Autor Thema: Stadt der gläsernen Gesänge  (Gelesen 72383 mal)

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Winter

  • Mitglied
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #300 am: 13. November 2012, 16:03:47 »
Spannend  :)

Welchen Schauspieler würdest du für deine Figur casten?
Angelina Jolie – sie müsste sich die Haare rot färben – oder Marcia Cross (ein paar Jahre jünger)

Welche fiktive oder historische Person könnte als Vorbild dienen?
Saffron alias Bridget alias Yolanda aus Firefly (Mrs Reynolds), Cersei Lannister aus Lied von Eis und Feuer, oder Lucrezia Borgia

Welches Lied beschreibt deine Figur am besten?
Da muss ich passen.

Welchen Akzent/Dialekt würdest du deiner Figur am ehesten geben?   
italienischer Akzent

In welche Epoche passt deine Figur am besten?
Renaissance

Welches Tier wäre deine Figur?
Mischung aus Elster, Papagei und Glucke

Welches Accessoire ist für deine Figur am wichtigsten?
Spiegel

Welches (Lebens-)Motto hat deine Figur?
Alles hat seinen Preis.

Niobe

  • Mitglied
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #301 am: 13. November 2012, 19:05:55 »
Hihi, sehr schön  :D
Finde vor allem die Frage nach der Epoche interessant...

Hier mal ein paar NSCs:

Drake

Welchen Schauspieler würdest du für deine Figur casten?
James Marsters

Welche fiktive oder historische Person könnte als Vorbild dienen?
Loki, Rochefort (Die drei Musketiere), Sawyer (Lost), Benjamin Linus (Lost)

Welches Lied beschreibt deine Figur am besten?
Falcon in the Dive (The Scarlet Pimpernel), Snuff (Slipknot)

Welchen Akzent/Dialekt würdest du deiner Figur am ehesten geben?  
Amerikanisch (Ostküstenslang)  

In welche Epoche passt deine Figur am besten?
Industrielle Revolution

Welches Tier wäre deine Figur?
Ratte

Welches Accessoire ist für deine Figur am wichtigsten?
Glasauge

Welches (Lebens-)Motto hat deine Figur?
„Wenn du für nichts einstehst, kann dich auch nichts zu Fall bringen.“


Miu

Welchen Schauspieler würdest du für deine Figur casten?
Ziyi Zhang
 
Welche fiktive oder historische Person könnte als Vorbild dienen?
Jesus von Nazareth, Mahatma Gandhi, Miho (Sin City)

Welches Lied beschreibt deine Figur am besten?
Enjoy the Silence (Depeche Mode)

Welchen Akzent/Dialekt würdest du deiner Figur am ehesten geben?
Japanisch (bzw. stumm)  
 
In welche Epoche passt deine Figur am besten?
?

Welches Tier wäre deine Figur?
Taube

Welches Accessoire ist für deine Figur am wichtigsten?
Keines

Welches (Lebens-)Motto hat deine Figur?
„Jedes Leben ist heilig.“, „Die meisten Übeltaten beginnen mit Worten.“


Dorien

 Welchen Schauspieler würdest du für deine Figur casten?
Travis Fimmel, Theo Theodoridis  
 
Welche fiktive oder historische Person könnte als Vorbild dienen?
Dorian Gray, Lestat de Lioncourt (Vampirchroniken)

Welches Lied beschreibt deine Figur am besten?
Denk an mich (Schandmaul), Chasing Cars (Snow Patrol)

Welchen Akzent/Dialekt würdest du deiner Figur am ehesten geben?
Französisch
 
In welche Epoche passt deine Figur am besten?
Barock

Welches Tier wäre deine Figur?
Pfau

Welches Accessoire ist für deine Figur am wichtigsten?
Roter Gehrock

Welches (Lebens-)Motto hat deine Figur?
„Liebe dein Leben, lebe die Liebe.“  
« Letzte Änderung: 20. November 2012, 11:33:35 von Niobe »

Nightmoon

  • Mitglied
    • Schicksalsstreiter
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #302 am: 13. November 2012, 21:42:44 »
Gute Casts. Für Winter hätte ich mir auch Milla Jovovic gut vorstellen können. Und Josh Holloway muss sich natürlich auch die Haare dunkel färben und noch was trainieren.

Zophael

  • Mitglied
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #303 am: 18. November 2012, 20:03:59 »
Welchen Schauspieler würdest du für deine Figur casten?
Brendan Gleeson, Gerard Butler

Welche fiktive oder historische Person könnte als Vorbild dienen?
Kratos (God of war)

Welches Lied beschreibt deine Figur am besten?
Sgt. McKenzie, The crown and the ring

Welchen Akzent/Dialekt würdest du deiner Figur am ehesten geben?
Schottisch-gälisch oder walisisch

In welche Epoche passt deine Figur am besten?
Hochmittelalter

Welches Tier wäre deine Figur?
Bär

Welches Accessoire ist für deine Figur am wichtigsten?
Die Axt

Welches (Lebens-)Motto hat deine Figur?
In hoc signo vinces

Zophael

  • Mitglied
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #304 am: 19. November 2012, 18:58:04 »
Für Fardo:

Welchen Schauspieler würdest du für deine Figur casten?
John Goodman

Welche fiktive oder historische Person könnte als Vorbild dienen?
Platon

Welches Lied beschreibt deine Figur am besten?
Trink, trink, Brüderlein trink.

Welchen Akzent/Dialekt würdest du deiner Figur am ehesten geben?
Russisch

In welche Epoche passt deine Figur am besten?
griechische Antike

Welches Tier wäre deine Figur?
Igel

Welches Accessoire ist für deine Figur am wichtigsten?
Der Ledermantel und meine Ratte

Welches (Lebens-)Motto hat deine Figur?
Wissen ist Macht, nichts zu Wissen macht aber auch nichts!

Niobe

  • Mitglied
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #305 am: 20. November 2012, 11:38:05 »
Cool, kann mir John Goodman auch gut als Fardo vorstellen... Wie heißt eigentlih Fardo mit Nachnamen?

Zophael

  • Mitglied
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #306 am: 21. November 2012, 21:40:36 »
Der lebenslustige heißt "Andrus" mit Nachnamen ;-)

Nightmoon

  • Mitglied
    • Schicksalsstreiter
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #307 am: 07. Dezember 2012, 16:22:06 »
oh, Herbert Grönemeyer mit "Bleibt alles anders" würde noch sehr zu Faust passen!

Nightmoon

  • Mitglied
    • Schicksalsstreiter
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #308 am: 12. Dezember 2012, 21:29:55 »
Obs wohl zu Weihnachten noch ein neues Kapitel gibt? ;)

Niobe

  • Mitglied
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #309 am: 12. Dezember 2012, 21:46:43 »
Hm, mal schauen... Grim leistet gerade Sterbehilfe ;)

Nightmoon

  • Mitglied
    • Schicksalsstreiter
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #310 am: 12. Dezember 2012, 21:56:59 »
ah! :thumbup:

Niobe

  • Mitglied
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #311 am: 02. Januar 2013, 23:31:01 »
Sechstes Buch: Das Netz des Schicksals

