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Autor Thema: Stadt der gläsernen Gesänge  (Gelesen 73859 mal)

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Nightmoon

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #270 am: 04. Juni 2012, 19:23:50 »
Ahhhhhh, sehr schön! Jetzt wirds ernst. War bestimmt kein einfaches Kapitel, aber ich finde es wieder sehr gelungen!

Niobe

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #271 am: 04. Juni 2012, 23:52:00 »
So schwierig war das Kapitel jetzt eigentlich nicht. Gab nur viel, was ich stark gekürzt habe, weil es nicht so besonders spannend war. Die Faust und Winter-Teile waren zwar nicht wirklich plottreibend, aber die wollte ich unbedingt reinbringen, weil ich beide Spielsituationen echt super fand. War schon ein bisschen arschig, wie Faust seine Mutter behandelt hat und Elijas da mit reingezogen hat ;-). Und der Dialog zwischen Winter und Xara hat einfach Spaß gemacht ^^

Winter

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #272 am: 26. Juni 2012, 19:56:08 »
Unfassbarerweise sehe ich das neue und sehr großartige Kapitel erst heute. Hoffe, du schreibst bald schon weiter!

Nightmoon

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #273 am: 26. Juni 2012, 21:39:42 »
Hab auch heute noch im Bus dran gedacht  ::)

Nightmoon

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #274 am: 26. Juli 2012, 19:12:51 »
Na, wie gehts denn vorran mit Abenteuer und Geschichte? Bin wiedermal ungeduldig, ich weiß  :D

Niobe

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #275 am: 26. Juli 2012, 22:45:25 »
Puh... tja, es mangelt im Moment an Zeit für beides zugleich, deshalb habe ich mich erst mal auf die Fortsetzung des Abenteuers konzentriert. Wann ich wieder zum Schreiben komme, weiß ich noch nicht...

Nightmoon

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #276 am: 23. August 2012, 20:33:44 »
Hach ja... freu mich schon auf den 08.! Jemand hat übrigens folgendes gepostet, über die offizielle Zukunft der Realms, könnte dich ja vielleicht interessieren: http://erikscottdebie.com/2012/08/21/candlekeep-seminar-201/

Niobe

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #277 am: 23. August 2012, 21:25:37 »
Tja, das könnte bald von Bedeutung sein  ::).  Bin auch mal auf den Fortgang gespannt. Das große Finale rückt langsam näher...

Nightmoon

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    • Schicksalsstreiter
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #278 am: 23. August 2012, 22:47:45 »
Hab durch das Lied von Eis und Feuer auch wieder ne neue Idee für eine Doppelkampagne, die in den Reichen spielen würde, aber bis dahin ist ja noch was Zeit ;)

Niobe

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #279 am: 17. Oktober 2012, 00:15:09 »
Kapitel VII: Der Schwarze Phönix

Winter
Nessusfälle, Achter Höllenkreis, zwei Zehntage später
Winter gab sich ganz der Macht der Schatten hin. Der Zaubersturm, den sie von ihrem Standpunkt hoch über dem Schlachtfeld entfesselte, sog den Baatezu der feindlichen Legionen das Wasser aus den Körpern, bis nichts mehr von ihnen blieb als Staub und Knochen. Eine ganze Schar fiel unter einem einzigen  Magieflackern. Um sie herum toste ein Sturm aus Eis und Feuer, den Mephistopheles aus seinem Versteck in Nessus auf die Flotte der Asmodeiden herab beschworen hatte, doch Winter spürte weder Hitze noch Kälte in ihrem Kokon aus Schutzzaubern.
Sie war so gefangen im Seelenrausch, dass sie erst merkte, dass die Schlacht gewonnen war, als der Himmel sich lichtete. Das zornige Farbenspiel aus bleckenden Flammen und klirrenden Hagelkörnern wich einem statisch-blutroten Himmel. Unter ihr ergoss sich der Styx ins schäumende  Nichts; dahinter nichts als gähnende Leere. Sie war bis an Canias Grenzen vorgestoßen.  
Die Nessusfälle waren ein Ebenenportal: der einzige Weg in den Neunten Höllenkreis, den Mephisto nicht abriegeln konnte, denn er hatte keine Macht über den Styx. Der Seelenfluss gehorchte „einem kosmischen Prinzip, das älter ist als die Götter“, wie Ares es ausdrückte.  Um die Flotte des Halbteufels daran zu hindern, dem Seelenstrom nach Nessus, ins Herz Baators, zu folgen, hatte Mephisto den Fluss etwa eine Meile vor den Nessusfällen in eine undurchdringliche Eisschicht gehüllt. Dann hatte er seine Legionen auf die Festgesetzten gehetzt.
Als Winter zu den Schiffen zurückkehrte, fand sie den Styx schwarz vor vom Teufelsblut der Gefallenen. Nicht nur Mephistos Heer war zerschlagen: Von den dreißig Schiffen, die Ares in die Schlacht geführt hatte, hatten weniger als die Hälfte den Höllensturm überstanden. Mit Bedauern stellte Winter fest, dass Ares‘ Flaggschiff unversehrt war. Sie hätte nur allzu gerne darauf verzichtet, unter dem Segel des Schwarzen Phönix nach Nessus zu fahren…
„Sind das alle, die übrig sind?“, fragte sie gedämpft, als sie neben Faust und Grimwardt am Bug des Kriegsschiffes landete. Schwerfällig knarrend quälte sich der Dreimaster zwischen den Eisschollen hindurch, die von Mephistos Frostzauber übriggeblieben waren.  
„Mephistos Höllenfeuermaschinen haben die Bodentruppen zermalmt.“ Der Kriegspriester deutete auf die Überreste eines magischen Konstrukts mit einer maulartigen Öffnung, das vor seiner Zerstörung pausenlos schwarze Feuerkegel gespuckt hatte. „Bels Flugscharen haben die Schlacht gedreht, aber wir haben schwere Verluste erlitten.“
Bel, einst Heeresführer der Legionen im Blutkrieg, war der einzige der verbündeten Höllenfürsten, der sich dazu herabgelassen hatte, unter dem Oberbefehl eines Halbteufels in die Schlacht zu ziehen. Baalzebul, Glasya und Fierna hatten sich gleich nach dem Heeresaufmarsch in ihre Paläste zurückgezogen, um Mephistos göttlichem Zorn zu entgehen, sollte Ares dem selbsternannten Herrn der Neun Höllen unterliegen. Baalzebul hatte versucht, sich in Winters Gedanken zu schleichen. Doch sie hatte all seine telepathischen Umgarnungen abgeschmettert. Vermutlich suchte der Herr der Fliegen noch immer nach einem Weg, Cania für sich zu beanspruchen. Doch Winter war es gleich, ob sich seine Intrigen gegen Mephisto, Ares oder Asmodeus richteten. Sie war es leid, zum Kollateralschaden teuflischer Ambitionen zu werden.
Unruhe legte sich über die Asmodeidenflotte, je näher sie dem donnernden Rauschen der Nessusfälle kamen. Stromschnellen ließen die verbliebenen Schiffe gefährlich schlingern und Eisschollen schrammten mit besorgniserregendem Knirschen an den Bordwänden entlang. An den Decks wurden Befehle gebrüllt, Drohungen ausgesprochen. Niemandem war wohl dabei, sich von einem erinnerungsraubenden Fluss ins dimensionale Nichts reißen zu lassen. Auch Winter musste den Impuls unterdrücken, einfach davon zu fliegen, als sich vor ihr der klaffende, gischtumschäumte Schlund auftat.
Sie schloss die Augen.
Völlige Schwerelosigkeit. Dann krachte ein Schiffsrumpf, splitterten Balken. Winter schnellte in die Höhe, kurz bevor eine Welle über die Schiffswand hereinbrach.
„Faust! Grim!“
Besorgt suchte sie im aufgewühlten Wasser nach ihren Gefährten. Erleichterung überkam sie, als Faust neben ihr auftauchte, der sich ebenfalls durch einen Flugzauber hatte retten können. Gemeinsam zogen sie Grimwardt aus den Fluten, ehe die quäkenden Seelenklumpen ihn unter Wasser ziehen konnten, und retteten sich auf eines der unversehrten Schiffe.
„Hat jemand Ares gesehen?“, fragte Faust.
Winter deutete auf die Gestalt des Halbteufels, der über all dem Chaos schwebte, ohne auf die panischen Schreie der von Bord Gespülten zu achten. Starr blickte er nach oben. Winter folgte seinem Blick eine steile Felswand hinauf. Blutfäden sickerten wie Tränen aus kleinen Felsöffnungen. Und am Rande der Schlucht, viele Mannslängen über ihnen, harrten, starr und drohend, gehörnte Gestalten mit ledernen Schwingen.
Höllenschlundteufel. Mindestens ein Dutzend.
Winter zog sich an jenen ruhigen, schattigen Ort an ihrem Innern zurück, der das Zentrum ihrer Magie war. Doch die Gestalten griffen nicht an.  

