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Essay: Warum "Charakterspiel" Regeln braucht (lang

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Berandor:

--- Zitat von: "Nadir-Khân" ---Was mich sehr wundert ist, dass nach Regeln bzw. Mechanismen für Charakterspiel gefragt wird. Genau dafür benötigt man eben gerade keine Regeln, oder?
--- Ende Zitat ---



--- Zitat von: "Prospero" ---
Meine persönliche Ansicht dazu:
Man lasse die Spieler ausspielen und/oder erzählen was sie an zu sagen haben und macht dann einen Wurf mit einem angepaßten Schwierigkeitsgrad.
--- Ende Zitat ---


Ich möchte niemandem vorgeben, wie er zu spielen hat, oder "wrongbadfun" mokieren. Dennoch bin ich der Ansicht, dass die obigen Zitate, nun ja, falsch sind. Genauer gesagt, die Philisophien, die dahinter stecken. Im Folgenden werde ich zunächst darauf eingehen, warum generell das Charakterrollenspiel (CRP) durch Regeln unterstützt sein sollte und danach, warum eine Lösung wie die von Prospero keine wirkliche Lösung ist. Bei aller Anerkennung unterschiedlicher Spielstile bin ich am Ende dennoch der Ansicht, dass man als Befürworter von CRP am Spieltisch nur *mit* entsprechenden Regeln arbeiten kann und nicht mit deren Absenz.

Hierbei geht es mir ausdrücklich *nicht* um Rollenspiel, dass dem reinen Rollenspiel dient und von mir unten noch mal durch eine schäbige Analogie angesprochen wird. Sondern darum, dass man mit CRP das Abenteuer voranbringen möche, also durch CRP etwas erreichen möchte. Ein langer Drizz't-Monolog über Trauer kann natürlich ohne Regeln ablaufen, auch wenn ich persönlich den Sinn eines solchen Monologes nicht sehe, wenn er keinem Ziel dient.

Vorbemerkung: Grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass ein Rollenspielsystem nicht vor der Abwicklung sozialer Angelegenheiten scheuen sollte, sondern seine Mechanik auch auf diese Bereiche "ausdehnen" sollte. Dieser Beitrag wird sich stark an D&D und ähnliche Spiele anlehnen, bei dem Fähigkeiten eines Charakters durch entsprechende Zahlenwerte verdeutlicht werden. Andere, abstraktere Mechanismen werden dadurch auf der konkreten Ebene etwas ausgeklammert. Sie stellen aber keine Ausnahme der zu Beginn dieses Absatzes formulierten Ansicht dar.

Spoiler (Anzeigen)Zunächst zur grundsätzlichen Unterstützung von CRP durch Regeln. Hier gibt es ja viele Leute, die für sich durchaus in Anspruch nehmen, CRP zu betreiben, die dennoch keine Mechanik für "soziale Begegnungen" möchten. Die Argumente gehen dann oft in die Richtung, dass man das auch ohne Würfelwurf spielen könne oder dass Würfeln das CRP einengte. Zu guter Letzt gibt es oft die Befürchtung, dass man Spielern keine Handlungsweisen diktieren möchte, wenn sie z.B. einen Streit verlieren. Auf diese Argumente wird noch einzugehen sein.

Rollenspiel beinhaltet, dass man in eine fremde Rolle schlüpft, und dass man ein Spiel spielt. Ein Spiel wiederum definiert sich durch Regeln; im Falle von D&D gibt es mit dem SL auch einen Schiedsrichter, der die endgültige Auslegung der Regeln bestimmt, aber das muss nicht so sein. Wenn nun aber die Auslegung der Rolle keinen Regeln unterworfen ist, dann ist die Voraussetzung des Spiels nicht mehr gegeben. Außerdem gibt es keinen wirklichen Unterschied mehr zwischen Rollenspiel und Monopoly (wo ich mich in die Rolle eines Bankiers versetze), Risiko (wo ich ein Land bzw. deren Führer verkörpere) oder Junta (wo ich einen Minister oder gar El Presidente spiele) – das Ausspielen ist völlig frei und ungeregelt.

Wie ich in dem Theorie-Beitrag über Belohnungen dargelegt habe, entstehen persönliche Glücksgefühle durch das verdiente Überwinden von  Herausforderungen. Außerdem werden belohnte Verhaltensweisen in der Folge häufiger gezeigt. Wenn man also CRP in seiner Runde haben möchte, sollte man entsprechende Herausforderungen anbieten und die Spieler dafür belohnen.

Belohnte man nicht, würde das allenfalls die Spieler zu CRP verleiten, die von sich aus Spaß daran haben, und selbst dann gerät das CRP mangels anderer Belohnungen in den Hintergrund zu anderen, "besser belohnten" Tätigkeiten, bei D&D z.B. der taktische Kampf.

