2. Gozran, 4708 AZ
Der Keller von Zellaras Haus war noch immer nicht viel mehr als ein dunkles, feuchtes Loch in das eine wacklige Treppe führte und ein paar Holzpfeiler ragten. Mercutio hatte sich einen massiven Schreibtisch angeschafft, der im Moment das einzige Mobiliar des behelfsmäßigen Studierzimmers darstellte und somit hoffnungslos überladen war.
Eigentlich mochte es der Magier ordentlich und aufgeräumt, doch mittlerweile stapelten sich hier im Kerzenschein Folianten, Schriftrollen und Zauberbücher.
Am Tag nach der Geburtstagsfeier fiel es dem ehrgeizigen Arkanisten zudem nicht besonders leicht sich auf seine arkanen Studien zu konzentrieren. Er hatte unglaubliche Kopfschmerzen von der Zecherei am Vorabend und die Handwerker hatten nach der Begleichung ein paar ausstehender Zahlungen ihre Arbeiten bereits in den frühen Morgenstunden wieder aufgenommen gehabt.
Entnervt strich er sich die schwarzen Haare nach hinten und starrte einfach nur auf das Chaos von Schriftstücken auf seinem Tisch. Da fiel ihm das Flugblatt auf, das ein Bote vergangene Woche vorbeigebracht hatte. Auf der Suche nach Ablenkung zog er das gelbe Stück Papier aus dem Stapel alter Manuskripte.
Mit gehobenen Augenbrauen überflog er das Schreiben:
"... ein Stück Thassilon ... mehr Macht für jede Beschwörungsformel ... varisianische Idole ... Mondtag 2. Gozran ... Heckenzauberei!"
Mercutio legte das Stück Papier zur Seite und beugte sich wieder über eine Schriftrolle, an deren Entzifferung er schon eine Weile gearbeitet hatte. Doch das Hämmern in seinem Kopf machte alle Versuche sich zu konzentrieren zu nichte und der Magier griff wieder zu dem Flugblatt. Vorbeischauen konnte man ja mal und die frische Luft würde ihm bestimmt auch gut tun, dachte sich Mercutio. Eilig räumte er halbherzig seine Manuskripte weg und machte sich auf den Weg zu Phaeton Skodas Laden.
Endlich war auf den Strassen Korvosas wieder Normalität eingekehrt. Mercutio genoss den ruhigen Spaziergang zu Eodreds Wandelhallen. Der Laden des Zauberkundigen befand sich dort zwischen zahlreichen anderen Geschäften im Zentrum von Mittland, neben dem Goldmarkt.
Der Laden war gut besucht. Mercutio hatte noch nie so viele Leute in der Heckenzauberei gesehen. Für gewöhnlich war er mit Phaeton Skoda allein.
Neben den hohen Regalen waren kleine Ausstellungstische mit uralten Schrifttafeln, Kunsthandwerk und Götzenbildern aufgestellt worden.
Die Statuette eines sich aus Flammen erhebenden Teufels mit ausgebreiteten Fledermausflügeln erregte sofort die Aufmerksamkeit des Magiers. Nahezu magisch angezogen schob er sich durch die grummelnde Menge gerobter Männer und Frauen, die allesamt einen eher düsteren Eindruck machten. Er war gerade dabei die Statuette von ihrem kleinen Sockel zu nehmen, um sie besser begutachten zu können, da stieg ihm einer der finsteren Magier auf den Fuß. Das Gewicht des unglaublich fetten Mannes war überwältigend. Nur mit Mühe und Not konnte Mercutio einen Schmerzensschrei unterdrücken.
Eine grünliche Flüssigkeit ergoss sich über ihn, als er schwer kämpfend versuchte seinen Fuß zu befreien. "Pass doch auf, du Hexenmeister!", schrie ihm der fette Magier ins Ohr. Mit dem fauligen Atem des wabbligen Bergs aus rot verhülltem Fleisch, spritzten Mercutio schleimige Kuchenbrösel ins Gesicht.
In der einen Hand hielt der Fettwanst noch einen letzten Rest der Sahnetorte, die sich mittlerweile auf seiner Robe, größtenteils in seinem Bauch und eben auf Mercutios Gesicht befand. In der anderen Hand trug er einen hohen, zylindrischen Glasbehälter in dem schwarze Blutegel in einer grünlichen Flüssigkeit trieben.
