Autor Thema: Theorie: Metasystem versus Charaktersystem  (Gelesen 6449 mal)

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TheRaven

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Theorie: Metasystem versus Charaktersystem
« am: 01. März 2008, 00:21:50 »
Hallo zum zweiten Teil dieser kleinen Serie bezüglich Ansätzen und Philosophien im Rollenspiel. Während wir im ersten Teil über Konflikte und Aufgaben diskutiert haben würde mich nun eure Meinung zum Thema Metaregeln und Charakterregeln interessieren. Hier geht es um ein Thema, welches mir vor einigen Tagen durch den Kopf gegangen ist und mich seither fasziniert. Dazu kurz eine Erklärung, was ich damit meine, denn auch diese Begriffe lassen sich schlecht aufgrund ihres Namens einordnen.

Bei Rollenspielen gibt es meiner Auffassung nach zwei Hauptebenen wo die Regeln ansetzen. Die Metaebene oder die direkte Charakterebene. D&D selber ist der Archetyp des Charaktersystemes, wo die Regeln direkt die Handlungen des einzelnen Charakters simulieren. Die Fähigkeiten, Talente, Fertigkeiten und alles andere spiegeln direkte Aktionen des einzelnen Charakters wieder. Ich bewege also direkt meinen Charakter und führe sequenziell dedizierte Handlungen anhand der Regeln aus.

Metaregeln präsentieren hier einen komplett anderen Ansatz. Es handelt sich hierbei um ein einfaches System, welches auf einer erzählerischen Ebene angesiedelt ist. Das eigentliche Spiel mit Glücksfaktor und Einflüssen auf Probabilität finden auf der Metaebene statt und die Wendungen und Resultate dort werden dann im Rollenspiel selbst interpretiert.

Ich denke hier ist ein Beispiel von Nöten, da dieses Prinzip nicht sofort klar wird und für viele sicherlich sehr ungewöhnlich wirkt. In D&D spiele ich im Prinzip ein komplexes und umfangreiches Schach. Eine Bewegung der Figur repräsentiert eine Bewegung meines Charakters, ein erfolgreicher Angriff auf eine andere Figur ist ein erfolgreicher Schlag mit meinem Schwert. Jeder Zug dauert 6 Sekunden in der Spielzeit und die Handlungen repräsentieren direkt das, was ich in diesen 6 Sekunden mache.

In einem Metasystem spiele ich wirklich Schach (Um bei dem Beispiel zu bleiben. Könnte aber auch Poker, Jassen oder ein anderes einfaches, abstraktes Spiel sein). Meine Züge symbolisieren hierbei nicht direkt die einzelnen Handlungen meines Charakters, sondern den Verlauf des Konfliktes. Was das Besiegen einer Figur bedeutet entscheide und erzähle ich und mein Gegner macht dasselbe. Zeit, Ort und Ablauf spielen eine untergeordnete Rolle. Schlage ich einen seiner Bauern, dann erkläre ich, dass ich ihn mit gezogenem Schwert attackiere, einen Stich antäusche und ihn dann mit einem Tritt zu Boden werfe. In seinem Zug schlägt er eine Figur von mir und erklärt, dass er sich am Boden liegend wegrollt, behende aufsteht, sich den Dreck aus den Kleidern klopft und einem versteckten Bogenschützen das Signal gibt auf mich zu feuern. Derjenige, welcher das Spiel am Ende gewinnt wird erzählen, wie er seinen Gegner tötet.

Bei dem Metasystem spielen Fähigkeiten, Ausrüstung und andere Aspekte natürlich auch eine Rolle auf der Regelebene aber diese sind meist erzählerischer Natur und werden jeweils frei interpretiert. Das kann eine Beschreibung sein wie "Vater war ein bedeutender Fechtmeister", ein Talent wie "schnell mit dem Messer" bis hin zu Gegenständen wie "krummer Dolch". Das Metasystem setzt natürlich Rahmenbedingungen und Empfehlungen um das Spiel zu jeder Zeit fair zu halten wie zum Beispiel, welche Art von Auswirkungen der Spieler bei einem Sieg in einer Diskussion beschreiben kann und was Etappensiege in einem laufenden Konflikt maximal bedeuten können. Ein Metasystem geht daher Hand in Hand mit der Anforderung an ein Konfliktsystem, wo die Auswirkungen am Anfang des Konfliktes festgelegt werden.