Böte man keine Herausforderungen für CRP, dann wäre jede rollenspielerische Auseinandersetzung ohne Spannung und damit beliebig, es gäbe nämlich keine Gefahr zu scheitern und keine Konsequenz daraus. Das CRP gliche dann mehr einer Gruppenmasturbation, bei dem jeder die Tiefe der Gefühle seiner Spielfigur auslotete und alle einander dazu beglückwünschen, wie nahe sie an die Münze gespritzt haben. Selbst eine Belohnung verlöre in diesem Falle ihren Reiz, da sie an keine wirklichen Erfolge gekoppelt wäre.

Bis hierhin können mir hoffentlich alle folgen, trotz der Frühlings-Erwachen-Analogie. Um noch einmal zu wiederholen: wir brauchen Herausforderungen und Belohnungen für das CRP, um dieses zu fördern und spannend, spaßig sowie spielrelevant zu gestalten. Auch die Befürworter eines ungeregelten CRP werden wahrscheinlich nicht leugnen, dass sie soziale Herausforderungen in ihren Spielen haben: Einladungen bei Hofe, Einschüchterung der Stadtwache, Austricksen des Stubenmädchens, Verführung der Bardame, Feilschen mit dem Händler, usw.

Hier nun also der erste Stoß: Diese benötigten Herausforderungen und Belohnungen *müssen* durch Regeln gestützt sein, um gerade nicht beliebig oder abschreckend zu wirken. Ich will hier nicht einmal mit der Keule kommen, dass auch der schüchterne Stotterer den Barden spielen können muss. Nein, ich bleibe viel abstrakter. Regeln haben nämlich einen entscheidenden Vorteil, der dazu führt, dass man sie in Spielen generell anwendet: Sie schaffen klare Verhältnisse. Regeln ermöglichen eine objektive Entscheidung über Erfolg und Misserfolg, und in der Regel (ha!) lassen sie auch ein Urteil über Erfolgswahrscheinlichkeiten zu. Damit kann der Spieler also absehen, ob eine Aktion herausfordernd war, und gleichzeitig hängt die Belohnung nicht von einem subjektiven Urteil ab, sondern ist, wenn sie kommt, "verdient" – selbst wenn dieses Verdienst aus einem zufällig guten Würfelwurf besteht.

Auch der Spielleiter sollte über entsprechende Regeln froh sein, da sie ihm ermöglichen, eine willkürliche Entscheidung durch konkrete Anhaltspunkte zu untermauern und zu begründen. Entsprechende Regeln ermöglichen nun, in einer Kampagne wichtige Entscheidungen von CRP abhängig zu machen und nicht davon, ob ein bestimmter Gegner im Kampf besiegt wird. Können die SC die Wachen davon überzeugen, gegen den Fürsten zu marschieren? Erlaubt der König den SC, Excalibur auszuleihen, um damit Smaug zu erschlagen? Verliebt sich Arwen in Faramir und lässt Streicher stehen? Gänzlich ohne Regeln ist und bleibt diese Entscheidung willkürlich und völlig in der Hand des Spielleiters; durch das Vorhandensein entsprechender Regeln aber wird die Möglichkeit einer solchen Entscheidung den Spielern offenbar und auch die Möglichkeit, zu scheitern.

Spoiler (Anzeigen)
Ich kann in meiner augenblicklichen Kampagne an hundert oder mehr Gelegenheiten denken, in denen eigentlich durch soziale Herausforderungen zu handhabende Situationen mehr oder weniger per SL-Willkür entschieden wurden.

Die SC hatten einen Assassinen gefangen genommen und verhörten ihn. Redet der? Oder hält er still? Wie entscheide ich das? Die SC haben ihn mit einer Fackel verbrannt. Hält der das aus? Denkt der sich was aus und belügt die Spieler?

Ein Spieler wollte ein paar Infos von einem bestimmten NSC zu einem ganz bestimmten Thema. Gather Information klappt da nicht, der NSC weiß das aber. Hilft der denen? Hier war mein Anhaltspunkt eine vage Vorstellung des NSC und ob er die Ziele der SC teilt oder nicht. Das war eine Bauchentscheidung, die ja oder nein hätte lauten können. Meistens entscheide ich dann für ja. was aber wiederum bedeutet, dass die SC oft Informationen mehr oder weniger geschenkt bekommen, wenn sie fragen.

Ein NSC war dem Alkohol verfallen und ein SC versuchte, den wieder auf die halbwegs gerade Bahn zu lenken. Er redete ihm gut zu und machte ihm ein schlechtes Gewissen, um ihm ein Versprechen abzuringen. Ob es klappte oder nicht, und ob der NSC trotzdem rückfällig wurde, habe ich ad hoc entschieden.

