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Aller Gnaden Ende

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Arden Etklint Kleist:
Danke für das Lob  :D

Der Text stammt allerdings gar nicht von mir, sondern von zwei meiner Spieler, Sjeg und Inigo Hound, wie sie im Online-Forum des DnD-Gates heißen, die abwechselnd geschrieben haben. Da jeder der Spieler zwei Charaktere spielt, kommt es zu den häufigen Wechseln. Ich habe das Schriftstück lediglich korrigiert und im Stil meines im Anschluss foldendes Textes "Aller Gnaden Ende" formatiert. Da hier die Charaktere sehr gut eingeführt werden und ich persönlich die "Akte Vynnor Lucrés" sehr unterhaltsam finde, habe ich sie als Präludium vor dem Kampagnentext benutzt.

Arden Etklint Kleist:
Vier

„Vox, verdammt! Bleiben Sie bei uns!“ Schon mehrfach hatte Lucius dem sanktionierten Psioniker, an dessen kahlgeschorenem Schädel eine tiefe, blutende Platzwunde wie ein obszöner zweiter Mund gähnte an die Wange geschlagen. Beim Nachgeben des Daches war ein verirrter Backstein von einem Querpfeiler abgeprallt und hatte Isand am Kopf erwischt. Augenblicklich war der Mann leblos zu Boden gesackt. Frost fluchte innerlich. Was hatte der Psioniker mit dem gelinde gesagt schwierigen Charakter auch seinen Helm im Rhino gelassen? Erleichterung durchflutete ihn, als Vox seine Augen zögernd zu öffnen begann, und er lehnte den Oberkörper des Verwundeten mit einer sanften Bewegung gegen die umgestürzte Statue aus blassweißem Marmor. Er klopfte ihm beruhigend auf die Schulter und rang sich zu einem „Halten Sie den Kopf unten, Vox, wenn Sie nicht noch mehr narbige Andenken sammeln wollen. Bleiben Sie wo Sie sind, ich schicke Ihnen den Pater, damit er sich das mal ansieht.“

Das Heulen des Sturmes erfüllte mittlerweile das gesamte Foyer, wenngleich der Lautstärkeunterschied den Ex-Arbitrator unangenehm an sein Gefühl von „Ruhe vor dem Sturm“ von vorhin erinnerte. Wo kurz zuvor noch Flammen getanzt hatten, wirbelten nun Schneeflocken durch die Luft, um sich auf zerbrochenem Mauerwerk, geschwärztem Boden und gebrochenen Leibern niederzulassen. Frost richtete sich auf und befahl den verbliebenen Arbitratoren sich in kampfbereiter Position zu sammeln. Während er die Boltpistolen mit raschen, routinierten Bewegungen nachlud, blickte er auf die übel zusammengeschrumpfte Truppe. Dvorov und sein Trupp sahen mitgenommen aus. Nur sechs von ursprünglich zwölf Arbitratoren waren noch auf den Beinen. Einer der überlebenden Ordnungshüter humpelte, ein anderer trug die Schrotflinte in der linken, während sein rechter Arm nutzlos herabhing. Ihre Uniformen waren versengt, und als wäre diese Erinnerung an die Flammen notwendig gewesen, nahm Lucius nun auch den Übelkeit erregenden Gestank der verkohlten Leichen war. Er überblickte den Raum und rief sich die Informationen über das Anwesen vor Augen. Laut ihrer Informanten waren wohl noch mehrere Adelige und Vynnor selbst übrig, welcher sich den verderbten Mächten hingegeben hatte. Frost presste die Lippen aufeinander und widerstand der Versuchung Dvorov mit den schwerer Verletzten seines Trupps in die Sicherheit der Rhinos zu schicken. Sie würden alle Unterstützung brauchen, die sie bekommen konnten.

„Der Imperator beschützt!“, gab er durch das Helmmikro durch und setzte sich an die Spitze der weitläufigen Formation. Es galt nun ins Untergeschoß vorzurücken. Isand war wieder auf den Beinen und hatte in der für ihn so typischen Art jede Hilfe der nahen Arbitratoren abgelehnt. Am Fuß der Treppe blickte Lucius nach oben und zog ob der engen Umarmung, in der die zierliche Honeymoon den hünenhaften Kleriker hielt, die Augenbrauen hoch. Der Kleriker erwiderte die Umarmung nicht und hatte nach wie vor das vor Blut dampfende mächtige Kettenschwert in seiner linken. Trotz des Carapace-Panzers konnte der Ex-Arbitrator der Körpersprache Gerharts entnehmen, dass ihm der enge Kontakt zu der attraktiven Adeligen unangenehm war. Er grinste und bahnte sich seinen Weg durch die Trümmer des Daches auf die Beiden zu. Auch wenn er Gerhart wegen vieler Qualitäten schätzte, es war ab und an schwierig seine pikierte Haltung nicht von einem humoristischen Standpunkt aus zu sehen. Als er die Distanz zur Hälfte zurückgelegt hatte, ließ ihn ein kaum wahrnehmbares Grollen tief unter sich inne halten. Hatte er sich die Vibrationen eingebildet? Unter normalen Umständen konnte er sich auf seine Sinneswahrnehmungen sehr gut verlassen, doch die Situation war ja auch alles andere als gewöhnlich. Über ihm lies Honeymoon mit erschrockenem Ausdruck den Pater los.

