Kapitel V: Fünfzehn Jahre
Grimwardt
Am nächsten Morgen in der Abtei des Schwertes.
Der erste Sonnenstrahl des anbrechenden Tages kitzelte ihn, als er sich in der Rüstung brach, die frisch poliert auf dem Schreibpult in seinem Arbeitszimmer ruhte. Schmatzend wälzte er sich auf die andere Seite und kuschelte sich in die weichen Kissen…
Die weichen Kissen?!
Mit einem Ruck fuhr Grimwardt auf.
„Borgo!“
Der Zwerg, der die Nacht auf dem Wolfsfell vor dem Kamin verbracht hatte, erwachte mit einem Grunzen.
„Wieder unter den Lebenden?“, brummte er.
„Seit wann besitze ich weiche Kissen?“
„Tja…“ Borgo fuhr sich verlegen über den kahlen Schopf. „Wisst Ihr, unter Sir Silas‘ Herrschaft… Ach, bei den Neun Höllen, Grimwardt! Ich schlafe hin und wieder in Eurer Kammer, wenn Ihr fort seid, und ich bin alt und mir sitzt die Gischt in den Knochen. Da habe ich mir ein klein bisschen Bequemlichkeit verdient, sapperlot!“
„Bei den Neun Höllen“, wiederholte Grimwardt abwesend und mit einem Mal fiel ihm alles wieder ein… alles, bis zu dem Punkt, an dem Mephistopheles ausgeholt hatte, um ihn ins Jenseits zu befördern. „Borgo, wie bin ich hierhergekommen?“
„Das wüsste ich auch gerne“, brummte der Zwerg. „Einer der Nachtwächter fand Euch gestern Abend mehr tot als lebendig vor den Toren der Abtei. Meinte, ihr wärt plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht.“
„Und die anderen?“
„Welche anderen?“
„Winter, Faust… meine Gefährten!“
„Es war niemand bei Euch.“
Fieberhaft irrte Grimwardts Blick durch den Raum auf der Suche nach einer Erklärung… Seine Ausrüstung! Eilig inspizierte er die Gegenstände, die Borgo fein säuberlich auf dem Tisch aufgereiht hatte. Ambrosia, seine Rüstung, sein Schild… alles da! Warum hätte Mephistopheles ihn mitsamt seiner Schätze zurückschicken sollen? Irgendwer musste ihn und seine Gefährten gerettet und nach Hause gebracht haben. Nach Hause… Nun, Winters Zuhause war während der Zauberpest im Meer versunken und falls Faust ein Zuhause hatte, dann vermutlich… die Neun Schwerter!
„Borgo, ich brauche ein Pferd!“
„Zum Reiten?“
„Nein, zum Melken! Natürlich zum Reiten!“
„Ich meine ja nur, wenn Ihr es eilig habt, könntet Ihr auch den Magier bitten Euch zu teleportieren.“
Grimwardt hob eine Augenbraue. „Wir haben einen Magier?“
„Na, den Kerl, den Ihr in Rabenklippe bestellt habt. Meister Toibin.“
„Hmpf.“ Er hatte schon nicht mehr daran geglaubt, dass sich die Schlafmützen vom Orden der Mystischen Flamme bei ihm melden würden. „Na, worauf wartest du, bring ihn her! Oder scheuch dafür einen unserer Rekruten aus dem Bett!“
Borgo deutete ein Nicken an.
„Aber, Grimwardt… Beurteilt ihn nicht nach dem ersten Eindruck. Er mag nicht viel hermachen, aber er versteht was von seinem Handwerk.“
Als kurz darauf ein dürrer, sommersprossiger Morgenmuffel barfuß mit Schlafmütze ins Zimmer schlurfte, lernte Grimwardt diesen Hinweis zu schätzen. Der Zauber gelang jedoch tadellos und so klopfte er keine fünf Minuten später an die Tür des Hades’chen Anwesens.
„Grimwardt Fedaykin.“ In voller Rüstung erschien der Hausherr zu dieser frühen Stunde auf der Türschwelle. „Euer Begleiter trägt noch sein Nachtgewand. Das zeugt von mangelnder Disziplin.“
Sofort stand Meister Toibin stramm wie eine Eins.
„Ist Faust hier?“
„Bedauerlicher Weise nicht. Seine Freilassung geschah widerrechtlich und wurde bereits geahndet.“
„Hades, Ihr müsst mir einen Gefallen tun.“
„Ich bezweifle, dass ich dazu verpflichtet bin, aber wenn Ihr mir den genauen gesetzlichen Rahmen…“
„Ihr müsst Faust und meine Schwester für mich aufspüren. Wir hatten keine Chance. Mephistopheles hat Asmodeus getötet. Ich schätze, das macht ihn zu einem höheren Gott. Wir müssten tot sein. Aber ich bin hier, also müssen auch die anderen noch am Leben sein.“
Hades musterte ihn eindringlich.
„Ihr seid verrückt“, urteilte er schließlich.
„Bitte?!“
„Wahnsinn ist für gewöhnlich die einzige Erklärung dafür, dass ein Mann ohne Sinn spricht, ohne zu lügen.“
„Ihr haltet mich für verrückt?!“
„Das ist korrekt.“
Notiz an mich selbst: Stelle Hades nie wieder eine rhetorische Frage!
Zähneknirschend ließ er den Richter stehen und machte sich auf die Suche nach Elijas. Er fand den Schwertmagier in seiner verwinkelten Dachstube, wo er allem Anschein nach an der Entwicklung eines Zaubers arbeitete. Als er Grimwardt erblickte, erbleichte er.
„Was ist schiefgegangen?“, fragte er leise.
„Erst muss ich wissen, wo Faust und Winter stecken.“
Elijas verlor keine Zeit und machte sich sofort auf die Suche nach Komponenten für einen Aufklärungszauber, doch er kam nicht mehr dazu, den Zauber zu wirken. Plötzlich begann die Luft zu flirren und eine Kreatur mit pechschwarzen Flügeln materialisierte sich in der Mitte des Zimmers.
Ares!
Während Grimwardt noch seine Axt zückte, spürte er einen schneidenden Luftzug, gefolgt von singendem Metall. Der Schwarze und der Grüne Phönix. Der Halbteufel beantwortete Elijas‘ Blitzattacke mit einem prismatischen Schutzschild, der den Gegner geblendet zurücktaumeln ließ und Boden und Zimmerdecke ansengte. Dann wandte er sich unbeeindruckt an Grimwardt: „Ihr solltet mit mir kommen. Ich habe Eure Schwester.“
Winter
Mephistar, Achter Höllenkreis, am Abend zuvor.
Sie erwachte in einem Himmelbett aus Eis. Irgendein Zauber verhinderte, dass sie vor Kälte erfror. Trotzdem packte sie das kalte Grauen, als sie erkannte, wo sie war. Eine Weile blieb sie mit geschlossenen Augen liegen und wartete, bis ihr Herzschlag sich beruhigt hatte. Als sie es nicht länger hinauszögern konnte, zwang sie sich schließlich zum Aufstehen. Dabei verhedderte sich ihr Kleid am Fuß des Bettes.