Grimwardt
Blutschlucht, Neunter Höllenkreis, einige Tage später
Es hieß, als die Götter den Engel Asrael in die Tiefen des Universums verbannten, fiel er neun Tage lang. Als er schließlich auf Land traf, hörte er nicht auf zu fallen. Sein Körper bohrte sich in die Erde, die seine Schwingen brach und klaffende Wunden in sein Fleisch riss. Als Asmodeus erhob er sich am Ende seines langen Falls, um die Nessusfeste zu erbauen. Und die Schlucht dorthin, der Weg seines Falls, wurde die Blutschlucht getauft, weil selbst die Felsen, die er geteilt hatte, bei seinem Anblick Blut weinten.  
Grimwardt warf einen düsteren Blick nach oben. Die Teufelsschar, die ihnen seit den Nessusfällen folgte, war nur noch als Ansammlung kleiner Punkte über der Blutschlucht zu erkennen. Immer tiefer schnitt die Schlucht in die zerklüftete Landschaft. Die Höllenschlundteufel waren eine reine Machtdemonstration. Mephistopheles hatte es nicht nötig, die spärlichen Reste der Asmodeidenflotte zu überwachen, denn inzwischen musste er genug von Asmodeus‘ Macht getrunken haben, um sie mithilfe seiner göttlichen Sinne zu orten. Vermutlich lauschte er jedem Wort, das sie sprachen. Aber dank des telepathischen Bandes, mit dem Winter die drei Gefährten verbunden hatte, mussten sie keine Worte wechseln, um ihre Kriegstaktik abzustimmen.  
Sie mussten darauf hoffen, dass Mephisto nichts von dem Schwert Himmelssplitter wusste – falls sein Misstrauen größer war als sein Hochmut, zog er sich womöglich in die Tiefen der Nessusfeste zurück, um sie aus der Ferne mit seinen Zauberstürmen zu überziehen. Doch Grimwardt rechnete damit, dass der Verrat seines Halbblut-Dieners ihn so in Rage versetzt hatte, dass er es Ares persönlich heimzahlen wollte. Dass er noch nicht angegriffen hatte, konnte nur bedeuten, dass er seine Feinde noch nicht dort hatte, wo er sie haben wollte. Gegen dieses Spiel konnten sie nichts ausrichten – ihr einziger Trumpf war Omegas Schwert. Versagte Ares, waren sie alle verloren.  
Nach einer halben Meile scherte das teuflische Empfangskommittee nach beiden Seiten aus und verschwand über dem Rand der Schlucht.  Das panische Wehklagen der Seelenmasse sagte Grimwardt, dass der Seelensee des Neunten Höllenkreises nicht mehr weit sein konnte. Und tatsächlich gab die Blutschlucht nach der nächsten Flussbiegung den Blick auf den Nessussee frei.
Der See war größer als die Seelenseen der übrigen Höllenfürsten zusammengenommen und von allen Seiten von blutweinenden Steilwänden umschlossen. Der Styxmündung gegenüber thronten die schwarzen, fensterlosen Türme der Nessusfeste auf einem Felsvorsprung. Auf dem Festungswall, der die Struktur in drei Ringen umgab, harrten die Verteidiger zu Hunderten.  Grimwardt zog seine Axt, während die Kriegsflotte auf den offenen See hinausfuhr. Eine grimmige Ruhe überkam den Kriegspriester, als er den Duft des bevorstehenden Gemetzels einatmete und dabei seine Schutzgebete sprach. Ganz gleich, wie diese Schlacht enden mochte: Jeder erschlagene Teufel war ein Triumph im Namen des Schlachtenherrn und aller Götter.
Plötzlich verlor Grimwardt den Halt unter den Füßen.
Der See gab ein tiefes Glucksen von sich und eine unsichtbare Kraft setzte das Wasser samt der hilflosen Seelenklumpen in Bewegung. Grimwardt wurde gegen die Bordwand  gepresst, als das Schiff sich zur Seite neigte und in rasender Fahrt die steilen Seewindungen hinab schlitterte. Ein Strudel riss ein klaffendes Loch in die Mitte des Seelensees, sodass sie in Windeseile von Wasserwänden umgeben waren wie von Gefängnismauern. In aller Eile sprach der Kriegspriester ein Gebet, dass ihn über Luft wandeln ließ wie über festen Boden. Auch seine Gefährten entkamen dem Malstrom. Blutige Wasserschleier versperrten die Sicht nach oben. Doch durch die Dunstschlieren erspähte Grimwardt die riesenhafte Silhouette einer Teufelskreatur mit ausgebreiteten Schwingen. Er biss die Zähne zusammen, um der fesselnden Aura der Ehrfurcht zu entgehen, die den göttlich aufgeplusterten Höllenfürsten umgab.
Diejenigen der verbündeten Teufel, die flügellos waren, fuhren kreischend in die wirbelnde Tiefe. Der Rest erstickte im Dunst der sengenden Höllenfeuerbälle, die Mephisto auf sie niederregnen ließ. Feuer, das so heiß brannte, dass selbst die Teufel darin zerflossen wie Butter in der Sonne. Innerhalb von Sekunden zerschlug der selbsternannte Herr der Neun Höllen das gegnerische Heer. Doch keiner seiner Angriffe galt Ares oder den Gefährten. Sie sparte er sich fürs Dessert auf.
Höhnisches Gelächter ließ die Wasserwände erzittern.
„All der Aufwand, Ares!“ Die Stimme kam von allen Seiten zugleich. „Du solltest es wirklich besser wissen!“
Ein Pergament entrollte sich vor dem Halbteufel in der Luft, der verdutzt zurückwich. Eine düstere Ahnung beschlich Grimwardt. Seine Knöchel traten weiß hervor, als er den Griff um seine Axt verstärkte.
 „Ganz recht, mein voreiliger Diener“, säuselte Mephistopheles hinter seinem Schutzschleier. „Ich brauche einen Statthalter, der für mich in Cania regiert. Du hast den Ehrgeiz, aber du denkst noch zu sehr wie ein Mensch! Sonst wüsstest du, dass du Canias Thron nicht durch das Schwert eroberst. Verrat ist die einzige Währung in Baator. Unterschreibe den Pakt mit dem Herzblut deines Sohns, knie nieder vor deinem Herrn und kehre als Höllenfürst nach Cania zurück. Oder stirb hier in Nessus und ende ruhmlos wie die Besitzerin des lästerlichen Schwertes, das du trägst!“
Grimwardt spürte bei dieser letzten Bemerkung einen bitteren Knoten in der Kehle.  Ares, der mit misstrauisch gerunzelter Stirn begonnen hatte, das Schriftstück zu entziffern, hielt mitten im Satz inne. Bedächtig steckte er Himmelssplitter zurück in die Schwertscheide.
„Du bist so ein Arsch!“, fauchte Faust.
Der Halbteufel richtete sein eigenes Schwert gegen seinen Sohn.
„Dein Herr scheint ja mächtig Schiss vor uns zu haben, wenn er uns auf so eine linke Tour gegeneinander aufbringen muss!“
Faust hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als die Wasserschleier sich teilten. Trotz seiner Größe bewegte sich der Herr der Neun Höllen so schnell, dass Grimwardt nichts als einen Blitz aus schwarzen und roten Farben wahrnahm, der Feuerschlieren in die Luft zeichnete. Faust begann zu würgen, als sich eine Hand aus magischer Energie um seinen Hals legte, während seine Haut schwarze Blasen warf.
„Worauf wartest du, Ares!“, zischte Mephisto, der weit unter ihnen am Grund des magischen Strudels schwebte. Er war so aufgeladen mit gestohlener, göttlicher Energie, dass die Luft um seine riesenhafte Gestalt magisch knisterte. „Bring deinem Bengel ein wenig Respekt bei!“
Sein Folterzauber zwang Faust in die Knie.
Ares hob sein Schwert über den Kopf, doch Grimwardt kam seinem Hieb zuvor. Der Halbteufel, den der Angriff auf dem falschen Fuß erwischte, riss im letzten Moment sein Schwert herum, doch Ambrosia schmetterte die blockende Klinge achtlos ab. Grimwardt schmeckte schwefeliges Teufelsblut, während sich Tempus‘ Zorn Hieb um Hieb gegen den verräterischen Halbteufel entlud. Noch ein Schlag und er hatte ihn! Doch eine Bewegung am Rande seines Blickfelds lenkte den Kriegspriester ab – etwas in Fausts Blick ließ ihn zaudern. Für den Bruchteil einer Sekunde hielt er inne – genug für den Halbteufel, um sich in eine magische Zeitstarre zu retten.

