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Autor Thema: Stadt der gläsernen Gesänge  (Gelesen 73351 mal)

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Nightmoon

  • Mitglied
    • Schicksalsstreiter
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #165 am: 19. Dezember 2010, 19:06:39 »
So, wollt nur nochmal sagen, dass mir die Sitzung am Samstag sehr gefallen hat. Vor allem ab dem Kampf gegen den Dämon wurde es immer spannender, weshalb wir uns ja auch irgendwie zwingen mussten morgens abzubrechen, obwohls so spannend war! Bin schon echt heiß drauf, wie es weiter geht... was natürlich auch die Geschichte angeht ;)

Niobe

  • Mitglied
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #166 am: 20. Dezember 2010, 00:54:13 »
Hm, irgendwie funktinoniert die Mailfunktion bei mir auch nicht mehr...

Ja, ich fands auch super spannend und lustig ("Bin ich der einzige, der hier keinen kennt???" *g*). Das nächste Kapitel ist in der Mache, sollte im Laufe der nächsten Woche fertig werden, vielleicht ja zu Weihnachten ;-)

Niobe

  • Mitglied
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #167 am: 21. Dezember 2010, 23:54:51 »
VIERTES BUCH
INSEL DER RÄTSEL



Prolog

Drake
Silbrigmond, Ches 1395 TZ.
„Was wollte die Engelsfrau von dir“, fragte Winter, als sie auf dem Weg zur Schimmernden Schriftrolle die Mondbrücke überquerten, „als sie im Geist mit dir sprach?“
Die Erinnerung warf einen düsteren Schatten.
„Wenn sie gewollt hätte, dass es alle erfahren, hätte sie es vermutlich laut gesagt“, erwiderte Drake einsilbig.
Zu seinem Erstaunen beließ es Winter dabei.
„Versprich mir, dass du uns in Ruhe lassen wirst“, sagte sie nach einer Pause.
Er hob spöttisch eine Augenbraue.
„Und welchen Wert hätte das Versprechen eines Entführers und Attentäters?“
„Lass die Spielchen, Drake... bitte.“
Bitte? Drake maß sie mit durchdringenden Blicken. Wo war Winters Kampfgeist geblieben? Hatte ihre Mutlosigkeit etwas mit dem Besuch bei ihren Schwiegereltern zu tun? Nachdem die Gefährten den ersten Schock überwunden und sich wohl oder übel damit abgefunden hatten, zwölf Jahre in der Zukunft gelandet zu sein, hatte Grimwardt darauf gedrängt, so schnell wie möglich zur Abtei zu reisen. Winter hatte ihren lächerlichen Such-Tanz aufgeführt, um ihre Tochter aufzuspüren, doch ohne Erfolg. Drake hatte sie schließlich überreden können, ihn zuerst in Silbrigmond abzusetzen. Bei dieser Gelegenheit hatte sie einen kurzen Abstecher zu den Dantés’ gemacht, von dem sie mit bedrückter Miene zurückgekehrt war.
Plötzlich blieb Winter wie vom Donner gerührt stehen.
„Das ist ja wohl nicht ihr Ernst!“
Sie waren bei der Schimmernden Schriftrolle angelangt, doch anstelle des vertrauten Geruchs nach Fledermausdung, Binsenkraut und alchemistischen Substanzen quoll ihnen aus dem Eingang des kleinen Zauberladens eine Duftwolke aus Minze, Honig und Amber entgegen und ein Blick durch die geöffnete Eingangstür gab eine Reihe von Tischen und Stühlen preis, an denen fleißig Tee geschlürft und über Politik und Stadtgeschehen lamentiert wurde.
„Eine Teestube?“
Das Innere des Ladens hielt noch eine weitere Überraschung bereit: Anstelle von Xara Tantlor trafen sie hinter dem Ladentisch einen kleinen Jungen an, der in ein Buch vertieft schien. Als er sich der Ankunft der Gäste bewusst wurde, schreckte er ertappt auf und versuchte seinen rot-gezackten Teufelsschwanz hinter dem Rücken zu verbergen.
„Ja, bitte?“, fragte der Tieflingsjunge schüchtern.
Drake pfiff leise durch die Zähne. Was Xaras zwielichtige Liebschaften anging, rangierte er offenbar nicht so weit an der Spitze wie er angenommen hatte. Nun ja, immerhin klärte der verräterische Teufelsschwanz die Vaterfrage. Nach seiner letzten Begegnung mit Xara war er sich dessen nicht so sicher gewesen. Der Gedanke hätte ihm Genugtuung verschaffen sollen. Doch das Wissen, dass sein Verschwinden nicht einmal diese kleine Narbe hinterlassen hätte, hatte einen bitteren Beigeschmack…
Als Xara von ihren Besorgungen zurückkehrte, war sie nicht schlecht erstaunt, ihre einstmals besten Kunden völlig unberührt von den zwölf Jahren, die zwischen ihrer letzten Begegnung lagen, in einer der Sitznischen anzutreffen.
„Was ist hier passiert?“, fuhr Winter sie an. „Sagt bloß, Euer Laden ist Bankrott gegangen? Ich habe mehrere Anzahlungen geleistet, für die noch die Lieferungen ausstehen!“
Xara schien aus allen Wolken zu fallen.
„Alle Welt hielt Euch für tot!“, erklärte sie. „Die Barden haben Nachgesänge auf die Helden von Immerschwinge verfasst… Meinen Laden musste ich natürlich schließen. Ohne Magie macht ein Zauberladen nicht viel Sinn.“
„Was soll das heißen, ohne Magie?“, fragte Faust.
Xara schüttelte noch immer fassungslos den Kopf.
„Ihr habt tatsächlich keine Ahnung, oder? Vor elfeinhalb Jahren wurde das magische Gewebe zerstört. Ganz Faerûn war magisches Ödland. Uns im Westen hat es noch vergleichsweise milde erwischt. Im Südosten gibt es Gegenden, die magisch völlig brach liegen oder noch immer von der Zauberpest verseucht sind.“
Zauberpest? War das die Erklärung dafür, dass sie in der falschen Zeit gelandet waren? Hatte sich das zerstörte Gewebe auch auf den Zeitstrom ausgewirkt? Elfeinhalb Jahre ohne Magie! Welch einen Rattenschwanz an politischen Umwälzungen das nach sich gezogen haben musste!
„Es waren harte Zeiten für Magier“, fuhr Xara fort. „Was hätte ich tun sollen? Ich musste meinen Sohn ernähren. Die Teestube läuft gut, aber bis hierhin war es ein harter Weg. Riven hat schließlich niemanden außer mir… und er hat es schwer genug.“
Verlegen und ein wenig verdrossen darüber, dass seine Mutter so ungeniert über seine Unzulänglichkeiten sprach, strich sich der Tieflingsjunge das Haar in die Stirn, um die kleinen Hörner zu verbergen, die dort sprossen. Drake entging auch nicht, dass sein verhaltenes Husten in verräterisch kontrollierten Abständen erfolgte – vermutlich nur eine Entschuldigung für den dicken Schal. Was er wohl verbarg? Striemen, Kratzer, Würgemale? Kinder konnten bemerkenswert grausam sein, wenn es darum ging, die Hackordnung auf dem Spielplatz festzulegen. Und Teufelsschwänze und Stirnhörner waren nicht gerade Statussymbole.
Genauso wenig wie rote Augen und leichenblasse Haut…
Aber dies war immerhin Silbrigmond – eine Stadt, die für ihre weltbürgerliche Toleranz bekannt war – anders als das dreckige Söldnerloch in den Herzlanden, in dem Drake aufgewachsen war. Und Riven war auch nicht der Bastard einer schwindsüchtigen Straßenhure.
Drake blinzelte den unliebsamen Erinnerungsfetzen hinfort.
„Ich nehme an, das bedeutet, wir können unsere Anzahlungen vergessen.“ Er erhob sich. „Dann sehe ich keinen Grund, der mich hier noch hält.“
Mit einer mokanten Verneigung verabschiedete er sich. Doch vor der Tür hielt er inne. Wohin sollte er gehen? Ob seine Verbindungen im Hafenviertel noch bestanden? Unwahrscheinlich - in seinem Geschäft waren Kontaktleute von geringer Haltbarkeit. Vermutlich würde er sich einen neuen Kundenkreis aufbauen müssen. Dasselbe galt für seine Geldanlagen. Fast war es, als hätte Feyleens perfider Plan Erfolg gehabt. Zwölf Jahre im Zeitstrom hatten ausgereicht, um alle Spuren seiner Existenz zu tilgen. Unsichtbarkeit war immer seine Verbündete gewesen, doch nun fühlte er sich mit einem Mal von ihr verraten und der Rückweg in sein altes Leben erschien ihm düster und trüb. Doch wohin sonst sollte er gehen? Es war das einzige Leben, das er kannte.
Nicht GANZ das einzige…
Dass das Abenteurerdasein seine Vorzüge hatte, war keine bahnbrechende Erkenntnis: Selbst durch vier geteilt, brachte die Plünderung eines Drachenhorts noch mehr ein als er in einem Monat verdienen konnte. Was ihn stets abgeschreckt hatte, war der Gedanke, dass sein Überleben von anderen abhängen könnte. In seiner Welt war Freundschaft eine Maske, die Leute hin und wieder aufsetzten, um andere für ihre Zwecke einzubinden, und Vertrauen eine Illusion, die zerbrach, sobald ihre Ambitionen sich änderten. Soweit die Theorie - doch sie erklärte nicht, weshalb die Fedaykin-Geschwister sich nicht an ihm gerächt hatten, als sie die Gelegenheit dazu hatten…
Sein Blick glitt zurück.
Faust saß breitbeinig auf seinem Schemel und versuchte dem Tieflingsjungen Mut zuzureden. Drake hielt ihn für einen ruhmsüchtigen Draufgänger – begabt, exzentrisch, polarisierend. Der Typ Mann, den Drake hasste, weil er alles mit Leichtigkeit meisterte – naja, alles bis auf den Krieg gegen die Nebel, die seinen Verstand hin und wieder umwölkten. Miu, Fausts ewiger Schatten, war vielleicht die einzige, die durch den Dunst zu blicken vermochte. Doch die Ordensschwester war eingeschnürt in ein Korsett aus Regeln und Vorschriften, an dem sie eines Tages ersticken musste…
Grimwardt stand ein Stück abseits, wie stets ein wenig skeptisch gegenüber allem, was sich nicht um Kriegstaktiken und Schlachtordnungen drehte. Er war der ruhende Mittelpunkt der Gruppe, unbeirrbar seiner einen, bedingungslosen Leidenschaft verpflichtet. Vielleicht ein wenig zu unbeirrbar, um zu erkennen, dass der Grat zwischen Glaubenseifer und Fanatismus, auf dem er wandelte, immer schmäler wurde.
Und Winter? Seit ihrer ersten Begegnung war Drake fasziniert von dem, was er hinter den zahlreichen Masken der Heiratsschwindlerin gesehen hatte: eine Frau, die mit naiver Hingabe liebte und mit skrupellosem Egoismus für diejenigen kämpfte, die sie liebte. Nun da Winters Fassade zu bröckeln begonnen hatte, kam immer mehr von diesem dunklen Kern zum Vorschein…
Nein, erkannte Drake. Er würde nicht mit ihnen gehen. Sie stehen am Abgrund, hatte der Engel gesagt. Die Frage war nur, wer von ihnen zuerst fiel. Er würde zurückkehren in seine Schattenwelt – und überleben. Mochte das Schicksal, das der Engel ihm prophezeit hatte, ihn einholen, wenn es soweit war…