Ihr Kleid?!
Sofort kehrte das Herzrasen zurück. Es war aus hauchzarter roter Elfenseide und schien nicht dazu zu dienen, irgendetwas zu verhüllen. Und wenn sie sich vorstellte, auf welche Art es an ihren Körper gelangt sein musste… Panisch blickte sie sich um: das Bett, ein Nachttisch, ein Eisspiegel, ein vergittertes Fenster. Keine Spur von ihren eigenen Sachen. Mit bebenden Lippen sprach sie einen Teleportationszauber, doch sie kam nicht einmal bis zur zweiten Silbe. Ein mentaler Befehl hieß sie innehalten.
Ihr wollt uns doch nicht schon wieder verlassen, Winter? Das kann ich als Gastgeber wirklich nicht verantworten. Ihr würdet erfrieren, wenn Ihr in dieser Gewandung die schützenden Mauern des Palastes verließet.
Flüchtig streifte sie eine fremde Erinnerung. Schwarze Fingernägel, die über ihren Körper glitten, während Mephisto ihr das rote Kleid überstreifte.
Winter biss die Zähne zusammen.
„Was wollt Ihr?“, fragte sie mit dünner Stimme.
Diese Art der Unterhaltung ist doch sehr unpersönlich… Warum kommt Ihr nicht herunter in den Speisesaal? Ihr müsst am Verhungern sein.
Nicht dass sie eine Wahl gehabt hätte. Ihre Beine schienen ihr über Nacht untreu geworden zu sein. Zielstrebig trugen sie Winter durch vereiste Korridore und kalte Hallen. Sie versuchte sich den Weg einzuprägen, gab jedoch schon nach kurzer Zeit auf. Der Palast war einfach zu groß. Nach einer Viertelstunde hielt sie vor einer Doppeltür an. Ihr graute davor, den nächsten Schritt zu tun, doch wieder blieb ihr keine Wahl.
Die Speisetafel war ganz offenbar für mehr Leute gedacht als die vier einsamen Gestalten, die an ihrem Kopfende saßen.
„Winter, Ihr seht bezaubernd aus!“
Mephistopheles erhob sich mit sardonischer Ehrerbietigkeit und setzte sein charmantestes Eisdolch-Lächeln auf, während er sie zu dem Platz zu seiner Rechten dirigierte. Lady Antilia zu seiner Linken musterte sie mit einer Mischung aus Beunruhigung und Abwertung. Neben ihr harrte Tyrail, der noch schlechtere Laune zu haben schien als sonst. Hatte er etwa die Seiten gewechselt? Soweit Winter das beurteilen konnte, bedachte er die Teufel mit derselben Verachtung, die er jedem Nichtelfen entgegenbrachte. Nur wenn Antilias Arm den seinen streifte, durchfuhr ihn ein Schaudern und eine Erinnerung ließ seine Mundwinkel zucken.
Der Vierte war Lord Ares. Winter klopfte das Herz bis zum Hals, als ihre Blicke sich trafen. Er sah jünger aus als der Seelenmagier, den er ihr in der Wüste vorgespielt hatte. Offenbar war er nicht gealtert, seitdem Mephistopheles ihn in einen Halbteufel verwandelt hatte.
„Nun, da wir alle versammelt sind, lasst uns anstoßen“, leitete der Herr des Hauses die Mahlzeit ein. „Auf Eure Seele, Winter!“
Winter hatte schon lange nichts mehr gegessen, trotzdem rührte sie die üppigen Speisen, die Mephisto auftischen ließ, nicht an. Sie glaubte nicht, dass er ihr Gift unterjubeln wollte. Doch wer wusste schon, woraus diese Pasteten gemacht waren… Und wo waren Grim, Faust und Miu? Ihr Blick glitt zurück zu den Pasteten und nun wurde ihr wirklich übel. Bildete sie sich das nur ein oder geisterte da plötzlich ein finsteres Lachen durch ihre Gedanken?
„Schluss damit“, flüsterte sie gepresst. „Was wollt Ihr von mir?“
„Nichts, was nicht ohnehin schon mir gehört“, erwiderte der Höllenfürst. „Alles, was ich möchte, ist, dass wir es offiziell machen.“
Winter sah erstaunt auf. Ihr Blick wanderte zu Lord Ares.
„Er hat sich mir nicht offenbart. Darum ist der Pakt nicht endgültig, nicht wahr? Noch habe ich eine Chance. Zwingen könnt Ihr mich nicht, denn Euer dreckiges, kleines Geschäft funktioniert nur, wenn ich Euch meine Seele aus freien Stücken überschreibe.“ Sie lachte leise. „Ich werde sicher nichts unterzeichnen!“
Sein Lächeln gefror. Mit einer Handbewegung schickte er die anderen aus dem Raum. Dann erhob er sich und schlenderte betont langsam die Tafel entlang. Seine Fingernägel kratzten nervenaufreibend über die eisglatte Oberfläche.
„Ihr irrt Euch, Winter“, sprach er. „Euer Schicksal ist besiegelt. Die Frage ist nur, ob Ihr es an meiner Seite oder in den Wassern des Styx erfüllen wollt. Die Rituale, die Opferungen, der Seelenkrieg….“ Er schüttelte den Kopf. „Das ist Asmodeus‘ Werk, nicht das meine. Für ihn wart ihr nur Mittel zum Zweck, um den Göttern eins auszuwischen. Ich kann Euch so viel mehr bieten, Winter. Schaut Euch Ares und Antilia an. Keine Sklaven, sondern meine engsten Vertrauten!“
Winter verschränkte fröstelnd die Arme, als sie seinen schwefligen Atem in ihrem Nacken spürte.
„Ares‘ Sohn und die Karaturianerin sind tot.“
Das kam so unvermittelt, dass es sie wie ein Dolchstoß aus dem Hinterhalt traf. Winters Herz verkrampfte sich.
„Doch Euer Bruder lebt. Ich ließ ihn gehen, weil seine Seele bereits an einen anderen Herrn gebunden ist. Euer kleines Geheimnis habt Ihr immer gut vor ihm verborgen, nicht wahr? Es wäre doch eine Schande, wenn er nun trotz aller Bemühungen dazu gezwungen würde, die schwerste Entscheidung seines Lebens zu treffen… Und was würde eure tugendhafte Tochter sagen, wenn sie wüsste, welcher Quelle Ihr Eure dunkle Magie verdankt?“
„Ich glaube nicht, dass es ihren Hass noch steigern könnte“, erwiderte Winter düster. „Und nun lasst mich gehen! Eure Bemühungen sind vergeblich!“
Ein mentaler Befehl fesselte sie an ihren Stuhl. Sie keuchte auf. Doch nichts geschah. Statt des erwarteten Angriffs spürte sie, wie er sich von ihr entfernte.
„Also schön, Winter. Geht zurück auf Euer Zimmer. Sehen wir, wie Ihr in ein paar Wochen über diese Sache denkt…“
… wenn der Seelenhunger Euren Geist vernebelt.
