Autor Thema: Rollenspiel ohne Regelsystem  (Gelesen 4209 mal)

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Calmares

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Re: Rollenspiel ohne Regelsystem
« Antwort #30 am: 22. April 2009, 22:18:24 »
Dass diese Vorgaben das - ich will es mal "Charakter-mit-Persönlichkeit-Spiel" nennen - fördern, wahrscheinlich auch erleichtern, will ich nicht bestreiten, wohl aber dass allein der Zwang die Sachen aufzuschreiben es herbeiführt. Ich will auch sagen, dass Rollenspieler mit darstellerischem Talent dies schlicht und ergreifend nicht brauchen. Ob eine Rollenspielgruppe so weit ist, oder überhaupt den Anspruch hat ein derartiges Charakterspiel zu pflegen, soll doch jede für sich selbst entscheiden, zumal - ich glaube soweit sind wir uns hier alle einig - es ein anspruchsvolles Spiel ist.

Die Frage ist, ob derartige Regeln in einem Regelsystem festgeschrieben sein sollten oder nur in Spielhilfen á la Robin oder Berandor's and TheRaven's Guide to Roleplaying.  wink

Und wieder eine andere Frage ist, ob die ganze Wheel of Time- Geschichte nicht krass vom Topic abweicht. Ich wollte hier keine Diskussion über Charakterspiel anfangen, sondern fragen, ob Rollenspiel ohne Stift, Papier und Würfel auf Dauer funktioniert. Bleiben wir doch ruhig mal beim Vergleich zu klassischen Rollenspielen im Still von DnD, DSA, WoD oder Midgard.

Was denke ich wichtig ist, ist Tzelzix' Einwand. Alle beteiligten Spieler sollten zumindest in Ansätzen die gleichen Vorstellungen eines Charakters haben, sonst artet das Spiel aus, weil keine einheitliche Basis besteht. Das scheint eine Vorraussetzung für ein derartiges "freies RPG" zu sein.

Silas

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Re: Rollenspiel ohne Regelsystem
« Antwort #31 am: 22. April 2009, 22:34:40 »
Was denke ich wichtig ist, ist Tzelzix' Einwand. Alle beteiligten Spieler sollten zumindest in Ansätzen die gleichen Vorstellungen eines Charakters haben, sonst artet das Spiel aus, weil keine einheitliche Basis besteht. Das scheint eine Vorraussetzung für ein derartiges "freies RPG" zu sein.
Ich finde man sollte auch vorher ausmachen, in wie weit der SL in die Spieler Entscheidungen bzw. Auswirkungen der SC Aktionen eingreifen darf. Quasi eine Übereinkunft über das Machtlevel der SC. Oder anders ausgedrückt: Ab wann darf der Spielleiter sagen "das geht nicht, das kannst du nicht" ? Vermutlich reicht es (wenn man in einer vernünftigen Gruppe spielt) bereits aus, sich über die Art von Kampagne und Charaktere zu einigen die man spielen möchte. Z.B: "Heute spielen wir n krasses Manga RPG in einer futuristischen Endzwit Welt mit Charakteren a la Dragon Ball" oder "Las mal n Detektiv Abenteur im späten 19. Jahrhundert mit etwas Horror Anteil machen".
"Aaaaaaarrrggghhhhhhhhh.......................... Arrrghhhhhhhhhh!!!" - Wolverine, X-Men Origins

Berandor

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Re: Rollenspiel ohne Regelsystem
« Antwort #32 am: 22. April 2009, 22:40:27 »
Ha! Komisches Video :)

Du sagst natürlich zurecht, dass man auch im völlig freien Rollenspiel seinen Charakter mit einer Entwicklung spielen kann, ihn naiv anfangen lässt und dann später weltgewandter darstellt. Aber das ist im Freien Rollenspiel eben völlig frei, also Jacke wie Hose, und muss weder einer Entwicklung folgen noch Auswirkungen haben.

