9 - EndgültigkeitEr entzündete das Lho-Stäbchen; die Bewegung war ihm so wohl vertraut wie das Gehen oder das Atmen. Dann tastete er neben dem Bett nach seinem Hemd, das Elena letzte Nacht dort einfach hatte fallen lassen.
Sie brummte verschlafen, als sie seine Bewegung spürte: "Musst Du schon wieder gehen?"
Das Seidentuch des Bettzeugs verdeckte ihren Körper nur unzureichend und Lucius musste lächeln, auch wenn seine Züge schnell in eine gewisse Bitterkeit abglitten.
Ich muss es ihr sagen. Bald. Er lehnte sich nach hinten und strich sanft über das honigblonde Haar der jungen Professorin. "Nein, noch nicht gleich, ich mache nur Frühstück.", flüsterte er und schwang sich dann vollends aus dem Bett, um nach seinen Hosen zu suchen.
Das diffuse Licht der Morgenstunden drang durch die Schlitze der Jalousien, und im Hinblick auf die immer noch dösende Chemikerin in seinem oder vielmehr ihrem Bett ließ er sie geschlossen.
Wenig später saßen sie bei Tisch - sie nur in ein Hemd gekleidet - und aßen relativ lustlos die gebratenen Eier, die er zubereitet hatte.
Es muss sein. Jetzt. Ich schulde ihr das. Er rieb sich über das raue Kinn und seufzte: "Hör mal, Elena."
Sie ließ die Gabel sinken und sah ihn an.
"Ich muss morgen schon wieder los.", begann er ein wenig zögerlich.
Sie nickte. "Das geht ja schnell dieses Mal." Sie griff nach seiner linken Hand, die noch neben seinem Teller lag, und drückte sie sanft. "Ich krieg' Dich ja kaum noch zu sehen, was?"
Er spürte einen Stich in seiner Herzgegend und seufzte erneut. "Tja, es ist auch so, dass ich dieses Mal gar nicht sagen kann, ob..." Er hielt inne.
Sie legte den Kopf fragend ein wenig schief.
Es muss sein. "Ob ich wieder zurück komme."
Ihr Blick wurde starr und ihre Augen glasig. "Was?", hauchte sie.
Er nickte nur stumm und spürte einen starken Druck unter dem Kehlkopf.
Elena schob sich von ihrem Hocker und kam zu ihm, umarmte ihn. "Ob Du wieder zurückkommst? Warum sagst Du denn sowas?"
Er hustete. "Ich fliege weit weg auf eine Welt, auf der irgendwelche ungewöhnlich schlimmen Dinge passiert sein müssen. Genaues weiß ich auch nicht. Der Inquisitor meinte aber zu meinen Kollegen und mir, wir sollten uns von allen verabschieden, die uns etwas bedeuten."
"Und das tust Du jetzt? Beim Thron!", stieß Elena hervor. "Beim Thron." Tränen rannen ihr die Wangen hinunter. "Und schon morgen?"
Er nickte und umarmte sie auch. "Es tut mir sehr leid. Ich kann mir vorstellen, wie es Dir jetzt geht, denn mir geht's auch richtig elend."
"Imperator, hilf mir, was machen wir denn jetzt? Warum hast Du gestern beim Essen denn gar nichts gesagt? Du schienst so glücklich." Sie ging ein bisschen auf Abstand und sah in seine Augen, in denen auch Tränen standen.
"Ich wollte, dass der gestrige Abend frei von Sorgen ist."
"Der letzte Abend...", brachte sie noch heraus, dann wandte sie sich ab und Lucius sah das unregelmäßige Zucken ihrer Schultern, als sie leise schluchzte.
Lucius stand auf und ging zu ihr.
"Bleib bei mir.", sagte sie weinend. "Bleib einfach bei mir. Du hast doch Kontakte. Nimm mich mit und wir fahren einfach weg, irgendwo hin, wo uns Dein Inquisitor nicht findet."