Die SC waren Ankläger/Verteidiger/Richter bei einem fiktiven Gerichtsprozess. Wie wertet man da Argumente und kommt zu einem Urteil, das nicht einfach nur der eigenen Sympathie für eine Lösung entstammt?

Ich habe vor dem Spoiler angesprochen, warum einige SL m.E. vor CRP-Regeln zurückscheuen. Die Einführung solcher Regeln beschneidet nämlich die Macht des Spielleiters ganz gewaltig. Man ist nicht mehr der uneingeschränkte Herr über die Spielwelt abseits des Kampfes, sondern die Spieler können diese gezielt beeinflussen – und zwar in beide Richtungen. Ohne solche Regeln ist es die Gnade des Spielleiters, den Spielern ihren Willen zu gewähren, weil sie sich genug angestrengt haben, oder eben nicht. Mit solchen Regeln gibt es plötzlich eine Instanz abseits des SL, die solche Dinge mitbestimmt. Ich halte das nicht für eine schlechte Sache, aber der "Meister" ist ja noch nicht ausgestorben.

Bis hierhin sollte zunächst einmal klar geworden sein, dass Regeln für CRP hilfreich und vernünftig sind. Nun will ich zunächst auf die obigen Argumente eingehen, bevor ich auf das zweite Zitat von oben zurück komme. Hier also noch einmal die drei von mir formulierten Argumente und eine Entgegnung.

[*]Man kann auch ohne Würfeln CRP betreiben. Dieses Argument hat zwei Ausprägungen. Die erste Ausprägung besagt, dass man als Rollenspieler "gut genug" sei, um sich nicht mit einem Würfel behelfen zu müssen. In dieser Ausprägung ist das Argument nicht besonders glücklich, da das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Es steckt jedoch die Befürchtung darin, dass das "gute CRP" keinen Ausschlag in der Regelmechanik fände, dass man sich also quasi den Wolf spielt, nur um dann einen unmodifizierten Wurf auf Diplomatie abzulegen.

Hierzu sei gesagt, dass es fraglich ist, ob eine grandiose Rede von einem schüchternen Bauern mit Diplomacy +3 wirklich "gutes Rollenspiel" darstellt, oder ob man nicht den Werten des Charakters entsprechend spielen sollte und dann nur per Wurf testet, ob dieser Charakter nun zufällig über oder unter dem Durchschnitt erfolgreich ist. Zweitens ist es fraglich, ob diese grandiose Rede nicht eine derartige Ausnahme darstellt, dass sie auch eine Sonderregelung verdient hätte. Auch, wenn jetzt alle Charakterrollenspieler aufschreien, dass solche Situationen in ihren Runden an der Tagesordnung seien, wage ich das zu bezweifeln, denn zu einer solchen Rede gehört a) ein guter Schreiber und b) ein guter Darsteller sowie c) das Ganze in einem guten Improvisator. Was nicht schlimm ist und dem Spaß am Spieltisch nicht abträglich. Aber so viele Shakespeare-Oliviers gibt es gar nicht, wie die Erzählungen vom Spieltisch oft suggerieren.

Die zweite Ausprägung des Arguments verdient eine ernstere Beschäftigung. Sie besagt, dass man zwar für Kämpfe usw. eine Simulationsmechanik braucht, da man am Spieltisch eben nicht die Schwerter und Zauberbücher auspacken kann, aber das Rollenspiel als verbale Handlung keiner solchen Hilfsmittel bedarf. Das ist ein oberflächlich sehr gutes Argument.

Ein Problem mit diesem Argument ist, dass die Regelmechaniken und ihre eingebauten Belohnungsstrukturen ohne CRP-Beteiligung eben dieses Moment des Spiels benachteiligen, wie ich bereits oben dargelegt habe. Das Argument hat jedoch noch zwei weitere Schwachstellen.

Die erste Schwachstelle betrifft das Verständnis von CRP als rein erzählerischer Akt. Allerdings beinhaltet das soziale Verhalten eines Charakters nicht nur seine Vorlieben und Wünsche, sondern auch seine Gesten und Bewegungen, die genaue Wortwahl usw. Und i.A. sind wir nicht in der Lage, in diesen Dingen zu sehr von uns selbst zu abstrahieren. Es ist also gar nicht so einfach, selbst in der verbalen Beschreibung wirklich "charaktergenau" zu agieren.

