Autor Thema: Die Chronik der Silbernen Raben  (Gelesen 13317 mal)

Beschreibung: PATHFINDER-AP: Die Kadaverkrone

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Mhyr

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Die Chronik der Silbernen Raben
« am: 22. Oktober 2012, 20:57:17 »
Wie man der Beschreibung des Themas entnehmen kann, spielen wir den zweiten deutschsprachigen Pathfinder-Abenteuerpfad aus dem Hause Ulisses. Die einzelnen Beiträge sind ursprünglich auf unserem Blog Tintenteufel erschienen, jedoch habe ich einst wegen dem Story Hour-Bereich des Gates überhaupt erst angefangen unsere Spielsitzungen ausführlicher aufzuarbeiten und lese noch immer sehr gern bei verschiedenen anderen Story Hours mit. So möchte ich auch wieder hier die Eskapaden meiner Spieler schildern!

Kommentare und Verbesserungsvorschläge sind ausgesprochen erwünscht!
« Letzte Änderung: 19. März 2014, 18:04:44 von Mhyr »

Mhyr

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Die Chronik der Silbernen Raben
« Antwort #1 am: 22. Oktober 2012, 20:59:04 »
3. Rova, 4711 AK
Pfalzgrafschaft Kanterwall, Ravengro

Auf dem Ruheland, Ravengros Friedhof und Ort der Trauer, wurde ich heute Zeuge einer ungewöhnlichen Begegnung:

Es war am frühen Nachmittag als eine Trauergemeinde den schwarzen Sarg eines weiteren Toten durch den Regen trug. Auf dem Traumhain stellte sich der düsteren Prozession eine Gruppe übelgelaunter Dorfbewohner in den Weg. Die zornigen Männer wollten den Leichnam nicht in der Erde des Ruhelandes, wie sie immer wieder lauthals betonten. Die Worte “Nekromant” und “Totenbeschwörer” fielen. Angeführt wurde der keifende Mob von einem Tunichtgut namens Gibbs Hefenuss, wenn ich es richtig verstanden habe.

Obwohl die Störenfriede mit Hacken und Forken bewaffnet waren, antwortete ihnen eine der tränenüberströmten Sargträgerinnen mit Mut und Entschlossenheit. Sie überzeugte die Männer vom Wahnsinn ihres Tuns, woraufhin sich der Mob zerstreute und Gibbs allein im Regen stehen blieb. Rot gefärbt von Wut, zeigte er mit ausgestrecktem Finger auf die beherzte Sprecherin und spie ihr etwas entgegen das ich nicht verstehen konnte, bevor er mit eingezogenem Schwanz seinen Spießgesellen folgte.

Es tut sehr gut zu sehen, dass Worte doch mächtiger sein können als das Schwert.
« Letzte Änderung: 22. Oktober 2012, 21:03:31 von Mhyr »

Mhyr

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Die Chronik der Silbernen Raben
« Antwort #2 am: 29. Oktober 2012, 09:47:07 »
4. Rova, 4711 AK
Pfalzgrafschaft Kanterwall, Ravengro


Das Dorf war in hellster Aufregung an diesem Morgen. Die Ravengroer strömten förmlich nach Süden, den Fluss entlang. Das Schreckenfelsdenkmal war in der vergangenen Nacht mit Blut beschmiert worden. Jeder hatte Angst, aber keiner wollte sich von der Gerüchteküche in Form des steinernen Direktors Falkran fernhalten. Noch hatte der Konstabler keine Leiche gefunden, doch fragte natürlich nicht nur ich mich woher das ganze Blut wohl stammen mochte.


Lang nach dem Höhepunkt der Aufregung erreichte eine Gruppe das geschändete Denkmal, die sich deutlich von den Dorfbewohnern unterschied. Es handelte sich um die Erben Professor Lorrimors: seine Tochter Kendra und die vier Unbekannten vom Friedhof mit einem neuen, ebenso unbekannten Gesicht. Der Konstabler rief sie auf den blutbesudelten Platz vor dem Denkmal. Er blickte ihnen tief in die Augen und befragte sie. Bevor er sie entließ, schien er sie eindringlich zu ermahnen.

Ein varisisches Paar stimmte am Nachrichtenpfahl vor der Brücke zum Dorf ein trauriges Lied an. Die Tänzerin schlug das Tamburin, während ihre langsamen runden Bewegungen von einer Fidel begleitet wurden. Plötzlich surrten zwei rotbraune Blutmücken auf die Traube von Menschen zu, die sich um die beiden herum gebildet hatte. Die unbekannte Fünfte, eine groß gewachsene blasse Frau mit hellem kurzem Haar schlängelte sich durch die Zuhörer und Musiker in die Flugbahn der durstigen Biester. Sie riss ihren schmalen Mund auf und entblößte einen dunklen kreisrunden Schlund gespickt mit mehreren Reihen spitzer Zähne. Im Sprung flatterten die weiten Ärmel ihrer Reiserobe zurück, während ihre krallenbewehrten Hände hervorschnellten. Blitzschnell hatte sie die beiden Blutmücken in der Luft zerrissen.

Die Menge war erschrocken und erleichtert zugleich, so machten sich die Ravengroer verstört tuschelnd davon.

*      *      *      *      *

Ich war bereits seit geraumer Zeit in den Lachenden Dämon zurückgekehrt, da durfte ich mit Freude feststellen, dass zwei der Erben in die Taverne gekommen waren um Ermittlungen anzustellen. Es handelte sich um den kleinsten der fünf Unbekannten, einen Gnom der sich und seine Begleiterin, das unscheinbare Ding mit dem Gebiss eines Purpurwurms, beim Wirt als Bestimotor von Simelwiz und Pami vorgestellt hatte. Sie sagte keine Wort. Er schrie andauernd nach Zuckerrüben.

Zokar Elkarid unterhielt sich etwas mit dem Gnom, bis sich dieser im wahrsten Sinne des Wortes unter das Volk mischte.

Am späten Nachmittag betraten auch die übrigen Erben Professor Lorrimors den Schankraum. Die Musik hörte auf zu spielen und die Tischgespräche wandelten sich zu einem leisen Geflüster oder verstummten vollkommen. Sichtlich betroffen begrüßten die drei Damen ihre Bekannten und setzten sich zu einem Glas Flüssige Geister.

Auch sie versuchten ihr Glück bei der Befragung der Dorfbewohner, doch die blieben stumm wie die Fische des Großen Blauen Flecks. So nannten die Ravengroer den Liassee, was ich aber erst lang nach meiner Ankunft erfuhr.

Ihr Misserfolg bei den Ermittlungen war nicht von Bedeutung. Die Leute hier brauchen Zeit um aufzutauen, wie das finstere Land in dem sie leben nach den langen Wintern. Mir war es damals nicht anders ergangen. Alles was für mich zählte war ihr Wille gutes zu tun und Ravengro vor dem Bösen zu bewahren, das sich mit dem Blut am Schreckenfelsdenkmal angekündigt hatte.
« Letzte Änderung: 05. November 2012, 18:47:02 von Mhyr »

Mhyr

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Die Chronik der Silbernen Raben
« Antwort #3 am: 05. November 2012, 18:45:29 »
5. Rova, 4711 AK
Pfalzgrafschaft Kanterwall, Ravengro


Nur einen Tag darauf betrat ein Reisender den Schankraum des Lachenden Dämons. Er war kein Kaufmann, das verrieten mir das Schwert an seiner Hüfte und der Bogen über seiner Schulter.


Zokar Elkarid stellte sich dem Neuankömmling mit viel Witz und seinem rustikalen Charme vor, bevor er den jungen Mann mit Speis und Trank versorgte. Der Reisende trug den vielversprechenden Namen Antonius Iacobus Santorio, der einfach nicht zu seinem schlichten Äußeren passen wollte, das überwiegend von hoffnungslos abgetragenem Leder und Schlamm, viel Schlamm geprägt war. Santorio musterte den gefüllten Schankraum und die anderen Gäste genau. Dem Wirt schien er kaum Beachtung zu schenken.

Dann fielen die Worte "Geist" und "Schreckenfels". Der junge Mann war plötzlich ganz Ohr. Sogleich versuchte er mehr von Zoki zu erfahren. Unser Herr Wirt spielte jedoch ganz den Geheimnisvollen. Er hatte wie immer sein breites Grinsen im Gesicht, während seine roten Backen im orangen Licht des prasselnden Kaminfeuers schimmerten. Zokar Elkarid erschien mir in diesem Augenblick, da er Santorio zum Hause Lorrimor schickte, wie Cayden Cailean höchst persönlich. Ein Kuppler der die Richtigen zusammenbringt um dem Bösen die Stirn zu bieten. Denn er wusste schließlich ganz genau, dass die Erben des toten Professors bald Arbeit für die Waffen an Santorios Seite auftreiben würden.

Die Wahrscheinlichkeit tatsächlich einem Gott zu begegnen mag gering sein, doch es war ein angenehmer Gedanke. Ich beschloss dem einsamen Wanderer mit dem außergewöhnlichen Namen in jedem Fall zu folgen.

*     *     *     *     *

Haus Lorrimor lag am Ende der Straße. Während Santorio noch rätselte in welchem Gebäude er nun mehr über Schreckenfels und seine Geister erfahren konnte, beschloss ich in den Schatten vorauszuhuschen und mich in das Haus des toten Professors zu stehlen.

Die Erben hatten sich im Teezimmer versammelt und begutachteten einen Gegenstand der mir nur allzu vertraut war: ein Geisterbrett. Wenig später traf auch schon Santorio ein.

Man tauschte Höflichkeiten aus und tat der Form genüge, jedoch ohne dabei die Obacht und das gegenseitige Misstrauen gänzlich fallen zu lassen. Als die Erben das heilige  Symbol Iomedaes am Schwertknauf Santorios erkannten, baten sie den Reisenden zu einer Tasse Tee ins Haus und entspannten sich.

Neben dem Gnom in der blaugelben Tunika und der blaßen Dame mit den scharfen Krallen, stellte sich eine unförmige Variserin als Stralicia Mancini vor. Sie trug zahlreiche Fläschchen und Beutel an ihrer Lederschürze, was in mir den Verdacht erweckte, daß es sich bei ihr um eine ehemalige Kollegin des Professors handeln musste. Die blonde Frau an Kendra Lorrimors Seite war ungewöhnlich gut gebräunt für diese kalte Jahreszeit. Sie schien eigens für das Begräbnis – oder die Testamentsverkündung – aus der Sommerfrische im fernen Süden angereist zu sein und stellte sich mit Runa Corvijn vor. Zu guter Letzt nannte eine unscheinbare junge Frau mit schwarzem Haar ihren Namen: “Tira Krähenfuß”. Auf ihrer Schulter saß ein ebenso schwarzer Rabe der Santorio mit einem befremdlichen Krächzen willkommen hieß.

Der einsame Wanderer war seiner Aussage nach in Ravengro um mehr über die finsteren Machenschaften einer Geheimgesellschaft zu erfahren. Er nannte sie den Wispernden Pfad und beschrieb sie als Zusammenschluss von Nekromanten, Totenbeschwörern und der Brut Urgathoas.

