Dunkelheit überall
von Remeny
Irgendwo in der Dunkelheit tropft Wasser von der Höhlendecke. Unsere Fackeln werfen tanzende Schatten auf die unbehauenen Wände dieser unterirdischen Anlage und lassen die Augen Dinge sehen, welche gar nicht vorhanden sind. Langsam, vorsichtig, ja auch etwas ängstlich streifen wir durch die engen Gänge und die ausladenden Kavernen. Wir haben keine Angst vor der Begegnung mit weiteren Abscheulichen, aber wir fürchten uns in der Tat etwas vor den unbekannten Schrecken, überweltlichen Schrecken, die hier unten Lauern könnten.
Stufen im sonst unbearbeiteten Felsenboden zeigen uns, dass die Abscheulichen diese Höhlen doch etwas bearbeitet haben. Ein lebender Komposthaufen in der nächsten Kaverne wurde schon länger nicht mehr von den Abscheulichen gefüttert und versucht uns als Snack zu verspeisen. Zu den flackernden Schatten an der Wand lassen wir nun unsere Schwerter tanzen und zeigen der Pflanze seinen Rang in der Nahrungskette. Auch wenn wir anderen nur weiter wollen, fort von diesem bedrückenden Ort, so kann es Feo doch nicht lassen und sucht in den stinkenden Abfällen nach wertvollem Unrat. In der Tat bringt sie aus dem Dunkel der Wasserpfützen einen wertvollen Helm, sowie ein Amulett des Wispernden Pfades ans Licht. Anscheinend stand der Bote des Pfades noch weiter unten in der Nahrungskette als die Kompostpflanze und ist mittlerweile in die Dunkelheit von Pharasmas Reich abgetaucht. Zumindest bedeutet dies für uns, dass der Pfad nicht in Besitz des Rabenkopfes ist!
Wir lassen die Müllhalde hinter uns. Hier gibt es sicher keinen Ausweg hinaus ans Licht. Noch tiefer müssen wir anscheinend in die Erde hinein. Wir spitzen die Ohren als vor uns ein Singsang zu hören ist, der nun die Melodie für die tanzenden Schatten bildet. Um nicht selbst weiter blind durch die Höhlen zu irren, schickt Artor ein kleines, fliegendes Auge vor. Es findet eine schwach beleuchtete Höhle, erhellt durch krank wirkendes violettes Licht von unterirdischen Pilzen. Es erhellt dabei einen ebenso kranken Ort. Dutzende Kinderwiegen finden sich hier, sowie eine unheimliche Frau – bleich wie Pharasma selbst – mit einem Kind in ihren Armen. Von ihr stammt auch das hypnotisierende Lied, mit dem sie anscheinend ihr Baby beruhigt. Zwei Ausgänge führen aus der Höhle – zumindest einer sollte ans Licht führen! Der südliche zumindest endet jedoch in einer Kammer und Artors Auge sieht dort – ja was eigentlich? Er versucht es uns zu beschreiben, schaudert dabei, zittert. Ich kann es nicht verstehen. Ein bunter, schwebender Wassertropfen? Seltsam, ja. Aber warum windet sich der abgebrühte Hexer dabei vor Ekel, Furcht und Abscheu?
Wir folgen dem Weg des Auges. Die Frau nimmt uns nicht wahr, obwohl ich mich alles andere als leise verhalte. Sie singt, wippt apathisch vor und zurück und wiegt ihr Kind in den Armen. Ihre Apathie gibt uns die Möglichkeit einen Blick in die Kinderwiegen zu werfen. Ich muss schlucken, als ich all die toten, mumifizierten Babyleichen sehe, die sich darin befinden. Wir haben also die Töchter von Argmoor gefunden. Vielleicht könnte die Frau etwas Licht in das Dunkel bringen. Doch sie reagiert nicht. Erst als wir ihr das tote Baby aus den Armen nehmen, kommt sie aus ihrer Apathie heraus; sie schreit und weint, brabbelt und tobt. Wir versuchen sie durch schütteln und gutes zureden zur Besinnung zu bringen, doch nichts kann sie beruhigen. Und dann sehe ich ihre Augen: Dunkel, leer; so als hätte sie in die Unendlichkeit geblickt und wäre darin verloren gegangen. Nein, von dieser Frau würden wir nichts erfahren, solange sie nicht ihren Weg zurück gefunden hatte. Wir geben ihr den Kadaver des Babys zurück und lassen sie an Ort und Stelle – sie würde keine Gefahr für uns darstellen.