Zweitens ist gibt es ein Missverhältnis in der Handhabung von Aktionen im Spiel. Es gibt nicht nur deshalb Kampfregeln, weil wir den Kampf nicht am Spieltisch ausfechten können, sondern auch aus Abstraktionsgründen. Durch die Regeln können wir eine Figur spielen, die eben besser (oder schlechter) kämpft als wir es könnten. Ebenso sollten unsere Charaktere für wirkliches CRP nicht einfach nur ein Abbild unserer Selbst sein, wenn es um soziale Situationen geht – das wäre langweilig, weil dann ja alle Figuren einander glichen. Insgesamt ist dieses Argument also nicht so stark, wie es sich zunächst anhört.

[*]CRP wird durch eine Regelmechanik eingeengt. In gewisser Weise trifft das natürlich zu, weil die Effekte des CRP durch Regeln bestimmt werden. Aber ansonsten findet keine wirkliche Einengung statt. Es gibt natürlich eine Festlegung darauf, was möglich ist, gewissermaßen die Signalwirkung der Mechanik. Aber diese dient nicht der Einengung, sondern der Ermöglichung von zielgerichtetem CRP. Hat jemand bei D&D mal versucht, die Klaue des gegnerischen Monsters so von dem eigenen Schild abprallen zu lassen, dass es das zweite Monster unabsichtlich verletzt? Wahrscheinlich nicht – weil es keine Regeln dafür gibt. Ich nehme an, es gab auch nicht zu viele, die im Kampf an Kronleuchtern geschwungen haben, obwohl dies eine durchaus bekannte Aktion aus Abenteuerfilmen ist. Aber es gab keine Regeln dafür. So ist die Signalwirkung gemeint. Wie das Beispiel D&D aber auch zeigt, können schlechte Regelungen zwar auf eine Möglichkeit aufmerksam machen, aber gleichzeitig abschrecken. Das hat aber nicht mit dem Vorhandensein der Regeln generell zu tun, sondern mit der jeweiligen Mechanik selbst.

Ein weiterer Fehlschluss ist, dass entsprechende Regeln sehr eng gefasst sein müssen. Vielmehr wäre selbst die Tatsache, dass in einem sozialen Konflikt der Rest der Gruppe durch einfache Mehrzahl den Sieger wählt, eine Regelmechanik (die jedoch noch einige Schwächen aufweisen würde). Hier gilt natürlich die übliche Spannbreite zwischen abstrakten Systemen, die nicht jede Handlung einzeln abdecken, und sehr dezidierten Regeln. Die Signalwirkung der Mechanik ist hier immer im Vergleich zum Rest des Systems zu sehen – nicht jedes Rollenspiel benötigt Regeln, um am Kronleuchter zu baumeln, aber da D&D ähnliche Aktionen mit daraus folgendem mechanischen Vorteil (Entwaffnen, Waffe zerschmettern, Zu Fall bringen) durch explizite Manöver handhabt, wird die Spannbreite von Optionen mehr oder weniger automatisch auf das beschriebene eingeengt.

[*]Soziale Regeln nehmen Spielern die Freiheit, ihre Charaktere nach ihren Wünschen auszuspielen. Das stimmt. Wenn man ein festes, unabänderliches und diktatorisches Bild von seinem Charakter im Kopf hat und gänzlich unflexibel ist, dann stimmt dieses Argument. Ansonsten nicht.

Regeln fürs CRP sind in aller Regel keine Geistesbeeinflussung, sondern eine Gelegenheit für Erfolgs- und Misserfolgserlebnisse. Wenn ein Kämpfer entwaffnet wird oder ein Magier beim Zaubern unterbrochen, wertet man das ja auch nicht als unzulässigen Eingriff in die Freiheit des Rollenspiels. Wenn ein Vampir den Schurken beherrscht oder der Barde von Drachenfurcht betroffen ist, passiert das auch nicht. Aber wenn der Krieger den Händler nicht runterhandeln kann, wenn der Sukkubus den Magier verführt oder wenn der König lieber dem Baron als dem Paladin Gehör schenkt, dann schon?

Bei D&D 3.0 halte ich die Fertigkeiten Bluff, Intimidate und vor allem Diplomacy für hauptverantwortlich für diese Fehlschlüsse. Regeln fürs CRP müssen nicht so aussehen. In Burning Wheel z.B. bedeutet die Niederlage in einem Wortgefecht nicht einmal, dass man den Standpunkt des anderen annimmt, sondern nur, dass man für den Moment die schlechteren Argumente hatte. Man gibt zähneknirschend nach – oder eskaliert das Ganze.

Gleichzeitig muss man m.E. gerade mit NSC, welche die SC anlügen, sehr vorsichtig sein. Aber z.B. der Missmut, den ein Spieler spürt, weil sein Barbar von dem Hauptmann eingeschüchtert wurde, ist ja sehr wohl auch der Missmut, der durch diese Fertigkeit im Charakter entstehen soll.