Kapitel I: Der Auserwählte


Grimwardt
Abtei des Schwertes, wenig später.
Die Nachtpforte wurde geöffnet und ein kahlköpfiger Geweihter im Rang eines Schildpriesters, gefolgt von einem einfachen Soldaten, trat vor die Wehrmauer. Grimwardt erkannte den Soldaten als einen ehemaligen Rekruten. Doch der Priester war ihm fremd.
„Seid Ihr Euch sicher?“, hörte er den Priester leise fragen.
Der Soldat nickte mechanisch, während er Grimwardt mit offenem Mund anstarrte.
„Was soll der Unfug?“, brummte Grimwardt. „Weshalb verwehrt man mir den Einlass in meine eigene Abtei? Und warum ist das Tor verrammelt? Erwarten wir einen Angriff?“
„Verzeiht“, sprach der Kahlkopf, doch seine Augen blieben kalt und misstrauisch. „Ich wurde angewiesen, Eure Identität zu überprüfen, ehe man Euch Einlass gewährt.“  
„Auf wessen Geheiß?“
„Auf Geheiß des Priestergenerals.“
ICH bin der Priestergeneral, du Orknase!
Grimwardts Zornader pochte ganz gewaltig hinter seiner Stirn, doch um dem Grund für dieses rätselhafte Treiben so schnell wie möglich auf die Schliche zu kommen, ließ er sich seinen Unmut nicht anmerken und wehrte sich auch nicht, als der Fremde ihn mit einem Aufklärungszauber belegte. Der Geweihte nickte ihm knapp zu und bedeutete ihm mitzukommen. Als Faust, Winter und Miu Anstalten machten ihnen durch die Pforte zu folgen, gebot er ihnen Einhalt.
„Der Priestergeneral wünscht mit Grimwardt Fedaykin allein zu sprechen.“
Faust verschränkte provokativ die Arme vor der Brust und traktierte Kahlkopf mit Blicken als versuche er zu ermessen, wie hart er wohl zuschlagen müsse, um ihn Dreck schlucken zu lassen ohne ihn gleich ins Jenseits zu prügeln. Grimwardts mäßigender Blick beendete das stumme Kräftemessen und Faust zuckte mit den Schultern.
„Wie du meinst.“
„Vergiss nicht, nach Scarlet zu fragen“, hörte Grimwardt Winters bange Bitte in seinem Rücken, während er auf das Hauptgebäude zuschritt. Unerhört! – So wie die beiden Wächter ihn flankierten, hätte man meinen können, er sei ein Gefangener in seiner eigenen Abtei. Seinem magisch geschulten Blick entgingen nicht die subtilen Veränderungen am magischen Schutzsystem der Abtei. Eine Teleportationsbannmauer, ein Schutzschild vor Ausspähung, ein magisches Warnsystem – alles Neuerungen, für die Grimwardt seit fast zehn Jahren sparte. Woher hatte die Abtei plötzlich das Geld dafür? Und weshalb begegnete er keinem einzigen vertrauten Gesicht? Grimwardt legte beleibe keinen Wert auf Willkommensfanfaren und Trommelwirbel, doch man hätte meinen sollen, dass die Ankunft eines verschollenen Abteileiters für ein wenig mehr Aufregung gesorgt hätte.
Wortlos führte Kahlkopf ihn in die große Gebetshalle.
Auf der Empore vor dem Schildaltar erwartete ihn Sir Silas von Arkhem, der Taliser Ritter, der sich beim Turnier zu Ehren des gefallenen Jareth Burlisk den Rang des Ersten Schwertbruders erkämpft hatte. Der goldbärtige Ritter trug die zeremonielle Rüstung, die dem Priestergeneral gebührte. Als Grimwardt eintrat, neigte er ehrerbietig den Kopf. Der Kriegspriester kam nicht umhin, die widersprüchliche Symbolik dieses Auftritts zu bemerken. Die demonstrative Zurschaustellung der Insignien des Priestergenerals schien zu sagen „Du hast deine Stellung verwirkt; ich gebe sie nicht wieder her“, doch Silas’ demütige Haltung, in der Grimwardt keinen Spott erkennen konnte, sprach eine andere Sprache. Fast hätte er so etwas wie Mitleid für seinen „Nachfolger“ verspürt, für den die Situation vermutlich nicht weniger unangenehm war als für ihn selbst – wäre da nicht die Gestalt im Schatten gewesen. Die Dunkelheit umgab sie wie ein Tarnzauber, sodass Grimwardt sich ihrer Gegenwart erst bewusst wurde, als sie sich bewegte, um an Sir Silas’ Seite zu treten: Sie war eine hagere Frau um die Fünfzig. Ihr Haar war so streng zurückgebunden, dass es ihr Gesicht zu straffen schien. Alles in diesem Gesicht – die stark geschminkten Augen, die lange Nase, die strengen Wangenfalten -  warf riesige Schatten, die ihr Antlitz zu verschleiern schienen.
Eine Umbrantin, erkannte Grimwardt. Eine Schattenmagierin.
 „Grimwardt Fedaykin.“ Ein verhaltenes Lächeln streifte Silas’ Gesicht, zu steif, um den Argwohn aus seinen Zügen zu stehlen. „Tempus wirkt Seine Wunder, wenn wir sie am wenigsten erwarten. Vor elf Jahren beweinten wir Euch wie einen Toten und trugen einen leeren Sarg zu Grabe. Und heute steht Ihr vor den Toren der Abtei und scheint Euch um keinen Deut verändert zu haben.“
„Anders als meine Abtei, Sir Silas“, entgegnete Grimwardt mit einer Ruhe, die bei jedem, der ihn kannte, die Alarmglocken läuten ließ. „Wollt Ihr mir nicht Eure neue Gefährtin vorstellen?“
Das Lächeln des Ritters erstarb. ‚Meine Abtei’ hatte Grimwardt gesagt und der Paladin hatte verstanden: Er gedachte nicht, auf seinen Anspruch auf den Rang des Priestergenerals zu verzichten.
„Das ist Lady Zia.“ Silas’ Blick flackerte unstet. „Sie hält die arkanen Verteidigungsanlagen der Abtei instand und steht uns im Kampf gegen die Horden des Nordens bei.“
„Die Horden des Nordens?“ Grimwardts Zornader bohrte sich tiefer in seine Stirn. Für wie einfältig hielt ihn dieser Schnösel? Die Orkbarbaren vom Grat der Welt waren keine Bedrohung, die ein ausgeklügeltes magisches Verteidigungssystem erforderlich machten. „Lassen wir doch die Masken fallen, Priestergeneral. Was hat Euch bewogen, einer Umbranten-Spionin die Tore der Abtei zu öffnen?“
Sir Silas sog betroffen die Luft ein, während Lady Zia keine Miene verzog. Stumm und lauernd wie ein Geier auf Beuteflug harrte sie im Schatten.
„Grimwardt Fedaykin.“ Die Stimme des Ritters zitterte vor unterdrückter Brüskierung. „Als ich vor zwölf Jahren in diese Abtei eintrat, leistete ich den Schwur, Tempus zu dienen und die Menschen der Talländer mit Seiner Hilfe vor Unglück zu bewahren. Diesem Schwur bin ich immer treu geblieben. Verzweifelte Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Aber mir zu unterstellen, die Abtei verraten zu haben, verletzt meine Ehre aufs Schärfste! Wo wart Ihr in all den Jahren, könnte ich Euch fragen? Woher nehmt Ihr das Recht meine Entscheidungen in Frage zu stellen?“
Grimwardt musterte ihn eindringlich.
Er hat Angst, erkannte er. Aber er sagt die Wahrheit.
Und trotzdem – irgendetwas stank hier gewaltig. Er musste dringend mit jemandem sprechen, dem er vertraute.
„Wo ist Borgo der Zwerg?“, fragte er barsch. „Ich will ihn sprechen.“
Lady Zia stieß ein missgünstiges Zischen aus, doch Sir Silas gab nach einem kurzen Zögern seine Einwilligung. Auf seinen Befehl führte der Schildpriester Grimwardt in den zweiten Stock. Vor der Tür zur Bibliothek hielt er an. Grimwardt wandte sich misstrauisch um.
„Was soll das?“
„Ihr wolltet Borgo, den Bibliothekar, sprechen.“
Den BIBLIOTHEKAR?! Tempus steh uns bei!
„Herr!“ Der Zwerg schien Grimwardt bereits erwartet zu haben. Eilig zerrte er seinen Kameraden und ehemaligen Dienstherrn in den Raum. Dann schob er rumpelnd ein Regal vor die Tür und begann mit Hilfe eines Zaubers die Wände nach verborgener Magie zu untersuchen.
 „Sie beschattet uns, da bin ich mir sicher! Man kann in diesen Mauern keinen Schritt mehr tun, ohne von ihren ausspähenden Augen belauert zu werden!“
„Du sprichst von Lady Zia?“
„Von wem sonst?“, schnappte der Zwerg mit gewohnter Ruppigkeit.
„Bei Veiros’ Ungestüm, Borgo, was ist hier eigentlich los?! Wann hat dich die Erkenntnis ereilt, dass Bücher noch zu etwas anderem taugen als zur Morgentoilette?“
„Seit die Welt nicht mehr die ist, die sie einmal war“, brummte der Zwerg.
Der Kleriker und Waffenmeister war schon in rüstigem Alter gewesen, als Grimwardt noch ein Knappe in der Ausbildung gewesen war, doch man hatte es ihm niemals angesehen. Doch nun hatte sich auch die letzte Strähne seines knielangen Bartes grau gefärbt und ohne Rüstung offenbarte sein Rücken den Ansatz eines Buckels.
Nachdem Grimwardt ihm kurz erläutert hatte, weshalb ihm jegliche Erinnerung an die letzten zwölf Jahre fehle, begann der Zwerg zu erzählen.
„Einige Tage nach Eurem Verschwinden wurde ganz Faerûn von der Zauberpest heimgesucht. Wir alle wurden zum Opfer einer göttlichen Intrige: Angestiftet von Shar tötete Cyric, der Gott des Verrats, die Göttin Mystra. Durch ihren Tod geriet das magische Gewebe außer Kontrolle und stürzte die Welt ins Chaos. Weit im Süden, in Halrua, nahm die magische Apokalypse ihren Anfang. Dort zogen magische, zyklonenartige Wettergebilde – genannt Zauberleuchten - über das Land und zerstörten alles auf ihrem Weg. Die Welt hat sich verändert, Grimwardt; einige Landstriche verschwanden völlig, während anderswo ganze Kontinente wie aus dem Nichts auftauchten. Die Magie spielte erst verrückt; dann verschwand sie völlig. Erst seit zwölf Monaten etwa erholt sich das Gewebe langsam. In den Jahren, als das Zauberleuchten wütete, kamen viele Magier durch ihre eigene Magie um, während andere dem Wahnsinn anheim fielen. Beinahe die gesamte magische Elite der Reiche wurde ausgelöscht. Auch die Sieben Schwestern erlagen dem zerstörten Gewebe und Elminster vom Schattental zog sich in seinen Turm zurück und empfängt seit einem Jahrzehnt keine Besucher mehr. Die einzigen, die von den Pestjahren profitierten, waren die Arkanisten von Netheril.“
„Demnach wurde das Schattengewebe also von der Zauberpest verschont?“
„Nicht direkt. Shar hatte natürlich darauf spekuliert, durch Mystras Tod die Herrschaft über alle sterbliche Magie an sich zu reißen. Doch sie hatte sich verkalkuliert. Es gelang ihr nicht, die Kontrolle über das Schattengewebe zu bewahren, als Mystras Gewebe zusammenbrach. Hochprinz Telamont Thantul muss von der göttlichen Intrige gewusst haben und entging der Vernichtung seiner Stadt wie bereits zu Karsus’ Zeiten: Er versetzte ganz Umbra auf die Schattenebene. Shar konnte die Schattenmagie bändigen, ehe es dem Rest des Pantheons gelang, ein neues Magiegewebe zu erschaffen. Darum erlangten die Arkanisten von Umbra schneller als alle anderen Völker ihre magischen Fähigkeiten zurück. Das war die Chance, auf die der Hochprinz und seine elf Söhne gewartet hatten. Sie besiegten ihre alten Feinde, die Phaerimm, die sich durch die Erschütterung des Schattengewebes aus ihrem Gefängnis unter der Anauroch befreit hatten. Dann bauten sie zwei weitere der gefallenen Städte ihrer Vorfahren wieder auf und riefen das Königreich von Netheril aus. Als nächstes begann Netherils Magokrat seine imperialistischen Ziele in die Tat umzusetzen. Die Zhentarim-Söldner der Anauroch hatten sich während der Phaerimmkriege mit diesen Kreaturen verbündet, darum mussten die Zhentarim als erstes dran glauben. Außerdem war den Umbranten wohl der Einfluss Fzoul Chembryls auf die Handelswege der Anauroch lästig. Wie auch immer – die Zhentilfeste fiel fast widerstandslos und das Schwarze Netzwerk wurde zerschlagen.“
„Die Zhentarim sind geschlagen? Bei Hammer und Helm!“
„Das könnt Ihr laut sagen. Es ist dem Eingreifen der Elfenkönigin von Myth Drannor zu verdanken, dass der Mondsee nicht völlig in die Hände der Umbranten fiel. Sie stationierte ihre Truppen in der Zhentilfeste, um die Bevölkerung vor der Willkür der netheresischen Eroberer zu schützen. Allein hätte sie natürlich keine Chance gegen Telamont Tanthul, doch der Elfenhof wird von den Silbermarken, Cormyr und der Allianz der Talländer unterstützt. Es existiert ein loser Verteidigungspakt, die Westallianz. Der Hochprinz ist ein vorsichtiger Mann, der die offene Konfrontation scheut. Er ließ die Elfen gewähren und setzte stattdessen auf Handelsimperialismus. Die netheresischen Handelskompanien fassten in Sembia Fuß und kontrollierten schon bald den gesamten Würzhandel des Sternregenmeers. Heute ist Sembia nur noch ein Vasallenstaat des Wüstenimperiums – Umbras Seehafen und Tanthuls Verbindung zur Außenwelt. Die Anauroch bleibt weiter gegen normale Magie abgeschottet. Thantul gewährt keinen Ausländern Zutritt zu seinen Städten – zu groß ist seine Furcht vor Spionage. Nach Sembia wird sich sein Augenmerk nun vermutlich auf die Talländer richten: Wir liegen schließlich genau zwischen der Anauroch und Sembia – sämtliche seiner Handelskarawanen müssen hier durch. Dass die Fürsten der Täler untereinander zerstritten sind und unsere Städte keine magischen Verteidigungsschilde haben, macht uns außerdem zum verwundbarsten Mitglied der Allianz.“
„Darum hat der Herr von Umbra also Lady Zia in die Abtei eingeschleust: um die militärische Verteidigung der Talländer zu kontrollieren, ohne die Bevölkerung gegen sich aufzubringen“, brummte Grimwardt düster. Was Borgo erzähle, ließ nichts Gutes hoffen. „Welcher Teufel hat Silas geritten, dass er der Schattenhexe die Tore zur Abtei öffnete?“
„Er hat das Schlottern bekommen, unser Sir Hasenherz“, schnaubte Borgo verächtlich. „Als Ihr verschwunden bliebt, übernahm er die Leitung der Abtei. Er machte seine Sache zunächst auch ganz gut und führte Euer Freundschaftsbündnis mit den Steinschilden von Sundabar und der Schule der Natur in Myth Drannor fort - das Projekt trug dazu bei, dass das Bündnis der Talländer mit dem Elfenhof erneuert wurde. Doch Silas’ Zuversicht schwand, je mehr Netherils Macht wuchs. Er glaubt, dass die Talländer nicht zu retten sind und dass wir als Tanthuls Marionette noch die größte Überlebenschance haben. Darum nahm er Lady Zias Arbeitsgesuch an, obwohl jeder Ork erkennen kann, welches Spiel sie treibt. Gewiss hat sie bereits Kunde von Eurer Rückkehr an ihre wirklichen Dienstherren gesandt. Wundert Euch also nicht, wenn demnächst ein netheresischer Assassine bei Euch anklopft. Ohne Elminster und die Sieben Schwestern seid Ihr und Eure Gefährten die mächtigsten Verteidiger der ‚Achse des Guten’. Dazu kommt, dass Telamont Tanthul gewiss nicht vergessen hat, was mit seinem jüngsten Sohn geschehen ist…“
„Hm“, brummte Grimwardt. Hadrhune Tanthul war ein gefährlicher Gegner gewesen, doch im Gegensatz zu Telamont war er ungeduldig gewesen in seinem imperialistischen Streben und seinem Eifer, dem mächtigen Vater zu imponieren. Das hatte ihn angreifbar gemacht. Hochprinz Telamont dagegen schien Grimwardt ein kluger Stratege zu sein. Sein erster Schachzug hatte sich nicht etwa gegen Myth Drannor oder Silbrigmond, seine eigentlichen Konkurrenten, gerichtet, sondern gegen die Zhentarim: Meuchler und Schwarzkünstler, die den Westen Jahrzehnte lang terrorisiert hatten. Und was tat er dann? Er gründete Handelskompanien statt seine Position auszunutzen und über seine Feinde herzufallen und sorgte dafür, dass die Anauroch für alle Welt ein Mysterium der Schatten blieb. Vielleicht war es seine gefährlichste Waffe, dass er so wenig dem Bild des herrschsüchtigen Tyrannen entsprach. Welcher Herrscher machte nicht lieber Geschäfte mit Handelspartnern als Geld und Leben in der Schlacht zu riskieren? Freiheit war ein verzichtbares Gut, wenn man kaum merkte, wie sie einem entglitt. Sir Silas war genau wie die Herrscher von Sembia auf die Maskerade des Hochprinzen hereingefallen. Und wer sagte, dass andere nicht folgen würden?
„Wie viele von Silas’ Männern wären ihm loyal, wenn es zur Konfrontation käme?“, fragte Grimwardt.
Der Zwerg schnalzte unschlüssig mit der Zunge.
„Auf mich könnt Ihr natürlich zählen. Auch Lady Lucia ist Silas’ neuem Kurs alles andere als zugetan, aber sie hat ihm bei seinem Amtsantritt die Treue geschworen, darum würde ich nicht auf sie zählen. Diejenigen Eurer Leute, die zu laut ihren Unmut über Lady Zias Anwesenheit kundgetan haben, hat die Hexe rausgeworfen. Aber so oder so würdet Ihr mit einem Kampf riskieren, die Taliser gegen Euch aufzubringen. Sir Silas ist nicht unbeliebt in der Gegend. Viele Adlige denken wie er, müsst Ihr wissen. Und für die Bauern bedeutet Krieg nur Tod und erhöhte Steuern: Die sind um jeden froh, der ihnen beides vom Hals hält.“
„Was rätst du mir also?“
„Ihr solltet Silas zum Duell herausfordern.“
Grimwardt nickte nachdenklich in seinen Bart hinein.
Tempus’ Kriegsgesetz besagte, dass die Ehre des Heerführers dem besten Kämpfer gebührte und die Abteihierarchie war nach demselben Prinzip strukturiert. Ein Duell würde klären, wer in den Augen Tempus’ die Abtei leiten sollte. Und Silas konnte eine Herausforderung nicht ablehnen, ohne sich zum Gespött der Abtei zu machen.
Grimwardt beschloss, sofort Nägel mit Köpfen zu machen. Keine fünf Minuten später harrte er wartend in seinem alten Arbeitszimmer und betrachtete verdrossen die Medaillensammlung, um die Sir Silas die Wand über seinem Arbeitstisch bereichert hatte. Die Nagellöcher würden nie wieder rausgehen. Kurz darauf trat der Turniermeister ein.
„Morgen bei Sonnenaufgang auf dem großen Turnierplatz“, sagte der Kriegspriester ohne Umschweife.
Sir Silas seufzte ergeben, schien aber nicht sonderlich erstaunt.
„Möge der Bessere von uns beiden siegen.“
Grimwardt brummte seine Zustimmung.
„Und nun lasst uns bei einem Becher Met über die Ereignisse der letzten Jahre plaudern.“
 