Die Zeit erschien ihm wie eingefroren, als er sich einem Bauchgefühl folgend zu den ihm folgenden Arbitratoren umwandte. Er wollte Ihnen den Befehl zum temporären Rückzug geben - irgendetwas machte ihn sicher, dass das für ihr Überleben wichtig war. Quälend langsam drehte er sich herum und nahm war, dass ausgehend von den mittleren Treppenstufen eine feine Schicht von Rauhreif die verkohlten Reste des Teppichs und die Mauerreste bedeckte. Ein eiskalter Schauer lief ihm den Rücken herunter. Mittlerweile war er sich sicher, das Grollen zu spüren, es gewann an Intensität und auch Dvorov und die vordersten seines Trupps nahmen es jetzt offensichtlich wahr, was Lucius ihren alarmierten Gesichtsausdrücken und den angespannten Haltungen entnehmen konnte.

Die zahlreichen Statuen im Raum begannen mit einem Mal dickes schwarzes Blut zu weinen. Übelkeit breitete sich wie eine Feuersbrunst in den Eingeweiden Frosts aus und er ächzte, als die Elektrizität, welche die Luft erfüllte, die Härchen an seinem Körper statisch aufrichtete.
Bei den Tränen des Imperators! Der Daemon war nahe!

Die Spannung war spürbar und ein leiser Kopfschmerz stellte sich begleitet von einem süßlichen Geschmack auf seiner Zunge ein, der ihn an irgendetwas schwer Fassbares aus seiner frühen Kindheit erinnerte. Lucius Frost hörte ein Schluchzen, hoch und klagend, wie aus einer erschütterten Frauenbrust drang es von überall und nirgendwo auf ihn ein. Es war die Stimme seiner Mutter.

Mit ohrenbetäubendem Bersten brach etwas durch die massiven Holzstufen der alten Treppe. Stein und Holzsplitter regneten durch den von Schneeflocken erfüllten Raum und das Heulen des Sturmes hallte wie tausendfach verstärkt von den Wänden wider. Lucius war von der Druckwelle nach hinten umgeworfen worden und hart gegen das Geländer geprallt.

Mit einem Kreischen aus dem unnatürlichen gebogenen Schnabel befreite das, was einst Vynnor Lucrés gewesen war, zwei pechschwarze Schwingen, welche an dem schwarz verbrannten Körper anhafteten, aus der Umklammerung des Mauerwerks. Die Kreatur war gute vier Meter hoch und steckte nun nur noch mit dem Unterleib in dem klaffenden Loch, welches Sie in die Treppe gebrochen hatte. Der gehörnte Kopf zuckte umher und in einer einzigen blitzartigen Bewegung schossen die Klauen der Kreatur vorwärts um Frost und Dvorov zu packen. Die scharfen hörnernen Dornen an den entstellten und geschwollenen Fingern hinterließen tiefe Scharten in dem Carapace–Brustpanzer, als sie sich um Lucius Brustkorb legten und ihn mit festem Druck gegen Stein und Geländer nach hinten pressten.
 
Einzelne Schüsse hallten durch den Raum, als der Daemon Dvorov im gleichen Atemzug hochhob, knapp vor sein Gesicht führte und mit seinem messerscharfen Schnabel seinen Kopf abriss. Eine blutige Fontäne schoss aus der Ruine des Halses als die Warpbestie seine Klauen um den Torso schloss. Das Knacken der Rippen war eigentlich viel zu laut hörbar, trotz des Sturmes und des Feuers der verbliebenen Arbitratoren, als die Aberration den Leichnam genüsslich zerquetschte.

<< Sieh, schwächlicher Mensch, sieh‘ nur, was Dir nun bevorsteht>> - die telepathische Intensität der Abomination ließ die Stimme Vox im Vergleich engelshafte Qualität annehmen.
Lucius hätte geantwortet, doch auch sein Oberkörper wurde nun in die Luft gehoben und ein Knacken aus seiner linken Thoraxhälfte begleitet von stechendem Schmerz ließ ihn vermuten, dass die erste seiner Rippen unter dem Druck nachgegeben hatte. Ein roter Schleier legte sich vor seine Augen und Dunkelheit waberte unter ihm wie pechschwarze, weiche Watte. Es war verlockend, sich den Versprechungen des ewigen Schlafes hinzugeben, welcher seine Sinne mit Dumpfheit und bleierner Schwere liebkoste. Mittlerweile war sein Kopf auf Höhe des Dämons angekommen. Der elfenbeinartige Schnabel war leicht gekrümmt und mit Reihen spitzer Zähne versehen. Das vogelartige Gesicht schien an mehreren Stellen die falschen Dimensionen zu haben und führte seinen Blick in sich windenden Kreisen an die schillernden pupillenlosen Augen der Bestie, in deren bizarren Wirbeln er schier zu versinken drohte. „Denk immer als erstes an deine Pflicht und nur an sie!“ – schossen ihm da die Leitsprüche der Arbitesakademie auf Luggnum durch den Kopf.
Gequält keuchte er auf und bleckte die Zähne.

<<Guuuuuuuut – ein starker Wille macht dies soviel köstlicher>> hallte das höhnische Lachen der Kreatur in seinem Kopf wieder.
Als ihn der Dämon ein wenig näher an sich heranführte, wehte ihm der heiße und übelriechende Atem ins Gesicht.
„Fahr zur Hölle!“, presste Frost zwischen den Zähnen hervor und richtete die Boltpistole in dem einzigen Winkel der seinen eingeklemmten Armen geblieben war gegen die Wand an der linken Seite des Foyers.

