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Aller Gnaden Ende

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Arden Etklint Kleist:
Willkommen!

Anschließend folgen Texte, die einer Kampagne vorangegangen sind. Da unsere Gruppe international ist, kommen wir nur ein- bis zweimal im Jahr zusammen, weswegen wir recht intensiv vorbereiten. Kleiner Hinweis für alle, die im Dark Heresy Setting zufällig auf aktuellem Stand sind: Zu der Zeit, in der die Geschichten entwickelt wurden, war über das Kanon-Schicksal der Welt Xeiros Prime noch nichts bekannt.

Alle beteiligten Spieler sind auch Teil einer Online-RPG-Gruppe hier im DnD-Gate. Momentan spielen wir Tattered Fates. Damit die Verteilung von PCs und NPCs klar ist, führe ich schnell an, welche der dortigen Spieler welche Charaktere in den Geschichten spielen (zur Info: Bei uns spielt jeder Spieler zwei Charaktere):

Sjeg:
Cattaleya Amalia "Honeymoon" VanSovrean
Phos "Vox" Isand

Inigo Hound:
Lucius "Lho" Frost
Gerhart Thracian

Merice Jerveplis:
Hrubens "Blender" Arn
Nick "Granit" Runsit (Stammesname: Chnishnit liutstam Hrun'Sith)

So, nun aber ohne Umschweife zur ersten Geschichte: Die Akte Vynnor Lucrés

Ursprünglich als Hilfe für mich gedacht, der dann die Real-Life-Gruppe geleitet hat, um die Charaktere besser kennenzulernen und dann auch selbst die Einführung zur Kampange "Aller Gnaden Ende" schreiben zu können, hat sich die "Akte Vynnor Lucrés" zu einem richtigen Epos entwickelt. Geschrieben wurde das Prachtstück von Sjeg und Inigo Hound, die sich teilweise sogar alle paar Absätze abgewechselt haben. So wie ich damals jeder neuen Passage entgegengefiebert habe, die ich in einigem Abstand zugesandt bekam, so freue ich mich jetzt über die Möglichkeit, den Text fast ein Jahr nach dessen Entstehung dem lesewilligen Publikum hier zugänglich machen zu können. Ich wünsche allen WH40K-Interessierten und auch allen anderen StoryHour-Lesern viel Spaß auf Zumthor!

Arden Etklint Kleist:
Die Akte Vynnor Lucrés


Eins

Das grünliche Licht des in Bronze gebundenen Dataslates erhellte das Halbdunkel in der Ecke des gepanzerten Arbites–Rhino, welches sich mit langsamer Geschwindigkeit und halbhellen Scheinwerfern einen Weg durch das sturmumtoste Heulen des mit gepresstem, kaltem Schnee gefüllten Passes bahnte. Das Gesicht eines süffisant lächelnden Mannes Mitte 50 mit dunkelbraunen schulterlangen Haaren flackerte auf dem Bildschirm, untermalt von den Worten: Vynnor Lucrés.

Der schlanke Mann, dessen sehnige Form in einer schwarzen Carapace-Rüstung ohne Rang- oder Herkunftsabzeichen steckte, rieb unbewusst mit dem Filterstück eines fast vollständig aufgebrauchten Lhos die Narbe an seiner rechten Wange. Er mochte das Gefühl der Nervosität nicht, welches sich in seinem Bauch breit gemacht hatte, dieses Gefühl der Ruhe vor dem Sturm, welcher ihr Fahrzeug schon seit ihrer Anfahrt auf das Anwesen eingehüllt hatte. Sie hatten Tulsholm, die einzige größere Stadt der nördlichen Halbkugel von Zumthor, einer Granzwelt im Josian Reach, vor mehr als fünf Stunden verlassen und waren in Begleitung zweier Suppressionstrupps Arbites aufgebrochen, um zu beenden, was auf Palinurus Rhys vermutlich vor mehr als 100 Jahren begonnen hatte.

Lucius Frost nahm einen tiefen, beruhigenden Zug von seinem Lho und atmete geräuschvoll durch den linken Mundwinkel aus, was ihm einen skeptischen Seitenblick des die Arbitratoren befehligenden Chasteners, Dvorov, einbrachte. Er zuckte innerlich mit den Schultern – welchem Arbites schmeckte schon der Gedanke, Befehle von Institutionsfremden entgegennehmen zu müssen – selbst wenn es sich dabei um Gesandte der heiligen Inquisition handelte. Er hatte selbst lange genug in den Reihen des Adeptus Arbites gedient, um die Führungsqualitäten und Charakterzüge solcher Männer voll einschätzen zu können und von der Animosität, die ihm von den vielen kleinen und großen Dvorovs, welchen er mitunter Befehle erteilen musste, kalt gelassen zu werden.

Er widmete sich wieder der Akte des Gesuchten: Die Namen der ausgelöschten Akolythenzelle von damals waren selbst mit seinen Zugangscodes gesperrt gewesen, er kannte ihre Schicksale nur als Subjekt 1 bis 6 und das war ihm ganz recht so. Wenn es um Konzentration ging, um abstrakte Analyse eines Sachverhaltes, waren Empathie und Mitgefühl fehl am Platz. Natürlich war nach dem Desaster die volle Härte inquisitionaler Strafe auf das Haus von Lucrés herabgefahren, doch der älteste Sohn der Familie war nie in den Trümmern gefunden worden. Mit brutaler Gewalt war damals zunächst orbital bombardiert worden, danach im Sturmangriff alles zerschossen und erschossen worden, was irgendwann mit dem Adelshaus assoziiert gewesen war - ein taktischer Fehler, den zu wiederholen der Ex-Arbitrator nicht gedachte. Ihm war nicht wohl dabei gewesen, Van‘Sovrean alleine in den Sturm zu schicken, alleine das Anwesen des Kleinadels von Harholdt infiltrieren zu lassen. Doch die zierliche Adelige, die meistens von ihren Kollegen Honeymoon genannt wurde, hatte darauf bestanden. Er hatte gewusst, dass sie Recht hatte. Sie war von den Fähigkeiten her am besten dazu geeignet und konnte auch ganz gut alleine auf sich aufpassen. Lucius gestand sich ein, dass seine Freundschaft zu ihr ihm die Sache schwerer machte, als sie sein sollte. Doch er war sich sicher, dass es diesmal die richtige Fährte war.

Er war nach langer Analyse der Adelsfamilien auf den umgebenden Planeten auf eine Persönlichkeit gestoßen, die seit 44 Jahren immer wieder im Gewand eines Mitgliedes der Familie Harholdt auftrat. Es war schwer gewesen, eines Namens Herr zu werden, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, doch mit den richtigen Fragen an die richtigen Ohren und der Investition von Bestechungsmitteln hatte er ihn schließlich bekommen: Norvyn Harholdt. Der exilierte, abtrünnige Psioniker war sich so weit an den Grenzen des Imperiums seiner Sache verflucht sicher, wie das hochmütige Anagramm bewies, welches er gewählt hatte. Doch der Ketzer würde sich seiner Strafe nicht mehr entziehen. Das Gesetz würde Lucrés endlich einholen, ganz gleich in welcher Verkleidung.

Frost blickte von der elektronischen Akte auf, als das Rütteln der Motoren ihm anzeigte, dass sie angehalten hatten. Pater Gerhart Thracian neben ihm hielt sein Kettenschwert in andächtiger Gebetshaltung mit der Klinge nach unten. Der weißblonde Mann mit den harten Gesichtszügen trug eine ähnliche Rüstung wie er selbst unter seiner klassischen schwarzen Mönchsrobe und war in ein stummes Gebet vertieft. Mit geschlossenen Augen bewegten sich seine schmalen Lippen, rezitierten die Worte, von denen Lucius wusste, dass sie den Leitspruch der Bruderschaft formten, welcher der Glaubenskrieger angehörte. Während er darüber sinnierte, dass der verschlossene Hüne sie kaum jemals laut aussprach, hielt Dvorov das Ohr an sein Microbead und nickte bedächtig.

Der Arbites-Offizier, welcher Lucius offensichtlich auf persönlicher Ebene nicht sonderlich leiden konnte, wandte sich nichtsdestotrotz in respektvollen Ton an den Anführer der Akolythenzelle: „Unsere Auspex-Scanner haben das Tor des Anwesens in knapp unter 20 Metern Entfernung hinter der nächsten Biegung ausgemacht. Wie geordert hat unsere Kolonne gehalten.“ Erwartungsvoll und abschätzend, wie jemand, der ein Stück Ware nach seinem Wert einzuschätzen versucht, blickten die stahlblauen Augen des blassen Mannes Lucius an. Dieser drückte seinen Lho bedächtig an seinem Stiefel aus und wandte sich an den still meditierenden Mann zu seiner linken: „Klingt nahe genug, wenn ich Dich richtig einschätze – dass wir keine Zeugen oder Alarme brauchen ist wohl klar. Wie siehts aus, Vox – kannst Du damit was anfangen?“, fragte er den kahlgeschorenen, kleineren Mann mit dem dunklen Bartwuchs.

Phos Isand - Codename Vox - stand wie aufs Stichwort aus dem Schneidersitz auf. Sein Blick fiel durch einen schmalen Schlitz des gepanzerten Vehikels in die Richtung, in die der Arbites eben noch gezeigt hatte. Frost hatte darauf betanden in der Nacht zuzuschlagen, und da kein Licht durch die dichte Wolkendecke drang, konnte man außerhalb des Fahrzeuges kaum noch die Hand vor Augen sehen – jetzt, da der Rhino auf Schleichfahrt und ohne Scheinwerfer unterwegs war. Allein seine Nachtlinsen ermöglichten eine Orientierung bei diesen Verhältnissen. Aber auch so war die Sicht jenseits einiger Meter extrem schlecht, denn der Sturm brachte dicke Flocken gefrorener Eiskristalle mit sich, so fest und scharf, dass sie nackte Haut bei längerer Exposition zerkratzten.

„Ziemlich weit, aber für mich nahe genug. Vorausgesetzt…“, Vox pausierte, senkte sein Haupt und hob seine rechte Hand auf Hüfthohe. Auf der Handfläche seines pelzigen Lederhandschuhs vollführten drei kleine Glasperlen einen gleichmäßigen und graziösen Tanz. Wie er derart regelmäßige Bewegungen mit seinem dicken Handschuh erzeugen konnte, war dem anwesenden Offizier der Arbites ein Rätsel. Isand atmete tief ein - dann langsam wieder aus. „Neunzehn Personen befinden sich in der näheren Umgebung. Wenn nicht zufällig Van‘Sovrean in der Nähe ist, dann gehören drei davon nicht zu uns.“ Er genoss die respektvollen und zugleich misstrauischen Blicke, die seine unangenehme Stimme bei den anwesenden Arbites erzeugte. Während er die Perlen weiter über seine Hand tanzen ließ, führte er den Monolog fort: „Keiner davon ist ein Hexer. Und die drei vor uns bewegen sich grob in unsere Richtung. Vielleicht eine Patrouille, aber jedenfalls noch hinter dem Eingangstor irgendwo. Ich kann sie fühlen, den Schatten den sie werfen, wenn sie die Wirklichkeit ein klein wenig verzerren. Ein schwacher Funken bei jeden von ihnen, aber ja, er ist ausreichend und nahe genug.“

Keiner der Arbites hatte während der Fahrt gewagt mit dem Psioniker zu sprechen. Sie fürchteten Vox, und das war ihm auch bewusst. Leider ließen die Missionsdetails es nicht zu, dass er sich an der Furcht der Arbites erfreuen konnte. Stattdessen hatte er nicht nur den gesamten letzten Tag, sondern auch die Fahrt in eiserner Meditation verbracht. Er wusste, dass der Abend für ihn anstrengend werden würde, und dass ihm vor allem in der ersten Phase nicht der geringste Fehler unterlaufen durfte. Für ihn zählte nur, seinen Geist in perfekte Balance zu bringen. Frost hatte ihm in diesem Plan eine große Rolle zukommen lassen und sich entgegen der Einwände von Chastener Dvorov dafür entschieden, dem Psioniker den Vorzug sowohl über Schalldämpfer als auch Funkkommunikation zu geben. Phos Isand selbst war erst kürzlich von Inqusitor Varitani in diese Zelle verlegt worden, und er fühlte sich dadurch zweifelsohne bestätigt, denn die berühmte Zelle von Lucius Frost war mehr als alles andere für ihre Effektivität bekannt und - soweit er selbst informiert war - eine seiner wichtigsten und am meisten geschätzten Zellen überhaupt. Dies war seine Show, und er würde großartig sein.

Dvorov und zwei seiner Mannen waren bereits unbewusst einen Schritt zurückgewichen, als Vox die linke Hand ausstreckte, so als würde er nach etwas Unsichtbaren tasten. Dabei schloss er seine Augen und ging ein paar Schritte quer durch das Fahrzeug. Noch einmal fiel sein Blick auf Frost, als er Bereitschaft signalisierte. Mit einen kurzen aber deutlichem Nicken gab Frost den Befehl. Es war soweit – und tatsächlich war dies einer der wenigen Momente, in denen Vox so etwas wie Unsicherheit verspürte. Er hatte vor dem Ex-Arbites nichts dergleichen angedeutet, aber einen derartigen Stunt hatte er selbst noch nie hingelegt. Frederiq DeVetter, Telepath und langjähriger Akolyth in den Diensten von Inquisitor Varitani, hatte einmal damit angegeben, dass er vor einigen Jahren, als ihn eine Blendgranate mitten im Gefecht erfasst hatte, alleine aufgrund der Psi-Signaturen seiner Umgebung eine heikle Manifestation selektiv hatte einsetzen können, um damit seiner gesamten Zelle das Leben zu retten. Phos würde die Blicke der Zuhörer an diesem Abend in Sibellus nicht vergessen, denn obwohl es unglaublich klang, konnte jeder von ihnen fühlen, das DeVetter die Wahrheit sprach. Alleine über seinen sechsten Psi-Sinn Ziele zu filtern... ungeheuer schwierig.

Nicht umsonst hatte Vox darauf bestanden, vor der Mission fünfzehn Minuten mit jedem der Arbites an einem Tisch zu verbringen.  Jeder Mensch hinterließ einen leichten Schatten im Immaterium, eine einzigartige Signatur, genauer und persönlicher als jeder Fingerabdruck es sein könnte, und er hatte diese Zeit genützt um sich jeden von ihnen gut einzuprägen. Die Murmeln in seiner Hand kreisend fokussierte er seinen Geist und entlud ihn in einer gewaltigen unsichtbaren Explosion, die sich durch das Immaterium in seiner Umgebung ausbreitete. Wie aus dem Nichts hörte Lucius einen leisen, aber schrillen Knall, ein Geräusch das er so noch nie vernommen hatte. Und obgleich dieser Klang direkt aus seinen Kopf drang, fühlte es sich an als wäre er gedämpft und käme von weit her. Der Reaktion der Arbites in dem Transportpanzer, die alle leicht zusammenzuckten, konnte er entnehmen, dass er nicht der einzige war, der das Geräusch gehört haben musste. „Erledigt“, gab Vox kurz zum Besten. Man konnte ihm ansehen, dass er gerade ziemlich selbstzufrieden war. Die Wachen waren ausgeschaltet und lagen bewusstlos im Schnee, alles völlig ohne Sichtkontakt. DeVetter hatte also wirklich nicht gelogen…

Der zweite Teil von Phase eins war wesentlich einfacher und vor allem auch amüsanter. Wie aus dem Nichts ertönte die Stimme von Vox in den Köpfen der Besatzung beider Rhino-Fahrzeuge zugleich: „Dem Imperator zum Gruße, meine Herren. Sie können sich geehrt fühlen, etwas beizuwohnen, was man im Nachhinein als glorreichen Triumph des Ordo Malleus bezeichnen wird. Von nun an wird aus Sicherheitsgründen jeglicher Funk eingestellt! Diese Stimme wird ihnen den Willen unseren Befehlshabers Lucius Frost verkünden, dessen Wort die nächsten Minuten Gesetz ist! Wenn sie Teil dieses Erfolges sein wollen, dann halten sie sich exakt und ohne Zögern an die Vorgaben!“

Der Hüne in der Mönchsrobe hob langsam den Kopf, als er die unangenehme Stimme des Sanktionierten in seinem Kopf vernehmen musste. Er war der Empfindung alles andere als zugetan, und es war ihm jedes Mal, als müsse er eine Besudelung hinnehmen, wenn er seinen Geist dem kratzigen Tonfall von Phos Isand öffnen musste. Er kniff die grauen Augen zusammen und blickte aus dem Dunkel seiner Kapuze mit zusammengepressten Lippen heraus auf den grinsenden Mann und die diesen misstrauisch beäugenden Arbites.
Chastener Dvorov presste die Lippen aufeinander und zog eine fast schmerzvolle Grimasse. Es war offensichtlich, dass ihm die geistige Berührung des Psionikers extrem unangenehm war, als er Vox‘ Aussage mit den Daten auf seinem Auspex verglich. „Der Mann sagt die Wahrheit – sowohl was die Anzahl der Patrouille, als auch was ihren Zustand angeht.“

Pater Thracian blieb ruhig sitzen und vollführte das Zeichen der Aquila, nachdem er den schweren Stoff der schwarzen Robe über seiner Rüstung in den Nacken geschlagen hatte, sodass seine harten und von mehreren Narben gezeichneten Gesichtszüge zum Vorschein kamen. Durchdringend blickte er den Offizier an: „Selbstverständlich spricht er die Wahrheit. Vergesst nicht, dass wir an diesem verlassenen Ort direkt den Willen und das Wort des Imperators zu Terra darstellen.“ Gerhart verzichtete darauf, seinen Worten mehr Gewicht dadurch zu geben, dass er sich erhob. Die niedere Decke des Truppentransporters bot gerade genug Höhe für Vox, um aufrecht darin zu stehen, war jedoch für jemanden wie den sternengeborenen Glaubenskrieger bei weitem zu niedrig. „Ich denke, die Zeit ist gekommen, die Männer für den bevorstehenden Angriff zu segnen, Frost.“ Er war schon seit einiger Zeit in derselben Zelle wie der Ex-Arbitrator und wenngleich der Mann in manchen Eigenschaften ein unverbesserlicher Sünder war, so war er doch auch gleichzeitig unzweifelhaft in seiner Ergebenheit im Glauben und in seinen Fähigkeiten als Anführer. Beides waren Eigenschaften, die es dem Pater ermöglichten, ohne Widerspruch unter ihm dem höheren Zweck zu dienen und den Willen des Imperators zu erfüllen.

Er wartete darauf, dass der sehnige junge Mann das Datapad ausschaltete und den Lho-stick ausdrückte. Angenehme Überraschung durchflutete ihn, als sich sein nomineller Anführer daraufhin als erster der Besatzung des Rhinos einen knappen Meter vor dem Kleriker hinkniete und den Kopf senkte. Augenblicklich sank darufhin Dvorov neben Frost auf die Knie, rasch gefolgt von seinen Männern.
Auch Gerhart ließ sich nach vorne auf beide Knie gleiten und er hielt das massive aschgraue Kettenschwert mit der rotgoldenen Inschrift unter seinem Sitz hervor. „Dies Irae“ prangte in gothischen Lettern auf der gesegneten Waffe, deren Griff mit mehreren Reinheitssiegeln behangen und mit mehreren Totenköpfen und ministorialen Siegeln verziert war.
                                                  
„Im Kampf“, lies sich die tiefe Stimme des finsteren Priesters vernehmen, „besteht der Sieg aus einem Teil Planung und neun Teilen Glauben! Ich zweifle nicht an Eurer Ergebenheit gegenüber dem Imperator, Eure Berufung steht für die Lex Imperia, für die Gesetze Seines Reiches. Ihr alle seid treue Diener, doch keiner von Euch ist frei von Schuld und Sünde. Deswegen sage ich Euch, fürchtet nicht die Verwundung Eurer sterblichen Körper, Schmerz bedeutet Reinigung, Hingabe und Opfer bedeuten Erlösung! Für einige von Euch mag dies der letzte Dienst an unserem glorreichen Imperium sein, Eure Leiber mögen heute sterben, doch mit jedem Blutstropfen wird Eure Seele reingewaschen. Die größte Genugtuung ist es, mit dem Gewissen, dass man seine Pflicht erfüllt hat, aus diesem Leben zu scheiden. So weit weg vom Lichte des Thrones auf Terra ist es leicht, sich in der Dunkelheit zu verlieren. Darum schärft Eure Kompromisslosigkeit, auf dass ihr dem Feind mutig und ohne Zaudern begegnet. Schärft Euren Zorn, auf dass ihr Seinen Zorn aus den glühenden Mündungen eurer Schrotflinten wie den heißen Odem der Vernichtung auf die Ketzer speit, die diese Welt beschmutzen! Schärft schließlich all zuvorderst Euren Hass, denn selbstsüchtig seine Fähigkeiten einzusetzen, mit Gefahren zu jonglieren, wie es der Hexer Lucrés tut, ohne jeden Sinn für seine Verantwortung, die es gewesen wäre, sich zu den schwarzen Schiffen zu begeben, solcher Frevel verdient den ganzen reinen, ehrlichen und menschlichen Hass, den ihr in Euren treuen Seelen aufbringen könnt!“

Zu seinen Worten hatte der Kleriker ein messingfarbenes kugelrundes Gefäß mit mehreren lilienförmigen Löchern hervorgeholt und eine Kugel ätherischen Weihrauches darin entzündet. Während die Männer nun das Zeichen der Aquila vollzogen und halblaut dreimal „der Wille des Imperators“ murmelten, so wie es in der ecclesiarchalen Liturgie auf Zumthor seit jeher Brauch war, schwenkte Thracian das Gefäß mit bedachten, weiten Bewegungen, um den wohlriechenden bläulichen Rauch im Inneren des Rhinos zu verteilen.

Etwa vier Stunden zuvor, kurz nach Anbruch der Dunkelheit, tauchte das mächtige Gittertor mit dem Symbol eines sich windenden Reptils in dessen Zentrum zum ersten Mal im Sichtfeld einer schlanken schwarzen Gestalt auf, die sich dem Anwesen derer von Harholdt zielstrebig näherte. Die Person, die ein Laie einfach als Assassine umschreiben würde, trug auf den ersten Blick keinerlei Gewand. Erst bei genauerem Hinsehen bemerkte man die schwarze Textur, die der eindeutig weiblichen Figur wie eine zweite Haut anlag und ihren Körper bis auf die Nasen und Augenöffnungen komplett umschlang. Diese seltene und äußerst kostspielige Textilie, die das Licht nicht reflektierte und sich ihrer Umgebung anpasste, war jedoch nur einer von mehreren Gründen, warum die Frau quasi unsichtbar durch die Dunkelheit huschte. Ihr lag Grazie und Eleganz an, wie sie sich von Baum zu Baum, Gebüsch zu Gebüsch und Deckung zu Deckung bewegte, sodass man ihre Bewegungen fast mit einem mystischen Tanz hätte vergleichen können. Allen voran war jedoch der langsam aufkommende Schneesturm die beste Tarnung, die man ihr verschaffen konnte. Er bot ihr gleich mehrere Vorteile. Zum einen verwischte er die Spuren, welche sie unweigerlich im Schnee zurücklassen musste und reduzierte die Sicht auf ein Maß, das es ihr erlaubte, schneller als üblich voranzukommen. Der größte Vorteil jedoch war die Kälte, die er brachte. Der durchschnittlich motivierte Wachmann blieb bei diesem Wetter lieber bei einer Tasse Heißgebrühtem in der warmen Stube. Patrouillen waren also eher selten. Dank des kostbaren und hochtechnologischen Textils, welche die Frau an ihrem Körper trug, war sie für die Kälte jedoch weniger empfindlich als ein Mann in typischer Pelzkleidung.
Cattaleya Amalia Van’Sovrean war froh, dass Lucius Frost auf sie gehört und es ihr ermöglichte hatte, eine ihrer drei großen Stärken auszuspielen. Von den ersten beiden hatte sich Lucius bereits mehrfach überzeugen können. Diese waren Infiltration sowie soziale Interaktion jeglicher Art. Darin war sie einfach unübertroffen. Und wer weiß, vielleicht würde der Mann auch eines Tages das Glück haben ihre dritte Stärke kennen zu lernen, nämlich das Küssen. Sechs Monate war sie nun in der Inquisition und irgendwie war der analytische und vor allem leidenschaftliche Anführer ja schon recht reizvoll, das musste sie ihm lassen.

Als das leise Klacken des Wurfhakens erklang, der sich oben an der sechs Meter hohen Mauer festgekrallt hatte, welche die Grenze des Anwesens darstellte, und sich das hauchdünne Drahtseil spannte, das an ihrer Hüfte befestigt war, fühlte Cattaleya, wie das Adrenalin durch ihren Körper zu schießen begann. Es war auf seine Art wie damals bei ihren Beutezügen in der Makropolenspitze von Sibellus. Der einzige Unterschied schien ihr zu sein, dass diesmal keine öffentliche Diskreditierung oder strafrechtlicher Prozess samt im vorhinein von ihrem Vater gekauften Richter auf sie warten würde, sondern sofortige Exekution die einzige Konsequenz wäre. Sie mochte diesen Gedanken. So ziemlich alles war besser als sich vor ihrem Vater für ihr Verhalten rechtfertigen zu müssen. Der Rest war ein und dasselbe. Die gleiche Anspannung in jedem Muskel ihres Körpers und die bis aufs höchste Maß geschärften Sinne, welche dem kleinstem Geräusch oder der geringsten Bewegung Aufmerksamkeit widmeten. Auch ihre Ausrüstung war ähnlich: Den Universalschlüssel wie gewöhnt in der rechten Schenkeltasche, gemeinsam mit dem Datenpad, welche die elektronische Karte ihres Zielobjekts beinhaltete. Das Kartenmaterial war zwar ungenauer als solches, das sie üblicherweise durch gezielte Bestechung auf Scintilla erhalten konnte, aber das lag wohl einfach daran, dass Karten auf einer unterentwickelten Welt am Rande der Zivilisation einfach schlechter waren als auf der Spitze von Sibellus, der Blüte imperialer Zivilisation, wenn man es so wollte. In der rechten Schenkeltasche waren Kletterhacken,  diverse Dietriche und ein Glasschneider mit dem Schnittblatt aus hochwertigem Adamantium griffbereit, in der linken Wadentasche ein Abhörgerät sowie ein Spiegelschlauch um unbemerkt unter Türen hindurch und um Ecken herum blicken zu können.

Als sie über die Ähnlichkeiten sinnierte, entging ihr beinahe ein weiterer wesentlicher Unterschied; die tödlichen Werkzeuge, welche sie am Körper trug. Auf den Rücken geschnallt hing ein mächtiges Gewehr, pechschwarz, die Mündung mit einem Schalldämpfer bestückt, ein Fernrohr mit Autokorrektur am Lauf, zudem mit Laserzielvisier und automatischem Magazinwechsler. Die mächtige Waffe war so lang wie seine Trägerin hoch. Vergleichsweise unscheinbar aber nicht weniger tödlich waren zwei etwa dreißig Zentimeter lange Dolche, welche sie in den hohen schwarzen Lederstiefeln verborgen hatte. Die Klingen waren uralt, man hatte ihr gesagt so alt wie die Dynastie Van'Sovrean selbst, und diese pflegte bereits eine über zwei dutzend Jahrhunderte alte Tradition. Nach ihrer allerletzten Auseinandersetzung mit ihrem Vater hatte Cattaleya beschlossen, neben vieler ihrer schönsten Kleider, wertvollsten Düfte und teuersten Geschmeide ihren Teil der Erbschaft selbst für sich zu beanspruchen und diese beiden für Van'Sovrean beinahe heiligen Klingen in ihr neues Leben mitzunehmen. Vaniryl und Sovrean, so die Namen der uralten Energieklingen, benannt nach den beiden Gründern des Hauses, welche die Waffen eines längst vergangen Tages selbst geführt haben sollen. Eigentlich konnte sich ihr Vater glücklich schätzen, denn als eine von 6 Töchtern hätte ihr eigentlich noch weit mehr zugestanden. So wie sie ihn jedoch kannte tobte er wahrscheinlich noch immer bei dem Gedanken, das seine jüngste und zu jeder Zeit verhasste Tochter mit dem symbolisch gesehen wertvollsten Besitz von Van'Sovrean über alle Berge und weit außerhalb seines Einflussbereiches war.

Tief in Gedanken an ihren Vater versunken war sie beinahe wie von selbst und völlig automatisiert durch das Innere des Anwesens bis an das wohl vor langer Zeit prächtig gewesene Herrenhaus herangeschlichen. Es war das Gegenteil einer adeligen Behausung, wie man es von Sibellus kannte. Flach und weitläufig, anstatt hoch und spitz - heruntergekommen, überwuchert und finster, anstatt prunkvoll, gepflegt und strahlend. Cattaleya war über das Dach eingestiegen und dabei beinahe Opfer ihrer eigenen Unkonzentriertheit geworden. Überrascht von vier uniformierten Hauswachen war sie gezwungen gewesen in der Ecke eines quadratischen Raumes in einem dunkeln Spalt zwischen Hauswand und Wandschrank zu verharren, während die vier Männer ihren Feierabend in einem Sozialraum genossen, indem sie sich dem Kartenspiel und dem Alkohol hingaben. Wer denkt, dass drei Stunden intensiver Sport anstrengend seien, der sollte einmal versuchen, drei Stunden lang völlig regungslos zu verharren, und nicht einmal den kleinsten Laut von sich zu geben. Cattaleya hätte die Männer spätestens nach ein paar Gläsern leicht erledigen können, ihre oberste Prämisse jedoch war es, ungesehen und unbemerkt zu bleiben. Der leiseste Verdacht hätte ihr Ziel zur Flucht treiben können, und das musste um jeden Preis verhindert werden. Zu gut hatte sie die Worte von Lucius Frost in Erinnerung: „Am Leben bleiben, unbemerkt bleiben, die Anwesenheit des Zieles sicherstellen, und wenn möglich, Truppenstärke und deren Aufenthaltsort bestimmen.“ Sie hatte vor, jede einzelne ihrer Vorgaben umzusetzen.

Das Benehmen der Männer und die Thematik ihrer niederen Gespräche an dem Spieltisch widerten die aus feinem Hause stammende Van‘Sovrean an, aber vor allem war sie natürlich Profi. Daher wartete sie geduldig ab und nütze die Gelegenheit, als drei der vier Männer den Raum verließen, um ihren Geschäften nachzugehen. Der verbliebene Wachmann sah es nicht kommen, als sein Kopf nach einem gezielten und vor allem harten Hieb auf den Hinterkopf gegen den Tisch knallte. Eine über ihm entleerte Schnapsflasche, welche die Rückkehrer schließlich leer in seiner Hand wiederfänden, würde für die Ahnungslosen keine Zweifel an dem trügerischen Schicksal des Mannes lassen, der es hier wohl eindeutig übertrieben haben musste und sicher noch einige Zeit tief schlummern würde.

Der Rest war einfach. Auch im Hausinneren war es verhältnismäßig finster, um nicht zu sagen, düster. Soweit sie sah gab es in dem Gebäude keine Energie, zumindest wurde das Licht gänzlich von Kerzen erzeugt und die Räumlichkeiten durch brennendes Holz geheizt. Die Wachen waren alles andere als auf der Hut, und es gab auch nicht allzu viele von ihnen. An diesem verlassenen Fleck mitten im Nirgendwo war es sicher auch nicht einfach, fähiges Personal zu bekommen. Ungesehen durch das Anwesen zu schleichen, war daher nur eine Frage des richtigen Timings und der Übersicht. Während von ihrem eigentlichen Ziel zunächst jede Spur fehlte, machte sie sich mentale Notizen über Truppenstärke,  Positionen und Patrouillenroutinen. Als der vereinbarte Zeitpunkt näher rückte und sie sich bereits damit abgefunden hatte, bald den Abzugsbefehl aufgrund der Abwesenheit des Zieles geben zu müssen, führte sie ihr letzter Weg in die Katakomben des Herrenhauses. Angelockt von entfernten, rhythmischen Gesängen bahnte sie sich ihren Weg durch die verwinkelten und sauerstoffarmen Gänge, vorbei an alten Weinlagern, durch eine verstaubte Rumpelkammer, bis sie schließlich eine gewaltige Halle erreichte, welche sich wohl  gut zwanzig oder dreißig Meter unter dem Anwesen befand.

Was sie dort sah, ließ ihr Herz für einige Sekunden gefrieren. Aufgebahrt wie Holzscheite lagen verstümmelte Menschen, denen man sämtliche Gliedmaßen abgetrennt hatte, übereinander auf einem mit Blut gemalten Symbol, das bei ihr noch größere Übelkeit hervorrief als der Anblick der Masse aus blutigen Leibern. Einige der armen Seelen waren noch immer am Leben, was ihr qualvolles Stöhnen unzweideutig verriet. Um den menschlichen Scheiterhaufen herum knieten Gestalten in schwarzen Kutten. Die größte Obszönität von ihnen Allen war jedoch die Figur von Vynnor Lucrés, welche die Anmaßung besaß, in einer triumphierenden Pose genau auf dem Menschenhaufen zu stehen, während er einen widerwärtigen, sonoren Gesang anstimmte. Cattaleya hatte die Halle von einer hoch gelegenen Nische aus erreicht, welche in einen Balkonweg überging, der das Gewölbe säumte. Bleich im Gesicht fiel die Frau auf die Knie und summte leise eine Minute lang die Litanei der Erlösung,  ehe sie wieder im Stande war ihren Geist zu sammeln um zu tun was nötig war. Zu allem Überfluss ertönte im selben Moment wie aus dem Nichts eine Stimme in ihrem Kopf.

Kratzig und widerwärtig aufdringlich erklang sie, ohne ihr eine Möglichkeit zu geben, sie abzustellen. Es war Phos Isand. Das aufgeblasene Gehabe gab Cattaleya einmal mehr Recht und bestätigte ihre nicht besonders hohe Meinung von dem Sanktionierten. Man musste auch die positiven Aspekte in Betracht ziehen: Lucius und sein Team waren eingetroffen - sogar etwas früher als geplant und nicht einen Moment zu spät. Sie konnte es nicht ertragen eine solch perfide Gestalt wie Vynnor Lucrés auch nur eine Sekunde länger am Leben zu lassen als unbedingt nötig. In einer geschickten Bewegung streifte sie das Kopfteil der synthetischen Textur vom Gesicht, befreite damit ihre glänzenden brauen Haare aus dem engen Textilgeflecht und legte sowohl ihren ungeschminkten Mund als auch Ohren frei. Dabei aktivierte sie ihr Mikrophon und flüsterte: „Der Honig ist bereit für die Bienen. Gestochen wird nur am Rumpf. Der süße Kern ist in der Wurzel. Der Sänger ist laut wie die Nacht.“ Eines musste sie dem Psioniker lassen, die von ihm entwickelte Geheimsprache war einfach und effektiv.
Einen Handgriff später lag das mächtige Gewehr in ihren Händen, während sie sich mit dem Rücken gegen das Steingeländer des Balkonwegs presste. Immerwährend drangen die ketzerischen Gesänge des Hexers zu ihr hinauf und sie sah sich schließlich veranlasst zu handeln, und zwar sofort. Sie wollte und konnte nicht mehr warten. Die folgenden Momente vergingen für sie wie in Zeitlupe. In einer fließenden Bewegung erhob sich die Frau drehend aus der Hocke und ließ den Lauf des Gewehres nach unten in die Halle weisen. Entschlossen verlängerte sich der Blick ihres rechten Auges durch das Fernrohr des Scharfschützengewehres, bis er genau auf den Kopf des Hexers traf. Sie drückte ab und verfehlte ihr Ziel nicht um einen Millimeter, doch es war bereits zu spät.

Wird fortgesetzt...

Arden Etklint Kleist:
Zwei

Weiterhin auf Schleichfahrt und mit ausgeschalteten Scheinwerfern rumpelten die beiden schwarzen Arbites–APCs durch die windumtoste Nacht die letzten Meter des Passes an das Tor des Anwesens heran. Scans mit der fortgeschrittenen Auspextechnologie inquisitorialer Prägung hatten keinerlei technologischen Abwehrmaßnahmen oder Spähsonden erkennen lassen, so dass sich Frost dafür entschieden hatte, das Tor in klassischer Manier aufbrechen zu lassen. Ein Team aus vier Arbitratoren war gemeinsam mit Pater Thracian ausgestiegen, um mit Nachtsichtgeräten ausgestattet das feudale Hindernis zu beseitigen. Im Zwielicht seiner Speziallinsen sah das Gittertor eigenartig grün-gräulich aus, die reptilienartigen Insignien Harholdts waren unter der Schneekruste mittlerweile kaum noch zu erahnen. Der Ex-Arbitrator übersah das Voranschreiten der Arbeiten durch den knappen Sichtschlitz des Rhinos. Im Geheul des Sturmes war das trockene Knirschen des alten Metalles, welches unter dem Angriff der hydraulischen Arbites-Brechstangen rasch nachgab, vielleicht ein paar Meter weit zu hören. Die Männer schoben die Flügel mit schweren Schritten nach innen auf, und vor ihnen erstreckte sich lediglich von Schneetreiben gefüllte Dunkelheit. Sie hatten noch fast einen halben Kilometer Fahrt über die von losen Baumgruppen bewachsene Hochebene vor sich, bis sie auf die Schlucht und die Felsnase treffen würden, auf welcher das Herrenhaus stand.

Ein kurzer Zwischenstopp, bei welchem die bewusstlosen Wachen, welche dem psionischen Schrei Vox‘ zum Opfer gefallen waren, für weitere Befragungen gefesselt, geknebelt und in den hinteren Transportpanzer geladen wurden, war obligatorisch, und die geübten Hände der requirierten Gesetzeshüter versahen die Arbeit in kürzester Zeit. Noch immer gab es keinerleit Nachricht von Honeymoon, weder über die Truppenstärke, noch über die Anwesenheit des Zieles.

Lucius Frost hatte sich einen neuen Lho-stick angezündet und atmete geräuschvoll über seine Nasenlöcher aus. Er begann langsam aber sicher nervös zu werden. Die eiserne Kontrolle über seinen Körper, welche eine der Grundvoraussetzungen für einen erfolgreichen Arbites–Detektiv war, geschweige denn für einen Agenten des goldenen Thrones, führte dazu, dass die innere Unruhe des Anführers den Männern im Rhino gänzlich entging. Allein Pater Thracian warf ihm einen schwer zu deutenden Blick aus seinen erbarmungslosen, grauen Augen zu. Frost erinnerte sich im Geiste selbst daran, dass er sicherheitshalber Blender und Granit, zwei weitere Agenten seines Teams, am Raumhafen von Tulsholm stationiert hatte, nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass Lucrés die Bedrohung gewittert hatte, und untergetaucht war, um den Planeten zu verlassen.

Langsam setzte die schwarze Karawane in der Düsternis des Sturmes ihren Weg fort wie zwei monströse Käfer, die mit knirschendem Geräusch über den hartgepressten Schnee krochen. Nur hie und da brach der blässliche Mond durch die dicke Wolkendecke und gräuliches Zwielicht fiel durch das Schneetreiben. Auch wenn Frost wusste, dass diese Vorsichtsmaßnahme richtig war, drängte alles in ihm dazu, die Scheinwerfer einzuschalten und mit heulenden Motoren auf das Anwesen zuzupreschen und es im Sturm zu nehmen. Er ermahnte sich zu Geduld und Voraussicht und versuchte die Gedanken an Cattaleya zu verdrängen, seine Sorge um sie nicht überhand gewinnen zu lassen. Er hatte bisher erst zweimal ein Mitglied seiner Zelle an den Feind verlieren müssen und nur einmal davon hatte er auch das Kommando gehabt. Rikkard Horlant, so der Name des toten Kopfgeldjägers, würde ihn wohl in seinen Gedanken bis zu seinem Tode begleiten. Was hatte der verdammte Kerl auch seinen Funkspruch missachten und sich exponieren müssen? Frost schloss die Augen und nahm einen weiteren tiefen Zug von seinem Lho.

Der Funkspruch Van‘Sovreans durchdrang die angespannte Stille durch sein Microbead wie das Schlagen der gigantischen Bronzeglocken in der Kapelle des Imperators im Trikornus. Lucius entging gerade noch einem Hustenanfall, als sich sein Atemrhythmus abrupt durch die Unterbrechung der Nachricht änderte. Das Ziel war hier und im Kellergeschoß! Offenbar war mit etwas Widerstand auf der Eingangsebene zu rechnen, doch für bedachtes Vorgehen war nun keine Zeit mehr – „Der Sänger ist laut wie die Nacht!“ hallte die Nachricht in seinem Kopf wieder. Der Ex-Arbitrator schluckte schwer. Der verdammte Ketzer war offensichtlich dabei, irgendeinen unheiligen Plan in die Tat umzusetzen. Er wandte sich an Vox: „Gib ihr folgendes durch: Das Rudel kreist die Beute ein, wild bellt der Leitwolf. Der Honigmond denkt an die Porzellankiste!“ Er konnte nur hoffen, dass Cattaleya sich zurückhalten wurde, da die Unterstützung dabei war, einzutreffen, und dass sie sich an seinen Aufruf zur Vorsicht halten würde. Er wandte sich an Dvorov: „Scheinwerfer an und volle Geschwindigkeit. Und machen Sie die Lautsprecher an!“

Mit deutlichem Heulen reagierten die empörten Maschinengeister der Kettenfahrzeuge, als die Fahrer Ihnen ohne Vorwarnung ihr Äußerstes abverlangten. Die Helligkeit der Scheinwerfer, welche von den tanzenden Schneeflocken reflektiert wurde, ließ den Ex-Arbitrator trotz des Sichtschutzes blinzeln.
Schon nahm er vor sich den dunklen Umriss des feudalen Anwesen der Harholdts war. „Im Namen der heiligen Inquisition - Waffen weg und auf den Boden, Widerstand ist Häresie!“, bellte er mit rauher Stimme in den Voxponder, welcher seine Stimme etwas elektronisch verzerrt und mehrfach verstärkt von den Lautsprechern der Rhinos in Richtung des Anwesens projezierte. Der Herrschaftssitz war mit Flechten bewachsen und saß wie eine aus dunklen Augenhöhlen schielende Kröte am Rand der Klippe, hinter welcher sich das schwarze Nichts eines mehrere hunderte Meter steilen Abgrunds auftat. Noch während die Panzer, von deren Lautsprechern immer wieder Lucius Ermahnung schallte, auf das Eingangsportal zurollten, wurde das Knattern von Gewehrsalven hörbar, Zunächst nur vereinzelt, doch mit jedem Meter organisierter, und als sie schließlich mit blockierenden Ketten wenige Meter vor der Pforte anhielten, hatte sich auch das mechanische Hämmern eines Maschinengewehres darunter gemischt. „So viel zu der Idee, die Wachen könnten noch einen Funken Anstand im Leib haben und unnötiges Blutvergießen könnte vermieden werden“, dachte der Ex-Arbitrator bitter, bevor er sich wieder an Dvorov wandte: „Wir stürmen sofort, feuern sie die Rauchgranaten ab, gemeinsam mit der Deckung unserer blendenden Scheinwerfer sollte das genug Sicherheit für den Sturm der Eingangshalle bieten. Es werden keine Gefangenen gemacht.“ Untermalt von den dumpfen Einschlägen großkalibriger Projektilgeschoße an der Außenhaut des Rhinos ertönte ein dumpfes Knallen, als die Rauchgranaten kurz vor den Panzern ihren Inhalt entluden. Mit einem Knirschen öffneten sich die zugefrorenen Luken der Rhinos und die Arbites schwärmten in hundertfach geübtem Drill daraus hervor, um einen Schutzwall aus Plastekschilden zu formen, durch welche nur die schwarzen Mündungen der Gefechtsschrotflinten hervorblickten.

Lucius zögerte einen Augenblick und wurde sofort von Pater Thracian überholt, welcher unter seinem Helm mit den drei nach oben weisenden Zacken einen furchterregenden Anblick bot. Mit heulendem Kettenschwert sprang der Kleriker in den Schnee und schloss zu den Arbites auf. Als Lucius vor Vox aus dem Panzer kletterte, hörte er auch schon das Fauchen des Flammenwerfers Thracians, den der schwarze Priester wie immer einhändig führte. Qualvolle Schreie antworteten wenige Momente darauf, als aus der brennenden Pforte des Anwesens zwei in Flammen stehende Silhouetten hervor taumelten. „Spart eure Munition, lasst die Ketzer verbrennen!“, hörte er den tiefen Tonfall Gerharts über das Tosen des Sturmes hinweg in seinem im Helm integrierten Kommunikator tragen. Der Sturm auf Haus Harholdt hatte begonnen.

Als würden ihn die qualvollen Schreie der brennenden Ketzer anlocken, denn von nun an war jeder, der es wagte, sich dem Ordo Malleus entgegenzustellen, für Vox eben genau das, blickte der glatzköpfige, kleine Mann neugierig aus dem Truppentransporter der Arbites hervor. Sein Blick fiel auf Pater Thracian, der am Rande seines Sichtfeldes, welches durch Rauch und Schnee stark eingeschränkt wurde, gerade dabei war, selbst die tollkühnsten Arbites zu überholen und an vorderster Front seinen Tod zu suchen. Ganz konnte er den Pater nicht verstehen, denn war dies nicht genau der Grund, warum die Zelle die Spezialeinheit der Ordnungshüter dieses Randplaneten überhaupt erst mitgenommen hatte? Mit einem Schulterzucken sprang der kleine Mann aus dem Fahrzeug - als Letzter verstand sich.

Seine Aufgabe war es, hier die Übersicht zu bewahren, denn einer musste das ja übernehmen. Lucius Frost, den er üblicherweise als recht fähig einstufte, konnte er in dieser Hinsicht nicht mehr vollends vertrauen – einmal davon abgesehen, dass Vox sowieso niemanden richtig vertraute. Diesmal hatte er jedoch einige handfeste Gründe dafür, welche er auch vor Interrogator Immarut Railoun zu nennen gedachte, sollte es nötig sein, in den Augen von Frost unangemessen zu handeln und sich dann dafür rechtfertigen zu müssen. Zuerst war es für den gelernten Empathen nur so eine Ahnung gewesen. Es kam ihm jedoch schon reichlich seltsam vor, dass diese Augenweide namens Van‘Sovrean mehrfach auf Frost einreden musste, bevor er davon überzeugt war, sie alleine als Vorhut hinein zu schicken. Dabei sprach aus rein logischen Gesichtspunkten alles dafür. Zum einen würde sie ihnen nicht im Weg herumstehen, wenn sie gemeinsam das Anwesen stürmten, und zweitens war die Frau sowieso zu nichts anderem zu gebrauchen. Phos‘ Mundwinkel hob sich schelmisch, als er kurz darüber nachzudenken begann, ob sie nicht vielleicht noch für etwas anderes gut sein könnte. Wie dem auch sei, jedenfalls wirkte Frost seither auf seltsame Weise unruhig. Vox hatte zunächst angenommen, es sich nur einzubilden, aber mittlerweile hatte er zwei Fakten, die seinen Verdacht bestätigten. Zum einen war da dieser vielsagende Blick von Pater Thracian, der ihm nicht entgangen war. Vox war also in seiner Vermutung nicht alleine. Was ihn jedoch endgültig davon überzeugte, dass Lucius zu einem nicht unwesentlichen Teil durch Cattaleya abgelenkt war, war die Tatsache, dass der Leitwolf die Botschaft, die er gerade eben der Frau übermittelt hatte, mit Vox‘ eigenem, brillanten Geheimchiffre verschlüsselt hatte.
Dabei war das doch völlig überflüssig, da seine Telepathie unmöglich abzuhören war. Vox hatte sich dafür entschieden, ihr die Botschaft trotzdem verschlüsselt zukommen zu lassen, hauptsächlich deshalb, weil er die Sprache so mochte. Mit dem Pater mitten im Gefecht und Lucius, der folglich nicht zu hundert Prozent bei der Sache war, lag es also wieder einmal an ihm dafür zu sorgen, dass diese Operation vollstens gelang und im Nachhinein als glorreich klassifiziert werden konnte. Etwas Anderes konnte und wollte sich der Psioniker in seiner Akte auch nicht leisten.

Während der Wolf allerhand Anweisungen durch das Mikrofon heulte, folgte ihm Vox in wenigen Metern Abstand. Er selbst war mittlerweile mehr ein blasser Schemen, mehr unwirklich als real und selbst auf kurze Distanz kaum noch wahrzunehmen. Er wäre auch im Stande gewesen komplett zu verschwinden, dies wäre jedoch weit aufwendiger gewesen und aufgrund der ohnehin schlechten Sichtverhältnisse die weniger naheliegende Wahl. Sollte sich trotzdem ein Schuss in seine Richtung verirren, wäre das aber auch so kein großes Drama gewesen, da diese Hinterweltler scheinbar ohnehin nur harmlose Projektilwaffen im Einsatz hatten. Als der Eingang genommen wurde und die ersten Männer auch über die Fenster in das Innere des Hauses eindrangen, wo mittlerweile buchstäblich die Hölle los war, gespien aus dem zuckenden Flammer des Priesters, und Frost nicht den Anschein machte als würde er Rückendeckung nötig haben, beschloss er einem inneren Gefühl folgend eine zentralere Position einzunehmen und den Arbites direkt durch das bereits in inquisitioneller Hand befindliche Eingangstor zu folgen.

Von Gerhart fehlte mittlerweile jede Spur, alleine die schreiend brennenden Ketzer gaben Phos einen vagen Hinweis darauf, in welcher Richtung er ihn zu suchen hatte. Während seine Mitstreiter mit eher martialischen Waffen in den Händen das brennende Haus stürmten, betrat Phos gelassenen Schrittes und nur mit drei Glasperlen in der Hand das Herrenhaus, fast so als würde er dem hiesigen Adel einen höflichen Besuch abstatten. Vox musste lächeln, als ihm ein berühmtes Zitat eines mittlerweile längst toten Psionikers einfiel, das während seiner Zeit auf Terra gelehrt worden war. Er hatte den Namen des Mannes sofort als unwichtig eingestuft und somit längst vergessen, das Zitat jedoch war überaus treffend: „Mein Schwert kann durch Adamantium schneiden als wäre es Papier, und dennoch ist es eine stumpfe Keule verglichen mit der Schärfe meines Willens.“ Ja, dieser Satz hat Stil, denn Vox hatte wahrlich keine Verwendung für stumpfe Keulen. Als er einen weiteren psionischen Schrei manifestierte war dieser so intensiv, dass er sich nicht nur durch das Immaterium ausbreitete, sondern auch in die Wirklichkeit drang. Eine Gruppe aus sechs Wachen, welche sich hinter provisorischer Deckung verschanzt hatten und den Arbites das Leben schwer machten, sowie vier Mann, die sich irgendwo jenseits der Feuersbrunst in der Nähe von Thrasian aufhielten, fielen ohne einen Mucks um wie Reissäcke. Der Knall war diesmal ohrenbetäubend schrill und selbst Vox zuckte leicht zusammen, als in vierdutzend Metern um ihn herum sämtliche Fenster, Gläser, Spiegel und Brillengläser in Millionen kleine Splitter gesprengt wurden. Wo gehobelt wird, da fallen eben Späne, dachte er bei sich.

Wie als Antwort auf seinen psionischen Ruf erbebte das Herrenhaus in seinen Grundfesten, als ein außerweltliches markerschütterndes Brüllen aus dem Untergrund drang. Es war so widerwärtig, dass es gleich mehrfach in diversen kakophonischen Stimmlagen in seinem Kopf wiederhallte. Zum ersten Mal an diesem Abend regte sich in Phos so etwas wie Leidenschaft. Es war leidenschaftlicher Hass, der in ihm hochquoll. ‚Daemon‘, schoss es ihm durch den Kopf. Der abtrünnige Dilettant hatte es also tatsächlich gewagt einen Häscher aus dem Immaterium in diese Welt zu holen. Damit waren auch seine letzten Sympathien bei Vox verspielt. Wie er ihre gesamte Existenz verabscheute, die Unaussprechlichen, die unentwegt und ausdauernd auf einen Fehler von ihm warteten. Die, die ihn behandelten als wäre er ein Dieb, ein Dieb des Immateriums. Sie würden verdammt lange warten, denn Phos Isand machte keine Fehler.

Wie er jedoch im selben Moment verärgert feststellen musste, war er damit ziemlich alleine. Fünf oder sechs Männer der Arbites, darunter selbst Chastener Dvorov machten in diesem Augenblick verängstig kehrt. Einige von ihnen stammelten verwirrte Stoßgebete an den Imperator, der Rest von ihnen machte einfach nur den Eindruck, sich gerade einzunässen. Beim Anblick des erbärmlichen Packs griff sich Vox gequält auf die Stirn. Was hatten sie erwartet, womit sie es zu tun bekommen würden, wenn sie an einer vom Ordo Malleus geleiteten Operation teilnähmen, mit Ladendieben? Zu allem Überfluss veranlasste ihn ein Kugelhagel aus erhöhter Position dazu, in Deckung zu springen. Die Abtrünnigen nutzten scheinbar die Gelegenheit, um die Oberhand zurückzugewinnen. Aber auch wenn Vox‘ Abbild im Moment verzerrt und nur als Schimmer wahrnehmbar war, Zielen konnte man nicht gerade zu ihren Stärken zählen. Als das Krachen einer Boltpistole aus dem Hintergrund ertönte und auf dem hölzernen Balkonweg die Balken zu splittern begannen, atmete Phos erleichtert auf. Lucius war eingetroffen. Das nahm ihm lästige Arbeit ab und verschaffte ihm die Zeit, die er jetzt dringend benötigte. Als der Kugelhagel stoppte und Lucius mit einem Höllenlärm unentwegt einen Ketzer nach dem anderen ins Jenseits beförderte, brachen die Wolken über dem Anwesen derer von Harholdt auf und ein Strahl aus gleißend hellem und angenehm warmem Licht flutete das Anwesen. Er wusch die Kälte völlig aus allen Gedanken. Der Gestank von Tod, Qualm und Rauchgas wich einem berauschenden Duft aus Psalmian und Weihrauch, wie Vox ihn einmal in einem dem Imperator geweihten Tempel auf Terra wahrgenommen hatte. Es war, als würde der Gott-Imperator persönlich ein Auge auf dieses einsame Anwesen mitten im Nirgendwo richten. Jetzt erschien alles plötzlich Sinn zu ergeben, und die Möglichkeiten waren unbegrenzt. Sie mussten hier und heute einen Sieg erringen, koste es was es wolle. Dvorov selbst war es, der sich als erster wieder umwandte, und mit einem lauten, „Für den Imperator“, seine gesamte sichtlich faszinierte Truppe mitten durch die Flammen in das Herz des Anwesens führte, so als wäre er unverwundbar.

Was die Anwesenden nicht wussten war, dass Vox den Sinnen seiner Verbündeten nur einen vergleichsweise einfachen Gedankenstreich spielte, den jeder halbwegs fähige Telepath beherrschte. Das letzte was sie jetzt gebrauchen konnten waren ein paar ängstliche Hosenscheißer. Außerdem, wenn wirklich noch ein Daemon auf sie wartete, dann würden sie das Kanonenfutter bitter nötig haben.

Da ihre Opposition diese Illusion nicht wahrnehmen konnte, reagierte sie dementsprechend unbeeindruckt. Vox sechster Sinn konnte eine größere Truppe Verstärkung wahrnehmen, welche in den nächsten Sekunden aus östlicher Richtung zu ihnen stoßen und den mittlerweile fanatisch kämpfenden Arbites damit voll in den Rücken fallen würde. Kurz überlegte er seine Information an Frost weiterzugeben, entschied jedoch, dass die Verzögerung inakzeptabel sei und entschloss sich daher selbst zu handeln. Seine telepathische Verbindung war noch immer aufrecht, also gedachte er diese zu nutzen. So verstellte er seine Stimme, aufdass sie wie jene von Frost klang, und mischte ein leichtes Rauschen hinzu, sodass es sich anhörte, als würde Lucius über Funk sprechen. Dann sandte er gezielt eine Botschaft an den Fahrer des südlichen Rhino: „Frost an rechten Schuh, voller Schub durch die Hauswand etwa 14 Meter östlich des Einganges. Krachen sie voll hindurch und zerstören sie soviel sie können. Jetzt sofort!“ Dieser kaufte ihm seinen kleinen Trick ab, was ihm jedoch keiner ankreiden konnte. Selbst Lucius eigene Mutter hätte Schwierigkeiten gehabt die Täuschung zu durchschauen.

Direkt darauf antwortete der Fahrer des Rhinos durch das Voxkomm und für Frost gut hörbar mit einem deutlichen „Verstanden!“. Von draußen heulte der mächtige Motor des Transporters auf, als er nur wenig später mit voller Wucht etwa ein dutzend Meter östlich von Frost durch die Hauswand krachte.  Einen Berg aus Schutt vor sich her schleppend zerstörte er zudem eine tragende Mauer. Frost sah gerade noch, wie die vordersten Männer des geplanten Flankenangriffs jäh unter dem herabfallenden ersten Stockwerk des Nebenzimmers begraben wurden. Der Funkspruch von Van‘Sovrean, die etwas außer Atem zu sein schien, bestätigte im selben Moment, was Vox schon vermutet hatte. Die Dummeit von Lucrés, seinen eigenen Körper als Dämonenwirt zu benützen, schockierte jedoch selbst ihn: „Ein Daemon, ein geflügelter Daemon, Lucrés hat sich verwandelt. Höchste Gefahr…argh“ Damit war der hübsche Blickfang also schon mal Geschichte. Vox konnte nur hoffen, dass der Daemon der Versuchung nicht widerstehen konnte und sich noch an ihr vergreifen würde, bevor er sie tötete, oder auch in umgekehrter Reihenfolge. Das würde der Truppe Zeit bringen, die sie dringend benötigte. Die Opposition  musste jetzt mit allen Mitteln niedergeschlagen werden, damit der Häscher mit vereinten Kräften vernichtet werden konnte.

Der Eingangsbereich gehörte mittlerweile ihnen. Lucius‘ Befehle hallten durch das Microbead, und irgendwo war auch noch ein surrendes Kettenschwert zu hören, was Vox darauf schließen ließ, dass der irre Priester noch immer am Leben war. Bisher hatten sie keinen Verlust hinnehmen müssen. Lediglich einer der Arbites war an der Schulter verwundet worden, würde den Tag jedoch überleben - ein weiteres Indiz dafür, dass die Schießkünste seiner aktuellen Opposition in keine Annalen eingehen und nur mit hämischem Unterton in seinem Bericht Erwähnung finden würden. Erneut ließ ein markerschütternder und kakophonisch nachhallender Schrei das Anwesen erzittern…

Der brennende Türrahmen der Eingangshalle bot ein dramatisches Bild, als der Glaubenskrieger in der Carapacevollrüstung in großer Geschwindigkeit an den brennenden Häretikern vorbeistürmte. Rechtschaffener Hass und Leidenschaft durchfluteten ihn wie ein reinigendes Feuer. Als erster erreichte er die Türschwelle und blickte in die feudale Empfangshalle, in welcher ein Kamin am entgegengesetzten Ende eingerahmt von etlichen Gobelins thronte. Zahlreiche kleine Flammen leckten an den Dielen des alten Holzbodens der Halle und warfen gespenstische Schatten. Hinter einem hastig umgeworfenen groben Holztisch und dazugehörigem Diwan zischte ein Laserschuss in seine Richtung und hinterließ einen verkohlten Fleck am Brustpanzer Gerharts, ohne ihn jedoch zu verwunden. „Dies Irae“ murmelte er, bevor er in die Richtung des Tisches sprintete und mit einem gewaltigen Satz darüber hinweg setzte. Die Zeit des Zornes war gekommen! Thracian duckte sich unter dem Bajonettschwung eines Ketzers hinweg, welchen er mehr aus dem Augenwinkel wahrnahm und führte sein heulendes Kettenschwert in einem Halbkreis rechts unter dem Rumpf des Feindes hinweg. Mit einem hässlichen Geräusch zermalmten die scharfen, gegenläufigen Klingen der gesegneten Waffe die Beine knapp oberhalb der Knie des Mannes, welcher kaum noch die Möglichkeit hatte, einen überraschten und gepeinigten Schrei auszustoßen, bevor er in einer Lache aus Blut nach hinten umfiel. Nach einem kurzen Moment der Überraschung, welcher Gerhart gerade genug Zeit gegeben hatte, sich mit dem Rücken zur Wand zu positionieren, gingen die drei in braune Mäntel gehüllten Wachposten zum Gegenangriff über. Der Kleriker war in einer Position, die ihm durchaus nicht unwillkommen war. Von zahlreichen Entermanövern im Dienst der Raumflotte war dem Sternengeborenen der Kampf in enger Umgebung zu einer zweiten Natur geworden. Der Mann zu seiner Linken schwang den Gewehrkolben nach Gerharts Kopf und verfehlte um Haaresbreite, während der hünenhafte Glaubenskrieger dem Bajonettstoß von rechts mit einem Ausfallschritt und einer fast elegant anmutenden Parade mit seinem perfekt ausbalancierten Kettenschwert begegnete. Der dritte Ketzer traf den Kleriker am linken Oberschenkel und nur die metallverstärkte Bionik bewahrte Thrasian vor einer Verwundung, als die scharfe Klinge durch eine kleine Lücke der Panzerung drang. An der Hand des Angreifers erspähten seine wütend blitzenden Augen das grotesk missgebildete Fehlen zweier Finger und das klauenartige Horn, welches die restlichen drei bedeckte. Mutanten! Einer Welle gerechten Zornes gleich beschrieb seine Waffe zwei zuckende Kreise und wie durch Butter drang die Klinge durch die verdorbenen Formen seiner Feinde, welche der reinen menschlichen Form frevelten. Einer der Mutanten wurde von der linken Schulter bis zur rechten Hüfte gespalten und während noch der Schauer aus Blut in der näheren Umgebung einem frühlinghaften Platzregen gleich niederging, trennte Gerhart mit einem sauberen Schlag den Kopf des anderen von seinen Schultern. Der verbliebene Ketzer wollte sich gerade zur Flucht wenden, als Dvorov mit zweien seiner Männer zu Thrasian aufschloss und sie ihre Schrotgeschosse aus nächster Nähe in den verderbten Körper pumpten. Wie eine Marionette im Sturm wurde der Körper zweimal herumgerissen und fiel dann in grotesk verdrehter Haltung mit einem satten Schmatzen auf den alten Holzboden.

Gerhart deutete mit der triefenden Klinge in Richtung des Ganges rechts des Kamins und rückte, etwas in den Schutz der Schilde der Arbites zurückfallend, mit den Männern des Chasteners vor. Er wollte gerade seinen Flammenwerfer gegen einen neu erschienenen Trupp von Hauswachen erheben, als ein Schrei hinter Ihnen ertönte, so laut, dass unweigerlich die Ohren aller Anwesenden zu bluten begonnen hätten, wäre das kratzige Kreischen nicht vor allem in ihren Köpfen gewesen. Mit einem trockenen Knacken splitterte der große goldumrahmte Spiegel über dem Kamin und zerbarst in tausende kleiner Scherben, welche über dem Kleriker und den nahen Arbites niederregneten. Ein kühler Luftzug zeigte ihm an, dass auch die Fenster der Eingangshalle sämtlich zerbrochen waren und nun der von außen herein heulende Sturm die Flammen mit frischem Sauerstoff anstachelte. Er wandte sich um und erblickte den Psioniker, welcher der Zelle neu zugeteilt worden war und auf fast naive Art und Weise die Halle betreten hatte. So zentral positioniert stellte Isand eine ideale Zielscheibe dar. Gerhart zuckte mit den Schultern – „möge ihn der Imperator schützen, wenn er es wert ist“, dachte er bei sich, bevor er mit den Arbites weiter auf den Gang vorrückte.

Sie kamen gerade ein paar Schritte weit, bis ein unirdischer Schrei das Anwesen erbeben lies. Während die Psi-Manifestation des Sanktionierten zwar unangenehm, aber doch leicht erträglich gewesen war, so fühlte sich das Kreischen, welches aus den Tiefen der Erde selbst zu kommen schien, unrein und verderbt an. Dank seines unbarmherzigen Trainings auf Maccabaeus Quintus schüttelte der Glaubenskrieger die dämonische Aura, welche über sie hinweg wusch, ab wie schmutziges Wasser. Auf Dvorov und seine Männer jedoch hatte der unheilige Laut einen weit tiefgreifenderen Effekt. Einer der Arbites ließ seine Schrotflinte fallen und riss sich nach hinten taumelnd den Helm von den Ohren, um diese mit beiden Händen zu bedecken. Der Chastener selbst warf unsichere Blicke unter seinem Sturmhelm hervor und zog sich mäßig geordnet mit dem verbleibenden Rest in Richtung der nächsten Wand zurück. Gleichzeitig krachten mehrere Schüsse von der Galerie, welche linkerhand die Eingangshalle auf ganzer Länge flankierte. Thracian sah, wie Isand eilig in die unsichere Deckung hinter einem umgestürzten Bücherregal flüchtete. Als der Kleriker Frost beide Boltpistolen auf die Ketzer in erhöhter Position abfeuernd aus dem linken Gang kommen sah, gab er knapp über Funk zu verstehen: „Der Sänger hat eine Kakophonie entfesselt - ich versuche zum Abgang ins Untergeschoss vorzustoßen!“ Er war sich sicher, dass seine Zellenbrüder die Situation unter Kontrolle bekommen würden.
Als der Kleriker mit wehendem schwarzem Umhang im rechten Gang verschwand, wirkte Phos Isand seine Illusion und stachelte die Arbites-Truppen zu neuem Kampfgeist auf. Ein grimmiges Lächeln erschien auf dem Gesicht Gerharts, als er den Kriegsruf Dvorovs hinter sich vernahm. Bisher schlug sich der Sanktionierte für einen unverbesserlichen Sünder nicht übel.

Er hatte gerade eine weitere Wolke aus fauchendem Promethium in ein Nebenzimmer geschickt und wechselte nun, in eine Gangnische gedrückt, die Kartusche des Flammenwerfers, als der Funkspruch der adeligen Diebin metallisch verzerrt in seinem Helm widerhallte. Thracian hielt einen Moment inne und verschränkte seine Finger zum Zeichen der Aquila. „Imperator vult. Die Kakophonie darf den Rumpf nicht verlassen, die Schwingen müssen gebunden bleiben“,  sprach er mit fester Stimme in sein Helm-Mikro. Fast beiläufig fuhren die rotierenden Klingen seiner mächtigen Nahkampfwaffe in den brennenden Körper des letzten überlebenden Häretikers, welcher aus dem Nebenraum getaumelt kam. Gerhart nahm ihn nur peripher wahr. Sein wahres Ziel, dem nun all sein reiner Hass galt, lag tiefer in diesem Tempel der Häresie verborgen.

Einige Momente zuvor war der Augenblick seines Triumphes gekommen. Sie hatten ihn für einen Narren gehalten, einen überheblicher Kleingeist, Dabei waren sie es doch, die schlecht vorbereitet waren. Sie wollten einen Mann wie Vynnor Lucrés überraschen… wie überaus amüsant. Einen Erleuchteten seines Kalibers und seiner Größe konnte man aber nicht überraschen, niemals. Wieso wohl hatte er das Blutbad auf Palinurus Rhys überlebt? Wieso war er wohl so lange unentdeckt geblieben, ohne jemals auch nur den Hauch einer Spur zu hinterlassen? Oh, wie weit er ihnen doch allen überlegen war. Der Adelige konnte sie zu jeder Zeit sehen, wenn sie nach ihm suchten. Und diese Würmer, diese kleinen dreckigen Maden glaubten allen Ernstes ihm etwas befehlen zu können? Ihm sagen zu können, er solle sich den schwarzen Schiffen stellen? Der Gedanke war so widerwärtig, das ihm dabei fast übel wurde. Doch die Zeit des Versteckens war vorbei, die Zeit seiner Flucht bereits Geschichte. Nun würde er sich für alles rächen, für den Verrat an seinem Haus, für den Verlust seines Reichtums und des Lebens in Glorie, das er hatte eintauschen müssen für ein schmutziges Dasein in der Unterwelt. Er hatte sich dafür entschieden, sich wieder zu erheben, wie ein Phönix aus der Asche, um sein Haus zu neuem Ruhm zu führen. Jeden, der sich ihm in den Weg zu stellen wagte, würde er zerquetschen wie ein Insekt. Seien es die Arbites, der Ordo Hereticus oder auch, wenn es sein müsse, die gesamte Flotilla Calixis. Seine Macht würde bald grenzenlos sein, das hatte ihm die Stimme aus der Finsternis versprochen. Mit ihr gemeinsam würde er herrschen, sein Haus würde erstrahlen in Dunkelheit und er würde der Primarch dieses Hauses sein, den einzigen und wahrhaftigen Gott preisend.

Als er sein sonores Gebet an den Herrscher des Wandels richtete, war sein Geist von Zufriedenheit durchströmt. Zugegeben, diese kleine Gewehrschützin auf dem Geländer hatte er nicht kommen sehen, aber sie konnte ihn auch nicht mehr aufhalten. Sie hatte nichts verändert, war daher unbedeutend und es war nur allzu logisch, dass er sie deshalb nicht hatte wahrnehmen können. Würde ein Mensch einer Ameise Aufmerksamkeit schenken, wenn er von einem Raubtier bedroht wird? Nein, er würde sie einfach zerstampfen und es nicht einmal bemerken.

 Einer nach dem anderen nahm sich sein Leben, um es ihm zu geben. Diese Narren mit ihren schwachen Geistern, sie hätten die Größe seines Genies niemals erfassen können, deshalb konnte er sie auch beherrschen – er war der Puppenspieler und sie seine Marionetten. Jetzt lag es an ihm, ihre gesammelte Essenzen dem Einen und Einzigen zu schenken… Tzeentch, seinem Herrn und Meister. In seiner Hand hielt er den Schlüssel zur Zukunft. Naxarim der Seelendieb, so der Name des goldenen Dolches, eine Gabe des Herren des Schicksals an ihn, das Versprechen für seine Zukunft. Die Klinge war scharf an beiden Seiten und wies eine geschwungene Form auf. An ihr waren verschiedenste Gravuren so fein und genau, dass sie nur bei starker Vergrößerung überhaupt zu sehen waren und so perfekt, dass niemals ein Sterblicher sie hätte in die Klinge ritzen können. Die Symbole auf der Klinge beinhalteten einen Abschnitt des Codex Purus Veritatem, einem unheiligen Buch des Herrn des Wandels. Der Griff vergoldet und gewellt, der Knauf kugelförmig und mit einem blutrotem Rubin verziert. Endlich war der Moment gekommen...

Eripias me, Domine veritatis,
Venite ad me Dominus in veritate,
Ex cinere mihi Dominus in veritate,
Nunc et aeternum.

Dies waren die letzten Worte, die Cattaleya von dem Hexer gehört hatte und es sollten seine letzten gewesen sein. Als die Frau auf ihn anlegte überschlugen sich die Ereignisse. Der Ketzer stach sich mit dem goldenen Dolch in den Leib und in einer Explosion aus Blut, die aus dem Leichenhaufen und den geopferten Kuttenträgern drang, wurde Lucrés in eine rote Sphäre gehüllt. Schwarze Blitze begannen zu zucken und Eis bildete sich an den Wänden. Die Temperatur im Raum fiel so tief, dass der Adeligen selbst unter ihrer zweiten Haut zu frösteln begann. Blut floss in Strömen die Wände herunter und erstarrte noch auf halbem Wege zu rotem Eis.

Doch dieses Mal ließ sich die Adelige von all dem Wahnsinn nicht mehr beeindrucken. Ihr Blick war fixiert und die Kugel auf ihren Weg geschickt. Was jedoch vor wenigen Sekunden noch ein vitales Ziel darstellte, war nun nichts weiter als eine unbedeutende Stelle von etwas anderem. Während der Hexer das Blut in sich aufsog und die Blitze ihn verbrannten, begann er erbärmlich zu schreien. Sein Kopf versank in seinen Torso und seine Gewänder verkohlten noch an seinem Leibe, als er auf die vierfache Größe heranwuchs. Hörner aus fließendem Blut quollen aus allen Teilen von dem, was von Lucrés noch übrig war. Aus seinen Schulterblättern schossen pechschwarze Schwingen bestückt mit zerfledderten und vor Blut triefenden schwarzen Federn hervor. Auf seiner Brust formte sich schließlich ein Gesicht, dessen Nase ein langer spitzer Schnabel war. An Händen und Beinen bildete das Wesen lange geschwungene Klauen, scharf wie Messer und lang wie Schwerter. Beständig umgab den Daemon eine Schicht sich ständig veränderten und an ihm herab fließenden Blutes. Als der Prozess beendet war, schrie das Biest so laut, dass es Cattaleya beinahe betäubt hätte. Sein Schrei hallte in ihrem Kopf gleich mehrfach in verschiedensten Tonlagen wieder. Sie gab einen weiteren Schuss ab, dieses Mal frontal auf den Körper. Tatsächlich merkte das Biest kurz auf, erschien jedoch nicht sonderlich beeindruckt. Stattdessen setzte es beide Schwingen in Bewegung und schoss sich völlig der Schwerkraft widersetzend nach oben.

Mit übernatürlicher Wucht krachte der Daemon gegen den Balkonweg und schlug mit beiden Fängen nach Cattaleya. Die schiere Gewalt seines Aufpralls hatte den Beton des Balkonweges in Stücke gesprengt. Gerade noch rechtzeitig hatten sie sich mit dem Fuß vom Geländer abgestoßen um sich in den Nischenweg zu retten. Abermals schrie der Daemon so laut, dass das gesamte Herrenhaus zu beben begann. Sie hatte den Luftstoß der Klauen gefühlt, als sie die Luft vor ihrem Gesicht förmlich zerschnitten. „Thron der Erde...“, flüsterte die junge Adelige heiser vor Entsetzen. Der Nischenweg war zu klein und zu schmal für den Daemon, daher nutzte sie die Gelegenheit und gab einen dritten Schuss ab, doch die Bestie war so schnell vor dem Ausgang verschwunden wie sie davor aufgetaucht war. Cattaleya beschloss, dass sie hier nichts mehr tun konnte und zu den anderen aufschließen musste. Im selben Moment erkannte sie, wie einfältig der Gedanke doch war, lebend aus diesen Gewölben zu entkommen. Hätte sie nur auf Lucius Befehl gehört und wäre in der Porzelanvase versteckt geblieben. In einer rollenden Bewegung wich sie einer Salve spitzer, gefrorener Blutstacheln aus, welche das Wesen in den Gang geschleudert hatte. „Ein Daemon, ein geflügelter Daemon, Lucrés hat sich verwandelt. Höchste Gefahr… argh“ Sie verzichtete bewusst darauf Voxskrit zu verwenden. Die Zeit der Infiltration war vorbei, und mit diplomatischen Worten konnte sie hier auch nicht viel erreichen. So schnell wie ihre Beine sie trugen huschte die flinke Diebin durch die Gewölbe des Anwesens in Richtung Oberfläche. Ihre Größe gepaart mit ihrer Geschwindigkeit waren der einzige Vorteil, den sie in den engen Gängen gegenüber dem Daemon hatte.

Da war sie, die Wendeltreppe nach oben... fast geschafft.  Bereits schwer atmend sprintete Cattaleya dem Aufgang entgegen. Von dem Unwesen hatte sie länger nichts gesehen, und das war ihr nur recht so. Doch es wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein. Nur wenige Meter vor ihrem Ziel explodierte die rechte Wand förmlich, als der Daemon mit seinem massiven Körper hindurch stieß. An der Schulter von einem Mauerteil erfasst, wurde sie zurückgeschleudert und zu Boden geworfen. Der Daemon benötigte keine Sekunde um sich zu orientieren und fuhr mit den Klauen auf sie herab, doch schlugen diese nur eine tiefe Kerbe in den staubigen Flur, wo Cattaleya eben noch gelegen hatte. Ihre braunen Haare wirbelten wild herum, als sie sich verzweifelt umblickte. Keine Niesche weit und breit, kein schmaler Seitengang, nur sie und das Biest und ausreichend Platz für den Daemon sie zu zermalmen. Nach kurzer Analyse ihrer Ausweglosigkeit kam ihr eine Idee, so verwegen, dass ihr Herz zu rasen begann wie nie zuvor. Ihr Körper erbebte förmlich bei dem Gefühl der Anspannung, dass jeden ihrer feinen Muskeln durchströmte, und sie liebte es. Alles auf eine Karte setze änderte sie ihre Taktik und lief todesmutig auf den Daemon zu, was ihr den erhoffen Moment der Überraschung einbrachte. Dabei zog sie Sovrean aus ihrem Stiefel, schleuderte die blaue, vor Energie knisternde Klinge in das Gesicht der Warpkreatur und versenkte sie in einem ihrer Augen. Abermals schrie der Daemon auf, was Cattaleya die Möglichkeit verschaffte, sich mit Anlauf und mit den Füßen nach vorne zu Boden zu werfen und zwischen seinen  Beinen hindurch zu gleiten. Cattaleya blickte sich nicht um, spürte jedoch den Luftstoß, den der massige Daemon erzeugte, als er sich umwandte, um ihr nachzuschlagen. Doch abermals war ihm die Diebin einen Schritt voraus. So konnte er nichts tun als zornerfüllt mit anzusehen, wie der kleine Mensch in der hautengen pechschwarzen Gewandung über die enge Wendeltreppe aus seinem Blickfeld verschwand. Das Haus erbebte ein drittes Mal, als die Warpkreatur voll des Wutes schrie. Cattaleya wurde von einem Hochgefühl berauscht, so intensiv, wie sie es noch nie wahrgenommen hatte. Jetzt musste sie nur noch das Rudel des Leitwolfes finden...

„Lucrés du verdammter Bastard“, knurrte der Ex-Arbites zwischen zwei hastigen Atemzügen, als das dämonische Geheule aus den Tiefen des alten Gebäudes ertönte. Sie konnten von Glück sagen, dass die Entfernung die Wirkung des psionischen Schreis abschwächte. Den Funksprüchen der Truppen in der Eingangshalle zu entnehmen, war der moralische Effekt dort weitaus stärker, während seine Begleiter entweder lediglich unschöne Flüche ausstießen, ein Stoßgebet zum Imperator schickten, oder im Falle Dorundys, der Frau im Trupp, es schafften, beides auf eine Art und Weise in wenigen Worten zu verpacken, die knapp ans Lästerliche grenzte.

Er war an der Spitze eines Stoßtrupps aus drei Arbitratoren über die Fensterfront an der Westseite des Gebäudes eingedrungen, wo die Auspex-Scans des Kommando-Rhinos im ersten Stock das MG-Nest, welches die Truppentransporter unnachgiebig beharkte, ausgemacht hatten. Sie waren über eine Galerie, gesäumt mit Ölbildern der Ahnen derer von Harholdt eingedrungen, die Fenster waren gezielten Schlägen mit den Kolben der Schrotflinten zum Opfer gefallen. Jahrhundertelang vor schädlichen Witterungseinflüssen bewahrte Kunstwerke würden innerhalb von Minuten von der grausamen Kälte und der hohen Luftfeuchtigkeit dahin gerafft werden. Wenn man bedachte, was mit den Adeligen geschehen würde, wenn der Hexer erst gefasst war, eine durchaus passende, schicksalshafte Allegorie. Frost riss sich von seinen Überlegungen los, als sie eine enge Wendeltreppe nach oben vorstießen.

Am Ende der Treppe stießen sie zum ersten Mal auf Widerstand. Als wären die Ketzer vorgewarnt worden, riss ein humanoides Wesen mit grässlich entstellten Gesichtszügen die Holztüre auf und stürzte sich, ein glitschig anmutendes Gurgeln ausstoßend, mit bloßen Händen auf den erstbesten Gegner: Ostiil. Frost kannte den Mann erst seit einigen Stunden und hatte trotzdem versucht, zumindest einige Worte mit ihm zu wechseln und sich seinen und die Namen der anderen Ordnungshüter einzuprägen. Die Männer und Frauen zu kennen, denen man im Kampf sein Leben anvertrauen musste, war eine der Kerndoktrinen des Ex-Arbites.

Krachend löste sich ein Schuss aus der Gefechtsschrotflinte, als die Kreatur Ostiil um Sekundenbruchteile zuvor kam und den Lauf der Waffe mit schuppiger Hand gegen die Wand schlug. Der Widerhall war trotz des in den Sturmhelmen integrierten Lärmschutzes ohrenbetäubend. Frost war zwischen Dorundy und Erwak blockiert, in der engen Marschordnung war kaum an den Einsatz seiner Boltpistolen zu denken. Die stämmige Frau vor ihm lies augenblicklich ihre Schusswaffe fallen und zog einen länglichen Stab, welcher mattes gelbliches Licht zu verströmen begann, als der Mechanismus der Schockwaffe mit tiefem Summen zum Leben erwachte. Sie drückte sich eng an die rechte Wand, als ihr Vordermann die Balance verlor und samt seinem mutantischen Angreifer in tödlicher Umklammerung gegen die linke Wand der Treppe fiel. Bevor Lucius Zeit hatte, mit seiner Boltpistole ein verlässliches Ziel zu finden, bereinigte Dorundy die Situation: Begleitet von einem knackenden Geräusch entlud ihr Schockstab seine volle Voltanzahl in das Genick des in graue Lumpen gehüllten Mutanten, dessen Geifer sich bereits auf Ostiils Sichtschutz zu verteilen begonnen hatte. Augenblicklich erschlaffte der Griff der grotesken Hände um den Hals des gefallenen Kameraden und der Körper des Mutanten zuckte noch kurz, bevor ihm die Arbitratorin einen Tritt verpasste, der den Körper die Treppe nach unten beförderte. Mit beiden Händen wischte sich Ostiil den zähen Schleim vom Helm, um sich wieder freien Blick zu verschaffen. Lucius war positiv überrascht von der Professionalität mit welcher der Mann den Schrecken der Attacke an sich abprallen ließ.

Dorundy schnappte ihre Schrotflinte mit einer geübten Handbewegung und gab per Helmmikro knapp „Ich übernehme die Führung! Der Imperator beschützt!“ durch, bevor sie aus der Hüfte feuernd in den Raum am Ende der Treppe vorrückte. Frost ließ Erwak hinter sich vorbei und deutete ihm mit einer knappen Geste seiner tollkühnen Kollegin Feuerschutz zu geben. Er deckte den Abgang mit seiner Boltpistole und reichte Ostiil die linke Hand, welcher sich mit dankbarem Nicken hochzog. Er nahm sich vor, die beiden Arbitratoren für seinen späteren Bericht vorzumerken, sollten sie die heutige Nacht überleben.
Er folgte den beiden Ordnungshütern in die schmale Turmkammer und überblickte einen kreisförmigen Raum mit erkaltetem Kamin zur Rechten und einem massiven Bücherregal zur Linken. Etliche schmutzige Matratzen und abgestandene Luft, in welcher der Geruch von altem Schweiß und feuchtem Mauerwerk miteinander konkurrierten, kündeten von einer Handvoll Männer, welche hier ihr Schlafquartier eingerichtet hatten. Eine Holztreppe führte einen weiteren Stock nach oben, von wo aus das charakteristische Knattern einer weiteren MG–Salve zu Ihnen herunter drang.

Lucius legte den linken Zeigefinger auf die Lippen und schlich die Boltpistole in der rechten zur Deckenluke erhoben durch das Zimmer. Er pausierte kurz bei einem kleinen Beistelltisch um das darauf abgestellte grünliche Fläschchen zu heben und den Inhalt zu inspizieren. Der charakteristische, stechende Geruch der öligen klaren Flüssigkeit in Kombination mit der kruden Spirale, welche als Zeichen die Flasche zierte, bestätigte seinen Verdacht: Spuk. Offensichtlich hatten die Wachposten hier noch vor kurzer Zeit die höchst illegale Droge konsumiert, deren brisante Wirkung eine tiefere Verbindung mit den Höllen des Warps darstellte. Die Erklärung für die hexerische Voraussicht des ersten Angreifers war gefunden, es blieb zu hoffen, dass die übrigen Ketzer andere Auswirkungen der Droge spürten. Mit zusammengekniffenen Augen leerte er die Flasche auf eine der Matratzen aus und  winkte die stämmige Frau zu sich. „Auf mein Signal werfen sie die Flasche im Kamin nach oben. Ihr Zerbrechen wird uns einen Moment der Überraschung gewähren. Ich stürme mit den anderen.“, flüsterte der Ex- Arbitrator ihr zu. Er positionierte sich mit den Männern an der Treppe und zählte langsam mit den Fingern von drei abwärts. Als Dorundy die Flasche im Kaminschacht nach oben warf, wartete er einen Atemzug auf das brechende Geräusch des Glases und stürmte dann gefolgt von den beiden Ordnungshütern in die letzte Kammer des gedrungenen Turmes.

Oben angekommen drehten sich vier in braune Mäntel gehüllte Figuren in einem improvisierten MG-Stand an einem zerborstenen Fenster erstaunt in ihre Richtung um. Es konnte sich nur um Augenblicke handeln, bis die Bastarde das großkalibrige Automatikgeschütz neu ausrichten würden. Dem kurzen Augenblick der Stille folgte das hochfrequente Krachen der semiautomatischen Mündungsfeuer von Ostiil und Erwak, welches rasch vom Röhren der Boltpistole begleitet wurde. Wie reife Melonen platzte der Kopf des Munitionsträgers, knapp gefolgt vom Oberschenkel des Schützen. Die aufkommenden Schreie gingen rasch im Kreuzfeuer des Sturmkommandos unter. Als Dorundy über die Treppe nach oben gehetzt kam, waren von den Mutanten am MG-Stand nur noch blutige Fetzen über.

Während sie die Waffen nachluden, hörte Frost über Helmfunk die gestammelten Stoßgebete der Trupps in der Eingangshalle begleitet vom Krachen halbautomatischer Gewehre.  In dem Chaos des Angriffs war es nicht einfach, solche Details herauszuhören, doch als Ex–Arbitrator konnte Frost das Geräusch ihrer Schrotflinten blind vom Knattern der Schnellfeuerwaffen des Feindes unterscheiden. Offensichtlich waren die Truppen im Eingangsbereich  in Bedrängnis.

„Dorundy, Erwak, sie übernehmen den Westflügel, es ist noch mit schwacher Gegenwehr zu rechnen, keine Heldentaten! Nach der Beendigung des Durchsuchens melden sie sich sofort über Funk. Keine Gefangenen!“, schärfte Frost den beiden Arbitratoren ein.
„Sie kommen mit mir, Ostiil!“, mit diesen Worten stürmte er die Treppe nach unten in die Galerie, wo sich mittlerweile die Ölgemälde in Schichten von den Stoffbezügen schälten und einen bizarren Anblick boten. Sie bogen nach rechts in einen schmalen Seitangang ein, in welchem schon der Feuerschein, welcher die Eingangshalle erfüllte, lange Schatten an die Wände warf. In klassischem Arbites–Drill deckten sich die beiden Männer gegenseitig, bis sie ihren bedrängten Verbündeten aus neuem Winkel Feuerschutz gegen die Schützen in der erhöhten Position der Galerie boten.

Mißtrauisch kniff Lucius die Augen zusammen, als wärmendes Licht die Halle flutete, erstaunt roch er Weihrauch und … einen Hauch von Myrrhe? „Hexenwerk!“, schoss es ihm durch den Kopf. Er schüttelte sein Haupt und mit der Bewegung entledigte er sich der Illusion. Das graue Zwielicht, in welchem die Flammen über dem siedenen Promethium tanzend gespenstische Schatten an die Wände warfen, kehrte in die Halle zurück. Dvorov und die restlichen Arbites schienen jedoch neuen Mut zu schöpfen, ein kurzer Blick zu Isand zeigte ihm, woher dieser überweltliche Beistand gekommen sein musste. Er konnte nur hoffen, dass sich die voranstürmenden Arbites an ihre Gefechtsdrills erinnern würden und nun nicht einen sinnlosen Heldentod suchen würden.
Pater Thracians Funkspruch in Voxskrit bestätigte Lucius Befürchtung: Sie würden es tatsächlich mit einem Daemon zu tun bekommen. Ein Glück, dass die Arbitratoren diese Warnung nicht verstehen konnten, sonst wären sie dem voranstürmenden Kleriker wohl kaum so bereitwillig gefolgt. Er ließ sich etwas zurückfallen und nahm im Gegenzug zu Isand eine gedeckte Position hinter dem umgeworfenen Tisch bei der Sitzgruppe ein, um sein Data-Slate zu ziehen und die Karte des Anwesens zu studieren. Wohl mehr instinktiv hatte der Glaubenskrieger grob die richtige Richtung gewählt. Während Frost etwas nachrückte und über sein Mikrofon Richtungsangabe und Befehle bellte, um dem Vordringen ins Innere des Gebäudes eine geordnete Struktur zu verleihen, knackte plötzlich das „Verstanden“ des zweiten Rhinofahrers durch den Äther.

Der Ex–Arbitrator drückte sich gegen einen Mauervorsprung und blickte in die Eingangshalle zurück, wo unter herabstürzendem Mauerwerk ein paar dunkle Gestalten zu Boden gingen und einer der Scheinwerfer des Truppentransporters begleitet vom Knirschen der Ketten auf trockenem, zerborstenem Ziegel sein grelles Licht in die Halle warf. Ein Blick in das selbstzufriedene Gesicht des sanktionierten Telepathen waren genug für Lucius um Isand als Ursprung dieser Aktion zu identifizieren. Kurz war er zwischen Ärger über diese Insubordination und Überraschung über die brutale, unorthodoxe Effizienz hin und hergerissen, entschied sich jedoch aufgrund des Hilferufes Honeymoons, diese Entscheidung bis auf weiteres aufzuschieben. Der Eingangsbereich gehörte Ihnen und gemäß Van‘Sovreans Beschreibung war die verbleibende Truppenstärke im Obergeschoß nur noch minimal. Eilig befahl Lucius zwei weitere Arbitratoren in den Ostflügel, oder, was davon nach der Attacke des Rhinos noch übrig war, dann gab er auf der allgemeinen Funkfrequenz durch: „Wir rücken gemeinsam bis zum Abgang ins Untergeschoß vor. Niemand dringt ohne meine Anweisung weiter vor! Isand, schließen sie auf und zwar zackig!“ Er zwang seinen hektischen Atem zur Ruhe, als er sich seinen Weg in dem schmalen Gang an den Arbites-Kämpfern vorbei bis an die Seite von Gerhart drängte. Auf dem Data-Slate zeigte er ihm den Weg in Richtung Abgang und lies sich dann in eine hängende Position hinter der Spitze des Angriffes fallen. Auch wenn die Sorge um die Thronagentin an ihm nagte und wie ein pochender Kopfschmerz im Hintergrund seines Bewusstseins ruhte, zwang er sich zur Ruhe – ohne gezieltes Vorgehen stand nicht nur ihr Leben auf Messers Schneide.

Arden Etklint Kleist:
Drei

Dem Befehl des Leithammels folgend schloss Vox zum Rest der Truppe auf. Im Eingangsbereich, wo der irre Pater zunächst ein für den Sanktionierten willkommenes Lagergrillen mit Häretikerbuffet veranstaltet hatte, war es mittlerweile ziemlich ungemütlich. Schuld daran war vor allem der brennende Holzboden, der sich langsam in hoch giftigen Rauch verflüchtigte. Frost hatte vor Beginn der Mission darauf bestanden, dass Phos sich zwei wenig komfortable Filterstöpsel in seine Nasenöffnungen steckte. Mittlerweile war er für die Voraussicht des Ex-Arbitrators durchaus dankbar, und hatte vor, diese Vorsichtsmaßnahme im Nachhinein auch löblich zu erwähnen. Denn auch wenn man es dem narzisstischen Psioniker nicht sofort ansah, so war ihm dennoch bewusst, dass selbst der fähigste Mann immer noch viel Potential nach oben hatte. War nicht der Imperator selbst der lebende Beweis dafür? So war auch er über die seltenen Gelegenheiten dankbar, in denen er sich verbessern konnte, und sich nicht dafür zu schade, dies auch einzugestehen.

 Obwohl bisher alles nach dem Geschmack von Frost ablief, durchdrang Vox ein Gefühl der Unruhe. Der Widerstand der Opposition war auf vereinzelte Schüsse kleinkalibriger Waffen reduziert, welche an den Flakschilden der unter dem Kommando des Gruppenprimus rigoros vorrückenden Arbitratoren harmlos abprallte. Ihr Ziel war ein zentral liegendes Foyer. Vox hatte seine Architektur mit den zwei breiten gebogenen Marmortreppen, die von einem Halbstockwerk schließlich in den ersten Stock des Anwesens führen würden, von dem aus man über ein Geländer von allen Himmelsrichtungen in das Erdgeschoss hinunter blicken konnte, memoriert. In dessen Zentrum würde eine Treppe sein, welche sich eng geschlungen nach unten wand um schließlich in den Weinkeller zu münden. Etwas prägnanter ausgedrückt also der ideale Ort, um in einen Hinterhalt zu laufen. Doch das war es nicht, was Vox beunruhigte. Das taktische Gespür, nicht vollkommen blindlings in diese offensichtliche Falle zu tappen, hätte er einem 12-jährigen zugetraut. Es war etwas anderes.
Um eine klarere Definition für seine Vorahnung zu bekommen duckte er sich hinter einem Kasten weg und ließ seinen psionischen Fokus im geschwungen Ballett über seine Handfläche kreisen während er seine Sinne auf Reisen schickte. Die vielen kleinen Schatten seiner Umgebung bestätigten die Vorahnung, dass der Kampf um das Anwesen noch nicht endgültig entschieden war. Seine wahre Aufmerksamkeit erhielt jedoch ein rotes Glühen, charakteristisch für ein Wesen mit enger Verbindung in die Untiefen des Irrealen. Ein Psioniker war anwesend und dieser war der Grund für seine Unruhe. „Ein zweiter Sänger spielt auf dem Parkett. Die Porzellanvase umgibt den Bruder des gerechten Feuers. Der Pianist empfiehlt den Sprühregen“, rauschte die kratzige Stimme von Isand durch das Micro.

Lucius‘ und Vox‘ Blicke trafen sich nur einen Moment später. Der Blick des Anführers war fest, rein und völlig konzentriert, wie ein Wolf, der seine Beute fixiert hatte. Auf Terra, in der Psychana Telepathica, wurde ein angehender Sanktionierter nicht nur auf übersinnliche Fähigkeiten geschult, sondern auch die weltlichen. „Ein wahrhaftiger Telepath kann die Gedanken seines Gegenübers mit einem einfachen Blick in dessen Gesicht lesen.“ Tatsächlich sah sich Vox durchaus als Meister darin, Menschen einzuschätzen und ihre Mimiken zu lesen wie ein offenes Buch. In diesem Moment verriet ihm der Blick des Ex-Arbitrators viele seiner Gedankengänge. Frost haderte damit, ob er dem Urteil seines neu zugeteilten Psionikers vertrauen konnte. Vox ahnte, dass der Mann einen durchaus gesunden Respekt vor den Mysterien des Immateriums hatte, die der einfache Verstand des Anführers nicht im Ansatz verstehen konnte. Dennoch bekam Phos in diesem Moment das Gefühl, dass seine Überlegungen tiefer begründet lagen und durchaus etwas mit seinem kleinen Trick mit dem Rhino zu tun haben mochten. Die folgenden Befehle, die der Ex-Arbitrator seinen Männern zukommen ließ, zeigten durchaus Charakter, denn dieser war zweifellos nötig, um seine eigene Taktik zu Gunsten eines Vorschlages eines Untergebenen zu verwerfen.

Wie von Vox suggeriert ließ Frost die Arbitratoren ausfächern und ausschwärmen. Sie würden sich dem Foyer mit den Stiegen von allen Seiten gleichzeitig nähern. Er selbst begleitete zwei von ihnen, bei denen seine Anwesenheit sichtliches Unbehagen auslöste, über einen Umweg durch den Westflügel, um aus nördlicher Seite eindringen zu können. Ein wie aus dem nichts auftauchender Guerillakämpfer, der sich fernab seiner verbündeten Ketzer hinter einem opulenten aber verwaist aussehenden Sofa verschanzt hatte, stieß plötzlich aus seinem Unterschlupf hervor und deckte das Trio aus kürzester Distanz mit einer vollen Breitseite seines automatischen Maschinengewehrs ein, ohne dabei jedoch auf das obligatorische irre Gelächter zu verzichten. Dem blonden, kurzgeschorenen Arbitrator mit der schiefen Nase zu seiner linken, der etwa in Vox' Alter sein mochte und dessen Namen ihn eigentlich nicht wirklich interessiert hatte, war deutlich anzusehen, dass sein unbedeutendes Leben in diesem Moment vor seinen weit aufgerissenen Augen vorbeizog. Vox reagierte schlagartig und mit einem Mal verlangsamte sich der Fluss der Zeit in seinen Gedanken bis er nur noch eine zähe Masse war. Er sah wie das Gewehr des Ketzers mit jedem Austritt einer neuen Kugel leicht verzog und das Feuer, das jede Patrone beim Verlassen der Mündung begleitete. Während er mit den Gedanken im Empyreum wob, verdichtete er den Raum des Materiellen und entzog den Kugeln jegliche kinetische sowie potentielle Energie, sodass sie wie von unsichtbarer Hand gehalten mitten in der Luft direkt vor dem Körper des jungen Arbites zu stehen kamen. Todesursache: Zwei Kugeln in den Kopf, zwei in den Oberkörper, eine in den Oberschenkel. Alle Kugeln Kaliber .45. Tod trat sofort ein. So etwas in der Art wäre wohl in dem gründlichen Bericht von Lucius Frost zu lesen gewesen.

Vox hätte nur zu gerne den dummen Gesichtsausdruck des Ketzers gesehen, den Moment in dem die Erkenntnis seiner Chancenlosigkeit, seiner völlige Unterlegenheit und seines sicherer Todes in seinem Blick Ausdruck gefunden hätte. Doch eine prompte Kugel des anderen Arbitrators, der sein Gesicht hinter einem trüben Schutzhelm verbarg, hatte den Häretiker am Hals getroffen, sodass leider nichts außer einer entstellten Mimik zurückblieb. Das leise Klacken, welches die fünf Gewehrkugeln erzeugten, als sie einen Moment später harmlos zu Boden fielen, komplettierte der Glatzkopf mit dem ungepflegten Kinnbart mit den großspurigen Worten: „Wieder einer mehr, der in meiner Schuld steht… aber machen sie sich keine Sorgen, ich lasse keinen Gefallen uneingelöst.“

Beim Rest des Weges durch das Anwesen gab es keinerlei Gegenwehr. Den Positionsangaben und vereinzelten Meldungen seiner Kollegen entnahm der Sanktionierte, dass es den anderen Truppen ähnlich erging. „Zinnober bereit, Primaris bereit“ Er ergänzte die Bereitschaftskette mit einem „Magenta in Position“. Beinahe gleichzeitig krachten aus westlicher, südlicher und östlicher Richtung die mit feinen Intarsien verzierten, hölzernen Zugänge des stattlichen Treppen-Foyers aus ihren Angeln. Unter der Deckung von Blend- und Rauchgranaten, welche als erstes den Raum blitzend erhellten und grauen Nebel verbreiteten, stürmte der Ordo Malleus mit vereinten Kräften das Foyer. Luam Harholdt hatte bereits auf sie gewartet.

Als die ersten Arbitratoren in den Raum stürmten, war nur ein leises Singen wie aus mehreren Kinderkehlen zu vernehmen. Mit erhobenen Sturmschrotflinten rückten die Teams in aufgefächerter Formation gegen die Treppe vor, deren Ende mittlerweile auch im Nebel verborgen war. Die Lampen, welche an den Waffen befestigt waren, hinterließen mit ihren fahrigen, nach einem greifbaren Ziel suchenden Bewegungen ein verwirrendes Zickzackmuster im Nebel. Mit jedem Schritt, welchen die Trupps auf die Treppe zumachten, wurde der Gesang eindringlicher.

Plötzlich fegte ein Windstoß durch den Raum und der Rauch der Granaten verflog in gespensterhaften Schlieren. Gleichzeitig wurde die düstere Halle von zahllosen kleinen Lichtern erhellt, welche von großen weißen Kerzen ausgingen. Immer mehr und mehr Lichtlein wurden auf der Galerie entzündet, gehalten von feinen Kinderhänden, bis schließlich die gesamte obere Galerie innerhalb weniger Momente von einem brennenden Lichtermeer erfüllt war.  Auch das Singen der Mädchen und Jungen hatte schlagartig an Intensität zugenommen, die Sturmtruppen sahen sich einer Masse aus Kindern gegenüber, welche das Tasten der Suchlampen aus starr zurückblickenden Augen erwiderten. Inmitten der Schar ragte eine Gestalt auf, gekleidet in einen roten Samtumhang mit Brokatbesatz. Das bleiche Antlitz starrte mit offen grinsendem Mund auf die schwarz gekleideten Angreifer herab, aus dem rechten, nach oben verzogenen Mundwinkel troff ein feiner Faden Speichel auf das Stecktuch des Adeligen. Die schielenden Augen flitzten über den Hallenboden hinweg und musterten die Ordenshüter, welche, konfrontiert mit einem Heer unschuldiger Kindersoldaten, wie erstarrt wirkten. „Geht, meine kleinen Engel! Auf den Schwingen des Windes des Wandels fliegt für mich!“, kicherte Harholdt, während seine Stimme von anfänglich tief und sonor bis in unangenehm schrille Tonlagen kletterte.

Wie ein Mann setzte sich die Schar der kleinen Kerzenträger in Bewegung und begann die Treppe herab zu marschieren, wobei bei jedem Schritt die Kerzen etwas stärker aufloderten. Thracian presste die schmalen Lippen eng aufeinander, während er sich hinter zwei Arbitratoren hervordrängte. „Ihre Seelen sind gefangen und beschmutzt. Jede Sekunde, die sie in dieser Welt verweilen, verfangen sie sich mehr im Dickicht des Chaos. Verschont niemanden, der Imperator wird die Seinen erkennen.“, stieß er hervor.

Mittlerweile hatten die ersten der kindlichen Geschöpfe das Bodenniveau erreicht. Gerhart stürmte an der linken Flanke vor und blickte nach oben in Richtung des Hexers, welcher sich irr kichernd an der Brüstung der Galerie festhielt. Entschieden richtete er seinen Flammenwerfer auf die Treppe, auf welcher die Kinder herab schritten. Die ersten Schüsse krachten in Richtung Harholdts, welcher kreischend hinter einer steinernen Balustrade Deckung suchte. Wie gelähmt ließ der Arbitrator am rechten unteren Ende der Stiegen seine Schrotflinte sinken und streckte dem blonden Mädchen vor ihm, welches ihn aus leeren Augen anstarrte die offene Hand entgegen. Ein Sprühregen aus Promethium ging auf der Treppe nieder und Gerharts Augen weiteten sich im Zorn, als die hochbrennbare Substanz sich weigerte, Feuer zu fangen. Die wenigen Flammen, welche erwachten, als der Strahl die Flammen der Kerzen berührte, erloschen nach kurzem Kampf. „Ein Pyro – vers….“, der Funkspruch von Vox ging in der Kakophonie unter, welche entstand, als die Hand des Arbitrators sich auf den Kopf des Mädchens zu senken begann. Mit einem teuflischen Grinsen hielt das Kind die Flamme seiner Kerze an den Ärmel des Mannes. Zweimal leckte die Flamme versuchend daran, wie um den Geschmack zu testen, dann loderte eine grellrote Flamme auf, deren Zungen sich nach innen zu wenden schienen und das gellende Kreischen des Mannes übertönte die weiteren Worte Isands. Sie waren ohnehin hinfällig. Thracian warf seinen Flammenwerfer zu Boden und packte das gesegnete Kettenschwert mit beiden Händen. „Tötet sie alle! Der Imperator will es!“, hallte seine tiefe Stimme in den Helmmikrofonen wieder.

In geübtem Drill knieten die vorderen Arbites nieder und die dahinter stehenden traten heran, eine Wand aus Carapace und Schrotflinten bildend. Während einige der ersten Schüsse trotz Gerharts Gebot als Warnschüsse über die Köpfe der nun wild voranstürmenden Kinder gedacht waren, fegte die darauffolgende Salve mit schrecklicher Kraft in die kleinen Körper. Die Flammen der Kerzen tanzten und verwoben sich miteinander, bis sie eine einzige flammende, wogende Decke bildeten, welche sich gierig nach allen Seiten ausstreckte. Pater Thrasian hatte auf seinen ersten Schritten die Treppe hinauf noch versucht, die kleinen Körper bloß beiseite zu schieben, doch sofort hatten sich die Kinder wie besessen auf den Kleriker gestürzt und ihn sogar beinahe zu Fall gebracht. Jetzt schwang der Glaubenskrieger seine Kettenschwert mit beiden Händen, seine Rüstung über und über mit Blut besudelt.  Plötzlich explodierte seine Umgebung in einem Feuersturm aus grellem Rot und düsterem Violett. Die Hitze griff unbarmherzig nach ihm und versengte sein Barthaar trotz des Schutzes seines Carapacehelmes und raubte ihm die Luft zum Atmen. Er ging keuchend in die Knie und schlug den linken Ellenbogen vor den Sehschlitz. Als er den Arm wieder sinken ließ, stand er in einem Kreis verkohlter Leichen, der mit Promethium getränkte Teppich auf der breiten Steintreppe hatte kurz ebenfalls Feuer gefangen, doch schon wanden sich die schwindenden Flammen gequält und erstarben. Ein unheiliges Werk. Einzelne Stofffetzen an Gerharts schwarzer Robe waren noch nicht vollständig der Feuersbrunst zum Opfer gefallen und glimmten noch. Fettiger Rauch hatte begonnen die Luft zu füllen und driftete in Schwaden nach oben. Nicht nur er war von dem Angriff betroffen gewesen. Mehrere Arbitratoren wälzten sich auf dem Boden um die Flammen, welche an ihren Körpern leckten zu ersticken und überall war der Boden mit geschwärzten Leibern übersät. Wäre der Wille und der Glaube des Klerikers nicht so eisern gewesen, er wäre in die Knie gebrochen, um den Imperator um Gnade für all die jungen Seelen anzuflehen. Thracian biss die Zähne zusammen - der Hexer würde für jede einzelne Seele büßen.

Aus dem Augenwinkel erspähte er Frost, welcher allem Anschein nach Isand mit sich in Deckung hinter eine der Steinsäulen gerissen hatte. Auf den Befehl des Primus begannen etliche der Sturmtruppen auf die Decke zu feuern. Der Sinn war Gerhart nicht klar, doch er vertraute seinem Anführer. Sein eigener Kampf lag anderswo. „Harholdt!“, brüllte er und stürmte mit weit ausgreifenden Schritten die Treppe nach oben, die verbleibenden Kinder, welche sich ihm in den Weg zu stellen begannen beiseite fegend. Er schwang sich mit einem gewaltigen Satz unterstützt durch die Servomotoren seines bionischen Beinapparates über das steinerne Geländer und setzte mit dumpfem Geräusch wenige Meter von dem abtrünnigen Hexer entfernt auf, das Kettenschwert in der rechten Hand, surrend, wartend.

Luam Harholdt war einst ein gutaussehendes Mitglied der Adelsschicht auf Zumthor gewesen - der Kleriker hatte Bilder von ihm in Frosts Briefing gesehen. Er konnte sich sogar an die neckische und lästerliche Bemerkung Van‘Sovreans über das männliche Kinn des Mannes erinnern. Seit seine psionische Begabung erwacht war, war Harholdt ein Schatten seiner selbst geworden: Er war um mehrere Jahrzehnte gealtert, wobei eher anzunehmen war, dass die Verjüngungskuren im Kontakt mit dem Makel des Warp ihren Einfluss eingebüßt hatten. Tiefe Falten bedeckten das bleiche Gesicht des einst stattlichen Adeligen, über hängenden Tränensäcken wirkten die im feurigen Widerschein gelblich glühenden Augen wie in tiefen Höhlen liegende, glühende Kohlen. Die Gestalt war gebeugt und klauenartig reckten sich die fleischigen Hände in Richtung des Klerikers. Der Brokatbesatz der Samtrobe Harholdts war an mehreren Stellen angesengt, doch insgesamt war seine Kleidung unversehrter, als sie hätte sein dürfen. Während sich Gerhart aufrichtete, vollführte der Hexer zwei verzerrte Gesten mit den Händen, welche daraufhin in dunkelviolette Flammen gebadet wurden. „Komm nur, komm, kriecherischer Sklave des falschen Imperators!“, kreischte er ihm entgegen, während ein weiterer Speichelfaden aus dem Mund des Hexers troff. Die gesegnete Klinge des Kettenschwerts heulte laut auf, als der Motor die Zähne beschleunigte und Gerhart stürzte sich mit einem lauten „Für Terra!“ auf den ketzerischen Hexer.

„Inquisition.“ Brem schauderte bei dem Gedanken. Aber noch konnte er fliehen, noch war es nicht zu spät. Sollte der irre Harholdt doch sein letztes Gefecht im Foyer führen. Mit diesem Wahnsinn wollte er nichts mehr zu tun haben. Nichts könnte ihn dazu bringen, noch einen Moment länger in diesem Alptraum zu verweilen als nötig. Sie hätten sich ergeben sollen, ja, das hätten sie. Das Knistern, Knarren und Rattern des teilweise in Flammen stehenden Anwesens und des nicht enden wollenden Feuergefechts hinter sich lassend war er im südlichsten Teil des passagenweise eingestürzten Ostflügels im großen Esszimmer angekommen. Er sah die alte Balkontür und die Freiheit, die draußen auf ihn wartete. Fünf Stunden Fußmarsch durch die Nacht, das würde er schaffen.

Niemand würde etwas ahnen. Hier würden sowieso bald alle tot sein. Er erschrak. Ein Geräusch, ganz leise, aber es war da. Konnte es möglich sein, dass noch jemand die Befehle missachtete und versuchen würde zu fliehen? Zeugen waren jedenfalls das letzte, was der Mann jetzt gebrauchen konnte. Als er nach der Quelle des Geräusches hinter sich suchte, erregte ein mattes rötliches Glühen seine Aufmerksamkeit. Unbewusst erweiterte sich seine Iris als sich sein Blick auf die feine Klinge fokussierte, die auf der altertümlichen und mit feinen Gravuren verzierten Kommode wie auf dem Präsentierteller lag. Es handelte sich um einen silbernen Dolch, dessen Klinge von einem feinen roten Schimmer umspielt wurde. War das möglich? Konnte der irre Harholdt wirklich so etwas Wertvolles hier liegen lassen? Dieser Dolch würde sein Schlüssel in ein neues Leben sein! Hastig lief er in Richtung des Schatzes und begab sich damit genau in das Fadenkreuz des Assassinen. Brem streckte noch seine Hand aus, als Cattaleya abdrückte. Sein Gesicht wurde durch die Wucht der großkalibrigen Munition völlig entstellt als er zur Seite weg kippte und zu Boden fiel. Er blieb regungslos liegen. Die Frau atmete befriedigt aus, und löste damit die Anspannung aus ihrem Körper. Elegant wie eine Gazelle und flink wie ein Raubtier huschte sie sogleich aus ihrem Versteck und verbarg die Energieklinge namens Vaniryl beiläufig wieder in ihren linken Stiefel. So schnell ihre Beine sie trugen machte sie sich weiter auf den Weg ins Zentrum des Anwesens, ohne jedoch einen Laut über das Komm von sich zu geben. Sollte der Feind doch ihren Funk abhören, so wie es Lucius ursprünglich befürchtet hatte, dann wäre sie besser dran wenn niemand von ihr wusste.

Gerade noch rechtzeitig mit dem Krachen der Türen und dem Explodieren der ersten Rauchgranaten unter ihr im Erdgeschoss erreichte Van‘Sovrean das Foyer vom ersten Stock aus, den sie mit Hilfe ihrer Kletterausrüstung über die Außenwand erreicht hatte. Ihr Spiegelschlauch hatte es ihr ermöglicht unter der Türe eines Musikzimmers hindurch zu blicken und so die zwei hinter dem Geländer der Galerie lauernden Scharfschützen zu erspähen. Unter der Deckung der Explosionen öffnete die zierliche Gestalt in der schwarzen zweiten Haut die Türe nur einen schmalen Spalt, gerade weit genug, um mit ihrem kleinen Körper hindurch zu schlüpfen.

Panus hatte sich weit über das weiße Holzgeländer der Galerie im ersten Stock lehnen müssen, aber jetzt hatte er den Mann endlich ins Visier bekommen, den verdammten Hexer, dessen Stimme noch immer in seinem Kopf dröhnte - dieser Schrei, dieser ekelhafte Schrei. Er war von Zorn erfüllt, als der Kopf des herumstolzierenden Psionikers der Inquisition genau im Fadenkreuz auftauchte. Das ließ ihn kurz zittern und verzögerte sein Handeln. Noch einmal ermahnte er sich zur Ruhe, als er tief Luft holte und seinen Lauf stabilisierte. 'Jetzt...' Er war Scharfschütze gewesen seit dem Tag, an dem ihm sein Vater mit sechs Jahren eine Waffe in die Hand gedrückt hatte. Für Momente wie diese lebte Panus. Es war der ultimative Moment. Er drückte ab... doch nichts geschah. Erst im nächsten Augenblick wurde ihm klar, dass seine Hand nicht mehr an seinem Körper hing…

Panus blickte sich erschrocken zu seinem Kollegen um. Er lag in einer roten Lache tot neben ihm. Noch bevor er begreifen konnte was vor sich ging, fühlte er eine wohlige Wärme in seiner Bauchgegend. Als er an sich hinunterblickte sah er die Spitze der rot glühenden silbernen Klinge, welche mit unzähligen ihm unbekannten Glyphen versehen war, zweifelsohne heilige Symbole des Mechanicum oder anderer längst vergessener Mysterien. Dann kam der Schmerz, doch ein fester Griff um seinen Mund verhinderte jeden Laut, den nicht auch eine Maus hätte von sich geben können. Als er das Gefühl in seinen Beinen verlor erwartete er, nach hinten zurückzufallen, doch etwas hielt ihn fest, fing seinen Sturz ab und ließ ihn sanft und ohne einen Laut zu Boden gleiten. Kurz bevor es dunkel wurde erhaschte er noch einen Blick auf seinen Mörder. Er sah in das Gesicht einer Frau, so makellos und wunderschön, dass er nicht wusste, ob er schon im Elysium angekommen war.

Einige Meter weiter unter dem sterbenen Panus im Erdgeschoss kauerte Phos Isand hinter einer umgestürzten Statue neben Lucius, der unaufhörlich damit beschäftigt war, kleine Kinder zu töten. Die verkrüppelte Haltung des Psionikers glich in diesem Moment der einer verängstigten Katze. Er hasste das Chaos, und das hier war Chaos in seiner reinsten Form. Doch er wusste, dass dies alles hier nur ein Vorspiel war, ein Präludium. Der eigentliche Spaß stand ihnen allen noch bevor.

Einer der Arbitratoren, der am ganzen Körper in Flammen stand und seine Sinne längst dem Wahnsinn geopfert hatte, versuchte sich in seinem Elend hinter besagter Statue zu Boden zu werfen. Zu seinem Pech war dieser Platz schon besetzt und Vox versetzte dem Mann einen Tritt mit dem Fuß, und verhinderte so, von dem brennenden Leib des mittlerweile ohnehin nutzlosen Gesetzeshüters erdrückt zu werden. Der Psioniker ächzte genervt auf, als langsam Teile des Daches unter dem Beschuss nachzugeben begannen. Hier würde es sehr bald noch ungemütlicher werden. Denn wenn der Pyromant starb, würde das auf dem Boden verteilte Promethium lichterloh in Flammen aufgehen und der halbe Raum mit ihm. Der Nebel versperrte ihm die Sicht auf Harholdt und reduzierte seine aktuelle Funktion zu der eines Statisten. Hätte er sich wenigstens eine Pistole mitgenommen, hätte er jetzt zumindest beim Schlachten der Kindersoldaten mitmachen können, welche dem gnadenlosen Kugelhagel wenig mehr als ihre kleinen Leiber entgegenzusetzen hatten. Aber eigentlich wollte er gerade einfach nur noch hier raus.

Weiter östlich im Raum mitten auf dem Halbstockwerk des Foyer stand Luam Harholdt, der vor Verzückung gluckste als er mit seinen Händen kreiste und eine mehrere Meter breite Wand aus Flammen genau zwischen ihm und dem Priester der Inquisition entstehen ließ.  Schon wollte er seinen anderen Gästen weiter eine Kostprobe seiner Talente gewähren, da erblickte er in den Augenwinkeln eine Gestalt. Sie war zunächst nur ein dunkles Schemen, und er hielt sie erst nur für eine optische Täuschung oder einen Schatten. Pater Thracian sprang mit erhobenem und surrendem Kettenschwert durch das Flammenmeer. Das Inferno leckte an seiner Rüstung, seiner Haut und seinen Haaren, doch wie von unsichtbaren Kräften umgeben wurde sein Körper vor der versengenden Hitze der Flammen beschützt. Er beschrieb einen weiten Sprung nach vorne, zog das Kettenschwert schräg von oben herab und durchschlug den Körper des Ketzers von der Schulter abwärts bis zu Hüfte. Die hochgewachsene Gestalt des Hausherren fing an zu wabern, fast so, als hätte Gerhart mit seinem Schwert durch Wasser geschlagen, zog sie viele kleine Wellen, doch von Blut war nichts zu sehen.

Einen Moment später gab der Dachboden ein lautes und gequältes Knarren von sich, das so klang, als würde er in seinen letzten Atemzügen um sein Leben ringen. Wie aus dem Nichts tauchten ein rötliches Glühen und eine kleine humanoide Silhouette hinter dem Ketzer auf. Ein schneller Satz nach vorne und die rote Klinge stach durch die Hüfte des Pyromanten wie durch einen Laib Brot. Erst jetzt sah Gerhart die braunen, funkelnden Augen Cattaleyas, die groß wie die einer zahmen Hauskatze aus geduckter Haltung an Luam vorbei zu ihm hinaufblickten. Und auch wenn die Umrisse des Psionikers abermals zu schimmern und rauschen begannen, so quoll diesmal Blut an der Klinge Vaniryls herab, der Lebenssaft des Ketzers. Gerhart zögerte keine Sekunde und beendete das Leiden des Herren derer zu Harholdt mit einem mächtig geführten Schlag gegen dessen Rumpf. Das Kettenschwert heulte wie wild auf, als sich seine Zähne durch den Leib fraßen und ihn in Begleitung eines Schwall Blutes und dampfender Eingeweide schließlich zweiteilten. Noch bevor der Oberkörper Harholdt's den Boden berührte, ging sein gesamter Körper in einer superheißen Stichflamme lichterloh in Flammen auf und zerfiel sofort zu glühender Asche.

Auch der Dachstuhl des Hauses hatte unter dem unaufhörlichen Dauerfeuer der Eindringlinge endgültig seinen letzten Atemzug getan. Als einer der Hauptträger den Halt verlor, fiel ein großer Teil des Daches wie ein Kartenhaus zusammen und krachte mit voller Wucht auf alles, was sich darunter befand. Vox hatte nicht zu viel versprochen. Beinahe gleichzeitig mit Luams Tod fing der über und über mit Promethium überzogene Boden Feuer. Eine für alle Anwesende wohl tödliche Feuersbrunst wurde von dem herunterstürzenden Dachstuhl jedoch gerade noch rechtzeitig im Keim erstickt, während sich der Großteil des Ordo Malleus schützend unter dem Vorsprung der Galerie in Deckung befand. Als das letzte Trümmerstück zur Ruhe kam, war es mit einem Schlag still. Das Tosen des Sturmes, der jetzt durch die Decke heulte, sowie das Knistern vereinzelter kleinerer Feuer, die nicht zur Gänze erstickt worden waren, nahm Cattaleya gar nicht wahr, zu groß war der Kontrast zu dem ohrenbetäubenden Lärm, der gerade eben noch im Foyer geherrscht hatte. Von Luam war nichts mehr übrig und auch sein junges Gefolge war dem Erdboden gleichgemacht. Das Gebäude schien endgültig in der gerechten Hand der Inquisition.
All die Anspannung, all das Grauen und vor allem die Eindrücke ihres sicheren Todes fielen von Cattaleya ab wie Bleigewichte. Mit einem über beide Ohren strahlend lächelnden Gesicht warf sich die charmante Frau mit einem erlösenden Anfall von Glück in die Arme Gerharts und drückte ihn fest. „Ich lebe...“, hauchte sie voll Freude wieder mit dem Wolfsrudel vereint zu sein.

Als Vox die Augen wieder öffnete sah er das verschwommene Gesicht eines Mannes, dessen Merkmale er wenig später als das Gesicht von Frost identifizierte. Aus den Bewegungen seiner Lippen folgerte er, dass er ihm gerade irgendetwas mitzuteilen versuchte, was jedoch bei den höllischen Kopfschmerzen und dem beständigen Surren in seinen Kopf unterging, sodass Phos keine Silbe verstand. Der Abend hatte so gut angefangen doch aus irgendeinem Grund hatte das Schicksal scheinbar beschlossen, ihn von nun an mit brennenden Gegenständen zu beglücken. Zuerst der nutzlose, in Flammen stehende Arbitrator und nun ein verirrter von brennenden Promethium überzogener Backstein, der sein Haupt mit voller Wucht an der Kopfdecke erwischt und ihn unsanft zu Boden geworfen hatte. Der besorgte Blick, den er in Lucius Augen wahrnahm, gab ihm Grund zur Annahme, dass die Wunde übel aussah. Dennoch war der Psioniker zuversichtlich. Schmerzen waren für ihn nichts Unbekanntes. Die Erinnerungen an die Streckbänke des Schwarzen Schiffs „Glorreiche Pflicht“ kamen in ihm hoch. Er musste schmunzeln, denn das hier war gar nichts dagegen. Jeder Schmerz bei dem man noch klar denken konnte war nichts dagegen. Er würde noch nicht schlappmachen, nicht bevor diese Sache hier erledigt war.

Als Vaniryl in den Händen der jungen Adeligen vor Vorfreude zu vibrieren begann löste sie die Umarmung, um schockiert auf ihre uralte Waffe hinunter zu blicken. Eine eiskalte Gänsehaut lief ihr über den Körper, als die Bedeutung begriff. In den „Impositis De Van'Sovrean“, dem uralten Geschichtsbuch der Blutlinie der Van'Sovreans  stand geschrieben, dass die Zwillingsklingen wie ein Paar waren, immer vereint, auf dass sie niemals getrennt werden mögen und immerdar nach Vereinigung strebten. Vaniryl konnte seinen Zwilling fühlen, als er sich schnell näherte…

Nakago:
Wirklich gut geschrieben, die Aktionen kommen sehr dynamisch rüber. Man merkt, dass du dich ziemlich tief in die Materie und Hintergrund von 40K eingearbeitet hast. Großes Lob. Allerdings verwirrt mich persönlich der andauernde Perspektivwechsel etwas.

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