Autor Thema: Essay: Warum "Charakterspiel" Regeln braucht (lang  (Gelesen 12553 mal)

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Berandor

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Essay: Warum "Charakterspiel" Regeln braucht (lang
« am: 02. März 2008, 18:14:52 »
Zitat von: "Nadir-Khân"
Was mich sehr wundert ist, dass nach Regeln bzw. Mechanismen für Charakterspiel gefragt wird. Genau dafür benötigt man eben gerade keine Regeln, oder?


Zitat von: "Prospero"

Meine persönliche Ansicht dazu:
Man lasse die Spieler ausspielen und/oder erzählen was sie an zu sagen haben und macht dann einen Wurf mit einem angepaßten Schwierigkeitsgrad.


Ich möchte niemandem vorgeben, wie er zu spielen hat, oder "wrongbadfun" mokieren. Dennoch bin ich der Ansicht, dass die obigen Zitate, nun ja, falsch sind. Genauer gesagt, die Philisophien, die dahinter stecken. Im Folgenden werde ich zunächst darauf eingehen, warum generell das Charakterrollenspiel (CRP) durch Regeln unterstützt sein sollte und danach, warum eine Lösung wie die von Prospero keine wirkliche Lösung ist. Bei aller Anerkennung unterschiedlicher Spielstile bin ich am Ende dennoch der Ansicht, dass man als Befürworter von CRP am Spieltisch nur *mit* entsprechenden Regeln arbeiten kann und nicht mit deren Absenz.

Hierbei geht es mir ausdrücklich *nicht* um Rollenspiel, dass dem reinen Rollenspiel dient und von mir unten noch mal durch eine schäbige Analogie angesprochen wird. Sondern darum, dass man mit CRP das Abenteuer voranbringen möche, also durch CRP etwas erreichen möchte. Ein langer Drizz't-Monolog über Trauer kann natürlich ohne Regeln ablaufen, auch wenn ich persönlich den Sinn eines solchen Monologes nicht sehe, wenn er keinem Ziel dient.

Vorbemerkung: Grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass ein Rollenspielsystem nicht vor der Abwicklung sozialer Angelegenheiten scheuen sollte, sondern seine Mechanik auch auf diese Bereiche "ausdehnen" sollte. Dieser Beitrag wird sich stark an D&D und ähnliche Spiele anlehnen, bei dem Fähigkeiten eines Charakters durch entsprechende Zahlenwerte verdeutlicht werden. Andere, abstraktere Mechanismen werden dadurch auf der konkreten Ebene etwas ausgeklammert. Sie stellen aber keine Ausnahme der zu Beginn dieses Absatzes formulierten Ansicht dar.

Spoiler (Anzeigen)


Ich entschuldige mich dafür, dass dieser Beitrag so lang wurde. Ich habe ihn daher hinter einem Spoiler versteckt, damit man sich das nicht anzun muss. Hier die grundsätzlichen Punkte:

1. Um Rollenspiel zu fördern, braucht man rollenspielerische Herausforderungen und die Belohnung von Rollenspiel.
2. Die menschliche Urteilskraft ist fehlerbehaftet. Eine subjektive SL-Entscheidung ist daher ebenfalls fehlerbehaftet.
3. Aus Gründen der Fairness, Objektivität und wegen der Signalwirkung auf die Spieler müssen daher die Herausforderungen und Belohnungen von einer Regelmechanik abhängen.

Aufgrund dieser Punkte sollten Rollenspieler, die Wert auf Charakterrollenspiel legen, also auch Wert auf eine Regelmechanik legen, die dieses unterstützt. Wer allerdings seine Abenteuer nur durch Kämpfe und ggf. Willkürentscheidungen vorwärts treiben will, der kann auch auf solche Regeln verzichten. Dadurch wird die persönliche Vorliebe, wie nun solche Regeln auszusehen haben, nicht berührt.

Und noch einmal sei betont, dass es hierbei um zielgerichtetes CRP geht, also darum, durch Rollenspiel etwas im Spiel zu erreichen.
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Berandor

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Essay: Warum "Charakterspiel" Regeln braucht (lang
« Antwort #1 am: 02. März 2008, 19:31:31 »
Aus einem anderen Thread, aber passend:

Zitat von: "Chrischie"

Jedes Spiel unterstützt durch Entscheidungen, wie ein Regelsystem aufgebaut ist einen anderen Spielstil.