Faust
Ares‘ Zeitstarre war die Erlösung, auf die Faust gewartet hatte, um den brennenden Schmerz abzuschütteln, den Mephisto durch seine Adern jagte. Ares stieß ein zorniges Brüllen aus, während er die Kräfte der Erde und des Feuers beschwor, die seinen Körper anschwellen ließen, bis er sogar Mephistopheles  überragte.
„Tu es nicht!“, keuchte Faust. „Du willst einen Pakt? Schön, wir können…“
„Wir bleiben bei unserem Plan!“, zischte der Halbteufel und riss Himmelssplitter aus der Scheide. „Sag deinem Freund, dass er ein Narr ist!“
Doch Faust blieb auf der Hut. Erst als die Glasstahlklinge in hellblauem Licht erstrahlte, entspannte er sich. Und dennoch… die Erleichterung, die er verspürte, hatte einen bitteren Beigeschmack. War wirklich alles nur Schau gewesen?
Ob Berechnung oder nicht, Ares‘ vermeintlicher Gesinnungswechsel hatte Mephisto in Reichweite gelockt. Faust stob seinem Vater nach, der die Flügel anlegte und im Sturzflug auf den Höllenfürsten zuhielt. Alles, was nicht innerhalb seiner zeitlichen Zwischendimension geschah, war unveränderbar, doch Ares stimmte den Zauber und seinen Angriff so aufeinander ab, dass die Zeitstarre im selben Moment endete, da er Mephisto erreichte.
Wutentbrannt wirbelte der Höllenfürst herum.
Er verfehlt ihn, erkannte Faust in einer Schrecksekunde.  
Ares hatte nicht damit gerechnet, dass Mephisto noch die Zeit hätte, auf den Angriff zu reagieren. Seine göttlichen Sinne mussten ihn gewarnt haben. Aber Ares hatte alle Wucht des Sturzflugs in den Angriff gelegt, um durch den göttlichen Schutzschild seines Gegners zu dringen. Das schränkte seine Manövrierfähigkeit ein. Mephistos unverhoffte Bewegung würde seine Klinge ins Leere laufen lassen…
Intuitiv ließ Faust seine eigene Klinge vorschnellen. Zwiespalt mochte gegen Mephistos undurchdringlichen Panzer nichts ausrichten, aber das unruhige Lichtspiel der nach Teufelsblut lechzenden Klinge lenkte die Aufmerksamkeit des Gegners in seine Richtung. Die Finte gelang: Ares‘ Angriff hinterließ zwar nur einen Kratzer an Mephistos Kinn, aber der Zauber der Chaoskugel entfaltete seine Wirkung. Kurz trafen sich die erleichterten Blicke von Vater und Sohn und zum ersten Mal glaubte Faust so etwas wie Respekt in Ares‘ Augen zu lesen.
Mephisto keuchte entgeistert auf und schlug ein paar Mal um Fassung ringend mit den Flügeln, als die gestohlene Energie aus seinem Körper entwisch. Der göttliche Schein fiel von ihm, ließ ihn schrumpeln wie einen verfaulten Apel. Doch der erste Schock wich schnell loderndem Zorn. Brennende Äderchen platzten in den Augen des Teufels, als er Ares anvisierte. Sein Blick versprach tödliche Vergeltung, die augenblicklich in Form einer schwarzen Höllenfeuersäule über den Halbteufel hereinbrach. Ares‘ riesige Gestalt verschwand gänzlich im Zentrum einer gewaltigen Explosion. Doch während Faust von den Flammen zurückgedrängt wurde, erspähte er eine schwarze Feder, die im Feuersturm tanzte. Dann noch eine, ein Federschauer, als ob ein riesiger Vogel vom Himmel gestürzt wäre: Ares musste dem Tod wie bei ihrer Begegnung in Cania mit einer Phönixtransformation entronnen sein. Bis er sich aus den Überresten der Explosion regeneriert hatte, waren sie auf sich gestellt.
Ein Flügelschlag streifte Faust: Mephisto wich nach oben aus. Faust schnellte hinterher. Sein magischer Blick verriet ihm, dass Mephisto mit einem Eisenwacht-Zauber gegen die Angriffe seines Schwertes geschützt war, darum zückte er seine Keule. Kurz bevor er den Gegner erreichte, beschleunigte er seinen Flug und hieb schmetternd nach seinem Schädel. Knochen splitterten und Mephistopheles brüllte vor Schmerz, doch der betäubenden Wirkung, die dieses Kampfmanöver für gewöhnlich hatte, widerstand er. Magische Energie pulsierte durch seinen Körper und spannte seine Muskelstränge zum Zerreißen. Im nächsten Moment explodierte der Seelensee in einem Farbenmeer aus Säure-, Eis- und Feuerkugeln. Als Faust erkannte, dass der Zaubersturm ihn zerfetzen würde, geschah etwas Eigenartiges: Instinktiv wich er dem Angriff nicht im Raum aus, sondern in der Zeit. Der Effekt erstaunte ihn selbst: Er hatte den Augenblick der Explosion schlicht ignoriert.  
Langsam wird die Sache mit den Zeitstreichen interessant, Schiefkiefer!
Doch wo waren seine Freunde? Der Feuerdunst vernebelte ihm die Sicht. Dann erhaschte er einen Blick auf Mephistos Gestalt weit über sich. Faust fluchte: Die Beweglichkeit seines Gegners vereitelte die heftigsten seiner Kampfmanöver. Winter, die aus dem Nichts neben ihm auftauchte, sorgte für Abhilfe, indem sie die Gefährten in die Nähe des Höllenfürsten teleportierte. Mit einem zweiten Zauber gelang es ihr, die Eisenwacht des Teufels zu bannen.
Vor Überschwänglichkeit sprang Zwiespalt seinem Träger förmlich in die Hand. Zusammen mit Grimwardt drängte Faust den Teufel in die Defensive. Mephisto musste klar sein, dass er ihnen im Nahkampf unterliegen würde. Doch es gelang ihm, sich noch einmal freizukämpfen, indem er einen weiteren Höllenfeuerball auf sie niederfahren ließ und in die Tiefe des Seelenstrudels floh. Grimwardt, beseelt von göttlichem Zorn, stob ihm nach. Faust wollte es ihm gleichtun, doch eine unsichtbare Barriere ließ ihn zurückprallen. Plötzlich war er ringsum von magischen Schutzwänden umgeben: ein Energiekäfig. Er war erschöpft und der Gestank von verkohltem Fleisch erinnerte ihn daran, dass er den Schmerz nicht ewig würde unterdrücken können. Umso verbissener suchte er nach einem Ausweg. Schließlich umgab er sich mit einem antimagischen Feld, das neben dem Energiekäfig auch seinen Flugzauber unterdrückte, und ließ sich in die Tiefe fallen. Als sich die kämpfenden Gestalten von Mephisto und Grimwardt unter ihm abzeichneten, ließ er die Zone fallen, um den Sturz abzufangen.  