Lucius dachte kurz darüber nach, wie es dann wohl wäre.
Varitani würde mich nicht verfolgen, denke ich, aber er wäre bodenlos enttäuscht von mir. Und ich auch. "Ich könnte mir im Spiegel nicht mehr in die Augen sehen. Ich würde sie alle im Stich lassen. "
Sie schniefte. "Und so lässt Du nur mich im Stich, oder wie?" Ihr Tonfall erschien ihm wie eine Mischung aus Trauer und Zorn.
"Ich habe eine Pflicht gegenüber dem Imperium, gegenüber dem Goldenen Thron. So wie jeder Bürger."
"Und es ist wohl Deiner Ansicht nach auch meine Pflicht, Dich so einfach gehen zu lassen?!"
Das ist es leider. "Der Inquisitor würde uns gar nicht dorthin schicken, wenn es nicht..."
"Er nimmt Dich mir!" Sie sah ihn nun an. Ihr Blick stach in den seinen. Sie presste die Worte heraus, voller Wut: "Er nimmt Dich mir!"
Lucius' Trauer vermengte sich mit Enttäuschung. "Er beschützt uns alle! Dich, Deine Familie, Deine Freunde! Wir alle, meine Kollegen und ich, wir stehen dort, wo niemand sonst stehen kann."
"Tsk.", sie blickte mißbilligend zur Seite.
"Ich hatte gehofft, dass Du das verstehst."
Sie ging zum Bett und setzte sich, ihm den Rücken zugewandt. "Ich verstehe es nicht. Ich will jetzt gar nichts verstehen." Ihre Stimme war leise und hart - kalt.
Ein Schauer lief ihm über den Rücken.
So falsch.Als er seine spärlichen Sachen zusammengesucht hatte, saß sie noch immer dort. "Es tut mir leid, ich..."
"Geh einfach. Geh.", schnitt sie ihm das Wort ab.
Lucius war wie vor den Kopf gestossen. Lange Sekunden verstrichen und sie blieb stumm. "Was...", sein Hals kratzte furchtbar, als er heiser die Frage aussprach und Tränen standen erneut in seinen Augen: "Was ist jetzt mit uns?"
Keine Regung. "Ich weiß es nicht."
Lucius Frost wandte sich ab, ging mit einem letzten Schluchzer, der sich seiner Kehle entrang, und mit Tränen, die seine unrasierte Wange hinabliefen, seiner Pflicht entgegen und ließ Elena Lakrio verwundet und alleine zurück.
Heftige Zweifel überfielen die aufgewühlte Seele des jungen Ex-Arbitrators. Hatte er einen Fehler gemacht? Hatte er sich falsch entschieden? Sollte er zurückgehen? Sollte er einlenken?
Warum kann ich nicht klar denken? Warum kann ich nicht denken?! Er hieb sich selbst gegen den Kopf und fluchte, dann steckte er sich ein Lho-Stäbchen an. Das hilft immer. Es hatte zu regnen begonnen - passend zu seiner Stimmung, passend zu diesem elenden Tag.
Pater Gerhart Thracian brachte mit geübten Bewegungen Schmieröl auf die gegenläufigen Zähne und die Ketten seines Schwertes auf. Wie ein Ritual war für ihn das Reinigen und segnende Bereiten des mächtigen Instruments vor jedem Einsatz. Er sprach sanft einige Lobpreisungen zu dem Maschinengeist der Waffe, um ihn zu ehren und auch seine Dienste für den Imperator zu würdigen.
Beim Erschallen des elektronischen Türklopfers fuhr sein Kopf in die Höhe. Der wie immer in seine Ordensroben gehüllte Redemptionistenpriester fand einen unrasierten, völlig durchnässten Lucius Frost vor seiner Türe, der ihn mit verquollenen Augen ansah.
Wortlos machte ihm Thracian Platz. Frost trat mit hängenden Schultern ein.
