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Autor Thema: Pro Reli - Ethik und Religionsunterricht in Berlin  (Gelesen 45356 mal)

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TheRaven

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Re: Pro Reli - Ethik und Religionsunterricht in Berlin
« Antwort #255 am: 25. Januar 2009, 18:27:48 »
Zitat
Meinst Du in diesem Kontext das Christentum oder alle Religionen?
Weder noch. Ich denke jeder weiss selber, welche Ansichten man als philosophisch und welche man als dogmatisch bezeichnen muss. Primär denke ich aber schon an die abrahamischen Religionen.

Die Wissenschaft nötigt uns, den Glauben an einfache Kausalitäten aufzugeben.
- Friedrich

Wormys_Queue

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Re: Pro Reli - Ethik und Religionsunterricht in Berlin
« Antwort #256 am: 25. Januar 2009, 19:33:49 »
Zur eigentlichen Frage. Das Problem mit der Entwicklung der Religion ist die Dogmatik. Es ist ja nicht so, dass die religiösen Führer sich hinstellen und dann sagen, dass sie momentan der Meinung sind, dass der Text der heiligen Schriften vielleicht das und das bedeuten könnte. Sondern jede "neue Erkenntnis" gilt gerne wieder als die unumstössliche Wahrheit, während man die alte unumstössliche Wahrheit still und leise begräbt. Die Wissenschaft verlangt und begrüsst zudem Kritik, Überprüfung und das in Frage stellen von etablierten Theorien. Behauptest du wirklich, dass dies in der Religion auch so ist?

Um darauf noch kurz einzugehen: Nicht in jeder. Im Judentum und zumindest auch im Frühchristentum uneingeschränkt ja. Im Islam ist das im Prinzip auch noch so.

Grund für die Behauptung: Bis zur Gründung der katholischen Kirche gab es so etwas wie eine Dogmatik ja überhaupt nicht. Es gab einflußreiche Einzelpersonen (zunächst mal die Apostel, dann Paulus, sicher auch andere, nicht so bekannte), die ihre jeweils ganz eigene Deutung der Heilsgeschichte hatten. Nicht umsonst gibt es vier Evangelien, die zwar im Kern dieselbe Geschichte erzählen, sich aber dennoch eindeutig voneinander unterscheiden.

Jesus war Rabbi. Sein Einfluss bemaß sich in erster Linie an der Menge der Leute, die ihm zuhörten und die seiner Lehrmeinung Glauben schenkten. Die Trennung zwischen Christentum und Judentum fand nicht in erster Linie statt, weil irgendjemand eine clevere Idee zur Religionsgründung hatte, sondern weil die Frühchristen Jesus als ihren Messias anerkannten, was von den (meisten) Juden bis heute abgelehnt wird. "Meisten" deshalb, weil es heute durchaus Menschen gibt, die nach wie vor in der jüdischen Tradition leben, dennoch aber Jesus als ihren Messias ansehen.

Der Dogmatismus mit all seinen Tendenzen, zu einer starren, leblosen und nicht mehr bereicherungsfähigen Religion zu führen, entstand erst später mit der Organisation des Christentums in den großen Kirchen.  Aber selbst so zentrale Fragen wie die Göttlichkeit Jesu ist nicht eindeutig beantwortbar. Es kann (und gab) bis auf einige wenige zentrale Fragen zu den meisten Dingen verschiedene und veränderliche Lehrmeinungen geben. Das gehört durchaus zur religiösen Tradition dazu und ist im Protestantismus gelebte Praxis. Die Katholiken mit ihrer starren Kirchenhierarchie tun sich da sicher (zumindest offiziell) schwerer, obwohl ich auch da einen Riesenunterschied zwischen der von der Kirchenspitze vorgegebenen Hierarchie und der Lebenspraxis der Katholiken in der Realtität sehe.
Think the rulebook has all the answers? Then let's see that rulebook run a campaign! - Mike Mearls
Wormy's Worlds

Curundil

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Re: Pro Reli - Ethik und Religionsunterricht in Berlin
« Antwort #257 am: 25. Januar 2009, 20:02:15 »
Zumal ein ziemlich großer Brocken an katholischen Dogmen nicht etwa althergebracht, sondern dem "Kulturkampf" des preußischen Beamtenapparats mit den katholischen Bevölkerungsanteilen im 19. Jahrhundert zu "verdanken" ist. Gegenstand dieser Auseinandersetzung waren u.a. auch bildungspolitische Fragen (Überraschung!!!  :cheesy:).