Winter
Schule der Natur, Myth Drannor, wenig später.
Der zwergische Austauschschüler aus Sundabar machte ein Gesicht, als halte ihn nur seine Zwergenehre davon ab, schreiend davonzulaufen. Es war Geschichtsstunde in Nimoroths Tempelschule. Unter dem farbenfrohen Gewölbe der blühenden Frühlingsbäume saßen elfische und menschliche Schüler beisammen und während die einen aufmerksam den Worten der Lehrerin lauschten, übten sich andere mit Hingabe im Spiel Zwick-den-Zwerg. Die Lehrerin, eine Halbelfe mit goldenen Locken und einem freundlichen Grübchenlächeln, beschränkte sich lediglich auf ein paar mahnende Worte, wenn ihre Schützlinge es allzu weit trieben. Während Faust und Miu aufmerksam ihrer Lektion über den Rückzug der Elfen aus Faerûn lauschten, harrte Winter ungeduldig der Heimkehr ihres alten Mitstreiters. „Fürst Nimoroth“, wie die Halbelfe ihn betitelt hatte, war inzwischen Mitglied des Elfenrates und gerade bei einer Versammlung.
Nachdem Grimwardt seinem Konkurrenten die Duellforderung überbracht hatte, waren auch seine Freunde eingelassen worden. Winter hatte von Borgo erfahren, dass Scarlet unter Silas’ fragwürdigem Regime bereits vor zwei Jahren durchgebrannt war. „Dieser elfische Taugenichts aus Myth Drannor muss sie dazu angestiftet haben“, hatte der Zwerg gebrummt. Und wenn sie sich den lockeren Lehrstil an Nimoroths Tempelschule anschaute, fiel es Winter nicht schwer zu erraten, wer damit gemeint war: Wenn Scarlet tatsächlich mit Nimoroths Sohn Laguna durchgebrannt war, dann wusste sein Vater vielleicht, wo die beiden steckten.
Endlich erblickte Winter zwischen den Bäumen das leuchtende Fell von Nimoroths Tigergefährten. Der hochtrabende Titel schien den Waldelfen um keinen Deut verändert zu haben. Nicht einmal von den religiösen Hennazeichnungen auf seinem Oberkörper hatte er abgesehen und sein hüftlanger Haarschopf erweckte wie meistens den Anschein, als hätte er schon sämtlichen Vögeln der Cormanthorischen Wälder als Nistplatz gedient. Mit einem heiteren Lächeln reichte der Druide der alten Gefährtin beide Hände zur Begrüßung.  
„Ich wusste, dass ihr noch am Leben sein müsst, als ich vom Rückgang der seelenlosen Geburten hörte“, begrüßte er sie. „Du musst mir alles erzählen.“
„Das werde ich.“ Winters Sorgen erschienen ihr mit einem Mal leichter. Es musste an Nimoroths Gabe liegen, die Welt in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. „Aber zuerst muss ich wissen, wo meine Tochter ist.“
Nimoroth nickte – ernst, aber nicht beunruhigt.
„Scarlet ist bei Laguna, es geht ihnen gut. Aber ich kann hier nicht darüber sprechen.“
Winter fiel ein Stein vom Herzen. Nachdem er die Zauberin und ihre Begleiter in sein Haus in der Krone einer alten Eiche geführt und ihnen elfisches Gebäck angeboten hatte, fuhr Nimoroth fort.
„Die beiden haben sich den Sandfürsten angeschlossen, um die Expansionspläne der Hochfürsten zu vereiteln.“
„Sie haben was?“ Winters Erleichterung schlug schlagartig in Entsetzen um. In Grimwardts Vision waren die Hochfürsten von Umbra gegen eine „Sandfürstin“ in den Krieg gezogen. „Was soll das heißen? Und wer sind diese Sandfürsten überhaupt?“
„D’Tairig-Rebellen, die sich gegen die netheresische Fremdherrschaft auflehnen“, erklärte Nimoroth. „Ein paar idealistische Sympathisanten und ehemalige Zhent-Söldner haben sich ihnen in letzter Zeit angeschlossen. Ihre gelegentlichen Anschläge auf netheresische Handelskarawanen und Oasen-Stützpunkte sind zu unbedeutend, als dass Hochfürst Telamont sie wirklich ernst nehmen würde. Aber für die Westallianz sind sie wertvolle Informanten und im entscheidenden Moment könnten sie sich als wichtige Verbündete herausstellen. Myth Drannor unterstützt sie darum inoffiziell mit Waffenlieferungen und magischen Schutzgegenständen.“
Winter fiel aus allen Wolken.
„Nimoroth, wie kannst du zulassen, dass dein Sohn bei diesem Wahnsinn mitmacht?!“
Der Druide seufzte.
„Du hast schon Recht, die Rebellen nehmen bei ihren Anschlägen nicht selten den Tod von Unschuldigen in Kauf. Aber…“
„Nicht moralisch!“ Nimoroth war wirklich unverbesserlich. „Ich meine, wie kannst du zulassen, dass sich Laguna solchen Gefahren aussetzt? Wie alt ist er? Siebzehn?“
Der Waldelf runzelte leicht die Stirn.
„Laguna setzt sich für eine gute Sache ein, Winter, so wie ich es ihn gelehrt habe. Wieso sollte mich das mit etwas anderem als Stolz erfüllen? Sicher ist es gefährlich, was er tut. Aber diejenigen, die in dieser Welt überleben, sind jene, die sich an ihre Gefahren angepasst haben. Es wäre verantwortungslos von mir, wenn ich ihn darüber im Dunkeln ließe, denn ich werde nicht immer da sein, um ihn zu beschützen. Ich kann ihm nur helfen, die Welt in eine bessere zu verwandeln und das tue ich, indem ich im Elfenrat für die Unterstützung der Sandfürsten kämpfe.“
Winter erkannte, dass sie gegen Windmühlen anredete.
„Wie haltet Ihr den Kontakt zu den Sandfürsten?“, erkundigte sich Faust derweil. „Sind die D’Tairig nicht Nomaden?“
„Ich stehe in telepathischer Verbindung zu Laguna. Auf diese Weise können wir Treffen in der Wüste mit den Leuten von Sandfürst Zarif Abu Sayama arrangieren, wenn neue Lieferungen anstehen.“
Winter horchte auf.
„Kannst du ein solches Treffen auch für uns arrangieren? Ich habe Scarlet seit fast zwölf Jahren nicht mehr gesehen.“
Nimoroth zögerte kurz, doch dann nickte er.
„Aber nur dieses eine Mal, Winter.“
Ein Mal muss reichen, um Scarlet da raus zu holen, dachte Winter lakonisch. Wenn nötig mit Gewalt.
„Jede Kontaktaufnahme birgt ihre Gefahren. Natürlich ist Zarifs Zelle gegen Ausspähung geschützt, aber wir können nicht sicher sein, dass die Hochfürsten nicht in der Lage sind, magische Kommunikationen innerhalb des Schattengewebe-Gebiets aufzudecken.“
„Vielleicht kann Grimwardts Abtei die Sandfürsten ja ebenfalls mit Waffenlieferungen unterstützen“, warf Faust ein. „Vermutlich wären die D’Tairig uns freundlicher gesonnen, wenn wir Geschenke mitbringen.“
„Dann ist die Abtei des Schwertes also wieder… ähm…“
„Von Ungeziefer befreit? Noch nicht, aber bald“, erklärte Faust zuversichtlich.
„Gut.“ Nimoroth nickte. „Ich gebe euch Bescheid, sobald Zeit und Treffpunkt feststehen. Richtet euch auf etwa einen Monat ein.“
Faust sah aus dem Fenster und rieb sich grübelnd das stoppelige Kinn.
„Genug Zeit, um etwas zu tun, das ich schon vor Langem hätte tun sollen….“