Ich sehe da Vorteile, wie einfache Sicherstellung der Ausgewogenheit, Anwendung desselben Systemes auf alle Konfliktarten und nicht nur den Kampf, Einfachheit der Regeln, freie Charaktergestalltung, dynamischere Abläufe und stärkere Involvierung der Spieler. Nachteile können Eintönigkeit, Überforderung der Spieler (auf narrativer Ebene) und Lächerlichkeit sein.

Welche Systeme kennt ihr, die einen solchen Ansatz nutzen und was haltet ihr davon? Könnt ihr euch einen Rollenspielabend mit einem solchen System vorstellen und was müsste man beachten oder was würde euch stören? Was sind die Vorteile, was sind die Nachteile? Was bevorzugt ihr?
Die Wissenschaft nötigt uns, den Glauben an einfache Kausalitäten aufzugeben.
- Friedrich

Vhalor

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Re: Theorie: Metasystem versus Charaktersystem
« Antwort #1 am: 01. März 2008, 00:53:14 »
Zitat von: "TheRaven"
In einem Metasystem spiele ich wirklich Schach (Um bei dem Beispiel zu bleiben. Könnte aber auch Poker, Jassen oder ein anderes einfaches, abstraktes Spiel sein). Meine Züge symbolisieren hierbei nicht direkt die einzelnen Handlungen meines Charakters, sondern den Verlauf des Konfliktes. Was das Besiegen einer Figur bedeutet entscheide und erzähle ich und mein Gegner macht dasselbe. Zeit, Ort und Ablauf spielen eine untergeordnete Rolle. Schlage ich einen seiner Bauern, dann erkläre ich, dass ich ihn mit gezogenem Schwert attackiere, einen Stich antäusche und ihn dann mit einem Tritt zu Boden werfe. In seinem Zug schlägt er eine Figur von mir und erklärt, dass er sich am Boden liegend wegrollt, behende aufsteht, sich den Dreck aus den Kleidern klopft und einem versteckten Bogenschützen das Signal gibt auf mich zu feuern. Derjenige, welcher das Spiel am Ende gewinnt wird erzählen, wie er seinen Gegner tötet.
Das Konzept selbst finde ich durchaus interessant obwohl es für mich etwas seltsam anmutet, dass das Können des Spielers (nicht des Charakters) in einem anderen Spiel den Ausgang des (in deinem Beispiel) Kampfes bestimmt. Willst du damit sämtliche Skills, Attribute, usw. des Charakters aus dem Spiel nehmen und durch das Geschickt/Können/Taktik/etc. des Spielers selbst ersetzen?

Berandor

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Theorie: Metasystem versus Charaktersystem
« Antwort #2 am: 01. März 2008, 00:54:43 »
Ich weiß nicht, ob deine Unterscheidung sinnvoll ist, also weiterhilft. Zunächst einmal ist m.E. der Unterschied zu Teil 1 (Task und Conflict) nicht so groß, da Task-Systeme eben auch genau beschreiben, welche Aktionen durchgeführt werden.

Außerdem begibst du dich hier teilweise in die GNS-Theorie, und dann würde ich schon eher diese oder eine andere übergreifende Theorie wählen.

Schließlich weiß ich nicht einmal, ob sich die beiden von dir angesprochenen Ansätze wirklich trennen lassen, denn selbst bei z.B. D&D habe ich ja die Freiheit, den Task im Detail auszuschmücken.

Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen D&D-Konfliktlösung und der in Primetime Adventures, um ein Beispiel zu nennen. In lezterem zieht man ja, wie du schriebst, Karten und vergleicht, wer mehr rote Karten hat. Der gewinnt das Ding, und wie er gewinnt, das erzählt dann der mit der höchsten Karte. Da ist das ganze natürlich fast völlig losgelöst vom eigentlichen Geschehen (mit Ausnahme von Traits vielleicht), allerdings haben Charaktere bei PtA auch keine wirklichen Werte (außer den Traits vielleicht), es gibt also wenig, auf dem man ein System aufbauen könnte.

Auf der anderen Seite gibt es Polaris, ein Spiel ohne SL, bei dem reihum die Spieler NSC bzw. ihre Charaktere übernehmen und Konflikte nur durch Erzählung und tatsächliches Aushandeln gelöst werden; da gibt es auch die erzählerische Freiheit, aber eigentlich gar kein System mehr, wenn man von ein paar Code-Phrasen absieht, die das Verhandeln erleichtern.