Viele Glaubensansichten, die in profane oder sekulare Bereiche hineinspielen, wurden als Gegenpol zu preußischen Ansichten oder Erlassen erst damals vom Papst dogmatisiert. Davor hatte die Kirche zu manchen Punkten zwar festgefaßte Meinungen und Richtlinien, die aber nicht unbedingt durchweg Dogmen (= unumstößlich) waren. Mit neuen Dogmen ging man auch in der katholischen Amtskirche immer recht sensibel und zurückhaltend um, hitzige "Streitlegislatur" wie den Kulturkampf mal außer Acht gelassen. Daß diese, zu einem politischen Zweck zementierten, Dogmen sich nun nicht mehr zurücknehmen lassen, ist ein Problem der "Verfassung" der Kirche, wenn man das so bezeichnen will. Konträre Standpunkte gibt es auch in der katholischen Theologie.

EDIT: Jaja, wollte eigentlich nichts mehr hier posten.  ::) Aber es scheint sich ja etwas beruhigt zu haben. Wer jetzt mit dem Finger auf mich zeigt, kann mich ja ignorieren.
« Letzte Änderung: 25. Januar 2009, 20:05:14 von Curundil »
history ['hıstəri], n: an account mostly false of events mostly unimportant, brought about by rulers mostly knaves and soldiers mostly fools. -- Ambrose Bierce

Für mehr Handlung in Rollenspielen!

Selvan

  • Mitglied
Re: Pro Reli - Ethik und Religionsunterricht in Berlin
« Antwort #258 am: 25. Januar 2009, 23:15:27 »
a) Ich "glaube" gar nichts, halte aber die Bergpredigt unabhängig von ihrer Quelle für ein sehr wertvolles Dokument. Findest Du das tatsächlich erstaunlich?
Nein. Da habe ich dir vermutlich einfach unfairerweise mehr blinden Glauben unterstellt als zutreffend ist.

Berandor

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  • Verrückter Narr
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Re: Pro Reli - Ethik und Religionsunterricht in Berlin
« Antwort #259 am: 26. Januar 2009, 12:51:16 »
Von den Christen Pro Ethik – übrigens könnte es gut sein, dass ich ohne die stark kritikwürdige Kampagnendurchführung von ProReli der Idee anders gegenüberstünde – ein offener Brief:

Zitat
Das Ergebnis der Unterschriftenaktion von „Pro Reli“ nehmen wir zur Kenntnis, können ihm aber wegen des massiven Einsatzes von Geldern und wegen der irreführenden bis wahrheitswidrigen Werbung keinen Respekt zollen.

Achtung haben wir vor den Mühen vieler HelferInnen von „Pro Reli“, die meinten, einer guten Sache zu dienen. Mögen ihre und die Anstrengungen aller Religionslehrkräfte und GemeindekatechetInnen am Ende unserem gemeinsamen Anliegen zugute kommen, dass die christlichen Kirchen ihre Kraft in eine zukunftsträchtige Lösung der Berliner Schul- und Gemeindeprobleme mit einbringen und sich nicht allein auf die Durchsetzung eines Abwahlmodells Religions- oder Ethikunterricht konzentrieren.

Als Christinnen und Christen distanzieren wir uns entschieden davon, dass unsere Kirchen aus der zu respektierenden bürgerschaftlichen Initiative „Pro Reli“ eine kirchenoffizielle Angelegenheit, ja oft sogar eine Frage des rechten Glaubens gemacht haben. Dadurch wurde zu unserem großen Bedauern Vertrauen in unsere Kirchen und in die Demokratie missbraucht und veraltetes Lagerdenken gefördert.

Wegen des ihrem Auftrag zuwider laufenden parteilichen Verhaltens der Kirchen fordern wir von ihnen analog zum Parteienfinanzierungsgesetz öffentliche Rechenschaft über die Höhe der immensen Kosten für die Kampagne und über die Namen der Großspender.

Wir brauchen das gemeinsame Pflichtfach „Ethik“ in Berlin für die Klassengemeinschaften des 7. bis 10. Jahrganges dringend. Davon bleiben wir überzeugt und wir werden dies in den kommenden Monaten weiter öffentlich machen. Wir werden uns auch weiterhin dafür einsetzen, dass in diesem Fach mehr vergleichende Religionskunde und entsprechende Begegnungsmöglichkeiten praktiziert werden.
Die Aneignung der Werte unseres Grundgesetzes und das Einüben von Regeln und Normen für das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kulturen, Religionen und Weltanschauungen in unserer Stadt sind heute genauso wichtig, wie es das Erlernen von Lesen, Schreiben und Rechnen seit Jahrhunderten ist.