Der Pater brühte Wasser auf und bereite Tee zu. Während das Aroma einzog, beendete er die Arbeit an seinem Kettenschwert und verwahrte die Waffe in einer ledernen Tasche. Frost hatte sich an dem Tisch des spartanisch eingerichteten Raumes niedergelassen. Noch immer war kein Wort gesprochen worden.
Gerhart tischte nun den Tee auf und sie tranken. Er merkte, mit welchem Genuß der Ex-Arbitrator die heiße Flüssigkeit hinunterschluckte.
Er ist völlig durchgerüttelt. Dies sind wahrlich Stunden der Prüfung für uns alle.Er fragte nicht nach dem Grund des Aufruhrs, denn der war nicht von Belang. Sein Weg und seine Pflicht waren dem Priester klar vor Augen. Nachdem sie getrunken hatten erhob sich Gerhart und trat würdevoll zu einem durch einen roten Samtvorhang verborgenen Durchgang. Mit langsamen, feierlichen Bewegungen zog er das Tuch beiseite und offenbahrte eine kleine Nische, die einen Schrein enthielt. Bildnisse von Drusus, Aret und Casthor waren darin aufgestellt, sowie einige Kerzen, das Wachs von einigen von ihnen vermengt mit duftenden Essenzen. Gerhart entzündete sie.
"A spiritu dominatus
Domine, libra nos,
Von dem Donner und dem Sturm,
Erlöse uns, oh Imperator.
Von Seuche, Falschheit, Versuchung und Krieg,
Erlöse uns, oh Imperator,
Von der Geißel des Kraken,
Erlöse uns, oh Imperator.
Von der Blasphemie der Gefallenen,
Erlöse uns, oh Imperator,
Von der Besessenheit durch Dämonen,
Erlöse uns, oh Imperator,
Vom Fluch des Mutanten,
Erlöse uns, oh Imperator.
A morte perpetua,
Domine, libra nos.
Auf dass du ihnen den Tod bringest,
Auf dass du niemanden verschonest,
Auf dass du niemanden begnadigest,
Wir flehen dich an, vernichte sie alle."
Gerhart sprach das Schlachtgebet der Ekklesiarchie, die Fede Imperialis, ruhig, voll und hoheitlich. Sieben Mal sprach er es und Lucius fiel in den Wortlaut ein. Sieben Mal sprachen Sie es und die Wogen der stürmischen See in dem jungen Mann glätteten sich langsam. Kraft ging von dem Redemptionisten aus, Überzeugung strömte aus jeder Pore, Ruhe ergriff Besitz von Lucius, stählte seine Entschlossenheit. Er war ein Schwert des Imperators, ein Diener Seiner Inquisition. Er war Pflicht und er war Treue. Er war Lucius Frost.
Immarut Railoun erwachte ruhig aus erholsamem Schlaf. Als er die Augen öffnete, blickte er direkt in das wunderschöne Gesicht von Cattaleya, die still neben ihm lag. Auch sie war wach, bewegte sich jedoch nicht. Nur ein zartes Lächeln umspielte ihre Lippen.
Perfekte Lippen.„Ich bin glücklich.“, flüsterte er und musste auch grinsen.
„Ich weiß. Ich auch.“ Ihre Hand strich ihm sanft eine Locke seiner goldenen Mähne aus dem Gesicht.
Er bebte unter der Berührung.
Sie kicherte. „Du meine Güte. Du zitterst ja.“
„Dagegen kann ich nichts machen.“ Er griff nach ihrer Hand und führte sie sanft an seine Lippen.
Sie lächelte erneut.
Einen Moment verharrten sie noch so, dann zogen Sorgenfalten über seine Stirn.
Sie machte ein fragendes Gesicht.
„Wir brechen bald auf. Heute teilen wir die Gruppen ein.“
„Gruppen?“
„Wir können nicht zusammen reisen. Das wäre zu auffällig.“, erklärte Immarut. „Wir werden uns erst später wieder treffen, also die Gruppen meine ich.“
„Ich möchte mich aber nicht von Dir trennen.“, erwiderte sie traurig.