Faust
Am späten Nachmittag in Rabenklippe am Drachengriff.
„Ich wusste gar nicht, dass du noch Familie hier hast“, sagte Winter belustigt, während sie den alten Mann am Arm durch das Villenviertel von Rabenklippe führte. Miu war bei Nimoroth in Myth Drannor geblieben.
„Es gibt auch so einiges, was ich von dir nicht weiß, Mädchen“, tatterte Faust seiner Rolle gerecht. Bei jedem Schritt spürte er die Gischt in seinen Knochen und sein rasselnder Atem sagte ihm, dass seine Lungen es auch nicht mehr lange machen würden. Die Alterungsfunktion war mit Abstand die gruseligste der Fähigkeiten, die er seiner neuen Tätowierung bisher entlockt hatte, und sie warf brennende Fragen auf: Wenn er zu jedem Punkt seiner körperlichen Entwicklung vor- oder zurückspulen konnte, bedeutete dies, dass er nicht mehr altern würde, wenn er seinen Körper einfach jeden Abend um einen Tag in die Vergangenheit „teleportierte“? Wie dem auch sein, im Moment kamen ihm die schmächtigen Greisenbeine durchaus gelegen. Immerhin war es nicht auszuschließen, dass er hier einem der Neun Schwerter über den Weg lief, doch dass seine Häscher ihn als achtzigjährigen Tattergreises erkennen würden, war mehr als unwahrscheinlich.
Fausts Heimatstadt war auf einer gewölbten Klippe über dem Drachengriff erbaut, sodass es von fern aussah, als harre sie auf einem Rabenschnabel, von dem sie jeden Moment ins Meer abzurutschen drohte. So tollkühn wie ihre Lage waren auch Rabenklippes Bewohner. „Exzentrisch“, sagten die Romantiker, „am Rande des Wahnsinns“, behaupteten die Spötter. Vielleicht war das der Grund, weshalb es so viele ehemalige Abenteurer in die Stadt am Drachengriff zog. Keine andere Stadt an der See des Sternregens konnte mit so vielen verfeindeten Ritterorden, Diebesgilden und Glaubenszirkeln aufwarten wie Rabenklippe und nirgendwo glich ein nächtlicher Spaziergang so sehr einem Selbstmordversuch wie hier. Doch ungeachtet ihrer inneren Unruhen war Rabenklippe in ihrer langen Geschichte von allen politischen Umwälzungen verschont geblieben, denn nicht einmal der expansionswütigste Tyrann war so größenwahnsinnig, sich mit einer Stadt voller streitbarer Abenteurer anzulegen.
Die MacLancastors hatten ihren Familiensitz im Ostviertel der Stadt, in dem rund um die Uhr Wachen patrouillierten, die Rabenklippes Straßengesindel von den Stadtpalais’ fernhielten. Ein Dienstmädchen empfing Winter und Faust, der wieder seine normale Gestalt angenommen hatte. Fausts Name sagte ihr nichts, darum bat sie die beiden in die Empfangshalle und eilte davon, um die unerwarteten Gäste anzukündigen.
„Faust!“ Winter klatschte entzückt in die Hände, als sie all die Büsten und Gemälde erblickte. „Du hast vergessen zu erwähnen, dass deine Familie reich ist!“
„Mein Stiefvater ist reich“, erwiderte Faust achselzuckend. „Meine Mutter stammt aus eher ärmlichen Verhältnissen.“
Es war eigenartig wieder hier zu sein. Der Ort roch nach zerbrochenen Vasen und schallenden Ohrfeigen.
„Du solltest dir dein Erbe ausbezahlen lassen“, bemerkte die Heiratsschwindlerin mit beiläufigem Kalkül, während sie ihre Finger über einen silbernen Kandelaber gleiten ließ.
Faust warf ihr einen befremdeten Blick zu.
„Ich habe meine Mutter seit 22 Jahren nicht gesehen“, sagte er. „Soll ich sie etwa mit den Worten ‚Wo ist mein Geld?’ begrüßen? Außerdem bezweifle ich, dass mein Stiefvater das Wort ‚Erbe’ je in Zusammenhang mit meinem Namen verwendet hat. Neben mir und meiner Schwester hat er noch sechs leibliche Söhne, die in der Erbfolge vor mir kommen.“
Winter zuckte mit den Schultern.
„Dann nimm dir einfach, was dir zusteht“, schlug sie vor und ihre Gesten unterstrichen das Unausgesprochene.
 „Mann“, sagte Faust fassungslos. „Da hab’ ja selbst ich ein größeres Ehrgefühl.“
Sie zog unbeeindruckt eine Augenbraue in die Höhe.
„Sechs Brüder, sagst du? Sind die verheiratet?“
Faust blieb ihr die Antwort schuldig, denn in diesem Moment kehrte das Dienstmädchen zurück, um ihn zur Dame des Hauses zu geleiten.
Lady Helena MacLancastor erwartete ihn in der Bibliothek. In ihrer Jugend war sie eine Schönheit gewesen. Nicht so sehr, weil ihre Lippen weicher oder ihre Taille schlanker gewesen wären als die anderer junger Frauen, sondern wegen der unbeugsamen Würde, die sie ausstrahlte. Diese Würde hatte sie sich bewahrt und sie hielt sie auch im stattlichen Alter von sechzig Jahren noch kerzengerade in ihrem Lesesessel. Ihre Haltung strahlte eine gewisse zynische Nüchternheit aus, die durch ihre schlichte schwarze Trauerkleidung noch betont wurde.
„Desmond“, sagte sie so unbewegt als begrüße sie ihren Stallmeister und nicht einen zwei Jahrzehnte lang verschollenen Sohn. „Ich dachte schon, das Mädchen hätte sich verhört.“
„Ich freue mich auch, dich zu sehen, Mutter“, erwiderte Faust ihren Sarkasmus. „Wie ich sehe, hast du einen Verlust zu beklagen.“
„Keine falschen Mitleidsbekundungen.“
„Nur eine Feststellung.“
Faust war tatsächlich nicht allzu betrübt über das Dahinscheiden seines Stiefvaters. Lord MacLancastor hatte ihn und seine Schwester nur adoptiert, weil Helena dieser Ehe sonst nie zugestimmt hätte, doch er hatte sie bei jeder Gelegenheit spüren lassen, dass sie den Namen MacLancastor in seinen Augen nicht verdient hatten. Seine Mutter hatte es für sie getan, wusste Faust – um ihnen die Schande zu ersparen, als Bastarde aufzuwachsen…. und wohl auch deshalb, weil sie nach dem Verschwinden seines Vaters befunden hatte, dass es sich mit gebrochenem Herzen reich besser leben ließ als arm. Und wie nicht anders zu erwarten hatte sie die Rolle der gelangweilten Aristokratin zur Perfektion gebracht.
„Tee?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ Lady Helena das Dienstmädchen mit zwei Teegedecken anrücken und für eine Weile war nur ein dezentes Schlürfen zu hören. Als Faust feststellte, dass er bereits angefangen hatte, die Titel der Buchrücken zu lesen, um das bedrückende Schweigen mit Worten zu füllen, erkannte er, dass es höchste Zeit war, irgendetwas zu sagen.
„Und? In letzter Zeit etwas von meiner Schwester gehört?“
Lady Helena vermochte selbst die unverfänglichste Frage in eine Spitze zu verwandeln: „Lass mich nachdenken. Ihr letzter Brief aus Narbental-Stadt erreichte mich vor etwa einem Jahr. ‚Geht es gut, Claire’. Offenbar bin ich ihr nicht einmal ein Pronomen wert. Aber ich sollte mich glücklich schätzen. Vier Worte pro Jahr sind besser als zweiundzwanzig Jahre stumme Ungewissheit, meinst du nicht?“
„Autsch.“ Alles klar. Sie würde es ihm nicht leicht machen. Und er kannte nur ein Mittel gegen süffisante Dünkelhaftigkeit – schonungslose Ehrlichkeit. „Ich hatte ja vor mich eher zu melden. Aber der Orden war mir auf den Fersen, weil ich einen von denen abgemurkst hatte. Dann kamen die Nebel und ich verlor mein Gedächtnis, dich eingeschlossen. Tja, und dann musste ich ein paar Mal die Welt retten und wegen der Zauberpest saß ich fast zwölf Jahre im Zeitstrom fest.“
Beherrscht führte seine Mutter ihren Tee zum Mund, um seinen Worten Zeit zu geben, ihren aufmüpfigen Nachklang zu entfalten, bis sie selbst in seinen Ohren wie das störrische Ausrede eines jugendlichen Ausreißers klangen.
Verdammt, sie kennt mich gut.
„Und? Hatte er es verdient?“, fragte sie schließlich. „Der Mann, den du ‚abgemurkst’ hast?“
„Nicht wirklich“, gab Faust zu. „Er… hat sich abfällig über Vater geäußert.“
Zum ersten Mal stahl sich der Anflug eines Lächelns in ihre Augen.
„Dann hatte er es vielleicht doch verdient.“
„Glaubst du das wirklich?“ Faust sah seiner Mutter fest in die Augen. „War Vater wirklich so ein Held?“
„Was hast du gehört, das dich daran zweifeln lässt?“
Er erzählte ihr von den Anschuldigungen, die Thallastam gegen seinen Vater vorgebracht hatte: dass er seine Freunde verraten und seine Seele an einen Teufel verkauft hatte.
Lady Helena schwieg lange und schien in eine Vergangenheit zu blicken, an die Faust sich nicht erinnern konnte. Als sie endlich sprach, war aller Spott aus ihrer Stimme verschwunden: „Er war sicher kein Lamm, dein Vater. Aber ist die Geschichte nicht voll von Männern, die schwere Entscheidungen getroffen haben, um… wie nennst du es… die Welt zu retten?“
Faust sah auf. Ihr unumstößlicher Glaube an den Mann, der sie verlassen hatte, gab ihm Hoffnung … Vielleicht hatte sein Vater einen guten Grund gehabt. Vielleicht war die Wahrheit noch nie erzählt worden…
Lady Helena erhob sich, bevor die Stimmung ins Sentimentale umschlagen konnte.
„Zeit fürs Abendessen“, kündigte sie an. „Vielleicht willst du mir ja nun endlich deine Begleiterin vorstellen, die du so unschicklich in der Empfangshalle hast warten lassen.“
Wenige Minuten später saßen sie zusammen mit Winter um den großen Tisch im Esssaal. Fausts Mutter schien eine diabolische Freude am Herumscheuchen von Dienstpersonal entwickelt zu haben – offenbar hatte sie vergessen, dass sie einst selbst zur Dienerschaft dieses Hauses gezählt hatte – und Winter kam aus dem schwärmerischen Beschreiben von Möbeln und Kunstgegenständen gar nicht mehr heraus. Der Umstand, dass die beiden Frauen sich offenkundig prächtig verstanden, verursachte leichtes Magengrummeln bei Faust. Und das grüne, schwabbelige und vermutlich sündhaft teure Ding, das in seiner Suppe schwamm, machte die Sache nicht besser.
„Denkst du nicht auch, Desmond?“
Faust fuhr zusammen.
„Hm? Ich war gerade zu beschäftigt mit dem grünen schwabbeligen Ding in meiner Suppe.“
„Naganiere“, erklärte Lady Helena unbeeindruckt. „Winter erzählte mir gerade, dass du kürzlich den Bund für Leben geschlossen hast. Es kam dir nicht zufällig in den Sinn, dass ich mich freuen würde, meine Schwiegertochter kennenzulernen?"
Er warf Winter einen bitterbösen Blick zu, den seine Gefährtin mit einem koketten Grinsen erwiderte.
„Ich bin nicht verheiratet“, knurrte er. „Wenn ich jedes Mal ein Gelübde abgelegt hätte, wenn eine Scheiß-Welle über meinem Kopf zusammengebrochen wäre, dann wäre ich schon in Ehefrauen ertrunken. Es war ein Versehen – ein missverstandenes Inselvolk-Ritual, weiter nichts.“
„Du hast also unfreiwillig geheiratet.“
Irgendwie brachte sie es fertig, alles als lächerlich hinzustellen, was er sagte.
„Was ist mit Euch?“, wandte sie sich an Winter. „Seid Ihr vergeben?“
Winter dachte fieberhaft nach. Offenbar wurde ihr gerade bewusst, dass sie keinen blassen Schimmer hatte, was mit dem Piratenkapitän geschehen war, den sie sich zuletzt geangelt hatte.
Schließlich entschied sie sich für: „Ich denke nicht. Mein letzter Ehemann kam vermutlich während der Zauberpest ums Leben.“
„Der letzte? Dann war er nicht der erste? Was ist mit den anderen passiert?“
Jetzt war es an Faust zu grinsen.
„Mein… äh… mein vorletzter Ehemann kam ebenfalls ums Leben.“
„Oh“, sagte Lady Helena amüsiert. „Hörst du das, Desmond. Wenn du das nächste Mal unfreiwillig heiratest, solltest du Acht geben, dass Winter nicht deine Braut ist.“
„Das werde ich, keine Sorge.“
„Dann lasst uns anstoßen.“ Sie erhob ihr Glas. „Auf tote und unerwünschte Ehegatten!“

Grimwardt
Abtei des Schwertes, am nächsten Morgen.
Keuchend hielt sich Sir Silas mit dem Eisenhandschuh an der Umzäumung des Übungsplatzes fest und Grimwardt konnte aus den Augenwinkeln erkennen, wie sich die Lippen des Verwundeten im stummen Gebet bewegten. Während Grimwardt zum nächsten Hieb ansetzte, sammelte der Ritter noch einmal all seine Kraft und stieß sich mit einem Kapfesruf von der Umzäumung ab. Er bewegte sich schnell und sein Schwerthieb war auf die ungeschützte Armhöhle des heranstürmenden Gegners gezielt. Doch in diesem Moment trafen sich die ersten Sonnenstrahlen im Eisenblatt der erhobenen Streitaxt des Kriegspriesters. Geblendet verfehlte Sir Silas seinen Gegner. Beinahe im selben Augenblick krachte Grimwardts Streitaxt gegen seinen Schwertarm und brach ihm den Unterarm. Seine Waffe fiel klirrend in den Staub. Im nächsten Moment ließ ein Kniehieb in die Magengrube den Ritter zusammenbrechen.
„Ich… erkenne Euren Sieg an“, winselte der Besiegte mit schmerzverzerrter Grimasse. „Tempus hat entschieden: Ihr seid… Priestergeneral der… Abtei.“
Grimwardt beugte sich mit einem zufriedenen Grummeln zu ihm herab und legte ihm die Hand auf den gebrochenen Arm, um den Bruch zu heilen. Dann half er dem Besiegten auf die Füße. Sein Blick glitt zu einem der Fenster im zweiten Stock des Hauptgebäudes, doch Lady Zia, die den Kampf aus sicherer Entfernung beobachtet hatte, war verschwunden.
Lass dich hier bloß nie wieder blicken, dachte der Priester düster.  
Dann fiel ihm auf, dass etwas nicht stimmte. Wieso war es so still? Die Kunde vom Zweikampf zwischen dem alten und dem neuen Priestergeneral hatte sich natürlich wie ein Lauffeuer herumgesprochen und niemand in der Abtei schien an diesem diesigen Frühlingsmorgen etwas Besseres zu tun zu haben als um den Übungsplatz herumzustehen und die Kämpfenden zu begaffen. So sehr sich Grimwardt auch über die lasche Arbeitsmoral ärgerte, die sich unter Sir Silas’ Leitung in den Abteialltag geschlichen hatte, so seltsam erschien es ihm doch, dass der lästige Applaus, der für gewöhnlich auf ein Duell folgte, ausblieb. Und das Licht! War das wirklich die aufgehende Morgensonne, die so hell erstrahlte, dass sie alle Umstehenden blendete?
Plötzlich ging ein Raunen durch die Menge und einer nach dem anderen fiel auf die Knie. Sir Silas war der erste, der, den Blick auf etwas hinter Grimwardt gerichtet, einen heißeren Schrei ausstieß und dann zu Boden sank, und alle anderen taten es ihm gleich, bis Grimwardt der einzige war, der noch stand. Selbst Faust, der das Bein für gewöhnlich vor nichts und niemandem neigte, sank – wenn auch nicht ganz freiwillig, wie es Grimwardt schien – in eine tiefe Reverenz.
Der Priester wandte sich um: Die Gestalt bewegte sich schweren, metallenen Schrittes von Norden her auf die Abtei zu. Nichts in ihrem Weg, weder die Bäume noch die Wehrmauer, konnte ihren Trott bremsen – selbst der Wald und die Steine wichen voller Ehrfurcht vor ihr zurück. Sogar die Gesetze der Perspektive schienen für sie nicht zu gelten, denn sie wurde kleiner statt größer, je näher sie kam: Als sie am Waldrand auftauchte, überragte sie noch die Baumwipfel, doch als sie schließlich ihr Schild neben Grimwardt in den Boden rammte, befanden sie sich auf Augenhöhe. Der schwer gepanzerte Kämpe riss sich den Helm vom Kopf: Eine dichte, schwarze Mähne fiel auf seine Schultern hinab und umrahmte ein Gesicht, das so von Narben entstellt war, dass es der Kraterlandschaft von Kriegersruh glich. Und aus dieser Kraterlandschaft blickten zwei stahlblaue Augen geradewegs in Grimwardts Seele.
Sein Herzschlag setzte aus und er verlor den Boden unter den Füßen.
Er hat den Helm abgenommen! Er hat mich in sein Gesicht blicken lassen!
„Erhebe dich, Grimwardt Fedaykin.“
Seine Beine gehorchten, während er noch in einem Rausch aus Ehrfurcht und banger Erwartung gefangen war.
„Grimwardt Fedaykin“, sagte Tempus mit einer Stimme, die schon ganze Landstriche zerklüftet hatte. „Du bist der treuste und mächtigste meiner Diener, die derzeit auf Faerûn wandeln. Die Welt hat sich verändert in den Jahren, in denen du im Strom der Zeit gefangen warst. Die Zuversicht in die Götter schwindet seit Mytras Tod. Die Auserwählten der Götter, ob gut oder böse, haben diese Welt verlassen. Die Zeit ist gekommen für neue Helden, um die Geschichte Faeruns zu formen. Du wirst einer dieser Helden sein. Ich will dich zu meinem Auserwählten machen und einen Teil meiner Göttlichkeit auf dich übertragen. Doch mein Geschenk kann auch zum Fluch werden. Mein Ruhm wird deiner sein, doch sollte ich vernichtet werden, so wirst du mit mir fallen und das Schicksal der Sieben Schwestern teilen. Ich frage dich darum: Grimwardt Fedaykin, Priestergeneral der Abtei des Schwertes, bist du bereit mein Gesandter auf Erden sein, sodass deine Entscheidungen zu meinen werden, dein Ruhm zu meinem und deine Niederlagen zu meinen?“
Wenn ich in diesem Moment sterben würde, ich würde es nicht einmal merken, war der einzige Gedanke, zu dem Grimwardt fähig war.
Doch er sagte mit fester Stimme: „Ja, Herr, ich bin bereit. Und ich werde Euch nicht enttäuschen.“
„So sei es.“
Tempus legte ihm die Hand auf die Schulter und Grimwardt spürte, wie die Berührung sein ganzes Wesen erfüllte und etwas Göttliches von ihm Besitz ergriff, das ihn auf alle Zeit mit dem Gott verband. Er keuchte auf.
Als er die Augen öffnete, war Tempus verschwunden. Kein Lüftchen rührte sich und niemand regte sich. Starre, ehrfurchtsvolle Blicke waren auf Grimwardt gerichtet.
„Aber…“, durchbrach in diesem Moment Fausts irritierter Einspruch die Stille. „Ich bin der Auserwählte!“
Das löste die Anspannung. Irgendwer verpasste dem Querkopf einen Schlag in die Rippen und tosender Jubel brandete auf.
„Was kniet ihr hier alle im Staub?“, knurrte Grimwardt, als der Rummel sich ein wenig gelegt hatte. „Los, zurück an die Arbeit, aber plötzlich!“


Nightmoon

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #168 am: 22. Dezember 2010, 02:42:48 »
Hihi! Seeeeeehr cool! Hätte nicht gedacht, dass du daraus so viel machen kannst! Echt, toller Beginn. Und auch die "Achse des Guten" taucht auf!  :wink:
Lustiger Weise könnte sogar das nächste Buch mit Drake anfangen, fällt mir grade auf...
Bin gespannt auf mehr!