Die Erben schenkten den Behauptungen Santorios Glauben und verrieten ihm von den Ergebnissen ihrer Ermittlungen. In den Archiven des Pharasmatempels hatten sie die Namen fünf berüchtigter Verbrecher, die zur Zeit des großen Feuers in Schreckenfels eingesessen hatten erfahren: Vater Scharlatan, der Kopfjäger, der Moorwassermörder, der Mückenfänger von Argmoor und der Zermatscher. Aber auch über das geschändete Denkmal hatten sie mehr herausgefunden. Drei bemerkenswerte Vornamen, der des Ratsherren Vaschian Feuerroß, der des Hohepriesters Vauran Grimmgräber und der der toten Frau des Gefängnisdirektors Vesorianna Falkran begannen alle mit diesem einen Buchstaben. Mit einem V, das mit Blut an das Denkmal geschmiert worden war. Sie vertrauten dem Reisenden sogar an, dass sie das Geisterbrett zusammen mit anderen uralten Waffen zur Geisterbekämpfung aus einer falschen Gruft auf dem Ruheland “geborgen” hatten.

Die Tochter des Professors zog sich in die Küche zurück um einen kleinen Imbiss zuzubereiten.

Es klopfte erneut an der Tür. Jedoch war es kein gewöhnliches Klopfen, sondern dumpfe Schläge in einem unsteten holprigen Rhythmus. Drei der Erben schlüpften auf den Korridor hinaus. Es handelte sich um den Gnom Bestimotor, die stumme Pami und Stralicia.

Die Lautstärke nahm mit jedem Schlag weiter zu, bis die Erschütterungen an der Eingangstür die Teetassen auf dem zierlichen Beistelltischchen neben Santorio scheppernd tanzen ließen. Dann beendete plötzlich der schrille Aufschrei Bestimotors den Lärm.

Ich konnte durch die Tür einen Mann im weißen Totenhemd der Kirche Pharasmas sehen. Sein Oberkörper und Schädel waren vollständig zertrümmert und nicht viel mehr als eine dunkle Masse. Durch das blasse, kränklich marmorierte Fleisch des ungebetenen Gastes krochen bereits dicke, gelbe Maden. Dennoch stand der tote Körper, kalt und steif auf der Veranda von Haus Lorrimor, erfüllt von negativer Energie die ihn zu seinem unnatürlichen Leben verhalf. Ausdruckslos starrten seine Augen über den Gnom hinweg. Es war ein Zombie. Ein Untoter.

Alles ging schrecklich schnell: Stralicia sprang die Treppe hinauf, während Santorio ihr mit seinem Bogen Feuerdeckung gab. Bestimotor flitzte zwischen den anderen Erben Lorrimors hindurch und flüchtete sich ins Teezimmer zurück. Der kleine Mann war blutüberströmt. Der Zombie reagierte währenddessen nicht auf die Pfeile, die in seiner Brust steckten. Er schlug weiter auf Pami ein, obwohl die Knochen seines rechten Arms beim letzten Schlag gegen den Kopf der blassen Kriegerin krachend zerbrochen waren.

Dann meldete sich die Dame mit dem schneeweißem Haar zu Wort. Und es waren finstere Worte, die klangen als entsprangen sie dem geifernden Maul eines Dämons. Zu der Furcht vor dem Untoten mischte sich der Schreck ob dieser dunklen Sprache aus dem Munde der lieblichen Runa. Erst die fauchende Explosion eines Alchemistenfeuers auf der Brust des Zombies löste die eisige Umklammerung der Angst und beendete den erbitterten Kampf.

Ich nutzte die letzten Momente der Aufregung um unbemerkt in der Nacht zu verschwinden und in den Lachenden Dämon zurückzukehren.
« Letzte Änderung: 10. November 2012, 12:50:12 von Mhyr »

Mhyr

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Die Chronik der Silbernen Raben
« Antwort #4 am: 12. November 2012, 08:11:51 »
6. Rova, 4711 AK
Pfalzgrafschaft Kanterwall, Ravengro


Es war einer dieser nebeligen Nachmittage, wie es sie in Ustalav viel zu oft gab. Der Lachende Dämon war nicht gut, aber auch nicht schlecht besucht. Bauern und ihre Knechte tranken flüssige Geister im Schein des wärmenden Kaminfeuers. Sie tauschten Neuigkeiten und Gerüchte aus, bis auf der Straße Worte in einer so finsteren Sprache erklangen, dass es ihnen die eigene verschlug. Abyssisch! Dort vor der Tür wurde die Sprache der Dämone gesprochen.

Ich war weniger überrascht als die anderen Gäste, denn ich hatte in Ravengro bereits zuvor Abyssisch vernommen. Es war in jener Nacht als ich Iacobus Antonius Santorio von der Taverne ins Hause Lorrimor gefolgt war. Die junge Dame mit dem schneeweißen Haar hatte damals in der schwarzen Zunge der Scheusale gesprochen. Im Kampf mit dem Zombie war ihre glockenhelle Stimme plötzlich zu einem abgrundtiefen, widerlichen Organ umgeschlagen.
In jener Nacht hielt auch mich, wie nun die Gäste des Lachenden Dämons, der kalte Griff der Furcht gefangen. An diesem Abend jedoch vermochte ich mich loszureißen und eilte auf die Straße hinaus.

Am Flussufer, im Schatten der Taverne, bekämpften Runa Corvijn, Tira Krähenfuß und Stralicia Mancini einen weiteren wandelnden Toten. Der Zombie schlug erbarmungslos auf die drei Frauen ein. Nur mit Mühe und Not bezwangen die Erbinnen Lorrimors den Untoten, der sie mehr als ein Mal auf den schlammigen Boden der Gasse geprügelt hatte. Wieder waren es die finsteren Worte Runas gewesen, die das sengende Licht der Sonne herabbeschworen hatten. Die feurigen, goldenen Strahlen brannten sich durch das gräulich marmorierte Fleisch des Zombies, während ich den Blick von der gleißend hell erstrahlenden Brust der Erbin abwandte. Aus dem Augenwinkel sah ich den Untoten qualmend wie eine erloschene Fackel in den Schlamm fallen, bevor ich zurück in die Taverne flüchtete.
« Letzte Änderung: 12. November 2012, 08:15:36 von Mhyr »

Mhyr

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Die Chronik der Silbernen Raben
« Antwort #5 am: 19. November 2012, 18:26:05 »
9. Rova, 4711 AK
Pfalzgrafschaft Kanterwall, Ravengro


Das Frühstück hatte gerade erst begonnen als Pevrin Elkarid, der Sohn des Wirts, in den Schankraum des Lachenden Dämons stürmte. Vor Schreck ließen die wenigen Gäste der Taverne ihr Besteck fallen, so dass nicht nur die schwingenden Flügeltüren hinter dem Bärenfell schepperten, sondern auch Messer, Löffel und Gabeln. Der junge Bursche stotterte etwas von “Blut” und “Denkmal” zwischen seinen halbherzigen Versuchen wieder zu Atem zu kommen. Dann sprang er schon wieder auf die Straße hinaus.


Wie die anderen Gäste der Taverne, war auch ich Pevrins Beispiel gefolgt. Nein, dem Anschein nach war es ganz Ravengro! Denn ganz gleich ob Bauer, Handwerker oder Kaufmann, alle strömten sie unruhig wie hungrige Krähen nach Süden. Sie bewegten sich zielsicher in Richtung Schreckenfelsdenkmal.

*     *     *     *     *

Wieder war die Statue des ehemaligen Gefängnisdirektors mit Blut beschmiert worden. Wieder war keine Leiche gefunden worden, noch wurde einer der Dorfbewohner vermisst. Dieses Mal standen da die Buchstaben V und E in Blut geschrieben. Konstabler Keller unterhielt sich mit zwei Frauen, als ich das Denkmal erreicht hatte. Es waren Runa Corvijn und Stralicia Mancini. Kurze Zeit später mischte sich auch der Gnom mit dem bleichen Schatten der auf den Namen Pami hörte ein.

Dann brachen die Erben Lorrimors auf. Und ich folgte ihnen. Es war mit Bestimmtheit aufregender diesem Quartett zu folgen, als den uninspirierten Mutmaßungen der Dorfbewohner zu lauschen. Sie suchten die Offene Schriftrolle auf, einen Zauberladen und Schulhaus für die arkanen Künste aus. Ich wartete vor der Tür. Auf dem Weg zurück zum Dorfplatz sprachen die Erben über ihren Besuch der Gefängnisruine Schreckenfels. Sie sprachen von Wandelnden Toten gehüllt in geisterhafte grünliche Flammen, von wehklagenden gespenstischen Gefangenen und von einem Gebäude das verschlossen bleiben wollte.

Ich hatte mich ganz auf das Verfolgen des Gesprächs konzentriert, so erkannte ich nicht gleich, dass wir Ravengro verlassen hatten und bereits erneut dem Pfad auf den Hügel hinauf zu der Ruine folgten. Schreckenfels war ein trostloser Ort. Ein Haufen Rost, Schutt und Unkraut. Die Erben waren offensichtlich auf der Suche nach einem Zugang zu dem ausgebrannten Gefängnis.

Um den Haupteingang machten sie einen verdächtigen Bogen. So versuchten sie es zunächst auf dem ehemaligen Schafott. Eine schwarze Sense erschien und griff die Erben an. Es war kein Schauermärchen! Der Henker wachte tatsächlich noch über die Hinrichtungsstätte. Runa beschwor mit den dunklen Worten der Dämone das heilige Licht der Sonne auf die Sense herab, während Pami nach den skelettierten Armen trat, die die finstere Waffe führten. Eine Bombe der Variserin zersprengte die Henkerssense schließlich, deren Überreste sich zu schwarzem Schleim auflösten und blasenwerfend zerflossen.

Der Gnom hatte nach der Aufregung des Kampfes eine Tür entdeckt, doch auch mit vereinten Kräften gelang es den Erben nicht sie zu öffnen. Bestimotor von Simmelwitz befahl seiner stummen Begleiterin Pami das baufällige Dach zu erklimmen. Morsche Holzbalken ragten zwischen den Schindeln heraus, wie blanke Knochen aus dem zerfetzten Brustkorb eines riesigen Ungeheuers. Ohne sich zu beschweren kletterte die bleiche Kriegerin hinauf. Oben angekommen warf sie den Erben ein Seilende hinunter und zog einen nach dem anderen hinauf.

Neugierig folgte ich den Abenteurern. Über einen schmalen Austritt gelangten sie zu einem Türmchen. Da schoss eine fette, rotschwarze Blutmücke aus dem Schatten der Warte. Mit wenigen gut gezielten Tritten schickte Pami das Biest auf die ruinierten Holzschindeln des Daches. Der kleine Turm hielt allerdings nur Schutt und nicht den gesuchten Zugang bereit. So stiegen die Erben wieder in den Gefängnishof hinab und umrundeten das Haupthaus.

Im Osten von Schreckenfels hatte sich ein dunkler Teich gebildet. Aus dem verdreckten Wasser ragten ruß geschwärzte Mauern, während darüber dichte Efeuranken die gähnenden Löcher in der Ostwand des Hauptgebäudes verdeckten. Die Erben beschlossen an der Pflanze ins Innere zu klettern. Wieder schickte von Simmelwitz seine stumme Dienerin voran. Als Pami die Ranken erreicht hatte, öffneten sich blutrote Knospen und spuckten eine purpurfarbene Wolke. Die geöffneten Blütenblätter zeigten schwarzweiße Muster, die an bleiche Totenschädel mit leeren Augenhöhlen erinnerten. Wie ich meine Faszination für die ungewöhnliche, heimtückische Pflanze überwunden hatte, waren die Abenteurer geflohen. Von Pami fehlte jede Spur und die drei Erben spurteten auf das Tor zu.