Prolog

Drake
Silbrigmond, Hammer 1400 TZ, morgens.
Drake zischte einen Fluch, als ihm auf der Außentreppe zu Winters Stadtwohnung zwei durchzechte Gestalten entgegen stolperten. In nicht einmal fünf Jahren war ihre Adresse zum berüchtigtsten Treffpunkt der Stadt avanciert. Der Assassine fand die Wohnungstür unverschlossen vor. Auf sein Rufen antwortete niemand, doch in der Eingangsdiele entdeckte er die magisch schimmernde Aura eines Torbogens. Die Losung zur außerdimensionalen Villa von Silbrigmonds bekanntester Salondame hatte sich seit seinem letzten Besuch nicht geändert. Drake ignorierte die Horde beflissener Geisterdiener, die gleichmütig die Überreste eines ausgelassenen Festgelages beseitigten, und steuerte zielstrebig die Privatgemächer der Hausherrin an.
Winter schlummerte, eng umschlungen mit einer jungen Frau, in ihrem Himmelbett. Drake ertappte sich dabei, wie er für einen Moment im Anblick ihres makellosen Antlitzes versank. Ein Teil von ihm hätte nur allzu gern erfahren, „wie heiß der Winter werden kann“, wie man in gewissen Kreisen flüsterte. Ein anderer Teil war eher geneigt, einen Dolch tief in ihre hübsche Kehle zu stoßen. Beides ärgerte und irritierte ihn, denn er erfüllte nicht gerne die Erwartungen.
Du wirst nachlässig, Winter…
Rumpelnd zog er einen Sessel zum Bett und begann geräuschvoll seine Dolche zu wetzen. Winter wachte auf. Als sie ihn erkannte, fuhr sie erschrocken auf und befreite sich eilig aus der Umarmung der schlafenden Fremden.
„Guten Morgen“, begrüßte er sie und setzte seine gewohnt spöttisch-herablassendes Miene auf. „Willst du mich nicht mit deiner neuen Freundin bekanntmachen?“
„Drake.“  Unbehaglich zog sie ihr Nachtgewand enger um den Körper und rieb sich die Nasenflügel, um ihren Morgenkater einzudämmen. „Was denkst du dir dabei, einfach in mein Schlafzimmer zu platzen!“
„Was denken sich die zahlreichen anderen Leute dabei, die neuerdings einfach in dein Schlafzimmer platzen?“ 
Winter stutze.
„Hast du mich gerade eine Hure genannt?!“, fragte sie mit entzückender Empörung.
„Du kannst ja wohl kaum abstreiten, dass du einen gewissen Ruf genießt.“
„Was willst du?“ Verdrossen setzte sie sich an ihren Spiegeltisch, um ihren unnatürlich schattigen Teint zu überschminken. Eine morgendliche Routine: Illusionsmagie verbarg die sichtbaren Auswirkungen ihrer Seelensucht vor der Öffentlichkeit, doch es war niemals auszuschließen, dass sie Zauberkundigen begegnete, die ihre Maskerade durchschauten.
„Es geht um Xaras Jungen.“ Drake steckte die Dolche weg und trommelte fahrig mit den Fingerspitzen gegen die Sesselarme. „Hier in Silbrigmond, wo jeder sein schwefliges Geheimnis kennt, wird er es zu nichts bringen.  Ich kenne einen Magier in Baldurs Tor, der einen Lehrling sucht. Aber wenn er noch einmal von vorne anfangen will, braucht er eine magische Verkleidung…“   
„Riven hat bereits einen Lehrmeister“, erinnerte ihn Winter. „Xara sagt, er macht sich ganz gut an der Arkanen Akademie.“
 „Da hat man ihn doch nur aufgenommen, um ihn kleinzuhalten“, schnaubte Drake.  „Und weil seine Mutter der Zauberwacht ein kleines Vermögen gespendet hat. Sie baut ihm ein hübsches, kleines Kartenhaus. Sobald er spitzkriegt, was da läuft, ist er auf und davon mit seinen Freunden aus der Unterwelt.“
„Du meinst, mit deinen Freunden aus der Unterwelt“, seufzte Winter. „Weiß Xara von deinen Plänen?“ 
„Natürlich nicht.“
„Na, großartig!“ Sie rieb sich stöhnend die Schläfen. „Drake, sie bringt mich um, wenn ich dir dabei helfe!“
„Sie muss es ja nicht erfahren.“
„Warum interessierst du dich so für diesen Jungen?“ 
„Weil er...“ Drake biss sich auf die Lippen. Eigentlich war der Junge nur ein Vorwand, um bei Winter aufzukreuzen, aber andererseits spürte er tatsächlich eine seltsame Verantwortung gegenüber dem Tiefling. „Ach, vergiss es.“
Plötzlich war ihm die Lust daran vergangen, Winters Unpässlichkeit auszunutzen.
„Überleg’s dir“, murmelte er und wollte sich davonstehlen.
Im nächsten Moment lag er flach auf dem Boden von Winters Stadtwohnung. Sein Sessel, das Schlafgemach, der Palast – alles war verschwunden. Winters Bettgefährtin erlebte ein böses Erwachen und begann in Panik loszukreischen. Ein Werwesen, halb Mensch und halb Raubkatze, setzte fauchend über Drake hinweg, schmetterte Winter zu Boden und verbiss sich in ihrer Schulter. Die Überrumpelte versuchte sich durch eine Teleportation zu retten, doch was auch immer ihren Palast gebannt hatte, unterdrückte auch weiterhin ihre Magie.
„Was zum…!“
Drake folgte ihrem gehetzten Blick und erspähte – silhouettenhaft gegen das trübe Licht der aufgehenden Sonne – zwei weitere Gestalten: ein Hüne, der den gesamten Türrahmen vereinnahmte, und eine kleinere Gestalt mit Engelsflügeln.
Ein schmetternder Prankenhieb raubte Winter das Bewusstsein.
„Nachtmond, das reicht“, befahl der Geflügelte. „Lass den Schurken nicht entkommen!“
Als sich die gelben Katzenaugen auf ihn richteten, befand Drake, dass es höchste Zeit war sich zu verabschieden. Mit einer Rolle wich er der Sprungattacke des Tiermenschen aus und wechselte in derselben Bewegung auf die Ätherebene. Während sich sein verwirrter Gegner schnüffelnd im Kreis drehte, floh Drake durch eine Wand hindurch in Winters Speisekammer und von dort ins Freie. So schnell es seine neblig-verzerrte Umwelt zuließ, ließ er Winters Wohnung hinter sich. Zwar würde Tigerpranke ihn auf der Ätherebene nicht aufspüren können, doch bei seinen beiden Begleitern war er sich da nicht so sicher.
Er hatte Winter und ihre Gefährten lange genug nachspioniert, um zu wissen, mit wem er es zu tun hatte. Aber warum hatte es diese Freakshow plötzlich auf Winter abgesehen? Hatte Faust mal wieder irgendeinen Mist ausgefressen, den sie jetzt ausbaden durfte? Nein, nach allem, was Drake über die beiden Köpfe der Neun Schwerter wusste, war Vergeltung nicht deren Stil.  Das ließ nur einen Schluss zu… 
Kurz entschlossen kehrte er auf die materielle Ebene zurück, denn nur innerhalb des magischen Gewebes konnte er auf die Verknüpfungen zugreifen, die sein Auftraggeber zwischen ihnen gewoben hatte.
Zulkir? Winter Fedaykins Essgewohnheiten sind den falschen Leuten übel aufgestoßen… Wenn Euer Interesse an den Schicksalsstreitern noch besteht, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, zuzuschlagen.
Ungeduldig schabte er mit dem Stiefel im Straßenstaub, während er auf die Antwort seines Auftraggebers wartete. Nichts. Drake stieß einen Fluch aus. Sein Gefahrensinn sagte ihm, dass Winter in größeren Schwierigkeiten steckte, als sie ahnte. Er würde Hilfe brauchen, um die „Zukunftsinvestition“ des Zulkirs zu schützen.
Geht es dir wirklich bloß um den Auftrag?
Drake zwinkerte. Wo war Faust mit seinem köpfesäbelnden Angeberschwert, wenn man ihn mal brauchte?
Grummelnd schlug er den Weg zu Xaras Zauberladen ein.


