Esra wusste noch nicht ganz, ob sie froh sein sollte, wieder in die Zivilisation zu kommen. Auf der einen Seite mochte sie keine großen Städte – auch nicht, wenn sie so zersiedelt waren wie Sturmkap – auf der anderen Seite hatte sie genug von diesem mysteriösen tödlichen Dschungel mit seinen unbekannten Gefahren. Dunkle Elfen, Trommeln, unheimliche Magier, vergessene Ruinen mit schrecklichen Geheimnissen.
Nein, das war nichts für sie.
Auch nicht nach all den anderen Abenteuern, die sie bis jetzt erlebt hatten. Da hatte sie zumindest immer gewusst, dass es bis zur nächsten Siedlung und damit bis zur nächsten Hilfe, nie mehr als ein paar Tagesreisen waren.
Wahrscheinlich war sie ausnahmsweise einmal wirklich in einer Stadt besser dran als in der Natur. Zumal sie sicherlich nicht lange hier bleiben würden.
Sanft setzte Astamalia das kleine Flugboot auf dem Platz vor dem Andockturm ihres Hauses auf. Ein verwirrter Bediensteter kam auf sie zu und sah sie unsicher an.
„Meine Dame? Darf ich fragen, wo Ihr gerade her kommt?“
„Aus dem Dschungel natürlich!“, fuhr ihn Astamalia an. Sie hatte nach dem langen anstrengenden Flug und der nagenden Frage, was mit der Marlow geschehen war, keinen Nerv für neugierige Beamte. „Teile deiner Herrin mit, dass sie in Zukunft besser auf das Material des Hauses aufpassen soll, da ich ansonsten eine Meldung nach Sturmkap machen werde. Es kann nicht sein, dass zufällige Wanderer mitten im Dschungel ein Beiboot finden!“, warnte sie ihn weiter. Dabei wurde ihre Stimmung schon wieder etwas besser, als das Gesicht des Mannes vollkommene Unwissenheit zeigte. Der Mann hatte eindeutig keine Ahnung, wovon sie sprach.
Dennoch ließ sie ihn einfach stehen und kehrte zu ihren drei Freunden zurück, die bereits etwas abseits standen.
„Nun, wie soll es weitergehen?“, erkundigte sie sich.
„Ich hätte gegen ein Bad und Bett in dem man sich ausstrecken kann nichts einzuwenden. Wir sollten eine Nacht in einem ordentlichen Gasthaus genießen und es uns gut gehen lassen, bevor wir mit der Meerespfeil abtauchen.“
Esra verdrehte die Augen. Daran hatte sie schon gar nicht mehr gedacht.
„Wir sind doch nicht mehr in Eile. Wäre es nicht möglich…“
„Nein Esra“, unterbrach sie Astamalia. „Du hast dich deinen Ängsten schon so gut gestellt. Gib jetzt nicht wieder auf. Zudem ist ja auch beim letzten Mal alles gut gegangen.“
„Aber nur fast“, murrte die Wandlerin, sagte jedoch nichts mehr.
„Also wieder in die Schiffskatze?“, mischte sich nun auch Adamant ein. „Oder sollen wir woanders einkehren, nun da wir keine Tiere mehr bei uns haben…“
Adamant wurde gegen Ende immer leiser, als sein Blick auf Esra fiel, in deren Augen sich Tränen sammelten.
„Es tut mir leid…“, stammelte er. „Es war nicht so gemeint… Ich meinte doch nur…“
Thalaën schüttelte abfällig den Kopf, nahm Esra an der Hand und ging mit ihr voran. Astamalia seufzte unhörbar und folgte dann den beiden. Geknickt trottete Adamant hinter den drei anderen her.
***
Thalaën kam sich in der Rolle des Trösters etwas Falsch am Platz vor. Daher war er auch sehr froh, als er endlich das verblasste Türschild der Schiffskatze vor sich sah.
„Wir sind da!“, rief er den anderen zu und beschleunigte seine Schritte. Ein warmes Bett und ein Teller warmer Suppe. Oder auch zwei. Oder mehr…
Ungeduldig öffnete er die Tür und trat in den schummrigen Schankraum. Nur wenige Gäste waren anwesend und warfen dem eintretenden Elfen nur einen flüchtigen Blick zu. Alle, bis auf einen Gast.
Am Tisch der fast genau in der Mitte des Lokales stand, saß eine Frau, deren Kleidung und aussehen so gar nicht in dieses Etablissement passen wollten und sie lächelte Thalaën mit ihren strahlend violetten Augen an.
„Oh nein“, flüsterte Thalaën, ging aber dennoch langsam auf sie zu.
„Willst du dich nicht setzen?“, fragte Olashtai freundlich. Ebenmäßige weiße Zähne lächelten ihm entgegen.
„Ich bin mir da nicht so sicher. Als wir das letzte Mal miteinander Kontakt hatten, hatte das keine so guten Auswirkungen.“
„Was wollt Ihr denn hier?“, mischte sich Astamalia unwirsch ein. Sie war gemeinsam mit den beiden anderen ebenfalls an den Tisch gekommen.
„Das versuche ich Eurem Freund gerade zu erklären, aber zuerst hätte ich gerne, dass ihr euch setzt.“
Diesmal hatte Olashtais Stimme jeden freundlichen Beigeschmack verloren.
Kurz hielt Thalaën ihrem stechenden Blick stand, dann zuckte er jedoch mit den Schultern und setzte sich. Er wollte immerhin auch ein Wörtchen mit seiner Bekanntschaft sprechen.
