7- Lamashan, 4711 AK
Schloß Karomark, Pfalzgrafschaft VielandNoch vor dem Morgengrauen verließ ich Tira Krähenfuß. Die Aasfresser des Dippelweihersumpfes waren längst überzeugt, dass die Hexe noch lebte und in Corvus hatte sie einen entschlossenen Beschützer gefunden. Ich machte mich also auf die Suche nach den übrigen Raben und Schloß Karomark.
Nicht weit von der Stelle an dem die modernden Schlurfer die Abenteurer überfallen hatten, ragten die Türme des ehemaligen Herrschersitzes in den sterngesprenkelten Nachthimmel empor. Der Nebel schreckte noch vor der Dunkelheit zurück, so hatte ich um diese Zeit keine Mühe das beeindruckende Bauwerk an den Klippen zu erspähen. Mehrere Gebäude und ihre Auswüchse waren über zerklüftete Felswände verteilt und thronten zwischen mächtigen Wasserfällen. Schlanke bogenförmige Brücken verbanden die vielen Flügel der Schloßanlage.
Als ich das Torhaus erreicht hatte bot sich mir ein Bild des Grauens. Das schwache Licht der Morgendämmerung zeigte ein gutes Dutzend Krähen und noch mehr Sumpfratten die sich an verkohlten Gliedmaßen und grünlichen Fleischbergen gütlich taten. Es musste sich dabei um die Kadaver von großen, bulligen Hunden oder Wölfen gehandelt haben. Das verbrannte Fleisch hatte widerliche Blasen geworfen, während die grüne Färbung wohl nicht erst durch den Tod hervorgerufen worden war. Dann entdeckte ich einen riesigen, sehnigen Arm auf den sechs schwarzgefiederte Vögel mit ihren spitzen Schnäbeln einhackten und emsig zähe Fleischstücke herausrissen. Für einen Augenblick war mir so als verkrampfte sich die krallenbewehrte Hand an seinem Ende in einer letzten Geste der Verzweiflung.
Durch die Fugen der Torflügel fiel das orange Licht eines Lagerfeuers. Vorsichtig glitt ich durch das eisenbeschlagenen Holz hindurch und stieß auf die versammelten
Silbernen Raben. Schlafend lagen sie im Kreis um das Feuer. Nur Bestimotor von Simmelwitz stand mit dem Rücken zu mir auf der gegenüberliegenden Seite des Torhauses. Der Gnom sah zu einem finsteren Herrenhaus hinüber. Er begann im Selbstgespräch vertieft durch einen Haufen Unrat zu schlendern, der auf eine abgerissene Barrikade hinter dem inneren Tor hindeutete. Unter gesplitterten Holzbalken und zerbrochenen Mauersteinen erkannte ich die graue Uniform eines Wachhabenden.
Plötzlich verließ der kleine Abenteurer das Torhaus. Er spazierte geradewegs über die zierliche Steinbrücke und den tosenden Wasserfall darunter. Auf der anderen Seite wartete eine abscheuliche Bestie auf den Gnom. Sie glich dem Wächter im Vorhof von
Vorkstags & Greins Werkstätte:
Ein grässliches Wesen aus künstlich gefügten Sehnen und Muskeln unter einem löchrigen Flickenwerk aus rissiger Haut, dessen unheiliges Fleisch auf ein wölfisches Knochenskelett gespannt war.
War Besmo von allen guten Geistern verlassen? Nein. Ich stimmte ein varisisches Tanzlied an und hüllte den
Raben in die Illusion der grauen Wachuniform, die ich zuvor entdeckt hatte.
Die Bestie rührte sich nicht. Fröhlich pfeifend hüpfte der Gnom an ihr vorbei. Der Himmel besaß mittlerweile eine zarte Rosafärbung und ich fragte mich wann seine Gefährten denn gedachten sich von ihrem Nachtlager zu erheben. Besmo zog an einer verborgenen Kordel im Maul eines Gargylen. Es dauerte eine Weile, dann schwang die Tür lautlos auf.
Wir betraten eine zweigeschossige Eingangshalle. Doch es war niemand zugegen. Wer hatte uns geöffnet? Der Gnom kündigte sich mit übertrieben höflicher Grußformel an und wartete. Niemand antwortete ihm. Wenig später begann er die Türen in die angrenzenden Räume zu öffnen.
Schon bald steckte er seine neugierige Nase in eine kleine Bibliothek und schlüpfte hinein.
* * * * *
Nach Stunden der Nachforschungen und des Durchstöberns aller gesammelten Werke verließ ich Bestimotor von Simmelwitz. Ich wollte endlich die anderen Raben aufschrecken und sie zu ihrem Gefährten ins Herrenhaus locken. Als ich durch das Eingangsportal trat, geriet ich jedoch in einen unerbittlichen Kampf auf Leben und Tod.