Ich hatte noch nicht zu ihnen aufgeschlossen, da machten sie schon wieder kehrt und kamen zurück. Tira Krähenfuß, das Kellidenblut, und Iacobus Antonius Santorio, der einsame Wandersmann, waren bei ihnen. Und auch Pami schlüpfte wenig später durch das Tor. Ich war verwirrt. Wie die Zauberkundige und der Glaubensmann ihren Weg nach Schreckenfels gefunden hatten konnte ich mir erklären, doch nicht wie die bleiche Begleiterin des Gnoms hinter die Mauer gekommen war.

Um nicht entdeckt zu werden huschte ich schnell in das verfallene Herrenhaus vor dem Hauptgebäude.

Unbemerkt beobachtete ich wie die Erben mit neuem Mut noch ein Mal versuchten über die Tür neben dem alten Schafott in das Haupthaus zu gelangen. Wieder machte ich mich heimlich an ihre Verfolgung. Der Gnom befahl seiner Dienerin so lang auf das eisenverstärkte Holz einzuschlagen, bis die Tür nachgab und in ihre Einzelteile zerfiel.

Die Abenteurer erreichten einen Korridor an dem sich Zelle um Zelle aufreihte. Zwischen den Gitterstäben hingen die skelettierten Überreste der elend verreckten Gefangenen. Ihre Knochen waren vom Feuer schwarz und vom späteren Pilzbefall grün gefärbt.

Aus den Schatten schälte sich plötzlich eine Gestalt in der zerrissenen Kutte der Häftlinge von Schreckenfels. Die Erben schienen ihre Anwesenheit nicht wahrgenommen zu haben, denn als sie langsam eine silberne Flöte zum Munde führte und begann ein uraltes Trauerlied zu spielen, zuckten sie nur furcht erfüllt zusammen. Zu den Flötentönen mischte sich das Geräusch lederner Schwingen in der abgestandenen Luft der Ruine und das Klappern eingesperrten Gerippe, die zu unheiligem Leben erwachten.

Gittertüren wurden aufgestoßen und die Untoten wandelten auf den Korridor hinaus. Beherzt stellte sich ihnen Runa in den Weg. Sie sprach Gebete zu ihrer Göttin Sarenrae in blasphemischem Abyssisch und aus ihrer Brust brachen goldene Sonnenstrahlen heraus. Das heilige Licht brannte sich durch die kreischenden Skelette, während der schaurige Flötenspieler nur einen einzigen Ton verfehlte. Ich wendete den Blick ab.

Unablässig brüllte die zarte Runa mit dunkler Kehle gegen die mut raubende Melodie der verhüllten Gestalt an und kanalisierte die positive Energie der Morgenblume. Völlig hilflos eilte ich den Gang hinunter auf das Schafott hinaus. Ich konnte da drin nichts für die Streiter Ravengros tun.

Mhyr

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Die Chronik der Silbernen Raben
« Antwort #6 am: 27. November 2012, 08:15:48 »
10. Rova, 4711 AK
Pfalzgrafschaft Kanterwall, Ravengro


Der Morgen war grau. Vor meinem Fenster im Lachenden Dämon trieb eine undurchsichtige Nebelsuppe über den Köpfen aufgeregter Ravengroer. Aufgrund der unheimlichen Vorkommnisse der vergangenen Tage und Nächte, war eine außerordentliche Ratsversammlung angesetzt worden. Jeder Dorfbewohner wollte seine Ängste und Bedürfnisse kundtun und hoffte offenbar auf Erlösung von den Schrecken die Ravengro heimsuchten.

Ich beschloss mir das Schauspiel im Rathaus nicht entgehen zu lassen.

Der Versammlungssaal war bereits gut besucht, als ich am frühen Vormittag dort eintraf. Alle waren sie gekommen: Bauern und Großbauern, Händler und Handwerker, Geistliche und Gelehrte, von letzteren gab es in Ravengro jedoch nicht allzu viele. Die langen Holzbänken füllten sich, bis die Leute stehen mussten. Als auch keine Stehplätze mehr frei waren, reihten sich die Männer und Frauen auf dem Korridor auf, um den einen oder anderen Blick zu erhaschen oder einfach nur um mithören zu können.

Die Ratsherren und der Konstabler standen auf einer breiten Bühne am Ende des Saals. Bevor einer von diesen feinen Herrschaften das Wort ergriffen hatten, begannen die Dorfbewohner ihre Meinung laut herauszuschreien. Bald erklang ein beunruhigender Chor von Klagestimmen. Es fiel schwer die einzelnen Personen zu verstehen, doch hier und da verstand ich einen der Berichte. Eine Halblingsdame mittleren Alters erzählte von einer Feuersbrunst über den Köpfen ahnungsloser Kartenspieler, von Schreckgespenstern im Keller und blutbeschmierten Schlafzimmerwänden, aber auch von Geisterjägern. Sie deutete auf eine Gruppe bekannter Gesichter, die den Erben Lorrimors gehörten. Nur Kendra und der einsame Wandersmann waren nicht zu sehen.

Vaschian Feuerross trat an das Rednerpult und bat mit einem Handzeichen um Ruhe. Die aufgebrachte Menge verstummte. Diese Ravengroer waren doch höriger als gedacht. Der Ratsherr erläuterte in gewohnt unbeeindruckter Manier die Sachlage. Er sah in der Priesterschaft Pharasmas und den Leuten des Konstablers die einzige Möglichkeit und Lösung, den rastlosen Toten und Schändungen des Denkmals Herr zu werden.

Die Ravengroer begannen bereits wieder zu blöken wie die Schafe, da erhob sich Runa Corvijns glockenhelle Stimme über die erneut aufkommende Unruhe. Sie bot der Gemeinde an, mit den anderen Erben des verstorbenen Professors, nicht nur die Kirche beim Kampf gegen die Untoten zu unterstützen, sondern auch die Ermittlungen bezüglich der Entehrung Gefängnisdirektor Falkrans Andeckens zu übernehmen.

Das Angebot der jungen Frau wurde von erstauntem Raunen und Murren in der Zuhörerschaft gefolgt. Ein Mann mit misstönender Reibeisenstimme, der ungute Gibbs Hefenuss, protestierte besonders lautstark. Mehr und mehr Ravengroer taten es ihm gleich. Die wütenden Dorfbewohner steigerten sich gegenseitig in ihrem Zorn auf die Fremde, doch brachten sie nur ihre Verzweiflung zum Ausdruck.

Ohne weitere Vorwarnung explodierten die großen Öllampen an der Decke des Versammlungssaals in einem grellen Feuerregen. Durch die vor Hitze wabernde Luft zischten plötzlich zwei in Flammen gehüllte Totenschädel, während unter den Ravengroern absolute Panik ausbrach. Alle Anwesenden versuchten aus dem Saal zu fliehen. Die Leute auf dem Korridor hatten noch gar nicht verstanden was überhaupt vorgefallen war. Jeder war sich selbst der Nächste und kämpfte gegen eine kreischende Menschenmasse an. Nur die selbsternannten Retter von Ravengro behielten einen kühlen Kopf. Unter den Bruchstücken der zersprungenen Lampen zogen sie Frauen und Kinder hervor.

Wieder erklang über all dem Chaos die Stimme von Runa. Dieses Mal jedoch in der finsteren Zunge der Dämone. Stralicia bekämpfte Feuer mit Eis und holte mit zwei gezielten Frostbomben die untoten Flammenschädel aus der Luft, die mit unbarmherzigen Sturzflügen versucht hatten die mutigen Erben des Professors in das Feuer zu treiben.

Einzig und allein die Ratsherren und der Konstabler halfen den fünf Helden des Tages die Flammen zu löschen und den Rauch aus dem Saal zu vertreiben. Dankbar nahm Vaschian Feuerross schließlich das Angebot von Runa an. Er versprach jedem Erben eine satte Belohnung von fünfhundert Goldmünzen für die Erlösung von den Schrecken.

Mhyr

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Die Chronik der Silbernen Raben
« Antwort #7 am: 04. Dezember 2012, 17:41:24 »
11. Rova, 4711 AK
Ravengro, Pfalzgrafschaft Kanterwall


An diesem eiskalten Morgen versammelte sich ganz Ravengro wieder am Denkmal von Gefängnisdirektor Lyvar Falkran. In der vergangenen Nacht war es wieder mit Blut geschändet worden. Die Buchstaben V, E und S waren in schillerndem Rot im grellen Licht der frühen Sonne unter dem grauen Schleier des Herbstes zu erkennen. Für mich war das keine große Überraschung mehr. Heute jedoch verfielen die ersten Dorfbewohner in weinerliche Klage. Sie hatten Angst, sie fürchteten sich vor dem makabren Schriftzug der sich da an ihrem Heiligtum, an ihrem Ort der Heldenverehrung abzeichnete.

Stralicia Mancini war bereits unter den verzweifelten Ravengroern. Sie befragte zusammen mit Santorio und einem unbekannten Burschen im Waffenrock Iomedaes Benjan Keller. Wenig später traf ein Helfer des Konstablers mit einem blassen jungen Mann in den schwarzen Gewändern der Kirche Pharasmas ein, der sich dem hochgewachsenen Unbekannten als Akolyth Alukard vorstellte. Dieser zog die weiße Kapuze vom Kopf, streifte den riesigen Schild vom Arm und reichte Alukard die Hand. Er gab sich als Schildknappe Balduan der Ritter von Ozem aus, während sein goldenes Haar in der Morgensonne schimmerte. Sogleich machte sich der Pharasmit an die Untersuchung des Blutes das die Ermittler umgab. Alukard setzte verschiedene Phiolen, Lösungen und Instrumente ein, konnte offensichtlich aber auch nichts genaueres feststellen. Die Ermittler unterhielten sich noch eine Weile, unglücklicherweise konnte ich nicht verstehen was sie sagten. Der Akolyth begleitete sie und ich folgte ihnen als sie nach Süden aufbrachen.

Wir wanderten den Hügel nach Schreckenfels hinauf. Von den anderen Erben Lorrimors fehlte jede Spur. Es war wirklich ein trauriger, farbloser Ort bar jeder Hoffnung. Stralicia wollte die drei Männer um das Haupthaus führen, doch Santorio und der Schildknappe betraten die Ruine durch den Haupteingang. Ich wartete eine Zeit, dann begab auch ich mich in die Schatten von Schreckenfels.

Eine brüllende Horde grässlich entstellter, geisterhafter Gefangener stürmte mir entgegen. Ich warf mich in einen der verwüsteten Warteräume und ließ die dunklen Schemen passieren. Die Ermittler waren getrennt worden. Balduan versuchte mit seinem Schild eine der fünf Türen in der Eingangshalle aufzustoßen, während Santorio einen Pfeil im Anschlag hielt. Stralicia und Alukard waren nicht zu sehen, ich vermutete die beiden hinter der Tür. Ein weiterer beherzter Stoß von Balduan und die Flügel sprangen auf. Die Variserin und der Akolyth standen zitternd in einem kargen Gerichtssaal.

Schweigend durchquerten wir eine Reihe von Räumen, bis wir in eine rußgeschwärzte Heizkammer gelangten. Die Ermittler schlüpften durch eine schmale Tür, während ich noch den alten Ofen begutachtete. Ich spürte die Anwesenheit eines bösen Geistes hinter dem rostigen Metall. Dann hörte ich ein schrilles Kreischen aus der Brennkammer. Es waren die letzten Schreie eines verbrennenden Mannes. Erschüttert wich ich zurück.