Schließlich nahmen auch seine Freunde platz, was Olashtai wieder ein kurzes Lächeln entlockte, bevor sie wieder ernst wurde.
„Ich möchte gleich zur Sache kommen und ich denke ihr wisst auch bereits, worum es geht. Ich suche ein Artefakt. Es besteht aus einer großen Scheibe und vier Teilen, die man in dieser Scheibe verankern kann.“
„Wir kommst du darauf, dass wir so etwas besitzen könnten?“, versuchte Thalaën zu bluffen, doch das entlockte seinem Gegenüber nicht einmal ein Wimpernzucken.
„Versucht nicht mich zu übertölpeln. Ich verfolge euch vier immerhin schon länger. Und ich weiß genau, das ihr wegen den Schemata hier wart.“
Thalaën beschloss, dass Lügen keinen Sinn hatte. Entweder konnte sie ohnehin seine Gedanken lesen, oder ihre Informationen waren so detailliert, dass er sie kaum hereinlegen konnte. Zumal Lügen nicht wirklich seine große Stärke war. Aber er konnte versuchen etwas Zeit zu schinden. Vielleicht würde den anderen in der Zwischenzeit etwas einfallen oder Olashtai würde sich verplappern und ein paar interessante Informationen Preis geben.
„Es ist nett von dir, dass du denkst, dass wir immer Erfolg haben“, sagte er daher.
„Bis jetzt hatte eure Gruppe immer Erfolg…“, erwiderte Olashtai.
„Sagt, wen repräsentiert Ihr eigentlich?“, warf Astamalia wie nebenbei ein.
„Die Nation Riedra“, gab Olashtai bereitwillig Auskunft.
„Nun, als Kleriker der Silbernen Flamme muss ich Euch mitteilen, dass wir bereits mit anderen Personen eine Abmachung bezüglich der Schemata getroffen haben. Und ich fühle mich nicht genötigt diese Abmachung zu widerrufen“, erklärte Adamant seinen Standpunkt.
„Er hat recht. Wenn wir einmal davon ausgehen, dass wir sie haben: Warum sollten wir sie Euch geben?“, fragte Astamalia neugierig nach.
„Weil ich euch dann am Leben lasse?“
„Und wenn wir sie gar nicht haben?“, kehrte Thalaën zum Anfang zurück.
„Ihr seid die einzigen, die wieder aus dem Dschungel zurückgekehrt sind. Ihr müsst es einfach haben!“, knirschte Olashtai, auch wenn ihre Meinung etwas zu wanken schien.
„Überraschung! Wir haben es wirklich nicht. Was für ein Pech für dich.“
Diesmal gelang es Thalaën ohne Probleme ihrem Blick stand zu halten. Und er konnte deutlich ihre Wut, aber auch ihre Verzweiflung darin sehen.
„Auch Pech für euch“, brachte sie schließlich hervor und wandte den Blick von Thalaën ab.
„Aber wir können Euch sagen, wo im Dschungel es sich befindet“, schlug Astamalia vor.
Thalaën glaubte sich verhört zu haben. Olashtai anscheinend auch: „Und das soll ich Euch dann einfach so glauben?“
„Nun, genau genommen, befinden sie sich ohnedies nicht mehr dort“, warf Adamant ein. „Die Schemata sind nämlich davongelaufen.“
„Ah?“, machte Olashtai und warf Adamant einen verwirrten Blick zu.
„Wie wir bereits sagten: Unsere Mission war nicht erfolgreich“, warf Esra ein, die dieses sinnlose Gespräch bereits recht überdrüssig war.
„In diesem Falle tut es mir sehr leid. Denn dann habe ich keine weitere Verwendung mehr für euch“, erklärte Olashtai. Und Thalaën bildete sich ein wirklich einen Hauch von Bedauern daraus zu hören. Sie erhob sich und blickte einen nach dem anderen scharf an: „Ich wünsche euch noch eine angenehme Überfahrt.“
Sie setzte dazu an zu gehen, doch da räusperte sich Thalaën dermaßen übertrieben, dass sie sich wieder dem Tisch zu wandte.
„Ah, ich hätte da noch eine Frage“, brachte der Elf etwas ungewohnt kleinlaut vor. „Es gehr dabei um gewisse Schlafgewohnheiten…“
Auf Olashtais Gesicht erschien ein Lächeln.
„Warum habt ihr das gemacht?“
„Ich lasse dich träumen. Das wolltest du doch. Außerdem bist du mir so näher.“
„Aber ich muss doch nicht jede Nacht schlafen, oder? Immerhin träume ich doch auch nicht jede Nacht“, warf der Elf noch ein.
„Das wird sich noch ändern“, erwiderte Olashtai lachend und ging diesmal wirklich.
Thalaën blickte ihr eingeschüchtert nach.
„Das klingt nicht gut“, murmelte er.
Er schüttelte sich und versuchte den kalten Schauer los zu werden, der seinen Rücken hinab kroch. Zur Ablenkung wandte er sich seinen Freunden zu.
„Habt ihr euch eigentlich schon überlegt, wie Dame Elaydren reagieren wird, wenn wir ohne die Schemata wieder auftauchen?“
„Sie wird nicht erfreut sein“, stellte Adamant fest.
„Vielleicht könnte uns Olashtai ja dabei helfen, die Schemata wieder zu bekommen“, schlug Thalaën vor.
Die Magiern rollte mit den Augen und schüttelte vehement mit dem Kopf: „Sie hat und schon einmal geholfen. Willst du das wirklich noch einmal?“
„Kann es denn schlimmer werden?“, fragte Thalaën kleinlaut.
„Ja“, kam es dreifach zurück.
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