Dazu gibt es eben auch recht offene Regelmechanismen. TheRaven erwähnte PrimeTime Adventures, was das freieste Rollenspiel ist, das ich kenne, das zudem eine (halbwegs) traditionelle SL-Rolle beibehält. Eurer Gruppe könnte vielleicht auch Polaris gefallen, das ist fast reines Erzählspiel und ohne SL.

Burning Wheel ist ein System, dass sich im Gegensatz zu den Vorgenannten nicht wirklich als reines Indie-Spiel bezeichnen lässt. Auf jeden Fall beinhaltet es auch die traditionelle Charakterentwicklung i.S. von verbesserten Werten und "dazu lernen". Aber Burning Wheel benutzt auch BITs, und das ist kein Sandwich von Subway (okay, es ist ein Sandwich von Subway, aber hier nicht gemeint), sondern die Abkürung für Beliefs, Instincts, Traits.

Im Grunde genommen sind dies einfache Sätze oder sogar nur Attribute, mit denen man seinen Charakter beschreibt. Traits sind solche Attribute, beispielsweise: "egozentrisch, Wortklauber, vorlaut" – und diese Attribute können, müssen aber keine regeltechnische Auswirkung haben. Instincts sind Automatismen des Charakters: "Wenn jemand einen Beitrag mit Rechtschreibfehlern erstellt, antworte ich mit einem reinen Korrekturbeitrag", Beliefs Überzeugungen und Ziele, z.B.: "Das Gate ist ein heiliger Rückzugsort. Ich werde alle Trolle in die Flucht schlagen."

Diese Beschreibungen sind, da wirst du mir zustimmen, noch kein wirklicher Charakterbogen, aber sie ermöglichen trotzdem eine Festschreibung des Charakters und eine Entwicklung abzuzeichnen, sowie Belohnungen zu verteilen. Vielleicht lernt der Charakter, sich zurückzuhalten, und ist nicht mehr egozentrisch? Oder ein Troll taucht auf und er vertreibt ihn – das gibt eine Belohnung! Oder aber der Betreiber des Forums schreibt einen Beitrag mit Rechtschreibfehlern – wird der Charakter ihn berichtigen? Und wenn er ständig berichtigt, bekommt er vielleicht das Attribut "Besserwisser"? Oder er muss, um das Gate zu reinigen, alle Trolle loswerden, und sein Belief ist dann: "Ich werde das Gate reinigen; zuerst vertreibe ich Talamar" usw.

Auch so lässt sich eine Charakterentwicklung ausmachen, die sich vielleicht in "Schicksalspunkten", in einem Ruf oder sonstwie niederschlagen, ohne direkt zählbar sein zu müssen – und es ist trotzdem nicht wie in einem völlig freien Rollenspiel "egal" oder reine "Willkür".

Ich hoffe, jetzt auch Raven halbwegs zufrieden gestellt zu haben. Es ist nämlich spät :)
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TheRaven

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Re: Rollenspiel ohne Regelsystem
« Antwort #33 am: 22. April 2009, 22:47:22 »
Bleiben wir doch ruhig mal beim Vergleich zu klassischen Rollenspielen im Still von DnD, DSA, WoD oder Midgard.
Was aber völlig sinnlos ist, weil Systeme wie Burning Wheel, Primetime Adventures, Sorcerer und wie sie alle heissen eben gerade die Lücke zwischen den klassischen Rollenspielen und dem reinen Erzählen schliessen. Wenn wir über motorisierte Fortbewegung sprechen, wieso sollten wir einen Lastwagen mit einem Fahrrad vergleichen, wenn das Motorrad doch viel näher am Vergleichsobjekt und der Kern der Diskussion, der Motor, trotzdem vorhanden ist.
Die Wissenschaft nötigt uns, den Glauben an einfache Kausalitäten aufzugeben.
- Friedrich

Berandor

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Re: Rollenspiel ohne Regelsystem
« Antwort #34 am: 22. April 2009, 22:50:51 »
Dass diese Vorgaben das - ich will es mal "Charakter-mit-Persönlichkeit-Spiel" nennen - fördern, wahrscheinlich auch erleichtern, will ich nicht bestreiten, wohl aber dass allein der Zwang die Sachen aufzuschreiben es herbeiführt. Ich will auch sagen, dass Rollenspieler mit darstellerischem Talent dies schlicht und ergreifend nicht brauchen.