Der Dämon legte den Kopf schief und sah ihn mit einem fast fragenden Ausdruck an. Dann schnellte sein Schnabel nach vorne und auf das Gesicht Lucius zu, die Geschwindigkeit und Kraft der Bestie ausreichend, um ihm auch trotz seines Helmes den Kopf zu zertrümmern.
Ein Rasseln war zu hören, als der gewaltige schmiedeeiserne Luster mit einem Krachen seine Halterung an der linken Wand, über welcher er aufgespannt gewesen war, geschwächt von einer scheinbar vergebenen Boltpatrone aus der Wand riss und mit aller Macht über der Treppe niederging. Ein hässliches, reißendes Geräusch ertönte, als die Konstruktion auf den linken Flügel und Rücken des Dämons traf und ihn in bizarrer Linksseitenlage auf die Treppe zwang. Das Kreischen der Warpkreatur schoss durch den Raum wie ein fehlgeleiteter Kugelblitz.
Fast schwanden Lucius die Sinne, als er immer noch gehalten in der mörderischen Umklammerung wieder auf die Treppe prallte.
<< Das wirst Du mir büßen, Sterblicher! >> stach die Stimme wie ein Dolch in seinen Kopf. Weitere Rippen brachen.

Nachdem Vox sich wieder aufgerappelt, kratzte sich dieser eine Kruste gehärteten Blutes von der Wange. Einer der Arbitratoren hatte zuvor die zweifellos laienhafte Diagnose verlauten lassen, Vox würde durchkommen. Das beruhigte ihn jedoch wenig. Sie hätten auch schlecht sagen können, er wird den nächsten Morgen nicht mehr erleben. Doch die schlimmsten Blutungen schienen mittlerweile gestoppt. Dennoch war Vox schwindlig, und mittlerweile hatte sich auch ein Gefühl von Übelkeit hinzu gemischt. Einer der Arbites, Vox hätte schwören können, es war dieser Naseweis, dem er selbst vor wenigen Minuten noch das Leben gerettet hatte, bot ihm an ihn zu stützen. Phos Isand wollte sich nicht von jemandem stützen lassen, der nicht einmal vernünftig auf sich selbst aufpassen konnte, womöglich so jemandem auch noch sein Leben anvertrauen. Das fehlte ihm gerade noch.

So hatte er es vorgezogen, sich an eine westliche Wand zu lehnen und mit einem Blick, den man als Außenstehender nur verwirrt bezeichnet hätte, in die Runde zu starren, während er selbst darauf bedacht war, wieder vollständig Herr über seine Sinne zu werden. Und auch wenn er es sich nach außen hin nicht anmerken lassen wollte war er davon noch weit entfernt. Sein Blick war verschwommen, sein Gleichgewichtsinn gerade ausreichend, um oben von unten zu unterscheiden, und er hatte dieses Pfeifen im Ohr, dieses lästige Pfeifen. Wie durch einen Schleier betrachtete er Frost, der in Richtung des Halbstockwerkes quer über das sicher nahezu vierzig Meter weite Foyer auf zwei Gestalten zuging, wo eben noch der irre Pyromant Luam gestanden hatte. Und auch wenn er nicht erkennen konnte, um wen es sich bei dem Pärchen im Treppenhaus handelte, folgerte der Psioniker, dass die Gefahr gebannt war, jedenfalls hatte die Schießerei aufgehört, was eine Wohltat für seine gequälten Ohren war. Er musste innerlich fluchen, als er fühlte, wie abermals eine warme Flüssigkeit an seinem Kopf herabzufließen begann. Er griff danach und blickte auf den dunklen, fast zähflüssigen Stoff. Er ließ seinen Blick weiter nach oben wandern und musste seine Augen schützen, denn erst jetzt erkannte er, dass dies nicht sein Blut war. Die Statuen waren voll der Trauer, und Blut lief aus ihren Augen und Mündern, Nasen und Ohren, das auf sein Gesicht herunter tropfte. Wie war das möglich? Luam war tot, und auch er war sich sicher, keinen derartigen Fehlgriff getan zu haben. Verwirrt blickte er in Richtung von Frost, der aufgebracht wirkte. Da war es wieder, und diesmal lauter als zuvor, das Pfeifen in seinem Kopf. Er kniff die Augen zusammen und hielt sich beide Ohren zu. Es schmerzte. Das Pfeifen veränderte sich zu einem Surren, und schließlich zu einem Flüstern, das immer lauter wurde, bis Vox schließlich Worte in einer Sprache, die er noch nie zuvor vernommen hatte, hören konnte. Trotzdem verstand er jedes Wort:
<<fffzfzfzzzzz….. WWWir sind uns eben, Beseelter. Der Warp gibt uns Kraft, wir sind eins mit dem Warp. Wir sehen es - Du bist auf der Suche! Du hast vieles bereits erkannt, nicht wahr? Sie sind nicht wie Du, sie sind schwach, sie sind unbegabt, seelenlos. Sie sind Deiner nicht würdig. Sie behindern Dich, verzögern Dich. Aber Du kannst Deinen Weg finden, nur ohne sie. Du siehst es doch auch, nicht wahr?>>
 „Ja, sie sind schwach…“, antwortete Vox trocken.
Die Antwort darauf kam leiser als vorher, und auch verzerrter: <<Ja, das sind sie, schwach, unwürdig, erbärmlich. Du weißt, dass Du Deinen Weg gehen kannst. Du brauchst sie nicht. Deine Mutter hat es Dir damals schon prophezeit.>>
„Meine Mutter war ein Narr, genauso wie mein Vater.“, begann Vox leicht aufgebracht.
Jetzt antwortete ein singender Chor, laut und klar, in hoher Stimmlage: <<Jaaa, weil sie den falschen Weg eingeschlagen hatten. Den Weg eines Dieners, einen Wurmes. Sie haben sich dem Imperator gebeugt. Sie haben ihm ihr Leben gegeben, einfach so, seine linke Hand hat es genommen.>>
„Seine linke Hand?“, antwortete der Psioniker verwirrt.
Die Stimme einer alten Frau, kratzig und schrill, meldete sich nun zu Wort. <<Die Inquisition hat sie geholt, sie hat keinen am Leben gelassen.>>
Auch wenn sich die Antworten grundverschieden in Vox´s Kopf manifestierten, so wusste er doch, dass sie immer den gleichen Ursprung hatten.
„Sie hat mich am Leben gelassen… “
Vox hörte sich nun selbst. Überrascht musste er feststellen, dass er seine Stimme noch niemals unverfälscht wahrgenommen hatte. Zugegebenermaßen hatte sie etwas Unangenehmes an sich: <<…Um Dich zu versklaven. Um Dich zu ihrem Diener zu machen. Um Dich im Namen des falschen Imperators zu knechten. Siehst Du sie nicht, die Ironie?>>

