Bei aller Diskussion um Internetabzocke ist es doch immer schön, ein paar Anschauungsobjekte zur Hand zu haben - und woran man erkennt, daß es sich um Fakes handelt.
Das Beweisstück: Mailtext (Anzeigen)------------------------------
Guten Tag,
in obiger Angelegenheit zeigen wir die anwaltliche Vertretung und Interessenwahrung der Firma Videorama GmbH,
Munchener Str. 63, 45145 Essen, an.
Gegenstand unserer Beauftragung ist eine von Ihrem Internetanschluss aus im sogenannten Peer-to-Peer-Netzwerk
begangene Urheberrechtsverletzung an Werken unseres Mandanten. Unser Mandant ist Inhaber der ausschliesslichen
Nutzungs- und Verwertungsrechte im Sinne der §§ 15ff UrhG bzw. § 31 UrhG an diesen Werken, bei denen es sich um
geschutzte Werke nach § 2 Abs 1 Nr. 1 UrhG handelt.
Durch das Herunterladen urherberrechtlich geschutzer Werke haben sie sich laut § 106 Abs 1 UrhG i.V. mit
§§ 15,17,19 Abs. 2 pp UrhG nachweislich strafbar gemacht.
Bei ihrem Internetanschluss sind mehrere Downloads von musikalischen Werken dokumentiert worden.
Aufgrund dieser Daten wurde bei der zustandigen Staatsanwaltschaft am Firmensitz unseres Mandanten Strafanzeige
gegen Sie gestellt.
Aktenzeichen: 230 Js 413/10 Sta Stuttgart
Ihre IP Adresse zum Tatzeitpunkt: 84.190.31.155
Illegal heruntergeladene musikalische Stucke (mp3): 13
Illegal hochgeladene musikalische Stucke (mp3): 21
Wie Sie vielleicht schon aus den Medien mitbekommen haben, werden heutzutage Urheberrechtverletzungen
erfolgreich vor Gerichten verteidigt, was in der Regel zu einer hohen Geldstrafe sowie Gerichtskosten fuhrt.
Link: Urheberrecht: Magdeburger muss 3000 Euro Schadensersatz zahlen
Genau aus diesem Grund unterbreitet unsere Kanzlei ihnen nun folgendes Angebot:
Um weiteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und anderen offiziellen Unannehmlichkeiten wie Hausdurchsuchungen,
Gerichtsterminen aus dem Weg zu gehen, gestatten wir ihnen den Schadensersatzanspruch unseres Mandanten
aussergerichtlich zu loesen.
Wir bitten Sie deshalb den Schadensersatzanspruch von 100 Euro bis zum 22.10.2010 sicher und unkompliziert
mit einer UKASH-Karte zu bezahlen. Eine Ukash ist die sicherste Bezahlmethode im Internet und
fur Jedermann anonym an Tankstellen, Kiosken etc. zu erwerben.
Weitere Informationen zum Ukash-Verfahren erhalten Sie unter:
http://www.ukash.com/deSenden Sie uns den 19-stelligen Pin-Code der 100 Euro Ukash an folgende E-Mailadresse videorama@rechtsanwalt-$nachname.info
* alternativ konnen Sie auch mit Paysafecard zahlen
Link:
http://www.paysafecard.com/deGeben Sie bei Ihre Zahlung bitte ihr Aktenzeichen an!
Sollten sie diesen Bezahlvorgang ablehnen bzw. wir bis zur angesetzten Frist keinen 19- stelligen
Ukash PIN-Code im Wert von 100 Euro erhalten haben(oder gleichwertiges Paysafecard Coupon), wird der Schadensersatzanspruch offiziell
aufrecht erhalten und das Ermittlungsverfahren mit allen Konsequenzen wird eingeleitet. Sie erhalten
dieses Schreiben daraufhin nochmals auf dem normalen Postweg.
Hochachtungsvoll,
Rechtsanwalt $vorname $nachname
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Den Namen des Rechtsanwalts habe ich unkenntlich gemacht, da dieser zwar existiert, aber höchstwahrscheinlich nicht in diese Abzocke verwickelt ist. Die angegebene Mailadresse gehört zu einer Domain, die auf irgendeinen Russen registriert ist... und damit ebenso höchstwahrscheinlich nicht dem Anwalt gehört.
Aus Gründen der Nachvollziehbarkeit habe ich den Firmennamen nicht eigenzensiert - es ist aber davon auszugehen, daß auch dieser nur von den Betrügern zweckentfremdet wurde. Warum ich das glaube sollte aus meiner Analyse hervorgehen; siehe unten.