Kapitel I: Der Exorzismus 

Faust
Tempel der Vier Winde, Shou-Lung, Kara-Tur
Er spürte seine Knochen nicht mehr und in seinen Ohren klang ein grässliches Fiepen. Als es ihm endlich gelang sich auf den Ellbogen zu stützen, sah er sich nach seiner Gegnerin um. Sie lag zwei Mannlängen von ihm entfernt im Sand und rührte sich nicht.
Es hat geklappt. 
Ächzend robbte er zu Omega hinüber und drehte sie auf den Rücken. Es hatte fast ein bisschen zu gut geklappt. Ein schmales, schnurgerades Blutrinnsal zog sich von ihrem Haaransatz, über ihr Gesicht, den Hals und den Torso. Faust schauderte: Ohne die abmildernde Magie des Übungsrings hätte sein Manöver sie in zwei Hälften gespalten. Omega hatte darauf bestanden, ihn durch seine Meisterprüfung zu führen. Trotzdem hatte er ein mulmiges Gefühl. Die Seelenkrämpfe traten nur noch selten auf und meistens gelang es Omega, die Kontrolle über sich zu behalten. Doch Stress und körperliche Anstrengung verstärkten die Wahrscheinlichkeit eines Anfalls. Faust hoffte, dass er den Kampf nicht auf Kosten ihrer Genesung gewonnen hatte.
Erwartungsvoll sah er zu den Drei Unberührbaren auf, die mit undurchdringlichen Mienen auf der Tribüne harrten und etwas in ihre steinernen Schreibtäfelchen eingravierten. Würden sie seinen Sieg anerkennen? Omega war ihm an Erfahrung weit überlegen; um sie zu besiegen, hatte er sich selbst an seine Grenzen gebracht – in einem echten Kampf hätte sein eigenes Manöver ihn umbringen können. Manch einer mochte den Ausgang des Kampfes darum als Unentschieden werten. Aber hier ging es nicht um Sieg oder Niederlage: Er hatte die letzten sechs Monate damit zugebracht, dieses Manöver zu entwickeln – es war so etwas wie die Krönung seines Kampfstilstils. Wenn die Drei Unberührbaren es akzeptierten, würde sein Name auf den Listen der Großmeister geführt, jenen wenigen Schwertmeistern, denen es gelungen war, über die Neun Wege der Schwertmagie hinauszuwachsen und etwas wahrlich Neues, Eigenes zu erschaffen.
Endlich richtete sich der Älteste der Unberührbaren auf.
„Faust, ich erkläre Euch hiermit zum Großmeister der Neun Wege“, sprach er feierlich. 
Im selben Moment entrollte sich vor Fausts geistigem Auge eine Schriftrolle mit einer magischen Eilmeldung aus Silbrigmond: „Deine idiotischen Ordensfreunde haben Winter entführt. Sieh zu, dass du deinen Arsch nach Rabenklippe bewegst. Drake.“
„Was soll denn der Mist?“, murmelte Faust.
Die beiden Schreiber sahen für einen Moment irritiert von ihren Steintafeln auf.
„Äh, das schreibt Ihr jetzt aber nicht auf, oder?“
Er sah die Annalen der Großmeister schon vor sich: „Und seine ersten Worte als Großmeister waren: ‚Was soll denn der Mist?‘“
Schönen Dank auch, Drake!
Unschlüssig kniete er sich zu Omega in den Sand.
„Ich könnte hier wirklich ein wenig Hilfe gebrauchen!“
Es fühlte sich an wie Stunden, ehe sich einer der Drei Unberührbaren dazu bequemte, einen Heilzauber zu sprechen. Faust reichte Omega eine Hand, um ihr auf die Füße zu helfen.
„Ein verdienter Sieg“, sagte sie mit schlichter Aufrichtigkeit, während sie ihm, wie es nach dem Kampf Brauch war, mit einer Verneigung Respekt zollte. 
Faust, der die Geste fahrig erwiderte, wollte ihr gerade von Drakes rätselhafter Aufforderung erzählen, als er von einer zweiten telepathischen Botschaft überrumpelt wurde: „Elijas und Hades haben Winter. Sie ist in großer Gefahr. Ich weiß, was du jetzt denkst, aber es ist die Wahrheit… Tyrail.“
Tyrail?!
Omegas Miene nach zu urteilen war sein Gesicht ein einziges Fragezeichen.
„Äh…“, begann Faust konfus und kratzte sich nicht eben großmeisterlich am Hinterkopf. In wenigen Worten gab er den Inhalt der beiden kuriosen Eilmeldungen wieder. „Also“, schloss er, „wenn mein Erzfeind und mein… Drake ein gemeinsames Fest schmeißen, sollte ich doch wohl zusehen, dass ich zum großen Buffet so weit weg bin wie möglich, oder übersehe ich hier irgendetwas?“
In einer abrupten Bewegung griff Omega nach seinem Arm. Aus ihren Lippen war alle Farbe gewichen und ihre Pupillen waren furchtsam geweitet. 
Nicht jetzt!, fluchte Faust in Gedanken.
Schweiß perlte von ihrer Stirn, während sie darum kämpfte, den Seelenkrampf zurückzudrängen. Faust hatte oft genug mitangesehen, wie ihre Seele zu zersplittern drohte, um zu wissen, dass er nicht viel tun konnte. Immerhin konnte er sie vom Platz geleiten – in der Dunkelheit des nahegelegenen Tempels war sie wenigstens vor neugierigen Blicken geschützt. Nach ein paar Minuten lockerte sich ihr Griff um seine Arme und sie sackte erschöpft in sich zusammen.
„Ihr dürft nicht zum Orden zurückkehren“, sagte sie mit brüchiger Stimme.
„Habt Ihr etwas gesehen?“
Sie schüttelte wage den Kopf. „Ich fürchte um die Neun Schwerter.“ 
Er zuckte mit den Schultern. „Eine Falle, sag‘ ich doch…“
Eine ziemlich offensichtliche Falle…
Eine Zeitlang wanderte er schweigend neben ihr her, während sie durch den Pagodenwald schlenderten, der sich an den Tempel anschloss. Doch Fausts Beherrschung währte nicht lange.
„Wann ist es denn wieder sicher, in Rabenklippe aufzukreuzen?“, konnte er sich nicht verkneifen zu fragen.
„Faust…“, murmelte Omega gequält. „So funktionieren diese Dinge nicht.“
Grübelnd biss er sich auf die Lippen. Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr beunruhigte ihn die ganze Sache. Es war nicht nur eine sehr offensichtliche Falle, der Vorwand schien auch mehr als weit hergeholt. Allein die Vorstellung, dass Hades eine Entführung planen könnte, ohne zuvor sämtliche öffentlichen Stellen schriftlich über seine Absichten zu informieren, war absurd. Wenn ihn jemand nach Schwerterteich locken wollte, gäbe es schlüssigere Köder.
Vielleicht vertrauten die Drahtzieher ja auch darauf, dass sein Beschützerinstinkt Amok lief, sobald es um Winter ging. Er hatte keinen Hehl daraus gemacht, was er für sie empfand. Eine Zeitlang hatte er sogar geglaubt, das mit ihnen könnte funktionieren. Ihre Schatzsuche im Zauberpest-verseuchten Osten, die anschließende Drachenjagd, ihre gemeinsame Zeit in Silbrigmond – es hatte während der letzten fünf Jahre genug Gelegenheiten gegeben, sich näherzukommen. Und doch wanderte er nun durch einen Tempel am anderen Ende der Welt ohne einen blassen Schimmer, wo Winter war oder wie es ihr ging. Ein paar ausgelassene Nächte, eine Schulter zum Ausheulen, wenn sie von ihren nächtlichen Streifzügen zurückkehrte – für sie war das genug gewesen. Er hatte sich gesagt, dass er nur ein wenig Geduld bräuchte; dass er ihr Zeit geben musste, die Geister der Vergangenheit zu vertreiben…
Nur war Geduld leider keine der Eigenschaften, für die man ihn in den Heldenliedern rühmte.
„Ich muss zurück“, seufzte er. „Zumindest zurück nach Faerûn, damit ich Winter über unser  telepathisches Band kontaktieren kann. Nur um sicherzugehen, dass alles in Ordnung ist.“ 
Omega sagte nichts, doch ihr wehmütiges Lächeln sprach Bände.
„Vielleicht solltet Ihr mit mir kommen.“ Es war nicht das erste Mal, dass er versuchte, sie zur Rückkehr zu bewegen. „Was auch immer da los ist – ohne Euch sind die Neun Schwerter ein Pulverfass.“
„Ich bin noch nicht bereit.“
Zwecklos, sie umstimmen zu wollen.
„Dann muss ich mich jetzt verabschieden…“
Sie nickte und entließ ihn mit einer formellen Verneigung.
Der Tempel der Vier Winde bestand aus einem riesigen Komplex von Shugenja-Tempeln, Hallen, Verwaltungsgebäuden, Übungsplätzen und Verteidigungswällen. Die Anlage war auf einem der östlichen Berge des Salju-Gebirges erbaut und nur ein einziger Weg, eine in den Fels gehauene Steiltreppe, führte hierher. Der Abstieg dauerte einen ganzen Tag, vom Aufstieg ganz zu schweigen. Bedauerlicher Weise befand sich das Portal nach Schwerterteich am Ende der Treppe und dank der asketischen Philosophie der Unberührbaren war jegliche Magie, die den Weg abkürzte, verboten. Es wäre jedoch nicht das erste Mal, dass Faust sich mit den Unberührbaren anlegte…
Vermutlich werden sie mir den Titel des Großmeisters schneller wieder entziehen, als es dauert, diesen verfluchten Berg hinunter zu fliegen.
Bevor er diese These jedoch auf die Probe stellen konnte, wurde er von einem der Mönche aufgehalten.
„Großmeister!“, rief der junge Mann, während er zu ihm aufholte und sich hastig verneigte. „Ihr habt Besuch aus Wa.“
„Ist gerade ein schlechter Zeitpunkt“, erklärte Faust und wollte sich abwenden. Als er jedoch die Gestalt erkannte, die sich hinter dem Mönch aus der Dunkelheit eines Gebäudeeingangs löste, hielt er erstaunt inne.
„Miu…?“
Er blinzelte ein paar Mal, ehe er sich davon überzeugt hatte, dass sie es tatsächlich war. Die Ordensschwester trug einen blauen Kimono und einen Zierkamm im Haar. Zwar wäre sie in dieser schlichten Aufmachung kaum dem Kaiser von Shou-Lung aufgefallen, doch Faust, der die enthaltsame Gefährtin nur in ihrer abgetragenen Lumpentracht kannte, glaubte im ersten Moment einen Doppelgänger vor sich zu haben.
Sie nahm zur Begrüßung seine Hände in ihre und lächelte – ein warmes, ungezwungenes Lächeln.
Faust war sprachlos. Als er sie vor fünf Jahren das letzte Mal gesehen hatte, war sie ein Wrack gewesen. Die Hölle hatte sie gebrochen. Doch die Miu, die ihm nun gegenüber stand, strahlte geradezu vor Zuversicht. 
„Wenn ich’s nicht besser wüsste, würde ich sagen, was für ein Zufall, dass du gerade jetzt hier auftauchst…“, murmelte Faust.
„Du bist im Begriff, irgendetwas Gefährliches zu tun“, erwiderte sie lächelnd. „Deshalb bin ich hier.“
„Deine Ahnen kommunizieren also wieder mit dir?“ 
Schamesröte überzog ihre Wangen.
„Ich habe meine Fähigkeiten wieder, wenn du das meinst“, sagte sie ausweichend und knetete schuldbewusst die Hände hinter dem Rücken wie ein Schulmädchen, das beim Abschreiben erwischt wurde. Faust musste ein Grinsen unterdrücken, doch zugleich beschlich ihn Sorge um diese „neue Miu“. Wenn sie ihre Schwüre aufgegeben hatte, wie konnte sie dann ihre Fähigkeiten widererlangt haben? Aber im Moment saß er zu sehr auf heißen Kohlen, um ihr auf den Zahn zu fühlen.
„Du kommst genau richtig“, sagte er. „Ich kehre zurück nach Faerûn.“
„Wo geht es denn hin?“
Er verzog den Mund zu einem sauren Lächeln. 
„Geradewegs in eine  Falle.“