Wenn du auf den Grad der Regelabstraktion hinaus willst, könnte man das sicher diskutieren, aber ich weiß nicht, ob dann deine Begriffe so glücklich gewählt sind.
Bitte schickt mir keine PMs hier, sondern kontaktiert mich, wenn nötig, über meine Homepage

DU#1229

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Theorie: Metasystem versus Charaktersystem
« Antwort #3 am: 01. März 2008, 00:56:52 »
Wir haben bereits eine lange Kampagne vor einigen Jahren komplett auf der Metaebene gespielt. Rein vom Erzählerischen und vom Charakterspiel war das eine sehr wertvolle und interessante Erfahrung. Wir haben uns noch mehr Mühe gemacht unsere Charaktere mit Wesenszügen auszuschmücken, einzelne Handlungen/Attribute/etc zu beschreiben. Auch der SL hat sich etwas tiefer in Erzählungen und Beschreibungen verloren. Ohne das ist solch ein Spiel gar nicht möglich.
Warum sind wir wieder auf eine Regelebene, bzw. Charakterebene gewechselt? Uns sind wichtige Unterschiede unserer Charaktere einfach nicht offensichtlich genug gewesen. Weder untereinander, noch gegenüber Nsc's und/oder Monstern. Es ist halt einfacher, anhand von Werten zu argumentieren.

Ein Beispiel: Ich habe damals einen ungewöhnlich starken Waldelben Waldläufer gespielt und dem SL Platz im Hintergrund meines Charakters gelassen, sich für diese übernatürliche Stärke einen Grund auszudenken. Doch kam der Unterschied zu "Normalsterblichen" oftmals nicht richtig rüber. Selbst in einem Handgemenge mit anderen Unbewaffneten, konnte sich dieser Charakter nicht behaupten. Und das trotz seiner übermenschlichen Begabung/Fähigkeit.
Solche Dinge lassen sich einfacher über ein fixes System regeln und Unterschiede werden bei weitem klarer.

Wobei ich sagen muss, dass ich so langsam mal wieder Lust hätte, eine Kampagne ohne Regelmechanik zu spielen und somit der Erzählung wieder mehr Raum geben kann/muss.

Ich hoffe, ich habe sachgerecht auf Deine These geantwortet, denn so ganz klar hat sie sich mir leider nicht erschlossen...   :unsure:

Berandor

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Re: Theorie: Metasystem versus Charaktersystem
« Antwort #4 am: 01. März 2008, 01:01:36 »
Zitat von: "Vhalor"
Das Konzept selbst finde ich durchaus interessant obwohl es für mich etwas seltsam anmutet, dass das Können des Spielers (nicht des Charakters) in einem anderen Spiel den Ausgang des (in deinem Beispiel) Kampfes bestimmt. Willst du damit sämtliche Skills, Attribute, usw. des Charakters aus dem Spiel nehmen und durch das Geschickt/Können/Taktik/etc. des Spielers selbst ersetzen?


Die Frage ist, wie weit man geht. Gerade D&D z.B. belohnt ja auch sehr stark das taktische Können des Spielers im Kampf und das strategische Können in der Charakteroptimierung. Da herrschen ja nicht nur die Würfel vor.

Andererseits hat PtA, dass ich nach Ravens Einführung in die Meta-Ecke stellen würde (auch wenn mir der Begriff nicht gefällt), ein sehr zufälliges System der Konfliktlösung, wo die Charaktere allenfalls bestimmen können, wie viele Karten sie ziehen möchten.

Andere Systeme kommen vielleicht ohne Würfeln aus, weil dort feste Werte verglichen werden (Amber?) – da ist der Zufall völlig aus dem Spiel, ebenso in "Systemen", in denen die Spieler gemeinsam entscheiden, was passiert (Polaris).

Allerdings kenne ich jetzt kein Spiel, dass tatsächlich mit Schach o.ä. funktioniert, und zuerst war ich da auch verwirrt, aber das ist wohl nur ein Beispiel, das sich aus der Analogie des D&D-Kampfes mit einer Schachpartie ergab.