Beginnen wir mit der Analyse:
- Hier nicht zu sehen: Die Mail wurde an die (Spam-kompromittierte) Adresse verschickt, die als Kontaktadresse im Impressum meiner kleinen Website angegeben ist. Die liegt aber bei einem reinen Webhoster und hat nicht das Geringste mit meinem Internetanschluss zu tun... dessen Inhaber zudem mein Vater ist.
- Ich werde nicht namentlich addressiert.
- Die Domain zur angegebene Mailadresse gehört einem Russen.
- Bei der Firma handelt es sich um einen bekannten Produzenten von Hardcore-Pr0n.
- Der Firmensitz liegt - nachprüfbarerweise - in Essen. Das Strafverfahren soll aber in Stuttgart laufen.
- Die IP-Adresse gehört zum Adressraum der Telekom, die auch meinen Internetanschluß bereitstellt.
- Eine Zahl angeblich herunter- und hochgeladener MP3-Dateien... aber keine namentliche Nennung was ich da so getauscht haben soll.
- Es wird keine Kontonummer oder ähnliches angegeben, anhand derer man den Empfänger der Zahlung ausfindig machen könnte.
- Laut Mailheader (hier leider ebenfalls nicht zu sehen) wurde die Mail am 20. 10. erstellt. Man beachte die Zahlungsfrist, die heute ausläuft.
Was bedeutet das im Einzelnen:
Die ersten beiden Punkte belegen recht eindeutig, daß diese Mail blindlings an eine Liste "bespambarer" Mailadressen verschickt wurde, ohne weiteres über deren Inhaber zu wissen.
Eine "echte" Abmahnungsmail kann nur an eine Adresse geschickt werden, die zu dem betreffenden Internetanschluß gehört (sofern da überhaupt was per Mail kommt - Mails anzufechten sollte trivial sein, daher kommt sowas normalerweise per Briefpost). Landet so eine Mail auf einem anderen Mailkonto, dann kann es eigentlich nur Spam sein.
Normalerweise sollte man gegen einen echten derartigen Bescheid ja Widerspruch einlegen (oder zumindest weitere Informationen anfordern), aber hier wäre das ein großer Fehler! Mailadressen haben für Spammer und Abzocker drei verschedene Wertigkeiten. Einfache Adressen hat man irgendwo abgefischt und es kommt keine Fehlermeldung zurück, wenn man sie anschreibt. Bestätigte Adressen existieren nicht nur, sondern werden gegenwärtig aktiv verwendet. Und dann gibt es noch Opferadressen - das sind die Adressen derjenigen, die schon einmal auf derartige Abzocke hereingefallen sind. Wenn Ihr nun auf diese Mail antwortet, dann bestätigt Ihr Eure Adresse und erhebt sie in die zweite Kategorie (sofern sie nicht bereits dazugehörte). Das bedeutet a) noch mehr Spam und b) verdient ein Adressen-Schwarzhändler nun noch mehr Kohle damit.
Ein in Deutschland tätiger Anwalt wird seine Domäne sicherlich nicht über einen Russen registriert haben. Mit dem entsprechenden WhoIs-Dienst läßt sich der Inhaber der Domäne relativ leicht ermitteln (
hier wäre das für .info); wenn der irgendwo im "rechtsfernen" Ausland liegt ist was faul.
Sollte es tatsächlich in Deutschland (oder zumindest bei einem seriösen Anbieter) liegen und Ihr seid sicher, daß es sich um Betrug handelt, dann lohnt sich vielleicht eine Weiterleitung der Mail samt Erläuterung an abuse@<betreffender.provider>, aber damit wäre ich vorsichtig - der Absender der Mail könnte gefälscht sein. Hier soll ja an die entsprechende Adresse geantwortet werden, aber wer einen derartigen Betrug plant wird wohl kaum einen Anbieter wählen, der auf derartige Beschwerden reagiert. Aber falls doch ist es vielleicht einen Versuch wert. Bestenfalls legt der Provider die Adresse lahm und der Betrüger muß vorzeitig umziehen.
Die Firma, in deren Namen hier angeblich vorgegangen wird, produziert Videos. Auch wenn davon auszugehen ist daß es sich nicht um Stummfilme handelt mutet es seltsam an, wenn ein Videoproduzent den illegalen Vertrieb von Audiodateien (mit denen implizit Musik verknüpft wird) anmahnt. Daß Firmensitz und Staatsanwaltschaft nicht in der gleichen Stadt liegen (AFAIK gilt der fliegende Gerichtsstand nur für die zugehörigen Zivilverfahren und nur ein Anfänger wählt dann etwas anderes als Hamburg) deutet auf die Nachlässigkeit des Betrügers hin und ist vermutlich der einzige Hinweis auf seinen tatsächlichen Wohnsitz.