Überhaupt sind gerade die Charakterrollenspieler oft erschreckend unwillig, den von ihnen avisierten Charakter anzupassen oder Situationen als Chancen zu begreifen. Wie reagiert denn der Paladin darauf, dass der Baron ihn ausmanövriert? Was tut der Magier, als er neben einer Dämonin aufwacht? Das sind Gelegenheiten zum Rollenspiel, die nicht so schnell wiederkommen.[/list]

Halten wir also fest, dass CRP Herausforderungen und Belohnungen braucht und diese gleichzeitig durch Regeln unterstützt sein müssen. Warum können diese Regeln dann nicht informeller Natur sein bzw. so ablaufen, wie Prospero das oben beschrieb?

Mein Problem mit Prosperos Schilderung ist der "angepasste Schwierigkeitsgrad", und das trifft sehr genau, worauf ich hinaus möchte. Neben dem Unwillen, Macht einzubüßen, ist der zweitgrößte Grund für SLs, CRP-Regeln für unnötig zu halten, nämlich eine fehlerhafte Selbsteinschätzung. Diese SLs halten sich nämlich für fähig, das Rollenspiel ihrer Spieler objektiv einschätzen zu können und je nach Güteklasse die Schwierigkeit der Probe anzupassen – was auch beinhaltet, dass abgeschätzt wird, ob die betreffende Aktion den zu betreffenden NSC leicht oder schwer überzeugen kann.

Das Problem dabei ist, dass ein solches Urteil ohne handfeste Kriterien nicht einmal ansatzweise objektiv sein wird. Man glaubt das vielleicht, aber es stimmt nicht. Das haben leider viele Studien zu diesem Thema ergeben. Es hilft, wenn man einen Beobachtungsbogen hat, mit dem man auf bestimmte Dinge achtet, auch wenn es nicht perfekt ist. In vielen Fällen hat man allerdings wenig Möglichkeiten, das Urteil weiter zu objektivieren. In einem Rollenspiel gibt es diese Möglichkeiten: durch Regelmechaniken.

Ich entschuldige mich dafür, dass dieser Beitrag so lang wurde. Ich habe ihn daher hinter einem Spoiler versteckt, damit man sich das nicht anzun muss. Hier die grundsätzlichen Punkte:

1. Um Rollenspiel zu fördern, braucht man rollenspielerische Herausforderungen und die Belohnung von Rollenspiel.
2. Die menschliche Urteilskraft ist fehlerbehaftet. Eine subjektive SL-Entscheidung ist daher ebenfalls fehlerbehaftet.
3. Aus Gründen der Fairness, Objektivität und wegen der Signalwirkung auf die Spieler müssen daher die Herausforderungen und Belohnungen von einer Regelmechanik abhängen.

Aufgrund dieser Punkte sollten Rollenspieler, die Wert auf Charakterrollenspiel legen, also auch Wert auf eine Regelmechanik legen, die dieses unterstützt. Wer allerdings seine Abenteuer nur durch Kämpfe und ggf. Willkürentscheidungen vorwärts treiben will, der kann auch auf solche Regeln verzichten. Dadurch wird die persönliche Vorliebe, wie nun solche Regeln auszusehen haben, nicht berührt.

Und noch einmal sei betont, dass es hierbei um zielgerichtetes CRP geht, also darum, durch Rollenspiel etwas im Spiel zu erreichen.

Berandor:
Aus einem anderen Thread, aber passend:


--- Zitat von: "Chrischie" ---
Jedes Spiel unterstützt durch Entscheidungen, wie ein Regelsystem aufgebaut ist einen anderen Spielstil.

Die neue WoD als Beipseil hat ~10 Seiten Regeln, welches nicht die speziellen Kräfte einschließt, sondern ziemlich komplett alle Erschaffungsregeln, Kampfregeln, Fertigkeiten und Charakterentwicklung abdeckt. Das ist sehr dünn. Die Kämpfe sind schnell und sehr abstrakt und gefährlich aufgrund von langen Genesungszeiten als Mensch.

Andere spiele zum Beispiel aus der Forge benutzen die gleichen Regelsysteme um Kampf oder soziale Begebenheiten abzudecken. Als Beispiele wären hier The Shadow of Yesterday, Dogs in the Vineyard oder auch Prince Kingdom zu nennen. Wobei gerade bei Dogs in the Vineyard und Prince Kingdom um das Erzählrecht "gekämpft" wird.

D&D ist ein System in dem ein großer Teil der Fähigkeiten der SCs kampfrelevant ist, das spiel empfiehlt eine taktische Karte und liefert Regeln dazu. Der Spielleiter bekommt hier jede Menge Monster und Regeln an die Hand um für die SCs Herausforderungen zu entwickeln.