Vox öffnete die Augen. Der Schmerz war weg, die Übelkeit vergessen, sein Blick frei. Endlich war ihm alles klar. Die Szenerie um ihn herum hatte sich stark verändert. Er sah die von Reif überzogenen Carapace-Rüstungen der Arbitratorem furchtvoll zittern, als Dvorov der Kopf abgebissen wurde. Das Knacken des Rückgrats ging durch Mark und Bein. <<Nutzlos und schwach>>, schoss Vox’ Stimme ihm in einer über alle Maßen überheblichen Art und Weise durch den Kopf. <<Wie Du es immer schon gewusst hast>>. Er sah Lucius schmerzverzerrten Gesichtsausdruck als die ersten Rippen zu brechen begannen. Vox kam der Gedanke in den Sinn, dass sie verglichen mit der brutalen Gewalt, die der Daemon aufzubringen im Stande war, nichts weiter als dürren Holzästen glichen.

Das Unwesen erschien ihm vor seinem sechsten Sinn wie ein einziges grelles Leuchten im realen Raum, die Verbindung, die das Wesen in die Untiefen des Empyreums darstellte, war massiv und überwältigend. Jegliches Wissen über Derartiges war im Imperium per Todesstrafe verboten, und doch faszinierten den Psioniker schon immer all diese Dinge, wohl gerade auch, weil sie verboten waren. Er war kein Experte auf diesem Gebiet, aber dennoch ahnte er, dass keine Waffe, die der Ordo Malleus hier aufzubieten vermochte, es würde zur Strecke bringen können. Eine Ahnung schoss in ihm hoch, eine überwältigende und endgültige Empfindung - noch nie zuvor hatte Vox das Gefühl gehabt, dem Tode so nahe zu sein wie in diesem Moment. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, einen anderen Weg zu finden.

„Wie kann ein Mann über Nacht so mächtig werden? Lucrés war ein Feigling, ein Psioniker, der sich über Jahrzehnte lang versteckt hatte.“
Die Stimme war jetzt ein Flüstern und schmatzte genüsslich vor sich hin. Es klang so widerwärtig, dass Vox sich anstrengen musste, nicht die Fassung zu verlieren. <<Ja, er ist schwach, und dennoch. Wir gaben ihm Kraft. Kraft, die Du suchst. Perfektion! Etwas, das Dir sonst niemand geben kann. Nicht Frost, nicht Railoun und auch nicht Varitani. Doch Du bist würdig. Du bist stark. Du hast nichts Geringeres verdient. Es ist Zeit, Deine Fesseln endlich zu lösen!>>

Phos vernahm einen Schrei. Es war die zarte Stimme Van‘Sovreans, die schockiert nach Lucius rief, als sich der Daemon seinem Anführer zuwandte. Den toten Körper des Chasteners Dvorov ließ das Wesen fallen wie einen unnützen Sack. Nicht mehr lange und der Kopf der Truppe würde abgeschlagen werden - im wahrsten Sinne des Wortes. Die ersten Arbitratoren hatten sich dazu entschlossen zu schießen - ungeachtet der Gefahr, auch ihren Anführer dabei treffen zu können. Vox konnte es ihnen nicht verübeln. Es war ein Überlebensinstinkt, dem sich nur die wenigsten in einer derartigen Situation würden entziehen können. Darauf waren sie nicht vorbereitet – darauf war niemand von ihnen vorbereitet. Die Treffer, die das Biest hinnahm, vermochten entweder nicht einmal den Panzer der Kreatur zu durchdringen oder wurden von dem ständig an ihm herabfließenden schwarzen Blut in Windeseile wieder geschlossen. All das bekräftigte ihn nur noch weiter in seiner todbringenden Vorahnung.

„Meine Eltern waren Narren und die linke Hand ist wertlos verglichen mit dieser Gewalt. Wie bei allen Mächten dieser Welt, wie kann ich so mächtig werden?“
<<Wir kennen Wege! Wir zeigen Wege. Du wirst einen Fokus erhalten. Er wird Dir Macht verleihen. Macht, die seines Gleichen suchen wird. Er wird Dich erleuchten. Du wirst durch die Sterne wandern. An einem Tag wirst Su viele Welten verschlingen, an einem Tag wirst Du ganze Sektoren versklaven. Unzählige werden Dir folgen. Du bist stark. Du weißt es. Du hast es immer gewusst. Du…>>

