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Aller Gnaden Ende

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Arden Etklint Kleist:
Nick Runsit sah die junge Frau auf Vox zugehen und beschleunigte seine Bemühungen. Was war nur mit Immarut geschehen? Seine Arme waren sauber unter der Schulter abgetrennt. Die Wunden sahen halbwegs gut aus, bluteten nicht. Das war wohl das Werk des Psionikers. Der Stammeskrieger hatte die unnatürlichen Heilkünste des Telepathen schon mehrere Male miterlebt, manchmal sogar am eigenen Körper. Sein Interrogator tat ihm leid. Sie hatten nie sehr viel Zeit abseits der Aufträge miteinander verbracht, doch er mochte die ruhige, besonnene Art des Löwen. Er ließ Railoun neben dem Ausgang gegen die Wand sinken, dann bückte er sich, um endlich die Vorbereitungen an seinem Schweren Bolter abzuschließen.

Lucius Frost war noch immer in Deckung, als er die Gestalt von Cattaleya durch die sich verteilenden Kämpfer schlüpfen sah. Er winkte, und sie sah ihn.
"Wo willst Du denn hin?", fragte er relativ laut, um das Geheule der Kettenwaffen zu durchdringen. Der Gestank nach Ozon war mittlerweile fast unerträglich geworden und die Temperatur war soweit gesunken, dass sich fleckenweise Eis auf den metallischen Oberflächen gebildet hatte.
Cattaleya blickte ihn rotäugig an. "Ich - ich muss zu Immarut. Er ist..." Tränen rannen ihre Wangen herab. "verletzt oder tot. Ich weiß es nicht...", schluchzte sie, riß sich aber sofort zusammen.
Lucius nickte und zog sie an sich, ganz nah. Dann sprach er direkt in ihr Ohr. "Ich habe Isand zu ihm geschickt. Wenn er noch gelebt hat, dann hat er ihn sicher gerettet."
Sie nickte.
"Komm, ich begleitet Dich. Wir müssen zum Ausgang."

Der Strom aus alptraumhaften Warp-Illusionen verebbte und Varitani blickte vollkommen zerzaust, mit eingefallenen Wangen und dunklen Ringen unter den Augen - so als hätte er tagelang nicht geschlafen und gegessen in das Gesicht seines Widersachers. Velfur Zaabesz selbst war auch nicht ungeschoren davongekommen. Er schien erschöpft, Schweiß stand auf seiner Stirn, und er keuchte.
Gegen den Schmerz fast stocksteifer Glieder zornig ankämpfend stieß sich der Inquisitor mit einem tiefen Grollen gegen den Hexer und versetzte ihm zwei harte Hiebe, von denen Zaabesz einen blocken konnte. Der zweite drang in sein Fleisch. "Nun richte ich Dich in Seinem Namen.", sagte Varitani mit wackliger Stimme und zog seinen Schicksalsbringer. Als Begleitung zu seinem Richtspruch hatte Nick Runsit wie als Salut eine Salve aus seinem Schweren Bolter abgegeben. Varitani lächelte innerlich. Als er auf Zaabesz anlegte, erscholl auf einmal ein gellender Schmerzensschrei, und kurz darauf erfüllte ein starker Verwesungsgeruch den Raum.

"Mache ich Dich geil, Phos? Ist es das, was Du willst?", fragte Alrihn, während sie ihr ohnehin schon wenig verbergendes Oberteil ganz zur Seite schob und ihre Brüste entblöste.
Vox leckte sich die Lippen. Er war sich nicht sicher, ob es nicht vollkommen krank war, in dieser Situation wirklich Lust zu empfinden, aber er konnte eine gewisse Schwellung zwischen seinen Beinen nicht leugnen. "Hm.", brummte er. Aus dem Augenwinkel sah er Cattaleya und Lucius zwischen den Kombatanten und den Maschinen herumhuschen. "Also ich muss ehrlich sagen, Du bist nicht so mein Typ." Seine Hand streckte sich in Richtung von Cattaleya aus und er konzentrierte sich.

Granit hatte sich die schwere Waffe umgeschnallt und suchte nach einem isolierten Ziel. Da vernahm er die Stimme des Telepathen in seinem Kopf: "Gib mir noch fünf Sekunden, dann schieß aus vollem Rohr auf mich und nagle diese Schlampe so richtig gegen die Wand." Nick Runsit zog eine Augenbraue hoch. Klang unvernünftig, aber er würde sich keine Gelegenheit entgehen lassen, auf den kleinen Glatzkopf mit der unangenehmen Stimme zu schießen.

"Sie hingegen ist schon eher mein Fall." Vox grinste.
"Ach ja?!" Alrihns Lächeln war gefroren. Sie hatte ihn schon fast erreicht. Plötzlich hechtete sie nach vorne und griff mit ihren Armen nach dem widerlichen Glatzkopf. Sie würde ihn augenblicklich zerreissen. Voller Vorfreude über das bevorstehende Bad im Blut des Psionikers fassten ihre Hände ins Leere.
Donnernd entlud Chnishnit liutstam Hrun'Sith eine volle Salve aus zehn Boltpatronen direkt auf den Rücken von Phos Isand. Alrihn wurde von fünf der Geschosse getroffen und löste sich in ihre Einzelteile auf. Dabei schluckten sowohl die Explosionen der Patronen als auch der restliche Kampflärm die meisten Begleitgeräusche. Als Granit sein Werk mit einem Nicken zur Kenntnis nahm, entdeckte er die am Boden oberhalb der Treppe zusammengekauerte Gestalt von Phos Isand, der sich die Hände vor die Ohren hielt und die Augen zusammengepresst hatte.

Gerhart hatte selten gegen einen so schnellen Gegner gekämpft. Furiös sauste sein Kettenschwert hierhin und dorthin, doch sein Gegenüber wich allen Angriffen anscheinend mühelos aus. Der Priester hatte seinerseits schon einige Schläge der dünnen Klinge pariert, die viel stabiler war, als sie zu sein schien.
Das wohlbekannte Poltern von Granits Lieblingswaffe durchbrach ihren Reigen, und Tereen riß auf einmal den Kopf herum, ein schmerzgeplagter Ausdruck auf seinen Zügen. Er blickte zu dem Treppenaufgang und sah noch die letzten Explosionen, zwischen denen sich seine geliebte Zwillingsschwester auflöste. "Aaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhh!", entfuhr es der Kehle des Jungen und er lief los. Als Gerhart nachsetzen wollte, übermannte ihn fast die Übelkeit, so widerlich war der Gestank nach Tod, der wie in Wellen über ihn brandete.

Lucius riss Cattaleya zu Boden, als Granit sein Feuerwerk startete und sich die junge Frau, die gerade direkt vor Phos Isand ihren Busen entblöst und dann auf den scheinbar gelähmten Psioniker, der unerklärlicherweise in die Richtung von Cattaleya wies, gestürzt hatte, in einer Wolke auf Blut und explodierenden Körperteilen auflöste. In dem Moment dachte Lucius, dass Vox tot war und biss seine Kiefer hart zusammen.
Der Schrei von Tereen ließ ihn hochfahren. Der Zwilling startete einen Lauf in Richtung seiner Schwester, wich den Klingen von Blender aus, der gerade wild auf Astrion Malqevis einhieb und war dabei, sich an Lucius' und Honeymoons Position vorbeizubewegen. Lucius stand auf, riss die Boltpistole hoch und schoss. Tereens Arm zuckte nach oben; er hiebt die erste Patrone in vollem Lauf entzwei, der zweiten wich er aus. Dann kam der Gegenangriff. Mit wutverzerrter Visage hieb er nach Lucius.
Der Ex-Arbitrator stolperte nach hinten, seine Augen erstaunt aufgerissen. Er hatte den Schwertstreich kaum gesehen. Sofort merkte er, dass man ihn erwischt hatte. Wie der Blitz sauste die Klinge erneut herunter, doch Vaniryl schob sich dazwischen, und Frost starrte eine Sekunde lang auf die Klinge VanSovreans, bis er wie in Trance seine Waffe hob und eine Salve abgab. Tereens Knie brach nach hinten durch, als die Explosion Fleisch und Knochen knapp darüber pulverisierte, und sein Schwertarm mit der Klinge wirbelte zu Boden. Blut schoß sowohl aus dem Amputat als auch aus dem zerfetzten Stumpf. "Komm!", rief Cattaleya und packte den Ex-Arbitrator bei den Schultern. Nun war sie es, die ihn weiter zerrte. In ihrer anderen Hand lag das Heft von Vaniryl. Die Schwesternklinge befand sich unter ihrem Arm.