Grimwardt
Essembra, Schlachtental.
Kriegskanzler Ilmeth von Essembra harrte breitbeinig auf einem schlichten Lehnsessel. Er saß leicht zur linken Seite gebeugt, um das rechte Bein mit der alten Kriegsverletzung zu entlasten. Der alte Krieger mit dem narbenzerfurchten Gesicht und dem kahlen Schädel blickte Grimwardt sauertöpfisch entgegen. Das war es jedoch nicht, was Grimwardt beunruhigte – einer der subtileren Dichter hatte einmal angemerkt, dass es nicht allein an Ilmeths unbeheizter Halle liegen konnte, dass so manch gestandenem Krieger beim Anblick des alten Misanthropen das Schlottern kam. Vielmehr verwunderte es den Kriegspriester, dass der Kanzler unter dem dicken Winterumhang all seine Kriegsauszeichnungen zur Schau trug: eine Tapferkeitsmedaille aus dem Lashankrieg, eine Reihe militärischer Rangabzeichen, den Feuerschild des Kriegskanzlers… Man mochte Fürst Ilmeth vieles nachsagen, doch ein Prahlhals war er nicht. Das konnte nur bedeuten, dass es einen hochoffiziellen Anlass für Grimwardts Besuch in Essembra geben musste. Während er die Halle durchquerte, suchte er in den Gesichtern der Anwesenden  nach Hinweisen. Außer ihm selbst waren nur die drei Söhne des Fürsten und ein berobter Schreiberling zugegen. Sie hatten sich mit respektvoller Distanz um Ilmeths Regierungsstuhl geschart und hielten mit ernsten Mienen die Blicke zu Boden gesenkt.
„Kriegskanzler.“ Grimwardt sank auf ein Knie. „Ihr habt nach mir schicken lassen?“
„Pah!“, schnaubte der Fürst und bedeutete ihm mit einer ungeduldigen Geste sich zu erheben. „Ein Auserwählter des Feindhammers geht nicht vor einem Ratskanzler in die Knie.“
„Euer Anliegen ist also religiöser Natur?“
„Das will ich hoffen“, knurrte Ilmeth. „Ich gedenke zu sterben.“
 „Seid Ihr krank?“
Ilmeths Versuch, die Frage mit einem höhnischen Lachen abzuschmettern, endete in einem kläglichen Hustenanfall.
„Mein Knie trachtet schon seit zwanzig Jahren danach, mir den Rest zu geben“, krächzte er. „Mein Arsch brennt beim Kacken wie Feuer und kein Feind hat mich so zum Schlottern gebracht wie dieser gottverdammte Husten! Es war mir nicht vergönnt, auf dem Schlachtfeld zu sterben – also habe ich beschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Aber zuvor muss ich noch eine Angelegenheit klären. Ich will, dass Ihr meine Nachfolge als Kriegskanzler des Schlachtentals antretet, Priestergeneral.“ 
Grimwardt zog die Stirn in Falten.
„Aber laut Verfassung wird der Kriegskanzler vom Bürgerrat gewählt.“
„Ich pisse auf die Verfassung!“, schnaubte Ilmeth. „Solange Netherils Schatten über den Talländern hängt, soll sich der Rat mit seiner Verfassung den Arsch abwischen! Federtal ist bereits Shars Schattennetz in die Fänge gegangen; die Schwertfürsten von Bogental haben den Netherhändlern Tür und Tor geöffnet, und nur die Götter wissen, wie lange Narbental den Verlockungen der Schattenfürsten noch standhält. Mein Notar hier“ – er deutete auf den Robenträger – „verwaltet mein Testament. Darin ernenne ich Euch zu meinem Nachfolger. Wenn der Rat der Talländer den Wisch beanstandet, dann zeigt denen, wie man Demokratie im Schlachtental definiert! Sagt ihnen, sie sollen einen Blick nach Federtal werfen, wenn sie sehen wollen, was passiert, wenn man dem Pöbel das Regierungszepter in die Hand drückt! Wie ein liebestoller Lausebub hat sich Baleira vom Geschwätz dieser kleinen Shar-Sirene einlullen lassen! Pah!“ Mit einer wegwerfenden Geste wies Ilmeth auf seine drei Söhne, die in böser Erwartung den Kopf einzogen. „Nicht dass ich die Erbdynastie wieder einführen wollte bei den drei Schwachköpfen, die sich meine Söhne schimpfen. Nein, ich will, dass jeder schlangenzüngige Schattenflüsterer erst an Grimwardt Fedaykin vorbeimuss!“
Er hatte sich so in Rage geredet, dass er nun ausgelaugt und schlotternd in seinem Lehnsessel zusammensank. Grimwardt brummte zustimmend in seinen Bart hinein. Die Landeschroniken mochten Fürst Ilmeth einen Tyrannen schimpfen, aber er hatte Recht – die Prinzen von Netheril hatten ihr Intrigennetz um die Talländer in den letzten Jahren immer enger gesponnen. Was die Föderation jetzt brauchte, war eine eiserne Faust, die sie zwang, sich dem Wesentlichen zu stellen.
Lydia und die „Schattentänzer“ waren nur der Anfang. Drake hatte in Grimwardts Auftrag herausgefunden, dass Fürstin Zia hinter den mysteriösen Angriffen auf die Talländer stand – eben jene Nether-Intrigantin, die während der Pestjahre die Kontrolle über die Abtei des Schwertes an sich gerissen hatte. Grimwardt hatte Zias Hexennest im Schattental persönlich ausgeräuchert – leider hatte sich dabei auch herausgestellt, dass Lydia und die „Schattentänzer“  von dem abgekarteten Spiel, das sie in so kurzer Zeit zu Volkshelden gemacht hatte, nichts geahnt hatten. Nachdem die junge Shar-Priesterin öffentlich für ihre Rolle in der „Schattental-Affäre“ Buße getan hatte, war ihre Beliebtheit beim talisischen Pöbel sogar noch gestiegen. Ihr größter Coup war die Konvertierung des Regenten von Federtal zur Kirche der Shar. Federtal, das kleinste Mitglied der Föderation, war ein unbedeutendes Bauernnest, doch Grimwardt glaubte, dass Netheril und die Sharianer dort eine Basis errichteten, um die benachbarten Länder Narbental und Eggental, die einzigen Täler mit einem Seezugang, in ihre Abhängigkeit zu zwingen. Sollte das gelingen, so bräche der Handel in den Tälern ein – und Netheril könnte großmütig seine helfende Hand ausstrecken. Grimwardt konnte ebenso wenig wie Fürst Ilmeth zulassen, dass seine Heimat zu einem zweiten Sembia wurde.
„Gut, ich mache es“, sagte er darum schlicht.
„War auch keine Bitte“, grunzte der Alte. „Ihr solltet einen Verwalter einstellen, wenn Ihr Euch nicht tagtäglich mit nörgelnden Bittstellern herumschlagen wollt, die glauben, der Kriegskanzler von Essembra hätte nichts Besseres zu tun, als jeder entlaufenen Sau nachzustellen. Wenn’s schnell gehen soll, würde ich meinen Sohn Olek vorschlagen. Ist nicht grad‘ so ein elender Jämmerling wie die anderen.“
Grimwardt nickte dem ältesten Fürstensohn wohlwollend zu. Er war plumper als sein Vater und Schweiß perlte ihm von der Stirn, während er mit stoischer Miene die Beleidigungen seines alten Herrn über sich ergehen ließ. Olek von Essembra diente in der städtischen Miliz und aus Erzählungen wusste Grimwardt, dass es ihm nicht an Beherztheit fehlte. Vielleicht hatte er einfach zu oft zu hören bekommen, dass er ohnehin zu nichts taugte, um es über den Rang eines einfachen Gardeoffiziers hinauszuschaffen.
„Dann ist also alles geklärt.“ Fürst Ilmeth machte Anstalten, sich zu erheben, kam dabei jedoch so sehr ins Schnaufen, dass Grimwardt ihn stützen musste.
„Priestergeneral.“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht umklammerte der Kanzler seinen Arm. „Würdet Ihr mein Schwert für mich halten? Wäre mir eine Ehre.“
Grimwardt stutzte. „Ihr wollt Euch hier und jetzt…?“
„Nein, ich warte, bis es so schlecht um mich steht, dass ich mich in meiner eigenen Scheiße suhlen kann!“, geiferte der Fürst. „Also nehmt ihr nun das verdammte Schwert?“
Grimwardt sah ein, dass es zwecklos war, dem alten Griesgram Widerworte zu leisten. Zweifellos würde er selbst genauso handeln, würde Tempus ihm den Kriegertod verwehren. Also tat er Ilmeth den Gefallen, riss mit beiden Händen dessen Schwert aus der Scheide und richtete es auf das Herz des Alten. Mit festem Griff packte der Fürst die Schultern des Kriegspriesters. Mit einem grimmigen Grunzen nickte er Grimwardt zu.
„Auf dass wir uns widersehen, wo man Tempus‘ Eier schon von Meilen riecht“, brummte er und stieß seine Brust in die offene Klinge.
Sein Tod war wie seine letzten Worte – kurz und dreckig. 
Grimwardt hatte den Toten kaum von der Klinge gleiten lassen, als er mit seinem göttlichen Blick eine geisterhafte Bewegung wahrnahm. Mit blutigem Schwert wirbelte er herum – im selben Moment, als Drake sich keine sechs Schritte von ihm in der Halle materialisierte.
„Oha.“ Der Assassine pfiff spöttisch durch die Zähne: „Komme ich irgendwie ungelegen?“
„Was du nicht sagst“, knurrte Grimwardt, das Schwert noch im Anschlag.
„Macht Tempus neuerdings Hausbesuche oder wie nennst du das?“
„Das hat alles seine Richtigkeit“, erwiderte der Kriegspriester unwirsch und gab den Anwesenden, die das Auftauchen des bewaffneten Fremden in helle Aufregung versetzt hatte, ein Zeichen sich zu entspannen.
„Es geht um Winter“, begann Drake. „Sie wurde…“
„Moment“, schnitt Grimwardt ihm das Wort ab. Es geht um Winter… Wenn er schon so anfing, konnte das nur wieder in einer Irrfahrt enden, die Grimwardt monatelang von seinen Pflichten in den Talländern abhalten würde. Dank des telepathischen Bandes stand er in gelegentlichem Kontakt zu seiner Schwester, doch gesehen hatte er sie seit Jahren nicht. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie wieder in sein Leben stolpern und alles auf den Kopf stellen würde.
Nun, er hatte aus früheren Erfahrungen gelernt.
„Ihr zwei“, wies er die beiden jüngeren Fürstensöhne an. „Bringt die Leiche weg und bereitet sie für die Beisetzung vor. Fürst Olek, zur Beerdigung werde ich offiziell mein Amt als Kriegskanzler antreten. Bereitet alles vor. Ich gedenke außerdem, den Rat der Talländer einzuberufen. Schickt Einladungen an alle zehn Fürsten. Notar, setzt eine Bürgerratswahl an und sorgt dafür, dass niemand zur Kandidatur antritt, der eine reelle Chance gegen mich hat.“ 
Erst als die vier Männer aus der Tür waren, wandte sich der frischgebackene Kriegskanzler in düsterer Erwartung an den ungebetenen Gast.
Was ist mit Winter?“