Wir wiederholen: SchülerInnen der 7. bis 10. Klasse haben in Berlin weiterhin (wie 1948–1990 im Westteil der Stadt) die Freiheit, sich denjenigen Bekenntnisunterricht, den sie und ihre Eltern wollen, zu ihrem normalen Stundenplan hinzu zu wählen. Etwa ein Viertel der Jugendlichen nutzt diese Angebote. Es sind nur 1 bis 3% weniger als vor der Einführung des gemeinsamen Ethikunterrichts in Berlin.
Für die Kinder der 1. bis 6. Klasse hat sich durch das neue Fach Ethik in Berlin nichts geändert. Für sie können die Eltern weiterhin Religions- oder Weltanschauungsunterricht wählen. Drei Viertel aller Eltern machen für ihre Kinder davon Gebrauch.

Im Blick auf die Ergebnisoffenheit des bevorstehenden Volksentscheides halten wir es für dringend erforderlich, dass auf allen Ebenen die demokratischen Verfahrensweisen eingehalten werden. Wir betonen dies ausdrücklich, denn es wäre verhängnisvoll, wenn das Ansehen unserer Kirchen in weiten Kreisen der Bevölkerung auch dadurch weiter beschädigt würde und wenn noch mehr Gemeindeglieder sich aus Gruppenloyalität gegen ihre Überzeugung entscheiden müssten.

Für „Christen pro Ethik“:
gez. Michael-Erich Aust, Almuth Berger, Josef Göbel, Ruthild Hockenjos, Hildegard Hoffmann, Constanze Kraft, Gisela Lattmann-Kieser, Martin Lotz, Ruth Priese, Hans Simon, Henning von Wedel
http://www.christen-pro-ethik.de/index.html
Bitte schickt mir keine PMs hier, sondern kontaktiert mich, wenn nötig, über meine Homepage

Wormys_Queue

  • Mitglied
Re: Pro Reli - Ethik und Religionsunterricht in Berlin
« Antwort #260 am: 26. Januar 2009, 13:18:26 »
Vielen Dank, das lässt mich manches unter anderem Blickwinkel sehen. INsbesondere

Zitat
SchülerInnen der 7. bis 10. Klasse haben in Berlin weiterhin (wie 1948–1990 im Westteil der Stadt) die Freiheit, sich denjenigen Bekenntnisunterricht, den sie und ihre Eltern wollen, zu ihrem normalen Stundenplan hinzu zu wählen. Etwa ein Viertel der Jugendlichen nutzt diese Angebote. Es sind nur 1 bis 3% weniger als vor der Einführung des gemeinsamen Ethikunterrichts in Berlin.
Für die Kinder der 1. bis 6. Klasse hat sich durch das neue Fach Ethik in Berlin nichts geändert. Für sie können die Eltern weiterhin Religions- oder Weltanschauungsunterricht wählen. Drei Viertel aller Eltern machen für ihre Kinder davon Gebrauch.

dieser Sachverhalt war mich nicht klar. Ich war bisher davon ausgegangen, dass es in Berlin quasi gar keinen Religionsunterricht mehr gäbe. Dieser Passus entspricht aber einer Abwandlung der von mir weiter oben angesprochenen Idee.

Und ohne ein großer TAZ-Fan zu sein, fand ich den bei "Christen pro Ethik" verlinkten Artikel recht amüsant und erhellent:

Link
« Letzte Änderung: 26. Januar 2009, 13:20:25 von Wormys_Queue »
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Wormy's Worlds

Gwenfair

  • Mitglied
Re: Pro Reli - Ethik und Religionsunterricht in Berlin
« Antwort #261 am: 26. Januar 2009, 13:50:14 »
Achso, ich dachte, das sei allen Diskutanten klar: Es geht nicht darum, Religionsunterricht zu ermöglichen, sondern durch die Wahl des Religionsunterrichts Ethik abwählen zu können. Statt des gemeinsamen Unterrichts soll es die Wahl zu getrenntem geben.
Und da bin ich wie gesagt dagegen, weil ich glaube, dass ein gemeinsames Diskutieren von Moral und Religion den Kindern mehr nützt, als ein getrenntes Diskutieren, was die anderen, die nun ja gar nicht anwesend sind, denn so glauben und denken.