Winter

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #169 am: 22. Dezember 2010, 21:53:50 »
Boah, Wahnsinn, ist das gut geworden!!!

Ich musste hier im Drake-Prolog lachen:
"Selbst durch vier geteilt, brachte die Plünderung eines Drachenhorts noch mehr ein als er in einem Monat verdienen konnte."
Der Gedanke, dass ein durchschnittlicher Drachenhort gute vier Drake-Monatsgehälter beinhaltet...*ggg*

Nightmoon

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #170 am: 22. Dezember 2010, 23:14:24 »
Ja, haben ja jetzt ein paar Drachennamen und grobe Richtungen herausbekommen  :twisted:
Mir ist gerade die (bewusste oder unbewusste) Parallele zum Irakkrieg und so aufgefallen. Andererseits liest man das natürlich in sehr viele Sachen rein. (vor ner Woche noch in Geschichte auf 300 angewandt)

Niobe

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #171 am: 23. Dezember 2010, 14:47:51 »
Naja, ist halt so allgemein einer "flag follows trade" Strategie nachempfunden: Staaten durch Handelsdominanz so abhängig machen, dass die politische Übernahme (ob tatsächlich oder inoffiziell) nur noch ne Formsache ist. Aber durch das Setting und die Sandfürsten hats natürlich wirklich viel vom Irakkrieg ;-)

Winter

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #172 am: 27. Dezember 2010, 17:16:17 »
Ich freu mich schon auf mehr... :)

Nightmoon

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #173 am: 05. Januar 2011, 02:58:54 »
Oh ja... dann gehts jetzt bald ab in die Wüste, hm? Oder kam da noch was dazwischen? Die Abenteuer von Grimmi in Rabenklippe kamen doch danach...

Nightmoon

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #174 am: 09. Januar 2011, 21:41:29 »
Kann ich mir ne Fortsetzung der Geschichte schonmal zum Geburtstag wünschen? ;)

Niobe

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #175 am: 10. Januar 2011, 02:26:36 »
Also dann: Alles Gute zum Geburtstag, Nightmoon  :)

Kapitel II: Seelenmelodie  

Winter

Vier Wochen später im Nordosten der Anauroch.  

Sie weiß, was geschehen wird, doch sie kann es nicht aufhalten. Sie folgt dem Handlungsfaden ihrer Vision wie eine Marionette. Die Kämpfenden sind gesichtslose Schatten im Sand, der Schlachtenlärm ein verschwommenes Hintergrundrauschen. Ihr Blick findet Scarlets roten Haarschopf und sie ruft ihren Namen. Ihre Tochter wendet sich um - im selben Moment, als aus der entgegengesetzten Richtung der schwarze Reiter heranrast und sein Schwert stoßbereit über die Schulter hebt.
„Winter!“
Keuchend fährt Winter herum. Die plötzliche Bewegung reißt sie aus ihrer Vision. Blinzelnd blickt sie sich um: Sie steht in Desayeus‘ Spiegelsaal. Dorien harrt neben ihr, den Blick starr auf die Bilderfolge im Spiegelglas gerichtet. Die Schatten ihrer Vision huschen über sein Gesicht wie Schlangen aus rotem und gelbem Licht.
„Du musst etwas tun“, sagt er tonlos. „Sie ist unsere Tochter.“
„Ich kann nicht“, erwidert sie hilflos. „Nicht ohne Magie…“
Abrupt wendet er ihr den Blick zu.
„Sieh hin“, fordert er.
Sie schließt kurz die Augen, dann zwingt sie ihren Blick zurück auf die Bilder im Spiegel. Ihr zukünftiges Ich rennt auf Scarlet zu, wie Dutzende Male zuvor. Doch diesmal ist etwas anders als sonst. Sie ist schneller als zuvor und erreicht ihre Tochter einen Lidschlag eher. Als das schwarze Schwert auf Scarlet niederfährt, murmelt sie einen Zauber und Mutter und Tochter verschwinden und tauchen an einem fernen Strand wieder auf. Als Scarlet sich zu ihrer Retterin umdreht, wendet diese den Kopf ab… und Winter blickt in zwei schwarze, pupillenlose Augen.

Schweißgebadet fuhr Winter aus dem Schlaf. Es war nicht der erste Traum dieser Art seit sie die Wüste betreten hatten.... Vorsichtig, um Miu nicht zu wecken, die eingeigelt neben ihr schlummerte, hob sie die Zeltöffnung an und kletterte ins Freie.
„Du bist zu früh“, bemerkte Faust, der vor dem Männerzelt Wache hielt und sein Schwert wetzte.
„Geh ruhig...“, murmelte sie. „Ich kann ohnehin nicht wieder einschlafen.“
Offenbar hatte sie nicht ganz das Zittern aus ihrer Stimme bannen können, denn Faust hielt in seiner Arbeit inne und hob stirnrunzelnd den Kopf. „Alles in Ordnung?“
Sie nickte matt. „Nur schlecht geträumt.“
Er begriff, dass sie allein sein wollte, und verzog sich in sein Zelt.
Winter stützte den Kopf auf die Knie und versuchte sich auf die Stille der Wüstennacht zu konzentrieren, um das Hämmern in ihrer Brust zu beruhigen. Jenseits des Lichtkegels, den das Lagerfeuer warf, war die Nacht rabenschwarz - schwärzer als Winter sie in Erinnerung hatte. Für gewöhnlich verlieh ihr magischer Blick ihr die Fähigkeit im Dunkeln zu sehen. Doch nicht hier in der Wüste, wo das magische Gewebe zu beschädigt war und die Schattenmagie der Umbranten jede andere Form von Magie unterdrückte. 
Blind, dachte Winter. Hier bin ich eine Blinde.
Es war nicht gerecht! Ihre Magie war Teil ihres Wesens - dieser magielose Ort nahm ihr die Seele! Faust hatte sein Schwert und sein Glück, Grimwardt seine Axt und seinen Glauben und Miu ihr Vertrauen in ihre Mission, aber sie… sie war nichts an diesem Ort. Und ausgerechnet hier würde sich ihr Schicksal – ihres und das ihrer Tochter – entscheiden. Der Gedanke erfüllte sie mit ohnmächtigem Zorn.
Heimlich, ohne das Wissen ihrer Freunde, hatte sie versucht, das Schattengewebe anzuzapfen. Sie spürte seine Präsenz instinktiv, so wie sie Mystras Gewebe immer gespürt hatte, doch wann immer sie sich auf die Strukturen des Schattengewebes zu konzentrieren versuchte, verwirrten sich ihre Gedanken, zogen sie tiefer und tiefer in einen Strudel der Trugbilder und Illusionen. Und dann waren da die Träume… Shars Art, ihr das unbefugte Eindringen in ihr Schaffenswerk heimzuzahlen. Doch sie konnte sich nicht Shar verschreiben. Lange hatte sie geglaubt, es sei ihre Abscheu vor dem, wofür die Göttin der Finsternis stand, der sie daran hinderte. Doch das stimmte nicht, erkannte sie nun. Schon dadurch, dass die Göttin ihr den Schlüssel zum Schattengewebe verwehrte, beschnitt sie die Macht, die Winter für sich beanspruchte. Es war ihr Verdienst, ihre Magie… Shar hatte keinen Anteil daran. 
Plötzlich spürte sie, dass sie nicht mehr allein war. Ein menschlicher Schatten hatte sich lautlos in das tanzende Muster gestohlen, das die flackernden Flammen auf den Sandboden malten. Ein Umbrant! Winter sprang auf, doch ehe sie einen Warnruf ausstoßen konnte, trat der Fremde ins Licht. Behutsam, ohne Hast, hob er die Hände zum Zeichen, dass er unbewaffnet war. 
„Nicht, Winter“, sagte er ruhig. „Ich bin hier, weil ich mit Euch sprechen will.“
Ihre erste Einschätzung bestätigte sich nicht: Der Fremde hatte weder die gräuliche Haut noch die glühenden Augen eines Umbranten. Er war breitschultrig und groß, größer als die Bewohner Netherils, und hatte schwarzes, schulterlanges Haar, das sich am Ansatz leicht keilförmig in seine Stirn fraß. An den Seiten zogen sich silberne Strähnen durch sein Haar, die ihm Autorität verliehen, ohne ihn alt wirken zu lassen. Der Lichtschein, der unruhig in seinen Augen tanzte, bildete einen seltsamen Kontrast zu der bedächtigen Gelassenheit, die er ausstrahlte. Etwas Gefährliches, Rastloses lag in diesem Kontrast, fand Winter, ohne dass sie hätte sagen können, ob es einschüchternd oder einnehmend auf sie wirkte.
„Wer seid Ihr?“, hörte sie sich selbst fragen.
Sie wusste, es wäre klüger gewesen, seine Beteuerung zu ignorieren und die anderen zu wecken. Wer sagte, dass er nicht ein Schattenmagier in Verkleidung war? Wie, wenn nicht durch Magie, sollte er sie gefunden haben und hierher gelangt sein, mitten in die Sandwüste, ohne Reittier und Ausrüstung? Doch das, was sie misstrauisch stimmte – sein mysteriöses Auftauchen, die Aura des Machtvollen – war zugleich das, was ihre Neugier weckte.
„Mein Name würde Euch nichts sagen“, sprach der Fremde. „Aber seid versichert, dass ich weder Netheril noch der Schattengöttin diene. Ich beobachtete Euch und Eure Gefährten schon seit langem, denn ich… nun, sagen wir, ich habe ein besonderes Interesse am Wohlergehen dieser Gemeinschaft.“ Sein Blick glitt zu den beiden Zelten und ein eigenartig hartes Lächeln ließ seinen rechten Mundwinkel zucken.
„Was meint Ihr damit? Welche Art von Interesse?“
Statt zu antworten, musterte er sie lange und eindringlich, ehe er sagte: „Eure Träume sind düster in letzter Zeit. Die Unbeständigkeit der Magie bereitet Euch Angst. Ich bin hier, um Euch ein Geheimnis zu verraten, dass Eure Sorgen mindern kann… wenn Ihr es hören wollt.“
Argwöhnisch zog sie die Schultern hoch. „Zu welchem Preis?“
Wieder dieses unheimliche Zucken in seinem rechten Mundwinkel. „Den Preis bestimme nicht ich, Winter…“ Er trat näher ans Feuer. „Das Schattengewebe ist nur ein Medium, das es den Göttern ermöglicht, sterbliche Magie unter Kontrolle zu halten. Wir können uns dieser Kontrolle nicht entziehen, aber wir sind frei, was die Wahl des Mediums betrifft. Gewebe und Schattengewebe sind nicht die einzigen magischen Netzwerke. Es gibt andere Wege, Magie zu kanalisieren.“
„Wovon sprecht ihr?“
„Seelen“, sagte er an die Flammen gewandt. „Seelenmagie ist eine Art von Magie, die mit der Schattenmagie verwandt ist. Richtig angewandt ist sie mächtiger als Gewebemagie, weil die Götter wenig Einfluss darauf haben, aber sie erfordert auch größere Opfer. Es ist nicht ungefährlich, Seelen von den Göttern zu stehlen, denn wer einmal von dieser Macht gekostet hat, findet es für gewöhnlich schwer, ihr zu wiederstehen. Und maßloser Seelenverzehr kann dazu führen, dass sich die eigene Seele… verändert.“
„Seelenverzehr…“ Winter schluckte. Plötzlich war ihr Mund staubtrocken. „Wie…?“
„Wollt Ihr es wissen?“ Er hob den Kopf und sah sie unverwandt an. „Dann kommt mit.“
Zaudernd blickte sie auf die ausgestreckte Hand, die der Fremde ihr darbot.
Seelenverzehr, die Götter bestehlen…. Sie wusste, dieses ungeheuerliche Angebot, vorgetragen mit solch unverhüllter Kaltblütigkeit, hätte sie erschüttern oder abstoßen sollen. Doch ein Teil ihres Wesens – jener Teil, der heimlich frohlockte, wenn ihre Zauber das Leben aus den Körpern ihrer Gegner saugten – erzitterte bei dem Gedanken an die Macht, die das Angebot des Fremden verhieß.
Meine Seele HAT sich bereits verändert - unwiederbringlich.
„Wartet“, sagte sie mit belegter Stimme.
Während der Fremde zurück in den Schatten glitt, weckte sie Miu und wies sie an, ihre Nachtwache zu übernehmen. Ohne auf den verdatterten Blick der Ordensschwester einzugehen, entschwand sie ebenfalls in die Nacht.
Der Fremde teleportierte mit Winter auf ein windgepeitschtes Hochplateau. Die Steine unter ihren Füßen waren scharfgeschliffen vom Wind und der Neumond enthüllte wage die Umrisse von drei kegelförmigen Felsen, die vor ihr aus dem Boden stachen. Zwischen den Felsen fand der Fremde den Eingang zu einer windgeschützten Schlucht. Etwa in der Mitte des Engpasses lagerte eine Gruppe von Strauchdieben. Nach dem Untergang der Zhentarim hatten sich viele ehemalige Zhent-Söldner zu Räuberbanden zusammengeschlossen, die von Karawanenüberfällen lebten und sich bei Anbruch der Dunkelheit in das Höhlenlabyrinth auf der Ebene der Stehenden Steine zurückzogen. Geschützt durch einen Unsichtbarkeitszauber harrten Winter und ihr Begleiter am Eingang der Schlucht und lauschten dem rauen Gelächter der angetrunkenen Banditen. Als sich einer der Männer von der Gruppe entfernte, weil er austreten musste, schnellte der Seelenmagier plötzlich vor. Ein einziger präzise ausgeführter Schlag in den Nacken ließ den Mann besinnungslos in seine Arme sinken.
„Die Seele eines Sterblichen ist unantastbar, selbst für die Götter“, erklärte der Fremde, nachdem er sein Opfer in eine Felsnische geschleift hatte. „Sie verbirgt sich im Schatten ihres Körpers – darum ist der Schatten die Schnittstelle zwischen Schatten- und Seelenmagie. Wenn ihr Träger an der Schwelle zum Tod steht, ist die Seele für die Dauer seines letzten Herzschlags orientierungslos und wird sichtbar… oder vielmehr hörbar. Und in diesem winzigen Augenblick ist es möglich sie zu binden.“ Er murmelte einen magischen Befehl und eine kleine Flamme erschien in seiner Hand und warf flackernd drei Schatten an die Felswand. Dann zückte er einen Dolch und hielt ihn Winter mit dem Griff zuvorderst hin. „Töte ihn.“
Ohne zu zögern griff sie nach der Waffe und drückte sie dem Bewusstlosen an die Kehle.
„Nicht so schnell“, hielt der Fremde sie zurück. „Sonst verpasst du den Moment. Konzentrier dich auf seinen Schatten. Wenn du seine Seelenmelodie hörst, ist es soweit. Dann trink seinen Schatten!“
Sie hob irritiert den Kopf. „Wie…?“
Wieder zuckte sein rechter Mundwinkel, doch diesmal war das Ergebnis ein beinahe sanftes Schmunzeln. „Du wirst schon sehen…“
Als sie ihrem Opfer den Dolch in die Brust stieß, gab sie Acht nicht das Herz zu treffen, damit der Tod nicht zu schnell kam. Er riss die Augen auf und stieß ein ersticktes Röcheln aus – halb zornig, halb panisch -  doch sie achtete nicht darauf. Eine betäubende Ruhe hatte Besitz von ihr ergriffen, die sie alle Empfindungen ausblenden ließ, bis sie nur noch das Pochen seines sterbenden Herzens vernahm. Als die Abstände zwischen den Herzschlägen kürzer wurden, wurde das Pochen von einem anderen Geräusch überlagert. Es erinnerte sie an das Geläut der Seelenfrüchte in der Bastion der ungeborenen Seelen, nur viel zaghafter, fast scheu. Es war wunderschön und es schien aus der Richtung des Schattens zu kommen, der schemenhaft und dreifach vergrößert über die Felswand kroch. Plötzlich ergriff sie ein düsteres, zügelloses Verlangen – sie musste dieses Klangs, dieser Seelenmelodie, habhaft werden! Etwas, das wie ein inhalierendes Zischen klang, brodelte in ihrer Kehle.  Der Schatten floss aus der Wand in ihre Augen und hinter ihrer Stirn explodierte die Wüste in einem Feuerwerk aus Farben, die sie nur aus Träumen kannte. Sie hatte nicht gewusst, dass die Nacht so bunt sein konnte! Es waren die Farben der Magie, die Zellstrukturen des Schattengewebes. Die Magie durchströmte ihren Körper wie ein wohltuender Sirup und als es in ihren Fingerspitzen knisterte, hatte sie das irre Gefühl, die Welt zerstören zu müssen, um diesem Hochgefühl standhalten zu können.
Einen Herzschlag später sank sie besinnungslos zu Boden. 