Es ist aber durchaus denkbar, dass man normale Spiele wie Schach (schwer, Können), Poker (Mix aus Können und Glück) oder Mensch ärgere dich nicht (mehr oder weniger Glück) verwendet, um damit die Ereignisse im Spiel zu simulieren. Das sind auch nur Systemmechanismen. Und bei Malefiz ist das vielleicht sogar richtig nett: wenn man einen weißen Stein bewegt, legt man dem Gegenüber auch in der Spielwelt ein Hindernis in den Weg...
Bitte schickt mir keine PMs hier, sondern kontaktiert mich, wenn nötig, über meine Homepage

Berandor

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Theorie: Metasystem versus Charaktersystem
« Antwort #5 am: 01. März 2008, 01:02:48 »
Nochmal als Link: http://en.wikipedia.org/wiki/GNS_Theory (Die Forge-Artikel sind länger und teilweise auch von wikipedia verlinkt)
Bitte schickt mir keine PMs hier, sondern kontaktiert mich, wenn nötig, über meine Homepage

TheRaven

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Re: Theorie: Metasystem versus Charaktersystem
« Antwort #6 am: 01. März 2008, 01:13:05 »
Zitat von: "Vhalor"
Das Konzept selbst finde ich durchaus interessant obwohl es für mich etwas seltsam anmutet, dass das Können des Spielers (nicht des Charakters) in einem anderen Spiel den Ausgang des (in deinem Beispiel) Kampfes bestimmt. Willst du damit sämtliche Skills, Attribute, usw. des Charakters aus dem Spiel nehmen und durch das Geschickt/Können/Taktik/etc. des Spielers selbst ersetzen?

Ist das bei D&D nicht auch so? Ein Spieler der nicht die Übersicht über seine Optionen und kein taktisches Geschickt hat wird seinen Charakter schlecht spielen obwohl dieser vielleicht Int18 hat und ein erfahrener Kämpfer ist. Das Gegenteil ist eigentlich der Fall. In einem einfachen Metasystem ist ein Gelegenheitsspieler nicht benachteiligt und kann mit den anderen mithalten. Gut, Schach ist ein doofes Beispiel, da hier gar nichts mit Glück läuft, was natürlich in dem Kontext sinnlos ist.

Und wie erklärt spielen Aspekte des Charakters immer noch eine elementare Rolle. Nehmen wir ein ganz einfaches System zur Vereutlichung. Pro Stufe darf sich ein Spieler eine Fähigkeit ausdenken, welche einmal pro Konflikt benutzt werden kann. Nehmen wir hier mal Poker als Beispielsystem. Jede solche Fähigkeit erlaubt es dem Spieler drei Karten zu ziehen und dann drei abzuwerfen. Der Spieler muss sich nur noch einen Namen für jede Fähigkeit, wie zum Beispiel "Wurfmesser", ausdenken und gut ist. Ein Spieler mit mehr Stufen als ein Gegner wird klar im Vorteil sein.

Das kann man nun weiter detaillieren wie zum Beispiel, dass eine Fähigkeit immer für eine bestimmte Konfliktart gewählt werden muss wie "Diskussion", "Kampf", "Körperliche Leistung". Wieso nicht mehrere äquivalente Regelfunktionen zur Auswahl stellen wie eben das Beispiel von oben und dann noch "Karten ziehen bis eine Herzkarte kommt und diese mit einer auf der Hand austauschen" und "ganze Hand ablegen und gleichviele neue Karten ziehen".

Kara (Level 3)
Wurfmesser, Kampf, +3 -3
Mit Messer drohen, Verbal, +1Herz -1
Starke Hände, Körperlich, -Alle +Alle
Die Wissenschaft nötigt uns, den Glauben an einfache Kausalitäten aufzugeben.
- Friedrich

TheRaven

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Theorie: Metasystem versus Charaktersystem
« Antwort #7 am: 01. März 2008, 01:19:27 »
@Berandor
Nun ja, die Themen haben miteinander zu tun aber sind meiner Ansicht nach lange nicht dasselbe. Ich kann ein Konfliktsystem auf Charakterebene oder auf Metaebene betreiben aber ich kann ein Tasksystem natürlich nicht auf Metaebene betreiben. Naja gut, ich kann aber inwiefern es sinnvoll ist für jede 6 Sekunden-Aktion eines Charakter ein Minispiel auf Metaebene durchzuführen sei mal stark in Frage gestellt.
Die Wissenschaft nötigt uns, den Glauben an einfache Kausalitäten aufzugeben.
- Friedrich