Die neue WoD als Beipseil hat ~10 Seiten Regeln, welches nicht die speziellen Kräfte einschließt, sondern ziemlich komplett alle Erschaffungsregeln, Kampfregeln, Fertigkeiten und Charakterentwicklung abdeckt. Das ist sehr dünn. Die Kämpfe sind schnell und sehr abstrakt und gefährlich aufgrund von langen Genesungszeiten als Mensch.

Andere spiele zum Beispiel aus der Forge benutzen die gleichen Regelsysteme um Kampf oder soziale Begebenheiten abzudecken. Als Beispiele wären hier The Shadow of Yesterday, Dogs in the Vineyard oder auch Prince Kingdom zu nennen. Wobei gerade bei Dogs in the Vineyard und Prince Kingdom um das Erzählrecht "gekämpft" wird.

D&D ist ein System in dem ein großer Teil der Fähigkeiten der SCs kampfrelevant ist, das spiel empfiehlt eine taktische Karte und liefert Regeln dazu. Der Spielleiter bekommt hier jede Menge Monster und Regeln an die Hand um für die SCs Herausforderungen zu entwickeln.

Jedes dieser Spiele unterstützt einen andere Art zu spielen. Sicherlich kann ich mit D&D etwas spielen, dass im Stil den anderen Genannten ähnelt., nur muss ich dann etwas am Spiel ändern und ob es letztendlich gut funktioniert steht auf einen anderen Blatt. Genau das gleiche gilt aber auch umgekehrt, wenn ich zum Beispiel mit Prince Kingdom eine D&D-ähnliches Spiel aufziehen will, wird das umständlich. Deshalb finde ich es befremdlich, wenn ich einem Spiel etwas vorwerfe, was es schon immer im Grundsatz war. D&D ist nun einmal ein Rollenspiel, welches eine starken Schwerpunkt auf den taktischen Kampf und der Überwindung von Herausforderung legt. Es war nie ein RPG welches dafür berühmt war mit seinem Regelsystem Charakterspiel zu unterstützen.
Deshalb halte ich jetzt eher die Fans für selbst schuld, die es eh immer als "DSA-Verschnitt" (ein Stilmittel zur Übertreibung. Ich meine es nicht so ernst.) gespielt haben und sich nun wundern, dass dies auf ein mal schwerer wird, diesen Spielstil in der neuen Edition umzusetzen und WotC nun auf einmal die bösen sind. Wobei WotC nichts anderes macht als das Spiel konsequent weiterzuentwickeln.

Ich halte es übrigens für keine Qualität eines Spielsystems, wenn es den sozialen Teil nicht regelt, dass es dann ein System ist, dass es Charakterspiel fördert. Eher das gegenteil ist der Fall. Da der/die schüchterne Spieler/in, immer die Person sein wird, die damit besonders benachteiligt ist am Spieltisch oder wenn auch die "wichtigen schauspielerischen Qualitäten" fehlen.
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Wormys_Queue

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Re: Essay: Warum "Charakterspiel" Regeln braucht (
« Antwort #2 am: 02. März 2008, 20:24:13 »
Zitat von: "Berandor"
1. Um Rollenspiel zu fördern, braucht man rollenspielerische Herausforderungen und die Belohnung von Rollenspiel.


Stimme ich vollkommen zu. Konsequenzfreies Charakterspiel mag ja für den Moment ganz spassig sein, auf Dauer ist es wenig befriedigend. Wie jetzt diese Belohnung genau aussehen soll, lasse ich an dieser Stelle offen, glaube aber nicht, dass es durch feste Regeln in jedem Fall befriedigend geklärt werden kann (oder sollte).

Zitat
2. Die menschliche Urteilskraft ist fehlerbehaftet. Eine subjektive SL-Entscheidung ist daher ebenfalls fehlerbehaftet.

Auch hier gebe ich Dir in der Theorie recht. Die für mich entscheidende Frage allerdings ist die, ob die Fehlerquote des SL notwendigerweise für ein unbefriedigerendes Spiel sorgt als eine noch so gut austarierte Regelung.