Die Ermittler mussten in einen Kampf geraten sein, denn als ich einen Blick auf die vier riskierte schloss Alukard unter Gebeten zu seiner Göttin die Wunden der Variserin. Sie waren in ein altes Krankenzimmer vorgedrungen. Zwischen löchrigen Feldbetten fanden sie verschiedene Salben, Gegengifte und Heiltränke, die mit dem heiligen Symbol Pharasmas markiert waren. Geheilt und gerüstet machten sich die vier Ermittler wieder an die Erforschung der Gefängnisruine. Sie entdeckten eine Pilzbefallene Waschküche, staubbedeckte Donnerbalken und jede Menge Unrat. Bewacht wurden die heruntergekommenen Räume von belebten Gegenständen. Erst der Zwangsmantel in der modernden Waschküche und dann die rostigen Handfesseln in dieser übergroßen Rumpelkammer, irgendjemand oder irgendetwas hauchte diesen Dingen unnatürliches Leben ein.

Wir erreichten einen Raum, dessen Tür nun bereits seit Jahren auf dem kalten Steinboden liegen musste. Wie die dunkle Kammer auf der anderen Seite des Türrahmens war das Türblatt von dicken Spinnweben bedeckt. Die Ermittler erleuchteten diese Dunkelheit mit dem Licht der Göttin Iomedae das vom Schwert des Schildknappen und vom Bogen Santorios strahlte. Sogleich stürzten sich die haarigen Weberinnen der Netze auf die Menschen. Ich vertraute in die Fähigkeiten der Abenteurer und folgte dem schmalen Gang neben der Kammer bis zu einer weiteren Tür. Dahinter lag der Korridor zur Eingangshalle.

Ich hörte Stimmen. Es war nicht das Raunen der Toten, es waren die anderen Erben Professor Lorrimors. Runa und Tira unterhielten sich, als Bestimotor Pami befiehl Gewalt anzuwenden. Die beiden Gruppen mussten zusammengeführt werden, um gemeinsam gegen das Böse anzukämpfen das der Ruine innewohnte. Ich eilte zurück.

Die drei Glaubensmänner waren noch damit beschäftigt die Kammer von den Spinnweben zu befreien. Offenbar handelte es sich um eine Kapelle die einst Pharasma geweiht worden war, so konnte ich nur die Aufmerksamkeit der Variserin gewinnen. Mit einer kleinen Illusion und verschiedenen Verzauberungen lockte ich Stralicia zur Eingangshalle. Dort hatten die drei anderen Erben die Geister der Gefangenen aufgeschreckt. Die negativen Energien von Schreckenfels hatten sich in den Türen manifestiert, die alle übernatürlich fest verschlossen waren. Es dauerte also bis Pami die Tür zum Korridor eingeschlagen hatte, doch dann standen sich die Abenteurer mit überraschten Gesichtern gegenüber. Ich hatte es geschafft, sie waren wieder vereint.

Ein Schatten am Ende des Korridors erregte die Aufmerksamkeit von Stralicia und Pami. Es war ein weiterer belebter Zwangsmantel der lautlos durch die Dunkelheit schwebte. Die bleiche Kriegerin stürzte sich auf das schwarze Leder. Sie teilte ein paar Schläge und Kratzer aus, bevor der Zwangsmantel sie völlig umschlossen hatte und die Luft aus ihren Lungen drückte. Pami stürzte bewusstlos auf den kalten Steinboden, während Stralicia mit ihrem Knüppel auf den Zwangsmantel eindrosch. Tira feuerte Bolzen um Bolzen mit ihrer Armbrust und Runa beschwor mit Dämonenzunge Sarenraes Macht. Ich wendete von dem grellen Licht den Blick ab, doch als ich wieder hinsah, konnte ich Bestimotor in der tödlichen Umarmung des Mantels erkennen. Wie eine nasser Sack fiel der Gnom auf den Boden.

Der Geist eines Gefangenen von Schreckenfels erschien an der Seite von Bestimotor. Von seiner kräftigen Gestalt hingen geisterhafte Ketten herab, die begannen sich wie Schlangen um den leblosen Körper des Gnoms zu wickeln. In die Fesseln waren die heiligen Symbole unzähliger Götter eingelassen, die in einem pulsierenden blauen Licht erstrahlten. Stralicia wollte ihrem bewusstlosen Gefährten einen Trank einflößen, da wand sich Bestimotor mit schmerzverzerrtem Gesicht und schlug ihr das Fläschchen aus der Hand. Die magische Flüssigkeit spritzte auf die geisterhaften Ketten und rief eine heftige Reaktion hervor. Sie zischten wie Eisen, das von einer starken Säure angegriffen wurde. Dem Geist des Gefangenen über Bestimotor schenkte keine von den Abenteurerinnen Beachtung. Konnten sie den feist grinsenden Schemen etwa nicht sehen? Während noch immer die abscheulichen Worte Runas durch den Korridor hallten, zerstörte Tira mit einem Feuerzauber den belebten Zwangsmantel. Nun legte auch die Hexe ihre heilenden Hände auf die blau leuchtenden Ketten. Sie sprach die uralten Zauberformeln ihrer zwielichtigen Zunft und die Fesseln zersprangen. Der Geist verging laut schreien in grünblauen Flammen, während Bestimotor die Augen aufschlug. Die drei Damen hatten dem Gnom das Leben gerettet.

Obwohl Bestimotor bereits mit einem Fuß auf Pharasmas Beinacker gestanden hatte, begannen die Abenteurer nach den drei Glaubensmännern zu suchen. Stralicia führte die Gruppe zurück zu der alten Gefängniskapelle. Dort fehlte jedoch jede Spur zum Verbleib der Iomedaeanhängern und dem Pharasmaakolythen. Leicht verstört drängte die Variserin weiter in den Westflügel der Ruine vor.

Am Ende des schmalen Korridors entdeckten die Abenteurer eine Kammer, aus der es bis auf den dunklen Gang heraus nach verbranntem Fleisch roch. Sie hielten sich nicht lang in dem Gestank auf, sondern schlossen die Tür zu dem Raum wieder und folgten dem Korridor weiter nach Norden. An einer aufgequollenen Tür machten sie wieder halt. Pami stieß sie mit wenigen kräftigen Tritten aus dem Rahmen. Die kleine Gruppe betrat eine verwüstete Werkstatt. Stralicia hatte gerade den zierlichen, skelettierten Arm einer Frau in einem Haufen Unrat entdeckt, da erschien eine geisterhafte Dame aus bläulichem Licht. Sie trug ein wallendes Kleid und die langen Handschuhe einer Höhergestellten.

Bevor die Abenteurer ihre Waffen gehoben hatten, sprach sie mit klarer Stimme: “Endlich seid Ihr eingetroffen! Wir warten schon so lang auf Verstärkung und die Wachablöse. Man nannte mich einst Vesorianna Falkran, ich war die Gattin des Gefängnisdirektors.” Jedes Wort von ihren vollen Lippen wurde von einer weißen Wolke begleitet wie Trauergesang in einer kalten Winternacht. Die Tote erzählte den Lebenden vom Geist ihres Ehemanns und wie er die fünf mächtigsten Geister, die der berüchtigtsten Gefangenen, auch im Jenseits noch auf Schreckenfels festhielt. Erst die Ankunft von “flüsternden Männern und Frauen in schwarzen Roben” hielt Lyvar Falkran von der Erfüllung seiner Pflicht ab. “Der Anführer dieser geheimnisvollen Gestalten, ein ausgezehrter Mann in blankem Knochenharnisch, trug einen schaurigen Zauberstecken von dessen Spitze ein geknebelter Totenschädel ins Leere starrte. Mit eben jenem Stecken schleuderte er seine todbringende Magie auf einen Ravengroer. Ich hatte den Dorfbewohner bereits zuvor an der Ruine gesehen, doch den Zaubern des Flüsternden hatte er nichts entgegenzusetzen.”, fuhr sie weiter fort. Eine Zeugin, wir hatten tatsächlich eine Zeugin des Mordes an Lorrimor gefunden!

Doch Vesoriannas Rolle auf Schreckenfels war weit bedeutender. Sie hatte den Platz ihres Gatten eingenommen und hielt die untoten Gefangenen davon ab in die Welt der Lebenden zu entweichen. “Dort würden die rachsüchtigen Geister unsagbare Schrecken und Verderben verbreiten.”, prophezeite sie. Vesorianna spürte allerdings auch, dass einer der Fünf – der Zermatscher – stetig an Macht gewann. Er arbeitete irgendwo in der Dunkelheit der unteren Verliesebene an ihrer Vernichtung. Die Abenteurer berichteten der geisterhaften Dame von den blutigen Lettern am Schreckenfelsdenkmal, die ihnen daraufhin bestätigte, dass ihr ausgeschriebener Name sie unwiederbringlich zerstören würde, womit die letzte Barriere zwischen den untoten auf Schreckenfels und den Lebenden in Ravengro gefallen wäre.
« Letzte Änderung: 04. Dezember 2012, 17:53:34 von Mhyr »

Mhyr

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Die Chronik der Silbernen Raben
« Antwort #8 am: 15. April 2013, 10:53:09 »
12. Rova, 4711 AK
Ravengro, Pfalzgrafschaft Kanterwall


Ich folgte dem Akolythen Alukard an diesem trostlosen Tag über das Ruheland. Der blaue Herbsthimmel blieb hinter einer dunklen Wolkendecke verborgen. Am vergangenen Abend hatten die Erben Professor Lorrimors die Wandelnden Toten vernichtet, die aus ihren Gräbern gestiegen waren um Ravengro in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Männer des Konstablers, aber auch die Glaubensbrüder des Akolythen hatten ihr Leben gegeben um den Dorfbewohner etwas mehr Zeit zu verschaffen. Zeit, die den Erben Lorrimors genügt hatte, um die Zombies und Skelette zu zerstören.

Heute blieb dem jungen Mann in den schwarzen Gewändern der Anhängerschaft Pharasmas nur noch die Toten zu bergen. Mit einem laut tönenden Karren brachte er die Leichen zurück zum Tempel. Als Alukard seine traurige Pflicht erfüllt hatte, machte er sich auf zum Lorrimorhaus. Vater Vauran Grimmgräber hatte ihm geheißen den Dank der Kirche zu überbringen. Doch die Helden von Ravengro waren nicht anzutreffen. Kendra Lorrimor, die Tochter des verstorbenen Professors, wies dem Akolythen den Weg zur Ruine von Schreckenfels.

*     *     *     *     *

Im Osten des Parterres entdeckten wir ein Seil, das in die Dunkelheit des Kerkers hinabführte. Unten angelangt, folgte Alukard den Stimmen von Lorrimors Erben die durch die dunklen Gewölbe raunten.

Wir fanden Runa, Stralica und Tira, die Glaubensmänner Iacobus und Balduan, sowie den Gnom und seine befremdliche Begleiterin Pami in der ehemaligen Folterkammer von Schreckenfels. Der Schildknappe wandelte gerade wie von Sinnen auf eine Eiserne Jungfrau zu, die wie von Geisterhand langsam aufgeschwungen war. Er murmelte etwas von “Kendra”, als er sich in die todbringende Umarmung des Folterwerkzeugs begab. Seine Gefährten stürmten auf die Eiserne Jungfrau ein und schlugen geräuschvoll ihre Waffen gegen ihren hohlen Metallkörper. Das abscheuliche Folterwerkzeug sprang auf und gab den blutüberströmten Balduan frei.

