Vorab:
Das ist eine grobe Skizze eines alternativen Schadensmodells, das aber nicht ohne weiteres in das bestehende D&D eingefügt werden kann. Vielleicht paßt es in der 4e besser aber darauf würde ich keine Wetten abschließen. Ich habe mir auch weder Gedanken über die genaue Dimensionierung der letztendlich entstehenden Zahlenwerte gemacht noch über die Dimensionierung der damit interagierenden Werte. Um es zu nutzen müßte man zahlreiche weitergehende Veränderungen am bestehenden System vornehmen. Daher ist das vor allem ein in der Theorie zu diskutierender Ansatz. Falls er sich da bewährt lohnt es sich vielleicht, darauf basierend ein eigenes D20 Spiel zu basteln. Und vielleicht als Inspiration für D&D 5 zu dienen - wenn es denn jemals den Sprung über den Teich macht *träum*.
Here goes...
Als ich die ersten 4e-Zauber gesehen habe war mein erster Eindruck: "Langweilig!" Alles macht entweder so ca. 3W6 Schaden oder nur 1W6 und kostet den Gegner dafür eine Aktion. Irgendwo habe ich sogar das Gerücht gehört, daß sogar
Maze nun so funktioniert. Aber wie will man auf dieser Basis jemanden beherrschen oder in einen Frosch verwandeln ohne daß es völlig dem widerspricht, was man aus den gängigen Fantasy-Vorlagen so kennt?
Klar ist, daß die bisherigen Save-or-Dies keine gute Lösung waren. Sie erlauben den Magieanwendern die Möglichkeit von Insta-Kills während mundane Charaktere wie lange auf ihre Gegner einwirken müssen. Insta-Kills mögen in einer "gritty"-Kampagne ja OK sein, aber zum einen ist D&D as intended nun einmal heroisch und nicht gritty und außerdem müßten mundane Angriffe dann ähnlich tödlich sein.
Nun stellt sich die Frage, wie man die o.g. Effekte, die letztendlich immer eine Alles-oder-Nichts-Frage sind, so in einem heroischen System umsetzt, daß wichtige Helden und Schurken eben nicht mit einem Wisch abserviert werden können; der Versuch aber trotzdem eine praktikable Vorgehensweise ist.
Dabei kam mir folgender Grundgedanke:
Wenn der Oberschurke in einen Frosch verwandelt wird ist er praktisch genau so besiegt wie wenn er durch einen Schwertstreich gefällt wird. Demzufolge wäre so eine Verwandlung auch in genau dem Moment angebracht, wo er genau so gut erschlagen oder erschossen werden könnte. Und wie bestimmt man, wann dieser Zeitpunkt gekommen ist? Mit Vitality Points.
Spoiler (Anzeigen)Hitpoints sind ohnehin schwer zu erklären; dummerweise ist es auch noch so, daß jedwede Interaktion mit den Hitpoints (insbesondere durch die Charaktere) eine Erklärung mit sich bringt - die aufgrund der abstrakten Natur der Hitpoints aber nie richtig paßt und nur die Suspension of Disbelief erschwert. Außerdem halte ich eine Trennung von "Ausweich"- und "Lebenspunkten" auch aus gamistischen Gründen für vorteilhafter. Ausweichpunkte können sich schnell regenerieren und so die Notwendigkeit eines vom System diktierten Encounter Pacings eliminieren.
Heilfähigkeiten werden dann nur noch für den Verlust von Lebenspunkten oder andere Unannehmlichkeiten wie Gift oder Krankheit benötigt. Das stellt aber im Gegensatz zum Verlust von Ausweichpunkten nicht den praktisch immer eintretenden Normalfall dar, ist aber noch häufig und störend genug so daß ein auf Heilung spezialisierter Charakter eine Daseinsberechtigung hat ohne zur Pflicht zu werden (was er momentan ja noch ist).
VP in der bisher etablierten Form haben auch noch eine andere Eigenschaft, die ich gerne übernehmen möchte: Nicht jeder muß welche davon haben und ihre Zahl ist nicht notwendigerweise an die Stufe geknüpft. Was ich hingegen nicht übernehme ist das Umgehen der VP bei einem kritischen Erfolg - damit kommen nur genau die Insta-Kills zurück, die ich eigentlich vermeiden will.