Jedes dieser Spiele unterstützt einen andere Art zu spielen. Sicherlich kann ich mit D&D etwas spielen, dass im Stil den anderen Genannten ähnelt., nur muss ich dann etwas am Spiel ändern und ob es letztendlich gut funktioniert steht auf einen anderen Blatt. Genau das gleiche gilt aber auch umgekehrt, wenn ich zum Beispiel mit Prince Kingdom eine D&D-ähnliches Spiel aufziehen will, wird das umständlich. Deshalb finde ich es befremdlich, wenn ich einem Spiel etwas vorwerfe, was es schon immer im Grundsatz war. D&D ist nun einmal ein Rollenspiel, welches eine starken Schwerpunkt auf den taktischen Kampf und der Überwindung von Herausforderung legt. Es war nie ein RPG welches dafür berühmt war mit seinem Regelsystem Charakterspiel zu unterstützen.
Deshalb halte ich jetzt eher die Fans für selbst schuld, die es eh immer als "DSA-Verschnitt" (ein Stilmittel zur Übertreibung. Ich meine es nicht so ernst.) gespielt haben und sich nun wundern, dass dies auf ein mal schwerer wird, diesen Spielstil in der neuen Edition umzusetzen und WotC nun auf einmal die bösen sind. Wobei WotC nichts anderes macht als das Spiel konsequent weiterzuentwickeln.

Ich halte es übrigens für keine Qualität eines Spielsystems, wenn es den sozialen Teil nicht regelt, dass es dann ein System ist, dass es Charakterspiel fördert. Eher das gegenteil ist der Fall. Da der/die schüchterne Spieler/in, immer die Person sein wird, die damit besonders benachteiligt ist am Spieltisch oder wenn auch die "wichtigen schauspielerischen Qualitäten" fehlen.
--- Ende Zitat ---

Wormys_Queue:

--- Zitat von: "Berandor" ---1. Um Rollenspiel zu fördern, braucht man rollenspielerische Herausforderungen und die Belohnung von Rollenspiel.
--- Ende Zitat ---


Stimme ich vollkommen zu. Konsequenzfreies Charakterspiel mag ja für den Moment ganz spassig sein, auf Dauer ist es wenig befriedigend. Wie jetzt diese Belohnung genau aussehen soll, lasse ich an dieser Stelle offen, glaube aber nicht, dass es durch feste Regeln in jedem Fall befriedigend geklärt werden kann (oder sollte).


--- Zitat ---2. Die menschliche Urteilskraft ist fehlerbehaftet. Eine subjektive SL-Entscheidung ist daher ebenfalls fehlerbehaftet.
--- Ende Zitat ---

Auch hier gebe ich Dir in der Theorie recht. Die für mich entscheidende Frage allerdings ist die, ob die Fehlerquote des SL notwendigerweise für ein unbefriedigerendes Spiel sorgt als eine noch so gut austarierte Regelung.

Kleines Analogon zum besseren Verständnis, was ich meine: Es gibt eigentlich für jedes professionell vertriebene Rollenspielsystem Kaufabenteuer, die zumeist ebenfalls von Berufsdesignern, also von Profis geschrieben werden. Dennoch gibt es eine Menge Spielleiter, die statt Kaufabenteuern und  offiziellen Kampagnenwelten eigene Abenteuer und "homebrewed" worlds verwenden. Dafür gibt es eine Menge Gründe, ein sicherlich wichtiger dürfte der sein, dass der SL seine Spieler besser kennt als der Berufsdesigner und daher in der Lage ist, die Abenteuer auf die Bedürfnisse seiner Gruppe speziell zuzuschneiden. Auch hier ist das Herangehen des Spielleiters sicher nicht vollkommen objektiver Natur. Die Trefferquote schein aber ausreichend hoch zu sein, um dieses Verhalten zu rechtfertigen.

Ähnlich sehe ich es zum Thema Charakterspiel: Ich bin nicht fehlerfrei und sicher kann ich mit einer Einschätzung auch mal daneben liegen. Ich versuche allerdings auch nicht, das Charakterspiel eines Spielers an irgendeinem objektiven Maß zu messen, sondern schätze es anhand seiner sonst gezeigten Leistungen ein. Das mag auf den ersten Blick unfair klingen, meiner Erfahrung nach ermutigt es aber diejenigen, die sich mit dem Charakterspiel schwer tun, es wenigstens zu versuchen.
 Ich habe noch kein Regularium zum Charakterspiel gesehen, dass mir diese Form der Flexibiltät erlaubt. Sicherlich gibt es besseres als das von D&D 3.5 aber auch das zuletzt diskutierte "Duel of Wits"-System fördert meines Erachtens das Charakterspiel nicht direkt, sondern gibt den Spielern, die das eh mögen nur einen zusätzlichen Anreiz (immerhin ist das schon eine beachtenswerte Leistung). Insoweit erlaube ich mir die Arroganz, mich für im Schnitt besser als die Regeln zu halten, zumindest der, die mir bekannt sind.


