Auf den Tag genau vor zwei Jahren hätte eine Exklusiv-Rezension von mir für das Gate erscheinen sollen. Ein guter Anlass, das sorgfältig gehütete Material auf meiner Festplatte nochmal hervorzukramen. Wohlgemerkt, meine erste Rezension fürs Gate überhaupt. Meine späteren Rezensionen zur 4E konnten dieses hohe Niveau leider nicht halten. Aber genug der Worte, lest selbst.
WIZARDS PRESENTS: FANS & DESIGNERSEinleitungWenig hat die D&D Fangemeinschaft so polarisiert, wie die Ankündigung der 4. Edition des Spieles auf der
GenCon letzten Jahres. Auf unzähligen Foren wurden hitzige Diskussionen für und wider geführt, in denen auch
wiederholt auf vor-veröffentlichtes Material zur 4. Edition kritisch und oft überheblich eingegangen wurde.
Jetzt, zwei Monate vor Veröffentlichung der neuen Regelbücher, versucht Wizards of the Coast, diesen
Reaktionen direkt zu begegnen. Wie Mearls im Vorwort schreibt: „Was derzeit an Müll in den Foren kursiert, geht
ja auf keine Kuhhaut. Ali und mir ist endlich der Kragen geplatzt. Wir haben deshalb Michele [Carter, Anm. der
Redaktion] gebeten, auf diese oft nicht mal nachweisbaren Unterstellungen öffentlich reagieren zu dürfen. Sobald
klar war, dass hier unsere letzte Möglichkeit liegt, noch mal vor Release ein $19 Softcover rauszuwerfen, kam
das klare Ja der Marketingabteilung. Das Resultat habt Ihr vor Euch.“
InhaltIn
Kapitel Eins unternimmt Keith Baker zunächst mal eine soziologische und demographische Aufschlüsselung
der D&D Fanbase. Wie Baker eingangs selber sagt, kann er als jemand, der „erst sehr, sehr spät und sehr, sehr
skeptisch“ zu Wizards of the Coast gekommen ist („Hasbro diese Geldhaie“), und sich noch immer „mehr als Fan
denn als Profi versteht“ (dazu mehr in Kapitel 3), vielleicht besser als seine Co-Autoren in die Situation der Fans
einfühlen. Um dies zu bestätigen führt Baker zunächst seine eigenen schlimmsten Befürchtungen zur 4. Edition
aus. Vereinzelt – spätestens bei der Erwähnung von Harry Potter - hatte ich hier aber den Eindruck, das so oder
so ähnlich schon auf Keith Bakers privater Webseite gelesen zu haben; übrigens ein Eindruck, den ich noch an
anderen Stellen des Buches hatte. Aber selbst wenn es sich um Material aus bereits bestehenden Blogs handeln
sollte, wurde es grafisch sehr einladend aufbereitet. Auch einzelne Bilder aus alten Eberron-Bänden, die ich in
dieser Kolorierung noch gar nicht kannte, sind mir positiv aufgefallen. Vermutlich will man hier auch auf den
kürzlich erschienenen „Adventurer’s Guide to Eberron“ aufmerksam machen, der ebenfalls mit ausgezeichneten
Neuauflagen alter Illustrationen aufwartet. Aber das nur am Rande. Zurück zu Keith Baker, der nach Auflistung
seiner schlimmsten Befürchtungen endlich zum angekündigten Thema kommt, der demographischen Analyse der
Fanbase. Dieser Abschnitt ist relativ kurz. In Erinnerung behalten habe ich mir vor allem die Äußerung, dass 90%
aller D&D Kunden nachweislich in ihrer Freizeit „World of Warcraft“ spielen, und entweder geistig oder biologisch
im Stadium von 15-Jährigen „sind bzw. verharren“. Ich fand diese Behauptung erstaunlich, aber wie Baker betont,
sollte man nicht außer Augen lassen, dass die 4. Edition sich ausdrücklich an die restlichen 10% richtet, also
durchtrainierte Mit-Dreissiger, mit „zwanzig oder mehr“ Jahren an Rollenspielerfahrung und einer tiefen Abscheu
gegenüber „MMORPGs“ (was ist das?). Diese Äußerung hat mich ungemein beruhigt, und auch das Kapitel
insgesamt hat bei mir den positivsten Eindruck hinterlassen: Baker ist wirklich einer von uns!