Faust
Schwerterteich bei Rabenklippe, kurz darauf.
Faust hätte Drake dafür knüppeln mögen, dass er Grimwardt in diese Sache reingezogen hatte. Winter hatte auf keinen seiner telepathischen Anrufe reagiert. Falls es hier um das ging, was er befürchtete, war Grimwardt eher eine Gefahr als eine Hilfe.   
„Worauf warten wir?“, murmelte Drake ungeduldig.
Faust warf ihm einen misstrauischen Seitenblick zu, dann starrte er unentschlossen aus seinem Versteck am Waldrand auf die Siedlung. Alles schien ruhig. Erstaunlich ruhig. Warum trainierten keine Schüler auf dem Gelände? Wieso drangen keine Geräusche aus dem Wirtshaus?
Plötzlich durchschnitt ein gellender Schrei die Stille.
„Das kam aus der Kelemvor-Kapelle!“
Zeitgleich mit Grimwardt und Drake zog er seine Waffe. Dann preschten sie los.   
- FAUUUUST!
Wie elektrisiert fuhr er zusammen, als Winters panischer Hilferuf durch seinen Geist zitterte.
- Winter? Was ist los? Wir sind fast da.
- Er bringt mich um. Er…

Ein weiterer Schrei. Diesmal klang es wie ein weidwundes Tier im Todeskampf. 
- Wer? Wer bringt dich um?
- Hades! Die Seelen… Ich glaube, er… EXORZIERT mich!