Faust
Ruinen von Phelajarama, nordöstliche Anauroch, zwei Tage später. 
 Die Sandhügel folgten ihnen. Schon als sie die alte Stadtruine betreten hatten, war Faust die erstaunliche Mobilität der sechs Dünen aufgefallen, darum war er nicht sonderlich überrascht als ein halbes Dutzend Bedinenkämpfer aus den Wanderdünen sprang, kaum dass sie den Treffpunkt – das einzig intakte Gemäuer in Phelajarama – erreicht hatten. Drei der Männer hielten Armbrüste auf die Neuankömmlinge gerichtet; der Rest zückte Schwerter und Krummsäbel. 
Nessaja“, nannte Faust ihnen das Losungswort.
Augenblicklich ließen die Bedinen ihre Waffen sinken und ein junger Halbelf trat hinter den windschiefen Mauertrümmern hervor. Er hatte rindenbraune Haut, lebhafte schwarze Augen und trug ein Federbarett, das an diesem Ort ebenso fehl am Platze wirkte wie sein höfischer Aufzug.
„Es ist also wahr!“ Die Augen des Jungen leuchteten vor Aufregung, als er in schwungvoller Kavaliersmanier seinen Hut lüftete und sich mit der Hand auf der Brust vor den Gefährten verneigte. „Die Bezwinger des Hadhrune Tanthul sind von den Toten zurückgekehrt!“
 „Laguna Lyrail, nehme ich an?“
„Derselbe“, sagte der junge Halbelf großspurig. „Welch eine Ehre, meinen Namen aus dem Munde des großen Faust zu vernehmen!“
Faust schmunzelte geschmeichelt. „Der Mund des ‚großen Faust‘ hat seit heute Morgen kein Wasser mehr zu schmecken bekommen – diesmal mussten wir leider auf die Gesellschaft eines zwergischen Kampftrinkers mit nimmerleerem Humpen verzichten…“
„Es ist nicht weit“, erklärte Laguna eilfertig. „Zarif erwartet Euch bereits mit Ungeduld… und Scarlet auch, denke ich“, fügte er ohne besonderen Nachdruck hinzu.
Die Erwähnung ihrer Tochter riss Winter aus ihrer traumtänzerischen Verklärung. Seit zwei Tagen wandelte sie durch die Gegend wie eine erleuchtete Heilige – mit unnatürlich geweiteten Pupillen und einem gruseligen Glückseligkeitslächeln auf den Lippen. Faust fand diese neuste Masche seiner Mitstreiterin noch unheimlicher als ihr düsteres vor sich hin Brüten. Es wunderte ihn ein wenig, dass Grimwardt, der doch sonst der Kritischste von ihnen war, noch keinen seiner schroffen Kommentare dazu abgegeben hatte. Doch der gestrenge Priester hatte eine erstaunliche Verdrängungsgabe, wenn es darum ging die Launen seiner Schwester zu ignorieren…
Das Versteck des Sandfürsten lag etwa fünfzehn Minuten von der Ruinenstadt entfernt inmitten der Sandwüste. Nichts wies hier auf eine menschliche Siedlung hin. Doch auf ein Pfeifsignal des Halbelfen kam plötzlich Bewegung in die Dünen, eine Zeltplane wurde zurückgeschlagen und enthüllte ein halblingsgroßes Loch im Sand – den Eingang zu einem Lager von der Größe eines Dorfes. Keine Magie stützte die Stadt im Sand, sondern nur eine ausgefeilte Pavillonkonstruktion aus Zeltplanen und Stützbalken. Faust vermutete, dass sich die D‘Tairig die häufigen Sandstürme dieser Gegend zunutze gemacht hatten: Wer kurz vor einem solchen Sturm ein Lager in der Wüste aufschlug, der musste nur abwarten, bis die Wüste ihre verhüllende Sanddecke darüber ausbreitete. So hatten der Sandfürst und seine Leute im Bestreben, den gefürchteten Luftpatrouillen der Netherim ein Schnippchen zu schlagen, das Land zu ihrer Komplizin gemacht.
Gebückt betraten die Gefährten die geheimnisvolle Welt der D‘Tairig: Dicht an dicht standen hier bunte Zelte, zwischen denen Wäscheleinen gespannt waren, an denen neben Kleidungsstücken auch klimpernde Glastalismane baumelten. Männer saßen vor den Zelten, tauschten Waren, gingen ihrem Handwerk nach oder betrachteten mit argwöhnischer Neugier die Neuankömmlinge.
Laguna führte die Gefährten zu einem geräumigen Kommandantenzelt, vor dem eine Wache postiert war. Innen saßen auf einem Teppich drei D’Tairig mit Säbeln und leichten Rüstungen. Als die Gefährten eintraten, steckten die Rebellen gerade die Köpfe über einer Landkarte zusammen, die entfaltet vor ihnen auf dem Boden lag, während sie ein wohlriechendes schwarzes Gebräu aus niedrigen Bechern schlürften. In einem mit Tüchern abgetrennten Bereich im hinteren Teil des Zelts waren drei mit Seidenschleiern verhüllte Frauen mit Mörser und Stößeln zugange: Sie zerstießen kleine dunkle Bohnen zu Pulver, das sie dann mit Wasser über einer kleinen Flamme erhitzten. Es gab nur ein schmales Abzugsrohr über der Feuerstelle – eine größere Öffnung wäre von außen zu auffällig gewesen – sodass eine beständige Dunstwolke unter dem Zeltdach hing, die alles mit ihrem nebligen Film überzog. Darum erspähte Faust erst auf den zweiten Blick eine weitere Person: Sie saß mit dem Rücken zu den Neuankömmlingen vor einer der Landkarten. Als die vier Freunde näherkamen, erhob sie sich zögernd und trat ihnen in den Weg.
Winter erstarrte für einen Augenblick, ehe sie wortlos vortrat und ihre Tochter in die Arme schloss.
Trotz aller Bemühungen, ihre weiblichen Reize unter der sandfarbenen Tarnkleidung der Rebellen zu verbergen sah Scarlet hinreißend aus. Sie war nicht gar so hochgewachsen wie ihre Mutter und von üppigerer Statur mit einem herzförmigen Gesicht, strahlend blauen Augen, sinnlichen Lippen und einer unbändigen roten Lockenmähne, die sich trotzig gegen das Quastentuch auflehnte, das sie wie Zarifs Männer zum Schutz gegen die Sonne trug.
„Mutter…“  Steif befreite sich die junge Tempus-Priesterin aus der mütterlichen Umarmung.  Ihre Miene drückte kühle Reserviertheit aus. Winter war für sie eine Fremde geworden und sie schien nicht so ohne Weiteres bereit, ihrer Mutter den Schmerz zu vergeben, den ihr Verschwinden ihr einst bereitet haben musste. „Wir sollten draußen weiterreden.“
Nachdem Mutter und Tochter das Zelt verlassen hatten, hieß Zarif seine Gäste mit einem ehrerbietigen Handgruß willkommen und ließ ihnen von dem schwarzen Gebräu einschenken, das er Kaffee nannte. Befremdet beobachtete Faust die Art, wie die D’Tairig-Frauen sich  lautlos und unbeachtet wie Geister zwischen den Männern bewegten, um den Wünschen des Sandfürsten nachzukommen.
„Wir bringen neue Lieferungen aus Myth Drannor.“ Grimwardt breitete die Edelsteine, die Nimoroth ihnen mitgegeben hatte, vor den drei Männern aus. „Die Abtei des Schwertes im Schlachtental, deren Vorsteher ich bin, könnte Euch ebenfalls Unterstützung anbieten. Ich dachte dabei vor allem an Eisenwaren, wenn Ihr mir sagen könntet, welche Art von Rüstungen und Waffen Ihr benötigt.“
Es folgte eine kurze Besprechung zwischen den Rebellen, die darin bestand, dass Zarif einen kurzen, prägnanten Kommentar in seiner Muttersprache abgab, woraufhin seine beiden Berater einvernehmlich nickten.
„Wir danken Euch für Euer großzügiges Angebot.“ Der Bedine wählte seine Worte mit Bedacht und sprach mit respektvoller Ernsthaftigkeit. „Jede Hilfe ist und willkommen. Kurzschwerter und Säbel eignen sich am besten für den Kampf in der Wüste – schwere Rüstungen dagegen sind in der Hitze nur eine Last. Aber was wir noch dringender benötigen sind erfahrene Kämpfer. Nur die wenigsten meiner Männer sind im Kampf geschult – die meisten sind Handwerker oder Viehtreiber. Die größte Ehre würdet Ihr uns erweisen, wenn Ihr Euch uns anschließen würdet. Hier in der Wüste sind Eure Namen Legenden. Nichts, was wir tun, kann sich mit dem messen, was Ihr bereits erreicht habt.“
„Ihr meint die Vernichtung der Netherrollen?“ Grimwardt schnalzte mit der Zunge. „Hm… das waren andere Voraussetzungen. Solange der Hochprinz von Umbra und seine Söhne sich in ihrer fliegenden Stadt verschanzen, gibt es an sie kein Herankommen. Telamonts Luftfestung ist praktisch uneinnehmbar. Eine Belagerung kommt nicht in Frage – nicht allein wegen ihrer Lage, sondern auch weil genug Vorfälle bekannt sind, bei denen Telamont die Stadt einfach an einen anderen Ort versetzte.“
„Man müsste ihm einen Schlag versetzten, den er nicht ignorieren kann…“, sagte Faust versonnen. So wie der Tod seines Sohnes. Der Sandschlund, den der Herr von Umbra ihnen damals als Antwort geschickt hatte, war ein Zeugnis purer arkaner Wut gewesen. Wenn es ihnen noch einmal gelänge, ihn derart herauszufordern, wäre das womöglich ein Anfang…
„Wenn es jemanden gibt, der Telamont aus der Reserve locken kann, dann seid Ihr das“, nahm Zarif den Gedankenfaden auf. Er sprach ein paar kurze Sätze in seiner Muttersprache, worauf er auch dieses Mal das notorische Nicken seiner beiden Marionetten erntete, und wandte sich wieder an die Gefährten. „Es gibt womöglich etwas, das Ihr tun könnt, um sein Augenmerk auf Euch zu ziehen. Vor zwei Tagen misslang ein Anschlag meiner Männer auf einen hochrangigen Kriegsherrn und Diplomaten der Netherim. Wir hatten die Kampfstärke des Ziels unterschätzt. Einer meiner Männer, mein Bruder Sayid, wurde gefangengenommen und in eine Garnison nahe der Oase Siab verschleppt. Vermutlich wird man ihn dort foltern, um unser Versteck ausfindig zu machen. Eigentlich war beschlossen, dass wir Scarlet und den Halbelfen mit dieser Sache betrauen. Doch wenn Ihr – Telamonts alte Widersacher - meinen Bruder befreien und den Diplomaten ausschalten könntet, würde Telamonts Ansehen in Umbra in größerem Maße darunter leiden.“
Ehe einer der beiden Freunde darauf eingehen konnte, hörten sie von draußen Scarlets wütenden Protestruf: „Was hast du dir gedacht?! Dachtest du, du kannst nach zwölf Jahren hier aufkreuzen und mir vorschreiben, wie ich mein Leben zu leben habe?“ Faust und Grimwardt wechselten einen nüchternen Blick: Das Mutter-Tochter-Gespräch verlief offenbar ganz wie erwartet.
Kurz darauf wurde die Zeltluke geöffnet und Winter stapfte mit hochrotem Kopf herein und warf Zarif einen kleinen Beutel vor die Füße, der prall mit Edelsteinen gefüllt war. Stirnrunzelnd sah er auf.
„50,000 Gold“, sagte Winter. Sie war so aufgebracht, dass sie alle Regeln der Ehrbarkeit fahrenließ. „Dafür, dass Ihr meine Tochter gehenlasst. Sagt Ihr, sie wird hier nicht länger gebraucht.“
Die Züge des Bedinen verhärteten sich und er erhob sich mit steifer Würde. 
 „Dass wir die Hilfe von Freunden annehmen, bedeutet nicht, dass wir käuflich sind.“ Er maß Winter mit abschätzigen Blicken. „Ich verfüge nicht über Eure Tochter.“
„Oh, aber über Eure eigenen Frauen verfügt Ihr schon, wie?“, konnte Faust sich nicht verkneifen zu murmeln und erntete dafür einen missbilligenden Blick von Grimwardt.
„Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun!“
„Ihr spracht gerade von Eurem Bruder“, beeilte sich der Priester das Gespräch wiedereinzurenken, ehe ein handfester Streit aus Winters Erpressungsversuch erwachsen konnte. „Was könnt Ihr uns zu dem Umbranten sagen, der das Ziel des Anschlags war?“
Nur widerwillig folgte der Sandfürst dem Themenwechsel und sein Tonfall machte deutlich, dass es mit seiner Hochachtung für die Helden nicht mehr weit her war. „Sein Name ist Fürst Xantes Faredad, ein Streiter der Schattengöttin. Als meine Männer ihn überfielen, war er gerade auf dem Rückweg von einer diplomatischen Mission in den Talländern.“
Grimwardt erhob sich.
„Wir werden Euren Bruder aus den Händen dieses Mannes befreien und sicherstellen, dass Euer Versteck unentdeckt bleibt“, versprach er. 