Habe ich das gerade wirklich gesagt?Er dachte kurz daran, sie zu berühren, ihr Haar oder ihre Wange oder nur ihre Schulter. Doch er konnte sich nicht überwinden, sich dem noch weiter zu nähern, was er so lange als unerreichbar angesehen hatte. Der Zeitpunkt dazu würde kommen. „Ich hoffe, dass das nicht sein muss. Der Herr Inquisitor wird uns beide in eine Gruppe stecken. Wir können zusammen reisen.“
Das Lächeln kehrte wieder auf ihre Züge zurück. „Dann ist doch alles in Ordnung.“
Seine Miene widersprach.
„Oder nicht?“
„Ich bin schon in einige Dinge eingeweiht, die Varitani der restlichen Zelle noch nicht anvertrauen konnte. Es wird wirklich gefährlich und wahrscheinlich auch sehr belastend für den Geist. Uns stehen harte Prüfungen bevor.“
Sie ließ sich nicht beirren. „Ich mache mir keine Sorgen. Mein Löwe wird mich schon beschützen.“ Erneut strich sie ihm über die Wange und er erschauderte. „So hat noch nie jemand auf meine Berührung reagiert.“, kicherte sie. Sie bewegte sich auf ihn zu und ließ ihren Kopf auf seine Brust sinken, so dass ihr Duft, der Geruch ihres Haars über ihn strömte und er sich fühlte, als würde er in einem Meer namens Cattaleya schwimmen.
„Unser Ziel ist Xeiros Prime.“ Varitani ging in seinen Arbeitsräumen vor ihnen auf und ab, den Ledermantel um seine Schultern gelegt, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. „Auf den Datentafeln, die ich Ihnen habe austeilen lassen, befinden sich alle relevanten Hintergrundinformationen. Am Rande des südwestlichen Kontinents, Kirrjeha, befindet sich die Bantifon-Bergkette. In diese Berge eingebettet liegt Xileiphos, eine kleine Pilgerstadt, die um einen Schrein herum entstand, der Drusus gewidmet ist. Wie Ihnen vielleicht bekannt ist, nimmt die Verehrung von Drusus im Calixis-Sektor immer mehr zu, je weiter man sich von Scintilla entfernt und weiter entfernt als Xeiros Prime kann man davon kaum sein.“
„Dieses Dorf ist unser Treffpunkt. Die Gruppen kommen alle zu unterschiedlicher Zeit auf Xeiros an. Als erstes werden vorraussichtlich die Pilger eintreffen: das sind Inquisitor Varitani, Pater Thracian und Granit.“, führte Immarut aus. Die drei Angesprochenen nickten.
„Nach uns werden Sie ankommen, Frost, gemeinsam mit Isand und Arn. Ihre Verkleidung wird die von Juwelenschleifern aus Ambulon sein. Einen Flug dorthin nehmen Sie drei heute noch und reisen, nachdem Sie sich in Ambulon bei Ihrem Kontakt mit den notwendigen Accessoires ausgestattet haben, morgen oder übermorgen ab.“ Varitani nickte, als ob er sich selbst zustimmen wollte.
„Der Plan sieht also den Transport in zivilen Schiffen vor? Was ist, wenn es zu Unregelmäßigkeiten in Flugplänen kommt? Wie sensibel ist das Timing bei diesem Einsatz?“, erkundigte sich Frost.
„Wir haben ein Fenster von mehreren Wochen, um unseren Auftrag abzuschließen. Ein paar Tage dürften also keinen Unterschied machen.“, antwortete Railoun. So gut wie allen Anwesenden fiel auf, dass Railouns übliche Schwermut von ihm abgefallen zu sein schien. Er strahlte richtiggehend.