--- Zitat ---3. Aus Gründen der Fairness, Objektivität und wegen der Signalwirkung auf die Spieler müssen daher die Herausforderungen und Belohnungen von einer Regelmechanik abhängen.
--- Ende Zitat ---


Siehe unter Punkt 2. Eine Regelmechanik, die die von mir geforderte Flexibilität mitbringt, Spieler unterschiedlich, sprich gemessen an ihrer relativen Neigung und Eignung zum Charakterspiel zu messen, müsste mir also eine Form von Subjektivität ermöglichen, die in einem gewissen Gegensatz zu der von dir gefordeten Fairness und Objektivität stünde. Zumindest könnte man das so sehen, wobei mir persönlich Chancengleichheit wichtiger als Gleichbehandlung ist.

Wohlgemerkt habe ich gegen Regeln für das Charakterspiel gar nichts einzuwenden, und halte sie für zusammengewürfelte Gruppen von Spielern, die sich nicht sehr gut kennen, für sehr, sehr wichtig. In gut aufeinander eingespielten Gruppen würde ich aber eher dem Feingefühl des Spielleiters vertrauen als irgendwelchen fixen Regeln.

P.S. Auf einer ganz persönlichen Ebene halte ich Regeln für das Charakterspiel deswegen für unnötig, weil mir jeder missionarische Ehrgeiz abgeht. Weder halte ich Charakterspiel für etwas besonders wichtiges noch glaube ich, dass nur Charakterspieler auch "gute" Rollenspieler sind. Insoweit fehlt mir jeglicher Grund, Charakterspiel zu fördern. Es wird immer Leute geben, denen das soviel Spass macht, dass sie es von sich aus betreiben; und wer nicht will, braucht die Regeln dafür sowieso nicht.
Aber wohlgemerkt ist das meine ganz persönliche SIcht der Dinge, an der ich mich als Spieldesigner wahrscheinlich nicht mal selbst orientieren würde.