Kleines Analogon zum besseren Verständnis, was ich meine: Es gibt eigentlich für jedes professionell vertriebene Rollenspielsystem Kaufabenteuer, die zumeist ebenfalls von Berufsdesignern, also von Profis geschrieben werden. Dennoch gibt es eine Menge Spielleiter, die statt Kaufabenteuern und  offiziellen Kampagnenwelten eigene Abenteuer und "homebrewed" worlds verwenden. Dafür gibt es eine Menge Gründe, ein sicherlich wichtiger dürfte der sein, dass der SL seine Spieler besser kennt als der Berufsdesigner und daher in der Lage ist, die Abenteuer auf die Bedürfnisse seiner Gruppe speziell zuzuschneiden. Auch hier ist das Herangehen des Spielleiters sicher nicht vollkommen objektiver Natur. Die Trefferquote schein aber ausreichend hoch zu sein, um dieses Verhalten zu rechtfertigen.

Ähnlich sehe ich es zum Thema Charakterspiel: Ich bin nicht fehlerfrei und sicher kann ich mit einer Einschätzung auch mal daneben liegen. Ich versuche allerdings auch nicht, das Charakterspiel eines Spielers an irgendeinem objektiven Maß zu messen, sondern schätze es anhand seiner sonst gezeigten Leistungen ein. Das mag auf den ersten Blick unfair klingen, meiner Erfahrung nach ermutigt es aber diejenigen, die sich mit dem Charakterspiel schwer tun, es wenigstens zu versuchen.
 Ich habe noch kein Regularium zum Charakterspiel gesehen, dass mir diese Form der Flexibiltät erlaubt. Sicherlich gibt es besseres als das von D&D 3.5 aber auch das zuletzt diskutierte "Duel of Wits"-System fördert meines Erachtens das Charakterspiel nicht direkt, sondern gibt den Spielern, die das eh mögen nur einen zusätzlichen Anreiz (immerhin ist das schon eine beachtenswerte Leistung). Insoweit erlaube ich mir die Arroganz, mich für im Schnitt besser als die Regeln zu halten, zumindest der, die mir bekannt sind.

Zitat
3. Aus Gründen der Fairness, Objektivität und wegen der Signalwirkung auf die Spieler müssen daher die Herausforderungen und Belohnungen von einer Regelmechanik abhängen.


Siehe unter Punkt 2. Eine Regelmechanik, die die von mir geforderte Flexibilität mitbringt, Spieler unterschiedlich, sprich gemessen an ihrer relativen Neigung und Eignung zum Charakterspiel zu messen, müsste mir also eine Form von Subjektivität ermöglichen, die in einem gewissen Gegensatz zu der von dir gefordeten Fairness und Objektivität stünde. Zumindest könnte man das so sehen, wobei mir persönlich Chancengleichheit wichtiger als Gleichbehandlung ist.

Wohlgemerkt habe ich gegen Regeln für das Charakterspiel gar nichts einzuwenden, und halte sie für zusammengewürfelte Gruppen von Spielern, die sich nicht sehr gut kennen, für sehr, sehr wichtig. In gut aufeinander eingespielten Gruppen würde ich aber eher dem Feingefühl des Spielleiters vertrauen als irgendwelchen fixen Regeln.

P.S. Auf einer ganz persönlichen Ebene halte ich Regeln für das Charakterspiel deswegen für unnötig, weil mir jeder missionarische Ehrgeiz abgeht. Weder halte ich Charakterspiel für etwas besonders wichtiges noch glaube ich, dass nur Charakterspieler auch "gute" Rollenspieler sind. Insoweit fehlt mir jeglicher Grund, Charakterspiel zu fördern. Es wird immer Leute geben, denen das soviel Spass macht, dass sie es von sich aus betreiben; und wer nicht will, braucht die Regeln dafür sowieso nicht.
Aber wohlgemerkt ist das meine ganz persönliche SIcht der Dinge, an der ich mich als Spieldesigner wahrscheinlich nicht mal selbst orientieren würde.
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Wormy's Worlds

Windjammer

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Essay: Warum "Charakterspiel" Regeln braucht (lang
« Antwort #3 am: 02. März 2008, 20:34:47 »
Ich poste hier mal einen Aufsatz von James Wyatt, der in seiner endgültigen Fassung in das Rules Compendium einging. Der geht zwar nicht direkt auf CRP ein aber indirekt auf die Frage, warum es für integrierte Spielbereiche einfach Regeln geben muss.
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Windjammer