„Außerdem wird die erste Phase der Mission vor allem von Ermittlungen geprägt sein. Es befinden sich in jeder Gruppe Personen, die dazu befähigt sind.“, ergänzte Varitani.
„Die dritte Gruppe wird von Cattaleya und mir selbst gebildet. Wir werden in die Rolle eines jungen, gutbürgerlichen Paares schlüpfen, das seinen Urlaub auf Xeiros Prime verbringen möchte." Frost konnte nicht umhin, das kaum zurückgehaltene Grinsen auf Railouns Gesicht zu bemerken, und er warf Honeymoon einen schnellen Blick zu, nur um festzustellen, dass sie ebenfalls lächelte.
„Was Sie an Ausrüstung mitnehmen, überlasse ich Ihnen. Bedenken Sie jedoch, dass die erste und wichtigste Priorität sein wird, unerkannt zu bleiben. Ich arbeite bereits an einer Möglichkeit, uns vor Ort mit Waffen und anderen arbeitsrelevanten Utensilien auszustatten. Darüber brauchen Sie sich also keine Gedanken zu machen.“ Varitani räusperte sich. „Die Details befinden sich auf den Datentafeln, die Sie bekommen haben. Frost, sie bleiben noch, die anderen sind entlassen. Ich hoffe, dass wir uns in einigen Wochen wohlbehalten auf Xeiros Prime wiedersehen.“
Als alle gegangen waren, setzte sich Varitani hinter seinen Schreibtisch. „Frost, wir dürfen nicht riskieren, dass dieser Auftrag scheitert, denn das wäre das Ende von uns allen. Um also für den unwahrscheinlichen Fall, dass zwei der drei Gruppen entdeckt werden oder anderwärtig verhindert sind, habe ich mich entschlossen, auch Sie bereits jetzt in den ganzen Umfang dieser Unternehmung einzuweihen.“
Frost sog die Luft ein.
„Wo soll ich anfangen?“, begann Varitani gedankenverloren zu sich selbst. „Am besten beim Wichtigsten: Xeiros Prime wird in wenigen Wochen nicht mehr existieren…“
Als der Ex-Arbitrator geraume Zeit später den Arbeitsraum verließ, war er kreidebleich. Er war sich sicher, dass Varitani am Tag zuvor nicht übertrieben hatte. Sie saßen schwer in der Klemme. Der Inquisitor war so offen wie selten zuvor gewesen und hatte dem Ermittler sogar Einblick in die politischen Machtkämpfe innerhalb der Inquisition des Calixis-Sektors gegeben, um ihm die brenzlige Situation vollends bewusst zu machen. Natürlich war die direkt bevorstehende Gefahr zumindest in diesem Schockzustand die angsteinflößendere – auf einen vollkommen verseuchten, dem Exterminatus geweihten Planeten noch Kräfte zu entsenden, erschien ihm nur schwer zu verdauen, zumal er selbst zu diesen Kräften gehörte.
Honeymoon, die als einzige noch im Vorraum saß und anscheinend auf jemanden wartete, blickte ihn mit großen Augen an. „Du siehst aus, als hättest Du einen Geist gesehen.“, sagte sie, als sie aufstand und sich Lucius näherte.
„So etwas in der Art.“, gab Lucius zurück und setzte sich. Er dachte plötzlich an Elena und was sie am Schluß gesagt hatte.
Geh einfach, geh. Wenn Sie nur gewusst hätte, wohin Sie mich da schickte. Wenn ich es nur gewusst hätte. Ich sollte noch einmal mit ihr sprechen. - Nein, dann würde ich mit ihr fliehen. Er musste sich gehörig anstrengen, damit nicht Tränen in seine Augen stiegen.
Cattaleya war das nicht entgangen. Sie legte ihm die Hand auf den Arm. „Schön langsam mache ich mir auch Sorgen, sage ich Dir. Immarut hat angedeutet, wie ungewöhnlich und furchtbar dieser Auftrag wird und jetzt auch noch Du.“
Lucius blickte nur geradeaus.