Windjammer:
Ich poste hier mal einen Aufsatz von James Wyatt, der in seiner endgültigen Fassung in das Rules Compendium einging. Der geht zwar nicht direkt auf CRP ein aber indirekt auf die Frage, warum es für integrierte Spielbereiche einfach Regeln geben muss.
Spoiler (Anzeigen)
--- Zitat ---
Why does D&D have rules? Why does this book exist? Wouldn’t it be fun to gather a group of your friends together and engage in a collaborative form of storytelling together, crafting an epic tale of high fantasy? You could tell any story you could imagine, invent the strangest and most fantastic magic, shake the earth and tear the heavens. You could do anything you could dream, within your story, and leave that gathering inspired. Story has power. Our myths shape the way we live.
It’s possible that what I’ve just described is not too different from one of your D&D sessions. I’ve heard people brag that they hardly ever roll dice when they play D&D. When some people think about D&D as a roleplaying game, that first word is the most important - roleplaying. It’s almost a form of improvisational theatre, immersing themselves in characters, trying to imagine what those characters would do in the fantastic situations of the D&D world. Improvisational theatre or collaborative storytelling.
One of the great elements of roleplaying, in this sense, is that you’re not having a story fed to you. You are participating in the creation of the story. That’s one of the things that makes it fun - your involvement in it, your ability to explore a vast expanse of possibility that’s limited only by your imagination (and that of your DM). Game theorist and designer Will Wright has said, “Fun is the process of discovering areas in a possibility space.” In D&D, that kind of fun never ends.
But the second half of “roleplaying game” is game. Some people focus on that word almost to the exclusion of the first. They view D&D purely as a tactical simulation - an exercise in die-rolling and probability. But fundamentally, D&D is a game about roleplaying, rather than a roleplaying exercise like you might encounter in a corporate training exercise or a session with a psychologist.
Games have rules.
Why have rules? For people who don’t like dice with their D&D, the rules might seem to get in the way of fun. For the tactical simulation crowd, who can’t be bothered to roleplay, the fun is entirely in the rules. But in a roleplaying game, the rules contribute to fun in two important ways. The first is that rules define limits. Part of the fun of a game is puzzle-solving. The biggest puzzle of D&D is figuring out how to succeed within the limits of the rules.
In a pure storytelling exercise, someone can present a challenge for the protagonists, but there might not be a lot of challenge to figure out how to overcome it, because no limits exist as to what you can do. The protagonists of an improvisational story can be godlike, easily overcoming any obstacle. Children’s playground games are a fine example of this. When my son and I act out imaginary battles, I can’t win, because he constantly invents defenses against my attacks and creates new attacks to assault me. His imagination is faster than mine, so he wins.
Rules limit that escalation and enforce balance. They carefully define your chance of succeeding on many of the things your character might attempt in the course of an adventure. Fundamentally, game balance is about making sure that everyone has the same limits, or rather, limits that give them roughly equal chances of success in different ways. A fighter and a wizard fight very differently, and they’re skilled at different roles, but if they’re balanced with each other, they have equal opportunities to defeat their foes and emerge from the dungeon victorious. And that makes the game more fun.
When my son and I play D&D, he has to figure out how to beat my monsters given the spells and abilities at his character’s disposal. He’s inclined to invent spells that will let him defeat any monster I throw at him, but the rules let me say, “Well, that should be a higher-level spell than you can cast. Maybe in a couple more levels.” D&D combat is a lot more fun, for me at least, than being conquered by a fevered imagination.
The second way rules contribute to fun is by setting out possibilities. D&D’s rules as limits largely fit between the covers of this book. That’s actually pretty amazing - people think of D&D as an incredibly complex game with entire bookshelves full of rules. The vast majority of those rules, though, are not limits - they’re possibilities. Most D&D books are full of classes you can adopt, spells you can cast, monsters you can fight. Even when you’re not actively playing the game, you can look through your books and sample the possibilities. You can plan your character’s advancement - choose the feats you want to take over the next several levels, pick your next spells, browse the prestige classes. You can stock dungeons with monsters, traps, and treasures. You can build a whole world from the possibilities expressed in the rules. You can even make up your own rules - your own prestige class, spell, feat, race, or monster.
Rules are a two-edged sword where possibilities are concerned, though. In a computer game, the rules (that is to say, the computer code) define the possibilities of what you can do very narrowly. If you want to crawl underneath a bed and the game doesn’t let you crawl, you just can’t. The rules are too restrictive. The rules of D&D, though, limit your options without too narrowly defining them. The beauty of D&D is that your character can try anything you can imagine. The rules are there as a yardstick to measure your chance of success.
What’s most fun about D&D, though - at least in my opinion - is that the game is what you want it to be. If you’re more interested in the roleplaying than in the game, or the other way around, the game can accommodate your preference. Whatever your taste in fantasy, you can create it within the framework of the rules. If you want to immerse yourself in the game, build your own world from the hamlet level up (or from the cosmological level down), the game will reward you for all that work. If you want to show up one evening a week and hang out with your friends, rolling a few dice when someone pokes you, the game will reward that level of involvement as well. The fun is there for the finding - in this one book of rules limits and in the ever-expanding universe of rules possibilities.
--- Ende Zitat ---

Windjammer:

--- Zitat von: "Wormys_Queue" ---Die für mich entscheidende Frage allerdings ist die, ob die Fehlerquote des SL notwendigerweise für ein unbefriedigerendes Spiel sorgt als eine noch so gut austarierte Regelung.
Kleines Analogon zum besseren Verständnis, was ich meine: Es gibt eigentlich für jedes professionell vertriebene Rollenspielsystem Kaufabenteuer, die zumeist ebenfalls von Berufsdesignern, also von Profis geschrieben werden. Dennoch gibt es eine Menge Spielleiter, die statt Kaufabenteuern und offiziellen Kampagnenwelten eigene Abenteuer und "homebrewed" worlds verwenden. Dafür gibt es eine Menge Gründe, ein sicherlich wichtiger dürfte der sein, dass der SL seine Spieler besser kennt als der Berufsdesigner und daher in der Lage ist, die Abenteuer auf die Bedürfnisse seiner Gruppe speziell zuzuschneiden. Auch hier ist das Herangehen des Spielleiters sicher nicht vollkommen objektiver Natur. Die Trefferquote schein aber ausreichend hoch zu sein, um dieses Verhalten zu rechtfertigen.
--- Ende Zitat ---

Läßt Dein Analogon nicht einen Mittelweg zu? Leute die Paizo Abenteuer kaufen, und sie dann streckenweise auf die Bedürfnisse ihrer Spieler "zuzuschneiden"? Analog würde es ja erstmal ausreichen, wenn es Regelrichtlinien für CRP gäbe, ohne dass diese schon alle Eventualitäten bis ins letzte Detail für sämtliche Spielgruppen abdecken oder den Anspruch auf Universalwahrheit erheben. (Das tun imo nicht einmal die Kampfregeln in D&D.)

Edit. Da Du in Diskussionen öfters auf "Duel of Wits" (und eine dazugehörige Debatte?)verweist, würde ich mich über einen link freuen.

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