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Daraus folgt, daß solche Späße wie Beherrschungs- oder Verwandlungszauber letztendlich auch Schaden machen müssen. Was ja wieder zu der o.g. Langeweile führt und außerdem: Warum soll der Kämpfer schneller niedergeknüppelt werden bloß weil jemand versucht hat ihn zu bezaubern?
Nun, zunächst einmal sollen VP in meinem Modell noch weniger fassbar sein als bisher etabliert. Um den Unterschied zu den bisherigen VP besser zu verdeutlichen nenne ich "meine" VP ab jetzt
VP+. Das ist zunächst nur ein Arbeitstitel für ein bislang nur in der Theorie existierendes Modell; für eine konkrete Umsetzung kann man sich gerne irgendeinen passenderen Begriff ausdenken.
Eine große Menge VP+ basiert darauf, daß der betreffende Charakter aufgrund seiner Rolle viel wegstecken können soll. 90% Dramaturgie, 10% Simulation - höchstens. Ein völlig durch VP+ absorbierter Angriff soll sich in der Spielwelt nicht von einem fehlgegangenem Angriff unterscheiden - ausgewichen, nur ein oberflächlicher Kratzer, Zauber hat nicht funktioniert etc.
Trotzdem mag es noch ein wenig seltsam vorkommen, daß man einen Kämpfer "müde bezaubern" und dann mit einem einzigen Schwertstreich niederstrecken kann. Schwerthiebe soll ein typischer Kämfer doch wegstecken können, aber gegen Zauber soll er anfälliger sein.
Im Prinzip wird das ja schon durch die entablierten Defensivcharakteristika ausgedrückt: Ein Kämpfer hat eine gute AC, aber eine schlechte Will Defense.
Spoiler (Anzeigen)Ob man Saves oder Defenses benutzt ist in meinem Konzept eigentlich egal. Beides sind Defensivcharakteristika, die letztendlich die Widerstandskraft gegenüber gewissen Angriffsformen darstellen. Es unterscheidet sich eigentlich nur darin, wer am Ende würfelt. Aus Konsistenz- und Stilgründen bevorzuge ich Defenses; d.h. grundsätzlich würfelt der Angreifer. Daher werde ich im Folgenden auch immer von Defenses sprechen, aber das Modell sollte genau so funktionieren wenn man stattdessen Saves benutzt.
--- Ende des Exkurses---
Warum also nicht weiter gehen und jeder Defensivcharakteristik einen eigenen Pool an VP+ zugestehen? Für ein Spiel im klassischen D&D-Stil könnte man z.B. folgende Defenses vorsehen:
FORTitude gegen Nahkampfangriffe, Verwandlung, Todeszauber usw. Einen hohen FORT-Pool haben vor allem schwere Kämpfertypen.
REFlex gegen Fernkampfangriffe und Flächeneffekte. Einen hohen REF-Pool haben vor allem Schurkentypen sowie leichte, agile Kämpfertypen.
WILLpower gegen geistige Manipulation, Einschüchterung und andere Belaberungsversuche (Folge: Social Combat würde über WILL-Schaden laufen). Einen hohen WILL-Pool haben vor allem Zauberwirker und Anführertypen.
Für andere Spielstile eigenen sich anders differenzierte Defenses oder bei höheren Abstrahierungsgrad auch weniger (mehr als drei oder vier halte ich aufgrund des damit verbundenen buchhalterischen Mehraufwands jedoch nicht mehr für praktikabel - mit drei kann man IMHO noch halbwegs klar kommen; ob das auch zutrifft können wahrscheinlich nur Praxistests zeigen).
So; nun haben wir unsere Defenses und assoziierte VP+; was passiert nun wenn diese aufgebraucht sind? Nun, der Angriff zeigt Wirkung. Wie mißt man die? Mit WP - beziehungsweise: WP+ (ich nenne die jetzt in Verbindung mit der zugehörigen Charakteristik mal "Zustände"). Bei D&D wären diese folgendermaßen zu verstehen:
FORT-Zustand: Gesundheit <-> Verwundung
REF-Zustand: Beweglichkeit <-> Lähmung
WILL-Zustand: freier Wille <-> Wahnsinn bzw. Manipulation
Diese Charakteristika
sind in der Spielwelt zu beobachten und mit ihnen kann problemlos interagiert werden - Wunden können geheilt und Lähmung behandelt werden usw. Ohne Interaktion verläuft die Rückgewinnung langsam, somit ist hier das Einsatzgebiet eines Heilers (wobei nicht jeder Heiler alles heilen können muß).