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Re: Essay: Warum "Charakterspiel" Regeln braucht (
« Antwort #4 am: 02. März 2008, 20:40:08 »
Zitat von: "Wormys_Queue"
Die für mich entscheidende Frage allerdings ist die, ob die Fehlerquote des SL notwendigerweise für ein unbefriedigerendes Spiel sorgt als eine noch so gut austarierte Regelung.
Kleines Analogon zum besseren Verständnis, was ich meine: Es gibt eigentlich für jedes professionell vertriebene Rollenspielsystem Kaufabenteuer, die zumeist ebenfalls von Berufsdesignern, also von Profis geschrieben werden. Dennoch gibt es eine Menge Spielleiter, die statt Kaufabenteuern und offiziellen Kampagnenwelten eigene Abenteuer und "homebrewed" worlds verwenden. Dafür gibt es eine Menge Gründe, ein sicherlich wichtiger dürfte der sein, dass der SL seine Spieler besser kennt als der Berufsdesigner und daher in der Lage ist, die Abenteuer auf die Bedürfnisse seiner Gruppe speziell zuzuschneiden. Auch hier ist das Herangehen des Spielleiters sicher nicht vollkommen objektiver Natur. Die Trefferquote schein aber ausreichend hoch zu sein, um dieses Verhalten zu rechtfertigen.

Läßt Dein Analogon nicht einen Mittelweg zu? Leute die Paizo Abenteuer kaufen, und sie dann streckenweise auf die Bedürfnisse ihrer Spieler "zuzuschneiden"? Analog würde es ja erstmal ausreichen, wenn es Regelrichtlinien für CRP gäbe, ohne dass diese schon alle Eventualitäten bis ins letzte Detail für sämtliche Spielgruppen abdecken oder den Anspruch auf Universalwahrheit erheben. (Das tun imo nicht einmal die Kampfregeln in D&D.)

Edit. Da Du in Diskussionen öfters auf "Duel of Wits" (und eine dazugehörige Debatte?)verweist, würde ich mich über einen link freuen.
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Wormys_Queue

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Essay: Warum "Charakterspiel" Regeln braucht (lang
« Antwort #5 am: 02. März 2008, 21:10:22 »
Diesen Link hatte der Rabe in dem Thread Theorie: Konflikt vs. Aufgabe gepostet.

Zitat
Läßt Dein Analogon nicht einen Mittelweg zu? Leute die Paizo Abenteuer kaufen, und sie dann streckenweise auf die Bedürfnisse ihrer Spieler "zuzuschneiden"?

Natürlich, da hast Du völlig recht. Tatsächlich halte ich das sogar für eine unabdingbare Aufgabe des Spielleiters, sofern es seine Zeit auch nur irgendwie zulässt. Auch denn stellt sich aber die Frage, worauf dieses Vorgehen des SL basiert. Und auch hier landet man wieder bei der subjektiven Einschätzung des SL, die Berandor im Falle des Charakterspiels gerne durch Regeln ersetzt sehen möchte.

 
Zitat
Analog würde es ja erstmal ausreichen, wenn es Regelrichtlinien für CRP gäbe, ohne dass diese schon alle Eventualitäten bis ins letzte Detail für sämtliche Spielgruppen abdecken oder den Anspruch auf Universalwahrheit erheben. (Das tun imo nicht einmal die Kampfregeln in D&D.)


Tatsächlich habe ich Designer von Monte Cook bis hin zu Mike Mearls immer wieder diese Aussage tätigen sehen, dass nichts im System universelle Gültigkeit beanspruche, sondern sich immer wieder am Realitätscheck des aktuellen Spiels beweisen müsse. Deswegen habe ich auch nichts gegen solche Regeln, die ich ja bequemerweise einfach ignorieren kann, wenn sie mir nicht in den Kram passen sollten.

Leider landet man auch auf diesem Wege ganz schnell beim Thema "Spielleiterwillkür" und bei der Frage, an der sich ja auch einige der jüngeren Threads zum Thema Spieltheorie entzünden: Wieviel Macht (ich nenne es mal in Ermangelung eines besseren Ausdrucks so) darf oder muss der Spielleiter eigentlich haben und wie kann man das System so austarieren, dass diese Macht sich mehr in Richtung der Spieler verlagert?
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Wormy's Worlds

Berandor

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Re: Essay: Warum "Charakterspiel" Regeln braucht (
« Antwort #6 am: 02. März 2008, 21:19:57 »
Zitat von: "Wormys_Queue"

Ähnlich sehe ich es zum Thema Charakterspiel: Ich bin nicht fehlerfrei und sicher kann ich mit einer Einschätzung auch mal daneben liegen. Ich versuche allerdings auch nicht, das Charakterspiel eines Spielers an irgendeinem objektiven Maß zu messen, sondern schätze es anhand seiner sonst gezeigten Leistungen ein. Das mag auf den ersten Blick unfair klingen, meiner Erfahrung nach ermutigt es aber diejenigen, die sich mit dem Charakterspiel schwer tun, es wenigstens zu versuchen.