Fluchend hämmerte Faust gegen die Kapellentür. Als niemand öffnete, stemmte er sich mit Grimwardt gegen das Holz. Die Tür brach krachend aus den Angeln:  Winter war mit Händen und Füßen an den Kelemvor-Altar gefesselt, während Hades‘ düstere Gestalt über ihr thronte. Ihr Körper wand und bog sich unter seinem Gebet, dass es ihr das Rückgrat zu brechen drohte, und ihre Pupillen waren wie im Irrsinn nach oben gerollt. Vor dem Altar kniete betend die Zwergin Mechthild, Fünfte der Neun Schwerter, um Winters Leid mit Heilzaubern zu lindern, doch ihre Heilkunst war zu schwach für Hades‘ unerbittliche Teufelsaustreibung. Aus dem Halbdunkel, abseits des trüben Winterlichts, leuchteten Nachtmonds Katzenaugen den Eindringlingen mit bedrohlicher Intensität entgegen. Faust fiel auf, dass die Pupillen des Tiermenschen unnatürlich geweitet waren – ein Zeichen dafür, dass er beherrscht wurde. Hinter ihm harrte Elijas. Für einen Augenblick trafen sich ihre Blicke, dann sprach der Avariel einen Zauber, um die Zeit anzuhalten. Faust folgte der stummen Bitte.
„Faust, komm nicht näher.“ Elijas hob beschwichtigend die Hände. „Ich wollte dich da raushalten, weil ich weiß, was dir Winter bedeutet, aber… Sie trinkt Seelen. Ich weiß, das klingt…“
„Lass sie gehen!“, schnitt ihm Faust das Wort ab. Er sah keinen Sinn darin, den Überraschten zu spielen. „Ihr bringt sie um!“
„Du wusstest davon?!“
„Ich weiß, dass ihr das, was Hades da tut, nicht helfen wird! Glaubst du, ich hätte nicht jede Bibliothek durchforstet auf der Suche nach einem Heilmittel? Wie grottig habt ihr das Ganze geplant?! Wenn ihr alle absorbierten Seelen auf einmal von ihr löst, tötet sie das!“
„Nun, vielleicht ist das der Preis für das, was sie getan hat!“
Die Kälte, mit der er das sagte, verblüffte Faust.
„Und vielleicht läufst du schon viel zu lange mit dem Ordensschwert des Bösen herum“, murmelte er und machte einen Schritt auf ihn zu. Elijas reagierte, indem er die Zeitstarre fallen ließ und sie beide zurück in den Zeitstrom katapultierte. Ein hastig gewobener Zauber ließ Faust geblendet zurücktaumeln: Der farbensprühende Schutzwall, den der Klingensänger zwischen ihnen von Wand zu Wand gezogen hatte, verbrannte zwei Gebetsbänke innerhalb eines Lidschlags.
„Verfluchter Mistkerl“, knurrte Faust. Selbst wenn er die nötigen Zauber hätte wirken können, um die magische Wehrmauer zu bannen, hätte das mehr Zeit in Anspruch genommen, als Winter blieb. Die zündende Idee kam ihm, als er sah, wie Drake die Regenbogenwand umging, indem er auf die Ätherebene wechselte und durch die Wand verschwand. Faust hatte Drake im magietoten Osten oft genug dabei zugesehen, wie er zwischen den Dimensionen wanderte, um den Effekt zu kopieren.
„Versucht es auf der Rückseite der Kapelle!“, rief er Grimwardt und Miu zu.
Ein eilig gemurmelter Zauberbefehl ließ die Wirklichkeit um ihn verschwimmen und er folgte dem Assassinen durch die grau-verzerrte Umgebung.
„Bring Bleichauge zum Schweigen, ich hole Winter da raus“, drangen Drakes herumgeisternde Worte  verzerrt zu ihm durch.
„Geht klar.“
Nachdem er hinter dem Schutzwall aus der Wand getreten war, kehrte Faust auf die materielle Ebene zurück. Elijas war mit einem Flügelschlag neben ihm. Doch anstatt sich auf seinen Klingentanz einzulassen, empfing Faust seinen Hieb  mit einer Schwertparade, die Elijas‘ Angriff auf ihn selbst zurücklenkte. Betäubt taumelte der Klingensänger zurück und während er darum kämpfte, sein Gleichgewicht zu bewahren, war Faust bereits an ihm vorbeigeschnellt. Ehe er den Altar erreichte, sprang ihm Nachtmond mit gezückter Klinge in den Weg. In seinen Augen stand blanke Todeswut. Faust wusste, dass er in diesem Zustand unbesiegbar war – eine ungebändigte Naturgewalt. Ihr Schlagaustausch war kurz und blutig. Bereits der erste Hieb ließ Faust vor Übelkeit aufstoßen, doch Winters Schmerzensschreie, inzwischen kaum mehr als ein Wimmern, spornten ihn an. Als es ihm gelang, unter den nächsten Schwerthieb des Tiermenschen hindurch zu tauchen, sah er sich der Zwergin gegenüber, die eine breitbeinige Verteidigungspose eingenommen hatte. Achtlos stieß Faust die unerfahrenere Kämpferin aus dem Weg, setzte zum Sprung über den Altar an und riss Hades mit sich zu Boden. Sein Gebet brach jäh ab.
Während Faust mit dem Priester rang, beobachtete er aus den Augenwinkeln, wie Drake neben dem Altar auftauchte und Winter dabei half, sich aus ihren Fesseln zu befreien. Plötzlich materialisierte sich einige Schritte entfernt eine Gestalt aus den Schatten: Der Fremde war von durchschnittlicher Statur und vollständig in rote Gewänder gehüllt. Drake stützte Winter, die kaum etwas um sich herum wahrnahm, und führte sie zu dem Fremden.
„Drake, was…? Oh, Mann, du mieser Verräter!“
Faust stieß Hades von sich, rappelte sich auf und stürzte auf den Fremden zu, der im Begriff war, mit Drake und Winter davonzuteleportieren. Doch ein weiterer Unbekannter versperrte ihm den Weg: Vor ihm schwebte ein Elfenmagier, den Faust noch nie zuvor gesehen hatte. Sein Körper war der eines einst muskulösen Mannes, den eine schwere Krankheit in ein Knochengespenst verwandelt hatte. Sein Kopf und die Arme waren von eitrigen Quaddeln übersät, aus denen eine schwarz-rote Flüssigkeit quoll, die an Lava erinnerte, und sein ausgemergeltes Gesicht war zu einem boshaften Grinsen verzerrt. Unverwandt blickte er Faust an.
Es knirschte unter seinen Füßen. Als er den Blick nach unten richtete, erkannte er, dass der Boden der Kapelle übersät war mit schwarzen Perlen, die einen Augenblick zuvor noch nicht dagewesen waren. Faust fragte sich, warum er plötzlich an Höllenfeuer denken musste – bis ihm blitzartig einfiel, dass rote Perlen als magische Komponente für spätzündende Feuerbälle dienten. Was bedeuten musste, dass schwarze Perlen…

Grimwardt
Grimwardt, der gerade im Begriff war die Hintertür der Kapelle einzutreten, hatte gerade noch Zeit, sich zu Boden zu werfen und Miu mitzureißen, ehe der glühende Feuerball hinter den Kapellfenstern zu etwas Monströsem anschwoll, das wie ein eingezwängter Riese seine Fesseln sprengte. Plötzlich war die Luft so heiß, dass sich seine Armhaare kräuselten. Nach dem Explosionsknall folgte betäubte Stille. Grimwardt hielt schützend die Arme über dem Kopf, während Glassplitter und Mauerreste auf ihn niederhagelten.
Als sich der Aschenebel ein wenig gelegt hatte und der Druck auf seinen Ohren nachließ, hob er den Kopf. Miu war, genau wie er selbst, über und über mit Asche bedeckt, schien jedoch weitgehend unversehrt.  Ein paar Schritte entfernt kauerte Elijas, grau wie ein Friedhofsengel, am Boden und starrte fassungslos auf den riesigen Schutthaufen, der dort aufragte, wo eben noch die Kelemvor-Kapelle gestanden hatte. Entweder er hatte das Feuer selbst gelegt oder er war ihm mithilfe eines seiner magischen Ausweichtricks entkommen. Grimwardt unterdrückte den Impuls, dem Avariel gleich auf der Stelle die Federn zu rupfen.