„Ich bin es ja gewohnt, nur das zu wissen, was ich wissen muss, aber das macht mich nervös in diesem Fall.“
„Du wirst Alles erfahren. Wenn es Dir Dein strahlender Ehemann nicht schon vorher erzählt, wird es Varitani nach unserer Wiedervereinigung tun. Das hat er mir versichert.“ Lucius sah nun zu Boden.
„Na gut.“
„Was ist denn überhaupt mit Immarut los?“, erkundigte sich Frost nun. „Der hat ja geglüht wie ein Leuchtglobus, als er verkündet hat, dass er mir Dir in einer Gruppe ist.“
Hinter ihnen glitt die Türe zur Seite. „Tja, was soll ich sagen.“, entgegnete Honeymoon und blickte zu Boden. Dann stand sie auf und ging zu dem Interrogator hinüber. Sie wechselten ein paar geflüsterte Worte, dann kamen sie zu Lucius hinüber.
Immarut streckte ihm die Hand zum Gruß entgegen. „Ich wünsche Ihnen alles Gute, Lucius, und hoffe, wir sehen einander gesund in Xileiphos wieder.“
Lucius packte die Hand mit festem Griff. „Ich auch. Passen Sie auf Honeymoon auf.“
Immarut nickte. „Ich denke, Sie passt schon auf sich selbst auf, aber ich werde stets wachsam sein.“
Cattaleya hakte sich bei ihm unter. „Wohl gesprochen, mein Angetrauter.“, flötete sie in Oberstadtmanier, dann wandte sie sich an Lucius: „Ich wünsche Dir auch alle Gute, Lucius. Lass Dich von Vox nicht terrorisieren und hab‘ ein Auge auf Blender. Wer ist denn nur auf die Idee gekommen, ihn als Juwelenschleifer auszugeben?“ Sie kicherte.
Frost nickte und lächelte schwach. „Wenn es um das Schnappen von Dieben geht, sei unbesorgt, da habe ich schon ganz andere Kaliber erledigt. Ich wünsche Euch Beiden eine frohe Zeit zusammen, soweit das möglich ist.“
Cattaleya streckte ihm kurz die Zunge heraus, da die Anspielung natürlich auf ihre Kosten ging, dann warf sie ihm einen Kuss zu, und die Beiden ließen Lucius alleine.
Als Lucius ging, um seine Sachen zu packen, wurde ihm immer bewusster, was ihn wohl auf Xeiros erwarten würde. Kein Krieg im eigentlichen Sinne; sie würden die Toten nicht zu Gesicht bekommen, doch die waren es gar nicht, die ihm Sorgen bereiteten. Tote hatte er zuhauf gesehen und genug Gefahren durchgestanden - allen voran wohl die Hölle von Luggnum. Was ihm zu schaffen machte, war das Wissen, dass alle Menschen, die sie in den Wochen ihres Aufenthalts auf Xeiros kennenlernen würden, ausnahmslos verdammt waren. Das betraf Händler, Beamte, Soldaten, Bürgerliche, Urlauber - Männer, Frauen und Kinder aller Klassen, aller Schichten und aller Professionen. Sie würden unter wandelnden Toten arbeiten. Lucius war sich nicht sicher, ob er das für so lange Zeit würde ausklammern können.
Thracian ist bei uns und mit ihm Sein Wille! Daran müssen wir uns halten. Ich hoffe, sie nehmen es gut auf, wenn Varitani die ganze Gräuel offenbahrt.Lucius wollte gar nicht daran denken, wie es dem Inquisitor selbst gehen musste. Er hatte den ganzen Planeten der Vernichtung anheim gegeben - völlig zurecht wie es schien - und er war es nun, der wieder dorthin zurückmusste, der all das Grauen, das Lucius selbst erwaretete, noch dazu aus der Perspektive dessen würde erleben müssen, der wesentlich daran beteiligt war. Normalerweise war ein Exterminatus für die Auslösenden eine sterile Sache, die man aus dem Orbit erledigte. Es war geradezu pervers, einen dafür bestimmten Planeten vorher noch zu besuchen.