Ich habe noch kein Regularium zum Charakterspiel gesehen, dass mir diese Form der Flexibiltät erlaubt. Sicherlich gibt es besseres als das von D&D 3.5 aber auch das zuletzt diskutierte "Duel of Wits"-System fördert meines Erachtens das Charakterspiel nicht direkt, sondern gibt den Spielern, die das eh mögen nur einen zusätzlichen Anreiz (immerhin ist das schon eine beachtenswerte Leistung). Insoweit erlaube ich mir die Arroganz, mich für im Schnitt besser als die Regeln zu halten, zumindest der, die mir bekannt sind.

Das Problem ist, dass du nicht nur das Spiel der Spieler bewerten musst, sondern auch, ob es zum Erfolg führt. Zu sagen, dass Spieler A sich jetzt gerade richtig reingehängt hat, auch wenn Spieler B das mit links hätte besser hingekriegt, ist die eine Sache. Aber wie bewertest du den Erfolg? Wie entscheidest du, ob das tatsächlich gute Argumente waren, um den Baron zu überzeugen, oder ob ihm z.B. die Bevölkerung am Hintern vorbeigeht? Ist es nur die Anstrengung des Spielers?

Auf das Abenteuer bezogen weißt du vielleicht eher, was die Spieler wollen, und baust daher anstelle eines Dungeons einen Rätselparcours, an dessen Ende zuerst ein Wettschwimmen steht und dann ein Kampf gegen einen schwarzen Drachen, weil die Jungs und Mädels darauf stehen. Aber wie entscheidest du dann, ob die das Schwimmen gewinnen und den Drachen besiegen? Da sagst du ja nicht, dass du die Spieler und die SC kennst, und die schaffen das schon. Sondern da nimmst du ein System zu Hilfe. Darum geht es.

Ein fachfremdes Beispiel: Lehrer können sehr gut einschätzen, wie die Verteilung der Schüler innerhalb der Klasse ist, d.h. wer gut ist und wer nicht. So kannst du als SL auch einschätzen, ob jemand gerade gutes Charakterspiel abgeliefert hat oder nicht. Lehrer können jedoch nicht gut einschätzen, ob jemand wirklich einen Stoff verstanden hat oder nicht. Dazu gibt es dann Lernziele und entsprechende Tests, die das Verständnis überprüfen. Ebenso kommt dann, um den Effekt des CRP zu prüfen, das System ins Spiel.

Es gibt eine Fülle von Möglichkeiten, wie du die Anstrengung belohnen kannst, ohne damit die Herausforderung bzw. die Ergebnisfindung zu umgehen. Z.B. kann man in manchen Systemen etwas in der Art von action points vergeben, wenn sich jemand durch CRP auszeichnet – ohne ihn dadurch automatisch mit Erfolg zu belohnen.

"Wow, das war eine geile Rede. Nimm einen Action Point. *Würfel* Während einige Zuschauer sprachlos sind, lässt der Baron nur einen Rülpser vernehmen. Er scheint völlig desinteressiert zu sein. »Schöne Worte«, grunzt er, »aber was geht mich das an?«
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Windjammer

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Essay: Warum "Charakterspiel" Regeln braucht (lang
« Antwort #7 am: 02. März 2008, 22:29:03 »
Zitat von: "Wormys_Queue"
Tatsächlich habe ich Designer von Monte Cook bis hin zu Mike Mearls immer wieder diese Aussage tätigen sehen, dass nichts im System universelle Gültigkeit beanspruche

Du bist gut.  :)  Das müssen Designer nicht aus dem Nähkästchen plaudern. Das ist die offizielle Firmenphilosophie von D&D, die seit der AD&D2 szusagen als interior cover sheet in den DMG gepappt wird. Zuletzt von Bill Slavicsek im Rules Compendium ("It's a living game").
Zitat von: "Wormys_Queue"
Leider landet man auch auf diesem Wege ganz schnell beim Thema "Spielleiterwillkür" ... wie kann man das System so austarieren, dass diese Macht sich mehr in Richtung der Spieler verlagert?