Angewidert wischte sich Mercutio die Krümel aus dem Gesicht. Innerlich fragte er sich was er denn verbrochen hatte, waren die höllischen Kopfschmerzen nicht schon genug? Nein, nun musste er sich auch noch mit diesem Fettwanst rumschlagen. Er tippte dem Arkanisten auf die Schulter. "Ich denke ihr habt euch im Laden geirrt, werter Herr. Der nächste Zuckerbäcker ist die Straße weiter rauf. Hier gibt es nur Zauberuntensilien, also nichts womit ihr etwas anfangen könntet."
"Du billiger Tä..äää...nzer!", rülpste das Schwergewicht auf Mercutios Fuß. Der Fettwanst wischte seine verschmierte, klebrige Linke an der dunklen Robe des Magiers ab und klatschte ihm diese dann gegen die Stirn. Sie war kalt und nass, wie die Blutegel in der anderen Hand des Mannes. Mercutio spürte ein leichtes Kribbeln über seiner Nasenwurzel, bevor sein Angreifer diese mehr als unangenehme Berührung wieder löste.
Jedoch waren die Befreiungsversuche des Magiers trotz Mühe und Not nicht von Erfolg gekrönt. Mit einem breiten, widerlich schlüpfrigen Grinsen nam der Fettwanst langsam und genüsslich den Fuß von Mercutio.
Ein schockiertes Raunen ging durch die dicht gedrängten Zauberwirker zwischen den varisianischen Idolen, als der fettleibige Mann kichernd zurücktrat.
Mercutio versuchte sich die letzten Momente noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Hatte dieser ekelerregende Fettwanst ihn etwa verzaubert? Was hatte dieses Kribbeln zu bedeuten? Schnell riss sich der Magier wieder zusammen und rief: "He, Skoda, lasst ihr etwa zu, dass man so mit Stammkunden umgeht?"
Wie seine Kunden, blickte auch Phaeton Skoda eingeschüchtert zu Boden. Viele verließen unter aufgebrachtem Gemurmel kurze Zeit nach dem Fettwanst den Laden. Die dürre Gestalt des Besitzers hingegen huschte hinter dem Verkaufstresen hervor und schob Mercutio durch einen purpurfarbenen Samtvorhang hindurch.
Die beiden landeten in einer düsteren, unaufgeräumten Alchemistenküche. Hier waren farbige Pulver auf einer massiven Werkbank verteilt und von der Decke hingen unzählige obskure, getrocknete Reagenzien aus Varisias Wildnis und Korvosas Handelsbeziehungen zu fernen Ländern.
"Hier!", zischte der Heckenzauberer und zog einen Silberspiegel aus einem schwarzen Kohlenbecken. Er wischte ihn hastig mit seinem lumpigen Ärmel ab, bevor er ihn an den anderen Magier weiterreichte.
"Na, los! Schau hinein, Mercutio!"
Verdutzt ob der Reaktion des Ladenbesitzers nahm Mercutio den Spiegel und blickte hinein.
Und da fügte sich alles zu einem erschreckenden Bild zusammen. Der Fettwanst hatte ihm ein Zeichen aufgedrückt. Es war ein blauer Stern mit sieben Zacken in einem Zirkel aus alten, thassilonischen Runen, die Mercutio nicht entschlüsseln konnte. Aber er kannte das Symbol an sich und es war sicher nicht das persönliche Zeichen dieses fetten Magiers. Der Tiefling im Unterschlupf hatte es in Form von blauen Flammen heraufbeschworen gehabt.
Besorgt musterte Skoda seinen Stammkunden.
Was bei Asmodeus ist das? Kennt ihr dieses Zeichen, Skoda?", fragte Mercutio den Ladenbesitzer.
Skoda blickte verschwörerisch über die Schulter, bevor er Mercutio antwortete: "Kennen wäre zu viel gesagt. Ich weiss nur so viel, dass es sich dabei um das Zeichen einer Gruppe von Duellanten handelt. Niemand weiss wer von Korvosas Arkanisten dieser Geheimgesellschaft angehört oder was für Ziele sie gar verfolgen. Jedenfalls wurdet Ihr gerade zu einem ihrer tödlichen Duelle herausgefordert!"
