Schummeln? Is' nicht.
Warum? Nun, "schummeln" bedeutet, sich nicht an die Regeln zu halten. Aber was sind "die Regeln" eigentlich? Was in den Büchern steht ist von untergeordneter Bedeutung; das sind erstmal nur Vorschläge. Erst durch den Gruppenvertrag (ja, schlagt mich ruhig für dieses böse Wort) werden Teile davon zu "den Regeln"; ebenso wie Tisch- und Hausregeln und daß XYZ den SL macht. Der Gruppenvertrag ist eine Vereinbarung unter Gleichberechtigten; die Regeln zu brechen bedeutet also, sich über diese Vereinbarung hinwegzusetzen. Hier kann auch niemand mit den (etwaigen) Privilegien des SL ankommen, denn die Rolle des SL wird ja erst durch den Gruppenvertrag zugewiesen.
Natürlich kann sich der SL durch den Gruppenvertrag zum Beispiel das Recht zusichern lassen, in bestimmten Situationen Würfelergebnisse zu manipulieren - wenn er es dann tut kann man schlecht von Schummeln sprechen. Man sollte dieses Recht aber nicht als selbstverständlich hinnehmen, da es zur Leitung des Spiels nicht zwingend nötig ist und es genug Spieler gibt, die es als spaßhemmend betrachten (mich selbst eingeschlossen).
"Die Spieler dürfen es aber nicht merken".
Das halte ich für Selbstbetrug. Die Spieler sind nicht dumm. Früher oder später werden sie es merken*. Ob sie sich deswegen zu Wort melden ist eine andere Frage. Vielleicht haben sie ja nichts dagegen? Trotzdem halte ich es für gefährlich, bei Stillschweigen automatisch von Einverständnis auszugehen. Abgesehen von den Manipulationen, die nicht sofort auffallen, gibt es genug Spieler, die - nicht zuletzt dank der "Erziehungsarbeit" eines gewissen deutschen Produktes, das so tut als wäre es ein Spiel - es nicht wagen, das Tun des SL zu hinterfragen oder gar zu kritisieren.
"Man darf es ihnen auch nicht sagen".
Warum sollte man es nicht tun? Hat man sich dieses Privileg zusichern lassen, dann sollten die Spieler auch wissen wann und wie oft davon Gebrauch gemacht wurde. Ich würde allerdings empfehlen, darüber dann nach der Session (oder vor der nächsten) zu sprechen, da das sonst als stimmungsstörend empfunden werden könnte.
"wenn der SL glaubt, es sei an dieser Stelle dem Spielspaß förderlich"
Dann liegt etwas im Argen. Jeder am Spieltisch sollte die entsprechenden Regeln und die daraus folgenden Konsequenzen kennen. Zum Beispiel die, daß man bei einem verpatzen Klettern-Wurf (um mal eines der o.g. Beispiele aufzugreifen) abstürzen und sterben kann.
Bei vernünftigen Spielern kann man davon ausgehen, daß sie das wissen und willentlich in Kauf nehmen (ansonsten würde man mit anderen Regeln spielen). Für sie gehört das zum Spielspaß dazu; es zu eliminieren wäre also alles andere als förderlich.
Es wäre natürlich denkbar, daß diese möglichen Konsequenzen eveltuell einem Spieler nicht bewußt waren ("Wie? Man kann sterben?"). Dann spielt man mit den falschen Regeln (d.h. solchen, die nicht die Bedürfnisse aller Spieler angemessen berücksichtigen). Also sollte man zusehen daß man entweder einen Kompromiss findet, der allen Beteiligten zusagt, oder muß feststellen, daß dieses spezielle Spiel einfach nichts für diesen speziellen Spieler ist.
Und dann gibt es noch die Vollpfosten, die zwar bewußt das tödliche Risiko haben wollen, es aber nicht vertragen, wenn dieser Fall auch tatsächlich eintritt. Das sind bedauerliche Gestalten, die da vor den Konsequenzen ihrer eigenen Entscheidungen geschützt werden möchten. Hallo Regel Nummer zwei...
Andere Schummelvarianten:
IMHO sollte der SL seine Charaktere (das schließt die Spielwelt als Ganzes mit ein) genau so konsequent und glaubwürdig spielen wie das von den Spielern erwartet wird. Das bedeutet unter anderem, daß Gegner nicht mit angezogener Handbremse gespielt werden, nicht plötzlich aus dem Nichts Verstärkung auftaucht oder daß der gefürchtete dreifach gepimpte Megadrache die magischen Spielzeuge in seinem Hort auch benutzt - kurzum: daß sich Dinge anhand in der Spielwelt nachvollziehbarer Kausalität** entwickeln. Kausalität ist wichtig, da sie im klassischen RPG (im Gegensatz zu z.B. Erzählspielen wie Primetime Adventures) die einzige Entscheidungsgrundlage für die Spieler ist.
Spontanes Anpassen einer Begegnung ist unschön. Das geht eigentlich nicht ohne größere Logikbrüche. Allerdings muß man als SL schon ganz großen Mist bauen damit das überhaupt notwendig ist - und entsprechend selten sollte man das überhaupt erst in Erwägung ziehen. Bisher war es in den Fällen, wo die komplette Gruppe einen aufs Maul bekommen hat, eigentlich immer so, daß man das Unheil durch geschickteres Handeln hätte mildern oder gar verhindern können. Hätte der SL da die Begegnung on the fly angepaßt, dann wäre ich mir um die Konsequenzen meiner (Fehl-)Entscheidung betrogen vorgekommen.
Eine Anpassung des Szenarios ist da schon eher verzeilich - eigentlich sogar unbedenklich, denn was die Spieler noch nicht gesehen haben, das existiert praktisch noch nicht. Dementsprechend habe ich kein Problem damit, wenn der SL noch fünf Minuten vor der Begegnung eine Kleinigkeit ändert - sofern es keinen Konflikt mit der Kausalität der Spielwelt gibt! Das kann allerdings schnell passieren und ist auf die Dauer auch nicht gerade spaßfördernd; daher sollte man auch dieses Mittel nur mit Bedacht einsetzen.
Daß man hin und wieder Zugeständnisse an die Dramaturgie bzw. allegemeine Spielbarkeit macht halte ich für ein notwendiges Übel, solange die Ereignisse innerhalb der Spielwelt erklärbar bleiben. So ist es z.B. durchaus hinnehmbar, wenn manche Gegner die besiegten SC gefangen nehmen anstatt sie zu töten, sofern sie hierfür eine halbwegs plausible Motivation haben und die Folgererignisse einigermaßen logisch erklärbar sind. Auch könnte ein Gegner, der kurz davor steht einen oder zwei SC zu töten, statdessen die Flucht antreten um nicht selbst erledigt zu werden (sofern er nicht völlig fanatisch ist oder noch nichts zu befürchten hat, versteht sich). Es gibt für den SL genügend Gelegenheiten, den Spielern entgegenzukommen ohne dabei irgendwie zu "schummeln".
* Das kann durchaus eine Weile dauern - manchmal fällt sogar erst nach einem Abenteuer oder gar einer Kampagne auf, daß bestimmte Ereignisse "manipuliert" waren.
** es muß nicht immer sofort mit dem aktuellen Wissensstand der SC nachvollziehbar sein; aber ich bevorzuge es, wenn sich die entsprechenden Hintergründe zumindest potentiell in Erfahrung bringen lassen
Bis bald;
Darastin