Vox hörte nicht mehr hin. Er sah es jetzt auch. Das, wonach er schon die ganze Zeit gesucht hatte. Das fehlende Stück des Puzzles. Das unheimliche Strahlen der Warpentität hatte seinen sechsten Sinn so sehr geblendet, dass er es zuerst nicht wahrnehmen konnte. Der Riss im Realen, erzeugt von einem Stück Metall, verborgen unter einem Horn der Bestie. Einen so mächtigen Daemon hält ein Gefäß wie Lucres nicht so leicht. Das war jedenfalls die einzige und letzte Hoffnung gewesen, an die er sich geklammert hatte, und die flüsternde Stimme in seinem Kopf hatte seine Vermutung jetzt bestätigt – er hatte Hilfe, die er immer noch bei sich trug. Er blinzelte und fokussierte seinen Geist noch stärker auf den Rumpf des Wesens, bei dem er die Quelle des Risses wahrnahm. Ein Stück Metall, ein Griff, eine Klinge… natürlich!
„Der Daemon hat ein Horn in der Bauchgegend. Darunter befindet sich ein Dolch. Er muss aus seinem Körper! Es ist wahrscheinlich sein einziger Schwachpunkt. Tut es!“, herrschte Vox telepathisch seine Mitakolythen an!
Kreischend fuhr die Stimme durch seinen Kopf: <<Was tust du?! Du Narr! Du geblendetes nutzloses Gefäß! Du…>>

Vox unterbrach die Stimme in seinem Kopf und begann auf eine ruhige, eindringliche und unheimlich wirkende Art zu sprechen, dass die Entität in seinem Kopf verstummte. „Schweig, nutzloses Ding! Eine schmutzige Straßenhure wirkt verführerischer auf mich! Ich soll Dir helfen?! Dir, den ich so leicht für meine Ziele ausnutzen konnte? Jämmerlich und schwach sind nicht sie, das bist Du selbst! Verschwinde aus meinem Kopf, widerliche Warpkreatur, und zwar jetzt! Und sieh her, wozu seine linke Hand im Stande ist  - die linke Hand unseres Gottes!“

Stille. Endlich hatte Vox wieder Ruhe, und noch war es nicht zu spät, um sein persönlich gesetztes Ziel, nämlich einen ruhmreichen Missionsabschluss, in die Tat umzusetzen. Auch wenn dies jetzt, so musste er sich eingestehen, nicht mehr ausschließlich in seinen Händen lag – aus einem für ihn nicht ganz nachvollziehbaren Grund war er jedoch plötzlich zuversichtlich. Seine Mitakolythen würden ihren Teil beitragen, dessen war er sich sicher, so wie er seinen beitragen würde! Lucius war noch am Leben, der Daemon kurz von dem massiven Kronleuchter abgelenkt. Die Gelegenheit! Die fünf noch lebenden Arbitratoren, die sich in seiner Nähe befanden, blickten Vox fassungslos und mit einem Hauch von Entsetzen an, als dieser sich aus seiner Deckung begab um direkt auf den Daemon zu zu marschieren, welcher sich gerade wieder aufzurichten begann, um sein Werk an Frost zu vollenden. Vox wusste, dass es verrückt war, aber noch verrückter wäre es gewesen, untätig zu bleiben. Auch den unzähligen Augen des geflügelten Schnabelwesens entging der Psioniker nicht, der sich in Verachtung seines eigenen Lebens völlig ohne jegliche Deckung auf ihn zu bewegte. Der Mann lief nicht, er ging einfach nur gemäßigten Schrittes auf ihn zu, welch Anmaßung! Ihn würde Lucrès als nächsten vernichten! Im gleichen Moment, als er Lucius Körper zwischen seinen Klauen endgültig zerquetschen wollte, meldete sich Vox zu Wort. „Vynnor Lucrès, Letzter des Hauses derer von Lucrés, ich befehle Dir, lass den Mann los und stelle Dich einmal in Deinem erbärmlich Leben zum Kampf!“ Vox begann beinahe zu taumeln. Der Wille des Ungeheuers war eine zähe sich ständig verändernde Masse, und er fühlte ihn jetzt ganz deutlich. Er stand der Stärke seines Körpers um nichts nach, ja übertraf diese wohl sogar noch. Unter normalen Umständen hätte der Daemon Vox´ Geist bei dem Versuch manipuliert zu werden einfach zermalmt. Doch Vox fühlte dass er einen Nerv getroffen hatte, und das sicherte ihm seinen Erfolg. Der Daemon schenkte Lucius keine Sekunde länger Beachtung, ließ ihn los und wandte sich Vox zu.

 <<Du kleiner dreckiger Wurm, so redet niemand mit mir!>> In diesem Moment war Vox sich nicht sicher, ob das Handeln des Wesens eine Reaktion auf seine Herausforderung oder einer erfolgreichen telpathischen Suggestion war. Das Resultat sollte jedenfalls das Gleiche sein.
Lucius schien gerettet - vorerst. Vom festen Griff des Daemons erlöst ging der Leitwolf zu Boden, etliche Knochen gebrochen, doch er war am Leben – das zählte. Langsam wurde dem Psioniker wieder schummrig im Kopf, was jedoch auch daran liegen mochte, dass ihm langsam völlig bewusst wurde, gerade einen tödlichen Daemon auf sich gehetzt zu haben. Vox zuckte zusammen, als einen Daemon einen Satz in seine Richtung machte. „Der Dolch! Jetzt Pater! Jetzt oder nie!“, ertönte der Ruf des Psionikers im Kopf des Sternengeborenen.

