Da fliegen aber eine gaaaanze Menge an Annahmen daher, was Immersion bedeutet und beinhaltet. Da ich diese nicht teile (dazu gleich mehr) hat für mich Dein Posting primär autobiografischen Wert. Und das ist nicht ab- geschweige denn ent-wertend gemeint, da ich ja auch das verlinkte Posting, wo ich meine Position darlege, ganz streng an meine Eigenerfahrung mit dem Rollenspiel knüpfe. Das nur vorweg.
Jetzt zu den Annahmen. Ich formuliere das zunächst mal negativ - als das, was ich nicht teile.
Um Immersion zu betreiben brauche ich keinen vorgefertigten Charakterhintergrund; und muss weder wissen, wo kommt der Charakter her (Familie und Heimatort), noch, was hat er für ein Psychogramm. Es geht mir also an keiner einzigen Stelle darum, dass ich eine fiktive Persönlichkeitsstruktur dezidiert entwerfe, und dieses Konstrukt dann aus der Ich-Perspektive kontrolliere, indem ich noch dazu auf diese (von mir selber) vorgefertigten Informationen zurückgreife.
Sondern. Es geht darum, sich vorzustellen, selber in der D&D-Welt zu leben. Natürlich als jemand mit gewissen Fähigkeiten. Aber letztlich erlebt man diese Welt, und sogar die Fähigkeiten des Charakters, aus der Ich-Perspektive. Es gibt Kinderbücher, die zu dieser Erfahrung perfekt einladen und sie über das Lese-Erlebnis transportieren. Das sind nicht Drizzt und Co., sondern passiert im Genre, wo ein Mensch (oft ein Kind) aus unserer Welt in eine Fantasiewelt hineingezogen wird, und dort was erlebt. In neuerer Zeit wäre das Harry Potter, aber Deutschland-bezogen wären Hohlbeins "Märchenmond" und "Drachenfeuer" zu nennen. D&D-bezogen ist der Klassiker hier "Three Hearts and Three Lions" von Poul Anderson. Ein Däne aus unserer Welt schläft ein und wacht in der Welt Greyhawk auf. Er findet ein Pferd und eine Paladinrüstung an einem Baumstamm vor, und mit diesen macht er sich in dieser anderen Welt auf die Reise. Er trifft auf Trolle und Drachen, muss Feen befreien und sich mit wortspielerischen Gnomen auseinandersetzen.
Und deshalb betreibe ich Rollenspiel als Spiel. Es macht Spass, sich in eine andere Welt zu begeben, dort einzutauchen - meine Psyche, meine Ich-Perspektive, genau dieselbe, die ich ohnehin schon habe - und mir vorzustellen, was wenn ich dieser Paladin wäre.
Zu mehr sind die Klassen bei D&D auch nicht gedacht. Man kann darüber hinaus auch in komplexere Figuren mit ausgearbeiteten Psychogrammen hineinschlüpfen - das ist dann aber ein gänzlich anderer Prozess. Das ist dann dieses "Was würde Herr Lavendel jetzt wohl tun?"-Spiel, dem ich persönlich nichts abgewinnen kann.
Und schließlich ist dann noch die dritte Frage, "Wie sollte Herr Lavendels Geschichte jetzt weitergehen?". Das erinnert mich an ein lustiges Party-Spiel, wo man zusammen eine Geschichte schreibt: der erste schreibt den ersten Satz der Geschichte, faltet das Blatt um, und reicht das Papier weiter. Immer so fort, und zum Schluß schaut man, was dabei herauskommt. Man kann das auch anders gestalten, und das Papier nicht umfalten sondern einfach weiterreichen. Aber das ist nicht die Sorte Spiel, weswegen ich mich mit Freunden an einen Rollenspieltisch setze.