Erstaunt zog Mercutio eine Augenbraue hoch. "Duellanten also... Dann macht das Sinn!", murmelte der Magier vor sich hin. "Pah! Törichte Dummköpfe. Wer sollte mich zwingen an so einem Duell anzutreten? Das möchte ich sehen. Aber nun zu dem warum ich eigentlich hier bin, Skoda. In einem Flugzettel eures Ladens las ich, dass ihr momentan varisianische Idole zu einem günstigen Preis anbietet."
Nun war es an Skoda ob der Reaktion seines Gegenübers erstaunt zu sein. Er ging auf den Themenwechsel des anderen Magiers folglich nur sehr zögerlich ein: "Äh, ja. Wie Ihr bereits in der Auslage sehen durftet, haben mir meine Agenten thassilonische Relikte in Hülle und Fülle vermittelt. Wäret Ihr etwa interessiert?"
"Das kommt darauf an, was sie kosten sollen", antwortete Mercutio, der sich dabei anstrengte so wenig Interesse wie möglich zu zeigen um den Preis nicht unnötig in die Höhe zu treiben.
"Mehr als ein Fünftel des gewöhnlichen Preises kann ich Euch nicht erlassen." Nach einer kurzen Pause appellierte Skoda jedoch noch einmal an seinen Stammkunden: "Aber das sollte im Moment Eure geringste Sorge sein. Mogg Soggog ist ein gefährlicher Mann! Ein Egelmagus aus Kaer Maga, der an der Acadamae Nekromantie studiert und er wird sicher darauf beharren seine Todesmagie an Euch zu erproben."
"Er studiert an der Acadamae, sagt Ihr?", fragte Mercutio neugierig. "Ach, was interessiert mich der, ich werde diesen aufgedunsenen Dummkopf in sein Rattennest zurückschicken, sollte er sich mir entgegenstellen."
"Nun, er wird sich Euch entgegenstellen. Besser gesagt das hat er bereits.", erinnerte Skoda Mercutio an das arkane Mal auf seiner Stirn. "Natürlich könnt Ihr Euch vor ihm verstecken, doch bis das Mal verschwunden ist schreiben wir Desnus."
"Wäre doch gelacht, wenn ich dieses Mal nicht selbst verschwinden lassen könnte. Sagt, Phaeton, habt Ihr eine magiebannende Schriftrolle in eurem Sortiment?"
Skoda hielt dem Blick seines Kunden nicht mehr stand. "Nein. Selbst wenn ich eine Schriftrolle mit dem richtigen Zauber hätte, so würde ich sie Euch dennoch nicht verkaufen. Ich will einfach keine Schwierigkeiten mit diesen Leuten. Es tut mir leid."
"Na wenn das so ist", meinte Mercutio trocken, "dann werde ich Euch nicht länger in Schwierigkeiten bringen. Ich komme wieder, wenn ich diese Unannehmlichkeit aus der Welt geschafft habe." Dann drehte sich der Magier um und verließ die Heckenzauberei, wobei er leise Flüche vor sich hin murmelte.
Mercutio fand das gemeinsame Haus in der Lanzettenstrasse verlassen vor. Weder Cael noch die gesellige Zanovia war zugegen.
Als der Magier jedoch die Falltür zu seinen Räumlichkeiten öffnen wollte, fiel ihm ein Pergamentstreifen auf, der sorglos auf dem dunklen Metall abgelegt worden war.
Eine düstere Vorahnung überkam Mercutio. Er hob das Schreiben dennoch auf. Es war nicht die erste Nachricht die ihn an diesem Tag mehr oder weniger ungewollt erreichte.
Mit rotbraunen, krakeligen Buchstaben stand dort geschrieben:
"Heute.
Bei Mitternacht.
Steinschleiferstrasse Ecke Klunkergasse.
Für Sekundanten ist gesorgt."
Erbost knüllte Mercutio die Nachricht zusammen und warf sie in die Ecke. Dann machte er sich wieder an seine Studien. Doch immer wieder stand er auf und lief in seinem Keller auf und ab, er überlegte ständig ob er die Herausforderung annehmen sollte. Es reizte ihn schon.
Ein paar Stunden später, kurz vor Mitternacht, war er auf dem Weg zur Steinschleiferstrasse...
Zu so später Stunde war das Lächeln Desnas das einzige Licht auf den Strassen Korvosas, während In den engen Gassen eine tiefschwarze Dunkelheit herrschte.
Mercutio war noch vor Mitternacht am verabredeten Treffpunkt.