Als ob sie diese Drohung gebraucht hätte, um daran erinnert zu werden, wie sehr sie ihm ausgeliefert war! Wieder fanden ihre Füße den Weg von selbst, doch diesmal sträubte sie sich nicht. Sie wusste, sie konnte ihn nicht aussperren. Trotzdem schlug sie die Tür hinter sich zu, ehe sie sich schluchzend auf das Bett in ihrem vereisten Gefängnis warf. Sie wollte nicht an Faust und Miu denken, nicht solange er in ihren Gedanken war. Vielleicht hatte er ja gelogen… Vielleicht gab es noch Hoffnung.
Plötzlich senkte sich magische Dunkelheit über den Raum. Ein Flügelschlag, dann spürte Winter eine Hand auf ihrer Schulter und die Luft begann zu vibrieren.
„Ich bringe Euch hier fort“, sagte Ares. „Wenn Ihr es zulasst.“
Ihr blieben nur Sekunden, um eine Entscheidung zu fällen. Der Halbteufel hatte ihr Leben zerstört, doch im Moment hätte sie alles getan, um dem Kerl zu entkommen, der ihr diesen grässlichen Fummel übergezogen hatte wie einer leblosen Puppe! Dann spürte sie einen stechenden Schmerz hinter der Stirn: Mephisto, der einen Wirbelsturm in ihren Gedanken entfesselte, als er erkannte, was los war. Das gab den Ausschlag. Hastig gab sie dem magischen Drängen des Dimensionszaubers nach, ehe der Höllenfürst ihr befehlen konnte, zu bleiben.
Sie sprangen ins Ungewisse.
„Schließt die Augen! Er sieht alles, was Ihr seht!“
Winter gehorchte und wehrte sich auch nicht, als Ares ihr in Windeseile eine Augenbinde anlegte und sie mit Händen und Füßen an einen Stuhl fesselte. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war. Es war wärmer als in Mephistos Palast und sie umgab eine angenehme Stille.
„Wir sind nicht mehr in Baator“, erklärte Ares. „Mephistos göttlicher Blick kann Euch außerhalb seines Reiches nicht orten. Außerdem liegt ein Dimensionsbann über diesem Ort, falls er Euch befehlen sollte, fortzuteleportieren… Ihr seid im Moment ein lebendes Ortungsgerät und ich bin ein erhebliches Risiko eingegangen, indem ich Euch hergebracht habe, denn er weiß jetzt, dass ich ihn verraten habe. Das Spiel hat begonnen.“
„Könnt Ihr seinen Zauber nicht bannen?“, knirschte Winter, die unter Mephistos mentalem Wutausbruch Schmerzen litt.
„Ich kann seine Magie nicht kontern“, erwiderte Ares. „Ich habe die arkanen Künste bei den Wu Jen von Shou Lung erlernt. Zauber, die ihre Macht nicht aus den fünf Elementen schöpfen, sind mir verwehrt… Ich hole Hilfe. Versucht an nichts Bestimmtes zu denken, während ich weg bin. Lange werden meine Schutzvorkehrungen ihn nicht von hier fernhalten.“
Winter nickte.
„Wartet…“, bat sie, ehe er ging. „Faust und Miu… Ist es wahr? Sind sie tot?“
Der Halbteufel zögerte.
„Nein“, sagte er und wandte sich zum Gehen. „Schlimmer.“
Faust
Hallen des Schmerzes, Achter Höllenkreis.
Er hatte sich an einen Ort tief in sich selbst zurückgezogen, wo er den blutigen, krampfenden Klumpen, der einmal sein Körper gewesen war, nur noch aus dumpfer Entfernung wahrnahm. Zu Anfang hatte er die Zähne zusammengebissen, um nicht vor Schmerz aufzubrüllen. Inzwischen wusste er nicht einmal mehr, ob die Schreie, die gelegentlich zu ihm durchdrangen, von ihm oder einem der anderen Gefangenen stammten.
Plötzlich wurde er von der stechenden Giftwolke eines ekelerregenden Parfums eingehüllt. Der Schock katapultierte ihn zurück in seinen Körper und der Schmerz raubte ihm für kurze Zeit das Bewusstsein.
„Na, du bist mir aber ein strammer Bursche“, flötete die fette Tunte, die sich ihm als Kerkermeister Ahriman vorgestellt hatte, und tätschelte ihm die Wange. „Das ist genug für heute, wir wollen ja nicht, dass du uns gleich am ersten Tag abnippelst.“
Ein bleichgesichtiger Schmerzteufel bediente einen Hebel, der die mechanische Folterkonstruktion zum Stillstand brachte. Widerhaken rissen Hautfetzen mit, als sie sich aus seinem Körper zurückzogen, rotierende Schrauben hinterließen klaffende Löcher und Metallklauen, die ihn an den dehnbaren Rahmen der Konstruktion gefesselt hatten, entließen ihn abrupt aus ihrem Griff. Zwei weitere Folterknechte fingen ihn auf und zerrten ihn auf einen Stuhl, der dem Foltergerät zugewandt war. Wieder schlossen sich Metallringe um seine Arme.
Faust wollte etwas sagen, doch stattdessen ergoss sich ein blutiger Schwall aus seinem Mund.
„Lasst mich raten…“, krächzte er. „Jeden Tag ein bisschen länger und irgendwann bricht jeder?“
„Kluges Herzchen“, lobte der Kerkermeister. „Doch ich glaube, du gehörst zu der Sorte, die einen ganz besonderen Anreiz braucht.“ Er schenkte ihm ein anzügliches Grinsen und klatschte zweimal kurz in die Hände. „Auf, auf, bringt sie rein!“
Faust schloss mutlos die Augen, als Miu in die Folterkammer geführt wurde; ihr Körper unerträglich blass und rein gegen den blutverschmierten Hintergrund. Als die Teufel sie packten und in den Metallrahmen spannten, verkrampfte sich seine Eisenhand – der einzig intakte Teil seines Körpers - so schmerzhaft um die Stuhllehnen, dass ihm schwindelte. Er wollte sich abwenden, doch Ahriman packte sein Kinn mit seinen fettigen Wurstfingern und zwang ihn hinzusehen.
„Ah-ah-ah, du willst dir dieses Spektakel doch nicht entgehen lassen“, maulte er gekränkt. „Sie ist der Hauptakt, Herzchen!“
Er blickte Miu in die Augen. Die würden sie ihr nicht ausstechen. Geblendet war das Grauen der Kerker schließlich nur halb so entsetzlich... Nie in seinem gottlosen Leben war Faust näher davor gewesen, die Götter anzuflehen; sie zu bitten, Miu das Bewusstsein zu rauben, ehe sie ihr Schweigegelübte brechen konnte.
Halte durch, Miu.
Der Folterknecht legte den Hebel um.