Niemand hatte ihn kommen sehen. Es war immer so. Seine Anwesenheit wurde meistens erst bemerkt, wenn andere Personen etwas vermissten und nach einem Ort suchten, wohin das Vermisste verschwunden sein könnte oder nach einem Grund, warum es nicht mehr da war - Schönheit, Jugend, Gesundheit, Leben. Alle diese Dinge nahm er an sich. Es war wohl so, dass man wollte, was man selbst nicht hatte. Er war Anathema zu allen diesen Dingen.
Seine Robe war deutlich vom Zerfall gezeichnet, durchsetzt mit Schimmel. Fliegen umkreisten seine Gestalt; dicke, schwarze Fleischfliegen. Als er sich gegen den Türstock stützte, um einen Hustenanfall zu überstehen, blätterte der Rost in dicken Flocken ab, fraß sich regelrecht in das Metall. Vor ihm war pures Chaos, als sich die beiden Fraktionen bis aufs Blut bekämpften. Nun ja, nicht pures Chaos, aber zumindest Chaos. Er kannte pures Chaos und wusste, dass keine Eindrücke dieser materiellen Existenz diesen Begriff verdienten.
Der Fremde hatte den Tod des Verschlingers als ein Ziehen nach dem Immaterium verspürt, einen Aufschrei jenseits der Vorhänge, welche diese materielle Welt mit einer Illusion von Ordnung vor den ewig wabernden Strudeln des Empyreums unterhielten. Er hatte wenig Aufregung von Seiten seines Herrn aufgenommen. Die Ankunft der verdammten imperialen Flotte hatte dem ursprünglichen, so lange vorbereiteten Plan bereits einen fast unüberwindlichen Riegel vorgeschoben. Es galt nun zu retten, was zu retten war. In dem ersten Plan wäre der Tod des Verschlingers ein herber Rückschlag gewesen. Nun verblasste er, war vollkommen insignifikant. Natürlich durfte diesem Varitani nicht erlaubt werden, weiter ungehindert seinen Geschäften nachzugehen, die - wie auch immer geartet - anscheinend bedeutsam genug waren, um einen umfassenden Militärschlag vorläufig noch zu verhindern.
Viele seiner Millionen Augen sahen, wie Alrihn vom Feuer eines Schweren Bolters zerrissen wurde, und es rührte ihn wenig. Sie sahen auch, wie Tereen stürzte, und fast hätte er gelächelt - wenn er etwas Derartiges denn nur könnte. Die Zwillinge waren niemals seine Lieblinge gewesen. Was seinen Herren dazu bewogen hatte, sich ihrer zu bedienen, lag jenseits seines Verständnisses.
Er sah zur gleichen Zeit, dass sich Astrion Malqevis sehr gut hielt und das gegen einen Gegner, der ihm nach der Einschätzung des Fremden eigentlich überlegen war - ein flinker Assassine mit Schwertern. Zwar war der Fremde ein Freund chirurgischer Arbeit, wusste jedoch auch den Mut, die Entschlossenheit und sogar die taktische Intelligenz des Berserkers zu schätzen. Es stimmte schon, dass Wildheit sich häufig von ihrer abstoßenden Seite zeigte, wenn man ihn gewähren ließ, doch wer war er, der Fremde, dass er sich über etwas Abstoßendes beschwerte? Die ständigen Überheblichkeiten von Velfur Zaabesz gaben ihm nichts. Alleine die Tatsache, dass Malqevis sehr wohl davon wusste, sich aber rein gar nichts daraus machte, dass ihm Beleidigungen an sich nichts auszumachen schienen, fand der Fremde beeindruckend. Malqevis war nicht auf die Meinung anderer angewiesen. Wenn man ihm Zeit gab, würde aus dem Krieger ein starker Kämpe für die Sache des Chaos werden.
Er sah dies alles und fand es zufriedenstellend, doch als sich der Wirbel des saugenden Warp-Strudels legte, den Zaabesz über Varitani gelegt hatte, dieser entgegen aller Wahrscheinlichkeit noch Leben in sich trug und den Chaos-Hexer nun richten wollte, da fand der Fremde, dass es Zeit war. Seine Roben glitten zu Boden und der betäubend widerliche Geruch von pestilentem Miasma zog durch die Räume.

Dem Gestank folgte augenblicklich ein tiefes, durch Haut und Knochen gehendes Summen, das alle Oberflächen in Vibrationen versetzte. Eine dunkle Wolke auf fetten, schwarzen Fliegen verteilte sich und zog in Richtung von Inquisitor Varitani, der zögerte. Das reichte Zaabesz. Als der Schicksalsbringer seine Botschaft auf den Weg sandte und der Hexer eigentlich hätte tot sein müssen, waren bereits wieder Frost und Eis auf allen Flächen im Umkreis aufgezogen, und die Kugel stand vor seinem Kopf still. Varitani sog die Luft ein.
Velfur Zaabesz, hundertfach gesalbt im Blute Unschuldiger, hob ruhig einen Finger. Der violette Herzblutstrahl fuhr geräuschlos durch die Brust des Inquisitors, der ihn mit offenen Augen anstarrte. Zaabesz' Lippen teilten sich und entblößten seine gespitzten Zähne. Dann machte er eine schnelle Handbewegung und wischte den Inquisitor wie eine Marionette von der Galerie. Als Varitani aufschlug, stürzten sich die Fliegen auf ihn.

Mächtiges Kriegsgeheul in einer allen Anwesenden unbekannten Sprache tönte fast sofort vom anderen Ende der Galerie herüber, einem regelrechten Sturmfeuer aus Boltpatronen voraneilend. Zaabesz kreischte auf und teleportierte sich im letzten Augenblick in den Eingangsbereich, dorthin, wo gerade noch der Fremde gestanden hatte, der sich nun an Varitani labte.

Hrubens Arn verdoppelte seine Schlaggeschwindigkeit, auch wenn er sich darüber klar war, dass er dieses Tempo vielleicht nur noch wenige Sekunden würde halten können, so sehr brannten seine strapazierten Muskeln. Er hatte seinen Inquisitor stürzten sehen und gleich welcher Art auch immer Unstimmigkeiten zwischen ihnen gewesen waren, er wusste um den Wert, den ihm Varitani beimaß und die Vorstellung, dass dieser Mann stürzte, passte nicht.
Astrion Malqevis parierte. Er parierte alles. Das weiße Grinsen zwischen den dichten, schwarzen Haaren seines Bartes wurde breiter, auch wenn ihm der Schweiß mehr als deutlich auf der Stirn stand. Mit wirbelnden Kettenäxten verlangte er dem Assassinen alles ab, und dieser ihm. Auf einmal knickte er ein. Die dunkle Gestalt des Maccabeus-Priesters löste sich gerade aus einer Drehung hinter ihm. Der Pater war einem Rückhandschlag ausgewichen, der - obgleich nicht gegen ihn gerichtet - ihm den Schädel gespalten hätte, und hatte dem Krieger von hinten sein Kettenschwert in die Kniekehle getrieben. Das linke Bein von Astrion Malqevis wurde nur noch von Haut und Sehnen zusammengehalten. Der Berserker brüllte auf, mehr vor Wut und Enttäuschung als vor Schmerz. Blenders Klingen drangen in seine Brust.

Kommentarlos eilte der Redemptionist weiter, hatte nur im Vorbeigehen den mächtigen Kämpen gefällt, um dieser Situation endlich die Wendung zu geben, derer sie bedurfte. Sie hatten schrecklich gelitten. Einzelne Gedanken gingen bereits in Richung von Cattaleya, deren Beinahe-Schicksal sich der Priester nicht einmal vorstellen wollte. Wir alle büßen auf unsere eigene Art.
Doch der Großteil seiner Konzentration war darauf gerichtet, die Besorgnis um den gefallenen Inquisitor seine Überzeugung nicht beeinträchtigen zu lassen. Wenn Varitani tot war, dann würde ein Anderer führen, aber er wollte verdammt sein, wenn er ihn einfach so aufgab. Ein beschleunigte seinen Gang zu einem Sturmlauf und hieb mit dem Kettenschwert nach dem Fliegenschwarm, sich erneut seinen Flammer herbeiwünschend. Er sah den zuckenden Körper seines Inquisitors, über und über von Fliegen bedeckt. Plötzlich lief eine Energiewelle durch den Raum, Gerhart wurde zurück geworfen und stieß mit dem Kopf gegen ein Stück Metall.

Cattaleya konnte Lucius nicht stützen, als die Druckwelle sie erreichte. Sie sackten gegen die Treppe. Lucius war zu schwach, um viel zu unternehmen, doch die Adelige schob sich nach vorne, griff nach dem Geländer und zog sich nach oben. Ihre Augenbrauen glitten nach oben, als sie eine leuchtende Form inmitten eines Schwarmes aus irgendwelchen Insekten sah. Die Gestalt strahlte golden und schien von gleißenden Schwingen getragen zu werden. Hätte die Dunkelheit des Schwarms die Intensität des Lichts nicht etwas gedämpft, Cattaleya hatte nicht hinsehen können.