Es gab keinen Grund sich zu verbergen, also wartete er im silbrigen Mondlicht, nicht in den dunklen Schatten der Klunkergasse. Nach einer kleinen Ewigkeit an Wartezeit fiel die Nervosität langsam von ihm ab und wurde von Verärgerung über die Unpünktlichkeit seines Kontrahenten ersetzt.
Mercutio ging vor sich hinschimpfend auf und ab.
Dann riss ihn plötzlich ein scheussliches Husten aus seinen finsteren Gedanken. Es kam aus der Gasse, aber er konnte die Quelle nicht genau festmachen. Mann oder Frau? Mensch oder Tier?
Mercutios Körper stand sofort unter vollkommener Anspannung und der Magier wollte schon reflexartig einen Zauber wirken, rief dann aber nur in die Dunkelheit: "Wer ist da?"
Ein weiteres grässliches Husten war Mercutios einzige Antwort. Dann kam etwas durch die Schatten auf ihn zugekrochen. Dürre, bleiche Finger erschienen im silbrigen Mondschein. Der Magier vermutete bereits, dass sie einem Daemon aus Abaddon gehörten, als sich die zittrige Stimme eines Bettlers zu Wort meldete: "Ein paar Münzen für Medizin, werter Herr?"
Angewidert schubste Mercutio den Mann nach hinten. "Scher dich weg!"
"Aber, mein Herr..." Der Bettler hatte ein grässlich entstelltes Gesicht.
Im fahlen Licht des Mondes konnte Mercutio es nicht mit Gewissheit sagen, doch es sah so aus als sei es eine rotbraune Masse aus Schwellungen und offenen Pocken. Wehrlos und offensichtlich von Schmerzen gepeinigt ging der Mann zu Boden.
Während Mercutio das Stöhnen des Bettlers in den Schatten verfolgte, erklang erneut eine unbekannte Stimme hinter ihm:
"Wie wir sehen, habt Ihr einen Bekannten getroffen.", stellte die kühle, selbstsichere Stimme fest. "Entschuldigt bitte die Verzögerung, doch wir mussten sichergehen, dass Ihr allein gekommen seid."
Als Mercutio sich dem Sprecher zuwandte, sah er sich sechs gerobten Gestalten mit tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen gegenüber. Noch bevor er antworten konnte hoben alle sechs ihre Hände. Jeder von ihnen hielt einen Zauberstab in der Linken und ein Tuch in der Rechten.
"Wählt Ihr die Augenbinde oder den Zauberstab, Meister Dragonetti?"
"Sechs gegen einen. Ihr scheint ja ziemlich mutig zu sein. Als erstes möchte ich aber wissen warum Ihr mich ausgewählt habt. Dieser verfluchte Tiefling gehörte doch auch zu Euch, oder?"
Die Antwort der Unbekannten kam schnell: "Das Duell findet nicht hier statt. Wollt Ihr Euch freiwillig die Augen verbinden lassen oder sollen wir anderweitig für Eure Unkenntnis des Weges sorgen?"
Mercutio zog eine Augenbraue hoch, obwohl es in der Dunkelheit wahrscheinlich ohnehin niemand sehen konnte. "So, so... Für wie dumm haltet Ihr mich eigentlich? Dann könnte ich doch auch gleich Selbstmord begehen. Das war nicht abgemacht und somit werde ich nicht zum Duell antreten." Entschlossen verschränkte der Magier seine Hände hinter dem Rücken.
Alle sechs gerobten Gestalten streckten ihre linke Hand aus und sprachen ein einziges drakonisches Wort: Nachtklaue.
Und tatsächlich huschte ein dunkler Schatten über Mercutios Blick. Er versuchte ob dieser offensiven Geste des Zauberns zu flüchten, doch seine Beine wollten ihn nicht davon tragen. Der Magier war wie versteinert.
Dann beschworen die Sechs einen Nebel aus dem Kopfsteinpflaster der Klunkergasse empor, der Mercutio kurz die Sicht raubte und dann das Bewusstsein nahm.
"... kommt zu sich.", waren die ersten Worte die Mercutio wieder bewusst aufnehmen konnte.
Um den Magier herum war es dunkel. Und es war an diesem Ort kälter als in den nächtlichen Gassen Korvosas. Er fragte sich wo ihn die gerobten Gestalten hingeschleppt hatten. Der kalte Stein auf dem Mercutios Gesicht lag wurde von blauen Flammen erhellt, die an den hoch erhobenen Waffen von sieben Statuen züngelten. Unter den finsteren Blicken der steinernen Männer und Frauen erhob sich der Magier vorsichtig, gefasst auf Angriffe jedweder Art.
