war im Herzen kein gemeiner Kerl, sondern nur der totale und absolute Mitläufer, der die anderen Spieler schon zu Beginn durch "Mutter sagt..:" und "Vater sagt..." zum Augenrollen brachte.

      Folgendermaßen lässt sich nun die Auswirkung dieser niedergeschriebenen Sätze beschreiben:

        [*]Eines Nachts wacht Wilhelm auf und bemerkt auf dem Schulhof Merkwürdiges. Ich als Spieler will natürlich sehen, was los ist, und Wolfgang will das auch. Aber wenn er dabei erwischt würde... nein, nicht einmal das Fenster öffnen wagt er. Zu gefährlich, nachher gibt es noch Ärger. Also geht er zurück ins Bett. Wichtig hierbei war m.E., dass ich das Verlangen Wilhelms auch offen artikuliert habe und nicht nur sagte, "er geht wieder schlafen", sondern "Er würde jetzt echt gerne hinterher... aber wenn das rauskommt... Gehorsam ist die oberste Tugend, er legt sich wieder hin."
        [*]Die anderen Charaktere – die etwas modernere Ansichten zur Prügelstrafe hatten und wesentlich normalere "Abenteurer" waren – versuchten, die restlichen Kinder unseres Schlafsaals zum Aufstand gegen die Repressalien der Raufbolde zu bewegen. Wilhelm sprach sich dagegen aus, aber nicht, weil es seine Freunde waren: "Spinnt ihr? Ihr kriegt nur Ärger, die werden euch richtig verprügeln, und die Lehrer dann auch noch." Die meisten Kinder blieben darum ruhig. Dies war kein entscheidender Moment für das Fortkommen im Abenteuer, aber ein schöner Konflikt, der allen Spielern Spaß machte, zumal die anderen natürlich die besseren Argumente hatten und Wilhelm nur an Feigheit und Gehorsam appellieren konnte.
        [*]Einer der Charaktere pinkelte an die Tür des "bösen Professors", der mit seinen Lieblingsschülern immer seltsame Exkursionen im Wald unternahm. Wilhelm "durfte" die Pfütze aufwischen und frage dabei an, ob er mal mitdürfe. Der Professor verneinte. Daraufhin habe ich offen angekündigt, dass Wilhelm den Pinkler finden werde, um damit seinen Platz bei den Lieblingsschülern zu bekommen. Die Mitspielerin musste nun versuchen, ihre Pinkelaktion vor mir geheimzuhalten, was ihr bis kurz vor Schluss gelang. Dies war wieder m.E. nur in Ordnung, weil ich ganz klar sagte, worauf Wilhelm aus sei und dies nicht zu seinem vordersten Ziel gemacht habe. Es ging nur darum, sich nicht zu verplappern – und hätte die Spielerin signalisiert, dass das doof sei, hätte ich das nicht weiter verfolgt.
        [*]Auf einem Tanzabend kommt es zu einem Betatschen eines der Raufbolde (der inzwischen den Geist eines Tiers anstelle der menschlichen Psyche hat) zuerst seiner Tanzpartnerin, dann Wilhelms. In diesem Moment artikuliere ich Wilhelms Konfusion: Gefangen zwischen Ritterlichkeit und Männlichkeit – dem Kerl entgegentreten – und Gehorsam und Schicklichkeit: Er ist oder war eine Respektsperson für mich (3 Jahre älter) und außerdem ist er stärker. Wilhelm steht also dabei und starrt, als einer der anderen Spieler seinen Charakter eingreifen lässt.
        [*]Die übrigen Raufbolde wollen dem Eingreifenden eine Lektion erteilen, und WIlhelm soll sie in den Schlafsaal lassen, damit sie den Kerl verprügeln können. Nun ist er wirklich gefangen zwischen Gehorsam und Mitmachen auf der einen und tun, was richtig ist auf der anderen Seite. Die perfekte Gelegenheit für mich als Spieler, den Charakter zu den Guten überlaufen zu lassen. Nach viel Zögern entschließt sich Wilhelm in der letzten Sekunde, den SC zu wecken und zu warnen, damit der sich verstecken kann. Dann öffnet er allerdings die Tür, und durch ein Missverständnis schnappen die Raufbolde sich einen anderen Jungen und schleppen ihn weg, um ihn grün und blau zu prügeln. Wilhelm greift natürlich nicht ein.
        [*]Das falsche Opfer wird am nächsten Morgen gefunden. Dann sieht Wilhelm, wie zwei Schüler (die SC) sich unerlaubt aus der Schule entfernen und von dem "bösen Professor" verfolgt werden. Oh je. Nach langem hin und her und zaghaftem vor und zurück foilgt er der Gruppe, wohlwissend, dass er dafür Ärger kriegen wird. Er bleibt allerdings unerkannt.
        [/list]

        Am Ende gelang es den anderen Spielern, noch bevor ich meinen SC völlig zu den "Guten" wechseln lassen konnte, das Mysterium zu lösen und den "bösen Professor" zu vertreiben. Aber ich hatte Spaß an Wilhelm und die anderen Mitspieler hatten definitiv auch Spaß an ihm, ebenso der SL. Am Ende waren die anderen beiden die Helden, die den Brand der Schule und ein Attentat verhinderten, aber Wilhelm hatte es im Biologieunterricht geschafft, eine streunende Eule auf Lehrerbefehl mit dem ersten Versuch zu packen (und seine 3 in Bio vielleicht in eine baldige 2 zu verwandeln) – und ich konnte am Ende einen Belief ändern, nämlich den dritten. Von "Ich werde nichts Verbotenes tun" zu "Ich werde mich nicht erwischen lassen". Sehr schön.

        Ich hatte ja vorher nur als SL an Burning Wheel teilgenommen und kenne das Spiel auch noch nicht so lange. Aber das System der Beliefs und Instincts hat für diesen Spielabend wirklich gut funktioniert. Nicht nur, dass ich sehr viele Entscheidungen und rollenspielerische Hinweise aus diesen Beliefs ableiten konnte, sondern ich habe damit auch Konflikte schaffen können, die den ganzen Tisch unterhielten. Gleichzeitig konnte ich, wenn es für das Abenteuer wirklich notwendig war, möglichst viele beisammen zu halten oder eine bestimmte Haltung zu haben, diese auch gegen die Beliefs annehmen – aber selbst dann halfen sie dabei, dies nicht selbstverständlich zu machen, sondern zu einem interessanten Moment werden zu lassen, wie z.B. als Wilhelm dem Professor in den Wald folgte in dem festen Glauben, er werde gleich erwischt und dann richtig Ärger kriegen.

        Die Idee, diese Grundsätze also in ein System zu übersetzen, dass diese nicht mechanisch unterstützt, hat tatsächlich funktioniert, wenn auch als reine Rollenspielvorgaben. Obwohl mein Charakter auf keinen Fall ein aktiver "Macher" war, konnte ich doch einen angemessenen Anteil des Spiels gestalten und musste nicht rumsitzen und auch als Spieler den Mitläufer geben.
        Bitte schickt mir keine PMs hier, sondern kontaktiert mich, wenn nötig, über meine Homepage

        Archoangel

        • Mitglied
        [BW] Beliefs und Instincts in anderen Spielen
        « Antwort #1 am: 21. Februar 2008, 21:54:10 »
        Sehr schön zu lesen. Eine gute Idee.

        ...und ein tolles Abenteuer :). Wir hatten damit auch jede Menge Spass und hatten es als "Hintergrund" für unsere 1880-Gruppe gespielt ... die etwas andere Art, wo sich die Charaktere nun her kennen...wir hatten noch eine benachbarte Schule für höhere Töchter...
        In diesem Thread gibt es wunderbare Beispiele, dass Schulpflicht und Dummheit sich nicht ausschließen. (Tempus Fugit)

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