Sie klammerte sich an seinen Blick wie eine Ertrinkende an einen Holzscheid. Hacken, Schwerter und Schrauben fraßen sich wie hungriges Getier durch ihren Körper. Doch sie schwieg. Totenbleich und reglos wie in Stein gemeißelt schleuderte sie ihren Peinigern ihren stummen Protest entgegen. Faust ließ ihren Blick nicht los, wagte es kaum zu blinzeln. Fast eine Stunde harrten sie so aus, bis der unbeugsame Funke in ihren Augen erlosch und Ohnmacht sie erlöste.
Stille.
„Amüsant“, befand Ahriman schließlich, zog dabei jedoch eine pikierte Schmolllippe, als ob Mius Triumph etwas Anstößiges sei.
Faust schloss erschöpft die Augen. Dann lachte er leise. Es tat höllisch weh, aber diesen kleinen Ausdruck des Stolzes konnte er sich nicht verkneifen. Der Kerkermeister warf ihm einen verärgerten Blick zu. Dann schlug er ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Als Faust noch immer weiterlachte, schlug er noch einmal zu. Und noch einmal. Wie ein trotziges kleines Kind. Faust hörte nicht auf zu lachen, bis ihn die Dunkelheit umfing.
Aufwachen ist keine gute Idee, war sein erster Gedanke, als er die Augen wieder aufschlug.
Es war dunkel und kalt in der kleinen Zelle. Ein vergittertes Türfenster, das auf den fackelerleuchteten Flur hinausging, war die einzige Lichtquelle. Nur schemenhaft erkannte er Miu, die neben ihm kniete und seine Wunden mit Wasser benetzte – wie er sie kannte, hätte sie dafür auch ihre letzte Ration Trinkwasser gegeben. Heilen konnte sie ihn nicht, denn die eisernen Sklavenringe, die sie beide um den Hals trugen, unterdrückten alle Art von Magie. Faust wollte sich aufsetzen, doch sein pochender Schädel schien nicht viel von dieser Idee zu halten.
„Bleib liegen“, sagte Miu so leise, dass er erst glaubte, er hätte sich verhört.
„Du sprichst!“ Verwundert sah er zu ihr auf und erst jetzt erkannte er, dass sie unversehrt war. Schmutzkrusten bedeckten ihren nackten Körper, doch sie schien nicht einen einzigen Kratzer zurückbehalten zu haben. Eilig wandte er den Blick ab, bevor sie falsche Schlüsse ziehen konnte. Nicht, dass er sich nach der Folter sicher gewesen wäre, dass er bestimmte Körperteile überhaupt noch besaß… Lieber nicht dran denken.
„Warum, Miu?“, fragte er. „Du hast keinen Ton von dir gegeben. Du hast mir einen Mordsschrecken eingejagt, aber, verdammt, du hast nicht mal gezuckt! Meister Schwabbelbacke hat sich fast ins Knie gepisst vor Wut. Also warum hast du dein Gelübde gebrochen?“
„Es spielt keine Rolle“, murmelte sie. „Mein Schweigegelübde ist nicht das einzige, das sie mich zwingen werden zu brechen. So ist wenigstens das meine eigene Entscheidung.“
„Naja, ich bin auch nicht gerade scharf drauf, zu erfahren, wie’s in den Gedanken der fetten Tunte so aussieht.“ Ächzend setzte er sich auf und lehnte den Kopf gegen die kalte Wand. „Hör mal, Miu, ich weiß, im Moment sitzen wir ziemlich in der Scheiße. Aber du kennst mich doch… Ich bring‘ uns wieder hier raus.“
„Du kommst sicher wieder hier raus.“ Ihr Blick glitt mutlos über die Wände. „Du bist der Auserwählte.“
„Ach, inzwischen denke ich, das ist Schwachsinn. Niemand hat mich auserwählt. Ich habe immer selbst meinen Weg gewählt.“
„Das ist nicht ganz wahr… Kennst du die Geschichte deines Schwertes?“
„Die Legende der Schwerter Hass und Liebe? Ja, Omega erzählte sie mir vor langer Zeit.“
Sein Schwert Zwiespalt, so wollte es die Legende, war entstanden, als die beiden Schwerter Hass und Liebe, zwei mächtige Artefakte, im Kampf aufeinander trafen. Der Gegensatz war so groß, dass ihre Träger zu Staub zerfielen und das Universum etwas völlig Neues erschaffen musste, um das Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. So entstand Zwiespalt. Der erste, der das volle Potential des Schwertes erkannte, war ein entehrter Samurai namens Faust, dessen Namen zum Ordensnamen des Trägers der Chaosklinge wurde. Im Laufe der Jahrhunderte erwählte das Schwert viele Kämpfer. In manchen siegte die Liebe, in anderen der Hass.
„Der Träger des Schwertes Liebe ist mein Vorfahr“, erklärte Miu. „Es war sein Ahnengeist, der mich darum bat, über deine Seele zu wachen. Damit nicht der Teil von Zwiespalt in dir siegte, der aus Hass geboren wurde, wie in deinem Vorgänger.“
„Das Schwert beherrscht mich nicht“, verteidigte sich Faust.
„Damals bei dem Engel…“
„Das tat ich, weil ich es wollte.“
„Es war falsch, Faust! Du hättest niemals einen Diener des Pantheons angreifen dürfen!“
„Diener des Pantheons!“, knurrte er verärgert. „Was kümmert es dich überhaupt? Es sind nicht einmal deine Götter.“
„Ob Götter oder der Rat der Ahnen“, erwiderte Miu ernst. „Es muss etwas geben, das über uns steht. Ich weiß, du hältst nicht viel von kosmischen Hierarchien. Aber was wäre die Alternative?“
„Freiheit“, sagte Faust überzeugt. „Ohne die Götter wären wir frei.“
„Anarchie“, widersprach Miu leise. „Die Herrschaft des Stärkeren. Nur eine andere Art von Hierarchie.“
Faust schwieg. Er wusste, sie hatte nicht Unrecht. Und dennoch: Zu viele Gräueltaten wurden im Namen von Göttern und Teufeln verübt. Die Welt wäre vielleicht nicht eine bessere, wenn jeder gezwungen wäre, in seinem eigenen Namen zu handeln. Aber wenigstens eine ehrlichere.
„Am Anfang hatte ich solche Angst vor dir“, sagte Miu plötzlich unvermittelt. Sie senkte verlegen den Blick. „Ich hielt dich für brutal, vulgär und unmoralisch.“
„Ich bin brutal, vulgär und unmoralisch!“
Sie lächelte, doch es war ein trauriges Lächeln.
„Faust, du musst mir etwas versprechen. Wenn mir hier… Wenn mir etwas Schlimmes widerfahren sollte, dann darfst du nicht… ausrasten.“
Faust runzelte die Stirn.
„Du weißt, ich hab’s nicht so mit Versprechungen.“
„Du hältst dich an die, die dir wichtig sind.“
„Ich versuch’s.“
Miu schien zufrieden. Doch Faust hatte plötzlich einen schrecklichen Verdacht.