Und nicht nur das, auch bei diesem Volksbegehren wird die gleiche Taktik verwandt wie schon bei der Tempelhof-Sache: Es wird immer wieder davon gesprochen, dass Pro Reli in der Abstimmung 600.000 Stimmen braucht; verschwiegen wird meistens, dass sie außerdem auch noch die Mehrheit der Stimmen brauchen. Auf die gleiche Weise wurde bei der letzten Abstimmung versucht, Gegner von der Wahl fernzuhalten, indem man es so darstellte, als wäre eine es egal, ob man mit "nein" stimmt oder gar nicht hingeht.
« Letzte Änderung: 26. Januar 2009, 14:38:45 von Gwenfair »

Rogan

  • Contest 2010
Re: Pro Reli - Ethik und Religionsunterricht in Berlin
« Antwort #262 am: 30. Januar 2009, 15:15:33 »
Eine aktuelle Begebenheit aus der Pro Reli Initiative:

http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,604247,00.html
Neustart!

Archoangel

  • Mitglied
Re: Pro Reli - Ethik und Religionsunterricht in Berlin
« Antwort #263 am: 30. Januar 2009, 19:14:31 »
Der Spiegel mutiert auch immer mehr zur Bildzeitung...
In diesem Thread gibt es wunderbare Beispiele, dass Schulpflicht und Dummheit sich nicht ausschließen. (Tempus Fugit)

4E Archoangel - Love me or leave me!

Hedian

  • Mitglied
    • www.rosenranken.org
Re: Pro Reli - Ethik und Religionsunterricht in Berlin
« Antwort #264 am: 22. April 2009, 05:32:45 »
Verlesen, Beitrag hinfällig.
« Letzte Änderung: 22. April 2009, 05:34:19 von Hedian »

Lord Magico

  • Mitglied
Re: Pro Reli - Ethik und Religionsunterricht in Berlin
« Antwort #265 am: 22. April 2009, 22:34:56 »
Der Spiegel mutiert auch immer mehr zur Bildzeitung...

auch schon gemerkt?

Ich hab mal gelesen, dass es da durchaus Verbindungen zwischen dem Springerverlag und dem Spiegel gibt.
Irgendwie teilen die sich viele Pressemitteilungen... und Springer hält auch einiges an Aktienanteilen des Spiegels.
D&D 4E ist geilo
Pathfinder ist geilo

Archoangel

  • Mitglied
Re: Pro Reli - Ethik und Religionsunterricht in Berlin
« Antwort #266 am: 23. April 2009, 01:11:59 »
Deine Antwort kommt drei Monate zu spät ...
In diesem Thread gibt es wunderbare Beispiele, dass Schulpflicht und Dummheit sich nicht ausschließen. (Tempus Fugit)

4E Archoangel - Love me or leave me!

Wormys_Queue

  • Mitglied
Re: Pro Reli - Ethik und Religionsunterricht in Berlin
« Antwort #267 am: 23. April 2009, 01:59:49 »
Und falsch ist sie glaube ich auch noch. Zumindest was die Aktienanteile des Springerverlags am Spiegel angeht.
Think the rulebook has all the answers? Then let's see that rulebook run a campaign! - Mike Mearls
Wormy's Worlds

Selvan

  • Mitglied
Re: Pro Reli - Ethik und Religionsunterricht in Berlin
« Antwort #268 am: 23. April 2009, 03:32:31 »
Auch wenn der Thread nur versehentlich ausgebuddelt wurde, ist der Zeitpunkt gar nicht so unpassend. Am Sonntag ist nämlich der Tag der Abstimmung.

Wenn ich mir meinen Eingangspost jetzt nochmal so durchlese, muss ich zugeben, dass er doch ganz schön herablassend/polemisch daherkam. Mittlerweile sehe ich das etwas entspannter, werde aber trotzdem am Sonntag mit Nein stimmen, (auch weil mir die Initiative Pro Reli mit ihrer übertriebenen Kampagne und den reißerischen Parolen während der letzten Wochen tierisch auf die Nerven gegangen ist).

Mein Tipp: zu geringe Wahlbeteiligung

Lhor

  • Mitglied
Re: Pro Reli - Ethik und Religionsunterricht in Berlin
« Antwort #269 am: 23. April 2009, 09:00:00 »
Also ich persönlich habe gegen Religionsunterricht nichts einzuwenden insofern gewisse Voraussetzungen gegeben sind

- jede (Welt-)Religion wird unterrichtet

- Religion wird als ein Teil von Geschichte und Kultur unterrichtet und nicht als Dogma (also kein "Es gibt Gott" sondern "Die Theisten sagen Gott gibt es, ihre Argumente sind...BlaBla"

Solange Religionsunterricht keine Missionierung beinhaltet sondern reine Informationsgebung sollte sie sogar ein Pflichtfach sein, weil unsere Welt ist von dem Thema stark beeinflusst.

Religionsunterricht wie er zu meinen Zeiten (vor 20 Jahren rum) abgehalten wurde ist selbstverständlich nicht zeitgemäß und null säkular.
„Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.“
Arthur Schopenhauer

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