Für konventionelle Angriffe kennen wir das ja schon: Bei WP-Verlust ist man geschwöcht, bei 0 WP geht man zu Boden und bei -10 ist man tot. Etwas allgemeiner formuliert in mein Modell übertragen: Der Angriffserfolg kann als partiell (noch WP+ übrig), normal (<=0) und maximal (kritische Schwelle unterschritten) klassifiziert werden. Nun bekommt also jede Defense noch ihre eigenen WP+ und bei Angriffen, bei denen sich eine Unterscheidung lohnt, spezifiziert man wie sich die unterschiedlichen Erfolgsklassen auswirken. Bei der berühmten Verwandlung in einen Frosch könnte das z.B. so aussehen:
Partieller Erfolg: Verwandlung hält nur eine Runde lang.
Normaler Erfolg: Verwandlung endet nach einem Tag.
Maximaler Erfolg: Verwandlung ist dauerhaft.
Ist - wie gesagt - nur ein Beispiel und müßte natürlich für jeden denkbaren Angriff ausbaldovert werden.
An dieser Stelle muß aber wahrscheinlich eine Anomalie ins System: Die Wirkung entfaltet sich nicht notwendigerweise gegen die gleiche Charakteristik, die als Defense überwunden werden mußte. Zum Beispiel eine Granate oder ein
Feuerball: Der Angriff geht gegen die REF Defense, verursacht aber Verletzungen (-> FORT). Diese Anomalie würde aber auch die Abhandlung exotischer Angriffsformen erlauben. Die wichtigen Entscheidungspunkte sind:
- Was will der Angreifer erreichen? -> Welcher Zustand des Verteidigers wird beeinträchtigt?
- Wie kann der Verteidiger dem entgehen? -> Welche Defense und welchen Pool muß der Angreifer überwinden?
Ein paar Spielereien mit diesem Modell:
Es folgt eine nicht weiter organisierte Liste von Ideen, die sich mit diesem Modell (leichter) umsetzen lassen:
- "Weiche" Angriffe: Nicht-tödliche Nahkampfangriffe oder andere, "harmlosere" Effekte könnten analog zum nicht-tödlichen Schaden beim momentanen D&D funktionieren. Würde wieder mehr Buchhaltung bedeuten; dafür würde man sich nach einer hitzigen Diskussion schneller "erholen" und wäre nicht ganz so leicht zu beherrschen - aber von sowas erholt man sich dann nicht so schnell.
- Zurückhaltung: Für einen Malus beim Angriff kann man sich entscheiden, eine geringere Wirkung als die Erwürfelte zu erzielen.
- Mooks. Die haben nicht nur keine VP+, sondern auch keine WP+. Erfolgreiche Angriffe erzielen automatisch maximale Wirkung (auf Wunsch auch weniger ohne daß Zurückhaltung geübt werden muß). Nicht ganz so schwache Statisten haben dann lediglich weniger bis keine VP+.
- Skalierung: Wer es "grittier" mag arbeitet mit weniger bis keinen VP+.
- Balance in anderem Licht: Selbst "schwache" Zauber können schon drastische Effekte haben (wie die zitierte Verwandlung in einen Frosch), wenn sie nur wenig Schaden verursachen.
- Coup-de-Grace: Verwandlung in einen Frosch statt Hinrichtung. Wer sich nicht wehren kann darf nicht nur erschlagen, sondern auf nahezu beliebige Art und Weise abserviert werden.
- Meta-Ressourcen: Ein universell für jede Defensivcharakteristik benutzbarer Punktepool läßt sich als "Schicksalspunkte" usw. einsetzen. Mögliche Anwendung (Achtung! Nix für Highlords!): Der SL kann so einem wichtigen NSC Plotimmunität verleihen, muß aber die aufgewendeten VP+ als "Schicksalspunkte" nach der Szene den SC verleihen (AFAIK funktionieren die Drama Dice bei 7th Sea so ähnlich). Oder einen SC so retten (natürlich nur it Einverständnis des Spielers) und so selber "Schicksalspunkte" erlangen. Hmmm... klingt irgendwie forge-ig...
Dann mal her mit der vernichtenden Kritik!
Bis bald;
Darastin