„Miu“, sagte er alarmiert. „Ich will, dass du mir auch ein Versprechen gibst.“ Er kniete sich ihr gegenüber und hielt ihr die Hand hin. „Lass uns darauf einschlagen, dass wir keinem dieser Folterknechte das geben, was sie von uns wollen!“
Sie wurde blass und wandte betroffen den Blick ab.
„Tu nichts Dummes, hörst du“, murmelte Faust mit belegter Stimme.
… sonst tue ich etwas sehr viel Dümmeres.
Winter
„Ja, wir sind Piraten und fahren zu Meere; wir fürchten nicht Tod und den Teufel dazu!“, grölte Winter aus vollem Hals und beschwor Bilder von feiernden Matrosen und stürmischen Hafennächten. Ob es nun an ihrer haarsträubenden Gesangsstimme lag oder ob Mephisto bereits an einem neuen Plan arbeitete, sich an ihr und Ares zu rächen – jedenfalls hatte er sich seit Stunden nicht mehr in ihrem Kopf blicken lassen.
Endlich hörte sie, wie die Tür geöffnet wurde.
„Lord Ares?“, fragte sie bang.
In nächsten Moment wurde sie von einer antimagische Welle erfasst, die jeden Zauber schluckte, der auf ihr lag. Doch auch Mephistos Beherrschungszauber fiel dem Bannsturm zum Opfer. Jemand befreite sie von Fesseln und Augenbinde.
„Grim!“ Sie schluchzte vor Erleichterung auf und fiel ihrem Bruder um den Hals. „Oh, Grim, es war so schrecklich!“
Der Priester trat einen Schritt zurück, um sie kritisch in Augenschein zu nehmen.
„Mit dem Fummel kommst du mir aber nicht in die Abtei“, brummte er und legte ihr seinen Umhang um die Schultern. Oh, tat das gut wieder Opfer seines grimmigen Humors zu sein! Erst als sie ihren Bruder ausgiebig gedrückt hatte, wandte sie sich seinen beiden Begleitern zu: Ares und Elijas.
„Ihr schuldet uns eine Erklärung!“, brummte Grimwardt.
„Ich schulde euch gar nichts“, erwiderte Lord Ares mit der mutwilligen Arroganz eines Mannes, der es gewohnt war, andere vor den Kopf zu stoßen.
Etwas versöhnlicher forderte er sie auf sich zu setzen. Die Farben des Wohnraums, in dem sie sich aufhielten, waren seltsam gedämpft und das Kaminfeuer spendete nur spärliches Licht.
Die Schattenebene, erkannte Winter erstaunt.
Als sie zum ersten Mal hier gewesen war, hatte sie die Ebene als kalt und abweisend empfunden. Inzwischen hatte sie ihre düstere Schönheit zu schätzen gelernt und die Schatten umschmeichelten sie wie stumme Verehrer.
Sie versammelten sich um den Tisch und Ares ließ seine Abishai-Diener Speisen und Getränke auftischen. Winter wagte es endlich, ihrem knurrenden Magen nachzugeben und langte kräftig zu. Der Halbteufel lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Fenstersims, an dem hin und wieder Schatten-Wächter vorbeihuschten. Er schien dieses Versteck schon seit langem zu pflegen und Winter begann sich zu fragen, wie lange er den Verrat an seinem Herrn wohl schon plante.
„Erwartet keine Entschuldigung dafür, dass ich euch am Seelensee nicht gerade mit Samthänden angefasst habe“, begann er. „Mephisto ahnte, dass ich etwas gegen ihm im Schilde führte. Hätte er zu diesem Zeitpunkt an meiner Loyalität gezweifelt, wären wir alle verdammt gewesen.“
„Was ist mit Faust und Miu?“, fragte Winter ungeduldig. „Wo sind sie?“
„Er hat sie in die Folterkammern geschickt. Dort sind sie für uns unerreichbar.“
Betroffen wartete sie auf mehr, doch es kam nichts.
„Und damit hat sich die Sache für Euch erledigt?!“, fragte sie empört. „Aber… Er ist Euer Sohn!“
„Es wäre Wahnsinn dort aufzukreuzen“, erwiderte Ares scharf. „Wir würden geradewegs in Mephistos Falle laufen. Sein göttlicher Sinn würde uns aufspüren, sobald wir Baator betreten.“
„Nun, das werden wir riskieren müssen! Wir können sie doch nicht…!“
Grimwardt legte ihr mäßigend die Hand auf den Arm.
„Dann ist es also wahr?“, murmelte er düster. „Er hat Asmodeus getötet und seinen Platz eingenommen…“
„Nein, Asmodeus lebt“, sagte der Halbteufel. „Aber hört euch die Geschichte vom Anfang an: Vor einigen Monaten fiel mir auf, dass Mephistopheles oft für längere Zeit verschwand und bei öffentlichen Auftritten ein Double für sich auftreten ließ. Ich ging der Sache nach und fand heraus, dass er viel Zeit in einem außerdimensionalen Laboratorium in der Höllenfeuer-Akademie verbrachte. Das ließ mich aufhorchen: Mephistopheles ist seit jeher der Ansicht, dass er Herr der Neun Höllen sein sollte, nicht Asmodeus. Er ist sich seiner Sache so sicher, dass er das Asmodeus sogar ins Gesicht gesagt hat. Ich schloss darum, dass dieses Labor ihm als Rückzugsort diente, wo er an seinen Plänen arbeiten konnte, ohne Asmodeus‘ göttlichem Blick ausgeliefert zu sein. Es dauerte lange, bis ich einen Weg in das Labor fand und als es mir schließlich gelang, fand ich den Raum verlassen und leer vor. Also befragte ich die Wände mit Hilfe eines Historienzaubers. So erfuhr ich von dem Zauber: ein Ritual, das es ihm erlaubt, die Ränge eines Gottes zu stehlen – die kosmische Energie, die göttliche Macht definiert. Er hätte dieses Ritual niemals allein entwickeln können! Ich weiß nicht, welcher Gott sein Verbündeter ist, denn hier versagte mein Aufklärungszauber, doch ich bin mir sicher, dass er höheren Beistand hatte. Ich ahnte auch nicht, dass er seine Pläne bereits in die Tat umgesetzt hatte, bis ihr auftauchtet. Doch ich vermute, dass Asmodeus noch lebt. Sonst hätte Mephisto seinen Coup niemals so lange geheim halten können. Der Tod eines Gottes wäre dem Pantheon gewiss nicht entgangen. Ich glaube, er hält Asmodeus irgendwo in Nessus gefangen. Vermutlich kann Mephisto ihn nur anzapfen, wenn er am Leben ist.“
„Hm, also dann wart Ihr Baalzebuls Informant in Cania?“, schloss Grimwardt.
