Ihr seid so nett – na dann lests halt!
EpilogThamior holte den Heilstab heraus und ging sofort zu Dirim herüber. Der fasste sein heiliges Symbol und schickte eine Nachricht an Pellir in Redgorge:
Cauldron ist wieder sicher. Nur noch Aufräumarbeiten zu erledigen.»Gib uns das Korn!«, riefen die Stimmen Malgarios.
»Erst den Barbaren«, sagte Dirim bestimmt.
»Verrat!«, dröhnte es.
»Tötet sie«, kakophonierte es.
»Rache!«, zischte es.
»Ich habe das Korn«, sagte Dirim. Er biss die Zähne zusammen, als Thamior sein gebrochenes Knie heilte. »Du kannst mir nichts tun. Ich beherrsche dich, also gib mir meinen Gefährten, oder du wirst nie frei sein.«
Während er redete, konzentrierte Dirim sich auf das Saatkorn. Er spürte, dass er damit einerseits die Verteidigung des Baumes kontrollieren konnte (und davor gefeit war, selbst angegriffen zu werden). Außerdem konnte er Malgario befehlen, in welche Ebene er seine Tore öffnen sollte – die Käfigmacher hatten vorgehabt, so nach Carceri zu gelangen und Adimarchus nach Cauldron zu holen. Das hatten die Kettenbrecher in der Vision gesehen, und das hatten sie nun endgültig vereitelt. Dirim überlegte: sollte er das Saatkorn nach Occipitus bringen? Oder konnte er es irgendwie zerstören? Vortimax Weer hatte gesagt, Malgario sei nicht zu besiegen. Aber so was sagt man immer nur, bis die betreffende Kreatur einmal besiegt wurde.
Der Boden zitterte leicht, und Dirim hob drohend das Saatkorn. Dann wuchs Boras aus der Erde. Er fiel keuchend auf die Knie – es sah nicht so aus, als habe er viel Luft zum Atmen gehabt –, aber er war unverletzt.
»Da ist er. Jetzt gib uns das Korn.«
»Moment noch«, sagte Dirim. Ihm kam eine Idee. »Erst gehen wir meinen Boss besuchen. Öffne deine Tore!«
»Freiheit!«, brüllten die Stimmen.
»Öffne deine Tore!«, verlangte Dirim erneut. Es war kurz still.
»Wohin?«, kam die Frage.
Dirim lächelte. »Den Berg Olympus auf der Ebene Celestia.«
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Malgario war ein Geschöpf finsterster Bosheit, und solche Geschöpfe sind auf der Ebene Celestia nicht willkommen. Aber Malgario war noch mehr als ein Geschöpf, er war auch ein Artefakt des Bösen, und ein Ort des Bösen noch dazu. All das führte dazu, dass, als er Dirims Befehl gehorchen musste und gewaltsam Tore auf die Ebene öffnete, sich sogleich die Aufmerksamkeit der Götter und ihrer Diener auf das Geschehen richtete. Sie waren nicht erfreut.
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Dirim fühlte, wie die Tore sich öffneten. Er fragte sich, ob nun Engel in den Baum eindringen würden oder nach Cauldron kämen. Und er fragte sich, ob das Saatkorn die ganze Zeit so warm gewesen war. Während er sich das noch fragte, kreischte Malgario vielstimmig. Das Saatkorn entflammte in weißem Feuer und verpuffte zu Staub. Der Boden erbebte. An unzähligen Stellen um sie herum fing der Baum Feuer und brannte gleißend hell.
Plötzlich neigte sich der Boden zur Seite. Die Kettenbrecher mussten sich festhalten, um nicht abwärts zu stürzen. Kurz darauf ruckte es, und sie rutschten langsam herunter auf den neuen Boden, der vorher Wand gewesen war. Jetzt begann Dirims linkes Auge so hell zu leuchten, dass es sich durch den Baum fraß.
»Folgt mir«, rief Dirim sofort. »Ich bringe uns hier raus!«
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Die Kettenbrecher standen in gebührendem Abstand und sahen zu, wie Malgario verbrannte. Die heiligen Flammen Celestias waren unaufhaltsam, aber der Baum war so groß, dass ihr Werk dennoch Minuten dauerte. Dann erzitterte der Baum plötzlich so stark, dass in Teilen von Cauldron der Boden aufriss. Riesige Äste stürzten ins Wasser. Malgario neigte sich, erst langsam, dann schneller, was dank seiner Größe immer noch majestätisch wirkte. Der Baum stürzte fast genau nach Süden, und das erste, was er im Fallen umriss, war das Auge Azuths. Der Tempel zerplatzte unter dem Gewicht des Baumes und Dirim stieß ein kurzes Kichern der Genugtuung aus. Dann donnerte Malgario zu Boden. Der Boden erzitterte, dann bebte er, und schließlich sackte er weg. Das Erdbeben, die Lavaausbrüche und jetzt der Sturz des Riesenbaumes waren zu viel für den Kessel. Die Stadtmauer brach ein und das ganze Südviertel fiel in sich zusammen, taumelte die steilen Kraterwände herunter und wurde dann, als sich das Wasser des Sees seinen Weg bahnte, auch hinuntergespült. Schließlich schwemmte es auch die Überreste Malgarios herunter, der immer noch weiter verbrannte, und hinterließ ein fast vollständig zerstörtes und geflutetes Stadtviertel. Der Lathandertempel allerdings stand noch, stolz und einsam auf einer kleinen Insel. Die Hoffnung lebte noch in Cauldron, die Käfigmacher waren besiegt, die Ketten waren gesprengt. Zeit für einen Neuanfang.
»Aber erst«, sagte Thamior als Antwort auf diese von Dirim ausgesprochenen Gedanken, »schlafen.«
Und wenn sogar Elfen müde sind, sollte man nicht widersprechen. Außerdem hatten sich die Kettenbrecher diese Ruhe wahrlich verdient.
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Als Dirim in den Schankraum kam, erzählte Pellir gerade eine Geschichte. Branda war die einzige, die sein Kommen bemerkte und drehte sich zu ihm herum.
»Wo warst du denn so lange?«, fragte sie ihn.
Dirim zuckte mit den Schultern. Dann rammte er seiner Mutter die Hand in die Brust und riss ihr das noch schlagende Herz heraus. Dirim lachte, als die anderen Schätze Tethyrs um den Tisch herum in Flammen aufgingen. Dann biss er in das Herz wie in einen Apfel.
Als er erwachte, hatte Dirim den metallischen Geschmack von Blut im Mund. Auch seine Hände waren blutig – aber es war sein eigenes Blut. So fest hatte er sich die Fingernägel in die Handflächen gepresst, dass er blutete.
Eine Stimme war in seinem Kopf. Sie war kalt und berechnend und zornig zugleich. Sie war so laut, dass er zu Boden ging. Sie sagte nur ein Wort.
»Bald…«
ENDE
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aber die Kettenbrecher werden zurückkehren
in
Stadt in Ketten XI: ASYL