Der Angriff blieb aus. Die raunende Stimme ertönte jedoch auch kein zweites Mal.
Mercutio befand sich auf einer großen, kreisrunden Scheibe aus hellem Stein. Über die gesamte Oberfläche dieses kunstvoll gefertigten Podests verlief das arkane Symbol, das ihm sein Herausforderer auf die Stirn gezaubert hatte. Die sieben Statuen standen im Kreis um das Podest verteilt. Auch sie waren gerobt, wie die Unbekannten in der Klunkergasse. Hinter dem blauen Licht ihrer prachtvollen Fackeln blieb der Rest des Raumes von schwarzer Dunkelheit verhüllt.
Mercutio drehte sich im Kreis und schrie: "Los zeigt euch, wer immer ihr auch seid!"
Auf des Magiers verzweifelte Rufe schlurfte etwas durch die Schatten hinter der Steinscheibe.
Dann stieg jemand langsam die Stufen zu dem kunstvoll verzierten Podest empor. Es war der Fettwanst aus dem Zauberladen, der auf der gegenüberliegenden Seite der Scheibe Stellung bezog. Im blauen Licht der magischen Fackeln sah er wie das unförmige, menschliche Abbild eines fernen Mondes aus. Auf seiner bleichen Haut waren dunkle Blutergüsse und schwarze, schimmernde Egel zu sehen. Ein beunruhigendes Grinsen machte sich auf dem feisten Gesicht des Mannes breit, bevor in den Schatten eine unbewegte, androgyne Stimme erklang:
"Initiationsriten werden in jedem Fall bis zum Tode ausgefochten. Möge der Mächtigere siegreich sein."
Mercutio streckte seine Hand mit gespreizten Fingern vor sich aus und intonierte eine arkane Formel. In einem Kreis vor seiner Brust leuchteten gelbe Symbole auf, die auch gleich wieder verschwunden waren.
Der fettleibige Magier auf der anderen Seite der Plattform streckte ebenfalls seine dicken Finger vor sich aus. Er hielt ein Stück Leder in Händen. Auch er murmelte eine Zauberformel und legte einen magischen Panzer aus rötlicher Energie um seinen mächtigen Körper.
Sogleich lief Mercutio mit wehender Robe auf seinen Gegner zu. Im Laufen streckte er die Rechte aus und zielte auf den Fettwanst. Ein grüner Säurepfeil löste sich aus Mercutios Zeigefinger und schoss zischend auf den Unbekannten zu.
Die Säure fraß sich in den massigen Leib des anderen Magiers, der dabei schrill zu kreischen begann. Dann vernahm Mercutio plötzlich, zwischen den Schmerzensschreien eine weitere Zauberformel. Der Fettwanst fuhr dabei mit einem grauen, krallengleichen Fingernagel die purpurfarbenen Adern unter seiner bleichen Haut nach, bis er ihn schließlich in seinem eigenen Fleisch vergrub. Dunkles, dickes Blut trat aus der Wunde und lief den Arm des Magiers entlang, wo sich die Tropfen bald zu einer Klinge geformt hatten.
Mit einem hinterhältigen Grinsen in seinem feisten Gesicht wartete Mercutios Gegner ab.
Unbeeindruckt feuerte Mercutio sogleich noch ein Säuregeschoss ab und lief dann schnell aus der Reichweite schwächerer Zauber.
Wieder traf Mercutios Säurepfeil den anderen Magier und frass sich zischend in dessen Haut. Die weiße, dunkel geäderte Masse warf bereits große, widerliche Brandblasen, während der Mann schreiend auf seinen Kontrahenten zustürmte. Nur wenige Schritte trieben dem Fettwanst bereits dicke Schweissperlen auf die Stirn und so gab er sein Vorhaben keuchend auf. Sein wutverzerrtes Gesicht zeigte einen Anflug von Ratlosigkeit. Nahezu verzweifelt schleuderte er die dunkle Klinge aus seinem eigenen Blut auf Mercutio.
Der Dolch prallt jedoch vom magischen Schild des Beschwörers geräuschvoll ab und schlittert quietschend über die Plattform in die Schatten darunter.