Bullshit. Die besten Schauspieler haben auch noch ein Drehbuch.

Das hat überhaupt nichts mit darstellerischem Talent zu tun, wirklich gar nichts, denn es geht bei den BITs nicht darum, wie man einen Charakter darstellt, sondern nur, mit welchen Eigenarten man sich diesen vorstellt.

Wenn ich im D&D meinen Sorcerer heute naiv und vertrauensselig spiele, und morgen paranoid, dann interessiert das erst Mal niemanden. Wenn ich meinem Zwergen eine Furcht vor Wölfen gebe, dann kann das auch niemals zum Tragen kommen und ist erst Mal reiner Gardinenschmuck. Wenn mein Charakter einmal Prinz werden will, dann ist das ein loses Ziel, das vielleicht nebenher bei rumspringt.

Wenn ich aber festschreibe und allen sage, dass mein Charakter Angst vor Wölfen hat und mal Prinz werden will und das System dann sogar verlangt, dass diese Dinge relevant werden – dann haben meine Entscheidungen viel mehr Gewicht. Dann muss ich mir überlegen, ob ich meinen Zwerg wirklich gegen ein Wolfsrudel stellen will, bei dem er sich einnässt, oder ob ich ganz konkret den Thron anstreben möchte und das Spiel in dieser Form gestalten will. Denn dann haben die Dinge, die ich für meinen Charakter festlege, Konsequenzen.

Das hat nichts damit zu tun, was man braucht oder nicht, es ist eine konkrete Hilfestellung für alle.

Es ist möglich, dass eure Gruppe ohne diese Hilfestellung auskommt, weil alle Spieler inkl. SL das implizit ohnehin tun. Was die Hilfestellung nicht entwertet, sondern nur bedeutet, dass sie formalisiert das darstellt, was ihr eh macht. Und dann könnt ihr auf das Formale verzichten und riskieren, dass einzelne Spieler unbewusst oder unerkannt andere Vorstellungen von ihrem Charakter oder dem Spiel haben als der SL (oder andere Spieler), oder ihr schreibt das, was ihr eh ausgedacht habt, eben auf, und geht auf Nummer Sicher. Müsst ihr aber nicht.

Das bedeutet aber nicht, dass nur Leute diese Hilfe nutzen, die im Vergleich zu euch abstinken.
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TheRaven

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Re: Rollenspiel ohne Regelsystem
« Antwort #35 am: 22. April 2009, 23:05:01 »
Der Spielleiter macht die Geschichte und stellt die NPC dar. Er lässt die Welt mit den Charakteren interagieren. Die "beliefs" von "Burning Wheel" geben dem Spielleiter den Auftrag diese Themen zu behandeln, den Spieler damit zu konfrontieren und diese in die Geschichte einzubauen. Sagen wir jeder Spieler wählt für seinen Charakter drei Überzeugungen, dann sind das bei vier Charakteren zwölf Attribute und der Spielleiter soll sich diese auswendig merken, sie innert Sekunden ins Spielgeschehen einbauen und alle Spieler gleich stark involvieren können? Was ist mit den anderen Spielern und ihren Charakteren. Eigentlich wäre es doch normal, dass diese miteinander interagieren, sich unterhalten und sich mit der Zeit gut kennen aber die Realität in einer Rollenspielrunde, die sich vielleicht einmal in der Woche trifft, sieht anders aus. Vermutlich erinnern sich die Spieler nicht mal mehr selber detailliert an die Details ihrer eigenen Charaktere.