Verwirrt taumelte der Schildknappe in die Mitte der Kammer. Alukard schlüpfte durch die Tür, trat auf den hochgewachsenen Mann zu und schloss mit der Magie Pharasmas seine Wunden. Freudig überrascht begrüßten die Helden von Ravengro den Akolythen, bevor sie gemeinsam den Raum durchsuchten.
Stralicia entdeckte eine Geheimtür. Bereit loszuschlagen versammelten sich alle um Pami, die kniend den Mechanismus auslöste der die Wand knirschend zur Seite gleiten ließ.

Die Schwerter der beiden Glaubensmänner waren in goldenes Licht gehüllt, das sich gebrochen auf den feuchten Steinwänden des Geheimgangs spiegelte und das dunkle Wasser auf seinem Boden zeigte. Beherzt wateten die Abenteurer voran. Ich blieb zurück, bis mich Kampfeslärm näher an die Geheimtür lockte. Doch bis heute vermag ich nicht zu sagen was sich den Frauen und Männern aus Ravengro in den Weg gestellt hatte, denn ich konnte zwischen ihren tanzenden Schatten nur spritzendes Wasser ausmachen. Selbst als ich ihnen später durch den dunklen Geheimgang folgte, entdeckte ich lediglich einen vollkommen stillen, schwarzen Wasserspiegel.

Auf der anderen Seite dieser feuchten Finsternis lag ein heruntergekommener Zellentrakt. Auch hier hatten sich unzählige Rinnsale an den Wänden gebildet, die in ein Kerkerloch im Zentrum der Anlage plätscherten. Stralicia, Bestimotor und Balduan waren gerade damit beschäftigt diese Grube zu ergründen, als ich mich aus dem Geheimgang in die angrenzende Zelle wagte.

In heller Aufregung bemerkten die Abenteurer Blutströme, die aus dem Kerkerloch quollen und über das Mauerwerk, hinauf in das Gewölbe der Kammer stiegen. Erfolglos versuchten sie daraufhin die roten Ströme aufzuhalten, die begannen einzelne Buchstaben an den Wänden zu formen. Nach und nach erkannten die Helden von Ravengro wie ihre eigenen Namen auf diese unerklärliche Weise geschrieben wurden. Angsterfüllt verstärkten sie ihre Anstrengungen die blutigen Schriftzüge zu zerstören. Sie hatten ermittelt, dass einer der fünf mächtigsten Geister unter den Gefangenen von Schreckenfels – der Zermatscher – seine Opfer brutal ermordete sobald er ihre Namen mit Blut ausgeschrieben hatte. Ganz so wie es am Schreckenfelsdenkmal geschehen war, ebenso wie in Tiras Alptraum. Jegliche Fassung verloren, schlugen die Frauen und Männer blind vor Wut und Verzweiflung nur noch auf das Mauerwerk ein.

Es gelang ihnen die blutigen Letter auszulöschen, doch brachten sie auch einen Teil des Gewölbes zum Einsturz, der sie um ein Haar erschlagen hätte. Dennoch erleichtert mit dem Leben davongekommen zu sein, erhoben sich die Abenteurer aus den Trümmern, als ein geisterhaftes Gerippe aus den Tiefen des Kerkerlochs empor schoss. Dabei gab es eine schauderhafte Mischung aus Gelächter und Wutschrei von sich. Das schwarze Skelett schwebte bis unter die Decke und musterte die Eindringlinge mit zornigen, rot glühenden Augen. Es musste sich einfach um den Zermatscher handeln. Mit einer geflüsterten Zauberformel beschwor der Geist riesige Ratten aus den Schatten der Gefängnisruine, während ihn Iacobus und Stralicia bereits attackierten. Der Glaubensmann hatte einen magischen Pfeil in den Brustkorb des Untoten gefeurt und die Varisianerin eine Geisterfalle eingesetzt, die nun bläulich leuchtend an seiner unnatürlichen Existenz zerrte. Als die dämonischen Worte Runas die Kammer in heilige Flammen tauchten, zog ich mich in den Schutz des Geheimgangs zurück.

Ich wartete in der Dunkelheit.

Als Stille in den Zellenblock eingekehrt war, riskierte ich einen Blick:
Mit der Magie ihrer Götter hatten die Helden von Ravengro den Zermatscher besiegt!

Um das weitere Vorgehen abzusprechen, machten sie sich auf den Weg zu Vesorianna. Ich eilte ihnen voraus und wartete auf den Gängen nördlich der Werkstatt, wo die Frau des Gefängnisdirektors bei dem schrecklichen Brand auf tragische Weise ihr Leben verloren hatte.

Die Abenteurer waren gerade wieder auf den Korridor herausgetreten, da stützte sich Tira Krähenfuß völlig erschöpft an einer der Wände ab. Zittrig hielt sie sich das Haupt. Das aufgeregte Krächzen ihres Raben hallte durch die Gefängnisruine und hielt die Gefährten des Halbblutes zurück.

Es war Alukard der sich Tira erbarmte. Furcht hatte sich dem Herzen der jungen Frau bemächtigt. Sie konnte sich den Schrecken dieses Gewölbes nicht länger stellen. Der Akolyth brachte die Zauberkundige daher in die Kapelle und versicherte den anderen, dass er sich ihrer annehmen würde. Alukard erkannte keine Schwäche in Tiras Verhalten, nur die Menschlichkeit welche an diesem Ort schon zu lang nicht mehr gezeigt worden war.

Wieder stiegen die Helden von Ravengro in die Kerkerebene hinab. Im Norden lag der einzige Zellentrakt, den sie noch nicht erkundet hatten.

Ein Schatten huschte über den Gang. Pamis Kopf fiel zu Boden. Ihr Mörder war blitzschnell gewesen und ich zu weit entfernt, um es genauer schildern zu können. Die Begleiterin des Gnoms hatte den Rücken der Abenteurer gedeckt und dies mit dem Leben bezahlt. Betroffen bildeten Balduan und Iacobus, Runa und Stralicia, aber auch Bestimotor einen Kreis. Ich konnte ihre Angst förmlich riechen.

Dann wagten sie sich doch weiter in den nördlichen Zellenblock vor. Der Schildknappe Balduan führte sie dabei an. Und ich folgte ihnen.

Als ich die Stelle erreicht hatte, an der die Kriegerin gefallen war, fand ich nur einen dunklen Fleck auf dem staubigen Steinboden vor. Es handelte sich um die Rückstände einer klebrigen purpurfarbenen Masse. Das war kein gewöhnliches Blut. Mein Verdacht, dass der Gnom im Bunde mit Wesen anderer Existenzebenen war, erhärtete sich.

Obwohl wir alle Pamis Mörder im Rücken der Abenteurer vermutet hatten, wurde der Glaubensmann plötzlich angegriffen. Unter lauten Schlachtrufen stürmten die Helden von Ravengro in die große Kammer am Ende des Korridors; geradewegs in die Falle des Kopfjägers, denn der schemenhafte Gefangene nutzte die Gitterstäbe der Zellen im folgenden Kampf geschickt zu seinem Vorteil. Wieder und wieder schlug er garstige Wunden in das Fleisch der Frauen und Männer. Ein roter Nebel kroch aus diesen stark blutenden Verletzungen und strömte zu dem Todesalb. Er schien dem untoten Wesen immer wieder Kraft und Stärke zu verleihen, hatten die Lebenden es verwundet.

Jedoch war es auch dieser vampirische Nebel, der dem Kopfjäger zum Verhängnis wurde. So konnten die Helden von Ravengro den letzten der fünf Geister mit Hilfe des Blutnebels aufspüren und zur Strecke bringen.
Nachdem die Waffen der Abenteurer kaum eine Wirkung gezeigt hatten und ihre Macht Zauber zu wirken versiegt war, schluckte die Alchemistin Stralicia Mancini ein rot glühendes Gebräu. Die Varisianerin spuckte Flammen wie ein Drache, während der Todesalb kreischend in ihrem Feuerodem verging.

Triumphierend kehrten die Erben Lorrimors und die Glaubensmänner zu Vesorianna zurück. Sie berichteten ihr vom Sieg über den letzten der fünf Geister und der Sicherung von Schreckenfels

Die blauen Lippen der geisterhaften Edeldame verzogen sich zu einem Lächeln. Voller Dankbarkeit machte sie einen Knicks, dann begann ihre Erscheinung zu verblassen. Unter freundlichen Worten und einem letzten Seufzer, war sie  plötzlich verschwunden. An ihrer Stelle schwebte die goldene Dienstmarke ihres Ehegatten zu Boden, die sanft zu glühen begann.

Mhyr

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Die Chronik der Silbernen Raben
« Antwort #9 am: 22. April 2013, 23:10:49 »
15. Rova, 4711 AK
Ravengro, Pfalzgrafschaft Kanterwall


Der graue Nebelschleier hatte sich endlich gelichtet und gab den Blick auf einen strahlend blauen Himmel, weiße Wolken und die goldene Sonne preis. Auch das Dorf war nicht wiederzuerkennen. An jeder Straßenecke fanden sich kleine Verkaufsstände mit den verschiedensten Köstlichkeiten: dicke, rote Knoblauchwürste und würzige Fleischspieße, saftige Gänseleberpasteten und sogar Kolasch, die heiligen Teigzöpfe Pharasmas gehörten zu dem reichhaltigen Angebot. Zokar Elkarid, der Wirt des Lachenden Dämons, schänkte seine Flüßigen Geister mit einem besonders breiten Grinsen in handlichen Fläschchen aus, während Sarianna Wai, die Besitzerin des Grenzgasthofs, dunkles Bier in schweren, irdenen Krügen an den Mann brachte. Plötzlich rollte gar eine ganze Wagenladung Caydenbräu über den Dorfplatz. Ich folgte den tanzenden Fässern über die unebene Straße nach Westen.

Eine Gruppe grölender Burschen mit grünen Orkmasken stürmte an mir vorüber. Ich wirbelte orientierungslos umher, doch als ich die bunt gespickten Felder vor Ravengro erblickte, wusste ich was hier gespielt wurde. Wie jedes Jahr hatte das Wandernde Volk neben den Festzelten der Dorfbewohner ihre farbenprächtigen Planwagen aufgeschlagen und es wurde Orktoberfest gefeiert!

Ich sah die Ravengroer beim Hau’ den Lukasch und beim Armbrustschießen, mit Lederbällen auf scheppernde Orkhelme werfen und giftgrüne Zuckerfinger lutschen. Alendru Ghoroven, der wortkarge Besitzer der Offenen Schriftrolle, versah die zahlkräftigeren Kunden sogar mit etwas Flugmagie. So schwebten über den Köpfen der Festbesucher feine Damen in aufgebauschten Kleidern und Edelmänner in flatternden Röcken.

Die jungen Männer und abenteuerlustigen Weiberleute machten dabei Jagd auf die berüchtigten Schwarzen Rosen. Zum Ausdruck ihres guten Willens und Beistands soll Pharasma diese heiligen Blumen in ihrer dunklen Pracht erblühen lassen, und so trugen die Rosenbüsche in Ravengros Tempelgarten am Morgen jener entscheidenden Schlacht gegen die marodierende Orkhorde das schwarze Gewand der Göttin. Fromme Krieger bekamen von ihren Herzensdamen eine solche Rose im Tausch gegen das Versprechen wohlbehalten wiederzukehren. Keiner von ihnen soll in der Schlacht gefallen sein und heute erinnert man sich diesem Wunder mit dem Brauch eine Rosenkönigin zu erwählen.