Plötzlich spürte Faust einen Luftzug und Ares schoss mit an den Körper gepressten Flügeln pfeilschnell an ihm vorbei, sein Schwert im Anschlag.
Er gehört mir!
Zwiespalt glühte protestierend auf, doch der Halbteufel war schneller: Mephisto riss den Blick nach oben und versuchte den Angriff  mit seinem Dreizack zu blocken, doch vergeblich: Die Klinge bohrte sich bis zum Heft in seine Schulter. Der Höllenfürst schrie und tobte und bäumte sich mit einem letzten, verzweifelten Flügelschlag auf. Doch das Gewicht seiner eigenen Schwingen drückte ihn nieder, bis er keuchend am Grund des Seelensees harrte. Schwarzes Teufelsblut quoll ihm aus Nase und Mund. Seine Augen waren schwarze Löcher, versengt von seinem eigenen Feuer, als er zu seinem Bezwinger aufsah.
„So geht mit mir unter!“, brach es über seine Lippen.  
Dann sackte der Herr des Achten Höllenkreises zusammen und der Malstrom, den er beschworen hatte, versiegte. Die wirbelnden Wasserwände erstarrten und es wirkte, als hätte jemand die Schleusen des Himmels geöffnet, als der Nessussee tosend über die Gefährten hereinbrach.
Faust holte tief Luft.  
Er spürte, wie sein Kopf gegen harten Grund stieß. Die Strömung riss ihn mit sich, trug ihn empor, während er verzweifelt gegen die Ohnmacht ankämpfte. Sprudelnde Dunkelheit umfing ihn. Er wusste nicht, wo oben und wo unten war. Etwas Kaltes berührte ihn, zog ihn mit sich in die Tiefe, griff nach seinem Geist… Warum kämpfte er noch? Er musste nur nachgeben, musste nur…
Hör nicht auf die Seelenklumpen!
Verbissen konzentrierte er sich auf seine Schwimmzüge, um die erinnerungsraubenden Einflüsterungen auszublenden. Dann endlich – Licht! Ein paar kraftvolle Schwimmzüge, dann brach er keuchend durch die Oberfläche und stob aus dem Wasser.
„Winter! Grim!“
Fieberhaft wanderte sein Blick über den aufgewühlten See. Keine Spur von den anderen. Dann erinnerte er sich an das telepathische Band, das ihn mit seinen Freunden verband. Nichts. Nagende Unruhe packte ihn: Wie lange konnten sie in dem Seelensee überleben? Was geschah mit jenen, die den Einflüsterungen der Verdammten erlagen?
Plötzlich tauchte Ares an seiner Seite auf und zerrte ihn mit sich zum Rand der Schlucht, die den Nessussee umschloss.
„Hilf mir! Die anderen sind noch dort unten!“
Faust wollte sich losreißen, doch das Dröhnen von grollendem Donner ließ ihn innehalten. Er war sosehr auf den See fixiert gewesen, dass er gar nicht bemerkt hatte, wie der Himmel sich verfinstert hatte. Ein Blitz krachte in einen der Türme der Nessusfeste und spaltete ihn in zwei Hälften. Der Himmel geriet in Bewegung, wo der Blitz die Wolkendecke gespalten hatte und formte eine Windhose. Die Wächter von Nessus, die noch immer auf den Festungswällen harrten, schienen gefangen in einer seltsamen Trance, die sie in monotone Gebete verfallen ließ. Plötzlich entdeckte Faust im Zentrum des Wirbelsturms eine Gestalt, die aus dem zerstörten Turm in die Höhe schwebte – unbeweglich in all dem Tumult. Als ihm klar wurde, wer das sein musste, drohten seine Knie unter ihm nachzugeben. Faust spannte jeden Muskel in seinem Körper an, um die Aura der Ehrfurcht niederzukämpfen, die ihn in eine tiefe Reverenz zwingen wollte. Neben ihm sank sein Vater auf Hände und Knie.
Vergiss deinen Stolz, wenn du die anderen retten willst!, wies Ares ihn mit Nachdruck zurecht.
Der Kämpfer haderte mit sich, während die Gestalt näher schwebte. Es widersprach all seinen Überzeugungen, vor einem Gott… einem echten Gott das Knie zu senken. Wenn es nur um sein eigenes Leben gegangen wäre, hätte er ihm die Stirn geboten, ungeachtet der Konsequenzen. Aber die Worte seines Vaters, so sehr er auch aus Eigennutz sprach, verfehlten nicht ihre Wirkung. Hilflose Wut begann in ihm zu rumoren, geschürt von den farbensprühenden Protesten seines Schwertes Zwiespalt, das er noch immer krampfhaft umklammert hielt. Widerstrebend zwang er die Waffe in die Scheide und senkte steif ein Knie.
„Asmodeus, Herr, wir kamen, um den Usurpator für Euch zu erschlagen“, sprach Ares. „Ihr seid Herr über Baator.“
Faust hielt den Kopf gesenkt, während der Herr der Neun Höllen und sein Diener eine telepathische Unterhaltung führten, die ihn ausschloss. Als er Asmodeus‘ Blick auf sich spürte, sah er auf. Er blickte in ein Gesicht, das sosehr von Geschwüren und eiternden Wunden entstellt war, dass die tränenden Augen darin wie versiegende Pfützen in einer sterbenden Kraterlandschaft wirkten.  Als Faust sich vorstellte, welche Schmerzen der Herr der Neun Höllen leiden musste, Tag für Tag seit Tausenden vor Jahren, empfand er tatsächlich so etwas wie Achtung. Hätte sich sein Kreuzzug nur gegen die Götter gerichtet, ohne diese schmähliche Verachtung für all jene, die sie ihre Schöpfung nannten, vielleicht hätte er dem Herrn der Neun Höllen sogar ein wenig Verständnis entgegengebracht…
„Werdet Ihr meine Gefährten aus dem See befreien“, fragte er. „Bitte…“, fügte er mit all der Überwindung hinzu, die er aufbringen konnte.
Ausdruckslos hob Asmodeus einen Arm, schlug den schweren, goldverzierten Ärmel zurück und schnitt sich mit einem seiner langen, geschwärzten Fingernägel ins Handgelenk. Faust wurde speiübel, als er ihm die eiternde Wunde vors Gesicht hielt.
„Trink“, befahl Asmodeus.
„Warum?“
„Trink.“
Tu es, mischte sich sein Vater ein. Er braucht Grimwardt und Winter noch.
Welche Wahl hatte er schon?
„Na dann, Prost“, murmelte Faust und schmatzte einmal schaudernd.