Das ohnehin sehr laute Brummen der Fliegen verstärkte sich weiter, als sie von Varitani weggetrieben wurden. Aus allen Ecken des Raumes drang auf einmal eine Stimme, so kalt, tiefdunkel und furchtbar, dass aller Mut in den Akolythen sank, als sie schmerzerfüllt rief: "VÄÄÄTEEERCHEEEN!"

Manifeste Dunkelheit sickerte wie eine Flüssigkeit aus dem Nichts heran und konzentrierte sich auf Varitani. Seine strahlende Form verblasste langsam und er sank zu Boden. Noch immer waren die Fliegen nicht über ihm, gehalten von seiner Aura. Mit vor Entschlossenheit mahlenden Kiefern durchbrach der bulkige Leib des Schwarzen Priesters endlich den Schwarm und packte die leblose Gestalt des Inquisitors unter den Armen. "Imperator!", rief er, während er den Leib Varitanis in Richtung der Treppe schleifte. "Imperator! Gib' mir Kraft!"

Von hinten näherte sich eine Gestalt. Gerhart ließ Varitani fallen und wandte sich ruckartig um.
"Ich bin zwar nicht der Imperator, aber ich kann Ihnen auch helfen, Pater.", sagte Blender trocken und griff nach Varitani.
Anerkennend schloß sich die Hand des Priesters um seine Schulter. "Bringt Ihn raus!"

Cattaleya sah Hruben Arn, wie er Varitani in ihre Richtung schleppte. Sie blickte zu Frost hinunter. Die Hautfarbe ihres Freundes hatte bedenklich ins Gräuliche gewechselt und sein Hemd war blutgetränkt. Plötzlich griff eine Hand nach ihm. Cattaleya bleckte die Zähne und hob den Schwertarm, als sie Vox erkannte. Er stand - sich von der Wand hinter ihm kaum abhebend - direkt über ihr und blickte mit großen Augen auf ihren entblößten Oberkörper. Nur die Tatsache, dass er eigentlich hatte Lucius helfen wollen, ließ sie ihren Arm statt zu einem Schlag gegen ihn dazu verwenden, den Flakumhang des Ex-Arbitratoren wieder enger um sich zu ziehen. "Hilf ihm lieber, Du Schwein.", zischte sie und blitzte ihn an. "Und halt Deinen Mund!"
Vox schluckte. Er hatte gar nicht vorgehabt... Ach, egal. Es interessierte ihn nicht wirklich, was sie von ihm dachte, und die Erinnerung an den Anblick der gleichmäßigen Rundungen ihrer wohlgeformten Brüste mit den zartbraunen Brustwarzen würde ihm noch viele schöne Stunden bescheren.
Er verzog den Mund, berührte dann Lucius und griff ins Immaterium. Nach wenigen Momenten waren die Wunden von Lucius unter Stöhnen geschlossen oder zumindest soweit versorgt, dass er sich bewegen konnte und nicht weiter solche gefährlichen Mengen an Blut verlieren würde. Vox und Cattaleya stützten ihn. Vor ihnen stand noch immer breitbeinig Granit und entlud Salve auf Salve aus seinem Schweren Bolter in Richtung des hektisch ausweichenden Chaos-Hexers. Manchmal schaffte er es, einige Bolzen vor sich zu stoppen, doch meistens war er damit beschäftigt, Deckung zu suchen. Es hätte Lucius nicht gewundert, wenn jeden Moment alles zusammengebrochen wäre und er dachte schmerzerfüllt daran, dass er selbst so vorsichtig mit seiner Munition umgegangen war und keine einzige Patrone verschwendet hatte.

Ein gequälter, kurzer Schrei entfuhr der Kehle von Cataleya VanSovrean, als sie den unbeweglichen Körper von Immarut Railoun vor sich liegen sah. Sie ließ Lucius los und eilte zu ihm. Phos Isand schnaufte, als er auf einmal das Gewicht mit übernehmen musste, das bisher die Diebin getragen hatte. "Vergiß ihn! Er ist tot!", rief Vox. "Ich kann den Cop hier kaum tragen, geschweige denn ihn! Und Du sicher auch nicht, sie Dir an, wie Du aussiehst!"
Wut brannte in Cattaleyas Gesicht. Sie streichelte einmal über Immaruts kühle Wange, dann lief sie zu Granit.
"Chnishnit!", rief sie und wo Wasser gegen ihn gebrandet wäre wie gegen einen Fels, wo keine Macht des Feindes ihn nach dem Sturz seines Inquisitors dazu hätten bewegen können, seine Waffe zum Verstummen zu bringen, bevor nicht alle Munition verschossen war, schaffte es ein Wort aus ihrem Munde und eine zarte Berührung ihrer Hand auf seinem muskulösen, dunklen Arm. Sein Name. Er sah sie an, ihr Blick ging zu Immarut und er verstand. Der Bolter krachte zu Boden, als er sich den Rucksack abschnallte und zu dem Interrogator hinübereilte.
Der Telepath hatte es schwitzend und innerlich fluchend geschafft, Frost durch das Schott zu ziehen, das den Ausgang darstellte. Frost hustete und sah ihn an. "Danke, Vox." Isand meckerte etwas von "keine Rückendeckung mehr", sagte aber nichts Verständliches. Frosts Stirn legte sich in Falten. "Helfen Sie mir, Phos! Ich muss zu diesem Panel! Das Schott!" Vox griff erneut zu und half Lucius auf die Beine. Der Ex-Arbitrator zog eine Datentafel, eine Energiezelle und ein Verbindungskabel hervor und machte sich an der Stromversorgung des Schotts zu schaffen.

Blender zitterte am ganzen Körper. Er spürte seine Arme schon lange nur mehr wie brennend pulsierende, ansonsten aber gefühllose Fortsätze und fragte sich, warum seine Finger sich noch nicht geöffnet hatten. In seinen Mantel verkrallt zog er Varitani die Treppen nach oben. Vor sich sah er den Kampfpriester, der sich mit erhobenem Kettenschwert der Dunkelheit entgegenstellte, die sich - alles verschlingend - vom Zentrum des Raumes aus immer weiter ausbreitete. Erst als sie Thracian fast erreicht hatte, wich dieser zurück.
"Ihr seid nicht schnell genug.", sagte der Priester hastig, als er auf ihn zugelaufen kam. "Los!" Mit diesen Worten packte er mit an und zog Varitani fast im Alleingang den restlichen Weg bis fast zum Schott.
Hrubens Arn musste all seinen Willen aufbringen, um, momentan von der Notwendigkeit befreit, die schwere Last alleine zu bewältigen, nicht auf der Stelle zusammenzubrechen. Doch der Priester hatte nicht vor, ihn komplett aus dem Spiel zu nehmen. "Raus jetzt! Sofort!", brüllte er ihn an und mobilisierte damit alle letzten Kräfte, die in dem drahtigen Körper steckten. Vor Anstrengung fast schreiend zerrte Blender Varitanis Körper weiter.

Die Dunkelheit nahm vor Gerhart Gestalt an. "Auf die Knie, Hund!", dröhnte es. Der Kleriker war sich sicher, dass es keine Sprache war, die er vernommen hatte, keine wirklichen Worte. Er war sich vielmehr dessen bewusst, was ihm die Dunkelheit mitteilen wollte.
"Was bist Du?!", rief er, während ihn fauliger Wind umtoste.
"Ich - bin - Dir - fremd."

"Pater!", rief Blender vom Schott aus. Granit hatte ihn von seiner Last befreit, und der Assassine hatte sich umgewandt. "Pater! Kommen Sie!" Auch er wurde von dem üblen Sturm gebeutelt, seine Worte verstand er selbst kaum.
"Mein Herr, wenn meine Standhaftigkeit hier zum Fall dieser verderbten Welt führt und damit zu der Rettung von Milliarden, so gib, dass meine Sünden getilgt sein mögen und leite mich an Deine Seite!", betete Gerhart. "Der Imperator beschützt!"