Talwyn

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Theorie: Metasystem versus Charaktersystem
« Antwort #8 am: 01. März 2008, 23:24:34 »
Ich finde den Ansatz nicht uninteressant, da meiner Meinung nach die wenigsten Rollenspiele die Spieler auf der Metaebene herausfordern. Es ist wohl kein Zufall, dass "Metagame Thinking" genau wie "Powergaming" nach dem vorherrschenden Verständnis vieler Rollenspieler etwas Schlechtes ist.

Dabei entsteht in den meisten klassischen Brett- und Kartenspielen die Spannung ja genau auf dieser Metaebene. Beispiel "Siedler von Catan" - da hat man zwar auch eine Welt, die es zu erkunden und besiedeln gilt, es gibt Ritter, Räuber, Händler und Barbaren, aber der Reiz des Spiels geht davon aus, dass man seine Ressourcen verwalten, geschickt verhandeln und strategisch wie taktisch kluge Entscheidungen treffen muss. Das Setting ist dabei eigentlich austauschbar, so könnte man problemlos die Insel durch einen unerforschten Sektor des Weltalls ersetzen, Dörfer durch Raumstationen, Städte durch planetare Kolonien, Räuber durch Raumpiraten, die Barbaren durch eine Alieninvasion usw.

Im Rollenspiel will ich das zwar natürlich nicht in diesem Umfang haben, aber ein bisschen mehr Meta fände ich schon nett. Für meine Freeport-Runde denke ich deswegen über ein System nach, in dem die Statistiken einen Charakter auf einer anderen Ebene als der für kommerzielle Systeme typischen beschreiben. Statt detaillierten Zahlenwerten für körperliche und geistige Eigenschaften, erlernte Fertigkeiten und spezielle Fähigkeiten, würde ich das ganze auf einer viel abstrakteren Ebene angehen. Das Spiel soll gar nicht erst versuchen, durch Regeln einen Charakter detailliert zu beschreiben.

Stattdessen gibt es eigentlich nur eine handvoll von "Statistiken", maßgeschneidert auf das bespielte Setting, die Piraten- und Handelsmetropole Freeport:

- Glück
- Wagemut
- Einfluss
- Kampfkunst
- Magie
- Ehre
- Schicksal
- Verschlagenheit

Mehr an harten Spielwerten gibt es nicht. Diese acht Kategorien sind dabei als begrenzt verfügbare Ressourcen zu betrachten, die es zu verwalten und richtig einzusetzen gilt. Um mal ein Beispiel aus der Popkultur zu bringen - einige Charaktere aus Fluch der Karibik könnte man in etwa so beschreiben:

Charakter Glück Wagemut Einfluss Kampfkunst Magie Ehre Schicksal Verschlagenheit
Cpt. Jack Sparrow Hoch Sehr hoch Gering Hoch Nicht vorhanden Mittel Mittel Sehr hoch
Will Turner Mittel Sehr hoch Gering Sehr hoch Nicht vorhanden Sehr hoch Mittel Gering
Elizabeth Swan Gering Mittel Hoch Mittel Nicht vorhanden Mittel Gering Hoch
Cpt. Barbossa (als Untoter) Mittel Mittel Gering Hoch Mittel Gering Hoch Sehr hoch
Davy Jones Mittel Mittel Gering Hoch Hoch Gering Sehr hoch Sehr hoch
Calypso Mittel Gering Hoch Gering Sehr hoch Mittel Sehr hoch Hoch
Diese Werte sind natürlich subjektiv und nicht großartig überdacht und müssen auch nicht weiter diskutiert werden. Je nachdem, wie gut ein Charakter eine dieser Kategorien ausgebaut hat, erhält er für jeden Konflikt einen entsprechenden Pool aus Würfeln, die er benutzen kann, um den Ausgang des Konflikts zu beeinflussen.