Auch wenn sich der Hinweis im DMG befindet, landet man nicht gleich bei der SL Willkür. Weil eine Gruppe aus SL und Spieler diese Entscheidung oft gemeinsam trifft, und das auch noch ohne längere Diskussion. Dazu David Noonan im Rules Compendium:
Zitat
Rules can die spontaneously in individual games. D&D players interpret a troublesome rule as system damage and decide to get along without it. What’s a troublesome rule? It’s something that doesn’t add to long-term fun at the game table. I get paid to understand the D&D rules backward and forward, and I still have my Player’s Handbook open to certain rules when they come up. My players are absolute sharks, so we can run big complicated fights, consulting the text when we must.
But a lot of D&D groups simply don’t bother. They’ve made the reasonable decision that some rules aren’t adding to their fun, and their game has adapted so that it doesn’t use those rules. The aspect of this phenomenon that fascinates me is that it’s often entirely nonverbal. Players never have a “we should stop using this rule” discussion. Instead, they see their game grind to a halt while everyone puzzles out the rule - once. Such players cooperatively make a decision that increases their fun at the table. The more D&D gets its players to cooperatively do beneficial things, the better the experience for everyone. Sure, I wish D&D were nothing but fun, easy-to-use rules, but that isn’t the game we have. So I’ll happily accept groups of players finding ways around stuff they don’t like.

Bessere Beispiele für einen "collective effort", die im Gegensatz zum gerade gesagten eher konstruktiv als destruktiv mit den Regeln umgehen, liefert die derzeitige Diskussion im Gate zur 4E social combat mechanic . Zufall? :wink: Ich zitiere mal daraus.
Zitat von: "Daeinar"
Was ich daran extrem sympathisch finde ist, dass man sozusagen anregt, kreativ mit den Fähigkeiten der Charaktere umzugehen. Und zwar auch die Spieler. Sicher, man kann nicht immer mit jedem Skill jedes Problem lösen, aber einfach ein Problem mit 4 oder 5 Skills, und den selben DCs klären zu können, und gemeinsam die Beschreibung zu "erfinden" ist für die Gruppe doch toll.
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Wormys_Queue

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Re: Essay: Warum "Charakterspiel" Regeln braucht (
« Antwort #8 am: 02. März 2008, 22:43:04 »
Zitat von: "Berandor"
Das Problem ist, dass du nicht nur das Spiel der Spieler bewerten musst, sondern auch, ob es zum Erfolg führt. Zu sagen, dass Spieler A sich jetzt gerade richtig reingehängt hat, auch wenn Spieler B das mit links hätte besser hingekriegt, ist die eine Sache. Aber wie bewertest du den Erfolg? Wie entscheidest du, ob das tatsächlich gute Argumente waren, um den Baron zu überzeugen, oder ob ihm z.B. die Bevölkerung am Hintern vorbeigeht? Ist es nur die Anstrengung des Spielers?


Um ehrlich zu sein, handhabe ich das aktuell sehr ähnlich wie der von dir dafürkritisierte Prospero. Ich belohne quasi den gezeigten Willen des Spielers damit, dass ich den SG entsprechend anpasse und damit die Erfolgswahrscheinlichkeit erhöhe. Wobei ich da recht intuitiv (böse Zungen mögen sagen: willkürlich) vorgehe.
  Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang vor allem (und dass muss man mir eben glauben oder es lassen), dass es mir nicht um den Erhalt meiner eingebildeten Macht als SL geht, sondern darum, das Spiel für die Spieler so interessant und spannend wie möglich zu gestalten. Wenn es einen Regelmechanismus gäbe, der mir bei gleichbleibender Qualität des Spiels diese Art des Vorgehens erspart, wäre ich sofort dafür, diesen Mechanismus einzusetzen. Ich kenne nur leider keinen, und wie schon angesprochen scheint der Mechanismus des DoW den Standard-D&D-Mechanismen zwar überlegen, löst aber mein eigentliches Problem nicht, dass man nämlich auch hier letzten Endes au Charakterspiel vollkommen verzichten und einfach den Regelmechanismus entscheiden lassen kann. Auch hier muss ich also andere Möglichkeiten finden, die Spieler zum Charakterspiel anzuhalten, und persönlich halte ich kleine Boni für motivierender als Spielleiterzwang. Das kann man sicher auch durch die von dir angesprochenen AP lösen (die ich ja tatsächlich  in der Eberron-Variante auch benutze.) Wobei ich auch in deinem Beispiel die Möglichkeit zur SL-Willkür sehe, denn wer entscheidet denn darüber, ob der Charakter für seine "geile Rede" einen AP verdient hat? Und auch bei deinem Beispiel stehe ich vor der Aufgabe, das CRP des Spielers anhand seiner Begabung und/oder seines für gewöhnlich gezeigten CRPs gewichten zu müssen, wenn ich meinem Verständnis von Fairness treu bleiben will.
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Wormy's Worlds