Ein klassischer Bluff; niemand gibt gerne zu daß er etwas mit Pr0n zu tun hat und wird daher diese Sache lieber geheim halten - und zahlen. Daß Audio- statt Videodateien angegeben wurden dürfte vor allem daran liegen, daß viele Leute schon einmal (mehr oder weniger illegal) Musik heruntergeladen haben und relativ wenige auch Pr0n. Viele werden sich durch solch eine Mail ertappt fühlen.
Bei einer echten Anzeige (oder einem besseren Betrugsversuch) sollte zumindest irgendein oberflächlicher Zusammenhang zwischen Download und Geschädigtem zu erkennen sein - z.B. auch Dateinamen.
Die IP-Adresse sieht echt aus - schließlich liefert die Telekom ja meinen Internetzugang. Das tut sie allerdings für die meisten Deutschen; ergo ist das ein guter Bluff für einen Spammer, der ja nichts weiter als eine Mailadresse kennt.
Es lohnt sich daher also zu prüfen, ob die angegebene Adresse tatsächlich dem eigenen Internetprovider gehört.
Dieses Tool sollte das schnell und einfach erledigen können. Leider haben handelsübliche Router normalerweise nicht genug Speicherplatz um entsprechende Daten für mehr als ein paar Wochen zu loggen (wenn nicht gar nur wenige Tage) und selbst echte Anzeigen lasen normalerweise zu lange auf sich warten als daß da noch irgendetwas nachvollziehbar wäre.
Eine willkürliche Zahl MP3-Dateien... nun, die meisten Leute haben schon einmal irgendwo Musik heruntergeladen und daß verbreitete Software wie gängige BitTorrent- oder EDonkey-Clients die Sachen auch wieder zum Upload anbieten ist ebenfalls bekannt. Viele Leute sollten sich durch sowas ertappt fühlen... nur dumm daß ich keine Musik über solche Software herunterlade und daher natürlich genau weiß, daß die Anforderungen erfunden sind (dem Rest meiner Familie fehen die Berechtigung und die Kenntnisse, auf ihren Rechnern entsprechende Software zu installieren und ohne daß ich die Ports im Router freigebe/NAT einstelle geht da sowieso nix).
Leider hilft das gegen eine echte Anzeige recht wenig da von den Klägern normalerweise keine echten Beweise verlangt werden - die Protokolle, die diese vorlegen, könnten ebensogut erfunden sein; nur leider betrachten die Gerichte die Musikindustrie als glaubwürdiger (insbesondere Hamburg hat da einen entsprechenden Ruf) und entscheiden in einer solchen Aussage-vs-Aussage-Situation daher üblicherweise zu deren Gunsten.
Die Zahlungsfrist ist unverschämt kurz; kein echter Anwalt (von "seriös" kann man in diesen Fällen selbst bei tatsächlichen Verstößen IMHO nicht sprechen) würde die Frist so kurz ansetzen - auch wenn ich mir nicht sicher bin ob für derartige außergerichtliche Einigungsangebote irgendwelche gesetzlichen Vorgaben existieren würde ich doch vermutem, daß hier ein oder zwei Wochen gewährt würden. Der Spammer versucht so lediglich, den Druck noch weiter zu erhöhen damit das Opfer zahlt und nicht erst zeitaufwendig recherchiert oder Rechtsberatung einholt.
Das Zahlverfahren schreit geradezu nach Schwarzgeld; sowas würden nicht einmal bekannte Abzockanwälte versuchen. Wo immer so etwas verlangt wird könnt Ihr sicher sein: Dahinter steckt ein Betrüger!
Zuguterletzt stand genau dieser Schrieb in der heutigen Ausgabe unserer Regionalzeitung - aber gebraucht habe ich das nicht
Es sollte damit aber klar sein, daß es sich nicht um ein echtes anwaltliches Schreiben handelt und eine Veröffentlichung sollte daher unproblematisch sein.
Ich bin sicher, daß die Juristen hier noch einiges an Formfehlern in diesem Schreiben finden werden, aber solche Details sind Otto Normaluser üblicherweise nicht bekannt. Ich habe mich auf die Dinge eingeschossen, die man selbst nachvollziehen kann.
Vielleicht hilft das ja einigen Leuten, die ein solches oder ähnliches Schreiben erhalten haben, wenn sie mal sehen wie ein Fake aussieht.
Bis bald;
Darastin