Winter
Im Halbschlaf leckte sich Winter über die Lippen: Der Sirup rann warm und süß über ihre Zunge. Schläfrig öffnete sie die Augen. Die eitrige Fratze, die sich hinter den Nebeln des Traums abzeichnete, war das Hässlichste, was sie jemals gesehen hatte. Winter kicherte. Fasziniert folgte ihr Blick den Bewegungen der grotesken Kreatur in den schweren, altertümlichen Gewändern: Sie hob ihren Arm an (war das ihr Arm?) und drehte ihn um. Dann stach die Kreatur ihr mit einem ihrer langen, geschwärzten Fingernägel tief ins Handgelenk, bis ein großer Schwall Blut hervorquoll -  schwarzes, dickflüssiges Blut, das sie an den Sirup erinnerte, den sie getrunken hatte. Die Kreatur spreizte Winters Arm, um die blutende Hand auf einer Art Relief zu platzieren, dessen Furchen ein labyrinthisches Muster in den Boden zeichneten, das zur Mitte hin tiefer in die Steinplatten eingelassen war. Das Blut sickerte durch die Windungen des Zirkels und sammelte sich im Mittelpunkt. Das gleiche passierte mit ihrer linken Hand. Ein dumpfes Pochen irgendwo in ihrem Schädel sagte Winter, dass sie all das äußerst beunruhigend finden sollte, doch sie konnte sich nicht entsinnen, wie sich Beunruhigung anfühlte. Sie konnte sich nicht einmal daran erinnern, wie sich fühlen anfühlte.
Nach und nach lichtete sich der Traumnebel und Winter erkannte, dass sie nicht allein war. Ihr gegenüber, auf der anderen Seite des Zirkels, erspähte sie Faust, dessen Blut sich in der Mitte der Struktur mit dem ihren vermischte. Neben ihr lag ihr Bruder Grimwardt. Ihre gespreizten Arme berührten sich an den Fingerspitzen, sodass sie einen dreizackigen Stern bildeten. Aber was tat Grim da nur? Warum zuckte er unablässig mit dem Kopf von einer auf die andere Seite? Mochte er den Sirup nicht, den die Kreatur ihm einflößte?  
Nachdem die Kreatur ihre Arbeit verrichtet hatte, betrat Ares der Halbteufel den Zirkel. Von irgendwo erklang Trommelwirbel. Ares kniete nieder und als er mit den Händen in das Blut fasste, wurde die zähe schwarze Masse lebendig. Klebrige Klauen griffen nach seinen Armen und spannen feine Netzstrukturen um seinen Körper. Ares schrie und bäumte sich protestierend auf, während die Blutfäden ihn an den Boden fesselten. Seine Schreie wurden immer schriller, bis ihnen nichts Menschliches mehr anhaftete. Winter fühlte sich an den Beuteruf eines Greifvogels erinnert. Als die klebrige Masse in seinen Rachen kroch, verstummte er abrupt. Kurz darauf war er völlig von einem Kokon aus Blutmasse umsponnen. Lange wand und krümmte er sich wie eine Raupe vor der Verwandlung. Mit einer gewaltigen Anstrengung durchstieß er sein Gefängnis schließlich mit einer Flügelelle. Die Kreatur, die sich in einer langwierigen Prozedur aus dem Kokon befreite, war größer als der Ares, den Winter kannte. Aus den Hornansätzen auf seiner Stirn waren gewundene Widderhörner gewachsen. Die Haut war ölig und pechschwarz bis auf die rote Phönixtätowierung auf seiner Brust. Statt Füßen waren ihm Klauen gewachsen und anstelle der ledrigen Hornschwingen schüttelte er stolz sein prächtiges Gefieder.  
Jetzt ist er wirklich ein Phönix, dachte Winter. Der Schwarze Phönix von Cania.

Faust
Hauptstadt des  Achten Höllenkreises, ein Tag später.
Miu saß am Fenster des Schlafgemachs und starrte blicklos in die Winterlandschaft. Cania hatte bereits begonnen sich zu verwandeln: Gelegentlich brachen schwarze Feuerfontänen durch die Eisschicht und es hieß, dass seltsame Kreaturen in der Nähe des Palasts gesichtet worden seien: prächtige schwarze Vögel mit brennendem Gefieder, die ein schreckliches Kreischen ausstießen, wenn man sich ihnen näherte. Das Land begann sich der Seele seines neuen Herrschers anzupassen.
Faust war schon seit einer Weile wach, doch er gab vor, noch zu schlafen, um den Augenblick hinauszuzögern, da er Miu in die Augen sehen musste. Es graute ihm davor, was er dort finden mochte. Einen ganzen Monat hatte sie in Canias Folterkammern verbracht. Mius Befreiung war Teil des Paktes, den sie mit Ares geschlossen hatten. Doch es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, was Mephistos Folterknechte ihr in diesem einen Monat alles hatten antun können. Faust zweifelte nicht daran, dass er sie für die Rebellion ihrer Gefährten hatte büßen lassen.
Schließlich gab er sich einen Ruck und öffnete die Augen.
„Miu?“
Sie fuhr zusammen. Für einen Augenblick trat ein gehetzter Ausdruck in ihre Augen, als hätte sie vergessen, dass sie in Sicherheit war. Dann entspannten sich ihre Züge.
„Wie geht es dir?“, fragte sie, doch ihr Blick blieb hohl und ihre Besorgnis war nur ein fahles Echo ihrer üblichen Fürsorglichkeit.
„Ich bin in Ordnung… Tut gut dich zu sehen.“
Selbst ihr Lächeln war wie ausgebleicht.
„Du hast dich also entschlossen, deine Stimme zu behalten, hm?“
Miu zuckte kaum merklich zusammen und zupfte verlegen an den langen Ärmeln ihres Kleides. Faust sah genauer hin und meinte eine tiefe Narbe zu erkennen, die sich quer über ihren Handrücken zog. Etwas in ihm zog sich zusammen, als er erkannte, was das bedeuten musste: Miu musste die Kraft des Geistes verloren haben, die ihrem Körper die Fähigkeit verlieh, sich selbst zu regenerieren. Zorn keimte in ihm auf, als er erkannte, wessen Werk das sein musste.
„Es war Tyrail, der die beiden Mistkerle zu dir in die Zelle schickte“, begann er zähneknirschend. „Ich habe ihn nicht getötet, weil du das nicht gewollt hättest. Aber er wird bezahlen, für das, was er dir angetan hat.“
Miu maß ihn mit einem seltsamen Blick.
„Sie hatten keine Gelegenheit zu tun, wozu sie gekommen waren“, sagte sie. „Ich tötete sie.“
Erstaunt sah Faust auf. Er wusste nicht, was er erwartet hatte, aber das nicht. Doch die Erleichterung, die er ihm ersten Moment verspürte, wich schnell der bitteren Erkenntnis, dass der Tod der beiden Schänder nichts weiter war als eine boshafte Falle: Mephistos Folterknechte hatten Mius Willen weder mit der Streckbank noch mit Teufelszungen brechen können – also hatten sie dafür gesorgt, dass sie aus eigener Hand ein Verbrechen beging, das ihr Glaubenskodex als unverzeihlich erachtete: Sie hatte zwei Menschen getötet, Teufelsanbeter, gewiss, aber für Miu war jedes Leben heilig. Tyrail mochte sich an seinen Hass klammern, aber er war in diesem Spiel nichts weiter als Mephistos Vollstrecker. Plötzlich flammte Fausts Zorn gegen den Höllenfürsten erneut auf und er bedauerte es, dass Ares ihn um die Gelegenheit betrogen hatte, seinen Kopf rollen zu sehen. Er ballte die Fäuste.
„Sag mit bitte, dass er nicht auch noch deine Seele bekommen hat“, knirschte er.
„Nein.“ Es klang fast kalt und der Ausdruck in Mius Augen war eine bittere Anklage.
Ja, schon gut, ich sollte mir kein Urteil erlauben….
„Miu, deine Ahnengeister werden sicher Verständnis haben für das, was du getan hast.“
„Sie sind sehr gnädig“, bestätigte Miu. „Gegenüber jenen, die Reue zeigen. Aber ich kann nicht bereuen. Ich fühle... Ich weiß es nicht. Alles fühlt sich gleich an. Wie betäubt.“
Faust gab sich alle Mühe das Dilemma aus Mius Sicht zu sehen, sich in ihre fremde Welt der unumstößlichen Wahrheiten und ehernen Gesetze hineinzuversetzen. Aber der Fakt blieb: Sie hatte unter unmöglichen Bedingungen eine unmögliche Entscheidung getroffen und war dafür mit dem Verlust ihrer übernatürlichen Kräfte bestraft worden. Und anstatt den Mächten zu zürnen, die sich anmaßten, sie zu verdammen, suchte sie die Schuld in sich selbst.
„Vielleicht musst du nur ein wenig Geduld haben“, versuchte er sie zu ermuntern. „Tu mal etwas für dich. Deine Ahnengeister werden schon noch erkennen, dass sie Hornochsen wären, wenn sie dich gehen ließen.“
Miu lächelte – um seinetwillen. Doch sie wirkte wenig überzeugt.
 Faust wusste nicht, was er noch sagen sollte. Fast war er dankbar um das Erscheinen des Gelugon-Dieners, der kam um ihm mitzuteilen, dass der Schwarze Phönix nun bereit sei, ihn „zur Seelenübergabe“ zu empfangen.
Missmutig führte der Eisteufel Faust zum Seelensee unter dem Berg Nargus. Offenbar erfreute Ares sich bei Mephistos Dienerschaft keiner großen Beliebtheit. Schon unter Mephistos gespaltener Persönlichkeit und seinen feurigen Zornausbrüchen hatte die Heimat der Eisteufel gelitten. Nun war abzusehen, dass Canias ewiger Winter unter der Herrschaft des Schwarzen Phönix ein baldiges Ende finden würde. Außerdem war Ares‘ schwindelerregender Aufstieg vom Halbteufel-Diener zum Fürsten des zweitmächtigsten Höllenkreises ein Skandal – keiner hatte vor ihm auf so dramatische Weise Baators strikte Herrschaftshierarchie durchbrochen. Er würde sich gegen zahlreiche Neider behaupten müssen, wenn er diesen Posten behalten wollte.
Der Schwarze Phönix harrte am Ufer des Seelensees und sog mit halb geschlossenen Augen den Duft der Macht ein. Unwillkürlich griff Faust nach seinem linken Handgelenk, wo eine kleine Narbe an das Ritual erinnerte, mit dem Asmodeus seinen Vater zum vollwertigen Teufel erhoben hatte. Wenn seine Seele nach der Verwandlung so schwarz war wie sein neues Kostüm, dann sollte er wohl besser auf der Hut sein.
Verrat ist die einzige Währung in Baator.
Er hatte Mephistos Worte nicht vergessen. Plötzlich wünschte er sich, Winter und Grimwardt wären hier. Wer wusste, welchen Preis Asmodeus für Cania gefordert hatte…
„Ich hätte versagt.“ Ares‘ Stimme klang dunkler und voller als vor der Verwandlung. Langsam wandte er sich Faust um. „Wärest du nicht gewesen, hätte ich Mephistopheles im entscheidenden Moment verfehlt.“  
„Ich hab’s nicht für dich getan“, meinte Faust salopp. „Wir wären alle im Arsch gewesen.“
„Das ist nicht der Punkt“, erwiderte Ares unwirsch. „Ich habe ihn unverdient besiegt.“
„Du hast ihm den Todesstoß verpasst.“
„Ungenügend.“
Faust verdrehte die Augen. Er war nicht hergekommen, um sich die Selbstkritik eines Höllenfürsten anzuhören.
„Du dachtest, ich würde dich verraten, wie?“, fragte  Ares unvermittelt. „Als Mephisto mir sein  Angebot unterbreitete.“
„Hatte ich so Unrecht?“
Er war sich noch immer nicht sicher, was dort unten am Nessussee passiert war. War alles nur Schau gewesen? Hatte Ares Mephisto zum Narren gehalten, um ihn zu ihnen in den Strudel zu locken? Oder war er auf sein Angebot eingegangen, hatte sich aber im letzten Moment anders entschieden? Grimwardt hatte ihn schwer verwundet… schwer genug, um seine Meinung zu ändern? Faust hätte zu gern diesen Pakt gesehen. Hätte Ares wirklich riskiert, alles zu verlieren, um das Leben seines Sohns zu schützen?
Ein hartes Lächeln umspielte die Mundwinkel des Teufels.
„Ich würde dir kein Leid zufügen, Desmond, solange es einen anderen Weg gibt“, sprach er. „Weißt du, indem ich mich aus deinem Leben herausgehalten habe, aus deinem, dem deiner Schwester und deiner Mutter, habe ich euch all die Jahre beschützt – auf meine Weise. Es war deine Entscheidung hierher zu kommen und diesen Schutz aufzuheben. Also ist es auch deine Verantwortung“
 „Ich verstehe.“
Solange es einen anderen Weg gibt…
Für seine Macht, für seine Ambitionen, würde Ares alles opfern. Vielleicht liebte er seinen Sohn tatsächlich. Doch es spielte keine Rolle, weil Liebe für ihn nur einer der Einsätze war, die er in diesem Spiel auf den Tisch warf – im Spiel um… tja, um was eigentlich?
„Warum hast du es getan?“, wollte Faust wissen. „Warum hast du damals deine Freunde verraten? Hades, Thallastam, Nachtmond… Omega?“
„Weil ich das Recht dazu hatte“, erwiderte Ares ohne zu zögern. „Weil ich mehr bin, als sie jemals sein werden. Glaubst du, all das“ –  er ruckte den Kopf in Richtung des Seelensees – „ist mir genug? Cania? Die Seelen? Baator? Ich bin zu Größerem bestimmt, Desmond. Aber ich wurde als Mensch geboren. Meine geringe Lebensspanne begrenzt mein Potential.  Eine Ungerechtigkeit für eine noch größere, kosmische Ungerechtigkeit… Es war mein Recht.“
Er will ein Gott werden!
Faust schauderte, als er erkannte, wie sehr ihre Gedankengänge sich manchmal ähnelten, so grundverschieden ihre Überzeugungen auch waren.
„Was ist mit Winter?“, fragte er. „Was gab dir das Recht, sie zum Seelenraub zu verführen?“
„Ich bin ein Teufel“, erwiderte der Schwarze Phönix schulterzuckend. „Wir verführen. Wir lügen. Winters Seele wird sich verändern und am Ende wird sie hier landen mitsamt der Seelen, die sie leergesaugt hat. Eine Langzeitinvestition, mit der sich darüber hinaus das lästige Prinzip des freien Willens umgehen lässt. Uns Baatezu ist es nur erlaubt, jene Seelen zu übernehmen, die den Bedingungen zugestimmt haben. Aber Winter…“
„… ist kein Teufel.“ In diesem Moment hätte Faust liebend gerne den Drängen seiner Chaosklinge nachgegeben, die süße Bilder von aufgeschlitzten Phönixkehlen in ihm beschwor. „Warum Winter?“
„Sie war ein leichtes Opfer. Mächtig und verzweifelt. Sie war schon verloren, ehe ich kam.“
Ares kniete sich nieder und beschwor eine Phiole. Dann sprach er ein paar Worte in der Sprache Baators. Aus der Seelenmasse löste sich ein handgroßer Klumpen – ein hässliches gelblich-weißes Gebilde, fleischig und unförmig wie ein Embryo, der sich in der Fruchtblase wand – und waberte auf die beiden Gestalten am Ufer zu. Ein weiterer Befehl saugte Omegas Seele in die Phiole, wo sie mit stummen, mundlosen Schreien gegen ihr gläsernes Gefängnis trommelte.
„Hast du mich deshalb hierher bestellt?“, murmelte Faust angewidert, „um mir zu zeigen, was aus uns werden wird?“
Ares wog die Phiole in seiner Hand und schüttelte grübelnd den Kopf.
„Ich finde es erstaunlich, dass du all dieses Leid auf dich genommen hast für eine Frau, die du nicht einmal kennst.“
„Ich glaube an ihre Philosophie.“
Der Teufel lachte leise.
„Hättest du Omega vor ein paar Jahrhunderten gekannt, wärst du womöglich durch die Hölle gegangen, um sie aufzuhalten.“
„Was weißt du über sie?“
„Genug, um zu erkennen, dass sie die Mitte gewählt hat, weil sie alle Extreme bereits durchlebt hat. Vermutlich hat sie ebenso vielen Sterblichen den Tod gebracht wie das Leben.“
„Passt doch zu ihrer Überzeugung...“
Als Faust die Phiole entgegen nehmen wollte, spürte er Ares‘ Widerwillen, der ihm wie eine faulige Aura entgegenschlug. Offenbar fiel es dem Höllenfürsten schwerer sich von seiner wertvollsten Seele zu trennen, als er Faust Glauben machen wollte.
„Ares, gib sie her“, sagte er ruhig, aber mit einem drohenden Unterton.
Mit einem Zwinkern löste der Schwarze Phönix den Blick von der Phiole und ließ von ihr ab.
„Wenn du meinen Rat hören willst“, murmelte er düster. „Zerstör diese Seele! Du weißt nicht, an welche Omega sie sich erinnern wird.“
„Du glaubst doch nicht, dass ich dafür meine Seele verkauft habe!“, knurrte Faust.
Ares verfiel in beredtes Schweigen und Faust hätte sich dafür knüppeln mögen, dass er dieses unsägliche Thema auf den Tisch gebracht hatte.
„Was ist deine Hintertür?“, fragte sein Vater unvermittelt.
„Was?“
„Ich glaube nicht, dass du diesen Pakt eingegangen wärst, ohne dir eine Hintertür offen zu lassen… Immerhin bist du mein Sohn.“
Faust maß ihn mit misstrauischen Blicken. Er konnte Ares nicht trauen. Andererseits… von wem konnte er mehr über seine Chancen erfahren, aus diesem Pakt auszusteigen, als von einem Fürst der Neun Höllen?
„Fünfzehn Jahre Galgenfrist hat Mephisto mir gewährt“, begann er. „Was ist damit gemeint? Was passiert, wenn ich in fünfzehn Jahren nicht mehr da bin?“
„Wenn du vorher stirbst, führt der Styx dich dennoch deiner Bestimmung zu.“
„Gut, aber was wäre, wenn ich nicht aufzufinden wäre?“
„Du kannst dich vor deinem Schicksal nicht verstecken.“
„Nicht einmal in der Zeit?“
„Du meinst, in einer Art ausgedehnten Zeitstarre?“
„Zum Beispiel.“  
Ares schüttelte entschieden den Kopf.
„Warum sollte dir gelingen, was den mächtigsten Magiern nie gelungen ist?“
„Nehmen wir an, es wäre möglich.“
„Deine Lebenszeit würde trotzdem weiterlaufen. Die fünfzehn Jahre werden an deiner Seele gemessen, nicht am Lauf der Geschichte.“
Grübelnd biss sich Faust auf die Unterlippe. Was, wenn es ihm möglich wäre, in eine Vergangenheit zu teleportieren, in der die Hölle noch nicht existierte? Oder in eine Zukunft, in der sie längst zerstört war? Wohin konnte der Styx ihn ohne kosmischen Zielhafen führen? Doch diese Überlegungen wollte er lieber nicht mit dem Nutznießer seines Untergangs teilen.
„Dann werde ich eben doch die Hölle stürzen müssen“, bemerkte er lapidar.
Ares lachte ihn schallend aus. Doch Faust meinte es bitterernst. Er hatte die Nase gestrichen voll von diesem Laden. Er war sicher, dass er Baator nicht zum letzten Mal lebend gesehen hatte, denn auf mysteriöse, schicksalhafte Weise schien der Name Faust untrennbar mit der Hölle verknüpft.
„Auf Wiedersehen, Ares“, sagte er darum mit herausfordernd vorgeschobenem Kinn und bot seinem Vater die Hand zum Abschied.
„Leb wohl, Desmond“, erwiderte der Schwarze Phönix schmunzelnd.  