Winter? Faust?
Keine Antwort. Also machte er einen Schritt auf die Brandruine zu und begann in grimmigem Schweigen, sich einen Weg durch den Schutt zu bahnen. Miu und Elijas taten es ihm gleich. Keiner von ihnen sprach ein Wort, während die Frage, ob irgendwer dieses Inferno überlebt haben konnte, wie ein Todespendel über ihnen hing.
Der erste, den sie fanden, war Hades. Er lag bewusstlos fast vier Mannslängen von der Ruine entfernt. Vermutlich war er durch die Explosion durch eines der Kapellenfenster geschleudert worden. Das oder sein Gott mussten ihm das Leben gerettet haben, denn das Höllenfeuer hatte seine Haut nur oberflächlich angesengt. Die Zwergin Mechthild hatte weniger Glück gehabt – sie fanden die Schwertmeisterin fast zur Unkenntlichkeit verbrannt und zu Tode zerquetscht unter einem Mauerblock. Nachdem fast eine Stunde vergangen war ohne ein Lebenszeichen von den übrigen Vermissten, ließ ein grunzender Laut aus der Tiefe des Trümmerbergs die Suchenden aufhorchen. Unter ein paar eilig zur Seite geräumten Trümmern kam eine schwarz verbrannte Klauenhand zum Vorschein. Grimwardt hielt das, was sich mit einer gewaltigen Kraftanstrengung aus dem Schutt grub, zunächst für einen Zombie. Das Feuer hatte sich bis in Nachtmonds Eingeweide gefressen, ein Drittel seines Gesichts existierte nicht mehr und seine Füße waren nur noch schwarze Klumpen. Er müsste tot sein. Doch anstelle umzukippen, wie es sich für eine Leiche gehörte, wankte er mit einem düsteren Knurren und erhobene Schwert auf ihn zu. 
„Er ist noch immer im Kampfrausch gefangen“, erkannte Elijas mit einem Schaudern. 
„Dann befehlt ihm, damit aufzuhören!“, knurrte Grimwardt. „Er ist doch unter Eurer Kontrolle!“
„Wenn ich das tue, stirbt er“, erwiderte der Avariel. „Sein Hunger ist das einzige, was ihn am Leben hält.“
Sie verständigten sich darauf, dass Grimwardt und Elijas die Kampfwut des Tigermenschen auf sich lenkten, um Miu die Gelegenheit zu verschaffen, ihn zu heilen, ohne ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Kaum war er wieder halbwegs zusammengeflickt, erteilte ihm Elijas den magischen Befehl sich auszuruhen, und Nachtmond sackte besinnungslos zu Boden.
Auch Grimwardt war der Erschöpfung nahe, doch er schwor sich, die Suche nicht aufzugeben, ehe er Gewissheit hatte. Es dauerte nicht lange, bis er in den Trümmern Zwiespalt fand, Fausts Schwert. Doch von dem Gefährten fehlte jede Spur. Mit zornumwölkter Stirn stapfte Grimwardt zu Elijas, der trauernd bei Mechthilds Leiche kauerte, und wuchtete Fausts Schwert vor ihm in den Boden.
Elijas hob langsam den Kopf.
„Ist er…?“
„Sagt Ihr es mir!“, knurrte Grimwardt mit vor der Brust verschränkten Armen. „Was ist da drin passiert? Für welches kranke Ritual habt Ihr meine Schwester missbraucht?!“
Der Avariel richtete sich verdutzt auf.   
„Ihr seid Priester“, sagte er vorwurfsvoll. „Ihr solltet erkannt haben, dass Hades‘ ‚krankes Ritual‘ dazu diente, Eurer Schwester den Teufel auszutreiben. Sie tötet Unschuldige, um ihre Seelen zu trinken. Habt Ihr Euch niemals gefragt, wie Sie ohne Shars Segen das Schattengewebe anzapfen konnte? Die Seelen machen sie mächtig, aber sie zahlen einen schrecklichen Preis dafür. Winter saugt sie aus, foltert sie und  beraubt sie ihrer Freiheit. Statt ins Jenseits zu fahren, werden sie zum Teil ihrer Seele. Es ist wie eine Sucht, sie kann es nicht kontrollieren. Hades‘ Ritual diente dazu, die gestohlenen Seelen von ihr zu lösen, um sie ihrer rechtmäßigen Bestimmung zuzuführen.“
Der Rest seiner Worte verschwand hinter dem dämpfenden Schleier der Betäubung, der sich über Grimwardts Wahrnehmung gelegt hatte. Er zweifelte keinen Augenblick an dem, was er hörte. Er war auch nicht erstaunt. Er hatte immer gewusst, dass dieser Moment kommen musste. Trotzdem fühlte es sich an, als ließe etwas seine Eingeweide erst zu Eis erstarren, um sie dann mit voller Wucht zu Boden zu schmettern und zu zertrampeln.
„Seit wann wisst Ihr davon?“ Seine Stimme klang in seinen Ohren wie die Stimme eines sehr müden, alten Mannes.
„Tyrail informierte Hades vor einigen Monaten über ein Gespräch zwischen Mephisto und Winter, das er in Cania belauscht hatte und das ihn gewisse Schlüsse ziehen ließ.“
„Der irre Elf?“
„Ich weiß“, seufzte Elijas. „Auch ich war davon überzeugt, dass das eines von Tyrails Ränkespielchen sein musste. Ich wollte ihm nicht einmal glauben, als Hades‘ Göttergespräche ergaben, dass in den letzten sechs Jahren einige Seelen kürzlich Verstorbener nicht in der Stadt der Seelen angekommen waren. Doch dann sah ich es mit eigenen Augen in einer magischen Vision – in einem der Gefängnisse, in dem Winter… wildern gegangen war.“
In den letzten sechs Jahren…
Grimwardt spürte, wie das Taubheitsgefühl in Übelkeit umschlug.
„Wenn ihr keine Teufelsanbeter seid, was hat es dann mit dieser Höllenfeuerexplosion auf sich? Und wer war dieser verrottende Elfenmagier?“
„Was für ein Elfenmagier?“
„Ich sah ihn über der Kapelle schweben und irgendwelche Zauber weben, kurz bevor hier die Hölle losbrach. Er hielt sich wohl für unbeobachtet unter seinem Unsichtbarkeitszauber. Als er bemerkte, dass ich ihn sehen konnte, verschwand er. Der Kerl sah aus, als ob ihn Pest und Lepra gleichzeitig heimgesucht hätten.“
Der Avariel schüttelte ratlos den Kopf.
„Ich schwöre Euch, ich weiß nicht, von wem Ihr sprecht. Dieses Feuer hatte nichts mit Hades‘ Ritual zu tun.“
Grimwardt maß ihn mit durchdringenden Blicken, befand aber, dass er die Wahrheit sprach. Warum sollten sich die Neun Schwerter auch selbst in die Luft jagen?
Elijas sah ihn merkwürdig von der Seite an, als ob ihm etwas auf der Zunge brannte.
„Was ist?“, brummte Grimwardt.
„Faust weiß von Winter“, sagte der Avariel. „Er wird sich gegen jeden stellen, der sie aufhalten will. Ich muss wissen, auf welcher Seite Ihr in dieser Sache steht, Grimwardt... Sie stiehlt Seelen von den Göttern.“
Mit düsterem Blick starrte der Kriegspriester durch ihn hindurch. Lange stand er so da, bis eine Bewegung am Rande des Trümmerfelds seine Aufmerksamkeit erregte. Es war Drake in seiner Geistergestalt. Mit einer Geste bedeutete ihm der Assassine ihm zu folgen. Grimwardt zögerte nur für einen Augenblick. Dann riss er mit einer jähen Bewegung Fausts Schwert aus der Erde und band sich die Waffe an den Gürtel.
„Ich muss meinen Gefährten finden“, murmelte er und stapfte auf die unsichtbare Gestalt zu. 