„Die Häretiker dürsten nach dem reinigenden Feuer aus Schmerz und Absolution. Sie brauchen nicht zu fürchten, denn wir sind hier um es Ihnen zu gewähren“, trug die tiefe Stimme Thracians von der Treppe in das Foyer, nachdem der Hexer gefallen war. Er wurde von der fast stürmischen Umarmung der viel kleineren Adeligen geradezu überrumpelt und widerstand dem ersten Impuls, sie von sich zu stoßen. Gerhart mochte es nicht, ohne Vorwarnung berührt zu werden, doch er sah die Erleichterung in den Augen Van‘Sovreans. Es war keine unlautere Absicht, die aus der Suche nach körperlicher Nähe sprach, sagte er zu sich selbst. Er erwiderte die Umarmung zwar nicht, ließ sie jedoch schweigend zu und hob etwas ungeschickt die rechte, bionische Hand um Cattaleya beruhigend auf den Rücken zu klopfen. Er suchte gerade nach den passenden Worten, um ihr würdig und doch bestimmt klar zu machen, dass der Kampf noch nicht gewonnen sei, da löste sie sich ganz von selbst von ihm.

„Ihr braucht euch nicht zu entschuldigen, Cattaleya, Extremsituationen wie diese können dazu verleiten, sich ungebührlich zu benehmen“, brachte Gerhart in zunächst beruhigendem, danach immer zögerlicherem Tonfall hervor, als die junge Frau mit kaltem Schrecken auf eine ihrer Zwillingsklingen blickte. Sein Blick erfasste suchend Lucius, welcher von einer inneren Unruhe beseelt war, wenige Momente, bevor die Treppe in einer Kakophonie aus berstendem Holz, Stein und Eisen zerbrach.

Noch während sich der Staubschleier in dem Raum legte, spürte Thracian die Präsenz von etwas Unheiligem, lange, bevor seine Augen die Bestie wahrnehmen konnten. In sich fühlte er die Bestimmung, seine Bestimmung, die Aberration des Warps zu stellen und zu bekämpfen. Oben auf der Galerie war der Schleier aus feinen hölzernen und steinernen Staubpartikeln am hartnäckigsten, lag sie doch in einem natürlichen Windfang, zu welchem der heulende Sturm, welcher durch das Dach hereinfegte, wenig direkten Zugriff hatte. Der Glaubenskrieger tastete stumm und mit eiserner Miene unter dem Carapace-Helm nach dem Geländer, um seinen Weg zur Treppe zu finden. Rechts von ihm tauchte eine weibliche Marmorbüste aus dem Zwielicht auf, welche schwarze Tränen weinte.
<< Nein! >>
Ein seltsam metallischer Geschmack lag auf Gerharts Zunge als sich die Figur aus dem Staub - ? -  aus dem Dampf der Hygienekabine schälte. Olivia Novarst war eine herausragende Pilotin und zu Recht als die beste Staffelführerin des imperialen Schlachtkreuzers bekannt. Gerhart maß sie mit lüsternem Blick. Sie war auch vollkommen zu Recht aufgrund anderer, eher körperlicher Vorzüge bekannt. Ihre kurzen schwarzen Haare waren noch nass von der Dusche und die Adlertätowierung prangte stolz an ihrer linken Schulter. Der junge Offizier verfolgte mit seinen feingliedrigen Fingern die Schwinge des imperialen Symbols, wie sie vom Schulterblatt über das Schultereck zog und lies seine Finger danach an der Klaue herabgleiten, bis er sich nicht länger halten konnte und sie wild küsste, während er ihr einen herben Klaps auf den Hintern gab. Sie erwiderte seinen Kuss heftig und stieß ihn nach hinten, so dass sie gegen den Spiegel knallten. Dieser krachte wie mehrere Schüsse, was Gerhart jedoch nur am Rande wahrnahm. Die Nässe ihres nackten Körpers drang langsam durch seine gestärkte dunkelgrüne Uniform. Sie löste sich kurz von ihm, grinste und flüsterte ihm ins Ohr: „Du wildes Tier!“, um ihn daraufhin schmerzhaft ins linke Ohr zu beißen.  „Warte nur, bis ich anfange“, knurrte Gerhart spielerisch und nagte an ihrer vollen Unterlippe.
Emotionen durchfluteten ihn. Sie waren beide auf dem aufsteigenden Ast einer strahlenden Flottenkarriere. Bei dem letzten Schlag gegen die Piraten an den Grenzwelten hatten sie sich beide durch außergewöhnliche Disziplin und Ruchlosigkeit einen Namen gemacht. Was waren schon die geopferten Entermannschaften im Gegensatz zu dem Ruhm? Niemand würde sich an die namenlosen Toten erinnern, die er wie in einem Regicide–Zug geopfert hatte. Sein Name jedoch würde noch in hunderten von Jahren als leuchtendes Beispiel in der Tactica Imperialis erwähnt werden. Ja, Thracian wollte hoch hinaus, ein eigenes Kommando war das mindeste, was in seiner Reichweite lag. Und er wusste, dass er sich mit den passenden Leuten umgeben musste. Die Gruppe aus ehrgeizigen jungen Männern und Frauen war an Bord der Jocasta dafür berüchtigt, ebenso gut aussehend wie herausgeputzt und draufgängerisch zu sein. Vor keinem Risiko zurückzuscheuen und bei ihren Feiern dem dekadenten Stil der Adeligen in nichts nachzustehen. Dies war sein Leben!  … Dekadenz? … Selbstsüchtigkeit? … Ehrgeiz? … Lasterhaftigkeit? …
Ein reines Licht fiel auf die verblassende Olivia, als Gerhart sie bestimmt von sich schob. Er erkannte es wieder. Es war das Licht, welches er gesehen hatte, während die Medicae an Bord des Schlachtkreuzers Angevins Hammer nach der von der Inquisition befohlenen Enteraktion um sein Leben gekämpft hatten. Eine einzelne Träne schimmerte im linken Augenwinkel Thracians. Wie gerne wäre er in dieses Licht gegangen, doch es war ihm verwehrt gewesen.