Ares runzelte argwöhnisch die Brauen. Als der Kriegspriester ihm von ihrem Pakt mit dem Herrn der Lügen erzählte, nickte er widerwillig. „Ja, es stimmt, ich habe seit langem auf eine solche Gelegenheit gewartet und ich brauchte Verbündete in den Neun Höllen.“
„Auf eine solche Gelegenheit?“, schnaubte Winter. „Nun, die Gelegenheit dürfte Euch gründlich durch die Lappen gegangen sein. Mephisto ist Herr der Neun Höllen!“
Er lächelte hart. „Ich hatte nie vor, ihn daran zu hindern. Er hat seinen Triumph nur deshalb bis jetzt geheim gehalten, weil er genau wusste, dass es zum Krieg kommen würde, wenn die anderen Höllenfürsten von Asmodeus‘ Sturz erfahren würden. Einige von ihnen – allen voran Baalzebul – werden Mephistos Herrschaftsanspruch nie und nimmer anerkennen. Er spielte auf Zeit, denn er ist noch nicht so stark wie Asmodeus: Er kann nicht all seine Ränge auf einmal absorbieren; das würde ihn umbringen. Insofern habt ihr ihm vermutlich einen größeren Stich versetzt, als er zugeben will: Euer Angriff am Seelensee war heftig genug, um ihn zu zwingen, Asmodeus‘ göttliche Kraft in aller Öffentlichkeit gegen euch einzusetzen. Der Krieg der Legionen ist nun nicht mehr aufzuhalten. Und ich werde ihn anführen.“
Ares‘ Augen glühten vor Tatendurst. In diesem Moment erinnerte er Winter so sehr an Faust, dass es ihr einen eisigen Stich versetzte.
„Natürlich würde keiner der sieben Höllenfürsten mir folgen“, fuhr er fort. „Ich bin schließlich nur ein Halbblut; Mephistos sterblicher Lakai. Aber ich werde etwas haben, das keiner von ihnen hat: ein Mittel, Mephisto seiner gestohlenen Göttlichkeit zu berauben: Omegas Schwert.“
Elijas, er bis jetzt schweigend im Schatten geharrt hatte, runzelte argwöhnisch die Stirn.
„Was hat Omegas Schwert damit zu tun?“
„Himmelssplitter ist vermutlich die mächtigste Waffe, die je geschmiedet wurde. In Kara-Tur ranken sich unzählige Legenden um diese Klinge. Ihre volle Macht kann sie nur mit der Hilfe von neun Kugeln entfalten. Ich weiß, dass Omega eine dieser Kugeln besitzt, Terra, die Kugel der Erde. Die meisten jedoch gingen über die Jahrtausende verloren. Eine der Kugeln, Chaos, hat der Legende nach die Fähigkeit, einem Gott für eine Zeitlang seine Ränge zu rauben. Um Mephisto zu besiegen brauche ich also beides – das Schwert und die Kugel.“
Der Avariel schüttelte entschieden den Kopf. „Die Ordensschwerter offenbaren ihre Macht nur ihren erwählten Trägern. Himmelssplitter wird Euch niemals als Träger akzeptieren.“
„Doch, das wird es“, erwiderte Ares unbeeindruckt. „Himmelssplitter wird alles dafür tun, um zu Omega zurückzukehren. Wenn ich Mephisto besiege, macht mich das zum Herrn über Cania. Omegas Schicksal liegt dann in meiner Hand…“
„Ihr wollt einen Pakt mit einem Schwert schließen?“, fragte Winter ungläubig.
„Ja“, erwiderte Ares ruhig. „Und wenn ihr Omegas Seele erlösen und Desmond und das Mädchen befreien wollt, werdet Ihr mich dabei unterstützen. Ihr müsst für mich die Chaos-Kugel finden, während ich mich um Verbündete unter den Höllenfürsten bemühe.“
Eine Zeitlang herrschte Schweigen.
„Wo ist dieses Schwert nun?“, fragte Grimwardt schließlich.
„Am Grund des Teichs der Neun Schwerter“, antwortete Elijas. „Nur durch den Stein des Ordensführers können die Klingen beschworen werden.“
Der Priester maß Ares mit einem verdrießlichen Blick.
„Nun, wenn niemand einen besseren Plan hat, schlage ich vor, dass Ihr dieses Schwert vom Grund des Teiches holt.“
„Da gibt es nur ein Problem“, murmelte Elijas verlegen. „Ich bin nicht mehr Omegas Stellvertreter. Hades ist der neue Ordensführer der Neun Schwerter.“
Ein dreistimmiges Stöhnen hallte durch das Gebäude.
Faust
Drei Tage später.
Zwei Folterknechte schubsten ihn durch die Tür des Verhörraums und drückten ihn unsanft auf einen der beiden Stühle. Kurz darauf öffnete sich die gegenüberliegende Tür und Ahriman hievte seine schwere Wampe in den Raum. Wie üblich war der Kerkermeister von einer süßlich-fäkalen Nebelwolke umhüllt, die selbst einem Stinktier Kopfschmerzen bereitet hätte. Genüsslich puhlte er sich fremdes Blut unter den Fingernägeln hervor, ehe er einmal kurz schnipste, worauf sich ein Pergamentbogen in der Luft entrollte.
„Der Fürst hat dein Angebot einer genauen Prüfung unterzogen und besteht auf ein paar kleine Änderungen.“
Argwöhnisch studierte Faust das Dokument.
„Fünfzehn Jahre?“, knurrte er. „Ich hatte dreißig gefordert!“
„Herzchen…“ Meister Schwabbelbacke hatte begonnen seine Krallen mit einer Nagelfeile zu bearbeiten. „Dreißig Jahre wurden Omega gewährt. Deine Seele ist nicht einmal halb so viel wert. Der Fürst ist äußerst großzügig.“
„Und Miu…“
„Eine Seele, ein Fahrschein. Wir verteilen hier keine Freifahrscheine. Das kleine Zuckerpüppchen bleibt hier.“
Hätte er sein Schwert zur Hand gehabt, hätte Faust das gepuderte Schleusen-Grinsen des Kerkermeisters liebend gern um ein paar blutige Fingerbreit vergrößert. Doch er riss sich zusammen und las sich den Pakt bis zum Ende durch. Dem Rest seiner Forderungen hatte Mephisto entsprochen: Er würde aus den Kerkern entlassen werden und all seine Gegenstände zurückerhalten. Bevor die Frist von fünfzehn Jahren abgelaufen war, durfte ihn kein Teufel Canias aufsuchen mit der Absicht ihn zu töten.
Fünfzehn Jahre.
Faust schloss die Augen und fuhr unschlüssig über die Tätowierung auf seinem Arm.
Was er vorhatte, war riskant. Es gab keine Garantie dafür, dass er jemals in der Lage sein würde, die Zeit zu manipulieren und den Bedingungen des Paktes zu entgehen. Aber er musste es versuchen. Er musste in Erfahrung bringen, was mit Winter, Grim und Tyrail geschehen war. Er musste verhindern, dass Miu ihre Seele für ihn hingab. Es brach ihm das Herz, sie allein hier zurückzulassen. Und er wusste, es würde sie zerstören, wenn sie hiervon erfuhr. Doch dieses Opfer musste er um jeden Preis verhindern.