Wormys_Queue

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Essay: Warum "Charakterspiel" Regeln braucht (lang
« Antwort #9 am: 02. März 2008, 22:56:58 »
Zitat von: "Windjammer"
Das müssen Designer nicht aus dem Nähkästchen plaudern. Das ist die offizielle Firmenphilosophie von D&D, die seit der AD&D2 szusagen als interior cover sheet in den DMG gepappt wird. Zuletzt von Bill Slavicsek im Rules Compendium ("It's a living game").


Mein Eindruck ist lediglich der, dass das gerne vergessen oder ignoriert wird, wenn es darum geht, sich durch den Wortlaut der Regeln einen Vorteil zu verschaffen, weswegen ich das in diesem Zusammenhang erwähnenswert fand. Ich weiss nicht, ob das ein DSA zu verdankendes speziell deutsches Problem ist oder ob das möglicherweise auch einfach eine Frage des Alters ist. Jedenfalls hab ich hier im Gate schon des öfteren beobachtet, dass man bei Regelfragen einfach mit dem Verweis auf die RAW abgeledert wird, selbst wenn die Intention der Designer eigentlich ganz gut erkennbar eine andere war. Das ist mir auf amerikanischen boards so stark noch nie aufgefallen, da geht man meinem Eindruck nach wesentlich relaxter an die Sache heran.

Wenn man aber den reinen Wortlaut so verabsolutiert, setzt man den SL natürlich schnell dem Vorwurf der Willkür aus, wenn dieser die Regeln flexibel einsetzt, selbst wenn er das in bester Absicht tut.

Aber eigentlich ist das jetzt ein anderes Thema.  :)
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DU#1229

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Essay: Warum "Charakterspiel" Regeln braucht (lang
« Antwort #10 am: 02. März 2008, 23:57:12 »
@Berandor: meinen Post hast Du, genau wie Windjammer im anderen Thread, leider falsch verstanden. Weder ist das eine Aussage, noch eine Meinung, die ich veräussern möchte.
Gemeint war folgendes:
Warum benötigt man Regeln für Charakterspiel?
Ich denke, einen Diplomatiecheck kann man genauso als Charakterspiel sehen (also Deine Sicht der Dinge), wie zB eine normale soziale Konfrontation, bei der einfach nicht gewürfelt wird oder das Ausspielen von Charakterzügen (wofür ich keine Regeln brauche).
Meine Frage zielte darauf ab, Leute auf Fehler in ihrer Argumentation hinzuweisen bzw. für eine differenzierendere Wortwahl zu sensibilisieren.
Ist hiermit eindeutig schief gelaufen, denn scheinbar definierte ich Charakterspiel anders als ihr alle... :unsure:
-->  also mein Fehler! :x

Ich selbst nutze Regeln für soziale Skills, nachdem das Gespräch verlaufen ist um das Ergebnis abzusehen oder zu beeinflussen. Bei einigen Sachen lasse ich diese Regelmechanismen sogar einfach weg ;)
Aber letztendlich liegen unsere Ansätze gar nicht soweit voneinander entfernt.

Taysal

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    • Taysals Abenteuerland
Essay: Warum "Charakterspiel" Regeln braucht (lang
« Antwort #11 am: 03. März 2008, 00:13:49 »
Charakterspiel braucht nur dann Regeln, wenn es die Spielerschaft erfordert - was meistens der Fall ist. Ich habe allerdings schon - mit den richtigen Leuten und auf einer Wellenlänge - Spielrunden ohne Regeln und Spielleiter gespielt.

Berandor

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Re: Essay: Warum "Charakterspiel" Regeln braucht (
« Antwort #12 am: 03. März 2008, 08:59:55 »
Zitat von: Wormys_Queue
Zitat von: "Berandor"
Wobei ich auch in deinem Beispiel die Möglichkeit zur SL-Willkür sehe, denn wer entscheidet denn darüber, ob der Charakter für seine "geile Rede" einen AP verdient hat? Und auch bei deinem Beispiel stehe ich vor der Aufgabe, das CRP des Spielers anhand seiner Begabung und/oder seines für gewöhnlich gezeigten CRPs gewichten zu müssen, wenn ich meinem Verständnis von Fairness treu bleiben will.