Wie genau der Konfliktresoultionsmechanismus aussehen wird, habe ich mir noch nicht überlegt, allerdings wäre etwas poker-ähnliches schonmal kein schlechter Ansatz, da hier die Komponenten Glück, Taktik und Psychologie enthalten wären. Spontane Idee:

Jeder Spieler erhält am Anfang einer Runde sechs normale Spielkarten in die Hand. Jeder der oben genannten Kategorien ist nun eine der Farben zugeordnet:

Farbe Kategorien
Herz Ehre, Schicksal
Kreuz Kampfkunst, Verschlagenheit
Karo Magie, Glück
Pik Einfluss, Wagemut
Nun können wie beim Poker Karten getauscht werden um bestimmte Kombinationen zu erzielen, die viele Punkte einbringen. Der Einsatz besteht allerdings nicht aus Geld oder Chips, sondern aus Poolwürfeln, die die Spieler abhängig davon, wie sie die Situation einschätzen, in ihren Würfelbecher packen können. Dabei gilt, dass nur Würfel aus den Kategorien eingesetzt werden können, für die der Spieler auch Karten in einer gültigen Kombination hat. Wenn ein Spieler zum Beispiel ein Pärchen von Herz- und Pikkönig auf der Hand hat, so kann er Würfel aus den Pools Ehre, Schicksal, Einfluss und Wagemut in seinen Becher geben.

Sobald ein bestimmtes Kriterium erfüllt ist, müssen die Spieler ihre Karten offenbaren und die eingesetzten Würfel werfen. Es gewinnt derjenige, der die höchste Punktzahl erzielt, der Konflikt wird in seinem Sinne entschieden. Zum Rollenspiel wird das Ganze dadurch, dass nun alle gemeinsam das Ergebnis des Metagames interpretieren und in eine Erzählung verwandeln.

Das hier beschriebene System ist natürlich nur eine spontan niedergeschriebene Idee und müsste sicherlich zunächst vernünftig ausgearbeitet werden, aber im Grunde beschreibt es das, was ich gerne hätte. Klassen braucht das System nicht, Stufen wird es aber geben, die dann entscheiden, wieviele Poolwürfel ein Charakter insgesamt besitzt.

TheRaven

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Theorie: Metasystem versus Charaktersystem
« Antwort #9 am: 02. März 2008, 01:46:42 »
Ich mache mir nun schon seit einiger Zeit Gedanken dazu wie so ein Metasystem aussehen soll und folgendes steht für mich fest:

- Das System muss einfach und schnell sein
- Das System muss jede Art des Konfliktes darstellen können
- Glück muss eine Rolle spielen
- Das Talent des Spielers muss eine Rolle spielen
- Die Aspekte des Charakters müssen eine Rolle spielen
- Glück, Talent und Aspekte sollten einander gleichgestellt sein
- Das System sollte sich über mehrere Hin und Her zwischen den Parteien erstrecken
- Das System sollte während der Abhandlung Vorteile/Nachteile gewähren
- Das System sollte abstrakt sein
- Das System sollte über längere Zeit reizvoll und interessant bleiben
Die Wissenschaft nötigt uns, den Glauben an einfache Kausalitäten aufzugeben.
- Friedrich

Talwyn

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Theorie: Metasystem versus Charaktersystem
« Antwort #10 am: 02. März 2008, 10:54:01 »
Zitat von: "TheRaven"
- Das System muss einfach und schnell sein


Bestätigt. Leicht zu erlernen und wenige Regeln zu merken. Der Konfliktresolutionsmechanismus sollte auf einer A4 Seite erschöpfend beschrieben werden können.

Zitat
- Das System muss jede Art des Konfliktes darstellen können


Klar. Das dürfte am Besten über Abstraktion zu erreichen sein. Grundsätzlich gilt: Konflikt ist Konflikt. Für mein Beispielsystem könnte man zum Beispiel verschiedene Arten von Konflikten vorsehen, wobei jeweils eine Kartenfarbe in einer Konfliktart weniger nützlich ist als die anderen bzw. für gültige Kombinationen überhaupt nicht gewertet wird. Mögliche Konfliktarten wären Kampf, Körperliche Anstrengung, Dikussion und Informationsbeschaffung.

Zitat
- Glück muss eine Rolle spielen
- Das Talent des Spielers muss eine Rolle spielen
- Die Aspekte des Charakters müssen eine Rolle spielen
- Glück, Talent und Aspekte sollten einander gleichgestellt sein


Sehe ich ähnlich. Allerdings würde ich hinzufügen: Psychologie und Verhandlungsgeschick müssen eine Rolle spielen. Ebenso Ressourcenmanagement - wobei du das möglicherweise mit "Talent des Spielers" impliziert hast. Ich mag den interaktiven Aspekt der "Siedler" und das Bluffen beim Poker.

Zitat
- Das System sollte sich über mehrere Hin und Her zwischen den Parteien erstrecken


Sollte auf jeden Fall so sein. Wenn man das oben angesprochene Poker-System heranzieht scheidet ein Spieler aus dem Konflikt aus, sobald er alle seine Pool-Würfel verspielt hat.

Zitat
- Das System sollte während der Abhandlung Vorteile/Nachteile gewähren


Kannst du das konkretisieren? Darunter kann ich mir jetzt so spontan nicht viel vorstellen.

Zitat
- Das System sollte abstrakt sein


Dürfte ein absolutes Pflichtkriterium für ein funktionierendes Metasystem sein. Wird es zu spezifisch, wird es auch automatisch sehr umfangreich, man verliert den Überblick über die verfügbaren Optionen und nimmt dem System dadurch die Dynamik und die Spannung.

Zitat
- Das System sollte über längere Zeit reizvoll und interessant bleiben


Wäre blöd, wenn das nicht so wäre ;)

---

Ein Charakterbogen für "Papageien & Piraten" könnte übrigens so oder so ähnlich aussehen:


Windjammer

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Theorie: Metasystem versus Charaktersystem
« Antwort #11 am: 02. März 2008, 10:54:55 »
Zitat von: "Berandor"
Nochmal als Link: http://en.wikipedia.org/wiki/GNS_Theory (Die Forge-Artikel sind länger und teilweise auch von wikipedia verlinkt)

Danke für diese links. GNS war mir neu, finde ich aber höchst interessant. Nur am Rande: etwas ähnliches wurde abgespeckter auch mal für Magic the Gathering versucht.
Edit. Man kann die Tests zu diesen Artikeln überspringen (einfach "Score" anklicken), insbes. wenn man kein MtG spielt.
A blind man may be very pitturesque; but it takes two eyes to see the picture. - Chesterton

Taysal

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    • Taysals Abenteuerland
Re: Theorie: Metasystem versus Charaktersystem
« Antwort #12 am: 02. März 2008, 11:18:45 »
Zitat von: "TheRaven"
Zitat von: "Vhalor"
Das Konzept selbst finde ich durchaus interessant obwohl es für mich etwas seltsam anmutet, dass das Können des Spielers (nicht des Charakters) in einem anderen Spiel den Ausgang des (in deinem Beispiel) Kampfes bestimmt. Willst du damit sämtliche Skills, Attribute, usw. des Charakters aus dem Spiel nehmen und durch das Geschickt/Können/Taktik/etc. des Spielers selbst ersetzen?

Ist das bei D&D nicht auch so? Ein Spieler der nicht die Übersicht über seine Optionen und kein taktisches Geschickt hat wird seinen Charakter schlecht spielen obwohl dieser vielleicht Int18 hat und ein erfahrener Kämpfer ist. Das Gegenteil ist eigentlich der Fall. In einem einfachen Metasystem ist ein Gelegenheitsspieler nicht benachteiligt und kann mit den anderen mithalten. Gut, Schach ist ein doofes Beispiel, da hier gar nichts mit Glück läuft, was natürlich in dem Kontext sinnlos ist.

(...)


Arkana-System von "Engel" (erschienen bei F&S). Gibt der ganzen Sache einen schönen erzählerischen Aspekt. Karte ziehen, gucken wie die Situation aufgelöst wird. Diese Art von Systemen braucht aber seine Liebhaber, die meisten Leute mögen das klassische RSP, wie es D&D bietet. Das kennen sie halt von Schach, Kniffel und Mensch ärgere dich nicht. Man hat eine Aufgabe, man würfelt oder zieht und man hat die Aufgabe gelöst oder ist gescheitert.

Ich glaube TheRaven arbeitet an seinem nächsten großen mentalen Zaubertrick: Ein einfaches und abstraktes System, mit dem schnell und einfach ein erzählerisches Rollenspiel gestaltet werden kann, ohne in einem Regelsystem auszuarten. Dabei sollen die Spieler Eigenverantwortung übernehmen. Steht am Ende eine geplante Vermarktung oder ist das System für den Hausgebrauch gedacht?