Vergib mir, Miu…
Er holte noch einmal tief Luft und zog den Zeremoniendolch über seine Handfläche. Hastig setzte er seinen blutigen Namen neben Mephistos Unterschrift, bevor er es sich anders überlegen konnte. Eilfertig rollte sich das Pergament zusammen und fiel ihm in den Schoß.
Meister Schwabbelbacke ließ ihm seine Sachen bringen und schloss ihn mit einem tiefen, rührseligen Seufzer in seine stinkenden Arme.
„Und so geht er dahin“, jammerte er. „Sei ein böser Bub, Herzchen, bis wir uns in fünfzehn Jahren wiedersehen!“
„Oh, wir werden uns schon früher wiedersehen“, sagte Faust mit tödlichem Ernst. „Verlasst Euch drauf: Ich komme zurück!“
„Ach, Herzchen, das sagen sie alle“, seufzte der Kerkermeister und kniff ihm schäkernd in die Wange. „Also, wo darf’s denn hingehen?“
Gute Frage.
Er würde magische Hilfe brauchen, um Winter und Grimwardt aufzuspüren. Elijas, war sein erster Gedanke, aber bei den Neun Schwertern würde er sich auch Hades stellen müssen. Und in seiner gegenwärtigen Verfassung konnte er nicht garantieren, dass er den Richter nicht zu Pastete verarbeiten würde, wenn er noch einmal versuchen sollte, ihn in einen Käfig zu sperren. Ihm fiel nur ein Mann ein, der ihm ohne zu zögern helfen würde, wenn es darum ging, den Fedaykin-Geschwistern zu helfen: Nimoroth Lyrael.
„Bringt mich nach Myth Drannor.“
Schwabbelbacke konnte es sich nicht verkneifen, ihm einen eiternden Kuss auf den Mund zu drücken, ehe er den Dimensionszauber sprach.
Die Mittagssonne strahlte so hell, dass sie Faust die Tränen in die Augen trieb. Verdammt, er hatte völlig vergessen, wie grün die Welt sein konnte. Für einen Augenblick schloss er die Augen und gab sich der schlichten Freude hin, die Sonne wieder auf seiner Haut zu spüren. Er stand auf einem bewaldeten Hügel, von dem er in einiger Entfernung die Türme der Elfenstadt erblickte. Faust folgte dem Plätschern eines Baches, um sich zu waschen und den scheußlichen Abschiedskuss wegzugurgeln. Dann legte er seine Rüstungsgegenstände an. Als er hinter sich das Knacken eines Zweiges hörte, fuhr er herum.
Tyrail zog sein Schwert.
Er sah schrecklich aus. Was auch immer er in den letzten Tagen durchgemacht hatte, es hatte alle Überheblichkeit aus seinen Zügen gewaschen und die bittere Verzweiflung darunter bloßgelegt. Alarmiert hielt Faust Ausschau nach Zeichen einer Verwandlung: rote Augen, der Ansatz einer Schuppenhaut…
Nein, natürlich nicht.
Er stieß ein grimmiges Schnauben aus.
„Er kann mir keinen seiner Teufel auf den Hals hetzen, um meine Seele zu verdammen, also schickt er dich? Was bekommst du dafür, wenn du mich jetzt tötest?“
„Niemand schickt mich.“ Tyrails Stimme klang düster und rau. „Ich werde heute meinen Blutschwur erfüllen.“ Sein Blick glitt den Hügel hinunter und verweilte eine Zeitlang auf den Dächern der Elfenstadt. „Bezeichnend, dass du ausgerechnet diesen Ort für unseren letzen Kampf ausgewählt hast. Einst ein Juwel meines Volkes, das nun von eurem Gift durchdrungen ist.“
Faust verdrehte die Augen.
„Hör auf mit dieser Eldreth-Veluuthra-Kacke. Ich habe überhaupt nichts ausgewählt und ich werde mich auch nicht schon wieder mit dir schlagen!“
Der Elf lachte leise in sich hinein. „Weißt du, Faust, ich bin froh, dass ich dir in die Hölle gefolgt bin. Ich habe nie klarer gesehen. Sie ist wie euer Herz: das Zentrum all des Bösen, das ihr in die Welt gebracht habt.“
„Wenn du das glaubst, bist du wirklich verloren!“
„Es waren eure Götter, die Asmodeus verbannten!“, zischte Tyrail mit Nachdruck. „Die Götter, die euch nach ihrem Abbild schufen! Die Götter, die die Zauberpest über Faerûn brachten und damit die letzten von uns ins Exil nach Arvandor trieben! Die einzigen, die noch übrig sind, sind Verräter wie die Teufelsbuhle Antilia, die ihr Volk vergessen hat, und diese Hexe von Myth Drannor, die euch die Tore öffnet und euch einlädt, euer Blut mit dem unseren zu vermischen, bis nichts mehr von uns übrig ist!“ Tränen der Überzeugung liefen ihm übers Gesicht. „Der Kampf der Tel-Quessir ist längst verloren und ich habe kein Interesse, länger in eurer vergifteten Welt zu leben! Diesmal wirst du mich nicht am Leben lassen, sollte ich versagen. Dafür habe ich gesorgt.“ Er trat so nah an Faust heran, dass er Tyrails Atem auf seiner Wange spürte. „Ich weiß ja, du bist ein Tier! Du brauchst den Rausch und die Wut! Also hör mir gut zu: Ich habe die beiden brutalsten Kultisten, die ich auftreiben konnte, zu deiner Ordensschwester geschickt! Die haben immer Bedarf an Jungfrauen! Ich wette, die werden viel Spaß mit deiner kleinen Freundin haben!“
Fausts Gesichtszüge erstarrten.
„Du hast eine Minute, um dich vorzubereiten“, sagte der Elf kalt und wandte sich ab, um sich kampfbereit zu machen.
Oh, Tyrail.
Das war Mephistos Werk. Er hatte auch das letze bisschen Ehre in Tyrail mit Hass und Verzweiflung verseucht. Um Mius Willen versuchte Faust in ihm den zurückgezogenen, jungen Elfen zu sehen, der mit ihm zusammen die Ausbildung bei den Neun Schwertern begonnen hatte. Doch er sah nur den selbstzerstörerischen Fanatiker, der mit blutunterlaufenen Augen und wirrem Haar auf seinen Angriff lauerte. Was auch immer Thallastam und die Klinge Blauzorn an Gutem in ihm gesehen hatten – es war ausgelöscht.
Du hast es so gewollt, du mieses Schwein!
Faust zog sein Schwert.
Zur Vorbereitung sprach er nur einen einzigen Zauber – wie schon bei ihrem letzten Kampf umgab er sich mit einer antimagischen Zone, um den Klingengeist von seinem Gegner abzuschneiden.
Ein Fehler.