Winter
Nachdem sie die Seelenmelodie ihres Opfers bis auf den letzten Akkord ausgekostet hatte, ließ sie das junge Mädchen auf den Diwan zurückgleiten und zog den Dolch aus ihrer Kehle. Mit wildem Blick und unnatürlich beschleunigten Bewegungen wirbelte sie zu dem Fremden herum, der ihr gegenüber am Wirtshaustisch harrte. Wo war sie? Und wie war sie hierhergekommen? Der Seelenhunger lag wie ein dichter Nebel über ihrer Erinnerung.
Ihr Gegenüber war mittleren Alters und gutaussehend, mit einem kantigen Gesicht, das von einer hohen Stirn beherrscht und von rabenschwarzem Haar umrahmt wurde. Unter dem roten Kapuzenmantel trug er ein Samtwams, edel, aber nicht protzig. Nur der Duft nach teurem Rosenwasser war ein wenig aufdringlich. Er hatte es mit einem duldsamen Lächeln hingenommen, dass Winter wie eine Verdurstende über sein „Geschenk“  hergefallen war. Mit der Linken umklammerte er den Totenkopfknauf seines Gehstocks, mit dem er nun zweimal auf den Boden pochte. Auf den Befehl wurde der Vorhang, der ihre Sitznische vom Rest des Gasthauses abtrennte, zur Seite geschoben und ein junger Mann in bunter, östlicher Kleidung trat mit einer Verbeugung an ihren Tisch. Seine geweiteten Pupillen deuteten darauf hin, dass er beherrscht wurde. Eilig wischte er das Blut vom Tisch, schulterte Winters Seelenopfer und verschwand wieder. Winter widerstand  einem spontanen Fluchtimpuls. Falls der Fremde sie am Gehen hindern wollte, hatte er genug Zeit gehabt, sie zu bezaubern oder die Umgebung zu sichern: Der Seelenhunger hatte sie ihm schutzlos ausgeliefert. Bemüht darum, Haltung zu bewahren, brachte sie ihr zerzaustes Haar in Ordnung und reckte forsch das Kinn.
„Wer seid Ihr?“, verlangte sie zu wissen. „Und wohin habt Ihr mich verschleppt?“
„Ihr kränkt mich“, erwiderte der gutgekleidete Herr. „Dafür, dass ich Euch gerade das Leben gerettet und Euch, ausgehungert wie Ihr wart, ein Mahl spendiert habe, hätte ich mir doch ein wenig mehr Respekt verdient. Da meine Meinung von Euch offenbar höher ist als die Eure von mir, will ich mich Euch in aller Förmlichkeit vorstellen.“ Er erhob sich und verneigte sich mit der einen Hand auf dem Gehstock und der anderen auf der Brust. „Ich habe mehr Namen als Feinde. Aber Ihr mögt mich unter meinem Zulkirnamen kennen: Szass Tam von Thay.“ Winter zuckte beinahe unmerklich zusammen. Das Oberhaupt der Roten Magier von Thay quittierte die Reaktion mit einem zynischen Lächeln. „Ihr mögt einen modernden Leichnam erwartet haben. Verzeiht die Enttäuschung, ich habe nie verstanden, wieso alle Welt den Liedern glaubt, in denen sich auf meinen Befehl Armeen von Untoten aus dem Erdboden graben, mich jedoch für unfähig hält, meinen eigenen Körper verfallsfrei zu halten. Und um Eure zweite Frage zu beantworten: Wir befinden uns im Gasthaus ‚Zur Drachenhöhle‘ in Mulptan, Rashemen. Mein Land steht mit den Wychlan im Krieg – es schien mir darum nur angemessen, Euch zum Essen hierher auszuführen. Ich hoffe, die Kleine war nicht zu zäh. Drake erwähnte, dass Ihr in letzter Zeit eine besondere Vorliebe für hübsche junge Frauen entwickelt hättet.“
 „Was wollt Ihr?“, fragte sie düster. Sie hätte niemals zulassen dürfen, dass Drake sie durchschaute. Es war zu erwarten gewesen, dass er sein Wissen an den Höchstbietenden versteigern würde.
Szass Tam lehnte sich mit belustigter Geringschätzung in seinen Kissen zurück und formte die Hände zu einem Dreieck: „Ich glaube, Ihr missversteht meine Absichten. Euer schattiges Geheimnis ist bei mir sicher. Ich beobachte Euch und Eure Freunde schon seit einer ganzen Weile. Zum ersten Mal habt Ihr meine Aufmerksamkeit erregt, als Ihr den Sieg über den jüngsten Sohn meines ältesten Feindes davontrugt: den Hochprinz von Netheril. Ihr seid wie Figuren in einem Schachspiel, das von größeren Männern gespielt wird. Ihr seid die wichtigsten Figuren in diesem Spiel, aber eure ganze Welt besteht daraus, ihr vermögt nicht über den Tellerrand eurer eigenen Existenzen hinauszusehen. Wärt Ihr so alt wie ich, hättet ihr gelernt, die Welt als Spielbrett zu betrachten, statt eure Träume auf ihr zu bauen und enttäuscht zu werden, weil ihr das Spiel der Macht spielt, ohne die Regeln zu kennen. Ich kann euch die wichtigsten dieser Regeln beibringen. Ich kann euch magische und materielle Ressourcen zur Seite stellen, die ihr brauchen werdet, um den Krieg, der im Westen aufzieht, gegen Netheril zu wenden. Doch bevor ich weiter Zeit und Magie in euch investiere, brauche ich einige Zusicherungen. Seit Hadhrune waren eure Schläge gegen Telamont Tanthuls Imperium eher unbedeutend. Ich will einen Vertrag, der sicherstellt, dass ich auf das richtige Pferd setze.“
„Nicht für Euer ganzes Königreich würde der Auserwählte des Tempus ein Bündnis mit einem Mörder und Sklavenherrn eingehen, der den Tod und die Götter verhöhnt!“, antworte eine bekannte Stimme in tiefdröhnender Überzeugung. Winter sprang erleichtert auf, als Grimwardt mit Drake im Schlepptau den Vorhang zur Seite zog, doch der harte Blick des Kriegspriesters ließ sie erschrocken zurücktaumeln. Etwas Erhabenes und Schreckliches lag in diesem Blick, etwas, das schon immer dagewesen war, aber jetzt konnte sie sich nicht mehr davor verstecken. 
„Telamont Tanthuls imperialistischer Ehrgeiz hat Eure Strategie, den Westen durch Handelsmonopole an Euch zu binden, zunichte gemacht.“ Grimwardt machte einen Schritt auf den Zulkir zu, ohne Winter eines weiteren Blickes zu würdigen. „Er tut nichts anderes als Ihr, nur ist er im Vorteil, weil die Zauberpest sein Volk geeint hat, während das Eure im Bürgerkrieg versunken ist. Und er hat die Sharianer auf seiner Seite, die seinen Raubzügen eine göttliche Legitimation verleihen. Er baut seine Lügen auf das Versprechen von Sicherheit, statt auf die Androhung von Gewalt und Vernichtung. Telamont Tanthul ist ein falschzüngiger Usurpator, doch Ihr seid mitnichten das geringere Übel!“
Die herablassende Eleganz, mit der sich Szass Tam erhob und sein Wams glattstrich, stand in starkem Kontrast zu Grimwardts kämpferischem Auftritt.
 „Eure moralischen Überzeugungen ehren Euch, Kriegskanzler“, sprach der Rote Magier. „Doch sie sind strategisch unangebracht. Jeder Eurer Schritte in der Vergangenheit war auf einen Krieg mit Netheril ausgelegt. Dieser Krieg wird kommen und dann werdet Ihr jede Hilfe nötig haben, die Ihr kriegen könnt. Ich biete Euch Geschenke für die ich nichts weiter fordere, als dass Ihr sie in unser beider Interesse verwendet. Für Euer Volk rate ich Euch Eure Entscheidung noch einmal zu überdenken. Vergesst nicht, dass die Schlachtfelder, die Euer Gott heiligt, ebenso die Eures Feindes sind wie die Euren. Solltet Ihr dies einsehen, so lasst es mich wissen. Der Albino weiß, wie ich zu erreichen bin. Ich empfehle mich.“
Er nickte Grimwardt und Drake kurz zu und verabschiedete sich von Winter mit einem angedeuteten Handkuss. Dann drückte er den Totenkopfknauf seines Gehstocks wie eine Klinke herunter und sprach ein magisches Befehlswort, woraufhin Nebel aus den Augenlöchern des Schädels strömte und ihm einen dramatischen Abgang ermöglichte.
„Grim…“, murmelte Winter.
Ihr Bruder machte auf dem Absatz kehrt und stapfte mit geballten Fäusten aus dem Gasthaus. Leichtbekleidete Tänzerinnen sprangen verschreckt aus dem Weg und Gäste drückten sich tiefer in ihre Stühle, als er wie der Feindhammer persönlich durch den Raum fegte. Drake stieß ein gefrustetes Seufzen aus und folgte ihm im Laufschritt, während Winter zurückblieb und wie betäubt zurück auf den Diwan sank.
Er weiß es.
Sie hatte den Preis gekannt, den sie für ihre Schattenmagie zahlte. Doch sie hatte immer die Hoffnung gehabt, dass Grimwardt davon verschont blieb. Mit seiner Wut konnte sie leben, vielleicht sogar mit seinem Hass. Aber nicht mit der Schuld, dass ihn seine Liebe zu ihr seine geistliche Karriere kosten könnte: das Einzige, was ihm im Leben wichtig war…
Schließlich gab sie sich einen Ruck und machte sich auf die Suche nach ihrem Bruder und Drake. Sie fand die beiden inmitten des bunten Treibens eines Basars.
„Verdammt, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul“, redete Drake gerade auf den Kriegspriester ein. „Er ist kein Teufel. Du verkaufst nicht deine Seele, wenn du einen Kriegspakt mit ihm eingehst.“ 
„Ach ja? Wie viel zahlt er dir, wenn ich das tue?“, schnaubte Grimwardt, der mit düster umwölkter Stirn auf und ab lief, wie er es sonst nur tat, wenn seine Rekruten beim Bogenschießen statt der Zielscheibe Borgos Hinterteil trafen. „Du sagtest, er kann uns dabei helfen, Faust zu retten. Nur deshalb bin ich hier.“
„Was ist mit Faust?“, fragte Winter.
Grimwardt, der sie erst jetzt bemerkte, unterbrach jäh seinen Kampflauf. Wieder maß er sie mit diesem Priesterblick, als ob er von ihr erwartete, im Tageslicht in Flammen aufzugehen.
„Es gab eine Explosion in der Kapelle“, antwortete Drake für ihn. „Höllenfeuer, meint dein Bruderherz. Faust ist jedenfalls verschwunden“, fügte er ohne großes Bedauern hinzu.
„Höllenfeuer?“, wunderte sich Winter. Höllenfeuer war Mephistos Markenzeichen, doch der Erzteufel war tot. „Vielleicht war es Ares.“
„Nein.“ Es war das erste Wort, das Grimwardt zu ihr sprach. „Ich tippe eher auf einen Bekannten von Fausts speziellem Spitzohrfreund mit dem sonnigen Gemüt, diesem Tyrail“, knurrte er und erzählte von dem mysteriösen Elfenmagier.
Winter konnte sich darauf ebenso wenig einen Reim machen wie die anderen beiden, doch ihre Sorge um Faust wuchs. Wenn Tyrail hier seine Finger im Spiel hatte, war er auf Rache aus. Hatte womöglich er ihre Entführung eingefädelt, um an Faust heranzukommen? Der Schlüssel zu diesem Geheimnis war der kranke Elfenmagier.
Winter schloss die Augen und zog sich in ihr Inneres zurück, tauchte immer tiefer in den Schatten, bis sie an die Grenzen ihrer Seele stieß. Dort, wo sie eins wurde mit all den Seelen, die sie getrunken hatte. Es war ein gefährlicher Ort, denn er war voller fremder Erinnerungen. Wenn sie nicht aufpasste, vergaß sie, welche Erinnerungen ihre eigenen waren und welche sie gestohlen hatte.  Doch sie war vorsichtig genug, das Wissen der getrunkenen Seelen von den Empfindungen zu trennen. Und tatsächlich wurde sie fündig.
„Seelenkeim… Wenn Teufel dem Tod entgehen wollen, spalten Sie ihre Seele und pflanzen den Keim einem sterblichen Anhänger ein...“
Erschrocken riss sie die Augen auf.
„Was faselst du da?“, knurrte Grimwardt.
„Der Elfenmagier…“, erkannte Winter entsetzt. „Es ist Mephisto! Mephistos Seelenkeim!“



Nightmoon

  • Mitglied
    • Schicksalsstreiter
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #312 am: 03. Januar 2013, 02:52:10 »
Grandioser Auftakt!  :thumbup:
Man liest einfach durch und will einfach weiter lesen und wissen wie diese Gruppe, die eigentlich keine mehr ist wieder zusammenfindet!

Nappo

  • Mitglied
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #313 am: 03. Januar 2013, 10:40:04 »
Danke! Und ein frohes Neues Jahr.

Winter

  • Mitglied
Stadt der gläsernen Gesänge
« Antwort #314 am: 03. Januar 2013, 12:13:57 »
Einfach fabelhaft!

Ich kann mich kaum entscheiden, welche Szene mir diesmal am besten gefällt. Ganz vorne dabei auf jeden Fall Ilmeths herrlicher Auftritt!

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