Grimwardt
Kurz darauf.
„Lass das Hüpfen sein, Kleiner“, kommentierte Faust Lagunas hoffnungslos überambitionierte Imitation eines Faust’chen Schwertmanövers. Der junge Halbelf ließ sich von der Kritik nicht aus dem Konzept bringen. Konzentriert preschte er vor, den Säbel stoßbereit über die Schulter erhoben. Und er war gut! Nicht nur führte er seinen Stoß blitzschnell und kraftvoll aus, es gelang ihm sogar, aus Fausts Reichweite zu tänzeln, ehe der erprobte Kämpfer zurückschlagen konnte.
„Nicht schlecht“, lobte Faust. „Austeilen kannst du – jetzt wollen wir mal sehen, wie viel du einstecken kannst.“
Laguna strahlte vor Stolz – doch das Strahlen verging ihm, als Faust mit seiner gepolsterten Keule auf ihn zu schnellte und ihn mit einer schonungslosen Prügelserie überzog, die ihm vor Übelkeit einen blassen Ring um die Nase zeichnete, ehe er besinnungslos in den Sand sank.   
„Wollt Ihr sein Können testen oder ihn vor dem ganzen Lager demütigen?“, rief Scarlet erbost, die beim Übungskampf mit ihrem Onkel weitaus glimpflicher davongekommen war. Besorgt beugte sie sich über ihren ohnmächtigen Freund und begutachtete – fürsorglicher als sie es sich gestattet hätte, wäre er bei Bewusstsein gewesen – Lagunas malträtierte Gliedmaßen.
„Sprich nicht so mit einem Vorgesetzten“, wies Grimwardt seine Nichte zurecht. Doch insgeheim gab er ihr Recht. Komm bloß nie auf die Idee, diesen Irren auf deine Rekruten loszulassen, mahnte er sich selbst. Mit einem nüchternen Räuspern klopfte er Faust auf die Schulter.
„Ich schätze, du wirst den Jungen tragen müssen, wenn wir die Sache heute noch erledigen wollen. Den weckt so schnell nichts wieder auf.“ 
Der Sandfürst hatte vorgeschlagen, dass die beiden jungen Leute sie auf ihrer Mission begleiten sollten, da sie sich besser in der Umgebung auskannten. Sogar Winter hatte dem zugestimmt – offenbar beruhigte es sie, Scarlet in ihrer Nähe zu wissen. Bis zur Oase Siab, wo Zarifs Bruder gefangen gehalten wurde, war es etwa ein Tagesmarsch. Sie brachen sofort auf, denn sie wollten noch in der kommenden Nacht angreifen. Grimwardt ergriff die Gelegenheit, die der lange Marsch ihnen bot, um seine Nichte von den neusten Ereignissen in der Abtei zu unterrichten. Nur die Episode, da Tempus ihm erschienen war und ihn zu seinem irdischen Vollstrecker gemacht hatte, ließ er aus. Das ehrfürchtige Schweigen, das für gewöhnlich auf diese Offenbarung folgte, war nicht gerade gesprächsfördernd.
„Manchmal bereue ich es, dass ich fortgegangen bin, ohne meine Priesterweihe empfangen zu haben“, gestand ihm Scarlet ein wenig wehmütig. „Aber… ich hatte das Gefühl, dass es nicht Tempus‘ Wille ist, dass ich dortbleibe und zusehe, wie Silas und diese Hexe die Talländer ans Messer liefern. Er würde feige Kapitulation niemals dem offenen Kampf vorziehen.“
„Du hast richtig gehandelt“, sagte Grimwardt nicht ohne Stolz auf die priesterliche Klarsicht seiner Nichte. Dann räusperte er sich. „Scarlet…ähm… was hat deine Mutter dir erzählt?“
„Das Übliche“, sagte sie säuerlich. „Dass ich in Gefahr sei und sie mich am liebsten in Watte packen und in das Kloster dieser schweigenden Ordensschwester irgendwo ans Ende der Welt verfrachten würde... Nicht mit diesen Worten, aber darauf läuft es wohl hinaus.“
„Hat sie dir auch gesagt, weshalb sie glaubt, dass du in Gefahr bist?“
„Seit wann braucht sie einen Grund, um hinter jedem Sandhügel einen Attentäter zu wittern?“
„Deine Mutter glaubt, ich werde dich töten.“
Jäh blieb Scarlet stehen und wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
„J-jetzt gleich…?“, stotterte sie vor lauter Verwirrung.
„Orkdreck“, brummte ihr Onkel, legte ihr den Arm um die Schulter und zog sie mit Nachdruck weiter. „Es ist diese vermaledeite Prophezeiung.“ Und er erzählte ihr von den Spiegeln des Desayeus und Winters Furcht vor dem, was sie ihr offenbart hatten.
Scarlet zog grübelnd die Stirn in Falten, ehe sie entschieden den Kopf schüttelte. „Das ist absurd. Wir führen einen Krieg gegen das mächtigste Imperium Faerûns. Ich bin hier jeden Tag in Lebensgefahr, aber dass ausgerechnet du mein Schicksal besiegeln solltest, ist einfach… lächerlich.“
„Das habe ich ihr auch gesagt.“
„Na dann verstehen wir uns ja“, brummte Scarlet und der störrisch-verschlossene Ausdruck, mit dem sie die Nase krauszog, erinnerte ihn so sehr an sich selbst, dass Grimwardt schmunzeln musste.
„Sag mal“, wechselte er ungelenk das Thema. „Wie … ähm… sieht es eigentlich aus mit dir und den Männern?“
Sie verzog verdrießlich das Gesicht.
„Oh, bitte, nicht du auch noch… Weißt du, wie viel Mühe es mich gekostet hat, von den D‘Tairig nicht als Frau, sondern als Sandkämpfer wahrgenommen zu werden. Eine Liebesaffäre ist wirklich das letzte, was ich gebrauchen kann, wenn ich nicht entweder unter dem Schleier oder unter der Peitsche enden will… Ich hatte eigentlich vor, ein Keuschheitsgelübde abzulegen, so wie du, aber ich habe mich dagegen entschieden. Ich meine, vielleicht ist es mal von Vorteil zu heiraten… politisch, meine ich.“
Grimwardt sah sie überrascht an. „Sicher, dass du die Tochter deiner Eltern bist?“
Zwei Stunden nach Einbruch der Dunkelheit erreichten sie ihr Ziel.
Die Ebenheit der Steinwüste an diesem Ort machte es notwendig, dass sie Deckung hinter einem Hügel suchten, sodass sie die Oase in der Ferne nur erahnen konnten. Die Garnison am Ufer des Wasserlochs, die wohl als Zollstation für vorbeiziehende Karawanen genutzt wurde, war kaum mehr als ein fensterloser Steinklotz. Die Zinnen erhoben sich keine drei Mannslängen über dem Boden. Mehr war nicht nötig, um das kahle Umland zu überblicken, auf dem allenthalben ein paar niedrige Wüstensträucher Sichtschutz boten.
„Wie gut ist der Stützpunkt bewacht?“, fragte Grimwardt.
„Zwei bis vier Schützen auf dem Dach und vielleicht ein oder zwei Shar-Priester“, erwiderte Scarlet. „Für mehr bietet die Garnison keinen Platz. Ich war ein paar Mal bei der Eroberung eines Oasen-Stützpunktes dabei. Die Einnahme ist der einfachste Teil. Schwierig wird es erst, wenn die Umbranten mit ihren Veserab-Luftpatrouillen anrücken, um den Stützpunkt zurückzufordern.“
„Und das Ziel?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich sehe keine Zelte, darum wird Fürst Xantes wohl im Gebäude sein. Die Gefängniszellen sind im Keller.“
Faust blickte abschätzend zu den Zinnen hinüber, dann stieß er Laguna an.
„Hey, Kleiner. Wie schnell kannst du rennen?“
Der Halbelf blinzelte ihn unsicher an. Er war immer noch ein wenig grün um die Nase.
„Was hast du vor?“, brummte Grimwardt.
„Die Brustwehr ist so niedrig, dass ich springend dort hochkommen sollte. Ich schlage vor, ich lenke mit Laguna die Schützen ab, während du die Tür einrennst und dir diesen Botschafter vorknüpfst.“
So wurde es beschlossen.
Pfeile hagelten surrend durch die Nacht, kaum dass Faust und Laguna die Deckung verlassen hatten. Die anderen warteten, bis die beiden im Schatten der Garnison verschwunden waren, dann gab Grimwradt das Zeichen und sie rannten los. Mit einem Axthieb zerschmetterte der Kriegspriester das Eisenschloss des Eingangstors und fiel sprichwörtlich mit der Tür ins Haus. Ein Kerl in Mönchskutten, der ihm in den Weg trat, wurde gnadenlos niedergemäht. Irgendwer stieß einen Fluch aus und als Grimwardt seinen Kopf in Richtung der Stimme ruckte, erblickte er einen kahlköpfigen Umbranten, der über eine am Boden liegende Bettrolle hinweg nach seinem Schwert griff. Die Bewegung fegte die Kerze von dem niedrigen Tisch, an dem er gearbeitet hatte, und es wurde stockfinster. Plötzlich spürte Grimwardt einen surrenden Luftzug an seiner Kehle und dann… Ihm blieb nicht einmal Zeit für einen letzten Atemzug oder die Erkenntnis, dass etwas im Begriff war, seinen Kopf vom Rumpf zu trennen.