TheRaven

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Theorie: Metasystem versus Charaktersystem
« Antwort #13 am: 02. März 2008, 12:26:30 »
Zitat von: "Talwyn"
Allerdings würde ich hinzufügen: Psychologie und Verhandlungsgeschick müssen eine Rolle spielen. Ebenso Ressourcenmanagement - wobei du das möglicherweise mit "Talent des Spielers" impliziert hast. Ich mag den interaktiven Aspekt der "Siedler" und das Bluffen beim Poker.

Ja, das meinte ich mit Talent. Die Mechanik wird zwangsweise auf "mindgame" rauslaufen, denn das ist die einfachste Möglichkeit mit wenigen Regeln ein spannendes System zu stellen. Das Gegenstück wäre ein Geschicklichkeitsspiel, was auch ganz nett sein könnte aber meiner Meinung nach nicht so gut passt. In der Mitte steht das Taktikspiel, welches zwar ideal wäre aber eben in komplexen und umfangreichen Regeln ausartet.

Zitat von: "Talwyn"
Kannst du das konkretisieren? Darunter kann ich mir jetzt so spontan nicht viel vorstellen.

Nun, ich meine damit, dass während dem wechselweisen "Schlagabtausches" die Stärke der Parteien gemäss ihres Erfolges zu/abnimmt. Nehmen wir Poker als Beispiel. Wenn mir ein besonders guter "Angriff" gelingt, dann muss der "Verteidiger" in seiner nächsten Runde mit einer Karte weniger auskommen. Gelingt ihm eine besonders gute "Abwehr", dann vielleicht mit einer Karte mehr. Solche Vorteile/Nachteile könnten sich auch kumulieren. Die Idee ist dabei, dass eine Partei während dem Konflikt die Oberhand gewinnen kann und diese ausbauen kann.

Fast jeder Konflikt funktioniert in der realen Welt nach diesem Prinzip. Wenn ich in einer Diskussion einen "Gegner" ins Straucheln gebracht habe, dann lege ich nach und setze noch mehr Druck auf um ihn am Ende in die Niederlage zu drängen. Natürlich muss das System so ausgelegt sein, dass sich das Blatt auch wenden kann, denn sonst wäre ja der erste Erfolg entscheidend. Ich finde eine solche Mechanik wichtig, da man sonst auf das HitPoint-Problem zurückkommt, welches viele Rollenspiele plagt. Ob du 250 oder 25 HP hast spielt keine Rolle, denn du kämpfst genau gleich gut.
Die Wissenschaft nötigt uns, den Glauben an einfache Kausalitäten aufzugeben.
- Friedrich

TheRaven

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Re: Theorie: Metasystem versus Charaktersystem
« Antwort #14 am: 02. März 2008, 12:42:30 »
Zitat von: "Taysal"
Ich glaube TheRaven arbeitet an seinem nächsten großen mentalen Zaubertrick: Ein einfaches und abstraktes System, mit dem schnell und einfach ein erzählerisches Rollenspiel gestaltet werden kann, ohne in einem Regelsystem auszuarten. Dabei sollen die Spieler Eigenverantwortung übernehmen. Steht am Ende eine geplante Vermarktung oder ist das System für den Hausgebrauch gedacht?

Nicht wirklich. Ich mag Philosophie und komplexe Rätsel. Ich mag geometrische Formen und Mathematik. Ich mag Abstraktion und Analysen von komplizierten Themen. Spiele, sowohl Brett- wie auch Rollenspiele, vereinen diese Aspekte. Gerade Rollenspiele versuchen jadas Leben abstrakt darzustellen, während Brettspiele meist versuchen einzelne Aspekte des Lebens zu abstrahieren.

Über Regelsysteme nachzudenken ist für mich wie Meditation. Ich vergesse alles um mich herum und entfliehe in eine mentale Welt voller Logik, Eleganz und Raffinesse. Die Themen hier sind rein egoistischer Natur und dazu gedacht mir neue Denkanstösse zu geben. Wenn andere Leute da was für sich abgreifen können, dann gut aber das war nicht die primäre Intention. Aber gut, welcher thread in einem Forum war jemals uneigennützig.
;)
Die Wissenschaft nötigt uns, den Glauben an einfache Kausalitäten aufzugeben.
- Friedrich