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Aller Gnaden Ende

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Arden Etklint Kleist:
Handelnde Personen:

Inquisition:
Lord Inquisitor Caidin - Leiter der Inquisition im Raumsektor Calixis
Lord Inquisitor Zephraim Kandotates Arethrus - Senior Inquisitor des Ordo Malleus
Lord Inquisitor Eirut Bahan - Senior Inquisitor des Ordo Xenos
Lord Inquisitor Rembrandt Gillenstern - Senior Inquisitor des Ordo Hereticus
Serpentin Varitani - Inquisitor des Ordo Malleus
Immarut Railoun - Interrogator Varitanis
Lucius Frost - Ex-Arbitrator, Akolyth von Varitani, wird oft nur "Lho" genannt
Phos Isand - Telepath, Akolyth von Varitani, wird "Vox" genannt
Cattaleya Amalia VanSovrean - Adelige Akolythin von Varitani, ehem. Diebin, wird oft "Honeymoon" genannt
Gerhart Thracian - Redemptionistisch ausgerichteter Schwarer Priester von Maccabeus, Akolyth Varitanis
Hrubens Arn - Professioneller Assassine, Akolyth Varitanis, wird "Blender" genannt
Nick Runsit - Ex-Gardist der Imperialen Armee, Stammeskrieger (Name: Chnishnit liutstam Hrun'Sith), Akolyth Varitanis, wird "Granit" genannt
Frederiq DeVetter - Adeliger Telepath, Akolyth von Varitani, stammt von Xeiros Prime
Arian Dorundy - Ex-Arbitratorin, Akolythin von Varitani
Inquisitor-Captain Francis Delinn - kommandiert das Schwarze Schiff Lodernde Gerechtigkeit
Inquisitor Globus Vaarak - vom Ordo Hereticus
Hiron Kessler - Vaaraks Interrogator
Alexandros Deneva - Priester und Akolyth von Vaarak, wird "Xandros" genannt
Cid Sorrow - Krimineller und Akolyth von Vaarak, wird "Verbal" genannt
Jorge Burgos - Assassine und Akolyth von Vaarak
Kyrill Anders - Ex-Gardist und Kopfgeldjäger, Akolyth von Vaarak

Adeptus Mechanicus:
Transmechanicus Ert Zalsmid
Magos Biologis Armendin Xyrrton

Adeptus Ministorum:
Erz-Kardinal Ignato - Oberhaupt der Ecclesiarchie im Raumsektor Calixis
Drusian Fidelius Sebatianus - Kardinalsekretär und Stellvertreter von Erz-Kardinal Ignato
Orian Sibellian - Assistent von Erz-Kardinal Ignato

Adeptus Sororitas:
Celeria Angelia -  Principalis des Ordo Militaris Calixis

Adeptus Astartes:
Lucian Verus - Brother-Paladin der Grey Knights

Imperiale Flotte:
Lord Admiral Vire Anderton - Oberkommandierender der Raumflotte Calixis
Admiral Eira Kanakouris - Kommandantin des Schlachtschiffs Furor Calixis
Commander Sandr Taran - Erster Offizier der Furor Calixis
Lieutenant Aenthon De'Varro - Kommunikationsoffizier der Furor Calixis
Lord-Captain Franse Zaiphus - Kommandant des Kreuzers Beständiger Ansturm

Diener des Erzfeindes:
Velfur Zaabesz - Chaoshexer und erster Verführer von Flengler
Astrion Malqevis - Einer der Unruhestifter auf Xeiros Prime, mächtiger Krieger
Der Fremde - Mysteriöse Gestalt, Wächter über die "Saat"
Tereen und Alrihn - die Zwillinge

Sonstige:
Lord Sektor Marius Hax - Gouverneur des Raumsektors Calixis
Augustus Vaarn - Generalfeldmarschall der Imperialen Armee im Raumsektor Calixis
Elena Lakrio - Junge Professorin an der Schola Chymystria, in einer Beziehung mit Lucius Frost
Doktor Drususton Flengler - Wissenschaftler, auf Xeiros Prime tätig
Captain Friel Guntr - Freihändler und Kommandant der Tarbeter
Garrinald Crim - Vorstand der Ersten Klasse des Transozeanischen Express auf Xeiros Prime

Arden Etklint Kleist:
Aller Gnaden Ende

Prolog

„Mein Herr, mein Imperator, wenn trotz aller Mühe, trotz aller Opfer jene Welt nicht mehr errettet werden kann, so will ich selbst sie ihrem Schicksal überantworten, in Deinem Namen und mit Deiner Macht. Dies schwöre ich.“
In seinem Inneren war Stille – für einen Moment. Ein neuerliches Rütteln des kleinen Shuttles ließ Varitani deutlich erkennen, dass der Eintritt in die Atmosphäre bereits erfolgt war. Er öffnete die Augen, sein Gebet immer noch in seinem Geist. Trotzdem er nie Mitglied der Ecclesiarchie gewesen war, fühlte er sich in den Momenten des Gebets stets verbunden mit seinem Herrn, fühlte eine ungebremste Urmacht in seinem Inneren tosen.

Zahllose Welten bilden das Imperium der Menschheit. Andauernd umkämpft, von den Wogen des Krieges umspült ist jede davon eine Zelle dieses monströsen Gebildes. Schon seit den Tagen vor dem Großen Bruderkrieg vor zehn Millenien, als Horus Lupercal sich gegen seinen Vater gewandt hatte, ihren geliebten Imperator, war das Bewusstsein im Imperium herangereift, dass wie bei einem Tumor kranke Teile des Körpers abgestossen werden müssen, wenn eine Heilung aussichtslos ist. Entsprechende Waffen gab es sogar noch länger. Von den Atomwaffen früherer Zeiten zu den weit effektiveren, tektonisch wirksamen Zyklon-Torpedos bis zum Lebensfresser-Virus, der jegliche Biomasse einer Welt in gasförmigen Rückstand umzuwandeln fähig ist - das Arsenal des Imperiums war wahrhaftig nicht zu knapp für solch ein Unterfangen bestückt.
Varitanis Zunft nun fiel es zu, in seltenen Augenblicken, wenn eine Welt von Chaos, Verderbtheit oder Xenosbefall zu einem solchen Tumor im Körper des Imperiums geworden war, das Urteil zu sprechen, diese Welt zu verdammen. Dieses Urteil lautete: Exterminatus, die vollständige Vernichtung alles Lebens eines Planeten oder gar des Planeten selbst. Die Ultima ratio war dieses Urteil, gleichzeitig das Eingeständnis der eigenen Grenzen, eine Problem einzudämmen ebenso wie mächtiges Abschreckungsmittel, denn jede Anwendung dieses Mechanismus brachte Milliarden Stimmen für immer zum Verstummen, hinterließ noch mehr der Leere in dem großen Weltenall, und selten wurde so laut vom Exterminatus gesprochen, dass es über vorsichtiges Raunen oder Flüstern hinausginge.

Serpentin Varitani war ein Inquisitor – ein Agent der linken Hand des Imperators, wie die Ordos der Inquisition auch genannt wurden. Er war Teil des Ordo Malleus, der Daemonenjäger, die sich intensiver und vornehmlicher mit der Bedrohung durch die Mächte des Chaos, des großen Erzfeindes seit der Zeit von Horus, widmeten als alle anderen Fraktionen des großen Adeptus Terra. Noch nie zuvor war er gezwungen gewesen, Exterminatus anzuordnen, sich mit jenem verhängnisvollen Befehl an die Schwarzen Schiffe seiner eigenen Zunft oder an die Angriffskreuzer des Adeptus Astartes, der mächtigen, übermenschlichen Elitesoldaten des Imperators, zu richten. Die nächsten Tage würden weisen, ob er den Befehl bereits hätte geben sollen.

Er dachte an DeVetter, seinen Telepathen, der als sein erster Akolyth begonnen und ihm zum Freund geworden war. Varitani, von den straffen Gurten in einen der Sitze des Personalabteils gepresst, hob seine Hand vor Augen und dachte an die Worte seines Freundes: „Die Faust des Imperators.“ Seine Finger schlossen sich, als die Durchsage des Piloten durch den Voxprojektor schallte: „Anflugvektor Makropole Sibellus, Eintreffen am Trikornus in zehn Minuten.“


1 - Getreue des Imperiums

Interrogator Immarut Railoun schlenderte gelassen die Kommerzia entlang. Wie immer zu jeder Tages- und Nachtzeit herrschte hier eine Menge Betriebsamkeit. Jeder Atemzug durchströmte die Wahrnehmung des Agenten mit einer Fülle an olfaktorischen Eindrücken. Railouns Geruchssinn war schon seit seiner Kindheit sehr ausgeprägt gewesen, was seiner Meinung nach gut zu dem Spürhund passte, der er ja im übertragenen Sinne war. Wenn der Ansturm der Gerüche einmal zu intensiv wurde, hatte er immer eine einfache Nasenklammer oder Filterstecker dabei, mit der sich auch im Mittelhive einer gigantischen Makropole wie Sibellus ganz gut zu behelfen war. Der Interrogator betrat das Straßencafé „Zum Freihändler“, sah sich in der rauchigen Atmosphäre kurz um, und erspähte dann sogleich das Ziel seines kleinen Ausflugs.