Während sich Mercutio wieder etwas von dem Egelmagus entfernte rief er diesem höhnisch zu: "Von mir aus können wir das ewig so machen, Dicker. Oder aber du gibst gleich auf, dann verschone ich vielleicht dein Leben!" Dann machte sich der Teufler bereit einen weiteren Säurepfeil auf seinen Gegner zu schleudern.
Der Fettwanst wich der Säure mit einem unbeholfenen Schritt zur Seite aus. Und da erschien wieder das hinterhältige Grinsen in seinem bleichen Mondgesicht. Mit seiner schrillen Stimme entgegnete er: "Nur einer von uns beiden verlässt diesen Ring lebend! Wenn du es nicht sein willst...". Dann sprach er eine Zauberformel die Mercutio erst vor kurzem tief unten in den Totentunneln gehört hatte. Sein Kontrahent beschwor eine geisterhafte Hand vor seiner Brust, eine dunkle, schattenhafte Klaue. Der verrückte, blaue Gnom hatte damals mit einer solchen Klaue versucht verschiedene tödliche Zauber über ihn und seine Gefährten zu bringen.
"Du wolltest es ja nicht anders, Fettsack!", schrie Mercutio seinen Widersacher entgegen als er sich zum Rand des blauen Kreises begab. Dabei holte er eine kleine Kugel aus Spinnweben aus seiner Gürteltasche. Er verteilte die Spinnweben zwischen seinen Händen und blies dann zwischen den Handflächen hindurch. Ein Schleier aus Spinnenseide flog zugleich auf den dicken Magier und hüllte diesen vollständig ein.
Mit einer Schnelligkeit, die ihm wohl niemand angemerkt hatte, wuchtete sich dieser zur Seite und damit aus dem magischen Netz von Mercutio. Doch das war es nicht was den Beschwörer in Staunen versetzte. Die milchigen, weiße Stränge hörten exakt an der Kante der Plattform auf, auf der die beiden ihr Duell ausfochten.
Währenddessen konzentrierte sich der Fettwanst auf die geisterhafte Hand, die vor ihm schwebte. Er murmelte ein paar arkane Worte und das Grau der schattenhaften Klaue wandelte sich zu einem tiefen Schwarz. Im Schein der blauen Fackeln schien sie dampfen. Dann schickte der Magier sie mit einem Wink seiner eigenen Hand auf Mercutio.
Die schwarzen Finger der Schattenhand krallten sich tief in die Brust des Beschwörers, der spürte wie eine mächtige, unnatürliche Kälte sich ihm bemächtigt.
Innerlich verfluchte Mercutio den fettleibigen Nekromanten. Dann würde das Duell vielleicht doch länger dauern. Etwas ratlos mit welche Zauber ihm nun einen Vorteil verschaffen würden, schoss Mercutio vorerst einen weiteren Säurepfeil auf den Fettwanst. Vielleicht würde ihm das etwas Zeit verschaffen.
Diesmal konnte der Egelmagus dem Säurepfeil nicht entkommen. Die Blasen auf der verbrannten Haut des Mannes platzten auf und bespritzten seinen schwabbeligen Oberkörper mit noch mehr Blut. Er schrie als würde er in Flammen stehen, doch sein wutverzerrtes Gesicht zeigte tödliche Entschlossenheit. Wieder schickte er Mercutio die Schattenhand an den Hals, die ihre frostigen Finger in den Beschwörer rammte. Es fühlte sich wie das splittern eines Eisbrockens in seiner Kehle an.
Mercutio zuckte unter der eiskalten Berührung zusammen. "Verfluchter Leichenschänder!", fluchte der Beschwörer innerlich. Er musste sich einen Vorteil verschaffen und hatte dafür genau den richtigen Zauber. Er holte eine Hand voll Silberstaub aus seiner Gürteltasche und schleuderte es seinem Gegner entgegen. Zugleich sprach er eine Zauberformel, woraufhin der Goldstaub zu Leben zu erwachen schien, in Richtung des Angreifers flog und diesen in eine grell glitzernde, funkelnde Wolke hüllte.
Geblendet warf der Egelmagus die Hände vors Gesicht. "Ich bin blind!", schrie er panisch und stolperte ein paar Schritte nach hinten. Am Rand der Plattform angekommen verlor er sein Gleichgewicht dann völlig und rutschte ab. Wie ein nasser Sack klatschte der Nekromant auf den Steinboden.
Kaum hatte er den Boden berührt, da schlugen fünf magische Geschosse in seinem massigen Körper ein.