Das Resultat ist, dass die Charaktere gesichtslose Klischees bleiben, weil sich ausser dem Spieler selbst niemand mehr an die spezifischen Details erinnert, welche sie ausmachen. Ein leichtes, narratives System ist primär eine Hilfestellung für den Spielleiter (falls es diese Rolle gibt) und die Gruppe als ganzes, damit auch über mehrere Spielabende die ganze Sache eine gewisse Kohärenz und das Spiel eine für alle sichtbare Basis hat, von welcher aus sich eine Entwicklung ergeben kann.
« Letzte Änderung: 22. April 2009, 23:07:09 von TheRaven »
Die Wissenschaft nötigt uns, den Glauben an einfache Kausalitäten aufzugeben.
- Friedrich

Berandor

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Re: Rollenspiel ohne Regelsystem
« Antwort #36 am: 22. April 2009, 23:11:06 »
Der Spielleiter macht die Geschichte und stellt die NPC dar. Er lässt die Welt mit den Charakteren interagieren. Die "beliefs" von "Burning Wheel" geben dem Spielleiter den Auftrag diese Themen zu behandeln, den Spieler damit zu konfrontieren und diese in die Geschichte einzubauen. Sagen wir jeder Spieler wählt für seinen Charakter drei Überzeugungen, dann sind das bei vier Charakteren zwölf Attribute und der Spielleiter soll sich diese auswendig merken, sie innert Sekunden ins Spielgeschehen einbauen und alle Spieler gleich stark involvieren können? Was ist mit den anderen Spielern und ihren Charakteren. Eigentlich wäre es doch normal, dass diese miteinander interagieren, sich unterhalten und sich mit der Zeit gut kennen aber die Realität in einer Rollenspielrunde, die sich vielleicht einmal in der Woche trifft, sieht anders aus. Vermutlich erinnern sich die Spieler nicht mal mehr selber detailliert an die Details ihrer eigenen Charaktere.

Das kann ruhig noch mal wiederholt werden.
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Calmares

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Re: Rollenspiel ohne Regelsystem
« Antwort #37 am: 22. April 2009, 23:15:14 »
@Berandor: Im Drehbuch steht aber nur ein Bruchteil dessen, was die Rolle ausmacht. Da stehen nämlich nur die blanken Worte und ein paar läppische, halbherzige Regieanweisungen. Frag mal nen guten Schauspieler und du weißt, wovon ich rede.

Ich stimme dir - vor allem nach deiner besseren Erklärung des BIT-Systems - zu, in dem Punkt, dass es für alle eine Hilfe sein kann. Wahrscheinlich werden wir uns das nächste Mal über diese Ziele unterhalten und es einfach mal ausprobieren, so schlecht scheint es nicht zu sein. Mein Güte, dass du so an die Decke gehst, weil ich meine ersten Eindrücke über diese Spielhilfe schildere!  :blink:

Ich wollte auch weder mich noch meine Gruppe über andere stellen oder unser ach so hohes Niveau präsentieren. Wenn ich das getan habe tut es mir leid, darum ging es mir ganz und gar nicht. Einen gewissen Stolz, dass dieses Abenteuer aber geklappt hat müsst ihr mir gönnen. Von daher fand ich deinen letzten Satz etwas überzogen.

Was ich also mitnehme ist, dass die BITs sehr nützlich sind, wenn es um längere Abenteuer geht, eben solche, die sich über mehrere Spieltage erstrecken. Und das war ja bei unserer Runde nicht der Fall, die Charaktere waren einmal Charaktere. Und da kann sich sowohl die ganze Runde als auch der SL den Großteil der Eigenschaften eines Chars merken. Für längere Abenteuer und auch ganze Kampagnen hatten wir ja auch Hintergrundgeschichten, die BITs scheinen diese aber noch beträchtlich zu erweitern.

Berandor

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Re: Rollenspiel ohne Regelsystem
« Antwort #38 am: 22. April 2009, 23:34:48 »
Aufgeregt habe ich mich lediglich über "wer ein wenig Talent hat, braucht so was nicht". Sonst ist alles ok.
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Calmares

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Re: Rollenspiel ohne Regelsystem
« Antwort #39 am: 22. April 2009, 23:39:00 »
Gut, dann kann ich jetzt getrost und beruhigt schlafen gehen!  :cheesy: