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Autor Thema: Stadt der gläsernen Gesänge  (Gelesen 72416 mal)

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Nightmoon

  • Mitglied
    • Schicksalsstreiter
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #285 am: 19. Oktober 2012, 11:46:08 »
Waren die Sachen nicht sogar noch von Thalas aufgeschrieben? Vermutlich würden ja ohnehin mehrere Bücher daraus. Daher wäre es natürlich einfacher erstmal alles ab "Stadt der gläsernen Gesänge" in Buchform zu bringen. Fürs Cover fänd ich dann quasi das Wappen der Schicksalsstreiter am passensten.
Hat die Autorin vielleicht gerade eine bisherige Seitenzahl parat? Wobei die sich im Buchformat ja vermutlich noch stark erhöhen wird. Oh, und wie soll das nachste Kapitel mit Drizzt heißen?
« Letzte Änderung: 19. Oktober 2012, 11:55:57 von Nightmoon »

Niobe

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #286 am: 19. Oktober 2012, 22:12:57 »
Also im Word-Lesemodus (entspricht etwa Normseiten):
Stadt der Gläsernen Gesänge: 112 Seiten
Wüste der Schatten: 196 Seiten
Quell der Seelen: 162 Seiten
Insel der Rätsel: 166 Seiten
Fluss der Verdammten: bisher 183 Seiten

:)

Die Vorgeschichte wäre schon irgendwie wichtig - immerhin beginnen dort viele der Plotfäden, die in den späteren Abenteuern aufgenommen, aufgelöst oder weitergesponnen werden. Dazu müssten die alten Seiten aber gründlich überarbeitet werden - abgesehen von dem Telegrammstil (war anfangs mehr als Erinnerungsstütze gedacht) fehlen einige Stücke in der Mitte und am Ende völlig, weil ich mich daran nicht mehr richtig erinnern konnte. Das müsste dann mit "Fiktion" aufgefüllt werden. Und genaugenommen reicht die Geschichte ja sogar noch weiter zurück... Das alles zu überarbeiten könnte Jahre dauern - ich wäre daher wohl auch eher für die Version "Schicksalsstreiter überarbeiten und dann abwarten, was aus dem Rest wird".

Wie das neue Drizzt-Kapitel heißen soll... äh, keine Ahnung. Ist ja noch ein ganzes Stück bis dahin. Was meinst du eigentlich? Den Kampf oder das kurze Stück, als Drizzt mit euch durchs Immermoor gelaufen ist?


Nightmoon

  • Mitglied
    • Schicksalsstreiter
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #287 am: 19. Oktober 2012, 23:35:49 »
jaja, durchs immermoor und so, aber ich bemerke gerade, dass das ja zum gerade erst (fast?) abgeschlossenem Abenteuer gehört, von daher ist es natürlich wirklich noch was bis dahin.
Also bisher 819 Seiten auf Word. Ist ja schon ne ordentliche Menge. Zumindest ein dickes oder 2 relativ dicke Bücher werden da wohl bei rumkommen.

Niobe

  • Mitglied
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #288 am: 23. Oktober 2012, 22:13:15 »
Kapitel VIII: Grüngras

Winter
Schwerterteich, ein Tag später.
Hades hatte Omegas Leiche in der Kelemvor-Kapelle hinter dem Friedhof aufgebahrt. Während der Todespriester seinen Platz hinter dem Altar einnahm, ließen sich Winter und ihre Freunde auf der Gebetsbank nieder. Außer den vier Gefährten, denen Omega ihre Rettung verdankte, wohnte nur Elijas als stellvertretender Anführer der Neun Schwerter der Zeremonie bei. Hades hatte erklärt, dass es keineswegs sicher sei, dass Omegas Seele den Übergang bewältigte. Falls die monatelange Folter sie sosehr geschwächt hatte, dass sie keine Erinnerung mehr an ihre fleischliche Hülle hatte, würde sie keinen Einlass in ihren Körper finden und stattdessen den Weg in die Stadt der Seelen antreten.
Die Phiole hoch über dem Kopf erhoben, sprach der Priester des Totengotts ein Gebet, das den Seelenbehälter mit einem schwachen Licht erfüllte. Das traurige Seelengebilde begann an- und abzuschwellen wie ein viel zu schnell schlagendes Herz, während das Licht erstarkte. Schließlich schmolz das Glas unter der Kraft des Seelenlichts, sodass Hades einen leuchtenden Stern in den Händen zu halten schien. Ohne Vorwarnung stockte Winter der Atem und ihre Finger bohrten sich wie Krallen in das Holz der Sitzbank. Plötzlich war ihr Geist erfüllt von einer Seelenmelodie, die von so schmerzhafter Schönheit war, dass alles andere keine Bedeutung mehr hatte. Sie musste um jeden Preis diese Seele haben!
Winter!
Erst als Faust ihr unsanft in die Schulter kniff, drang sein eindringlicher Ruf durch den Seelennebel. Es kostete sie ungeheure Anstrengung, die Melodie zurückzudrängen, um sich ihrer Umwelt wieder bewusst zu werden. Alle starrten sie an - alle bis auf Hades, der noch immer in ritueller Trance über Omegas totem Körper harrte. Plötzlich riss die Leiche die Augen auf und bäumte sich auf. Etwas riss ihre Kinnlade herunter und das Seelenlicht strömte gierig in den zuckenden Körper.
Alles in Winter drängte sie dazu, vorzustürzen und die Seele, diese unbeschreiblich wertvolle Seele, aufzuhalten, bevor sie unerreichbar für sie war.
Ich muss hier raus!
Wankend richtete sie sich auf und stürzte stolpernd aus der Kapelle. Sobald die Seelenmelodie sie aus ihrem Griff entließ, rannte sie los. Erst als sie den Teich der Neun Schwerter erreicht hatte, hielt sie inne. Keuchend ließ sie sich auf die Knie fallen und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht.
„Kannst du mir mal sagen, was da drin los war?“
Erschrocken fuhr sie auf: Grimwardt stand ihr mit verschränkten Armen gegenüber. 
„Und was ist mit deinen Augen passiert?“
„Oh, Grim“, stammelte sie. Das Verlangen nach der befreiten Seele hatte sie völlig unvorbereitet getroffen. Hatte sie sich am Morgen nicht vorsorglich zu einer Hinrichtung in Atkatla davongestohlen, um solch unangenehmen Szenen vorzubeugen! Aber keine der zahlreichen Seelen, die sie getrunken hatte, hatte je eine solche Wirkung auf sie gehabt. „Mir war plötzlich ganz anders… vielleicht eine Nachwirkung dieses scheußlichen Teufelsbluts, das Asmodeus uns aufgezwungen hat“, griff sie nach der erstbesten Lüge, die ihr in den Sinn kam.
Grimwardt zog die Stirn in Falten und kniete sich zu ihr ins Ufergras.
„Also ich spüre nichts. Lass mal sehen.“
Er legte ihr die Hand auf die Stirn, um ein Heilgebet zu sprechen.
„Nein!“ Eilig entwand sie sich seiner Berührung. „Nein…“ Sie lachte nervös auf. „Es ist nichts, ich… Die Vorstellung hat mich wohl nur überwältigt, dass das Ritual misslingen könnte. Stell dir vor, unsere Höllenfahrt wäre völlig umsonst gewesen!“
Ihr Bruder maß sie mit durchdringenden Blicken. Er glaubte ihr kein Wort. Umso mehr überraschte es Winter, als er sich aufrichtete, ihr die Hand reichte, und etwas grummelte, das so klang wie „Na gut, war ‘ne harte Zeit für uns alle.“
Erstaunt begriff sie, dass Grimwardt die Wahrheit gar nicht wissen wollte.

Faust
Wenig später in der Halle der Schwerter 
Omega war blass und ihre Schritte wirkten noch ein wenig steif, als sie ihren Platz an der Tafel der Neun einnahm. Ehrerbietig erhoben sich die Ordensmitglieder, um die Wiederauferstandene willkommen zu heißen. Bis auf Tyrail, den Faust zur Verurteilung für seine Verbrechen nach Myth Drannor überführt hatte, waren alle Schwerter vereint.
Die Ordensführerin hatte auf diese Versammlung bestanden, obgleich Hades ihr Ruhe verordnet hatte. Sie selbst sprach wenig und ließ stattdessen die anderen von den Ereignissen berichten, die sich in ihrer Abwesenheit zugetragen hatten. Aus Fausts „knapper Berichterstattung“ wurde eine zweistündige Lektüre seines Höllenabenteuers. Er hielt nichts zurück – nicht einmal die pikanten Details von Tyrails Fall und seinen eigenen Seelenhandel. Als er geendet hatte, kehrte Stille ein. Faust las Schrecken, aber auch Ehrfurcht und Bewunderung in den Gesichtern der anderen. Fast auf den Tag drei Monate war es her, seit sie ihn hier an dieser Tafel zum Tode verurteilt hatten. Nun genoss er ihre Anerkennung. Faust musste sich eingestehen, dass Thallastam wieder einmal Recht behalten hatte: Von den Neun Schwertern akzeptiert und respektiert zu werden, war ihm wichtiger, als er sich all die Jahre auf der Flucht hatte eingestehen wollen. Ob er nun wollte oder nicht – durch Zwiespalt war er für immer mit dem Orden verbunden.
„Faust, ich bitte Euch vorzutreten“, sprach Omega. „Euer Schwert braucht Ihr nicht“, fügte sie hinzu, als Faust Anstalten machte, die Klinge aufzunehmen, die er zwischen den anderen Schwertern auf dem Schicksalsrad platziert hatte.   
Verwirrt kniete er sich gemäß ihren Aufforderungen vor sie hin. Was sollte das werden? Irgendein östliches Dankeszeremoniell?
„Als Ordensführerin“, erklärte Omega feierlich, „obliegt mir die Vollstreckung des Todesurteils an Faust, Träger des Schwertes Zwiespalt, das vor meiner Abwesenheit durch dieses Ordensgericht gefällt wurde.“
Faust brauchte einen Moment, um ihre Worte zu fassen. Erst als Himmelssplitter singend in ihre Hand sprang, wurde ihm klar, dass sie es ernst meinte. Ungläubig hob er den Blick, doch er fand nichts als Gleichmut in Omegas zeitlosen, grauen Augen. Auch die anderen Schwerter begriffen nicht, was in ihre Anführerin gefahren war, und Widerstand regte sich unter den Versammelten. Hades brachte sie mit einem Räuspern zur Ruhe.
„Ich muss Einspruch einlegen“, sprach der Richter. „Wie bereits zur Sprache gebracht, wurde das Urteil gegen Faust in einer zweiten Abstimmung revidiert. Grund dafür war ein Gnadengesuch des Geistes Thallastams, eben jenes Thallastams, für dessen Tod Faust schuldig gesprochen wurde. Da die Grundprämisse, dass ein Schuldspruch dem Opfer zu Gerechtigkeit zu verhelfen hat, durch diese Wendung in Frage gestellt wurde, hielt ich eine Neuaufnahme des Verfahrens für unabdinglich.“
„Die Abstimmung fand ohne mein Beisein statt und ist damit ungültig.“
„Ihr wart de facto tot.“
„Aber jetzt bin ich hier.“
„Das ändert nichts an der Rechtsgültigkeit der Abstimmung zur Zeit ihrer Durchführung.“
„Die auf einer Wendung beruhte, die nur zustande kam, weil der Verurteilte rechtswidrig aus der Haft entlassen wurde.“
Faust schwirrte der Kopf. Er fühlte sich wie bei einem Jahrmarktsstück, bei dem der Autor zwei zeternde Witzgestalten in einem Rededuell gegeneinander antreten ließ.
„Ich schätze, dass ich Omegas Seele aus der Hölle gerettet habe, hat keine Rechtsrelevanz, hm?“, warf er zynisch ein. 
„Das ist korrekt“, fühlte sich Hades genötigt zu bestätigen.
„Faust, Ihr und Eure Gefährten, Ihr habt meinen aufrichtigen Dank“, erklärte Omega. „Aber so wie die Dinge liegen, muss das Urteil vollstreckt werden. Es ist das Beste für den Orden – es tut mir leid. Wenn Ihr all die Dinge sehen könntet, die ich sehe, würdet Ihr verstehen…“
Er spürte Himmelssplitters kalte Klinge an seiner Kehle.
„Ihr seid nicht Ihr selbst!“, murmelte Faust angespannt. „Was waren die letzten Worte, die Ihr zu mir spracht in der Nacht vor meiner Verurteilung? Wenn ich Euch meine Kehle hinhalten soll, dann will ich wenigstens sicher sein, dass das nicht ein weiterer fauler Trick der Hölle ist!“ 
Sie erwiderte seinen Blick aufrichtig und gefasst.
„Ich sagte Euch, dass es kein Zufall sei, dass Ihr gerade zu diesem Zeitpunkt zurückkehrtet.“
„Weil Ihr mir die Möglichkeit einräumen wolltet, Abbitte zu leisten!“
„Es war niemals mein Wille, ein Ordensurteil zu übergehen.“
Als Faust keine Widerworte mehr leistete, begann Omega einen rituellen Abgesang zu sprechen. Faust schielte nach seinem Schwert – zu weit, um danach zu greifen, aber mit einer Rolle käme er hin. Was auch immer das alles zu bedeuten hatte, er würde sich hier und jetzt sicher nicht umbringen lassen! Irgendetwas musste bei Hades‘ Ritual schiefgelaufen sein. Oder… Plötzlich fielen ihm die Worte seines Vaters ein: Wer weiß, an welche Omega sich ihre Seele erinnern wird.
Im selben Moment, als Faust sich zur Seite werfen wollte, um Omegas Henkersschlag auszuweichen, sah er aus den Augenwinkeln eine Bewegung – ein Flügelschlag. Elijas packte ihn an der Schulter und die Halle verschwamm im Dimensionsstrudel. 
Sie tauchten im Wald wieder auf.
„Flink wie immer. Danke, Mann.“
„Was ist mit ihr passiert?“ Elijas war aschfahl; seine Flügel zitterten. Faust hatte den ernsthaften Avariel noch nie so furchtsam erlebt. „Hat man euch in Cania um ihre Seele betrogen?“
 „Nein.“ Frustriert ließ sich Faust gegen einen Baumstamm sinken. „Die Seele ist die richtige, denke ich. Ihre Erinnerung scheint auch in Ordnung zu sein, nur die emotionale Brille, durch die sie sich erinnert, ist irgendwie kaputt. Ares… Er warnte mich davor, als er mir Omegas Seele überreichte. Ich dachte, er wollte sich nur aus unserem Pakt herauswinden, um die Seele für sich zu behalten. Wollte er vermutlich auch, aber seine Ahnung hat sich bestätigt: Omega war nicht immer unsere Omega. Und im Moment haben wir… zweimal Hades! Und Hades ist sogar der gute Hades!“
Elijas war angemessen verwirrt, begriff jedoch, worauf Faust hinauswollte.
„Gibt es denn keine Möglichkeit, unsere Omega zurückzuholen?“ 
Faust hob mutlos die Schultern.
„Keine Ahnung… Ich dachte, es wäre endlich vorbei.“
„Das dachten wir alle.“
Für eine Weile verfielen beide in betretenes Schweigen.
„Wo sind wir?“, fragte Faust schließlich.
„So nah an Myth Drannor, wie es mir erlaubt ist“, erwiderte Elijas. „Die Stadt liegt hinter dem nächsten Hügel in nördlicher Richtung. Du solltest dich vermutlich besser eine Weile nicht in Rabenklippe blicken lassen…“ Er überlegte eine Weile, ehe er hinzufügte: „Ich werde zum Orden zurückkehren und versuchen mit Hades alleine zu sprechen. Vielleicht hat er eine Idee, was wir tun können. Wenn es um Seelen geht, kennt er sich am besten aus. Omega ist sehr mächtig, das macht sie gefährlich.  Falls ihre Seele unwiderruflich zersplittert ist...“ Er bewegte unbehaglich die Flügel.
 „… müssen wir sie wohl oder übel aufhalten“, ergänzte Faust düster. Er begann sich zu fragen, ob die Hölle am Ende doch den Sieg davontragen sollte…

Grimwardt
Im Gasthaus "Zu den Neun Schwertern", abends
Er hatte den Schemel zum Fenster des Gasthauszimmers ausgerichtet, das nach Westen ging, wo die untergehende Sonne blutrot den vergangenen Schlachten huldigte. Natürlich hätte er zum Gebet auch eine Tempus-Kapelle in Rabenklippe aufsuchen können. Doch der Ritt in die Stadt dauerte eine halbe Stunde und falls Faust noch vor dem Morgen auftauchen sollte, wollte er aufbruchsbereit sein, damit sich die Rückkehr in die Abtei des Schwertes nicht noch länger hinauszog.
Demütig kniete er sich vor den Schemel, sein Glaubensamulett fest umklammert.
Tempus, mein Herr, warum erhörst Du mich nicht?
Wie schon auf seine letzten fünf Gebete erhielt er keine Antwort. Der Teil seiner Seele, der in Kriegersruh weilte, fühlte sich kalt und leer an. Anfangs hatte Tempus‘ Schweigen Grimwardt mit Sorge erfüllt: War sein Herr in Bedrängnis? War das Unheil über Ihn hereingebrochen, das Er prophezeit hatte? Doch bei Veiros‘ Ungestüm, Grimwardt war nicht irgendein Priester! Er war der Auserwählte seines Gottes! Er sollte nicht fragen müssen, wie es seinem Herrn erging! Also musste der Fehler bei ihm selbst liegen. Doch weshalb zürnte ihm Tempus? Er hatte die Streitaxt Ambrosia aus den Klauen des Dämons befreit, wie der Feindhammer es ihm befohlen hatte. War es die Rettung Asmodeus‘, des Höhnenden Gottes, die Er ihm verübelte? Hatte Asmodeus‘ Blut ihn für Tempus vergiftet?
„Grim!“
„Was?!“ Ungehalten fuhr der Kriegspriester herum.
 „Hast du mir überhaupt zugehört?“, seufzte Winter.
Er hatte nicht einmal gehört, wie seine Schwester und Miu den Raum betreten hatten.
„Siehst du nicht, dass ich gerade bete?!“
„Schon wieder?“ Achtlos schwang sich Winter auf die Fensterbank und verrückte dabei den Schemel, der Grimwardt als Betstuhl diente. Sein Zähneknirschen überhörte sie geflissentlich. „Übermorgen beginnen die Grüngras-Festlichkeiten. Ich habe Miu gerade erzählt, dass man im Nordwesten Faerûns an Grüngras nach elfischer Tradition den Frühlingsanfang feiert. Xara Tantlor hat uns zum Fest nach Silbrigmond eingeladen. Faust und ich wollen auf jeden Fall hingehen. Ihr beiden kommt doch auch, oder?“
„Wie kannst du jetzt ans Feiern denken!“
„Xara wäre bitterlich enttäuscht, wenn du ihre Einladung ausschlagen würdest!“
„Was interessiert es mich, was Xara Tantlor denkt!“, fuhr Grimwardt sie an. „Faust musste fliehen, Omegas Seele liegt in Scherben, ich habe noch kein Wort aus der Abtei gehört UND DU TRÄUMST VON FESTGELAGEN!“
Mühsam zügelte er seinen Zorn, als er sah, wie Miu bei seiner Tirade zusammenzuckte. Stirnrunzelnd fragte er sich, was ihn eigentlich derart in Rage versetzt hatte. Faust war ein großer Junge, Omegas Seele war nicht mehr sein Problem und wenn etwas im Schlachtental passiert wäre, hätte Borgo sich längst gemeldet. Es war Winter, die in ihm den Teufel weckte, aber warum? Ihre Leichtlebigkeit und Achtlosigkeit waren ja nun wirklich ein alter Hut. Er rügte, er schimpfte, er zürnte, aber bei allem geschwisterlichen Zank konnte er ihr doch nie lange gram sein. Irgendetwas war diesmal anders.
Plötzlich ging die Tür auf und Faust trat ein.
„Faust, was ist passiert!“ Winter sprang auf, um den Freund in die Arme zu schließen. „Warum bist du zurückgekommen? Geht es Omega besser?“
„Sie hatte einen weiteren Anfall“, berichtete Faust. „Den dritten, seit sie zurück ist. Hades sagt, die Anfälle sind verantwortlich für ihr Seelenroulette. Danach ist sie stets eine andere und kann sich nicht mehr an das erinnern, was vorher war.“
„Dann will sie dich nicht mehr um einen Kopf kürzer sehen?“
„Im Moment ist sie wieder die Omega, die ich kenne. Sie versteht, dass sie im Moment eine Gefahr für sich und für den Orden darstellt. Darum hat sie ihr Schwert Himmelssplitter abgegeben und will fortgehen nach Shou-Lung. Sie glaubt, wenn es jemanden gibt, der ihre Seele heilen kann, ist es ihr alter Meister im Tempel der Vier Winde. Im Gewölbe unter der Halle der Schwerter soll es ein Portal geben, das nach Kara-Tur führt.“
„Und wenn es nicht gelingt?“
„Die Anfälle haben sie sehr geschwächt. Wenn sie weiter in dieser Häufigkeit auftreten, wird sie das nicht überleben.“
Betretenes Schweigen. Schließlich räusperte sich Miu.
 „Ich gehe auch fort“, sagte sie leise. „Du hattest recht, Faust, ich muss etwas für mich tun. Ich muss zum Orden der Schweigenden Schwestern zurückkehren und um Vergebung bitten.“
Faust nickte zögernd.
„Wirst du zurückkommen?“
„Ich weiß es nicht.“
Sie wirkte fast schuldig, als sie das sagte.
Grimwardt hatte die Beziehung zwischen Faust und Miu nie ganz verstanden. Ein bisschen erinnerten die beiden ihn an einen Blinden und seinen Hund – man wusste nicht recht, wer von beiden den anderen dringender brauchte. Wenn Miu Fausts Gewissen war, war er ihr Draht zur Wirklichkeit. Es würde schwer für sie werden, in ihre stumme Welt zurückzukehren und sich Gesetzen zu unterwerfen, die, wie sie nun gelernt hatte, in der Welt da draußen nicht immer aufrecht zu erhalten waren. Jedenfalls hatte Grimwardt so eine Ahnung, dass dies kein Abschied für immer war…

Winter
Silbrigmond, drei Tage später. 
Winter zog die Nase kraus, als die Strahlen der Morgensonne sie durch die Fensterläden von Xara Tantlos Schlafgemach kitzelten. Murrend vergrub sie das Gesicht tiefer in Fausts Haarschopf.
Fausts Haarschopf?!
Erschrocken fuhr sie auf, worauf ihr pochender Schädel sie ungnädig darauf hinwies, dass abrupte Bewegungen sich nicht mit einem Morgenkater vertrugen. Der nächste Schock folgte, als sie feststellte, dass sie keinen Fetzen Stoff am Leib trug. Auf Zehenspitzen sammelte sie ihre ums Bett verstreuten Kleider ein, schlüpfte in ihren Unterrock und trippelte zur Tür des Schlafzimmers. Der Ausgang wurde von einem schnarchenden Fremden versperrt, der sich bei genauerem Hinsehen als Drake Noar entpuppte. Winter unterdrückte einen Schrei. Nachdem sie dreimal tief durchgeatmet hatte, zwängte sie sich vorsichtig an dem schlafenden Assassinen vorbei. Auf halbem Weg zur Küche stieß sie mit Xara Tantlor zusammen, die rumpelnd aus der Besenkammer torkelte.
„Falls du den Donnerstuhl suchst – da drin ist er nicht“, gab die Magierin lallend kund und kratzte sich undamenhaft am Allerwertesten. Winter packte sie resolut am Handgelenk und zog sie mit sich in die Küche.
„Xara, ich muss unbedingt wissen, was letzte Nacht passiert ist!“, flüsterte sie eindringlich.
„Schätzchen“, erwiderte ihre Freundin rülpsend, „ich erinnere mich nicht mal mehr daran, wo ich in meiner eigenen Wohnung für gewöhnlich mein Geschäft verrichte…“
„Kannst du mir wenigstens sagen, ob Faust und ich… Ich meine, hast du vielleicht irgendetwas gesehen?“
„Habt ihr es etwa getrieben?“
„Schsch!“ Winter hielt ihr erschrocken die Hand vor den Mund. „Es gibt gewisse Hinweise, aber ich bin mir nicht sicher!“
Ein schelmisches Lächeln stahl sich auf Xaras Gesicht.
Hättest du es denn gerne mit ihm getrieben?“
„Ich... äh… keine Ahnung. Wenn, dann würde ich mich schon gerne daran erinnern… Hör auf so zu grinsen!“
 „Vielleicht solltest du einen Zauberspruch anwenden, um deinem Gedächtnis auf die Spr… AHHH!“ Winter unterdrückte einen Schrei, als Xaras Finger sich in ihre Schulter bohrten. Entgeistert zeigte die Magierin mit dem Finger auf etwas hinter Winter. „Warum beim Unterberg ist da ein Loch in meiner Küchenwand!?“
Winter wandte sich um und erblickte in der Tat ein klaffendes Loch in der Zimmerwand. Die mannsgroße Öffnung gab den Blick frei auf die Wohnstube der Nachbarwohnung, die einem nächtlichen Überfall zum Opfer gefallen zu sein schien. Ebenso mysteriös wie die grundlose Verwüstung waren die Worte, die in blutroten Lettern neben dem Loch prangten: GRIMWARDT BRAUCHT MICH. Winter schluckte, als sich eine neblige Erinnerung in ihr zu regen begann.
„Also ich sehe keinen Schutt“, begann sie vorsichtig, „Um ein Loch in eine Hauswand zu brennen, ohne Schutt zu hinterlassen, bräuchte es schon einen Auflösungsstrahl…“
„Ein Auflösungsstrahl?!“ Xara stemmte die Hände in die Hüften wie ein giftiger, kleiner Zwerg. „Und wer zum Henker kam auf die glorreiche Idee, meine Küche in ein magisches Versuchslabor zu verwandeln?“
„Gemeinschaftsbeschluss“, kam es aus Richtung der Tür. Faust lehnte im Türrahmen und betrachtete das Chaos mit philosophischer Faszination. „Zu dem Zeitpunkt schien uns das eine gute Idee.“
Dass er im Gegensatz zu Winter noch nicht bemerkt zu haben schien, dass er über Nacht jeglicher Kleidung verlustig gegangen war, trug nicht eben zum Eindruck seiner Zurechnungsfähigkeit bei.
„Ich hatte dich nach Mietpreisen in Silbrigmond gefragt, Xara“, klärte Winter die Situation auf, wobei sie Mühe hatte, den Blick von Fausts unverhüllter Erscheinung zu wenden. „Daraufhin kamen wir darauf zu sprechen, was für schreckliche Langweiler und Nörgler deine Nachbarn sind, und du schlugst vor, dass… äh… Du meintest, dass sie vielleicht nur einen Anreiz bräuchten, um sich eine neue Bleibe zu suchen und da dachten wir… Zum Teufel, Faust, zieh dir endlich was über!“
 „Oh.“ Faust blickte überrascht an sich herunter und nahm abwesend den Umhang entgegen, den Winter ihm reichte. „Kacke, was habe ich bloß gesoffen?“   
 Immerhin, dachte Winter nüchtern, klärt das wohl die Frage, ob er sich an mehr erinnert als ich… 
„Als ob Elfenwein schon jemals zu geistigen Höhenflügen angestachelt hätte“, knurrte Drake, der in muffeliger Katermanier in die Küche schlurfte und sich den nächstbesten Wasserkrug übers Gesicht kippte, den er finden konnte.
„Drake?!“, schnappte Xara. „Was macht der denn hier?“
„Und woher kam der Elfenwein?“, wunderte sich Winter.
„Hat Kalith den nicht mitgebracht?“, meinte Faust sich zu entsinnen. „Also den Elfenwein, nicht Drake.“
Nun fiel es auch Winter wieder ein: Bevor sie mit Faust zum Grüngras-Fest nach Silbrigmond aufgebrochen war, hatten sie einen kurzen Abstecher nach Myth Drannor gemacht. Während seines kurzen Exils hatte Faust von Nimoroth erfahren, dass ihr alter Freund Kalith eine harte Zeit durchgemacht hatte: Nach der Besetzung von Zhentilfeste durch die Ark’Vellahr war Kalith in der kriegsgebeutelten Stadt als Statthalter eingesetzt worden. Die Verantwortung hatte ihn derart zermürbt, dass der Elfengeneral Fflar Melruth ihm einen Zwangsurlaub verordnet hatte. Um den Freund ein wenig von seinen Sorgen abzulenken, hatten Winter und Faust ihn zum Fest nach Silbrigmond eingeladen. Ein fataler Fehler: Denn in Xaras Zauberladen waren sie ausgerechnet auf Drake gestoßen, Kaliths erklärten Erzfeind… 
„Du hast dich mit Kalith geprügelt!“, fuhr Winter den Schurken an.
„Genaugenommen habe ich ihn auseinandergenommen wie eine Festtagsgans“, erwiderte Drake selbstgerecht. 
„Er ist krank!“
„Sein Pech – er hat mich angegriffen. Ich hätte ihm die Kehle aufgeschlitzt, wenn ihr nicht alle zugesehen hättet.“
„Inwiefern spricht das denn jetzt bitte für dich?!“
„Dein Tischtanz war jedenfalls legendär, Mann!“ Spöttelnd klopfte Faust dem Albino auf den Rücken, was dieser mit einem unwirschen Zischen quittierte. „Hey, ich habe noch niemanden mit solcher Inbrunst die Worte GRIMWARDT BRAUCHT MICH singen hören“, frotzelte Faust weiter.
„Wenn du mich noch einmal anfasst, gibt’s Saures!“, giftete Drake. „Und ich singe nicht!“ Ein unliebsamer Erinnerungsfetzen ließ ihn innehalten. Argwöhnisch huschte sein Blick von Gesicht zu Gesicht. „Habe ich das wirklich gesungen?“
„Gesungen? Du hast die halbe Stadt damit tapeziert“ Grinsend trat Winter zur Seite, um den Blick auf die Wandbemalung freizugeben. „Nach deiner tänzerischen Glanzleistung bist du mit einem Pulk von Anhägern und einer Handvoll Farbtöpfen zum Palast gezogen. Selbst der Hochfürst von Silbrigmond dürfte inzwischen wissen, dass GRIWARDT DICH BRAUCHT!“
Fasziniert stellte sie fest, dass Albinos grau wurden statt rot anzulaufen. Entgeistert stürzte Drake zum Fenster. Kaum hatte er den Kopf durch die Fensterläden gesteckt, als ein Passant „GRIMWARDT BRAUCHT DICH“ zu ihnen hinaufrief. Drei weitere antworteten im Chor. Drake zog den Kopf eilig wieder zurück.
„Schätze, nach Mord und Betrügerei wirst du jetzt auch noch wegen Vandalismus gesucht“, mutmaße Faust. „Steile Karriere, Mann.“
„Klappe“, knurrte Drake. „Warum braucht mich Grimwardt denn nun?“ 
Ratlose Blicke.
„Ich erinnere mich nur daran, dass er irgendwann im Laufe des Abends telepathisch bei mir anklopfte und mich bat dir auszurichten, dass er deine Hilfe braucht“, sagte Faust. „Keine Ahnung, worum es ging.“
Drake sah Winter an und hob eine Augenbraue.
„Finden wir es heraus?“ 

Grimwardt
Abtei des Schwertes, kurz darauf
Frustriert schob Grimwardt den Papierstapel beiseite, den Borgo ihm hereingereicht hatte: Rechnungen, Bittbriefe, eine Auflistung magischer Forschungsutensilien, die Meister Toibin erbeten hatte… Auf nichts davon mochte er sich an diesem Morgen konzentrieren.
Nachdem er sechs Stunden auf den Knien vor Tempus‘ Altar ausgeharrt hatte, hatte der Feindhammer sein Schweigen endlich gebrochen. Seine Worte waren nicht tadelnd, aber zu zeremoniell, zu unpersönlich gewesen. Der einzige Hinweis darauf, was ihn bei seinem Herrn in Ungnade hatte fallen lassen, war der rätselhafte Hinweis: „Vielleicht könntest du besser sehen, wenn du deine Augenbinde hin und wieder ablegtest.“ 
Grimwardt besaß eine magische Augenbinde, die er manchmal in der Schlacht einsetzte. Der Verlust des Augenlichts stärkte seine anderen Sinne, sodass er selbst unsichtbare Gegner ausmachen konnte, doch die Binde machte ihn blind für Feinde, die ihn nicht unmittelbar in den Nahkampf verwickelten. Missfiel Tempus diese Kampftechnik? Nein, wegen solch einer Lappalie hätte er ihn nicht mit tagelangem Schweigen gestraft. Außerdem hatte Grimwardt genug göttliche Gespräche geführt, um zu wissen dass Götter und ihre Boten grundsätzlich in Metaphern sprachen. Sie taten das nicht, wie viele Unwissende glaubten, um ihre mystische Aura zu pflegen. Nein, Aos Gesetze verboten es den Unsterblichen, aktiv in die Geschicke der Sterblichen einzugreifen, also mussten sie auf subtilere Mittel zurückgreifen. Versuchte Tempus also ihn auf einen verborgenen Gegner oder eine unsichtbare Gefahr aufmerksam zu machen, die er versäumt hatte, zu erkennen?
Silas, dachte Grimwardt grimmig. Er muss Silas meinen.
Der abtrünnige Ritter, der die Abtei während der Zauberpest in Verruf gebracht hatte, war noch tiefer in die Dunkelheit abgeglitten. Während Grimwardts Abwesenheit hatte er sich einer Abenteurergruppe um eine junge, charismatische Shar-Klerikerin namens Lydia angeschlossen, die im Namen der Dunklen Herrin gegen das Böse kämpfte. Verdächtig war nur, dass „das Böse“ seit geraumer Zeit immer gerade dort auftauchte, wo es von den Machenschaften Netherils ablenkte. Ein Lindwurm tyrannisierte ein kleines Dorf im Misteltal, während das gebeutelte Narbental einen wirtschaftlichen Knebelvertrag mit einer von Netheril kontrollierten Handelsorganisation unterzeichnete. Orks fielen über eine Siedlung im Grenzgebiet zu Cormyr her, während sich der Bürgermeister von Federtal öffentlich zur Kirche der Shar bekannte…
Zu Grimwardts Verdruss waren die Bürger der Talländer leicht zu beeinflussen: Die „Schattentänzer“ waren durch ihre Heldentaten in der Umgebung zu einigem Ruhm gelangt und die talisische Kirche der Shar gewann dank Lydias Missionierungserfolgen in beängstigendem Maße an Einfluss. Am meisten jedoch wurmte es ihn, dass Silas, den er, Grimwardt Fedaykin, einst öffentlich zum Ersten Schwertbruder gekürt hatte, diesen Scharlatanen durch seine Verbindung zur Abtei des Schwertes den Anschein der Achtbarkeit verlieh! Zwar hatte sich der Priestergeneral öffentlich von dem Abtrünnigen distanziert, kaum dass er von dessen Machenschaften Wind bekommen hatte, doch der angerichtete Schaden war nicht mehr rückgängig zu machen.
Ein Rekrut, der die Ankunft von Faust, Winter und Drake ankündigte, riss Grimwardt aus seinen Grübeleien.
„GUT GESCHLAFEN?“, begrüßte er in dröhnendem Bass und nicht ohne Häme die drei übernächtigten Gestalten, die kurz darauf in sein Arbeitszimmer schlurften.
Kollektives Gestöhne.
„Wenn du nicht willst, dass ich quer über deinen Schreibpult reihere, mach das nicht nochmal“, knurrte Drake, der tatsächlich ein wenig grün um die Nase war. 
„Offenbar ist meine Nachricht also doch angekommen“, brummte Grimwardt. „Drake, ich habe möglicherweise einen Auftrag für dich.“
„Ich dachte, ihr Tempus-Anhänger bevorzugt direktere Methoden.“
„Nicht so ein Auftrag“, schnaubte der Priester. Dann erzählte er, was er von den Machenschaften der „Schattentänzer“ in Erfahrung hatte bringen können.
„Silas ist ein gewissenhafter Narr“, beendete er seinen Bericht. „Ich denke nicht, dass er gegen die Abtei oder gegen die Regierungen der Talländer intrigiert. Vermutlich glaubt er die Lügen tatsächlich, die Netheril hierzulande verbreiten lässt. Sembia hat Hochprinz Telamont Tanthul über den Handel an sich gebunden – in den Talländern versucht er es nun über die Kirche der Shar. Gefährlicher als Silas ist also diese kleine Klerikerin, Lydia. Meister Toibins Nachforschungen haben ergeben, dass sie in einem Tempel im Schattental ausgebildet wurde. Ich würde meine Axt darauf verwetten, dass die Umbranten den Tempel kontrollieren. Womöglich wurden von dort sogar die ominösen Angriffe koordiniert, durch die Lydia und ihre Gefährten zu Volkshelden wurden. Das alles ist aber reine Spekulation – ich brauche Beweise.“
„Warum stattest du den frommen Sharianern nicht einfach einen kleinen Besuch ab?“, schlug Faust vor. 
„Das hier ist nicht Baator“, erwiderte Grimwardt. „In den Tempel einzufallen hätte unabsehbare politische Folgen. Was, wenn ich mich irre und es keine Verschwörung gibt? Was, wenn mein Angriff Unschuldige träfe? Ich habe geschworen, die Taliser zu schützen. Alle Taliser!“   
„Also willst du, dass sich bei den Schattenpriestern jemand für dich umhört, dessen Verbindung nicht zu dir zurückverfolgt werden kann“, erriet Drake. „Jemand, der sich unsichtbar zu machen weiß.“
Grimwardt brummte nickend in seinen Bart hinein. Drake schürzte die Lippen und dachte eine Weile über das Angebot nach.
„Du hast noch nichts zur Bezahlung gesagt“, sagte er schließlich. „Schon gut, ich weiß, die Abtei des Schwertes schwimmt nicht gerade im Geld. Ich habe sowieso einen besseren Vorschlag: Ich will Winter.“
„Entschuldige?!“, erwiderte Winter pikiert.
Drake streifte sie mit einem anzüglichen Blick, ehe er erklärte: „Während der Zauberpest sind Duzende von Städten zugrunde gegangen. In den verpesteten Gebieten liegen ungeahnte Schätze – versunken im Meer oder vergraben unter Erdschichten. In einigen dieser Gebiete wütet noch immer das Zauberleuchten, aber andere müssten inzwischen mit dem nötigen magischen Schutz wieder erreichbar sein… Ich weiß, wo es sich lohnt zu graben, aber ich brauche magische Unterstützung. Für deine Hilfe und sechzig Prozent des Gewinns helfe ich Grimwardt bei seinem Schattenproblem. Was sagst du?“
Winter erwiderte seinen Blick mit Argwohn. Der Preis war angemessen, doch offensichtlich war ihr nicht wohl dabei, allein mit Drake auf Schatzsuche zu gehen. Das entging auch Faust nicht. 
„Klingt vielversprechend“, bemerkte er. „Ich bin dabei.“ 
„Hat dich irgendwer eingeladen?“, knurrte Drake, dessen Vorstellung einer Abenteuerreise in trauter Zweisamkeit gerade unter einer geballten Eisenfaust zu zerplatzen drohte. Doch Winters Blick sagte ihm, dass er entweder mit ihnen beiden Vorlieb nehmen musste oder mit keinem. 
„Na schön“, murrte er. „Aber es bleibt bei sechzig Prozent!“
Nachdem sie eingeschlagen hatten, klatschte Faust tatendurstig in die Hände: „Schön, dann können wir ja jetzt zur Bescherung übergehen!“
Grimwardt und Drake wechselten gequälte Blicke, während Faust sein breitestes Festtagsgrinsen aufsetzte und Winter mit viel feierlichem Trara eine mit bunten Schleifen umwickelte Schriftrolle überreichte, die sich als äußerst wertvoller Kosmetik-Zauber entpuppte. Auf Winters stürmische Dankesbekundungen folgte die Enthüllung, dass sie zum Grüngras-Fest eine kleine Wohnung in Silbrigmond ganz in der Nähe der Mondscheinbrücke erstanden hatte, die sie sich mit Faust zu teilen gedachte.
„Was für ein Humbug“, schnaubte Grimwardt, während die beiden Beschenkten sich glücklich in die Arme fielen. „Was hat es damit zu tun, den Frühling zu ehren, wenn irgendwelche nutzlosen Kinkerlitzchen den Besitzer wechseln!“
„Warte nur, bis du dein Geschenk gesehen hast“, grinste Faust.
„Ich habe euch doch gesagt, dass ich bei diesem Mummenschanz nicht mitmache!“
Sein Widerstand stieß auf taube Ohren. Faust pfiff einmal kurz durch die Finger, worauf der Rekrut, der vor Grimwardts Arbeitszimmer Wache hielt, die Tür öffnete und eine Gruppe ausgemergelter Gestalten in den Raum führte. Grimwardt zählte fünf Personen: Vier hatten die dunkle Haut und feinen Gesichtszüge von Rashemi oder Mulan, der fünfte trug eine tätowierte Glatze wie die Roten Magier von Tay.  Eine angespannte, wenn nicht furchtsame Haltung war ihnen allen gemein.
„Was bei allen Göttern…?“ Grimwardt klappte die Kinnlade herunter. 
„Darf ich vorstellen“, sagte Faust stolz. „Deine neuen Rekruten. Branko hier ist eine Kampfsau, auch wenn er im Moment nicht danach aussieht. Die Geschwister Venya und Kadir sind hervorragende Reiter. Aman ist sehr geschickt mit dem Kurzschwert und Moroi hat bei den Roten Magiern von Tay gelernt, bevor er durch die Intrigen eines anderen Lehrlings in Ungnade fiel und sein Meister ihn an Sklavenhändler verkaufte.“
Grimwardt sank entgeistert gegen sein Arbeitspult.
„Du schenkst mir MENSCHEN?“
„Rekruten“, verbesserte Faust. „Du beklagst dich doch ständig über den Rückgang an Novizen. Ich komme für sämtliche Ausbildungs- und Verpflegungskosten auf. Außerdem sind sie freiwillig hier. Den Rest habe ich gehen lassen.“
„Den REST?“
„Ich habe sie aus der Sklaverei befreit.“   
„WESSEN Sklaven sind sie?“
„Ein tayanischer Sklavenhändler hielt sie gefangen.“ 
„SOLL DAS HEISSEN, DASS DEMNÄCHST EIN TYAYANISCHER ZAUBERZIRKEL BEI MIT ANKLOPFT UND SEIN EIGENTUM ZURÜCKVERLANGT?!“
Grimwardts Zornader war nahe daran, seine Stirn zum Explodieren zu bringen. 
„Das halte ich für unwahrscheinlich, ich habe keinen am Leben gelassen. Außerdem habe ich die Zeit manipuliert, um in meiner Greisengestalt aufzutreten: Desayeus, der Sklavenbefreier. Mich hat ganz sicher niemand erkannt.“
Der Kriegspriester schloss die Augen und zwang sich langsam bis drei zu zählen. Zurückgeben konnte er sein „Geschenk“ wohl nicht. Also blieb ihm nur, das Beste daraus zu machen… oder es zumindest zu versuchen.
„Du!“, wandte er sich an eines seiner Geschenke. „Was weißt du über Tempus den Schlachtenherrn?“
Der junge Mann trat unsicher von einem Fuß auf den anderen. Offenbar verstand er kein Wort von dem, was Grimwardt sagte.
„Sieht so aus, als ob da noch einiges an Arbeit auf uns zukäme“, knirschte der Priestergeneral. „Wenn ihr mich also weiter meinen Pflichten nachgehen lassen würdet, wäre ich euch äußerst dankbar.“
Als seine Gefährten und Drake bereits an der Tür waren, wandte Faust sich noch einmal zu ihm um.
„Weißt du, ein ‚Dankeschön‘ würde dich nicht umbringen“, meinte er beleidigt. 
„Dankeschön“, brummte Grimwardt.
Doch im Geheimen spürte er große Erleichterung, als sich die Tür hinter seinen beiden Freunden schloss.


Winter

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« Antwort #289 am: 24. Oktober 2012, 20:53:51 »
 :lol: :lol: :lol:
Ich hab mich weggeschmissen, großartig umgesetzt!
Da ist ja soviel passiert, an das ich nicht mehr gedacht hatte! Das mit den Geschenken hatte ich ganz vergessen. Es lebe Grüngras.

Nightmoon

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #290 am: 24. Oktober 2012, 20:59:56 »
Sehr schönes Ende!  :thumbup:
Wiedermal stilistisch perfekt und nachvollziehbare Gedankengänge der Helden. War aber auch ein schöner Hangover ;)
Jetzt freu ich mich natürlich auch die nächste Geschichte! Da dürfte ja quasi fast jedes Kapitel in einem Highlight enden, wenn ich so zurückdenke ;)

Nightmoon

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #291 am: 31. Oktober 2012, 01:32:32 »
Hast du evtl. noch ein paar Gegnerwerte die ich auf die Seite packen könnte und die nicht geheim sind? ;)

Nightmoon

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #292 am: 07. November 2012, 17:02:55 »
Sind alle eingebaut. Echt krasse Brocken dabei... und Shar hätte uns mit einem Happs gefressen. Ist ja quasi die Über-Version von Winter...

Winter

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« Antwort #293 am: 07. November 2012, 22:10:35 »
Shar: *schluck*  :blink:
Wir hatten ja so unfassbares Glück!

Niobe

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« Antwort #294 am: 08. November 2012, 01:23:46 »
Die Änderungen an der Seite gefallen mir gut...  :thumbup:  Es wächst und gedeiht.

Nightmoon

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« Antwort #295 am: 08. November 2012, 01:33:05 »
Wie ein Tamagotchi...  :D
Sag mal... als der letzte Endgegner starb... ist da seine Ausrüstung zurückgeblieben? Wenn ja haben wir auf jeden Fall genug Geld für viele schöne Dinge und Winter nen krassen neuen Mantel  :D

Niobe

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« Antwort #296 am: 08. November 2012, 01:38:32 »
Du meinst Rivalen Tanthul? Im Grunde schon. Aber er schwebte über dem Realitätsmaelstrom, als Faust ihn köpfte... Muss mir noch überlegen, wie ich das regele, aber irgendwie werdet ihr wohl noch an ein wenig Kohle kommen ;-)

Nightmoon

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #297 am: 08. November 2012, 02:15:16 »
Meinte Shar, aber das war ironisch gemeint ;)

Niobe

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« Antwort #298 am: 12. November 2012, 21:23:45 »
Fürs Theaterspielen gibt es Fragelisten zur Charakterisierung einer Figur. Einige der Fragen passen auch auf DnD-Charaktere. Wenn ihr Lust habt, könnt ihr das ja mal auf eure Chars anwenden. Würde mich jedenfalls interessieren :)

Welchen Schauspieler würdest du für deine Figur casten?
Welche fiktive oder historische Person könnte als Vorbild dienen?
Welches Lied beschreibt deine Figur am besten? 
Welchen Akzent/Dialekt würdest du deiner Figur am ehesten geben?   
In welche Epoche passt deine Figur am besten? 
Welches Tier wäre deine Figur?
Welces Accessoire ist für deine Figur am wichtigsten?
Welches (Lebens-)Motto hat deine Figur?

Nightmoon

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Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #299 am: 12. November 2012, 22:00:23 »
Welchen Schauspieler würdest du für deine Figur casten?
Josh Holloway

Welche fiktive oder historische Person könnte als Vorbild dienen?
Faust, Sawyer aus Lost, Achilles

Welches Lied beschreibt deine Figur am besten?
30 seconds to mars - closer to the edge; Florence and the machine - 7 devils; Otep - I, alone

Welchen Akzent/Dialekt würdest du deiner Figur am ehesten geben?  
prolliger slang

In welche Epoche passt deine Figur am besten?
Antike, Zeit des Trojanischen Krieges

Welches Tier wäre deine Figur?
Löwe oder Vielfraß

Welces Accessoire ist für deine Figur am wichtigsten?
Schwert und Stahlfaust

Welches (Lebens-)Motto hat deine Figur?
Besser stehend sterben als auf den Knien zu leben
« Letzte Änderung: 14. November 2012, 22:27:18 von Nightmoon »

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