„Noch nicht…“ Glockenrein hatte die Stimme in seinem Kopf gehallt wie die silbernen Glocken in der strahlenden Kathedrale zu Scintilla. Und damals wie heute hatte er so viel Kraft aus dieser Reinheit geschöpft. Das Licht blieb bloß für Bruchteile einer Sekunde bei ihm, doch Gerhart fühlte sich wie neu geboren. In der kurzen Zeit fegte der Glanz all die Illusionen, die ihm der Daemon vorgegaukelt hatte davon wie Staub.

Gerhart war zurück in der tosenden Hölle auf Zumthor, doch selbst als er die geflügelte Gestalt des Biestes sah, kannte er keine Furcht, nur Bestimmtheit und Hass.
Das Kettenschwert halb in der Rechten erhoben gelangte er an das Ende der Treppe und sah den Psioniker auf den Daemon zugehen, sah Lucius zu Boden fallen, sah Cattaleya mit schreckgeweiteten Augen neben sich. Er nickte der jungen Frau zu, als Vox sein Ablenkungsmanöver begann. „Der Imperator beschützt, Cattaleya – und er erwartet. Er erwartet, dass Ihr alles gebt um die Kreatur zu bezwingen. Ich werde Euch die Gelegenheit verschaffen.“
Mit laut surrendem Kettenschwert hastete Thracian mehrere Stufen an die Seite Lucius und hielt die gesegnete Waffe vor dem Abschaum des Immateriums in die Höhe.
„Daemon! Ich kenne Dein Gesicht und es erfüllt mich mit Zorn!“
„Ich sehe Deine unreine Form, Wandler, sie hat hier keinen Platz!
„Ich verdamme Dich und ich befehle Dir, im Namen des Gottkaisers zu Terra,
Weich zurück!“
Wie von einem Hammer getroffen taumelte der Vogeldaemon zur Seite und mit dem Geräusch von reißendem sprödem Leder trennte sich die blutige linke Schwinge des Daemons, welche nach wie vor von dem schweren eisernen Kronleuchter gehalten wurde, von seinem Körper. Taumelnd prallte er gegen die Brüstung der Treppe, um sie zu durchbrechen und mit einem lauten Krachen auf dem Boden daneben aufzuschlagen.
Thracian warf wenig mehr als einen Seitenblick in die Richtung von Lucius und Vox, er konnte ihnen im Moment ohnehin nicht helfen. Mit wenigen Sätzen war er auf der Treppe über dem gestürzten Daemon angelangt und blickte zu Cattaleya hoch, welche auf der Galerie in perfekter Position über ihnen stand. Er nickte ihr zu und hob abermals seine Klinge, während ihn das Monster mit stechenden Augen anblickte.
„Vynnor Lucrés, im Namen der heiligen Inquisition und des Imperators verurteile ich Dich für Deine Sünden zum Tode. Möge ER Dich unbarmherzig richten!“
Mit diesen Worten warf sich der schwarze Priester mit singendem Kettenschwert nach unten und in die wartenden Fänge des geschnäbelten Monsters.

Cattaleya hatte ihren Blick noch immer auf ihre Energieklinge fixiert, als sie bereits ahnte was passieren würde. Der Zwilling ihrer uralten Klinge nahte, der Daemon musste Sovrean immer noch in seinem Körper tragen. Die Stimme Gerharts erschien ihr weit entfernt zu sein, und sie verstand nur einzelne Silben. Die schiere Gewalt des Wesens bereits am eigenen Körper erlebt, quoll eine tief sitzende Angst in ihr hoch, und als die rote Klinge in ihrer Hand plötzlich so grell zu leuchten begann, dass sie  geblendet wurde…
…?...
…war sie wahrscheinlich eine der glücklichsten Frauen des Imperiums. Bei dem Gedanken daran, wie viel sie auf sich nehmen musste und an welch gefährlichen Ort sich dafür zu begeben hatte, lächelte sie. Sie konnte die Sorgen in Lucius Gesicht sehen, wenn er sie anblickte. Doch Cattaleya war zuversichtlich, denn alles was für den Moment zählte war, dass sie zusammen waren. Varitani, Immarut und die anderen durchsuchten einen fernen Teil des unterirdischen Komplexes. Sie waren getrennt von den anderen, ein seltener Moment, den sie sich nicht von ihrer Umgebung, die sich in all ihren Facetten danach zu sehen schien die Eindringlinge zu vernichten, zerstören lassen wollte.

Ständiges Tropfen undichter Leitungen verursachte ein buntes plätscherndes Orchester. Der Rest ihrer Umgebung war undeutlich, grau, vernebelt wie durch einen Schleier, aber was spielte es schon für eine Rolle. Wichtig war nur, dass sie vereint waren, dass sie endlich glücklich war, dass sie zum ersten Mal geliebt wurde. Ein Lachen unterbrach jäh und scharf ihre Gedanken, es war tief, sonor und markerschütternd, und ließ ihre Sicht verschwimmen. <<MAAHHAHAHAAA…. dummes Kind, Du wirst das alles verlieren, alles was Du Dir jemals gewünscht hattest, ALLES. Sieh nur!>>