Darin werde ich am ehesten die Kraft finden: Für ihn und die anderen da zu sein, wenn sie mich brauchen.Chnishnit liutstam Hrun'Sith zupfte wiederholt an den graubraunen Roben, die er angelegt hatte, um das Bild eines Pilgers abzugeben. "Solche Kleidung habe ich noch nie getragen. Das höchste war Ölzeug oder ein Überhang, aber darunter war ich immer normal gekleidet."
"Normalität ist Ansichtssache.", gab Gerhart Thracian ziemlich schroff zurück. Ihm war deutlich anzusehen, dass das Tragen von Roben für ihn ganz und gar nicht ungewöhnlich war. "Die Beschränkung auf das Notwendigste ist ein wesentlicher Punkt im Dasein eines Pilgers."
"Das mag sein Pater, aber ich kann es trotzdem nicht ausstehen. Sogar früher, als ich noch auf Cresta N'darr war, oder wie ihr es nennt, Envir III, ist mir der Wind nicht so zwischen die Nüsse gefahren wie jetzt." Granit grinste breit, doch dieses Zeichen der Emotion war an die unbewegliche Mimik des Priesters verschwendet.
Die Gestalt des Inquisitors erschien in der Türe des Shuttles und Nick Runsit nahm wie immer das Prickeln wahr, das sein Erscheinen begleitete. "Gut, Sie sind also bereit.", gab Varitani bekannt und vertäute eine braune Ledertasche in einem Fangnetz. "Dann können wir ja aufbrechen. Wir dürfen keine Zeit verlieren, denn wir sollten die ersten sein, die Xeiros Prime betreten."
"Zuerst geht es nach Valon Urr, korrekt?", erkundigte sich Pater Thracian. Er entnahm dem Nicken des Inquisitors, dass er richtig lag und fuhr fort: "Unter anderen Umständen hätte ich Sie gerne auf einer wirklichen Pilgerfahrt durch die Schreinwelt begleitet und geführt. Dort gibt es wahrhaften Glauben zu erleben."
"Ein andermal, Pater.", sagte Varitani und ging nach vorne, um dem Piloten ein Zeichen zu geben. Sie würden in wenigen Minuten abheben und an Bord der
Gesalbtes Haupt gehen, einem Pilgerschiff, das regelmäßig zwischen Scintilla und der Schreinwelt Valon Urr pendelte. Von der Schreinwelt aus würde es dann sofort in Richtung Xeiros Prime weitergehen - an Bord eines dort gerade eben verfügbaren Frachters oder anderen Raumers. Bei einer oberflächlichen Überprüfung würden sie gläubige Brüder sein, die dem Besuch der Schreine Valon Urrs noch den berühmten Anblick von Xileiphos anschließen wollten.
"Sie sehen richtig schneidig aus in diesem Sakko.", ließ Hrubens Arn verlauten, nachdem er ohrenbetäubend laut gepfiffen hatte.
In dem engen Raum war Phos beinahe zusammengezuckt. In dieser ekelhaften Stadt war einfach alles eng, jeder Raum und jede Gasse - es gab kaum Privatsphäre. Der Psioniker konnte es kaum erwarten, Ambulon wieder zu verlassen, und sie waren noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden hier. Die Stadt wimmelte vor Machinenpriestern, verdammt, die Stadt war in Wirklichkeit eine gigantische Maschine, die sich auf ihren Beinen durch die Ödnis kämpfte.
Und die Marisaner beten sie an! Eine Stadt! Aber wen wunderte das eigentlich? Sie beteten alles an, was zum ersten maschinell war und was zum zweiten eine gewisse Größe erreicht hatte.