Erst gegen Abend versammelte sich ganz Ravengro, und vermutlich der Rest von Kanterwall, im großen Festzelt zum Wetttrinken. Kendra Lorrimor und die anderen Erben des Professors waren auch zugegen. Die Dorfbewohner traten ihren frisch gebackenen Helden freundlich und aufgeschlossen gegenüber. Kein Vergleich zu den ersten Tagen nach Petros Lorrimors Beisetzung. Die Halblinge Brando und Brienda brachten den drei Damen, den beiden Glaubensmännern und dem Gnom in karamellisiertem Zucker gebrannte Nüsse, während alle anderen höflich grüßten und die Träger des Silbernen Raben zu ihren Erfolgen beglückwünschten. Als vereidigte Ermittler der Pfalzgrafschaft hatten sie dem eingestaubten Abzeichen in Schreckenfels wieder zu neuem Glanz verholfen.

Jorfa die Schmiedin, der Wirt Zokar Elkarid und der Bauer Ianosch nahmen gerade Platz an dem langen Tisch auf der Tribühne, da sprang Stralicia Mancini zu ihnen empor. Das Wetttrinken begann mit der Wagenladung Caydenbräu, der ich zuvor aus Ravengro auf die Festwiese gefolgt war. Ianosch fiel bereits ziemlich früh neben seinen Krug unter Tisch; das grinsende Gesicht von Elkarid schlug aber wenig später zwischen dem Uskeba auf. Die Variserin musste sich schließlich in einem ehrwürdigen Zweikampf der Zwergin Jorfa und dem Gebräu aus ihrer eigenen Heimat im Westen geschlagen geben.

Akolyth Alukard führte gegen Mitternacht seinen Hohepriester, Vater Vauran Grimmgräber, zu der geschmückten Tribühne hinüber. Der Tradition nach krönte das Oberhaupt des Pharasmatempels die Rosenkönigin von Ravengro, bestimmt wurde die Glückliche jedoch durch den erfolgreichsten Wettstreiter des Orktoberfestes. Um diesen Vorkämpfer zu ermitteln zählte einst der Graf oder die Gräfin, heute die versammelten Ratsmitglieder Gharen Muricor, Schanda Faravan, Mirta Straelock und Vaschian Feuerross die gesammelten Schwarzen Rosen aus.

Nachdem Bestimotor von Simmelwitz unter brüllendem Gelächter unehrenhaft vom Wettstreit um die Krone der Rosenkönigin ausgeschlossen wurde – und das auf Lebenszeit - trat die eigentliche Siegerin, Runa Corvijn, ihre Schwarzen Rosen an den zweitplatzierten Konstabler ab. Benjan Keller gestand daraufhin der Apothekerin, Jominda Fallbrück, seine Liebe und erwählte sie zur diesjährigen Rosenkönigin.

In den frühen Morgenstunden beschloss auch ich mich im Lachenden Dämon zur Ruhe zu begeben und machte mich auf den Weg zurück nach Ravengro.
« Letzte Änderung: 29. April 2013, 22:26:41 von Mhyr »

Mhyr

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Die Chronik der Silbernen Raben
« Antwort #10 am: 29. April 2013, 22:32:58 »
19. Rova, 4711 AK
nahe Tamrivena, Pfalzgrafschaft Kanterwall


Nach dem Sieg über die bösen Geister in der Ruine von Schreckenfels hatte mich nichts mehr in Ravengro gehalten: der Springende Hans war wie die geheimnisvollen Dunklen Reiter längst weitergezogen gewesen und es hatte nicht mehr dem trüben Warten auf Helden bedurft. Sie waren bereits eingetroffen gewesen! Doch auch sie hatten sich aufgemacht ihr Erbe in Lepidstadt anzutreten. Es war für mich an der Zeit gewesen das abgeschiedene Dorf zu verlassen.

Ich folgte seinen Helden nach Lepidstadt, denn die jungen Frauen und Männer erfüllten mich mit Hoffnung in ihnen zu finden was ich wirklich suchte. In Begleitung von Kendra Lorrimor reisten wir also mit einer varisianischen Wahrsagerin nach Norden. Dabei hielt ich mich die ganze Fahrt im Wagen der Varisianerin verborgen. Obwohl ich ihre Heldentaten in Ravengro zu großen Teilen niedergeschrieben hatte, hatte ich mich bisher keinem von ihnen offen gezeigt.

In der Abenddämmerung waren wir den Verwachsenen, einer befremdlichen Schaustellertruppe aus Sonderlingen und Missgestalten vom Orktoberfest, begegnet. Ich konnte nicht verstehen was gesprochen wurde, doch nach einer Weile schlugen sich die Helden von Ravengro in die hohen, braunen Gräser am Wegesrand.

*     *     *     *     *

Stark verwundet kamen sie bei Dunkelheit aus dem Sumpfland zurück. Die Abenteurer waren einem gefährlichen Monster begegnet, einem Spinnenwesen von einer anderen Existenzebene, das sich selbst “Die Verschlingerin im wässrigen Schatten” genannt haben muss. Ein Mädchen der Verwachsenen war ihr zum Opfer gefallen und Runa hatte es im Kampf gegen die externare Mörderin besonders arg erwischt. Bleich lag sie im zittrigen Schein des Lagerfeuers da. Völlig entkräftet fielen ihr immer wieder die Augen zu, während sie im Halbschlaf von ihren Todesängsten berichtete.

Die beiden Glaubensbrüder Balduan und Iacobus waren schon vor Tagen vorausgeeilt und hatten vermutlich die Festungsstadt Tamrivena bereits erreicht; die anderen unterhielten sich an einem größeren Feuer mit den Verwachsenen. Das war die Gelegenheit mehr über die engelsgleiche Frau mit der Dämonenzunge zu erfahren!

Mit sanfter Stimme sprach ich aus den Flammen des Lagerfeuers zu der Abenteurerin. Wenn ich dabei den Anschein erweckte eine Erscheinung ihrer Göttin Sarenrae zu sein, so war das zugegeben mehr als Zufall. Sie erzählte mir ehrfürchtig von ihrer Vergangenheit, ihrer Familie, ihren Träumen und mehr von ihren Ängsten…

Mhyr

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Die Chronik der Silbernen Raben
« Antwort #11 am: 06. Mai 2013, 23:27:34 »
27. Rova, 4711 AK
Lepidstadt, Pfalzgrafschaft Vieland


Lepidstadt glich einem großen Jahrmarkt. Die Stimmung war allerdings nicht so ausgelassen wie wenige Tage zuvor noch auf dem Orktoberfest; die Besucher und Bewohner der Stadt feierten das Ergreifen der Bestie, doch warteten sie nun auf die Hinrichtung des berüchtigten Monsters. Ein riesiger Scheiterhaufen war auf dem Hauptplatz vor dem Gerichtsgebäude errichtet worden aus dem der gefürchtete Funkenmann aufragte. In dem bedrohlichen Holzkonstrukt wurden die zum Tode Verurteilten bei lebendigem Leibe verbrannt.

Bevor sich die Erben Lorrimors diesem Trubel hingaben, machten sich die drei Damen und der Gnom auf die Suche nach einer Bleibe. Kendra Lorrimor hatte gemeinsam mit der varisianischen Wahrsagerin und den Verwachsenen, vor den Toren der Stadt ein Lager aufgeschlagen. Die Glaubensbrüder Iacobus und Balduan hatten bereits einen Tag zuvor Lepidstadt erreicht und es sollte noch eine Weile dauern da die Helden von Ravengro wieder zusammenfanden.

Erst am frühen Nachmittag errungen sie letztendlich einen Schlafplatz in der schäbigen Dachkammer der Herberge Zum Leeren Katapult. Alle anderen Gästehäuser Lepidstadts hatten sich als restlos überfüllt erwiesen.

Ein kleiner schmutziger Junge, den die Wirtin nur "Bock" schimpfte, führte die Abenteurer in ihr schlichtes Gemach. Grauweißer Taubendreck bedeckte den verwinkelten Bretterboden und nur der Gnom konnte hier neben dem Jungen aufrecht stehen. Über seinem rußgeschwärzten Gesicht waren die Ansätze eines Hörnerpaars zu erkennen. Bock war ein Tiefling. In seinen Adern floss das Blut von Scheusalen. Daran Bestand kein Zweifel.

Völlig eingeschüchtert zuckte Bock bei jeder plötzlichen Bewegung seiner Gäste oder einem unerwarteten Geräusch zusammen. Nachdem er von Runa ein fürstliches Trinkgeld erhalten hatte, huschte er aus der Dachkammer.

Als die Abenteurer in die Stadt zurückkehrten, wandelte ich gedankenverloren durch die Herberge. Der Ort war still und verlassen. Die Gäste hatten sich offenbar dem Treiben in den Gassen hingegeben.

Wieder in den verdreckten Gemächern der Erben angelangt, entdeckte ich Bock über den Sachen seiner Gäste. Vorsichtig durchsuchte er ihre Gewänder, Ausrüstung und Fundstücke. Die dunklen Augen des Tieflings funkelten begeistert auf, als sie die Silbernen Raben – die Abzeichen der Ermittler Ravengros – entdeckten. Er hielt sie in das fahle Licht des einzigen Dachfensters und polierte sie mit seiner zerlumpten Weste, um sie erneut im Licht glitzern zu lassen. Dann legte er sie behutsam auf die Fußpfette und öffnete die Truhe mit Büchern, in die ich auch meine Chronik der Helden von Ravengro geschmuggelt hatte.

Er schlug mein Reisetagebuch auf und runzelte die Stirn. Dann erhellte sich sein dunkles Gesicht in einem Ausdruck freudiger Überraschung. Hastig blätterte der kleine Bursche bis zu den Überresten der ausgerissenen Seiten und damit zum Beginn meiner Aufzeichnungen in Ravengro.

Zu meinem Erstaunen sprach er jedes gelesene Wort mit. Zu lang war es her, dass meine Niederschriften – wenn auch nur im Flüsterton – laut verlesen worden waren. Ich war berührt und ließ mich von der zittrigen Stimme des Tieflings in die Vergangenheit tragen…

Mhyr

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Die Chronik der Silbernen Raben
« Antwort #12 am: 13. Mai 2013, 23:56:46 »
13. Arodus, 4711 AK
Ravengro, Pfalzgrafschaft Kanterwall


Im Norden stritten Barbaren mit den unbarmherzigen Orks von Belkzens Boden, während im Süden Galgenkopf – der Kerker des Wispernden Tyrannen selbst – seinen finsteren Schatten auf die Wälder und Hügel von Ustalav warf.

Des Tages herrschte ein bedrückender Frieden, bei Nacht die Angst vor den ruhelosen Geistern der Toten. Ein hervorragender Ort um nach den Helden dieses Zeitalters zu suchen! In Korvosa, dem Juwel Varisias, hatte ich vor vielen Monden diese Suche begonnen.

Nebel verhüllte Ustalav wann immer unsere Wagen über seine schlammigen Straßen gerollt waren. Das erbärmliche Geheul eines hungrigen Wolfs irgendwo in der mondlosen Nacht jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken. Die aufgeweichten Handelswege durchzogen das Land wie die braunen, verdreckten Adern einer Blutvergiftung den farblosen Leib des Erkrankten. Sie verbanden die Zentren Ardis, Karcau und Caliphas mit den lebenswichtigen Kornkammern von Kanterwall, den Weinbergen von Varno und dem geschuppten Silber von Versex, dem Fischfang in der Avalonbucht.