Hier türmten sich über Runa Corvijn, Stralicia Mancini und den beiden Glaubensbrüdern die dunklen Wolken eines riesigen Luftelementars auf.
Der Elementar gebot über die Winde, die so hoch über den rauschenden Fluten des Wasserfalls stürmten, und wirbelte die tapferen Helden Ravengros umher wie ein paar Spielkarten. Balduans Schwert erstrahlte in einem goldenen Licht, während der Schildknappe wild um sich schlagend nach oben zum Kopf des riesigen Gegners schwebte. Iacobus war in einer Windhose unter dem externaren Wächter gefangen, feuerte aber dennoch Pfeil um Pfeil nach ihm. Die Alchemisten spie ihren verheerenden Feuerodem, während Runas Dämonenzunge die Wunden ihrer Gefährten schloss. Mit vereinten Kräften, Magie und Kampfgeschick gelang es den Abenteurern letztendlich den übermächtigen Gegner zu bezwingen. Ein wahrlich beeindruckender Kampf, dem keine Beschreibung gerecht werden konnte!
Es erwies sich als sehr viel schwerer ohne die graue Uniform in das Herrenhaus zu gelangen. Stralicias langwierige Versuche das Portal zu öffnen begannen mich zu langweilen. Ich wandelte über die reissenden Wasserströme, die zwischen den Gebäudetrakten in die dampfenden Tiefen des Sumpfes stürzten. Dann hatten es die Abenteurer endlich geschafft sich Zugang zu verschaffen.
Runa, Stralicia und Balduan trafen in der Eingangshalle auf Besmo, der es endlich geschafft hatte seine Nase wieder aus den Büchern zu ziehen und den Rufen seiner Gefährten zu folgen. Da der Gnom nicht weiter als in die Bibliothek vorgedrungen war, machten sich die Raben gemeinsam an die Durchsuchung des Herrenhauses. Der Schildknappe hatte es nicht für richtig gehalten, so weit in die Räumlichkeiten des Grafen ohne dessen ausdrückliche Zustimmung vorzudringen. Er war daher sogleich zur Ablöse seines Glaubensbruders Antonius Iacobus Santorio ins Torhaus zurückgekehrt.
Ich folgte ihm. Die Gemächer eines entmachteten Herrschers versprachen nicht so viel wie die Wacht über eine Befestigungsanlage, die ganz offensichtlich für einen weiteren Trollangriff aus dem Dippelweihersumpf bemannt werden musste.
* * * * *
Es dauerte bis in den späten Nachmittag hinein, bis flammende Pfeile den frühen Abendnebel über Schloß Karomark verschlangen. Jedoch wurden sie nicht zwischen den Zinnen des Torhauses von seinen selbsternannten Verteidigern abgefeuert, sondern von einer schwarz geflügelten Frau über dem Wasserfall.
Balduan beobachtete noch immer den Sumpf. Er war völlig arglos was die Gefahr in seinem Rücken anging.
Ich überließ den Schildknappen seiner eintönigen Wacht und flog auf die geflügelte Schützin zu. Die Angreiferin war ohne Zweifel ein gefallener Engel, eine Erinye die Feuer auf die
Silbernen Raben regnen ließ. Pami stand auf der einen Seite der Brücke, während Iacobus reglos in einer Pfütze seines eigenen Blutes auf der anderen Seite lag. Wieder und wieder feuerte die fliegende Furie auf die Externare Begleiterin des Gnoms. Bestimotor selbst war nicht zu sehen. Wo war der Zauberkundige, und wo waren seine anderen Begleiterinnen?
Mit einem heftigen Tritt brach Pami die Türen zu dem Gebäude auf ihrer Seite des Abgrunds auf. Als die Türflügel von unsichtbarer Hand wieder geschlossen wurden, begann ich zu vermuten, dass sich die Raben vor den todbringenden Feuerpfeilen unter den Deckmantel magischer Unsichtbarkeit gerettet hatten. Besser gesagt wähnten sie sich nur in Sicherheit, denn die Teufelinnen konnten sehen was Sterblichen verschleiert blieb. Die Erinye hatte demnach zweifellos gesehen, wie die Abenteurer in das Schloß geflohen waren.
Sie landete vor dem Portal, zog ihr Schwert und trieb die brennende Klinge tief in das verstärkte Holz seiner Flügel. Schrill kreischend schlug sie darauf bis die Konstruktion aufgab und in ihre Einzelteile zerfiel. Die Furie holte zu einem weiteren Schlag nach der entblößten Pami aus, da wurde sie plötzlich von einer Stichflamme verschluckt und löste sich schreiend in einer schwarzen Rauchwolke auf.
Besmo, Pami und Stralicia überquerten die gefährlich wankende Seilbrücke und versorgten Iacobus mit Heiltränken. Er lebte, doch wo war Runa?