In
Kapitel Zwei übernimmt Mike Mearls die Feder. Nach einer eher wissenschaftlichen Annäherung an die
Fanbase in Kapitel 1 bekommen wir jetzt eher die emotionale Breitseite verpasst. Bereits die Überschrift „You
cowardly slimebags!!!“ lässt schlimmstes vermuten. Den Inhalt brauche ich weder wörtlich noch sachgemäß
wiedergeben, da es sich eigentlich nur um Äußerungen handelt, die man (wieder mal!) in dieser Form bereits aus
einschlägigen Designer-Blogs kennt. Aber selbst wenn mir die Anhäufung an Ausrufezeichen („!!!“) in diesem
Kapitel eher wenig zusagt, ist auch hier die grafische Aufbereitung Top: wie der Beholder-Trupp vier
(offensichtlich schlecht ausgerüstete) D&D Fans zugrunde richtet, hat selbst mir einen kalten Schauer den
Rücken hinuntergejagt. Dazu kommt, dass Mearls das Kapitel mit Einblicken in sein derzeitiges Innenleben
beschließt, die erklären, wieso er sich derzeit so äußert. „Andy [Collins, Anm. der Red.] und ich heulen schon
wochenlang in unsere Kissen hinein. Ich meine, Mann, wir tun ohnehin schon alles, damit diese Neuauflage von
Hero Quest was taugt. Und dann Tag für Tag diese Gemeinheiten, allen voran die bodenlose Unterstellung, wir
würden insgeheim ein ‚Rollenspiel’ entwerfen (was soll das bitte sein?). Ich halte es ehrlich nicht mehr aus. Fans:
Ihr seid Scheiße! Und: Ihr habt KEINE AHNUNG!!!!!“
Mit diesen Schlussworten übergibt Mearls direkt das Ruder an Ali Marmell, der nun im
dritten Kapitel jenes
Thema eröffnet, welches das Buch auch als Titel trägt: „Fans und Designer: aus verschiedenen Welten.“ Wie
Marmell gleich mal klarstellt, kann sich im R&D Team rund um Bill Slavicsek eigentlich noch niemand so genau
erklären, wie die Fans zu ihren derzeitigen „unverfrorenen, unausgegorenen“ Kritiken kommen. Immerhin, so
Marmell, haben sie ja „keine Ahnung“ wo sich die „Räder und Knöpfe unterhalb der Benutzeroberfläche“ befinden.
Wie er zu Recht betont, fehlt den Fans der universitäre Abschluss, sowie ähnliche Kompetenzen wie etwa der
Zugang zu den (streng unter Verschluss gehaltenen) Materialien mit der Aufschrift „RPG Design – aber richtig“,
das weder er noch Baker in die Finger bekommen hätten („bei James und Mike bin ich mir unsicher, aber die
haben einen besseren Draht zu Bill“). Damit kommt er gleich zum (wie sich herausstellt) eigentlichen Thema des
Kapitels, die Rolle unabhängiger Playtester und Industrie-Beobachter, die von Hasbro für „viel, viel, sehr viel
Geld“ angeheuert wurden, um die schlechte Stimmung rund um die 4. Edition noch etwas zu steigern. Auch hier
wird wieder seitenlanger Text veröffentlicht, den man so oder anders bereits im Internet lesen konnte, was sich,
wie ich im Fazit bemerke, natürlich auf meine Wertung auswirkt. Schließlich werden noch Spielberichte auf
EnWorld u.ä. Seiten zitiert, die „nie mit unserer Zustimmung in ihrer derzeitigen Form veröffentlicht worden“
wären. Auch hier stellt Marmell noch mal die durchaus berechtigte Frage: „Woher maßen sich diese Unwissenden
eigentlich ihre Urteile an?“ Mit dieser Frage beschließt der eigentliche Inhalt des Buches, und die restlichen 40
Seiten sind der üblichen Werbung vergangener WotC-Werke gewidmet. Ein wertvoller Beitrag auch aus
historischer Sicht, da diese Bücher in kurzer Zeit restlos eingestampft werden.
FazitNach einem eher mäßigen „Races und Classes“ und einem enttäuschenden „Worlds and Monsters“ ist den
Wizards auf der Zielgerade zur 4. Edition noch mal ein echtes Glanzstück gelungen. Hier wurde klar erkannt,
dass das eigentlich zentrale Thema um die Neuauflage des Spiels die Fans selber sind. Nichts, und das betonen
alle drei Autoren auf ihre Art, ist für die gelungene Gestaltung eines Spiels wichtiger als die nicht zu knappen
Äußerungen der Fans. Nach mehreren Wochen verhaltener Reaktionen kommt dieses Buch als jene
Überraschung, die man bisher vermisst hat - und die jedes Kundenherz höher schlagen lässt. Schließlich geht es
hier um uns selbst!
Negativ aufgestoßen hat mir lediglich der relativ hohe Gehalt an Material, das man so bereits auf kostenlos
zugänglichen Webseiten erhalten konnte. Jedoch ist dies bei dem gewählten Thema vollkommen natürlich. Und
schließlich, wie Mearls im Vorwort betont, werden ja gerade diese Inhalte ab Juni kostenpflichtig. Deshalb kann
ich seinen Ratschlag nur weitergeben, sich davor noch schleunigst dieses dünne aber hervorragend produzierte
Büchlein zu sichern. Aber auch wer der bisherigen Foren-Diskussion um die 4. Edition eher desinteressiert
gegenüberstand, wird hier auf neuesten Stand gebracht. Deshalb erhält „Fans and Designers“ eindeutig das
Prädikat empfehlenswert, und hat sich schon jetzt einen Ehrenplatz in meinem Buchregal verdient.