"Komm!" Granit packte Blender unter den Schultern und zerrte ihn durch das Schott.
"Jetzt!", rief Phos Isand und klopfte Lucius auf die Schulter. Der Ex-Arbitrator stellte die letzte Verbindung her und das Schott krachte mit einem endgültigen "Bamm" zu. Der unnatürliche Sturm war nur mehr entfernt zu hören.
"Jetzt nichts wie raus hier." Frost hustete und sah zu Granit. "Können Sie Railoun und den Inquisitor tragen?"
Nick Runsit nickte düster.
"Dann los."
Die Gruppe setzte sich humpelnd und geprügelt in Bewegung. Blender wandte sich um und blickte auf das Schott zurück. Eine Hand legte sich auf seinen Arm. "Es ist furchtbar, nicht wahr?", fragte Frost traurig.
Arns Augen waren starr und kalt, unfähig, Tränen zu vergießen. "Er lebt noch.", gab er heiser zurück. "Er lebt noch."
Der Griff um seine Schulter festigte sich. "Haben Sie noch Kraft?"
Leben kehrte in die Augen des Assassinen zurück und er sah zu seinem Kollegen auf.
"Hier.", sagte Lucius und zeigte ihm die Datentafel.
Sofort erkannte Hrubens Arn den Plan der Anlage, dieses Traktes, dieses Gangs. "Dieser Lüftungsschacht..." Ein schwaches Lächeln zog auf das Gesicht des Meuchelmörders.
"Wir treffen uns hier." Lucius markierte eine Stelle. "Ich weiß nicht, wie lange wir warten können."
Blender nickte. "Wir werden da sein, Frost. Verlassen Sie sich drauf."
"Dann schulde ich Ihnen was, Hrubens."
"Ach was.", murmelte der Assassine, als er sich an einer Abdeckung zu schaffen machte. "Pater, ich komme.“

Arden Etklint Kleist:
13 - Taumelnd fliehen

Es war totenstill in den Raum. Niemand bewegte sich. Nicht einmal Atemgeräusche waren zu hören. Allen Anwesenden waren die Anstrengungen der letzten Tage und vor allem Stunden ins Gesicht geschrieben. Es waren traurige oder zumindest ernste Gesichter, Menschen gehörend, die freudlos ins Leere starrend das aufzuarbeiten suchten, was ihre Seelen so zerrüttet hatte.
Manchmal wurde Frost noch übel. Ganz spontan. Er kämpfte dagegen an, wollte sich nicht so miserabel fühlen. Er war jetzt ihr Anführer. Varitani war phasenweise bei Bewusstsein, doch machte nur wenig von dem, was er von sich gab, Sinn. Immarut Railoun war zwar soweit stabil, aber auch keinesfalls dazu geeignet, irgendwelche Entscheidungen zu treffen. Noch war niemand gestorben, das stimmte schon, aber seltsamerweise erschienen dem Ex-Arbitrator die Erinnerungen an den Verlust von Rikkard Horlant irgendwie stumpf zu sein im Vergleich zu den Eindrücken der letzten Stunden. In einem Teil seines Bewusstseins war ihm natürlich klar, dass er sich wie alle anderen auch in einem schweren Schockzustand befand. Emotionen waren reduziert, fast so, als blendete man sie alle aus, da doch nur der Schmerz vorherrschend sein würde, zöge man den Schleier zurück.
Ohne seinen stierenden Blick zu verändern griff Lucius nach seiner Schachtel Lho-Stäbchen. Sie war leer. Schon seit Tagen war sie leer. Warum hatte er das vergessen? Doch er fand etwas anderes in seiner Tasche: ein Stück Papier. Er faltete es auf und las den Satz:

Ich vertraue darauf, dass Du das Richtige tust. Ich liebe Dich.
Elena

Tränen stiegen in sein Blickfeld, und er erhob sich seufzend, um sich abzuwenden. Er durfte auf keinen Fall solch eine Schwäche zeigen. Er war die einzige Stärke, die sie noch hatten, solange Gerhart nicht erwachte. Varitani, Railoun, Thracian; drei Mann darnieder. Honeymoon ging es äußerlich den Umständen entsprechend gut, aber er wollte gar nicht daran denken, wie zerschunden vor allem sie innerlich sein musste.
Er merkte, dass Hrubens Arn ihn anblickte. Frost musste zugeben, dass er Blender in einem anderen Licht sah. Er kannte die Details seiner Rettungsaktion nicht, doch hatte der Assassine zur Abwechslung einmal ein Leben gerettet und zwar das von Pater Gerhart Thracian. Woher dieser plötzliche Anfall von Heldenmut gekommen war, wusste Frost nicht, doch er war so froh darüber gewesen, wie er das zurzeit konnte. "Ich sehe einmal nach unseren Patienten.", sagte er heiser und räusperte sich.
Runsit und Arn brummten zustimmend, Isand war still. Lucius verließ den dämmrigen Raum durch die einfache Holztüre hinten. Draußen tobte der Sturmwind. Es war eisig kalt im Gebirge, doch in dem alten Hotel hatten sie es halbwegs gemütlich. Für den Sturm waren alle dankbar, denn er bot ihnen einen gewissen Schutz. So abgelegen und isoliert von aller Zivilisation war dieser Teil von Xeiros Prime, dass man hier noch gar nicht viel von der Blockade mitbekommen hatte. Auch Nahrung für Außenweltler war vorhanden.
Die Bohlen des Holzbodens knarrten unter den Schritten des Ermittlers. Seinem Gangbild sah man die Strapazen der letzten Zeit genauso an wie seinem Gesicht, dass er manchmal unter Schmerzen verzog.
Sie waren die einzigen Gäste, die um diese Jahreszeit in dem Hotel eingekehrt waren und so stand ihnen das gesamte erste Stockwerk zur freien Verfügung. Sachte drückte er die erste Türe auf der linken Seite auf. Klamme, drückende Luft schlug ihm entgegen, den Geruch von Krankheit mit sich bringend. Die blassen Überbleibsel des Mannes, der einmal Serpentin Varitani in all seiner Glorie gewesen war, lagen ausgemergelt, knochig und zitternd auf der einzigen Bettstatt des Raumes. Ein schmuckloser Raum war es. Den einfachen Tisch zierte noch immer der Versuch ihrer Gastgeberin, die Atmosphäre etwas aufzuhellen: zartviolette, bereits verwelkende Blümchen - Wintergarde genannt.
Lucius hob die Hand vor seinen Mund und näherte sich der Figur. Der Gestank intensivierte sich, je weiter er sich dem Kranken näherte. Breite, von Lymphflüssigkeit leicht geblich gefärbte Bandagen bedeckten große Teile von Varitanis Körper. Bilder der Momente nach ihrer Flucht aus jener Höllenkammer unter Juunosé tauchten in Lucius' Verstand auf:

"Sie sind in mir!", hatte Varitani gekreischt, so wie es noch nie jemand von ihm gehört hatte. Die Gruppe hatte Halt gemacht und zögernde Blicke ausgetauscht. Varitani hatte sich gewunden und begonnen, bebend an seinen Kleidern zu zerren. "Sie sind in mir!" Seine Finger hatten sich in sein Fleisch gegraben.
"So hilf ihm doch jemand!", hatte Honeymoon gerufen, noch immer nur den Flak-Umhang um die Schultern geworfen, mit Blut und Speichel des Verschlingers bespritzt.
Frost und Isand hatten den zu Boden gegangenen Inquisitor von seiner Rüstung und Kleidung befreit und die Formen gesehen, die sich unter seiner Haut hin und her geschoben hatten.
"Sie sind in mir drin! Holt sie raus! Lucius, holen Sie sie raus!"
"Aber wie denn?!", hatte der Ex-Arbitrator gerufen. "Wie denn?!"
"Egal! Schneiden Sie sie raus!", war die Antwort des sich herumwerfenden Varitani gewesen.
Mit Angstschweiß auf der Stirn hatte Lucius sein Messer gezogen und es an Varitanis Oberarm gesetzt. Dann hatte er Vox angesehen, auf irgendeine Art Hilfe hoffend. Doch der hatte ihn nur angeblufft: "Na los!"
Und Lucius hatte es getan.