Bereit für den Kampf dringen wir in die südliche Höhle vor. Nur wenige Dutzend Meter weit müssen wir gehen um das zu sehen, was uns Artor versucht hat zu beschreiben. Ja, es ist nur eine schwebende Kugel. Dennoch steht mir augenblicklich der Angstschweiß auf der Stirn, mein Schwert zittert in meiner Hand und meine Brust wird klamm. Dieses, dieses Ding, sollte nicht hier sein! Es ist falsch! Es ist falsch, wenn es hier im Licht steht, wenn es sein Dasein doch eigentlich in der Dunkelheit zwischen den Sternen fristen sollte. Irgendwie müssen wir es dahin zurück bringen. Müssen wir? Unsicher tänzeln wir darum herum, versuchen es zu treffen, zu verletzen – wie verletzt man Wasser? Wie verletzt man eine Farbe? Wie in Baumwolle dringen unsere Waffen in die Kugel ein, machen sie kleiner, blasser. Was wird passieren, wenn wir es getötet haben – kann man eine Farbkugel überhaupt töten? Die Kreatur(?) bildet immer wieder in Sekundenschnelle Tentakel aus, mit denen sie nach uns schlägt, scheint dabei aber ebenso unsicher oder zurückhaltend zu sein wie wir. Artor findet schließlich heraus, dass es durch eine Art unsichtbares Band gefesselt ist, woraufhin wir uns zurückziehen. Ja es ist gefangen, es kann uns nicht folgen. Aber sollen wir es einfach so hier lassen? Wir zaudern, hadern mit uns und gegen jeden besseren Willen kehren wir zurück, schlagen so lange auf die Kreatur ein, bis sie schließlich verblasst und alles Licht mit sich nimmt. Sekundenlang stehen wir im Dunkeln, bis unsere Fackeln knisternd und rauchend wieder zum Leben erwachen. Ist es tot? Oder ist es einfach nur weg? Für das erste ist uns beides recht.
Der letzte Gang führt in die dunkle Unterwasserwelt der Bucht hinaus und bietet ebenfalls keine Rettung, wie wir bald darauf feststellen müssen. Artor jedoch kann die Situation retten und uns mit Magie an die Oberfläche bringen. Wir nehmen den Körper der jungen Frau mit – ihr Geist jedoch befindet sich immer noch irgendwo in der Unendlichkeit. An der Oberfläche erwartet uns die nebelverhangene Sonne, deren gedämpfte Strahlen nur langsam die Kälte aus unseren Köpfen vertreiben kann. Noch immer steigen Rauchschwaden vom niedergebrannten Tempel auf, um den einige Dorfbewohner apathisch herum stehen. Sie beachten uns und die geblendete jungen Frau faktisch gar nicht, während wir uns auf den Weg zum Bürgermeister machen. Dieser ist jedoch nicht da, woraufhin wir den Constable aufsuchen und ihn mit den Ergebnissen unserer Nachforschungen konfrontieren. Der Mann starrt zuerst nur wortlos, ungläubig und ablehnend auf die Tochter des Dorfes, die wir ihm zusammen mit dem toten Baby in ihren Händen präsentieren. Doch er will nicht erkennen, was da vor seinen Augen steht, wendet sich lieber von der Wahrheit ab, als ihr ins Auge zu sehen. Wer von uns kann denn auch wissen, wie viele seiner Töchter er in die Dunkelheit zu den Nachbarn geschickt hat? Lieber klammert er sich an die seit Generationen indoktrinierte Hoffnung eines besseren Lebens für seine Töchter.
Es kann uns also nur eine Person weiter helfen. Horace nimmt uns mit offenen Armen auf und stellt sich auch tapfer den Neuigkeiten zu den Nachbarn. Mehr noch, er will dabei helfen sie zu finden und den Grund hinter all dem zu erfahren. Dazu stellt er uns einen metallenen Fisch zur Verfügung, innen Hohl, mit dem wir bis auf den Grund des Sees tauchen können. Wir lassen die Frau in seinem Haus zurück und segeln bis zur Schwalbenfeste hinaus. Der See ist glatt wie ein schwarzer Spiegel und uns ist alles andere als wohl, als wir das eiserne Gefährt besteigen. Langsam und knarrend lässt uns Horace in die eisigen tiefen hinab sinken. Rasch wird es dunkler, das Licht der Sonne verschluckt durch die Wassermassen über unseren Köpfen. Wir spähen in die Dunkelheit jenseits der Fenster hinaus. Fische und Kreaturen der Tiefsee flüchten vor dem fahlen Lichtschein unserer Laterne. Alle Kreaturen, mit Ausnahme einer großen. Aus der Dunkelheit schält sich eine riesige, tentakelbewehre Gestalt. Bewegt sich schnell und agil auf unser zerbrechliches Gefährt zu. En riesiger Krake! Nicht das kleine Tier am Hafen von Argmoor war der Wächter gewesen, sondern dieser Gigant. Aber Gigant hin oder her: Dies ist eine Kreatur Golarions, aus Fleisch und Blut. Eine Kreatur also, die man töten kann. Während die anderen noch in Starre verharren, nutze ich den Helm aus dem Höhlensystem um mich, behände wie ein Fisch, der Kreatur zu stellen. Unterstützt durch herbeigerufene Kreaturen von Nuuri und Artor schlagen wir den Wächter schließlich in die Bucht – so einfaches Futter sind wir dann nun wieder nicht!
Unbeirrt von unserem Kampf, sinkt die Kapsel weiter in die Tiefe, mittlerweile in völliger Dunkelheit. Doch was ist das? Spielen unsere Augen uns einen Streich, oder wird es dort unten wieder heller? Tatsächlich, auf einer großen Kuppel aus grauem Metall brennt ein heller Kristall. Die Kuppel ist sorgfältig zusammen genietet und scheint halb im Meeresboden vergraben zu sein. Ein künstlicher Bau, in solcher Tiefe und von solch handwerklichem Geschick? Sicherlich kein Produkt der Abscheulichen. Wer steht also wirklich hinter den Nachbarn? Noch mehr Kreaturen aus der Dunkelheit?