Bei BW entscheidet das z.B. die ganze Gruppe.

Nadir: Dein Post war nur als Aufhänger gedacht, wie ich ja schrieb. Ob du das nun so meintest oder nicht, ist mir egal.

Taysal: Du bist so geil. Lass mich einen Schrein in deinem Namen bauen. Spielt ihr auch Monopoly ohne Regeln und entscheidet beim Pokern (mit den richtigen Leuten natürlich), wann wie viele Karten gezogen werden und welches Blatt gewinnt?
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Taysal

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    • Taysals Abenteuerland
Re: Essay: Warum "Charakterspiel" Regeln braucht (
« Antwort #13 am: 03. März 2008, 09:37:23 »
Zitat von: "Berandor"
(...)
Taysal: Du bist so geil. Lass mich einen Schrein in deinem Namen bauen. Spielt ihr auch Monopoly ohne Regeln und entscheidet beim Pokern (mit den richtigen Leuten natürlich), wann wie viele Karten gezogen werden und welches Blatt gewinnt?


Ich habe ja nie behauptet, dass du zu den gleichen Dingen in der Lage bist wie ich, vor allem, da ich zwischen Rollenspiel, Monopoly und Poker Unterschiede mache. Falls dir andere Meinungen und Erfahrungen nicht passen, musst du halt im privaten Kreis posten und öffentliche Foren meiden. Ich hoffe du bist handwerklich geschickt und der Schrein sieht imposant aus.

Wormys_Queue

  • Mitglied
Re: Essay: Warum "Charakterspiel" Regeln braucht (
« Antwort #14 am: 03. März 2008, 10:14:47 »
Zitat von: "Berandor"
Bei BW entscheidet das z.B. die ganze Gruppe.


Was natuerlich wiederum voraussetzt, dass die Spieler die notwendige geistige Reife besitzen, um das System nicht auszunutzen. Ich habe schon (nicht allzulange allerdings^^) in Gruppen mitgespielt, in denen ein Spieler sehr dominant auftrat und ziemlich oft die "Gruppen"-Entscheidungen nur noch von den anderen abnicken liess. Da stoesst auch ein basisdemokratisches System an seine Grenzen.

Nicht, dass Basisdemokratie per se unmoeglich waere. Tatsaechlich versuche ich mein bestes, um die Spieler so viel wie moeglich in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen, ob das nun Ingame ist oder auf Regelebene. Manchmal hab ich aber den Eindruck, dass die Spieler es ganz bequem finden, eben keine Endscheidungen treffen zu muessen.

Letzten Endes laeuft es wohl auf meine weltanschauliche Position wie auch auf meine persoenliche Einstellung zur Wichtigkeit von Regeln hinaus. Zum einen glaube ich ganz allgemein gesprochen nicht an die notwendige Ueberlegenheit von Mehrheitsentscheidungen gegenueber der Entscheidung eines Experten. Auf das Spiel bezogen heisst das fuer mich, dass ich es sowohl als SL wie uebrigens auch als Spieler recht angenehm finde, wenn die Regelhoheit in der Hand eines Schiedsrichters und Moderators liegt und die Spieler sich auf das fuer mich eigentliche am Spiel (Story und Charakter) konzentrieren koennen.

Womit ich wohl sehr nahe an Nadirs Position liege. Fuer das eigentliche Charakterspiel empfinde ich Regeln eher als stoerend, da phantasiehemmend. Gegen Mechanismen, die am Ende die Konsequenzen des Charakterspiels in Spieltermini uebersetzen hab ich nicht direkt etwas, da kann man sich natuerlich herrlich drueber streiten, wie das am besten geregelt werden kann.

Aber ich bin sehr skeptisch, ob es ein Regelwerk geben kann, dass robust und flexibel genug ist, um auf der einen Seite die Ausnuetzung des Systems zu verhindern und auf der anderen Seite der Unendlichkeit an verschiedenen Situationen gerecht zu werden, ohne dabei seinen eigentlichen Sinn als Regularium zu verlieren und das Charakterspiel eher zu behindern als zu foerdern.

Letzten Endes halte ich das daher fuer eine Sache, die man besser im Rahmen des Gruppenvertrags vor der Kampagne klaeren sollte, um einen Mechanismus zu finden, der der jeweiligen Gruppe am besten zu Gesicht steht.
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