Auf die sollte sich unser eifriger Priester konzentrieren. Das wäre mal ein Kreuzzug! "Tja, Blender, und Sie sehen aus, als ob Sie mir Ihre Mutter verkaufen würden."
Der Assassine grinste in seinem feinen, silbergrauen Jarqis-Anzug und warf einen gierigen Blick auf den mit Rosenholz verzierten Metallkasten, der an Vox' Handgelenk gekettet war. "Wenn der Preis stimmt. Für den Inhalt dieser Truhe gehört sie Ihnen."
"Meine Herren, der Inhalt dieser Kasette ist Eigentum der Inquisition und ihr nach Abschluß unserer Mission wieder zu überstellen - notgedrungen zumindest ein Gegenwert in Thrönen, falls es tatsächlich zu Geschäftsabschlüssen kommen sollte. Auf jeden Fall steht eine anderwärtige Verwendung in keiner Weise zur Diskussion." Frosts strenger Blick wanderte zwischen seinen "Angestellten" hin und her.
"Geht klar, Chef.", grinste Blender. "Soll nur einer versuchen, der Kasette zu nahe zu kommen." Bei diesen Worten tätschelte er behutsam die kleinkalibrige Feuerwaffe, die er unter seinem Sakko trug.
Lucius dachte wehmütig an seine Boltpistolen und hoffte, dass sie gut aufgehoben waren, was auch immer Varitani damit vorhatte. "Na dann, Herr Assistent Freij, setzen wir uns in Bewegung.", sagte er in Richtung des Psionikers.
Vox verzog säuerlich das Gesicht.
Als ob in dieser verdammten Stadt nicht schon genug Bewegung wäre, alles schwankt immerzu. Aber wenigstens hab' ich es dann hinter mir.Da kam plötzlich schnaufend ein dicklicher junger Mann in einer Livree gelaufen, anscheinend vom Concierge des Hotels geschickt, der etwas in seiner Hand hielt: "Herr Lucius Frost?", fragte er und der Ex-Arbitrator zuckte innerlich zusammen und kam sich enttarnt vor, als er seinen Namen hörte, so sehr hatte er sich bereits damit abgefunden, von nun an Akermund Sefington zu sein, Juwelier und feinsinniger Kenner aller glitzernden Reichtümer. "J, ja.", stammelte er wenig professionell und räusperte sich.
Der junge Mann drückte ihm ein kleines Kuvert in die Hand: "Das ist Ihnen aus Sibellus nachträglich zugestellt worden, mit Eilsendung." Er blieb stehen und gab mit offener Hand mehr als deutlich zu verstehen, worauf er wartete.
Hrubens Arn bleckte die Zähne und knurrte: "Verpiss Dich, Kleiner, oder ich mach' Dir Beine!" Dabei trat er bedrohlich einen Schritt auf den Pagen zu. Dieser zuckte zusammen und tat wie ihm geheißen. Von Vox war etwas zu hören, das der optimistische Interpret ein Kichern hätte nennen mögen. Arn zuckte die Achseln: "Es gibt keinen Grund, die Tarnung zu vernachlässigen, nur weil der Chef bereits aufgeflogen ist, oder?" Er grinste.
Lucius grinste nicht. Er blickte auf den Umschlag, auf dem sein Name stand. Er kannte die Handschrift - den Schwung, den Druck, den Stil, in dem die Buchstaben geschrieben worden waren. Er hatte lange die Gelegenheit dazu gehabt, diese Schrift zu studieren, während er in der Schola Chymystria auf die Tafel geblickt hatte, und er hatte sie genutzt. Sein Herz klopfte, als er das Kuvert zaghaft öffnete. Darin befand sich ein kleiner Zettel aus hochwertigem, dickem Papier. Darauf stand in derselben Handschrift:
Ich vertraue darauf, dass Du das Richtige tust. Ich liebe Dich.
Elena
Mit einem befreienden Seuftzen fand eine Träne unendlicher Erleichterung und Freude ihren Weg über die Wange des Ex-Arbitrators.