Lucius Frost hatte es sich in einem Separee des altmodisch holzvertäfelten Cafés gemütlich gemacht, in dem man Rauchen, Trinken und auch recht ordentlich essen konnte, wenn man das nötige Kleingeld für diese kostspielige Lage hatte. Der Ex-Arbitrator blickte mit einem schiefen Lächeln in Richtung seines Vorgesetzten und Freundes und hob kurz den Arm zu Gruß, dann wanderten seine Augen sofort wieder zu der Datentafel, die sich in seiner Linken befand. Frost trug wie die meiste Zeit ein kragenloses, weißes Hemd und eine schwarze Hose, eine etwas abgetragen aussehende Lederjacke und ein Lho-Stäbchen im einen oder anderen Mundwinkel.
Railoun nahm ihm gegenüber Platz und lächelte Frost herzlich an. „Schön, Sie wiederzusehen, Lucius.“
Frost nickte nur. „Ja, ebenfalls.“ Sein Blick flog über die letzten Zeilen seines Einsatzberichts. Frost war als designierter Gruppenprimus für die operative Leitung einer der Akolythenzellen von Inquisitor Varitani verantwortlich.
Railoun fischte ein kleines Tech-Gerät aus einer Innentasche seines weiten, beigen Mantels und stellte es vor sich auf den Tisch. Der Verzerrer würde ein Abhören jenseits der vom Benutzer zugelassenen Frequenzen unmöglich machen, ebenso ein Lauschen aus den benachbarten Separees. „Alles glatt gegangen im Golgenna-Arm, nehme ich mal an?“ Railoun strich sich sein schulterlanges, blondes Haar aus dem ebenmäßigen, hellen Gesicht.
Frost nickte. „Jo, Loviat ist erledigt.“
Railoun räusperte sich. „Wo sind denn die anderen?“
Frost blinzelte kurz, dann zog er ein Micro-bead aus seiner Tasche und reichte es Railoun. „Honeymoon sichert, Granit schläft, Gerhart ist in der Kathedrale und Blender ist bei seinem Bruder, denke ich mal. Vox ist – hm, wer kann das schon sagen.“
Railoun aktivierte das Kommunikationsgerät. „Test, eins, zwei.“
„Na wen haben wir denn da?“, erklang die glockenhelle Stimme von Cattaleya VanSovrean am anderen Ende der Leitung. „Der Löwe ist also auch schon eingetroffen.“
Ein Grinsen hatte in Railouns Mundwinkeln Einzug gehalten. „Sein Sie mir gegrüßt, Cattaleya.“ Die adlige Ex-Diebin hatte darauf bestanden, ihm den Spitznamen „Löwe“ zu verpassen, war er doch einer der wenigen in den Diensten von Varitani, die normlaerweise einfach nur beim Namen angesprochen wurden.

Frost beobachtete Railouns Reaktion auf den Gruß seiner Kollegin. Er kannte den Interrogator schon ein ganzes Weilchen. Die beiden hatten Honeymoon, wie Catt auch genannt wurde, damals gemeinsam dingfest gemacht, nachdem die anscheinend aus Langeweile im Oberhive von Sibellus ordentlich Unruhe gestiftet und einige sehr einflußreiche Adelshäuser um Wertgegenstände und Informationen erleichtert hatte. Ihr Vater hatte zwar alles wieder geradebiegen können, aber ganz in Ordnung war ihr Verhältnis zu ihrem Elternhaus nicht, da war sich Frost sicher. Sie sprach so gut wie nie von ihrer Kindheit und besuchte ihre Familie auch nicht, selbst wenn sie die Gelegenheit dazu hatte.

Frost war für sie wohl sowas wie ein Ersatzbruder geworden. Naja, zumindest ein guter Freund, dachte er bei sich. Railoun hingegen war wohl immer schon ein bisschen in sie verknallt gewesen, aber durch die ritterliche Zucht, die ihm während seiner Kindheit und Adoleszenz auf der Feudalwelt Acreage eingedrillt worden war, viel zu zurückhaltend, um bei einer Frau wie ihr landen zu können. Im Endeffekt kümmerten solche Dinge den Ex-Arbitrator wenig. Es gab eigentlich immer so viel zu tun, dass wenig Zeit blieb, sich für die Privatangelegenheiten seiner Kollegen zu interessieren.
„Perimeter ist gesichert.“, gab Cattaleya nun an alle Beteiligten gerichtet bekannt. „Wir sehen uns dann später.“ Damit klinkte sie sich aus.
„Der Inquisitor braucht uns schon wieder?“, erkundigte sich Frost.
Railoun nickte. „Scheint wohl so. Er hat Sie und Ihre Zelle schon in Einsatzbereitschaft versetzt.“
„Recht ungewöhnlich, so direkt nach dem letzten Gig.“ Frosts Lho tanzte beim Sprechen auf und ab.
Wieder ein Nicken. „Kann nicht viel dazu sagen. Aber irgendwas ist am Laufen. Ich treffe ihn in einer Stunde im Trikornus. Könnte sein, dass es schon in ein paar Tagen losgeht. Er hat Sie alle ganz spezifisch angefordert, und auch mich, obwohl er mir direkt vor seinem Abflug diese elend verschachtelte Dar Vardenil-Akte aufgehalst hat.“
„Das war doch so ein Adelshaus, oder?“
„Ja, die hat die Truppe vom alten Gillenstern vor paar Jahren gekascht. Seither spricht den Namen kaum noch jemand aus.“
„Hm. Klingt langwierig. Was gibt’s da überhaupt zu tun? Die Hexenjäger lassen doch normalerweise nur Asche zurück.“
„Sagt Ihnen der Name Arethrus was?“
„Klar. Einer der alterwürdigen Lords im Dreierturm.“ Lucius Frost spielte damit natürlich auf den Trikornus an, den Sitz der Inquisition auf Scintilla und gleichzeitig auch das Hauptquartier dieser Organisation im ganzen Calixis-Sektor.
„Varitani hat gemeint, ich soll mal sehen, ob ich ihn irgendwie mit Dar Vardenil in Verbindung bringen kann.“
Frosts Mundwinkel wanderten nach oben. „Oho, Streit im Haus, oder wie?“
Railoun zuckte mit den Achseln. „Kann ich ehrlich nicht sagen. Aber Arethrus weiß, dass Varitani die Akte durchsieht – und er ist ihm darob nicht quer. Vielleicht hat er ihn ja sogar darauf gebracht.“
Frost nickte. „Na schön, Railoun, dann trommle ich die Truppe mal zusammen. Kontaktieren Sie mich einfach später auf den üblichen Kanälen, dann treffen wir uns alle im Büro vom Chef.“
„Und richten Sie ihm einen schönen Gruß aus.“, flötete Cattaleya per Funk.

Hrubens Arn betrachtete gedankenversunken das Lho-Stäbchen zwischen seinen Fingern. Eigentlich rauchte er nicht wirklich, außer eben, wenn Troo ihm im Anschluß eines der dünnen Dinger reichte. Nun kokelte der Tabak vor sich hin, während eine zittrige, dünne Rauchfahne von der Spitze zu der abblätternden Zimmerdecke aufstieg.
Troo legte eine blasse Hand auf seine Brust und kraulte die Locken, die wie die darunter liegende Haut noch vom Schweiß glänzten. Sie lachte. „Ist immer erstaunlich, wie anders es doch mit Dir ist.“
Er brummte bestätigend.
„Warum habe ich nicht mehr Kunden wie dich?“ Sie kitzelte ihn an der Hüfte und er wand sich leicht.
Blender zuckte mit den Achseln. „Kann ich nicht sagen. Sehe keinen Grund, warum nicht jeder Mann zu Dir kommen sollte.“ Er grinste leicht, beobachtete weiter den Rauch.
Sie stützte ihren Kopf auf ihre Handballen und sah ihn an. „Warum gibst Du eigentlich Geld für mich aus? Mit Deinem Aussehen kannst Du doch locker auch sonst jemanden finden.“
Nun blickte er sie endlich an. „Du meine Güte, sind solche Fragen normalerweise nicht schlecht fürs Geschäft?“ Er streichelte über ihre Wange, ihr eigentlich brünettes Haar leuchtete golden im Licht der Abendsonne, die ihre Strahlen für wenige Minuten zwischen den Makropoltürmen hindurch in das kleine Zimmer im Mittelhive schickte. „Wenn ich mir irgendwo draußen Eine abschleppe, zahle ich doch dasselbe für Essen, Unterhaltung, Beförderung und Rauschmittel, je nachdem, wie sie so drauf ist. Da kann ich doch gleich zu Dir kommen. Da weiß ich wenigstens, dass ich Dich auch wirklich leiden kann. Außerdem zahlt mein Chef gut.“
Sie lächelte. „Du weißt, was Du einem Mädchen sagen musst.“
„Na klar.“
„Was macht Du denn überhaupt beruflich? Wer ist Dein Chef, der so gut zahlt? Kannst Du mir da vielleicht einen Job besorgen?“ Sie grinste schelmisch.
Arn erwiderte das Grinsen. „Also meine Geldquellen wechseln, bin sozusagen ein Gelegenheitsarbeiter. Mein Sponsor dieses Mal hieß Loviat oder so ähnlich und nein, ich glaube, der kann Dir keinen Job mehr geben.“ Arn war Auftragskiller. Zusammen mit seinen Kollegen „ich rauch mal ein Lho“ Frost, „scharfes Outfit, aber zugeknöpft bis oben“ VanSovrean, „Telepathen-Glatze“ Phos Isand, der eigentlich ganz ok war, und dem „Strafkolonie-Arbeitstier“ Granit war er gerade von einem Einsatz im Golgenna-Arm heimgekehrt, wo sie einem Halunken namens Loviat den Garaus gemacht hatten. Und Blender war durchaus nicht der Typ, der Skrupel hatte, eine Gelegenheit beim Schopf zu packen. Wenn diese Gelegenheit eine ordentliche Ladung Thröne war, umso besser. So hatte Loviat wenigstens noch etwas Gutes tun können, dachte der Assassine bei sich. Oh, den Pater hätte er fast vergessen, Gerhart Thracian, Feuer und Schwert.
Seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf seine Bettgenossin.
„Hast Du noch Lust auf ne Runde?“ Sie blickte an ihm herab. „Sieht nämlich ganz so aus.“
„Also ohne jetzt übertreiben zu wollen, Baby, aber ich hätte noch genug Vorrat für etliche Runden, aber ich muss noch bei Andreus vorbeischauen, bisschen was von dem Geld auch bei ihm abliefern. Und wenn ich hier meinen Willen hätte, dann wäre ich gleich pleite.“
Sie nickte verstehend. „Wie geht es ihm denn?“
Blender zuckte mit den Achseln. „So wie immer nehme ich an. Wie soll es dem schon gehen.“ Blenders Bruder war schwer behindert und nur die finanziellen Zuwendungen des Assassinen ermöglichten es ihm überhaupt, in dem harschen System einer Makropolwelt wie Scintilla zu überleben, in dem Produktivität alles und menschliches Leben nichts zählte.
Troo lächelte verspielt. „Geht aufs Haus, Süßer. Aber nur ausnahmsweise.“ Damit wälzte sie sich auf ihn.
Blender zog die Schultern hoch. „Na dann.“

Eine Stunde später stand Hrubens Arn in der Türe zum Schlafraum seines Bruders. Ella, die Frau, die sich für ihn um Andreus kümmerte, hatte ihren Lockenkopf über die Schlafstatt des sich immer wieder unruhig bewegenden und unverständliche Laute ausstoßenden Krüppels gebeugt und wischte diesem Schweiß aus der Stirn.
Blender zog die Stirn kraus, dann schlich er zurück an den Küchentisch, auf dem ihm Ella seinen Becher Kaffein hinterlassen hatte. Er nippte an der hellbraunen Flüssigkeit und brummte anerkennend. Kurz schoß der Gedanke Schmeckt wie daheim durch seinen Kopf, bis ihm einfiel, dass dies wohl am ehesten sein Zuhause war. Hrubens hörte leise Schritte hinter sich und blickte Ella ruhig an. Die Frau war Mitte vierzig und hatte wohl ebenso viel Pech in ihrem Leben gehabt wie Blenders echte Mutter. Nur, dass ihr die Kinder gestorben waren und nicht umgekehrt. Sie sorgte rührend für Andreus und konnte auch recht bissig und entschlossen sein, wenn die Nachbarn aufgrund seiner Schreie manchmal Ärger machten. Auch dem Magistratum war ihre Beherztheit mittlerweile wohlbekannt und Blender hatte als Geldgeber auch immer einige Thröne extra für diese Belange aufzutreiben.
Es belastete Blender kaum, die beiden zu unterstützen, nicht bei seinem passablen Gehalt und bei den Nebeneinkünften, die immer wieder einmal hereintrudelten. Er hatte irgendwann beschlossen, sich um seinen Bruder zu kümmern, und wenn Ella der Weg dazu war, dann, beim Thron, sollte es eben so sein.
„Wieder einmal Fieber, hm?“
Ella nickte. „Ja, wird schon wieder vergehen. Er ist einfach empfindlich wie ein kleines Pflänzchen.“
„Was haben wir nicht für ein Glück.“, brummte Hrubens. „Auf dem ganzen Scheiß-Planeten keine Pflanze – Oberstadt mal außen vor – aber wir im Mittelhive haben ein richtig empfindliches abbekommen.“
Ella lächelte schwach. „Bleibst Du noch zum Essen, Hrubens? Ist bald fertig.“
Da musste er nicht zweimal überlegen. „Klar, aber dann muss ich wieder. Gibt anscheinend Arbeit.“
„Ach? Schon wieder? Du bist in den letzten Jahren kaum noch hier.“
Blender kratzte sich am Kopf, nur um sich anschließend seinen Pferdeschwanz neu binden zu müssen. „Tja, was soll ich sagen, Ell – keine Ruhe für die Gerechten.“
Sie schnaubte. „Na dass ich nicht lache. Setz Dich hin und iss.“

Arden Etklint Kleist:
2 – Lord Inquisitor

Der brausende, in Böhen auf- und abflauende Wind war eine beständige Konstante, sobald man sich auf gewisser Höhe in einer Makropole wie Sibellus befand. Die Landeplattform Süd 2-Gamma des Trikornus war solch ein Ort.
Interrogator Immarut Railoun zog seinen Mantel enger um sich und blickte mit zusammengekniffenen Augen dem Shuttle vom Typ Arvus entgegen, das auf das Plateau zuhielt. Er sah kurz zu den automatisierten Flak-Geschützen und zu den schwarz uniformierten Inquisitionsgardisten mit ihren kalten und unmenschlich wirkenen Maskenhelmen. Die Verteidigungssysteme des Trikornus waren stets bereit.
Langsam wurde das Röhren der Triebwerke sogar über das Pfeiffen des Windes hörbar. Railoun trat noch einen Schritt zurück, als der Pilot mit einem besonders waghalsigen Manöver heranschoß, eine Kehre flog und anschließend schnörkellos aufsetzte. Kampfpilot – Erfahrung beim Absetzen von Truppen während laufender Kampfhandlungen, schlußfolgerte der Interrogator.
Nur einen Moment wurde eine Luke geöffnet, aus der sofort eine Gestalt sprang, in die Hocke ging und sich aus dem Umkreis des Transporters herausbewegte, dann hob das Plärren der Triebwerke erneut an und das Gefährt war schon wieder in der Luft.

Die kurzen, schwarzen Haare mit dem Ansatz von Grau an den Schläfen, der harte Zug um den Mund, das etwas hagere und strenge Gesicht, dass ohne weiteres einem Gardeoffizier hätte gehören können oder vielleicht einem Kommisar, der flattende, taillierte Mantel aus schwarzem Leder, die Kampfstiefel – das war Inquisitor Varitani.
Railoun streckte ihm die Hand entgegen und der Inquisitor schlug ein. „Gut, Sie wiederzusehen, Herr Inquisitor.“ Man merkte Varitani keine Augmentationen an, doch er hatte welche. Beide Arme waren künstlich und extrem leistungsfähig. Er hatte außerdem zahlreiche Schnittstellen und Neuralinterfaces, um sich mit diversen Maschinen verbinden zu können.
Varitani verzog das Gesicht. „Werden wir noch sehen, ob das gut für Sie ist, aber es freut mich, dass Sie mich direkt vom Landeplatz abholen.“
Railoun grinste. „Was liegt an?“
Varitani deutete zu der Rampe, die durch die Türe und zu den Sicherheits-Checkpoints führte. „Lassen Sie uns im Gehen sprechen, Railoun. Ich sollte mich gleich bei Lord Inquisitor Arethrus melden.“
Railouns Gesichtsausdruck verriet seine Überraschung. „Bei Arethrus? Das ist ja ein Zufall. Ich habe vor kurzer Zeit mit Frost über ihn gesprochen.“
Varitani sah ihn an, während die Männer nebeneinander herschritten. „Ach ja?“
Railoun nickte. „Hab‘ ihm gegenüber kurz die Akten erwähnt, die Sie mir zur Bearbeitung gegeben haben. Dar Vardenil.“
Varitanis Augen verengten sich. „Sie sollten das sonst nicht an die große Glocke hängen – ist eine diskrete Angelegenheit. Der Lord Inquisitor hat mich darum gebeten, diese Untersuchung persönlich durchzuführen. Er war wahrscheinlich nicht besonders erbaut darüber, dass ich das Ihnen aufgetragen habe.“
Der Interrogator schwieg, da sie sich dem ersten Checkpoint näherten. Nach der Passage fragte er jedoch: „Wie kommt es, dass Lord Inquisitor Arethrus Ihnen solche Aufträge zuschanzt? Ist doch normalerweise gar nicht Ihr Metier, diese Büroarbeit.“
Varitani lächelte kurz. „Ach, haben Sie diesen Eindruck von mir.“
Railoun senkte den Blick.
„Sie haben ja Recht.“, beruhigte ihn der Inquisitor. „Sagen wir mal so – ich schulde ihm noch einen Gefallen. Er ist zumindest dieser Ansicht. Er war mein Sponsor, als ich Interrogator war und befördert wurde.“
„Ah, das wusste ich nicht.“
Varitanis Gesicht wurde auf einmal wieder ernst. „Ist angenehm, wieder auf andere Gedanken zu kommen. Es war hart diesmal. Kann gut sein, dass ich Sie und Frosts Zelle wieder nach Xeiros Prime mitnehme.“
Railoun blickte ihn an. „Ungewöhnlich. Ein Folgeeinsatz?“
Varitani nickte. „Es ist aber etwas komplizierter als das. Ich muss das erst mit Arethrus besprechen. Er kennt einige Leute, deren Unterstützung ich brauche. Sagen Sie Frost und den anderen, sie sollen sich bereithalten. Ein paar Tage werden sie wohl noch haben, aber dann geht’s hart auf hart.“

Hätte ein anderer als er selbst Arbeitsräume mit ähnlicher Ausstattung besessen, so wäre er mit Sicherheit schon lange als Ketzer verhaftet und prozessiert worden - vielleicht sogar von jemandem wie ihm selbst. Dieser Gedanke hatte schon oft im von zahlreichen Cerebralimplantaten verstärkten Verstand von Zephraim Kandotates Arethrus, einem Lord Inquisitor im Ordo Malleus Calixis, Gestalt angenommen, wenn er in ruhigen Momenten die Muße gefunden hatte, Blicke über die in zahlreichen Glasvitrinen und teilweise in Hochsicherheitsschaukästen untergebrachten Exponate zu werfen.
Da war der Codex Maleficari, siebenmal versiegelt und durch hexagrammatische Runen abgeschirmt, der Armreif, den Lord Inquisitor Garibald Yspen während der Pazifikation der Bicentenniumsunruhen auf Asguld getragen hatte, der Ritualdolch, der einst dem Ketzer Vynnor Lucrés gehört hatte und der ihm von Inquisitor Varitani überlassen worden war. Und da war auch die Plasmapistole von Brother-Captain Grimme der White Scars - dem Lord Inquisitor als Geschenk anlässlich seines Triumphes über die Allsehenden gegeben. Natürlich war das eine rein symbolische Geste gewesen, da schon mehrere Dekaden verstrichen waren, seit Arethrus selbst an einem Kampf teilgenommen hatte. So lag die uralte Waffe hier in der Vitrine, bis Arethrus sich vielleicht einmal dazu würde durchringen können, sie wieder in den aktiven Dienst zu stellen.

Momentan hatte Arethrus allerdings ganz andere Sorgen. Generell war die letzte Zeit ziemlich sorgenreich für den eigentlich so fest im Sattel sitzenden und stets ausgeglichenen Lord Inquisitor gewesen. Doch bis vor wenigen Wochen waren es rein private Sorgen gewesen. Ungelöste Probleme seiner Vergangenheit hatten in Form des Hauses Dar Vardenil begonnen, ihrem angestammten Platz in der jüngeren Geschichte des Planeten Scintilla zu entwachsen und wie ein rachsüchtiges Gespenst seine Gedanken zu durchspuken. Er hatte natürlich nichts übrig für ungebetene Besucher - sei es in seinen Arbeitsräumen oder in seinen Gedanken - und hatte seinen besten Kammerjäger, Inquisitor Varitani, darauf angesetzt. Den hatte er natürlich nicht über die genaue Natur des Problems in Kenntnis setzen können, da dies ein grober Verstoß gegen allerhand Geheimhaltungsvorschriften gewesen wäre. Aufgrund der Situation mit Haus Dar Vardenil war sich Lord Inquisitor Arethrus vollends der Aufmerksamkeit bewusst, die seine Feinde innerhalb der Inquisition speziell zu dieser Zeit all seinen Tätigkeiten und Plänen zukommen ließen. Da stellte jeder Fehltritt ein gewaltiges Risiko dar. Nein, soll Varitani nur selbst herausfinden, worum es da geht, hatte Arethrus gedacht und ihn nur mit äußerst vagen Informationen losgeschickt. Varitani - so war sich der Lord Inquisitor sicher - würde bei Aufdeckung der brisanteren  Elemente, die seine Person mit dem Haus Dar Vardenil in Verbindung brachten, eine diskrete Lösung für die Misere finden. Arethrus hatte seiner Erhebung in den Stand eines Inquisitors als Sponsor vorgestanden, und er hielt es seit einiger Zeit so, dass er jenen, die einmal unter seinem Schutz gestanden hatten, immer wieder einmal die Möglichkeit gab, ihm seinen Großmut auch entsprechend zu vergelten. Varitani hatte das bereits oft getan und war bisher noch nicht in die Falle des Hochmuts und der Überheblichkeit getappt, die schon einige seiner Vorgänger in ein tiefes Loch hatten stürzen lassen. Arethrus‘ Mund umspielte ein grimmiges Lächeln, wenn er daran dachte, dass tatsächlich einige Frauen und Männer, die er kannte – und die ihn lieber nicht gekannt hätten - die Korrelationskammern des Dicasteriums von Scintilla bevölkerten.

Man kann sich nun vorstellen, wie signifikant der Ärger gewesen war, als Varitani diese für Arethrus so wichtige Arbeit zugunsten einer anderen Mission seinem Interrogator übertragen hatte, einem für den Geschmack den Lord Inquisitors viel zu weibisch und schwach aussehenden Mannes, der erst noch Erfolge der Kathegorie vorzuweisen hatte, die ihn in den Augen des Lord Inquisitors als vertrauenswürdig genug für solch eine heikle Aufgabe erscheinen lassen würden.
Dazu kamen noch die Ereignisse der letzten Tage. "Häresie ungekannten Ausmaßes auf Xeiros Prime. Exterminatus momentan nicht ratsam. Unterstützung zur Errichtung einer systemweiten Quarantäne erbeten." Das war die bedeutungsschwangere, doch herzlich detailarme Kurznachricht von Varitani gewesen, die ihm von Hiron Kessler, einem Interrogator in den Diensten von Inquisitor Globus Vaarak, zugespielt worden war. Leider schien er nicht der einzige zu sein, der diese Nachricht erhalten hatte, denn bereits einen Tag später hatte es diverse Anfragen der Lord Inquisitoren Gillenstern und Bahan gegeben und letztendlich sogar eine von Lord Sektor Marius Hax, der nun beharrlich darauf bestand, einen Rat einzuberufen, um den Sachverhalt zu klären. Das bedeutete noch mehr Rampenlicht für Arethrus und eine Position, in die er sich selbst nie hineinmanövriert hätte. Sein ehemaliger Lieblingsinquisitor hatte einiges zu erklären.

Immarut war merkwürdig erschüttert. Er nahm an, dass das an der langen Zeit lag, die er sowohl DeVetter als auch Dorundy gekannt hatte. Bei der Durchquerung des Komplexes, ein Unterfangen, das nicht zuletzt aufgrund der Kontrollposten und Sicherheitsbestimmungen einiges an Geduld erforderte, hatte ihm Inquisitor Varitani kurz vom Ableben der beiden Akolythen berichtet.
Er trat vor und wies sie beide bei der letzten Sicherheits-Barriere aus. Auch die inneren Bereiche des Trikornus waren von Inquisitionsgardisten geschützt, Elitesoldaten in schwarzen Flakuniformen, das I der Inquisition auf der linken Brust und Samtumhänge in Rot und Schwarz von den Schultern hängend.

Während es weiter unten im Trikornus aufgrund der akustisch stark reflektierenden Oberflächen niemals still war, man immerzu das Echo von Schritten oder gemurmelten Worten, das Zischen von Türen, die auf- und zuglitten, das Rattern von Cogitatoren und in manchen Trakten auch unheimlichere und verstörendere Geräusche hörte, veränderte sich, sobald man in einem der drei Türme eine gewisse Höhe erreicht hatte - Varitani und sein Interrogator waren jetzt fast ganz an der Spitze des Turris Malleus - sowohl die Anzahl der arbeitenden Menschen als auch die Inneneinrichtung hin zu angenehmerem Ambiente, zwei Eigenschaften, welche die höheren Stockwerke zu manchen Zeiten des Tageszyklus fast totenstill wirken ließen.
So sagte Railoun nur ganz leise: "Ich kann nicht behaupten, dass mich das kalt lässt, Herr Inquisitor. DeVetter war schon hier, als ich zu Ihnen kam und Dorundy hat sich seit der Sache mit Lucrés als wirklich loyale und kompetente Kollegin erwiesen.“
Varitani blickte ich ihn kurz über die Schulter hinweg an, ohne sein Schritttempo zu verlangsamen, und seine Augen wirkten dabei traurig. Sie durchquerten gerade einen Säulengang, dessen Marmorboden mittig von einem Langteppich aus Quast bedeckt war, auf dessen violettem Grund schwarze Symbole und Insignien prangten.
Er nickte kurz und schien dann einen Moment in Gedanken verloren zu sein. "Ja, mir geht es auch nahe. Sehen wir zu, dass wir Ihr Opfer durch unsere harte Arbeit ehren und dass wir Ihre Mörder ihrer gerechten Strafe zukommen lassen, so wie es der Wille des Imperators ist."
Railoun formte die Aquila vor der Brust. „So sei es.“
Sie kamen an die große Doppelpforte, ein Tor von dunkelbraunem Kirandhru-Holz, mit für Varitanis Geschmack viel zu protzigen Schnitzereien verziert. Eine Schädelsonde war linker Hand aus einer mittlerweile wieder unsichtbaren Öffnung in der Wand geflogen und schwebte abwartend zwischen dem Tor und den Inquisitionsagenten.
"Wir sehen uns nachher in meinen Räumlichkeiten, Railoun.", sagte Varitani schroff und ließ seinen Interrogator stehen, ohne ihn noch einmal anzublicken.
Railoun legte die Stirn in Falten und seufzte, bevor er sich abwandte und auf den Rückweg machte. Varitanis Arbeitsbereich war einige Stockwerke weiter unten.

Mit einem mechanichen Surren verengte sich die Linse des optischen Scanners der kleinen Schädelsonde, als Varitani vor sie trat, um seine Retina einem Zutrittsscan unterziehen zu lassen. Zarter Gesang umfing den Inquisitor, als sich die Tore öffneten. Majestätisch begleitet von einer Hundertschaft der besten Musiker des Dragi Verrede-Orchesters liebkoste ihn der prickelnd erregende und zugleich frische Sopran von Madame Arvelise D'Isatore, die sich duch die Arie Tempestas sensus aus Grand Maestro Frederico Perricis Eterna sang. So hätte es wohl Lord Inquisitor Arethrus beschrieben, dachte Varitani. Ihm ging das erbärmliche Gejohle einfach nur auf die Nerven.
Er blickte sich in dem Vorraum um. Leicht abgerundet nach außen hin mit Aussicht durch die Glaswände, die ihresgleichen suchte, innen mit geschmackvollem, hellem Mobiliar eingerichtet und mit Holzparkett ausgleget - darüber kostbare Teppiche - bildete dieser Raum einen starken Kontrast zu den vergleichsweise tristen und vor allem drückenden Gängen des oberen Turris Malleus.

"Serpentin.", hörte er da die vertraut ruhige, großväterliche Stimme des Lord Inquisitors, deren leicht angespannter Mitklang ihm jedoch nicht entging. Die helle Gestalt kam ihm aus dem inneren Arbeitsbereich entgegen. Lord Inquisitor Zephraim Kandotates Arethrus war trotz seines Alters, das Varitani nicht genau bekannt war, aber schon im mehrhundertjährigen Bereich lag, eine mehr als imposante Erscheinung. Hier spielte die von Natur aus große, stämmige Gestalt mit Kleidung, Auftreten und Körperhaltung zusammen. Arethrus war genau so groß wie Varitani, also fast zwei Meter, sah aus wie ein rüstiger Mann in der Mitte seines sechsten Lebensjahrzehnts und war fast immer strahlend weiß gekleidet. An diesem Tag trug er einen weiß emailierten Brustplattenpanzer über einer weißen, mit güldenen Stickmustern gesäumten Robe. An dem Brustpanzer waren mehrere Reinheitssiegel angebracht, und das Wappen der Imperialen Inquisition prangte an der linken Seite über einer stilisierten Brustwarze. Arethrus' volles Haar war schlohweiß, passend zur Kleidung und setzte sich stark von der durchweg gut gebräunten Haut ab. Die linke Seite des vollen Gesichts des Lord Inquisitors war zu nicht geringem Teil von Narbengewebe bedeckt -  eine Plasmaverbrennung, die er absichtlich nie hatte entfernen lassen. Zwei Schläuche ragten aus dem hinteren linken Kieferbereich und mündeten hinter seinem Kopf in zwei Ösen im Rückenpanzer. An derselben Seite des Kopfes befand sich auch eine Schnittstelle für direkte Cogitatorverbindungen. Die unter dem Brustpanzer hervortretende, bodenlange Faltenrobe war durch einen rötlich bestickten Gürtel eng tailliert gehalten. Die Beine des Lord Inquisitors steckten in allem Anschein nach sehr bequemen Stiefeln aus weißem Rauhleder. Arethrus trug die meiste Zeit über hauchdünne Handschuhe; an seinem Gürtel hing außerdem noch eine bronzebeschlagene Miniaturversion des Canti Fidei, eines Gebetsbuches, dessen Front Drusus zeigte. Um seinen Kopf schwebte eine weitere der kleinen Schädelsonden.

„Mein Herr.“ Varitani neigte kurz den Kopf. „Ich bedaure, gleich zur Sache kommen zu müssen, aber wir haben viel zu besprechen.“
Arethrus zog eine seiner buschigen Augenbrauen hoch. „In der Tat, das sehe ich auch so.“
Varitani hatte sich nicht getäuscht. In seinem Tonfall schwang eine gewisse Ungehaltenheit mit. „Sie haben die Nachricht erhalten, die ich gesandt habe.“
„Nicht nur ich – so scheint es.“ Arethrus sah ihn nicht an, sondern bewegte sich zu einem breiten Stuhl, der vor einer holzvertäfelten Wand mit Cogitator-Panelen stand, ließ sich nieder und tippte an einer Armlehnenkonsole herum.
„Ich – verstehe nicht.“
„Ihre Nachricht ist der gesamten Führung des Sektors bekannt, ebenso den Lord Inquisitoren Gillenstern und Bahan, ebenfalls Lord Inquisitor Caidin.“
Varitani wirkte verdattert. „Da muss etwas bei der Überbringung passiert sein.“
Arethrus‘ Gesicht war kurz von Zorn erfüllt, aber er kämpfte ihn nieder. „Das wundert mich auch gar nicht, wenn Sie dieses Wiesel Kessler als Boten benutzen.“
„Kessler?“ Varitani überlegte.
„Hiron Kessler, Interrogator von Globus Vaarak.“, führte der Lord Inquisitor ungeduldig aus.
Varitani verzog das Gesicht. „Ich erinnere mich. Da ist etwas nicht nach Plan gelaufen, ich habe ihn nie als Boten vorgesehen. Ich benutzte einen alten Bekannten, den Freihändler Captain Guntr, der die Nachricht für mich nach Valon Urr brachte, von wo aus sie astropathisch nach Scintilla übermittelt und direkt zu Ihnen persönlich überbracht werden sollte.“
„Das hat anscheinend nicht so funktioniert. Irgendwie ist dieser Kessler ins Spiel gekommen – oder es hat vorher schon ein Leck gegeben – und die Informationen sind durchgesickert. Inquisitor Vaarak halte ich für zu integer, um bei solch einem Spiel mitzumachen. Überhaupt ist die Tyrantinische Kabale viel zu sehr in eigene Probleme verwickelt – Vaarak würde den Fall Xeiros Prime sicher mir überlassen. Es war also entweder Kessler oder jemand, der vor ihm die Nachricht hatte. Ich möchte, dass Sie dem nachgehen, Serpentin. Ich möchte den haben, der hier geredet hat.“
Varitani räusperte sich. „Genauso wie ich, Lord Inquisitor, aber ich denke, wir haben gar nicht die Zeit für solch eine Operation. Die Lage auf Xeiros Prime ist nicht…“
„Die Zeit hat sich durch diese Lücke in der Informationsübertragung sozusagen schon gefunden, Herr Inquisitor.“ Arethrus war jetzt offen wütend. „Lord Sektor Hax hat eine Ratssitzung einberufen, um mit allerhand Vertretern von Militär, Ecclesiarchie und natürlich auch der Inquisition das weitere Vorgehen in dieser Causa zu besprechen.“
Varitanis Augen hatten sich verengt, seine rechte Hand schloß sich mehrmals zur Faust und öffnete sich wieder. „Dafür ist keine Zeit. Darüber setzen wir uns hinweg.“
„Ach ja?!“, fuhr ihn Arethrus an. „Tun wir das? Nun, wenn wir – wie von Ihnen vorgeschlagen, die Flotte zur Unterstützung brauchen und vielleicht sogar die Garde, dann tun wir das nicht. So weit reicht auch mein Einfluß nicht. Lord Inquisitor Caidin selbst hat zugestimmt, dieser Ratssitzung beizuwohnen und damit ist die Initiative aus unserer Hand, bis sie Lord Sektor Hax wieder abgibt. Wir könnten momentan wahrscheinlich nicht einmal mehr selbst den Exterminatus befehlen, ohne uns gehörig aus dem Fenster zu lehnen.“
Varitani erschauerte. „Beim Thron, was für ein Schlamassel. Geschwindigkeit ist alles, worauf es jetzt ankommt, nicht Schlagkraft oder Schläue.“
„Wir müssen mit den Mitteln arbeiten, die uns jetzt noch zur Verfügung stehen. Lord Admiral Anderton ist auf dem Weg nach Scintilla, Großkardinal Ignato hat sowieso die meiste Zeit nicht so viel um seine gesegneten Ohren, dass er nicht etwas Raum für die Anliegen der Inquisition schaffen könnte, und die anderen Ratsteilnehmer werden auch bald eintreffen – sagen meine Quellen. Es wird sich also um eine Verzögerung von ein paar Tagen handeln.“
Varitani nickte.
„Nutzen sie also die Zeit und beauftragen Sie diesen Railoun oder einen anderen Ihrer Leute mit den Ermittlungen. Es wäre gut, sie in den nächsten Tagen abzuschließen. Ich will den haben, der dafür verantwortlich ist – und wenn es bis Vaarak geht, dann auch ihn!“
„Mit Verlaub, Lord Inquisitor – ich bin nicht Ihr Handlanger. Meine Ressourcen sind beschränkt und ich als Inquisitor des Thrones sehe momentan keine Veranlassung…“
Lord Inquisitor Arethrus hob die Hand und sein ehemaliger Schützling verstummte zögernd. „Das genügt, Varitani. Wirklich, das genügt. Suchen Sie sich ausgerechnet diese Zeit aus, um zu rebellieren, ja? Kein weiser Zug ist das. Sie, alter Freund, stehen momentan an der Kippe. Sie wollen meine Unterstützung und die sollen Sie auch haben – mein Name ist durch diese Panne auch mit der Sache verstrickt. Wie ich mich aber anschließend verhalte, wer tatsächlich die Schuld zugeschoben bekommt, das ist noch ungeschriebene Geschichte. Lassen Sie mich Ihnen versichern, ich werde das eine oder andere Wörtchen bei der endgültigen Fassung mitzureden haben. Sie werden sich also gut überlegen, ob Sie sich wirklich ausgerechnet jetzt so undankbar für die Unterstützung zeigen wollen, die ich Ihnen über all die Jahre habe zukommen lassen.“ Oder Sie sehen die Korrelationskammern von innen, mein alter Freund.
Ein Beben lief durch Varitanis Körper, während er die Drohung verdaute. Er hoffte, der alte Politiker vor ihm würd es nicht mitbekommen. Ich hätte mich nie auf ihn einlassen sollen. Er ist vor allem sich selbst verpflichtet. Wenn ich jetzt Widerstand leiste, ist alles aus. Dann hätte ich auch gleich auf Xeiros sterben können.
Varitani zwang sich zu einem Nicken. Kaum brachte er die nächsten Worte hinaus, so sehr schnürten ihm Scham und Entrüstung die Kehle zu: „Ja, das sehe ich auch so. Es ist nicht die Zeit für Streitigkeiten. Ich bitte um Verzeihung.“ Er räusperte sich erneut. „Ich habe eine Zelle auf Scintilla, die anderen sind im Einsatz. Ich werde diese Leute darauf ansetzen.“
Arethrus Miene zeigte eine Spur von Genugtuung und Befriedigung, bevor er sich wieder unter Kontrolle bekam und wächsern wie zu Beginn des Gesprächs fortfuhr: „Wie gefährlich ist denn die Lage auf Xeiros? Warum kein Exterminatus, wenn die Welt verloren ist?“
„Die Gefährlichkeit lässt sich noch nicht genau einschätzen. Das System ist verloren, jeder Xeiros-Stämmige muss beseitigt werden, sei er dort oder irgendwo sonst. Es könnte sich aber durchaus zu einer Gefahr für den ganzen Sektor ausweiten. Ein Exterminatus könnte in letzterem Fall unsere einzige Chance zerstören, der Situation doch noch Herr zu werden.“
Arethrus‘ Stirn lag in schweren Falten. „Was genau ist dort passiert, Serpentin?“
„Ich werde Ihnen alles berichten, alles. Dann entscheiden wir, was wir dem Rat sagen.“
Der Lord Inquisitor nickte. „Überlassen Sie den Rat mir, Serpentin. Das Parkett der Sektoren-Politik ist nichts für ungeübte Tänzer.“

Arden Etklint Kleist:
3 – Xeiros Prime

„Wo sind sie, Frederiq?“ Auch wenn Varitani sich Mühe gab, jegliche Nervosität aus seiner Stimme herauszuhalten, so gelang ihm das nicht vollständig. Nicht, dass er DeVetter irgendetwas hätte vormachen können. Der Telepath kannte Varitani jetzt schon lange genug, um zu wissen, wie es ihm ging, auch wenn er ihn nicht sehen konnte. Dazu bedurfte es nicht einmal des Einsatzes seiner Fähigkeiten. Als jemand, der sich im Allgemeinen mit menschlichen Emotionen und Gedankengängen auskannte, konnte er andere Personen generell gut einschätzen, einen alten Freund wie Serpentin Varitani überhaupt.
DeVetter löste sich mit einer einfachen Konzentrationsübung aus seinem fleischlichen Körper und glitt durch die Gänge und Korridore, wo er zahlreiche Präsenzen wahrnahm, die sich ihrer Position näherten. „Sie kommen. PDF, recht zahlreich. Einige davon sind sicher infiziert.“
„Dann sagen Sie ihm, er soll sich beeilen.“ Varitani knöpfte die Ärmel seines Ledermantels auf und lockerte seine Gliedmaßen.
DeVetter kratzte sich an seiner recht prominenten Nase und drang dann in den Verstand des Nyunga ein, der sie in den Komplex geführt hatte und gerade versuchte, sich Zugang zu einer Datenbank zu verschaffen, um die Informationen sicherzustellen, deretwegen sie überhaupt noch auf dem verfluchten Planeten waren. Wenige Wochen später würde es Feuer und Tod regnen, dessen war sich DeVetter sicher. Noch niemals zuvor hatte Varitani einen Exterminatus befohlen, doch dieses Mal konnte er nicht anders. Wie immer wirkte die Andersartigkeit des Xeno-Hirns abstoßend und löste einen spontanen Würgereiz bei dem Telepathen aus – doch wer wenn nicht ein sanktionierter Psioniker sollte in der Lage sein, diese Aufgabe zu lösen.
Selbst wenn ein Mensch es auf sich nahm, die glucksende Sprache der Nyunga zu erlernen, so konnte er sie höchstens verstehen, nie jedoch sprechen. Dazu waren die menschlichen Sprechorgane einfach nicht gemacht. DeVetter war also nur die Möglichkeit geblieben, es auf kreative Art und Weise zu versuchen. Also hatte er Bilder ins Bewusstsein des Ureinwohners von Xeiros Prime geschickt. Der Verstand der Nyunga war eine weiche, formlose Sache. Leicht zu lesen, aber unangenehm, so als ob man sich nackt in einen Bottich voller Schnecken legen würde. Man konnte leicht ausgleiten und untergehen.
Einige Nyunga sprachen auch schwer verständliches Niedergothisch, aber nur wenige. Als Ureinwohner von Xeiros Prime waren sie seit langen Jahrhunderten eine unterdrückte Minderheit. Sie wurden toleriert, solange sie ihren Platz kannten. Dass dem so war, dafür hatte die imperiale Regierung schon gesorgt. In den Jahrhunderten nach dem ersten Eroberungskrieg bei Besiedelung des Planeten hatte es eine Reduktion der Nyunga in Form von mehreren Progomen gegeben, bis der Arbeiterbestand auf ein leicht beherrschbares Maß und sein Kampfeswille auf null gesunken waren.
Varitani verstand sehr wohl die Notwendigkeit dieser Maßnahmen, war sich jedoch des Wertes der Nyunga bewusst. Als immer noch in fast allen Schichten der Gesellschaft als Bodensatz präsenter Teil hatten die Nyunga überall Augen und Ohren und konnten mit der richtigen Motivation als eine nicht unbedeutende Wissensquelle erschlossen werden. In Form von DeVetter hatte Varitani einen hervorragenden Motivator gefunden. Wie ihm sein meistgeschätzter Telepath versichert hatte, waren die Nyunga zu keinem Teil psionisch begabt und konnten sich seiner Macht nicht widersetzen. Dementsprechend waren sie leicht zu beherrschen, sobald man ihre Denkmuster etwas kannte. Noch eine Eigenschaft zeichnete sie aus, dank der sie für Varitani nützlicher waren, als er vor seinem Besuch vermutet hätte. Ihre Nahrung setzte sich aus anderen Bestandteilen zusammen, als die der menschlichen Einwohner von Xeiros Prime – und dadurch waren sie allesamt einem Befall durch die Saat entgangen. Varitani konnte nicht sagen, welchen Durchseuchungsstand die menschliche Bevölkerung aufwies, doch er ging von hundert Prozent aus. Alles andere ließ seine skeptische Inquisitorenanalytik nicht zu.
Durch den Spalt in der Türe, den Varitani beobachtete, waren schon erste Lampen von Sturmgewehren zu sehen, auch war das Geräusch von sich nähernden Kampfstiefeln zu hören.
„Lichter aus! Sie sind da. Nachtsichtgeräte! Halten Sie den Nyunga ruhig.“ Varitani hatte es nicht auf sich genommen, den Namen des Xeno zu lernen und auszusprechen. DeVetter und er selbst trugen Linsen, die ihnen auch in vollkommener Dunkelheit ein gewisses Maß an Sichtvermögen geben würden. DeVetter konnte sich darüber hinaus auch mit seinen Psi-Sinnen ein gewisses Bild seiner Umgebung machen.
Varitani hörte ein Glucksen und Schnarren, als der Nyunga Geräusche von sich gab, die nach Angst oder zumindest Besorgnis klangen. Sofort drang DeVetter in seinen Verstand und zwang ihn zur Stille.
Der Inquisitor hielt den Atem an, als die Schritte langsamer wurden und schließlich kaum noch hörbar waren. Die Strahlen der Suchlampen fuhren langsam nach links und rechts. Dann waren sie plötzlich verschwunden. Varitani zwang seinen Atem fast zum Innehalten und bewegte Millimeter für Millimeter den Kopf zur Seite, um einen Blick nach draußen zu werfen. Er zog scharf die Luft ein, als er rot glühende Augenpaare erblickte, die alle in seine Richtung starrten.
Mehr noch als dass er sie sah, spürte er die Bewegung. Er stieß sich nach hinten ab, als die Tür unter einem Schlag erzitterte und aufsprang. Mit einem tierischen Fauchen drang eine Gestalt in den Raum ein und hechtete nach Varitani. Sofort riß der eine Hand nach oben, sein kybernetisch veränderter Unterarm gab eine Klinge frei, die nach vorn klappte, noch einmal so lang wie sein Unterarm. Er fuhr dem Angreifer in die linke Achselhöhle und trennte ihm dabei fast den Arm ab.
DeVetter benötigte nur einen Gedanken, um den Nyunga von dem Pult weg und gegen den nächsten PDF-Gardisten zu schicken. Der Reptiloid sprang den Soldaten an und riß ihn zu Boden. Auch dieser Gegner gab ein tierisches Grunzen von sich, das nicht einmal entfernt an einen Menschen erinnerte. DeVetter ließ seine Las-Pistole in seine Hand gleiten und legte auf die Türe an. Ein Wesen mit einem klingenartigen Fortsatz statt einer Hand trat gerade in den Durchgang, also ließ er seinen Daumen den Schalter auf Burst-Mode schieben und drückte ab. Etliche der gleißend hellen Geschosse bohrten sich in die Brust des Angreifers, doch das schien ihn nicht aufzuhalten. DeVetter grunzte frustriert und konzentrierte sich dann auch einen der Angreifer. Dieser riß auf einmal eine Schrotflinte vom Rücken, nur um dem Wesen mit der Klinge direkt von hinten den Leib voll Blei zu pumpen, was diesen fast entzwei riß. DeVetter grinste.
Varitani hatte in der Zwischenzeit noch zwei Gardisten den Garaus gemacht, was den Mann unter DeVetters Kontrolle wohl zu dem einzigen Gegner machte, der sich ihnen momentan entgegenstellte – auch wenn in wenigen Minuten weitere auftauchen würden.
„Hier ist wohl auch nichts zu holen.“, murmelte Varitani gerade laut genug, dass DeVetter es hören konnte und sah ihn dabei fragend an, als ob er eine Bestätigung erwartete.
Der Telepath warf einen kurzen Blick auf den kontrollierten Nyunga, dann schüttelte er den Kopf. „Ich fürchte, so ist es, Herr Inquisitor.“
„Dann werden Sie den da los“, Varitani deutete salopp auf den verbleibenden PDF-Gardisten, der – ebenfalls unter DeVetters Kontrolle – mit einem debilen Gesichtsausdruck einfach nur dastand und gegen die Wand glotzte, „und dann sehen wir zu, dass wir hier rauskommen. Wir müssen uns überlegen, wie wir weiter vorgehen sollen.“
Der Gardist warf auf einmal die Schrotflinte weg, zog sein Messer und schnitt sich die Kehle durch. Mit einem röchelnden Gurgeln verließ ihn die Kraft und er sank zu Boden. Bis zum Ende behielt der Telepath mit kaltem Blick in den Augen die Kontrolle über ihn. Seltsames Gefühl zu sterben, dachte er bei sich.
Varitani hatte kurz zugesehen und war dann zu den Überresten des Wesens mit der Klinge hinübergegangen. Er kniete nieder und ließ seinen Blick rasch über die Kreatur gleiten. Einst mochte sie einmal ein Mensch gewesen sein, doch lag hier nur noch ein Schatten der reinen menschlichen Form vor ihm. Der Kopf war entstellt und mit knochigen Platten überzogen, ein vollkommen blutroter Augapfel weit aus der Höhle hervorgetreten, auch das restliche Gesicht zur Grimasse verkommen, der Unterkiefer zu zwei mit Reißzähnen besetzten Mandibeln geworden, die nur durch ein Stück Haut am Kinn miteinander verbunden waren. Der restliche Körper war muskulös, das Fleisch des rechten Arms reichte nur bis zum Ellenbogen, wo es in einer knöchernen Klinge auslief, wild gezackt und wahrscheinlich höllisch scharf.
DeVetter hatte anscheinend den Nyunga angewiesen, noch aus der Datenbank zu sichern, was er konnte, dann war er zu seinem Inquisitor getreten. „Ein Daemon?“
Varitani blickte ihn an. „Hat etwas von einem Daemon an sich. Ich denke aber, es ist ein Befallener in einem forgeschrittenen Stadium – weiter verändert, als der gute Doktor es bisher beschrieben hat.“
DeVetter erschauderte. Er selbst war von Xeiros Prime – das war seine Heimat gewesen – und er hatte, seit er vor etlichen Wochen hier angekommen war, wieder von der hiesigen Nahrung gegessen. Nun wussten Varitani und er mittlerweile aus den Forschungsergebnissen von Doktor Flengler, dass die Saat, die Ursache für all das Chaos auf Xeiros Prime, mit dem Essen aufgenommen wurde. Nur für Xeiros-Stämmige verträglich, war Varitani vor den Folgen anscheinend geschützt, doch DeVetter war zu sich selbst ehrlich genug, um genau zu wissen, was das bedeutete. Flengler hatte in seinen Berichten von einer Inkubationszeit von mehreren Wochen gesprochen, vielleicht Monaten, aber das spielte keine Rolle. DeVetter würde Xeiros Prime nicht mehr verlassen. Die Chancen waren hoch, dass er den Rückflug nicht als der Mensch beendete, der er jetzt noch war. Er würde nicht einmal versuchen, seiner Heimatwelt den Rücken zu kehren – er war sich nur noch nicht sicher gewesen, ob er es über sich bringen würde, sich selbst das Leben zu nehmen. Vielleicht hätte er mit Varitani darüber reden sollen, doch er wusste, dass auch der Inquisitor selbst mit dieser Entscheidung zu ringen hatte. Dieser Mann war niemand, der in so einem Fall viel Schwäche zeigte, das waren wohl die wenigsten Inquisitoren, deshalb rührte sein innerer Kampf den Psioniker. Wer hätte das einst auf den Schwarzen Schiffen erwartet?
Inquisitor Varitani würde DeVetter wohl richten und der Obhut des Imperators anvertrauen, bevor es hier zu Ende ging, doch der Telepath wollte verdammt sein, wenn er nicht wenigstens noch half, seinen Vorgesetzten und Freund erst von dieser verdammten Welt wegzuschaffen, wenn er es nicht noch zustande brachte, dass seine Heimat Xeiros Prime durch Serpentin Varitani den reinigenden Flammentod würde sterben dürfen und nicht zur Quelle für noch mehr Leid werden würde.
Von draußen waren bereits wieder Geräusche zu hören. Arian, Dich bräuchten wir jetzt. DeVetter dachte an Arian Dorundy, die Ex-Arbitratorin, die in solchen Situationen immer recht überzeugende Argumente hatte vorbringen können, seien es irgendwelche Granaten, Schrotflinten oder einfach nur ihr Schockschlägel, den sie immer mit grimmigem Lächeln geschwungen hatte. Während er den Nyunga von der Konsole wegsteuerte, gingen ihm die Szenen durch den Kopf, als man sie geholt hatte. Sich des gewaltigen Ausmaßes der feindlichen Übernahme von Xeiros Prime noch unbewusst, hatte DeVetter einfach nichts getan – Dorundy ebenso wenig. Sie hatten darauf vertraut, dass die Rosette der Inquisition sie schon würde freibekommen können. So hatte er einfach nur dagestanden und sie abführen lassen. Bis zu diesem Moment war ihm nie bewusst geworden, wie sehr das an ihm nagte. Was sie wohl mit ihr gemacht hatten? Ob sie noch lebte?

Sie stürmten die oberen Gänge entlang. Immer wieder hörten sie hinter sich Rufe, Alarmsirenen erschallten aus den unteren Stockwerken den breiten, quadratischen Liftschacht nach oben, während das Zugwerk bis an die Grenzen strapaziert wurde. DeVetter hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, es abzuschießen, ihn aber verworfen. Wenn sie etwas erwischen würde, dann nicht die nachrückenden Truppen in dem langsamen Lift sondern die Hindernisse vor ihnen.
Mit ruhigen, tausende von malen durchexerzierten Bewegungen tänzelte Inquisitor Varitani um zwei der Klingenwesen herum und hinterließ mit den mittlerweile aus beiden seiner Unterarme hervorragenden, eigenen Schwertfortsätzen blutige Vernichtung. Er selbst hatte auch schon etwas abbekommen, ließ sich dadurch aber nicht einschränken. Er warf einen schnellen Blick in Richtung seines Psionikers.
Dieser stand über dem gerade zusammengesunkenen Körper des Nyunga und nahm einen Datenkristall an sich, als zwei PDF-Gardisten hinter einer Ecke hervortraten. „Kniet nieder.“, rief da der Telepath aus und psionische Kraft lag hinter dem Befehl. Die Männer zögerten kurz, dann taten sie, wie ihnen geheißen ward. DeVetters Las-Pistole beendete ihre Leben.
Vartani sah einen Schatten hinter DeVetter und rief, doch da drang eine Knochenklinge direkt durch den Psioniker und ragte vorne aus seinem Brustbein.  Der Inquisitor, seine Klingen wieder in seinen Armen verschwunden, sprang herbei und prügelte mit blanker Faust auf den Schädel der Kreatur ein, die Probleme hatte, ihre Waffe freizubekommen. DeVetter umklammerte sie mit beiden Händen, beide zerschnitten, sein Gesicht schweißüberströmt, Blut auf seinen Lippen.
Immer wieder fuhren zornig die künstlichen Arme von Varitani auf die Daemonenbrut hernieder, bis dieser ein Knacken wahrnahm und der Schädel nachgab. Zweimal schlug er noch auf die Masse darin, dann war das Wesen so tot, wie es sein konnte.
DeVetters Beine gaben nach, als ihn sein Gewicht und das des noch immer in ihm steckenden Wesens niederzogen. Seine Augen weiteten sich, seine Brust stach und brannte und er konnte nur schwer atmen.
„Frederiq.“, sagte Varitani und besah sich die Wunden. DeVetter selbst konnte mit seinen Kräften heilen, doch die Stärken des Inquisitors lagen nicht in der Behandlung von Verletzungen.
„Die Faust des Imperators.“, sagte der Telepath hustend. „Das – sind Sie, Serpentin.“ Er tastete mit seinen blutenden, zerschnittenen Händen zitternd umher und fand schließlich das Gesuchte. Er griff nach Varitanis Hand und legte den Datenkristall hinein. „Ziehen – ziehen Sie den Dreckskerl aus mir raus.“
Varitanis Augen waren glasig. „Das  - werden Sie nicht überleben.“ DeVetter brauchte keine Telepathie, um zu erkennen, dass Varitani genau wusste, wie unsinnig der Gedanke an ein Überleben für DeVetter überhaupt war.
Die Rufe hinter ihnen wurden lauter. „Keine Zeit – mehr.“ Jedes Wort war ihm Tortur. Der verdammte Varitani sollte schneller machen.
Der Inquisitor nickte. Von einem zu einem gequählten Seufzen unterdrückten Schmerzensschrei DeVetters begleitet, hieb Varitani mit einer seiner monomolekularen Armklingen die mit Widerhaken versehene Klinge direkt hinter der Eintrittswunde an DeVetters Rücken ab und begann dann, sie nach vorne durchzuziehen. DeVetters Augen klafften riesig auf, er spuckte Blut und packte in letzter Anstrengung nach Varitanis Arm, was diesen innehalten ließ.
Der Inquisitor hielt inne. „Es ist zuviel, nicht wahr?“ Varitani erhob sich, weiterhin den flehenden Blick seines Telepathen und ältesten Akolythen haltend, und zog seinen Schicksalsbringer-Langrevolver. „Ich danke Ihnen im Namen des Thrones für alles, was sie geleistet haben, Frederiq. Und auch dafür, dass Sie mir ein Freund waren. Leben Sie wohl an Seiner Seite.“ Damit drückte er ab. Unzeremoniell riß er anschließend das Knochenschwert aus dem Leib seines toten Freundes und wandte sich den nachrückenden Feinden zu. Beide seiner Armklingen schnellten hervor, bläuliche Energieentladungn zuckten die Schneiden entlang.

Arden Etklint Kleist:
Die im nächsten Abschnitt vorkommende Gruppe von Charaktere (Xandros, Verbal, Burgos und Kyrill) sind Spieler-Chars einer zweiten Dark Heresy-Gruppe, die von Inigo Hound, dem Spieler von Frost und Thracian, geleitet wird. Die Gruppe dient unter Inquisitor Vaarak sowie (noch) unter Interrogator Hiron Kessler. Ranos ist ein beliebter NPC aus dieser Gruppe. Ihr Vorkommen in "Aller Gnaden Ende" ist eine Verbeugung an den hervorragenden Inigo sowie an alle anderen Mitspieler für die tollen Momente mit diesen Charakteren. Dies nur also Info, damit das plötzliche Auftreten und Verschwinden so vieler Personen ins richtige Licht gerückt wird.

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