In Caliphas war ich an Land gegangen, aber erst in Ardis hatte ich die Wahrheit erkannt: Ustalav war im Verfall begriffen. Die uralten Adelsgeschlechter, die Grafen und Fürsten konnten ihren Ahnen nicht das Wasser reichen. Ihre Besitztümer hatten den Glanz von einst verloren, ihre Marmortafeln waren gesprungen, ihr Stahl mit Rost bedeckt und von ihren kunstvollen Wandgemälden blätterte die Farbe.

Es besaß jedoch ebenso die makabre Schönheit, die man den Vampiren nachsagte. Die feingliedrigen Kathedralen, Schlösser und Mausoleen suchten Ihresgleichen an der Inneren See und darüber hinaus; die Kunstsammlungen der großen Häuser waren noch immer prächtig, mit Werken aus allen Winkeln Avistans, Casmarons und Garunds.

Nachdem Königin Ileosa die Tintenteufel in alle Winde zerstreut hatte war ich also wieder auf der Suche. Mich hatte es ins Hinterland von Ustalav verschlagen, wo die Landbevölkerung noch auf Helden hoffte, auf Männer und Frauen die sie vor den Schrecken der Nacht behüten mögen. Ich war kein solcher Held und würde niemals einer sein. So hoffte auch ich auf Glücksritter und furchtlose Abenteurer. Ihre Chronik, meine Niederschrift ihrer Taten, sollte mich mit ihnen unsterblich machen.

Es war der einzige Weg mir meinen Traum zu erfüllen. Bei Caileans Kelch, ich wollte Kundschafter werden! Absalom mit eigenen Augen zu sehen, verlorenes Wissen ans Licht des Tages zu bringen und dabei von glorreichen Taten zu berichten, das war das Leben wie ich es mir erträumte.

Die Geschichten vom Springenden Hans hatten mich nach Ravengro verschlagen. Ein Nest im Schatten der berüchtigten Gefängnisruine Schreckenfels, das seine Berechtigung im Feuer auf den Hügeln verloren hatte. Ja, hier wollte ich fündig werden. Der blaue Teufel, den die Leute nur den “Springenden Hans” nannten, zog von Schänke zu Schänke durch ganz Kanterwall. Er verhöhnte die tapfersten Krieger, hüpfte von Dach zu Dach und spuckte seinen bedauernswerten Opfern garstige Worte und tödliche Flammen ins Gesicht.

An diesem Abend waren zwei Abenteurer angekommen. Ein Zwerg und eine Elfin. Sie jagten den Springenden Hans mit Axt und Bogen, und ich wollte von dieser Jagd berichten. Bevor ich mich auf den Weg in den Grenzgasthof machte, warf ich noch einen Blick in den Spiegel meiner Dachkammer:

Avanil Sternentänzer trug eine abgewetzte, rote Samtweste auf die mit Goldfaden winzige Drachenlöwen gestickt waren über einem weißen Hemd. Sein platinfarbenes Haar hatte der gutaussehende Mann mit ei­ner schlichten Lederschnur zu einem Pferde­schwanz gebändigt. Die nachtblauen Augen und die spitzen Ohren verrieten die Elfen unter seinen Ahnen. Die waldgrünen Hosen des Halbelfen steckten in passenden Kniestiefeln, während an seiner Hüfte das schlanke Rapier eines Edelmanns seiner Zeit baumelte. Mit einer fließenden Bewegung hüllte sich mein Spiegelbild in den blauen Überwurf mit dem Silberrand.

Ich wollte gut aussehen, da ich meinem Schicksal gegenübertrat, doch zu mehr hatte es nicht gereicht. Mit einem Säufzer öffnete ich die Tür.

*     *     *     *     *

Es regnete. Das Dorf war wie ausgestorben. Nur aus den großzügigen Butzenfenstern der Herberge fiel goldenes Licht auf die Straßen von Ravengro. Aus den Stallungen drang ein Flüstern an meine Ohren. Nicht viel mehr als ein Wispern in der Dunkelheit. Ich nahm all meinen Mut zusammen und fragte: “Wer da?”

Vier Gestalten, unter schwarzen Roben verborgen, schälten sich aus der Finsternis. Die Pferde wieherten verstört auf als die flüsternden Vier auf mich zukamen. Sie gaben keine verständliche Antwort, doch zwischen den aufgebrachten Pferden vernahm ich die Hufe und das rasselnde Zaumzeug eines weiteren Reittiers hinter mir. Ich vergeudete keine Zeit und riss die Tür des Gasthofs auf.

Die Abenteurer waren nicht aufgetaucht. Die vier – oder waren es gar fünf? -unbekannten Reiter aus den Stallungen hatten den Grenzgasthof nicht betreten. Nach einem langen, ereignislosen Abend des Wartens, machte ich mich also wieder auf den Heimweg in den Lachenden Dämon.

*     *     *     *     *

Eine Handvoll Dorfbewohner spielten Türme im Schankraum. Der Wirt Zokar Elkarid brachte gerade einen Humpen Bier und ein Glas Wein an das prasselnde Kaminfeuer. Der ewige Regen machte in diesem Land selbst noch die Sommernächte kalt und unfreundlich. Es kam nicht überraschend, dass die beiden Abenteurer allein am Kamin saßen. Die Leute hier fürchteten Fremde und das Unbekannte, wie der Großteil der einfachen Bevölkerung Ustalavs.

Elkarid hatte gerade mit einem breiten Grinsen meine Bestellung entgegengenommen, da sprang der Zwerg auf. Sein weißer Bart war von grauen Strähnen durchzogen und hüpfte auf seiner Brust als er mit gezogener Axt auf uns zuspurtete. Die Elfin sprach einen Zauber und trug für einen Augenblick einen rot glühenden, durchschimmernden Brustpanzer. Sie nahm ihren Bogen, schlang sich den buntgefiederten Köcher um und huschte ebenfalls mit einem Lächeln auf den Lippen an uns vorüber.

Ich wirbelte herum und folgte ihnen in die Nacht hinaus.

Blaue Flammen erfüllten die kühle Luft. Der Zwerg fiel gurgelnd zu Boden, als ihm eine dunkle gehörnte Gestalt einen funkelnden Dolch durch den Bart und die Kehle zog. Die Elfin feuerte einen grün gefiederten Pfeil auf den hinterhältigen Angreifer, doch dieser war bereits auf dem Dach des Nachbarhauses gelandet. Im silbrigen Licht des Mondes sah ich den lauernden Teufel zu einem mächtigen Sprung ansetzen. Sein Oberkörper glich dem eines jungen Mannes mit drahtigen Muskeln, während sein Unterleib die haarigen Beine und gespalteten Hufe einer Ziege aufwies. Haut und Fell des Monsters schimmerten purpurfarben auf, wie in einer Mischung von Blut und Tinte getränkt. Über seinen rot leuchtenden Augen saßen lange, spitze Hörner. Die Elfin legte gerade einen weiteren Pfeil auf die Sehne ihres Bogens, da hatte sie der zischende Teufel schon erreicht. Sie stolperte ob der Wucht des Aufpralls zur Seite, dann umgaben sie blaue Flammen aus dem Maul des Monsters. Der Springende Hans kletterte auf die Brust der gestürzten Frau und stach schrill lachend auf sie ein.

Ich traute mich nicht meine Angst herunterzuschlucken. Lautlos schlüpfte ich zurück in den Lachenden Dämon und schloss die Tür.

*     *     *     *     *

Diese Niederlage konnte mich dennoch nicht von meinem Vorhaben abbringen.
Ich werde die Blutige Spur vom Springenden Hans weiterverfolgen und schwöre mit diesen Zeilen nicht zu ruhen ehe ich die Helden dieses Zeitalter gefunden!

Mhyr

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Die Chronik der Silbernen Raben
« Antwort #13 am: 20. Mai 2013, 23:27:22 »
28. Rova, 4711AK
Lepidstadt, Pfalzgrafschaft Vieland


Die zurückkehrenden Erben Lorrimors verscheuchten mich aus meinem Versteck in der Dachkammer. Am gestrigen Tag hatten sie offensichtlich noch die Freunde des toten Professors, Embreth Daramid in ihrem herrschaftlichen Stadthaus und Montagnie Kroll in der Universität zu Lepidstadt aufgesucht. Genächtigt hatten sie trotz der Mühen des Vortags aber nicht im Leeren Katapult.

Im Schankraum schlugen sich die anderen Gäste mit einem kümmerlichen Morgenmahl aus Haferschleim und trockenem Brot den Bauch voll. Der Bestienprozess war in aller Munde. Die Geschichte war nur so furchtbar enttäuschend. Sie hatte keine Helden. In blinder Zerstörungswut war das Scheusal von Gardisten in der Universität festgesetzt worden. Und dann hatte auch noch Richterin Embreth Daramid die Erben Lorrimors damit beauftragt die Schuld des Monsters zu überprüfen. Sie stellte diese tatsächlich in Frage! Warum? Die Bestie suchte Lepidstadt bereits seit Dekaden heim, erschlug harmlose Männer, erdrosselte Frauen im Schlaf und raubte unschuldige Kinder! Sie hatte es verdient zu brennen! Genau wie ihr gottloser Schöpfer, der die Bestie aus Mördern und Vergewaltigern, aus Orks, Trollen und Schlechterem zusammengefügt hatte.

Aber ich wollte dem Urteilsvermögen der Helden Ravengros Vertrauen schenken, sie bei ihren Untersuchungen begleiten und mir ein eigenes Bild von der Sachlage machen.

*     *     *     *     *

Nebel verbarg den Dippelweihersumpf vor meinen Augen, doch nicht so sein schauriges Gurgeln, ruheloses Brodeln und widerwärtiges Schmatzen vor meinen Ohren. Ich folgte den Erben Lorrimors in sicherem Abstand auf meinem Geisterross, das ich mit der letzten verbliebenen Schriftrolle des Zaubers beschworen hatte.

Wir erreichten den Weiler Morast noch am frühen Vormittag. Zwischen weißen Nebelfetzen standen vermodernde Holzbauten aus den Marschen. Blaue und grüne, gelbe und purpurfarbene Pilze wucherten an Pfeilern, Balken und Sumpfgras gedeckten Dächern. Schmale Planken und ungeschälte Baumstämme verbanden die einzelnen Gebäude, die wie geheimnisvolle Inseln im Dunst trieben.

Die Erben Lorrimors sprachen beim Dorfältesten vor, während ich über die vertäuten Nachen der Fischer weiter in den Sumpf hinaus wandelte. Plötzlich kletterten die drei Damen, gefolgt von drei Sumpfbewohnern aus dem Nebel zu den Booten herab. Ich verbarg mich in einem Haufen Fischernetze, kurz darauf spürte ich wie sich der Nachen in Bewegung setzte.

Als ich aus meinem Versteck lugte näherten wir uns einer bewaldeten Insel. Fetische aus Knochen, Federn und Tierhäuten hingen von den verkrüppelten Ästen toter Bäume und steckten zwischen immergrünen Nadeln. Die Fährmänner aus Morast blieben in den Nachen zurück, während die Abenteurer an Land wateten. Ein elendes Gebrüll durchbrach die trügerische Stille und eine monströse Gestalt erhob sich in den bedeckten Himmel. Sie wurde von ledrigen Schwingen getragen, besaß den geschwollenen Leib einer trächtigen Raubkatze und das Gesicht einer verbitterten Frau. Eine Mantikorin!