Nightmoon

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    • Schicksalsstreiter
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #280 am: 17. Oktober 2012, 01:08:30 »
 :thumbup:
Schön! Das kam unverhofft! Sehr schöner Showdown. Die Story ist auch echt Gold wert. Habe gemerkt, wie viele Details mir erst beim Lesen wieder eingefallen sind. Und natürlich eine nette Anlehnung am Schluss:
"denn auf mysteriöse, schicksalhafte Weise schien der Name Faust untrennbar mit der Hölle verknüpft. "
... Hast du vor den Rest ins nächste Buch mit rein zunehmen, oder wird es noch ein Kapitel VIII geben?

Niobe

  • Mitglied
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #281 am: 17. Oktober 2012, 08:34:55 »
Ja, es wird ein achtes Kapitel geben, um die Akte "Omegas Seele" abzuschließen (und natürlich für die Grüngras-Ausschweifungen :-D)

Was die intertextuelle Faust-Anlehnung angeht: Laut meinen Notizen kam das sogar in dem Dialog zwischen Ares und Faust so oder so ähnlich zur Sprache.

Winter

  • Mitglied
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #282 am: 17. Oktober 2012, 19:51:23 »
Vielen Dank für dieses Kapitel! Das war ein wieder sehr düsterer Abschnitt, und sehr bewegt erzählt.
Ich freue mich besonders auf das Grüngrasfest! Hoffentlich gibt es bald mehr!!!  :lol:

Nightmoon

  • Mitglied
    • Schicksalsstreiter
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #283 am: 18. Oktober 2012, 16:08:40 »
Stimmt, das war einfach zu passend mit dieser Faust-Hölle Kombi. Wenn eines fernen Tages das Abenteuer und alle Bücher fertig sind, dann bin ich dafür, dass wir das alles nochmal korrekturlesen, Tom Susi und ich zusammenschmeißen und 3 gebundene Ausgaben für uns alle draus machen! Weiß jemand was sowas kostet?

Winter

  • Mitglied
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #284 am: 19. Oktober 2012, 10:45:56 »
Das sollten wir auf jeden Fall machen. Eine überschlägige Google-Suche sagt, selbst mit Hardcover ist das bezahlbar.

Ich wäre dann aber sehr dafür, dass unsere Autorin vorher den ersten Teil, der noch mit anderer Gruppenbesetzung gespielt worden ist, ganz überarbeitet, und dem neuen Stil anpasst. Den vor dem 8-Jahres-Aussetzer. Der noch so stichwortartig durch das Geschehen hetzt.

Das ist ein Berg voll Arbeit, ich weiß...aber es würde sich doch lohnen.


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