Langsam gewöhnte er sich an den Geruch. Das war jedes Mal so, wenn er alle halben Stunden nach Varitani sah. Er kniete neben dem Bett nieder und legte seinem Inquisitor die Hand auf die Stirn. Sie war glühend heiß. Ein Stöhnen drang zwischen den dünnen Lippen hervor, das rhythmische Rasseln seines Atems unterbrechend, und zitternd kämpften die Augenlider darum, aufzuschlagen. Blinzelnd neigte der ausgemergelte Inquisitor den Kopf und blickte Frost aus eingefallenen Augen an. Er hustete und etwas blutiger Speichel spritzte auf seine Lippen und seine Decke.
Lucius griff nach einem Tuch, das neben einer Waschschüssel lag, die mit trübem Wasser gefüllt war, und wischte behutsam die Flecken weg, so gut es eben ging.
Brummend und mit einem weiteren Husten stimmte Varitani an: "Erinnern Sie sich noch, als ich Ihnen auf Scintilla gesagt habe, dass dies mein letzter Einsatz wird?"
Falten zogen auf die Stirn des Ex-Arbitrators. Er hatte ein hervorragendes Gedächtnis, und dieses Gespräch hatte es nicht gegeben. "Ich..."
"Es sieht so aus, als hätte ich Recht behalten, was, Immarut?" Leicht hoben sich die Mundwinkel Varitanis, während der Mut in Lucius sank.
"Die Chancen, diese Welt wieder zu verlassen, standen ja von Anfang an schlecht.", entgegnete der Ex-Arbitrator möglichst diplomatisch.
Varitani nickte schwach. "Aber sagen Sie, haben Sie die Daten schon ausgewertet? Wir können noch weitermachen. Wir können noch bestehen." Erneut hustete er. "Sie können noch bestehen. Sie sind mein Interrogator. Man wird sie extrahieren, wenn Sie Erfolg haben."
Es war nicht mehr sinnvoll zu antworten, denn die Augen Varitanis hatten sich nach diesem schwachen Flüstern wieder zu ihren unruhigen Zuckungen geschlossen, und sein Mund formte lediglich leere Schatten ohne jeden Hall, bis auch er nach wenigen Augenblicken nur noch zitterte. Frost erhob sich und nahm die Schüssel von dem Nachttisch. Er goß das alte Wasser weg und holte frisches, dann breitete er ein kühles Tuch über die Stirn des Kranken, dessen Atem sich beruhigte, während er wieder einschlief.

"Irgendeine Veränderung?"
Die Frage von Phos Isand traf ihn, als er noch nicht einmal die Türe zum Gemach des Inquisitors geschlossen hatte. Frost wandte sich zu dem hinter ihm stehenden Telepathen um und schüttelte resigniert den Kopf. "Hohes Fieber."
"Hm.", brummte Vox. "Wie sieht Ihr Plan aus, Frost?"
"Mein Plan?" Bitter war das Lächeln, das auf den Zügen des Ermittlers erschien. "Er will, dass wir weitermachen."
"Was geben denn die Daten genau her?" Der Psioniker strich sich mit der Hand über die Glatze, dann über seinen dunklen Kinnbart.
"Die Daten sind zum größten Teil stark verschlüsselt. Sie weisen aber auf eine weitere Einrichtung hin."
Isand seufzte hörbar. "Schon wieder? Wieviele Labors hatte denn Chemistro Frangh?"
Lucius schüttelte den Kopf. "Nein, nein. Nicht Chemistro Frangh. Eine Einrichtung des Adeptus Terra. Sie scheint in keinerlei offiziellen Berichten auf; es gibt allerdings Logbücher in den Dateien, die wir entschlüsseln konnten, die über zehn Jahre alt sind."
Die Augenbrauen Isands wanderten nach oben. "Oho. Und wo ist denn diese Einrichtung?"
Lucius verzog den Mund. "Unter dem Boden des Ozeans."
Vox nickte. "Die Anderen werden begeistert sein."
"Allerdings. Warum sagen Sie "die Anderen"? Macht es Ihnen denn nichts aus, Phos?"
Isand schüttelte den Kopf. "Nein. Mir macht es was aus, hier auf dieser Welt zu sitzen und die Virusbomben über mir wartend zu wissen. Ich sehe ein, dass das, was wir hier tun sollen, wichtig ist und daher will ich es zu Ende gebracht sehen. Wir sollten also damit fortfahren und von hier verschwinden."
"Das sehe ich grundsätzlich auch so. Ich muss auch sagen, dass es mir Zuversicht gibt, dass Sie allem Anschein nach so gut damit fertig werden, was passiert. Ich kann einen klaren Kopf gebrauchen."
Bei diesen Worten tippte sich der Psioniker gegen seine Schläfe und grinste wölfisch.
"Allerdings", fuhr Frost fort, "sehe ich auch, dass unsere Verletzten nicht wirklich transportfähig sind."
"Auch darin sind wir uns also einig. Ein Wunder, gepriesen sei der Imperator.", sagte Vox mit einem Lächeln in der Stimme. "Und ich dachte, da würden wir Probleme miteinander bekommen."
Etwas in Frost sagte ihm, dass er jetzt vorsichtig sein musste. "Was - meinen Sie?"
"Na ist doch klar. Wir müssen weitermachen, so schnell wie möglich. Die Beiden sind nicht transportfähig, also..."
Er will sie zurücklassen... Das erste Gefühl, das in Lucius aufstieg, war natürlich Ekel und Ablehnung, doch er zeigte das nicht, sondern gab seinem analytischen Verstand Zeit, diese Argumentation zu bewerten. Er durfte sich nicht leichtfertig gegen den Psioniker stellen, das war ihm klar. Isand war als einziger körperlich und allem Anschein nach auch psychisch unbeschadet aus der Begegnung mit den Chaos-Agenten und ihrer Dämonenbrut hervorgegangen, was bedeutete, dass er viel mehr Einfluss nehmen konnte als früher. Es gab keine klaren Befehle mehr, die ihn an den Willen eines Inquisitors oder auch Interrogators banden. Solange das Endziel erreicht wäre, hatte er seine Pflicht getan, wenn später einmal ihrer aller Handlungsweise von einem Tribunal beurteilt werden würde. Dass sich die Auffassungen von moralisch vertretbarer Vorgangsweise zwischen Isand und ihm gravierend voneinander unterschieden, war ihm klar. Er hielt es auch durchaus im Bereich des Möglichen, dass Isand seine manipulativen Kräfte innerhalb der Gruppe einsetzen würde, wenn er es für notwendig hielt. Das war eines der größten Probleme mit Telepathen, soweit es Lucius Frost betraf. Natürlich machte man sich ihre Fähigkeiten zunutze, was bedeutete, man ließ sie oft in den Gedanken von anderen graben oder Nachrichten übermitteln. So gab es keine natürliche Barriere mehr, das Gefühl von Recht und Unrecht war verwischt. Der Telepath war es gewöhnt, im Kopf von anderen zu sein, auch in den Köpfen seiner Mitakolythen. Es bedurfte dann eines rigorosen Moralkodex, um seine Fähigkeiten nicht zu mißbrauchen. Frost wusste, dass der Kodex, dem Isand folgte, seiner Anschauung nach alles andere als moralisch wertvoll war. Ergo: Er wollte ihn nicht zum Feind haben. Und ganz objektiv gedacht hatte Phos Isand auch Recht.
"Oh, Sie haben sich also noch gar nicht entschieden?"
"Wie Sie gesagt haben, ist das keine leichte Entscheidung. Und es sind drei Mann, die wir zurücklassen müssten."
Vox nickte. "Der Priester sollte nicht mehr lange schlafen. Seine Seele ist zäh. Aber sobald er wach ist, sollten wir aufbrechen."
Lucius stellte sich vor, wie es wohl wäre, wenn Sie Varitani und Railoun hier einfach liegen ließen, der Pflege ihrer Gastgeberin anvertraut, bis das unvermeidliche Ende kam. Er stellte sich vor, wie die Akoylthen darauf reagieren würden und Honeymoon kam ihm in den Sinn. Nein, das wäre zuviel für sie... "Was sagen denn die Anderen dazu?", fragte er in einem Versuch, den kaltherzigen Telepathen zur Einkehr zu bewegen.
"Blender und Granit sind nicht begeistert, wie jeder von uns denke ich, aber sie stimmen zu. Wir haben gerade vorher darüber gesprochen. Den Pater will niemand hier lassen, wenn er nicht noch länger im Koma liegt. Aber das wird wie gesagt nicht der Fall sein, denke ich. Mit Honeymoon habe ich noch nicht gesprochen. Sie ist irgendwie reservierter mir gegenüber als sonst." Ein dreckiges Grinsen zog über sein Gesicht, als er an den Anblick der Adligen dachte, wie er ihn die ganze letzte Nacht auch vor Augen gehabt hatte.
Politik schmerzt manchmal so sehr, dachte Lucius bei sich, als er sich vorstellte, diesem aufgeblasenen, notgeilen Bastard einmal so richtig auf Maul zu geben. "Ich - werde mit ihr sprechen."
Das Grinsen blieb auf dem Gesicht des Psionikers. "Tun Sie das."

Wie anders hatte sich alles entwickelt? Wie anders war sie selbst! Kannte sie sich selbst überhaupt noch? Cattaleya Amalia VanSovrean blickte auf die Gestalt ihres Geliebten hinab, der neben ihr lag, die Stümpfe beider Arme mit weißen Bandagen versorgt. Die Wunden waren in gutem Zustand, doch hatte das Aufeinandertreffen mit dem Verschlinger trotzdem seinen Tribut von dem Interrogator gefordert - jenseits seiner Arme. Zwar waren Gedanken folgender Art noch weit jenseits von allem, was Cattaleyas Geist verstand, doch war es sogar gut für ihre eigene psychische Gesundheit, dass Immarut sie so sehr brauchte. Er war momentan ein Pflegefall, das war klar, und Cattaleya hatte sich dieser Aufgabe mit einer verbissenen Hingabe gewidmet, die all ihre Unerfahrenheit wett machte, was Pflege anging. Sie war so gut wie immer bei ihm, unterhielt sich mit ihm, wenn er wach war und behütete seinen Schlaf.
Sie hatten zusammen geweint und sich gefreut, das überstanden zu haben. Erst war Immarut vollkommen verstört gewesen, weil er sie nicht hatte beschützen können. Erst als sie ihm begreiflich gemacht hatte, dass es gerade eben nicht zum Äußersten gekommen war, dass dem Daemon nicht geglückt war, was er mit ihr vorgehabt hatte, hatte sich Immarut beruhigt. Sie hatte ihm gesagt, er habe wie ein Löwe für sie gekämpft, er habe sie gerettet. Sie wusste nicht, warum sie schon darüber reden konnte, was geschehen war. Es war sein Schicksal, sein bleibender Schaden, seine Versehrtheit, die das, was sie erlebt hatte zwar nicht weniger schrecklich machte, als es wirklich war, jedoch eine vernünftige Perspektive nahelegte. Sie hatte Furchtbares erlitten, das stimmte, aber Immarut hatte sich bis zur Bewusstlosigkeit durch Schmerz, zur völligen Erschöpfung seines Körpers gemartert, um sie zu retten. Er hatte beide Arme verloren - wegen ihr. Natürlich war sie nicht Schuld daran, auf solch einen Gedanken wäre sie nie gekommen, doch sie wusste, dass ein Mann, der bereit war, das für sie durchzustehen, sie verdiente, alles verdiente, was sie ihm geben konnte. Mehr noch, sie konnte stolz sein, jemanden wie ihn zu kennen und mit ihm zusammen sein zu dürfen - auch wenn es nur mehr für einige Tage sein würde. Das letzte, was sie Beide mitbekommen hatten, war, dass die Entschlüsselung der Daten, die man bei Varitani gefunden hatte, nur langsame Fortschritte machte, und die Flotte war noch immer im Orbit wie ein Bote des Todes.
Sie hatte auch einmal nach Varitani gesehen, konnte den Anblick jedoch nicht ertragen. Sie hatte sich wieder erinnert, dass sie gar keine Pflegerin war, sondern Cattaleya VanSovrean, oder maximal noch Honeymoon. Es war nur Immarut, der sie dazu bringen konnte, das in den Hintergrund zu drängen und sich ganz auf ihn zu konzentrieren.
Sanft glitt ihre Hand über seine Stirn und die rechte Wange hinab, während sie ihm eine goldene Locke zur Seite strich. Er brummte genüßlich und drückte seinen Kopf zärtlich gegen ihre Handfläche. "Du riechst gut.", hauchte er.
Zu Beginn ihrer Beziehung hatte sie solche Bemerkungen etwas befremdlich gefunden, aber mit der Zeit hatte sie zu verstehen begonnen, welch vorrangige Bedeutung der Geruchssinn im Kaleidoskop aller Wahrnehmungen Immaruts hatte. Sie beugte sich zum ihm und küsste ihn sanft. "Ich liebe Dich.", flüsterte sie ihm ins Ohr.

Seine Mundwinkel schoben sich unwillkürlich nach oben. Er hätte sie gerne in den Arm genommen. Bittersüß war dieses Gefühl. Er war froh und dankbar, dass sie bei ihm war, dass nicht mehr für immer zerstört worden war, doch wog der Verlust so vieler Fähigkeiten schwer als Gegengewicht dazu. Er hatte nach wie vor Schmerzen, manchmal richtig heftig. Noch dazu kamen sie aus Armen, die er gar nicht mehr besaß.
Immarut merkte wohl, wie sehr sich seine Honeymoon für ihn einsetzte, was das für sie bedeutete. Sie selbst bestimmte auch vorrangig das Maß an körperlicher Zweisamkeit, die sie nun miteinander teilten. Nach ihrem Aufeinandertreffen mit dem Verschlinger hätte er sowieso nicht gewusst, wie es ihr damit ging. Auch ihr Körper war geschunden und zeigte Spuren des Kampfes in Form von verschorften Abschürfungen und häßlichen blauen Flecken. Cattaleya hatte sich fast wund geschrubbt, als sie die Chance dazu bekommen hatte. Dabei hatte sie geweint, das hatte er gehört. Auch nachts, wenn sie an ihn geschmiegt dalag, weinte sie manchmal leise und zitterte und zuckte. Hin und wieder fuhr sie auch wild aus dem Schlaf auf. Das waren auch Augenblicke, in denen er sich Arme gewünscht hätte, um sie zu halten.

Ein Klopfen ließ sie nun aufblicken. "Bitte.", sagte sie, stand auf und richtete mit geübten Handbewegungen ihre Kleidung und ihr Haar. Es war Lucius Frost. Er lächelte schwach, als er ihnen grüßend zunickte und dann leise wieder die Türe schloß.
Er nahm die Hände von Cattaleya in die seinen und drückte sie herzlich, dann blickte er auf den verwundeten Interrogator hinab, ein fürsorglicher Ausdruck in seinen dunklen Augen. "Wie geht es Ihnen, Immarut?"
Railoun sah zu Cattaleya. "Ohne Catt wäre ich verloren, glaube ich. So bin ich die meiste Zeit sogar glücklich."
Frost nickte ernst und blickte seine Freundin an, die leicht rot wurde und lächelnd den Blick senkte. "Das ist - gut. Hören Sie, Immarut, wir haben die Daten teilweise entschlüsselt. Wir können weitermachen."
Railoun wollte sich aufsetzen, doch er konnte sich ja nicht aufstützen. So wippte er nur zweimal herum und fühlte sich wie ein Fisch auf Landgang. "Das ist eine positive Nachricht, denke ich. Wie geht es Inquisitor Varitani? Und Gerhart?"
Frosts Gesicht verdüsterte sich. "Wer auch immer das war, der Varitani das angetan hat, war gründlich. Er ist kaum bei Sinnen. Und Gerhart liegt nach wie vor im Koma. Vox hat aber gemeint, als er versucht hat, telepathisch Kontakt mit ihm zu bekommen, hätte er gespürt, dass er bald wieder aufwacht. Er kämpft sozusagen um die Kontrolle seines Körpers und weiß laut Vox auch, wie wichtig es ist, dass er zurückkommt."
"Das kann Isand tun?" Immaruts Frage klang ungläubig.
"Was weiß ich.", entgegnete Frost mit Schulterzucken. "Er behauptet es zumindest. Verdammte Psioniker, was?" Der Aufheiterungsversuch zerschellte an der Wand der Nachdenklichkeit in Railouns Gesicht.
"Wie sieht denn nun der Plan aus? Ich denke, es ist klar, dass weder Varitani noch ich momentan große Anführer sind."
Frost nickte und man sah deutlich, wie wenig ihm seine Funktion als neuer Entscheidungsträger behagte. Das lag sicher nicht an der Aufgabe an sich sondern wohl vielmehr daran, auf welche Art er dazu gekommen war. Er hatte die Zelle schon oft angeführt und gute Arbeit geleistet. "Wir sind nur etwa einen Tag von Xileiphos entfernt, was bedeutet, wir können unsere restliche Ausrüstung bergen. Dazu werde ich ein kleines Team abstellen. Granit und Blender und Vox wahrscheinlich. Bis sie zurück sind, ist hoffentlich Gerhart wieder auf den Beinen." Lucius erhob sich und fuhr sich nervös mit den Fingern durchs Haar. Er hätte so gerne ein Lho-Stäbchen geraucht...
"Wir müssen in einen weiteren Komplex eindringen. Dieses Mal geht es jedoch um keine verlassene Anlage. Es werden also Auseinandersetzungen zu erwarten sein."
"Im Gegensatz zum letzten Mal.", giftete Cattaleya hinter ihm.
Frost ignorierte sie. "Wir müssen auf den Meeresboden. Die Anlage, die wir infiltrieren müssen, ist nur durch den Tunnel zugänglich, durch den der Transozean-Express fährt."
"Der Transozean-Express?" Honeymoon hatte noch nie davon gehört.
"Er verbindet den Kontinent Kirrjeha mit Veste, von wo aus man leicht nach Antimon oder Zumthes weiterfahren kann. Der Zug fährt durch einen Überdrucktunnel am Boden von Rauka, wie man das Meer zwischen Kirrjeha und Arrtjeha nennt. Die Fahrtzeit beträgt mehrere Tage."
Frost nickte anerkennend. "Im Kopf ist bei Ihnen alles beim Alten wie es scheint."
Railoun lächelte schwach. "Ich werde mein Bestes tun, Sie nicht zu sehr aufzuhalten. Was wir aber mit dem Inquisitor machen, weiß ich nicht."
Mit einem bitteren Geschmack verzog der Ex-Arbitrator den Mund. "Da herrscht generell Unklarheit." Frost räusperte sich. "Sag mal, Honeymoon, darf ich Dich ein paar Minuten entführen?"
Erst war Cattaleya etwas überrascht, doch sie machte sich schnell klar, dass Lucius niemanden sonst so gut kannte wie sie. Auch er hatte viel durchstehen müssen und keinen, dem er sich anvertrauen konnte. "Sicher. Ich komme ich Dein Zimmer, in sagen wir - fünf Minuten."
Lucius nickte, lächelte Immarut schwach an und verließ mit einem Winken den Raum. Dieser sah fragend zu Honeymoon auf.
Die zuckte nur die Schultern. "Keine Ahnung."

Keine Minute hielt es Lucius sitzend in seinem Zimmer aus. So tigerte er auf und ab. Was mache ich hier überhaupt? Er dachte an die Nachricht von Elena. Das Richtige tun, dass ich nicht lache. Er lachte tatsächlich ein kurzes, bitteres Lachen. Scham war in ihm hochgekrochen. Er hörte Varitanis Stimme, die ihm sagte, dass Anführer harte Entscheidungen zu treffen hatten, und er hörte sich selbst antworten, dass er nie jemanden zurücklassen würde. Er dachte an die Bilder, die er gerade gesehen hatte und wie Cattaleya wohl reagieren würde. Wenn ich jemanden hier lasse, kann ich mir nicht mehr in die Augen sehen, in keinem Spiegel. Es ist schon richtig, dass wir aller Wahrscheinlichkeit nach alle bald tot sind, aber falls nicht. Was ist dann? Was ist, wenn wir extrahiert werden, wenn wir es schaffen? Und ich habe die beiden hier zurückgelassen?! Lucius dachte weiter. Nie wieder könnte ich ihr unter die Augen treten. Elena. Das Richtige tun...
Es klopfte und er fuhr herum. Honeymoon. Lucius sah auf seine Hände herab. Vorher hatte er gezittert. Zuerst hatte er es auf den Entzug von Lho geschoben, aber anscheinend war das nicht der Grund dafür gewesen. Jetzt, da er wusste, was er tun würde, was Lucius Frost tun würde, nicht Varitani, nicht Immarut selbst und gewiss nicht der verdammte Phos Isand, jetzt waren sie ruhig.
Es klopfte erneut und er hörte die Stimme seiner Freundin gedämpft durch die Türe: "Lucius? Bist Du da drin?"
"J-ja, komm nur rein, Honeymoon.", sagte er und kratzte sich am Kopf. "Tut mir leid.", fügte er hinzu, als sie eingetreten war und die Türe wieder schloß.
"Was ist los?", fragte sie, ihr Tonfall Zeuge ehrlicher Sorge.
Lucius ballte eine Faust. "Entschuldige mich einen Moment. Warte hier, ja?" Ohne auf eine Antwort zu warten, stürmte er hinaus.
Cattaleya blieb verdutzt zurück.

Dampf strömte aus diversen Ventilen und machte pfeiffende Geräusche. Der morgendliche Regen hatte eine Feuchtigkeitsfilm auf dem Kopfsteinpflaster des Bahnsteigs hinterlassen, und der Rest von Nebel mischte sich mit dem Qualm, der dem monströsen Antriebswagen und den Wagons entströmte, die einer hinter dem anderen aufgereiht standen, weiter, als man mit dem Auge blicken konnte. Der Bahnsteig war nur für diesen speziellen Zug gedacht, den Transozeanischen Express oder TEX. Garrinald Crim war schon seit langen Jahrenzehnten der Vorstand der ersten Klasse und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, seine Fahrgäste bereits am Bahnsteig persönlich zu begrüssen. Seine kybernetischen Beine klackten auf dem feuchten Steinboden, als er seinen Kontrollgang durchführte, um einen letzten Blick auf seinen Zug zu werfen. Wie alle Bewohner von Xeiros Prime war auch er zutiefst erschüttert über die Entwicklungen der letzten Zeit, doch das tat weder seinem Pflichtbewusstsein noch seiner Professionalität Abbruch, wenn es um seine Arbeit und seine Prinzipien ging. Mit der stocksteif gestärkten, schwarzen Uniform der Gesellschaft für Kirrjeha-Arrtjeha-Transport, verziert mit goldenen Borten, angetan und mehreren Abzeichen an der Brust, die ihm langjährige Treue zur Betreibergesellschaft des TEX sowie unentwegte Bemühungen um das Wohlbefinden seiner Fahrgäste bescheinigten, sah er eher wie ein Generalfeldmarschall aus als die Mischung aus Zugführer und Concierge, die er war. Unter allen Abteilungsvorständen des Zuges hatte sein Wort das meiste Gewicht und nur Oberzugsführer Frenneweir konnte ihm ungestraft widersprechen, wobei das schon lange nicht mehr vorgekommen war.
Seine Umgangsformen waren perfekt, er war es gewohnt, mit imperialem Adel zu verkehren. Die mehrtägige Reise zählte nicht nur seiner Meinung nach zu einer der größten Sehenswürdigkeiten von Xeiros Prime, so dass er selten Fahrten mit freien Appartements angetreten war. Ja, richtig, der TEX, besser gesagt, der wichtigste Teil des TEX, die erste Klasse, ein mehrere hundert Meter langer Abschnitt des Zuges, wurde nicht in Abteils gegliedert, sondern in Appartements unschiedlicher Größe, jedes mit eigenen Bediensteten und allen Annehmlichkeiten ausgestattet, die man sich nur wünschen konnte. Tja, dachte Crim, wenn das nur so wäre. Meistens schafften es seine Gäste, mit einem kleinen Anliegen hier und durch die Blume ausgedrückter Kritik dort die Fahrten auch für ihn durchaus inhaltsreich zu gestalten. Crim seufzte, doch musste zugeben, dass er auch diesen Aspekt seiner Arbeit liebte. Er bedauerte es wirklich, dass dieses Mal durchaus einige Appartements leerstehen würden.
Er wurde gerade Zeuge, wie vor ihm einige ungewöhnliche Diener Gepäckstücke einluden, während ein junger Gentleman neben einer verschleierten Dame ganz in Schwarz dabei zusah. Eine Grav-Plattform mit einer sargähnlichen Konstruktion wurde eben von einem schlanken Mann mit Pferdeschwanz, der in einer leicht altertümlich wirkenden, dunklen Livree steckte, durch einen Sensor und an Bord des Zuges gefahren.
"Meine Dame, mein Herr." Garrinald Crim verneigte sich steiff, sein Gesicht zierte das Lächeln, das er so viele Jahre perfektioniert hatte. "Willkommen im Transozeanischen Express. Mein Name ist Garrinald Crim, ich bin Vorstand der Ersten Klasse, sozusagen ihr Major Domus während der Fahrt."
Die junge Dame, deren Züge er nur wage durch die kostbaren Stickereien ihres Schleiers wahrnehmen konnte, trug Gesicht und Körper in einer Haltung, die geradezu nach Adel schrie. Ihr Begleiter, auf dessen Ärmel sanft ihre kleine, blasse Hand ruhte, wirkte eher gelangweilt. "Schön, schön." Er würdigte Crim keines Blickes. Aufgeblasener Bastard, dachte der Vorstand bei sich, sein Lächeln weiterhin charmant und unaufdringlich.
Die junge Dame neigte nahezu unmerklich den Kopf in Richtung ihres Begleiters, und fast erschien es Garrinald Crim, sie würde ihn zürnend anblicken. Anmutig, wie er es selten gesehen hatte, löste sie ihre Verbindung und schwebte zu ihm hinüber, ihr herabfließendes Kleid fast ungestört durch ihre zarten Schritte. Sie passierte ihn mit der zartesten körpersprachlichen Andeutung, er solle ihr folgen, und wie an Fäden gezogen fügte er sich der Aufforderung.
"Verzeihen Sie meinem Begleiter, dem Lord Seuxieve." Ihre Stimme war zart und weich, passend zu ihrer zerbrechlich aber doch so herrschaftlich wirkenden Gestalt. "Seine Sorge gilt dem Wohlbefinden seines Oheims, Großmeister V'Enderelle. Seine Gesundheit hat sich in letzter Zeit besorgniserreged entwickelt, und die Last des Erbes wiegt schwer. Wir hätten ihn lieber nach Hause verbracht, doch das ist uns bei der derzeitigen Lage der Dinge wohl nicht gegeben." Rann da eine Träne ihre Wange herab? War das gerade ein Schluchzen?
Garrinald Crim folgerte, dass es sich bei der Gravplattform also um eine mobile Medika-Station handeln musste, deren Bewohner, wenn man so wollte, Großmeister V'Enderelle war. Er war also noch nicht tot. Warum trug die Dame dann Trauerkleidung? Vielleicht rechnete man bereits während der Fahrt mit dem Abscheiden des Großmeisters. Ich bin sicher, sein Erbe ist vollkommen verstört, sinnierte Crim, während er wiederum einen kurzen Blick in das gelangweilte Gesicht des jungen Herrn erhaschte.
"Doktor Harrtion, auf ein Wort.", rief der junge Mann plötzlich einem glatzköpfigen Mann mit Kinnbart zu, der sich mit einer kleinen Medizinertasche unter dem Arm und in einen engen, ebenfalls schwarzen Mantel gekleidet, gerade an Bord begeben wollte. Er hielt inne, zögerte kurz und ging dann mit raschen Schritten auf Lord Seuxieve zu. Die Beiden murmelten ein paar Worte und der junge Herr wies in die Richtung der Dame und Crim.
Kurz erschien es dem Vorstand, der Doktor würde das Gesicht verziehen, dann jedoch schritt er mit aufrechtem Blick auf sie zu und verneigte sich vor der Dame. "Lady Eirelle, Lord Seuxieve hat mich gebeten, Euch in Euer Appartement zu begleiten." Er hielt ihr wenig einladend seinen Arm hin.
"Aber mein Gepäck. Wie kann ich sicher sein, dass alles an Bord ist?"
Das war Crims Einsatz. "Meine Dame", begann er ohne zu Zögern und verneigte sich dienstbeflissen. "Selbstverständlich werde ich persönlich dafür Sorge tragen, dass alle Gepäckstücke an Bord und zu Eurer Verfügung sind, sobald Ihr sie benötigt."
"Oh, ich danke Euch, Meister Crim."
Das Lächeln auf dem Gesicht des Vorstands war nicht gespielt. "Wenn ich noch irgendetwas tun kann oder Sie etwas benötigen, was auch immer es sei, zögern Sie nicht, nach mir zu schicken, meine Dame."
Sie bot ihm elegant ihre Hand dar, und er hauchte einen Kuss darüber. Dann wandte sie sich an ihren neuen Begleiter. "Nach Ihnen, Doktor."
Der Mann verzog erneut das Gesicht. "Gewiss doch, gewiss."

"Sie haben den Vorstand sicher davon überzeugt, dass Sie ein ausgezeichneter Arzt sind, Vox.", sagte Cattaleya, als sie ihren Schleier abnahm und sich in dem Appartement umsah.
"Wieso denn das?"
"Was für einen Grund gäbe es sonst, einen so ungehobelten und unfreundlichen Klotz von einem Menschen zu dulden, wenn man alter Adel ist?"
Der Blick des Telepathen war scharf wie ein Messer.
"Wenn Sie Schauspieler geworden wären, hätte der Hunger die Welt schon lange von Ihnen erlöst.", wetterte sie weiter. Honeymoon war weit weniger gut auf Isand zu sprechen, seit sie mitbekommen hatte, dass sie um ein Haar Varitani und was noch viel schlimmer war, Immarut aufgrund seiner Initiative zurückgelassen hatten. Frost war anscheinend erst im letzten Moment zu sich gekommen und hatte klar und deutlich festgelegt, wer die Entscheidungen traf und wie sie vorgehen würden. Cattaleya war ihm eine kurze Zeit lang sogar etwas böse gewesen, dass er den herzlosen Plan des Psionikers überhaupt in Erwägung gezogen hatte, doch letzten Endes war sie froh, dass er jetzt am Ruder war und nicht andere Personen mit weniger Haar am Kopf.
So hatte sie mit Lucius Frost und Blender an ihrer Tarnung gearbeitet, um Plätze im TEX zu erwerben, die alle Eigenschaften mitbrachten, derer sie bedurften: hohe Bewegungsfreiheit, ständiger Zugang zu ihrem Gepäck und keine lästigen Fragen des Personals. Die unfreiwillige Rolle, die sie Inquisitor Varitani zugedacht hatten, nämlich die des scheidenden Adelsmagnaten, erlaubte ihnen zusätzlich noch, besonders ausgefallene Unregelmäßigkeiten zu kaschieren. Garrinald Crim hatte tatsächlich alle ihre Ausrüstung an Bord geschafft, ohne dabei alle üblichen Sicherheitsvorkehrungen wahrzunehmen. Mehrere kriegstaugliche Waffen und Sprengstoff militärisch hoher Qualität hätten wahrscheinlich nur schwer zu beantwortende Fragen aufgeworfen.
Das Geräusch, das nach einem Treten gegen die Tür klang, unterbrach den kleinen Disput und Cattaleya öffnete. Immarut fiel ihr fast in die Arme. Sein Gesicht war bleich und blass. Sorgenvoll geleitete sie ihn zu einem Stuhl. Er trug einen weiten Kutschermantel, der seine Arme verdeckte und hatte Vaniryl und Sovrean umgeschnallt, so dass er wie ein stoischer und gespenstisch unheimlicher Leibwächter wirkte.
Nach und nach fanden sich die anderen ein. Lucius Frost, der endlich seine Rolle als Lord Seuxieve zumindest für gewisse Zeit aufgeben konnte; Gerhart Thracian, aus seinem Koma erwacht, als wäre er nur eben kurz eingenickt und nach einem langen Gespräch mit Blender zu seiner redemptionistischen Härte zurückgekehrt. Er hatte sich geweigert, eine andere Rolle zu spielen als die eines Priesters und so hatten sie es ihm ermöglicht. Seine Position hatte nicht unwesentlich zu dem Kostüm von Cattaleya beigetragen sowie zu der Rolle von Phos Isand als Leibarzt, der das Hinüberscheiden einer Größe des alten Adels einer unbekannten, fernen Welt in den Tiefen des Ozeans überwachen und schmerzfrei halten sollte. Pater Vintius war eben für das Seelenheil des Scheidenden verantwortlich.
Hrubens Arn spielte in seiner Livree den Hausdiener von Seuxieve, Saxton, Immarut und Nick Runsit die beiden grimmig dreinblickenden Leibwächter. Immarut hatte es auch mit allen Verkleidungskünsten Cattaleyas nicht geschafft, auch nur ansatzweise so bedrohlich auszusehen wie der tätowierte Riese, auch wenn er in seinem konturlosen, pechschwarzen Mantel und mit seinem bleichen Teint ausgesehen hatte wie der personifizierte Tod, also hatte Cattaleya kurzerhand ihre Klingen auf viel offensichtlicherem Weg in den Zug geschmuggelt als zuerst angedacht.
Im nordöstlichen Teil von Kirrjeha war es noch zu vergleichsweise wenig Ausschreitungen gegen Außenweltler gekommen, weswegen vor allem fremder Adel hier noch alle Annehmlichkeiten eines normalen Lebens genießen konnte, doch das würde sich in Arrtjeha schnell ändern, wenn man den Gerüchten glauben schenkte. Sie würden verhaftet werden, noch ehe sie den Zug verließen, wenn sie erst die kontinentalen Grenzen überschritten haben würden. Dieses Wissen war selbstverständlich nicht publik, sonst hätte der TEX gar nicht mehr verkehrt. Ob durch den Exterminatus oder durch die politischen Unruhen - dies würde die letzte Fahrt des so traditionsreichen Transportmittels sein, ein weiteres Opfer auf dem Konto des Erzfeindes.

Nachdem sich Interrogator Railoun ein wenig erholt hatte, rief dieser alle zu einer Besprechung zusammen. Er stellte nochmals fest, dass aufgrund seines angeschlagenen Zustandes Lucius Frost auch weiterhin das Kommando innehatte, und dass sie sich langsam der kritischen Phase ihrer Mission näherten. Sie brauchten sich nichts vorzumachen. Sie waren schon viel länger auf Xeiros als geplant und hatten wenig erreicht. Die Bomben konnten jederzeit fallen.
"Das ist jetzt schon der schlimmste und auszehrendste Auftrag, an dem ich jemals gearbeitet habe. Ich bin stolz, Sie alle gekannt zu haben. Ich bin stolz, mit Ihnen gemeinsam Sein Werk zu tun. Wenn es zum Äußersten kommt, dann lassen Sie uns mit der Gewissheit von dieser Welt gehen, dass wir unser Bestes gegeben haben, des Imperators würdig, jeder einzelne von uns. Doch bis es soweit ist, werden wir die Befehle, die unser Inquisitor für uns hatte, von deren Wichtigkeit er so überzeugt war, dass er darob jetzt dort liegt und auf das Ende wartet, ausführen. Und wenn es das Letzte ist, was wir tun!"
Der Transozeanische Express nahm Fahrt auf.

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