Tyrail machte keinen Fehler zweimal. Die Klinge stoßbereit über der Schulter, schnellte er auf ihn zu, stieß sich ab und katapultierte sich mit solcher Wucht vorwärts, dass der Sprung Faust von den Füßen riss. Er schnappte nach Luft, als Blauzorn seine Magendecke durchstieß. Die antimagische Zone unterdrückte den Schutz, der für gewöhnlich seine inneren Organe vor Schaden bewahrte und er war gezwungen, den Zauber aufzugeben, um Schlimmeres zu verhindern. Tyrail hatte seine Lektion aus ihrem letzten Kampf gelernt! Faust wälzte sich zur Seite, um den rasanten Folgestößen auszuweichen. Tyrail ließ ihm keine Gelegenheit für einen Gegenangriff - seine Bewegungen flossen schneller als die Zeit. Ein Schulterhieb, der ihm beinahe das Bewusstsein raubte, nagelte Faust zu Boden, sodass er nicht einmal mehr ausweichen konnte. Ein wahnwitziges Funkeln flackerte in Tyrails Augen, als er sich aufrichtete und zum Todeshieb ausholte.
Das war’s.
Fieberhaft suchte Faust nach einem Ausweg. Er zog sich an den Ort in seinem Innern zurück, den er in den Folterkammern von Cania entdeckt hatte. Der Ort, wohin kein Schmerz ihm folgen konnte. Miu! Er klammerte sich an ihr Bild, klammerte sich an den Gedanken, dass er zurückkehren musste, um sie zu retten! Brüllend stieß er sich ab und warf sich auf seinen Gegner. Hieb um Hieb drängte er Tyrail zurück ohne sich um Gegenangriffe zu kümmern. Tyrails Überlegenheitssinn schwand mit jedem erfolgreichen Schlag. Er spürte, dass der Elf am Rande seiner Kräfte war. Mit einem letzten zornigen Schlag nagelte er ihn gegen einen Baumstamm. Als Faust die Klinge aus seinem Körper riss, sackte der Elf zu Boden.
Gefangen in dem Wahn, in den er sich selbst versetzt hatte, schleuderte Faust seine Waffe von sich, packte Tyrails Schädel und rammte ihn gegen den Baumstamm. Er wusste, wenn er ihn jetzt tötete, hatte Tyrail erreicht, was er beweisen wollte. Trotzdem konnte er nicht aufhören. Rinde splitterte, bis sein Gesicht nur noch eine blutige Fratze war.
Faust, du musst mir etwas versprechen…
Er heulte auf. Er hatte es ihr versprochen! Er hatte ihr versprochen, dass er nicht ausrasten würde! Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung riss er sich los. Stolpernd rannte er durchs Dickicht, während Zweige ihm ins Gesicht peitschten. Am Fuße des Hügels brach er schließlich zusammen. Lange lag er blutend und zitternd im Gras, ehe er die blasse Gestalt im Schatten der Bäume wahrnahm. Mühsam richtete er sich auf.
„Lasst mich in Frieden!“, schleuderte er Thallastam entgegen, während ihm Tränen der Wut über die Wangen strömten. „Schönen Dank für Eure Hilfe!“
„Ich schätze, diesmal habe ich deinen Zorn verdient“, murmelte der Geist. „Aber es war meine freie Entscheidung sein Klingengeist zu werden. Ich habe nicht das Recht ihn zu verlassen, wenn mir seine Taten nicht gefallen. Ich kann nur darauf hoffen, sie zu beeinflussen…“
„Na, das klappt ja großartig!“
„Du hast Recht.“ Nicht einmal die tiefe Traurigkeit in Thallastams Augen konnte Fausts Bitterkeit lindern. „Tyrail ist verloren. Es tut mir leid, dass ich das nicht früher erkannt habe. Ich hätte ihn niemals bitten sollen, dir in die Hölle zu folgen.“ Der Geist schwebte näher. „Ich schätze, ich war stets nachsichtiger mit ihm als mit dir, da ich mich für sein Schicksal verantwortlich fühlte. Als er noch sehr jung war, wurde er Zeuge eines Massakers, bei dem die meisten Elfen seines Dorfes ums Leben kamen. Ich hatte die Angreifer ins Dorf geführt in der Hoffnung, dass es eine Aussprache zwischen ihnen und den Elfen geben würde. Ich ahnte nicht, welches Grauen sie anrichten würden. Das Dorf wurde von einem Eldreth-Veluuthra-Rat regiert. Antilia war eine der Anführerinnen. Ich dachte, sie sei bei dem Angriff ums Leben gekommen. Sie als Mephistos Mätresse wiederzusehen, hat Tyrail in eine tiefe Düsternis gestürzt, aus der er sich nicht mehr befreien konnte. Sie stand einst für alles, woran er glaubte.“
„Nichts kann rechtfertigen, was er Miu angetan hat“, murmelte Faust. Während Thallastams Enthüllung war ihm klargeworden, wie er Tyrail zur Rechenschaft ziehen konnte. Nichts, was er tat oder sagte, würde je durch seinen gleißenden Schleier der Verblendung dringen. Nur das Wort eines Elfen konnte diesen Schleier lüften. „Er verdient es nicht zu sterben. Ich werde dafür sorgen, dass er in Myth Drannor verurteilt wird. Ich kenne einen Elfenfürsten des Hohen Rates, der mir mit Sicherheit dabei behilflich sein wird, wenn er von seinen Verbrechen erfährt. Soll sein erwähltes Volk ihn in die Verbannung schicken! Vielleicht erkennt er dann den Wahnwitz seiner Irrlehren!“
Sein Lehrmeister wirkte betroffen, aber er widersprach ihm nicht.
„Einem N’Tel‘Quessir erscheint die Verbannung eines dhaerow oft als geringe Strafe, verglichen mit der Todesstrafe“, sagte er schließlich leise. „Doch das stimmt nicht. Der Tod ist für uns nicht das Ende, sondern nur eine Reise an einen anderen Ort. Wir verlieren nicht unsere Erinnerung an unser sterbliches Leben so wie ihr, wenn wir nach Arvandor gehen. Für einen Ausgestoßenen jedoch ist die Verbindung nach Arvandor für immer durchbrochen. Für jene, denen es nicht gelingt, sich in die menschliche Ordnung einzufügen, ist der Tod endgültig – ihre Seele löst sich einfach in Nichts auf. Ich erzähle dir das nicht, um dich aufzuhalten“, fügte er hinzu. „Ich will nur sichergehen, dass du weißt, was du tust.“
„Das weiß ich sehr genau“, erwiderte Faust düster.
„Aber ich bitte dich noch um eines: Bring uns nach Rabenklippe, bevor du Tyrail den Ark’Vellahr überantwortest.“
„Wieso?“
„Wenn Tyrails Verbindung nach Arvandor durchtrennt wird, werde ich ihn verlassen müssen. Doch es gibt noch etwas, das ich im Diesseits erledigen will: Ich werde Hades darum bitten, das Ordensurteil gegen dich aufzuheben.“
„Kennt Ihr Hades?“, fragte Faust sarkastisch.
„Besser als du denkst“, murmelte der Geist rätselhaft.
Faust zuckte gleichgültig mit den Schultern.
„Tut, was Ihr nicht lassen könnt.“
Er war zu erbittert, um zu hoffen.