Zu der Insel hinübereilend, verbarg ich mich hinter einem moosbedeckten Felsblock. Der Schwanz des Monsters peitschte hervor und ein Schauer tödlicher Stachel regnete auf die drei Frauen hinab. Ich spürte ihre Furcht und stimmte ein altes Schlachtlied der Ulfen an. Die erste Strophe eines langen Heldenepos über einen ihrer berühmtesten Lindwurmkönige, ein Heldenlied das meine Mutter von meinem Vater gelernt hatte und mir vorzusingen pflegte. Es sollte ihnen Kraft und Mut im Kampf verleihen. Ja, und es wirkte! Mit ihrer Magie bezwangen die Drei das Monster.

Jammernd flüchtete es in den Sumpf. Nun erkannte ich den Grabstein vor mir. Das war ein Friedhof. Heiliger Boden, geschützt von den kellidischen Fetischen. Die Frauen teilten sich auf und suchten die ganze Insel ab. Im Nest der Mantikorin fanden sie die Leiche eines Zwergs, gespickt mit den Stacheln des Monsters; im faulenden Wasser der Marschen einen löchrigen Kahn mit grausigem Inhalt; im braunen Sumpfgras an den Ufern der Insel  bargen sie dazu verschiedenste Fundstücke, die hier mit Bestimmtheit nicht hingehörten; nur fanden sie keine eindeutigen Beweise für die Unschuld der Bestie.

Ich machte mich auf den Rückweg nach Lepidstadt. Ohne Reittier würde ich lange nach den drei Damen dort ankommen.

*     *     *     *     *

Wieder gepflasterte Straßen unter meinen Füßen, beschloss ich mich auf die Suche nach den beiden Glaubensmännern zu machen. Die Ermittlungen von Iacobus Antonius Santorio und seinem treuen Schildknappen erschienen mir deutlich vielversprechender. Ich vermutete sie in einem der Gotteshäuser von Lepidstadt. Da sie in Ravengro eng mit der Kirche der Pharasma zusammengearbeitet hatten, um die ruhelosen Geister der Gefangenen von Schreckenfels zu vernichten, begann ich meine Suche an der Grabfülle. Über die Fassade der berühmten Kathedrale der Pharasma galoppierte eine Armee skelettierter Streitrösser, auf ihrem Kurs immer im Aufstieg begriffen, während sie in die ätherische Domäne der Göttin auffuhren. Von den Iomedaner fehlte jede Spur.

Neben der Kathedrale gab es dem Anschein nach keine weiteren ausgemachten Tempel in Lepidstadt, so versank ich erfolglos an einem Schrein der Desna nahe dem Westtor in kurzem Gebet und bat um Glück für meine Suche, bevor ich mich daran machte die Gasthäuser abzugehen. In den Schänken und Tavernen, den Herbergen und Gasthöfen herrschte die Heiterkeit. Noch immer feierte man den Bestienprozess und dessen todsicheren Ausgang.

Erst spät in der Nacht belauschte ich eine Gruppe Studenten im Bronzeschädel wie sie sich über “die zwei Kreuzritter” lustig machten. Einer der jungen Männer hatte einen ganzen Tisch aufgestellt und hielt ihn zur Veranschaulichung seiner Posse wie einen Turmschild zwischen sich und seine Saufkumpane. “Ich hätte ihn ganz umrundet, ehe der Blecheimer auch nur seinen Schild angehoben!”, höhnte er. Sein Publikum prustete mit roten Backen und glasigen Augen, bis der Spassmacher etwas ernster fortfuhr: “Vielleicht statten wir dem Liebespärchen im alten Arodenschrein einfach noch einen Besuch ab und fordern zum Tanz?!” Die anderen Studenten schüttelten beschämt die Köpfe. “Die Nördliche Hafenstraße ist zu so später Stunde voller Diebe und Gesindel. Da haben es Edelmänner, wie wir es sind, schwer mit unserem Sinn für Ehre und einen aufrichtigen Kampf. Lasst uns lieber noch eine Runde bestellen.”

Mit diesem Wissen kehrte ich zuversichtlich in die Herberge und zu meinem Reisetagebuch zurück.
« Letzte Änderung: 27. Mai 2013, 22:32:18 von Mhyr »

Mhyr

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Die Chronik der Silbernen Raben
« Antwort #14 am: 27. Mai 2013, 22:36:19 »
29. Rova, 4711 AK
Lepidstadt, Pfalzgrafschaft Vieland


Ich erwachte noch vor der Morgendämmerung aus einem wirren Traum. Bei Sonnenaufgang wandelte ich bereits am Westufer des Kleinen Moutray entlang. Möwen kreischten ihren Hunger in die kalte Morgenluft hinaus; Hafenarbeiter und Fischer verrichteten ihr frühes Tagewerk, sonst waren nur noch Dirnen und Säufer der vergangenen Nacht in den Gassen zu finden.

Kein Wunder, dass ich den Schrein am gestrigen Tag übersehen hatte. Es war eines der wenigen Steingebäude an der Nördlichen Hafenstraße, doch Unkraut verbarg das Gotteshaus vor dem Ahnungslosen. Nur die hohen Ostfenster waren nicht restlos eingeschlagen, während die verdreckten Halbplastiken in den Wandnischen kaum noch als heilige Frauen und Männer zu erkennen waren. Der Rundbogen des Portals war von dicken Efeuranken überwuchert, die Türflügel standen aber einladend offen.

Zunächst hielt ich es für ein frühes Bildnis Iomedaes, doch der Schrein war dafür viel zu alt. Die Westwand wurde demnach von einem verblassenden Wandgemälde geziert das Arazni, die Schutzheilige der Ritter von Ozem und die gefallene Heroldin des Aroden, zeigte. Sie war 3823 AK von Tar-Baphon aufs ärgste gepeinigt und niedergestreckt worden; ihre heiligen Gebeine 3890 AK aus der Zitadelle des Ritterordens vom Geisterkönig Geb geraubt. Das Schicksal der Halbgöttin war dennoch nur eine von unzähligen Tragödien die der Wispernde Tyrann heraufbeschworen hatte.

Im rot gesprenkelten honigfarbenen Licht der bemalten Glasfenster knieten zwei Männer in den weißen Waffenröcken der Ritter von Ozem. Auf ihre Langschwerter gestützt, beteten sie zu Arodens Erbin Iomedae. Sie erhoben sich und bezogen im leergefegten Altarraum Stellung. Mit einer rituellen Begrüßung weihten sie das folgende Duell ihrer Göttin.

“Die Gästehäuser der Stadt haben in den vergangenen Wochen keine verdächtigen Personen aufgenommen.”, stellte Santorio fest und griff seinen Gefährten mit einem vertikalen Schnitt von der linken Hüfte zur rechten Wange an. Der Hieb hätte seinem Glaubensbruder diagonal den Bauch aufgeschlitzt, doch dieser war besonnen einen Schritt zurückgewichen. “Wir haben aber auch die Kultstätten böser Götter vergebens gesucht, mein Herr.”, antwortete Balduan kombiniert mit einem horizontalen Schnitt nach des anderen Kopf. Die Männer tauschten wenige Schwerthiebe aus, dass der Raum vom Gesang ihrer Klingen erfüllt war. Wieder kreuzten sie die Schwerter und wirbelten durch die Kapelle. “Heute sollten wir uns daran machen die Professoren und Studenten von Nekromantie und Totenbeschwörung an der Universität zu befragen.”, schlug Santorio schließlich vor. Der Schildknappe warf ihn mit einem beherzten Stoß in die Mitte des Altarraums, triumphierend zielte er mit der Schwertspitze auf das ungeschützte Gesicht seines kauernden Gegners. “Ein guter Vorschlag, mein Herr. Doch dieser Kampf scheint für Euch verloren!”

“Die Dinge sind nicht immer so wie sie erscheinen mögen, Balduan.”, belehrte Santorio seinen Untergebenen. Der Blick des Ritters fiel auf das eigene Schwert hinunter das bedrohlich auf des Schildknappen Herzen zeigte. Mit einem Lächeln zog sich der blonde Jüngling zurück. “Ich danke Euch für diese Lehrstunde, mein Herr.”
“Und ich für die exzellente Übung.”

*     *     *     *     *

Die Universität zu Lepidstadt war ein beeindruckendes Bauwerk im Süden der Stadt. Studenten, Professoren und andere Gelehrte waren auf dem ganzen Gelände verteilt. Sie frönten hitzigen Debatten, Diskussionen und Streitgesprächen. Nur die Spitzhüte und kristallbesetzten Stecken von Zauberkundigen suchten wir vergebens. Hier hatte man sich den “Weltlichen Wissenschaften” verschrieben. Wir begannen in der Fakultät für Anatomie und Medizin, wurden aber bald an die Fakultät für Altertumskunde verwiesen: “Dort beschäftigt man sich mit so esoterischen Dingen wie dem Spindelstein, Hexenfelsen und den arkanen Traditionen von Thassilon, Koloran und Geb.”

Em Ende eines langen Tages hatten wir herausgefunden, dass es tatsächlich die Alchemisten waren, die arkane Magie mit den weltlicheren Naturwissenschaften zu einer eigenständigen, mächtigen Disziplin verquickten. Mit Ölen sollte es manchen von ihnen sogar möglich sein die Toten zurückzuholen. An dieser Stelle wäre es sicher von Vorteil gewesen Stralicia zur Hand gehabt zu haben. Von den Akademikern an der Universität wollte jedenfalls niemand etwas über flüsternde Kultisten des Untodes gehört haben. “Und wenn, bedürfen solche Subjekte ohnehin der Unterstützung freischaffender Alchemisten, als Zulieferer ihrer finsteren Zunft. Die strenge Buchführung dieser Anstalt wäre eine zu große Hürde für solch’ schändliche Machenschaften.”

Die Glaubensbrüder beschlossen morgen alle Laboratorien und Werkstätten, jede Apotheke und Giftküche in ganz Lepidstadts aufzusuchen und nicht eher Ruhe zu geben ehe sie dem Wispernden Pfad wieder auf die Spur gekommen waren.

*     *     *     *     *

Wie ich am Tag zuvor, entdeckte Bock mein Reisetagebuch nicht sogleich. Die Erben Lorrimors hatten die Bücher mit der Truhe an Doktor Kroll und Richterin Daramid übergeben, die Chronik ihrer eigenen Taten daraufhin sorglos in den Taubendreck gelegt. Der Tiefling blätterte in meinen Aufzeichnung und polierte dabei gedankenversunken die Silberbroschen der Helden von Ravengro. Immer wieder hielt er inne und hob die silbernen Raben in das helle Mondlicht der sternenklaren Nacht. Als er mit ihrem Glanz zufrieden war, ließ er die prächtig glitzernden Vögel mit seiner zittrigen Stimme krächzen und bewunderte ihren Flug durch die staubige Luft der Dachkammer in seiner eigenen schmutzigen Hand. “Die Silbernen Raben”, murmelte er schließlich, legte die Abzeichen an ihren neuen Platz auf die Fußpfette zurück, nur um sich nun ganz dem Studium meines Reisetagebuches zu widmen.

Doch was hatte er da getan? Der kleine Bursche hatte den Helden von Ravengro soeben einen Namen gegeben!

Bock fand meinen zweiten Eintrag. Wieder las er laut mit, als sein schwarzer Finger über meine Worte fuhr. Und wieder trug mich seine Stimme in die Vergangenheit…