Einfache Erklärung. Wieso sollte ich alte, hässliche Spiele spielen, wenn ich neue gut aussehende Produkte habe, die vom Inhalt her mindestens ebenbürtig sind.
Dein Denkfehler, wieso du die Leute, die alte Spiele auch heute noch gerne spielen, nicht verstehst, bzw. ihnen vorhältst sie würden dir und sich selbst was vormachen, liegt mMn bereits hier.
Du gehst davon aus, in Computerspielen sind die Strukturen und nicht-technischen Aspekte im Laufe der Entwicklung genauso gut geblieben, wie sie immer waren (oder besser), während die technischen Aspekte (vornehmlich Grafik, Sound) besser geworden sind. Dann macht es nämlich tatsächlich keinen Sinn, alte Spiele zu spielen und die neuen links liegen zu lassen.
Tatsächlich haben sich Spiele aber - meiner Meinung nach - in bestimmten (nicht-technischen) Aspekten zurück entwickelt. Das mag auch in einem gewissen Umfang mein persönlicher Geschmack sein, denn die Spiele haben sich vielleicht auch gewisser Weise einem Mainstream-Geschmack angepasst und sich von meinem persönlichen Geschmack wegentwickelt.
Ich spiele Computerspiele (mehr oder weniger) regelmäßig seit gut 25 Jahren, seit ich meinen ersten Computer (Commodore C16+4) bekommen habe und habe viele technische Entwicklungen mitgemacht... zugegeben zwischendurch war mal eine Durststrecke in der ich mich für PC-Spiele nicht so sehr interessiert habe, aber seit einigen Jahren bin ich technisch immer auf einem Stand, der es mir erlaubt, die aktuellen Spiele zu spielen. Ich kenne auch viele der Spiele, die du hier im Thread als Referenz genannt hast (Risen, Fallout 3+, Oblivion, Gothic 1-3, Mass Effect 1, Wither 1 ...). Einige davon sind gut, bei anderen habe ich vorbehalte. Ich rede jetzt mal nur über Rollenspiele, denn bei denen (aber auch bei anderen Genres, wie z.B. Strategie) habe ich persönlich eine Entwicklung wahrgenommen, die mir nicht so gut gefällt: Die Spiele werden für mich anspruchsloser.
Ich habe das Gefühl, moderne Spiele entwickeln sich dahin, dass es weniger darum geht, Gehirnschmalz einzusetzen (was ich bevorzuge), um z.B. Rätsel zu lösen, Strategien auszuprobieren etc., sondern in erster Linie geht es z.B. bei Rollenspielen oder Shootern um eine möglichst perfektionierte Beherrschung der Steuerung / des Controllers (die zu perfektionieren ich eigentlich keine Lust habe).
Man muss den NSC eigentlich nicht zuhören und sich seine eigenen Gedanken machen, denn die Minimap bzw. der Richtungsweiser im Kompass zeigen mir schon, wo die derzeitige Quest weiter geht. Dort angekommen lege ich dann das Boss-Monster um, was mir nur gelingt, wenn ich ein Virtuose am Keypad bin (oder cheate).
Ich denke, diese Verschiebung der Herausforderung ist einer Anpassung an den Massenmarkt geschuldet, und vielleicht auch dem Wunsch der Publisher, Spiele mehr als Konsumware denn als Hobby zu sehen. Es ist einem heutigen Publisher wahrscheinlich gar nicht mehr so recht, ein Spiel zu entwickeln, das langfristig über Jahre fesselt, denn dann würde der Spieler sich vielleiucht die Fortsetzung oder den nächsten Titel gar nicht sofort bei Neuerscheinen kaufen. Es geht darum, mit toller Grafik, tollen Effekten, einem visuell großartigem Spielerlebnis den Spieler zu begeistern. Er soll das Spiel konsumieren, Lust auf mehr bekommen, im Vergleich zu früher schnell durch sein, und sich dann auch sdchon den nächsten titel kaufen. Zumindest halte ich das für plausibel.
Asequai wollte mir z.B., weil ich letztes Mal als erster beim Rollenspielabend da war, mal eben Witcher 2 zeigen. Spielstand geladen, los gings... mit einer gescripteten Zwischensequenz, die nahezu eine Viertelstunde gedauert hat, in der der Spieler zum Zuschauer wurde... Das Computerspiel als interaktiver Film, das konsumiert wird, wie ein Film.
Der Spieler von heute, will sich vielleicht auch gar nicht mehr lange mit dem Spiel auseinander setzen. Die Aufmerksamkeitsschwelle ist vielleicht tatsächlich gesunken, so dass man dem Spieler schon mehr als deutlich zeigen muss "geh hier lang, tu das", weil man ihn sonst verliert und er dem Spiel dem Rücken kehrt. Vielleicht will er sich nicht anstrengen, sondern schnelle Erfolge. Zumindest habe ich sowas in der Richtung schon vor vielen Jahren mal in einer Spielezeitschrift in einem Interview mit einem Entwickler gelesen (als ich noch Spielezeitschriften gelesen habe).
Von daher, zu behaupten, moderne Spiele erzeugen das gleiche Spielgefühl wie Spiele von vor 15 Jahren nur mit besserer Technik, das ist in meinen Augen Augenwischerei. Du konstruierst den Vergleich vom modernen Spiel, das sich strukturell und vom Spielinhalt genauso spielt, wie das von vor 15 - 20 Jahren nur eben technisch besser und nimmst das als Grundlage für deine These, dass es keinen rationalen Grund gibt, alte Spiele spielen zu wollen, außer die von dir genannten. Da stimmt leider in der Realität schon die Grundlage nicht.
Im übrigen lässt du Dinge wie den persönlichen Geschmack völlig außer Acht. Vielleicht gefällt mir gerade die Story und Hintergrund von Gothic 1 so gut, dass ich lieber nochmal spiele, als das technisch sicherlich viel bessere Risen, bei dem mir aber z.B. das leicht lateinamerikanisch angehauchte Setting einfach nicht zusagt. zwei unterschiedliche Spiele können eben auch inhaltlich überhaupt nicht gleich sein, so dass da allein schon ein völlig berechtigter Grund liegen kann, warum ich das ältere bevorzuge.