Faust
Nachlässig zog Faust einen Pfeil aus seiner Schulter. Das Geschoss war nicht einmal bis zum Muskel vorgedrungen. Dann verschränkte er die Arme zu einer Räuberleiter und half Laguna mit einem Ruck über die Brustwehr. Faust nahm Anlauf, sprang ihm nach und hievte sich mit einem kraftvollen Klimmzug über das Gemäuer. Als er sich auf die andere Seite gleiten ließ, hatte Laguna bereits seinen ersten Gegner überwältigen können. Zwei weitere versuchten den jungen Schwertkämpfer in die Zange zu nehmen, doch es gelang ihm immer wieder, die geöffnete Luke im Boden zwischen sich und seine Gegner zu bringen. Faust beschränkte sich aufs Zuschauen und darauf einen der Soldaten im Nacken zu packen und gegen das Mauerwerk zu stoßen, als er zufällig in seine Reichweite stolperte. Nach wenigen Augenblicken war der Kampf vorüber.
„Du hast echt was drauf, Junge“, bescheinigte Faust dem jungen Kämpfer. „Aber du musst unbedingt dieses Rumhüpfen sein lassen.“
Scarlets entsetzter Schrei, der von unten zu ihnen herauf drang, ließ ihn jäh innehalten: „Onkel Grim!“ Es folgte undeutliches Gemurmel und dann war es für einen Moment totenstill. Die Stille wurde vom Geräusch schwerer Schritte durchbrochen und wenige Augenblicke darauf tauchte der kahle Kopf eines Umbranten in der Bodenluke auf. Ohne erkennbare Hast trat Xantes Faredad aufs Dach und zog eine schwarze Schwertklinge aus der Scheide, die von einem magischen Knistern umspielt wurde. Eine handgroße Narbe, die sich quer über sein Nasenbein zog, und ein kostbarer Umhang, auf dem Shars schwarze Sonne prangte, zeichneten den Umbranten als gestanden Gotteskrieger aus.
„Wer seid Ihr und was wollt Ihr?“, fragte der Fürst mit tiefer, emotionsloser Stimme.
„Euch“, knurrte Faust und packte sein Schwert fester. Keine Zeit, sich auf ein Verhör einzulassen. Er musste herausfinden, was dort unten geschehen war. Wo waren die anderen?
 „Mach, dass du verschwindest“, raunte er Laguna zu und griff an.
Schon nach dem ersten Schlagabtausch spürte er, dass er seinem Gegner unterlegen war. An jedem anderen Ort wäre es umgekehrt gewesen: Die Schwerthiebe des Umbranten waren kraftvoll und von finsterer, göttlicher Energie beseelt und seinem Schwert schien mächtige Schattenmagie innezuwohnen, doch in der Verteidigung verließ er sich völlig auf seine magisch verstärkte Ritterrüstung. Hätte er seine Zauber zur Hand gemacht, so wäre es Faust ein Leichtes gewesen, diesen Schwachpunkt seines Gegners gegen ihn zu verwenden. Doch unter den gegebenen Umständen konnte er nicht verhindern, dass die Angriffe des Umbranten ihn immer weiter zurückdrängten, bis er schließlich mit dem Rücken gegen die Brustwehr stieß. Ein gut gezielter Hieb in die Nierengegend besiegelte schließlich seine Niederlage. Als er mit der freien Hand nach der Wunde tastete, spürte er, wie ein warmer Blutschwall zwischen seinen Fingern hervorquoll. Faust bekam weiche Knie und musste sich am Gemäuer abstützen, um gegen den Schwindel anzukämpfen. Im selben Moment erspähte er aus den Augenwinkeln den jungen Halbelfen, der von der Seite heran schnellte, um den Umbrantenfürsten aus dem Hinterhalt zu attackieren.
„Laguna, nicht!“, brüllte Faust. Vor Schreck vergaß er die Hand auf die Wunde zu pressen. Ein weiterer Blutschwall trat aus und das Schwindelgefühl obsiegte.
Verdammter kleiner Trottel, dachte er, während er der Dunkelheit entgegen schlitterte.

Winter
Nordwestlicher Hochwald.
„Miu, tu irgendwas!“, rief Winter in Panik.
Während ihr eilig gewirkter Teleportationszauber ausklang, zog Winter den Kopf ihres Bruders in ihren Schoß und versuchte verzweifelt die Blutung zu stillen, doch der Blutstrom, der sich aus seiner aufgeschlitzten Kehle ergoss, wollte einfach nicht abklingen. Miu blinzelte ein paar Mal orientierungslos, ehe sie die Situation erfasste und sich eilig zu Grimwardt ins Moos kniete. Stumm erbetete sie den mächtigsten Heilzauber, den sie kannte… und rettete ihm das Leben.
Grimwardt schwankte ein wenig, als er sich aufsetzte.
„Wo sind wir?“, fragte er matt. Sein Gesicht wirkte gespenstig weiß im Mondlicht.
„Die Frage ist wohl eher, ‚wie sind wir hierhergekommen?“ Scarlet vermied es, ihrer Mutter in die Augen zu sehen.
Der Kriegspriester runzelte misstrauisch die Stirn. „Was hat das zu bedeuten, Winter?“
„Wollt Ihr mich gleich vor Gericht zerren?“, murmelte sie. „Oder wollt Ihr wenigstens warten, bis Faust und Laguna in Sicherheit sind?“
Augenblicklich verschwand der überlegene Ausdruck aus Scarlets Zügen.
„Wir müssen zurück!“, flüsterte sie mit angstvoll geweiteten Augen.
„Du bleibst hier“, entschied Winter gebieterisch.
Ehe ihre Tochter Protest einlegen konnte, packte sie Grimwardt beim Arm und teleportierte mit ihm zurück in die Wüste. Sie tauchten im Nachtschatten der Garnison auf. Die Szene, die sich im Mondlicht zwischen den Zinnen abspielte, versetzte sie erneut in Schrecken: Faust lehnte leblos am Gemäuer, während Laguna mit leidenschaftlicher Wucht auf den Umbranten einschlug. Er schaffte es sogar, die Ritterrüstung des Gotteskriegers zu durchdringen, doch das entfachte nur dessen kalten Zorn. Erbarmungslos fuhr das Schwert des Umbranten auf den Jungen nieder.
Ein schwarzes Schwert…
Etwas regte sich in ihr, als die Vision die Wirklichkeit überlagerte. Ihre Panik war verschwunden und an ihre Stelle trat jenes Hochgefühl, das sie in der Nacht des Seelenraubs verspürt hatte. Sie wandelte wieder auf der anderen Seite – im Reich der Schatten – wo keine diesseitigen Regungen ihr etwas anhaben konnten. Ihre Umgebung wirkte verschwommen, doch ihre Gedanken waren niemals klarer gewesen. Entschlossen sprach sie die Worte eines Schutzzaubers, gefolgt von einer Illusion, die sie Platz und Aussehen mit Laguna tauschen ließ. Die schwarze Klinge prallte wirkungslos an ihrem Schutzzauber ab. Flüchtig streifte ein erstauntes Blinzeln die Augen des Streiters, der nicht damit gerechnet hatte, dass der schmächtige Junge seinem Angriff standhalten würde. Doch er reagierte schnell, indem er dem bewusstlosen Faust das Schwert an die Kehle presste, um ihn zu seiner Geisel zu machen. Faust sah hundeelend aus: Seine Lippen waren grau und seine Lider flackerten im Fieber. Er hatte so viel Blut verloren, dass es ein Wunder war, dass er überhaupt noch lebte.
„Waffe fallen lassen und zurücktreten“, befahl der Umbrant mit Nachdruck. Winter ließ ihren Zauberstab, der in den Augen des getäuschten Gegners die Gestalt von Lagunas Krummsäbel angenommen hatte, zu Boden gleiten und machte einen Schritt zur Seite. Schritte polterten auf der Treppe und einen Augenblick später erschien Grimwardt mit erhobener Axt auf dem Dach. Fürst Xantes verstärkte den Druck auf Fausts Kehle. „Du auch! Waffe runter! Wo sind die drei Frauen? Was wollt ihr und für wen arbeitet ihr?“
Keine Antwort.
Der Umbrant nickte grimmig. „Ich werde euch schon zum Reden bringen. Los, die Treppe runter. Schön langsam.“
Halb schleppte, halb zerrte er seine Geisel vor sich her, während er Winter und Grimwardt in den Keller des Gebäudes dirigierte. Dabei wich seine Klinge nicht von Fausts Kehle. Vor einer verriegelten, eisenbeschlagenen Tür hielt er inne. Umständlich durchtastete er seine Kleidung, fand den Schlüsselbund und warf ihn Grimwardt zu, der am vordersten stand.
„Aufschließen.“
In einer Ecke der Gefängniszelle harrte ein Gefangener, ein junger D‘Tairig mit schwarzem Bart und hohlwangigem Gesicht. Seine Augen waren geschwollen und sein rechtes Ohr war nur noch ein blutiger Beweis für Xantes‘ Folterkünste. Erst nachdem er Grimwardt und Winter in die Zelle manövriert hatte, stieß Fürst Xantes auch Faust zu ihnen in den Raum. Dann verriegelte er die Tür.
Ein düsteres Lächeln stahl sich auf Winters Lippen, als sie wieder ihre eigene Gestalt annahm. Mit einem Dimensionssprung setzte sie dem Umbranten nach, der jäh herumwirbelte.  Doch er war nicht schnell genug. Winters Verdorren-Spruch traf ihn unvorbereitet. Mit nie gekannter Heftigkeit schleuderte der Zauber den stählernen Kriegsherrn gegen die Wand und verwandelte ihn innerhalb eines Lidschlags in einen blutleeren Leichnam.
„Was… bist du?“, krächzte er, während sich seine Hände unkontrolliert zuckend im Mauerwerk verkeilten.
Mit blutunterlaufenem Blick beugte sich Winter zu ihm herab, um seinen Schatten zu trinken… Als sie wieder zu sich kam, stand ein Ausdruck des puren Grauens in den aufgerissenen Augen der Leiche.
„Winter? Ist die Luft rein?“
Lagunas banges Wispern holte sie in die Wirklichkeit zurück. Plötzlich war der Rausch verflogen und was blieb, war ein flaues Gefühl im Magen. Winter blinzelte, um die Schatten aus ihren Augen zu vertreiben.
Wie konntest du so unvorsichtig sein, schalt sie sich selbst. Wenn Grim dich dabei gesehen hätte!
Ihr Gesichtsausdruck verriet nichts von ihren Gedanken, als sie sich zu Laguna umwandte, der mit einer Schriftrolle auf dem Treppenabsatz erschienen war: „Alles in Ordnung?“
„Ich… ja“, antwortete der Junge zerstreut. „Grimwardt wies mich an, mich zwischen den Schlafrollen zu verbergen. Dabei fand ich etwas - ein Schreiben… Es ist auf Alt-Illuskisch verfasst, ich verstehe nicht alles, aber es klingt wichtig.“
Winter und Laguna befreiten die anderen aus ihrer Zelle und teleportierten mit ihnen zurück in den Hochwald, wo sie Scarlet und Miu zurückgelassen hatten. Nachdem sich Miu Fausts Wunden angenommen hatte, ließen sie sich von Sayid den Inhalt des Briefes übersetzen. Darin informierte Xantes seinen Vorgesetzten über das misslungene Attentat und Sayids Gefangennahme, um seinen ungeplanten Aufenthalt in der Oase Siab zu erklären. Doch es war der Teil, der darauf folgte, der Winter aufhorchen ließ. 
Die Audienz bei Fürst Myriam Buchenwald verlief wenig zufriedenstellend. Der störrische alte Mann verweigert sich nach wie vor einem Handelsbündnis mit dem Imperium. Euren Anweisungen folgend arrangierte ich darum ein Treffen mit dem Kapitän der Sturmhexe, um ihm einen Kaperbrief für einen Überfall auszustellen, der noch heute Nacht erfolgen soll. Das Narbental ist von den Pestjahren und der Zeit der Zhentarim-Besetzung gebeutelt und dem völligen Ruin nahe: Die Furcht vor den Freibeutern wird uns den Seehafen über kurz oder lang in die Hände spielen. Und wenn wir erst Narbental-Stadt gebeugt…“ An dieser Stelle brach das Schreiben ab.
„Der Kapitän der Sturmhexe?“, fragte Grimwardt stirnrunzelnd.
„Joe“, bestätigte Winter. „Mein Ehemann.“
„Seit wann lässt er seine Überfälle durch Netheril legitimieren?“
Sie zuckte die Schultern. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass Joe noch am Leben war, doch seine Machenschaften erstaunten sie nicht sonderlich. Der Piratenkapitän kannte weder Anstand noch Ehre, wenn es ums Geschäft ging. Der Grund, weshalb die Heiratsschwindlerin ihn zum Mann genommen hatte, waren die Schatzkartentätowierungen, die seinen Oberkörper schmückten. Vielleicht bot sich ja nun die Gelegenheit, Joes Geheimnis auf die Schliche zu kommen…
„Auf jeden Fall sollten wir uns beeilen“, murmelte Faust, der noch immer ein wenig schwankte. Ohne Winters Magie wäre diese Begegnung für sie alle tödlich ausgegangen, doch Winter ahnte, dass weder Grimwardt noch Scarlet diese Erklärung gelten lassen würden. „In dem Brief ist von einem Überfall die Rede – heute Nacht im Narbental. Was immer da vor sich geht, es passiert jetzt!“
„Wir kommen mit!“
Energisch packte Winter ihre Tochter beim Arm, um ihren Enthusiasmus zu zügeln.
„Oh nein!“, erklärte sie. „Siehst du die Lichter dort zwischen den Bäumen? Das ist Silbrigmond, dort wohnt deine Großmutter. Sie ist krank, alt und allein und sie hat ihre Enkelin seit zwölf Jahren nicht gesehen. Du wirst dir jetzt Laguna und den Bedinen schnappen und dann werdet ihr deine Großmutter besuchen!“
„Öhm…“, wagte Laguna zaghaft einzuwenden, doch Winters furioser Blick ließ ihn den Einwand hinunterschlucken.
„Nichts da, die drei kommen mit uns“, erhielten die jungen Leute unerwartete Unterstützung. Grimwardt trat an Scarlets Seite. „Unser Auftrag lautet, Zarifs Bruder zu befreien und ihn sicher ins Lager zurückzubringen. Ich werde den Jungen nicht aus den Augen lassen, ehe mein Wort dem Sandfürsten gegenüber eingelöst ist.“ Und mit einem grantigen Raunen, das nur für Winters Ohren bestimmt war, fügte er hinzu: „Und was deine neuen, magischen Fähigkeiten angeht: Darüber sprechen wir noch!“
« Letzte Änderung: 07. März 2011, 03:51:10 von Niobe »

Nightmoon

  • Mitglied
    • Schicksalsstreiter
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #176 am: 10. Januar 2011, 03:16:51 »
 :thumbup:
DANKE!!! Wiedermal sehr schön! Der Shoppingtripp davor wäre auch echt nicht lesenswert gewesen  :D
...Ja, da hab ich glaube ich zum ersten Mal um Fausts Leben gebangt, aber zum Glück hat Winter ja ein unausschlagbares Angebot angenommen...  :wink:
Freue mich schon auf mehr!!!

Winter

  • Mitglied
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #177 am: 10. Januar 2011, 18:34:28 »
Uuuuhhhaaarrrg, das war eine gruselige Episode.
Sehr schön geschrieben! Wie praktisch, wenn ein Geburtstagsgeschenk nicht nur den Beschenkten erfreuen kann :-)

Niobe

  • Mitglied
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #178 am: 20. Januar 2011, 17:41:40 »
Oha, die "Achse des Guten" hat einen neuen Look! Gefällt mir :-).

Nightmoon

  • Mitglied
    • Schicksalsstreiter
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #179 am: 21. Januar 2011, 01:47:19 »
Yep, und n Gästebuch gibts jetzt auch ...oder n Blog, what ever...
Sag mal, wärs denn eigentlich echt OK für dich, wenn du nächste Woche wieder leitest? Ich liebe die Kampagne über alles, aber du warst jetzt ja so oft dran gewesen, also wenns dir zu viel wird, dann zieh ich noch irgendwas ausm Ärmel! Hast ja immerhin auch noch anderen Kram zu tun... z.B. schöne neue Kapitel schreiben ;)

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