Etwas Unmenschliches erschien, schnell und plötzlich, wie aus dem Nichts. Seine Haut rosafarben, der Körper humanoide, aber riesig, sehnig, muskulös, gebeugt, gehörnt… und kräftig. Ein mächtiger Hieb stieß Lucius zur Seite. Sein Körper beschrieb einen weiten Bogen und krachte mit ungeheurer Gewalt gegen eine Wand, wo er völlig regungslos liegen blieb! „LUCIUS!“ schrie sie voller Entsetzen. Das Wesen war schnell, unglaublich stark, und schwer. Sie konnte sich nicht wehren, nichts tun, hilflos auf den Rücken gepresst wie eine Schildkörte konnte sie nur strampeln, doch er war über ihr, er leckte an ihr, das widerliche Ding. Sie war ihm ausgeliefert, doch hatte sie ihre Gedanken nicht nur hier. Immer wieder versuchte sie ihren Kopf zu drehen um Lucius zu finden, zu sehen, wie es ihm ging, doch es war ihr nicht möglich, das Wesen war zu kräftig, zu stark… Es zerriss ihr die Kleider bis sie fast völlig nackt war. Eine plötzliche Übelkeit übermannte sie, als sie den Unterleib des männlichen Wesens erblickte und erkannte, was gleich passieren würde. Alles schien ihr jetzt wieder wie eine Ewigkeit vorzukommen, der Moment erschien wie eingefroren, und sie konnte nichts tun als hilflos zusehen… hilflos zusehen, wie sie ihr gesamtes Leben in Angst verbrachte, vor dem was kommen möge!

Neues Leben durchflutete in dem Moment ihren Körper, als die lichte Gestalt einer Frau vor ihren Augen auftauchte und ihre restliche Umgebung langsam verblasste. Es war die wunderschönste Frau, die Cattaleya je in ihrem Leben gesehen hatte. Sie lächelte und sprach: „Mein Engel, denke daran was ich Dir über das Leid dieser Welt erzählt habe! Sei unbesorgt, Deine Flügel werden Dich überall hintragen, wohin Du auch willst! Deine Freunde brauchen Dich, ER braucht Dich! Und jetzt geh und siege! Der Imperator beschützt!“ – es war das Antlitz ihrer toten Mutter.

Wie von einem mächtigen Stoß erfasst war sie wieder zurück im verwüsteten Foyer derer von Harholdt, und musste erst einmal tief Luft holen. Die abschließenden Worte Gerharts gingen ihr durch den Kopf! „Der Imperator beschützt!“, sie glaubte in diesen Moment nicht nur daran. Nein, sie wusste es! Es dauerte einige Augenblicke, bis sie das ganze Ausmaß und die Bedeutung der Situation begriffen hatte, in der sie sich jetzt befand.

Pater Thracian war soeben mit heulendem Kettenschwert auf dem gewaltigen Leib des am Boden liegenden Daemons gelandet. Dieser fuhr herum, um den Priester mit seiner rechten Pranke zu zerreißen, doch der Mann hielt mit eisernem Willen und scheinbar übernatürlicher Kraft stand. Eine Fontäne violetten Blutes ergoss sich über den Boden des Foyers als Hieb gegen Hieb prallte und sich die Zähne des rechtschaffen geführten Kettenschwertes wild in die Pranke der Beste fraßen. Der Daemon heulte auf, doch er war lange nicht besiegt. Stattdessen benützte er seine andere klauenbewehrte Hand um den jetzt wehrlosen Priester einen mächtigen Schlag gegen die rechte Seite seines Brustkorbs zu versetzen, welcher ihn etliche Meter zur Seite schleuderte. Für einen kurzen Moment schien alles verloren. Lucrés überkam ein kurzes Gefühl von Hochmut, aber dieser sollte nicht lange währen. Erst jetzt erblickten die dutzenden Augen des Wesens ein ihm bekanntes Gesicht. Die Augen glasklar, ihr Blick fest entschlossen, Bewegungen voll Energie und Leidenschaft, doch etwas war diesmal anders… konnte es möglich sein…. die Mundwinkeln ihrer vollen Lippen leicht gehoben…sie hatte ein Lächeln auf ihren Lippen!

Der Kletterhaken war am Geländer des ersten Stockwerks perfekt gesetzt geworden, der Absprung aus dem Halbstockwerk auf die Sekunde genau abgewartet. Wie eine Zirkusakrobatin hatte sich der kleine, schlanke und in schwarz gekleidete Körper Cattaleyas mit ihrer linken Hand an dem Seil festgehalten, die Energieklinge Vaniryl in der rechten Hand. Als sie das Seil losließ nutze sie den Schwung der Bewegung und vollführte eine Punktlandung auf dem Bauch der Kreatur – vorbei an dessen rechter Pranke, in der sich immer noch das Kettenschwert Thracians fauchend verkrallt hatte, vorbei an der linken Klaue, die den Priester erst vor einer Sekunde mit voller Wucht erfasst hatte.

Dies war der perfekte Augenblick – das wusste sie. In diesem Moment war der Daemon komplett wehrlos. Sie rammte die rote Klinge Vaniryls in den Bauch des Wesens. Alle Kraft, die ihr gegeben war, zusammen nehmend nutze sie Vaniryl als Hebel und riss an dem Horn. Blitze stießen aus der Wunde des Daemons und beinahe gleichzeitig fingen Lucrés, Cattaleya und auch Vox - von Schmerzen gepeinigt - an zu schreien. Aber Cattaleya gab nicht auf. Ihre Flügel würden sie tragen, das wusste sie. Sie ignorierte das Leiden, das ihren Körper durchströmte und zog noch ein letztes Mal und noch fester daran. Ein dumpfer lang hallender Knall ertönte, den man noch kilometerweit in der einsamen Winterlandschaft rund um das Anwesen derer von Harholdt hören konnte, als Cattaleya, von einer mächtigen Druckwelle erfasst, von dem Körper des Wesens weggeschleudert wurde - das Horn des Daemons in Händen, an dessen Unterseite eine goldene, unheilige Klinge blitze.

Der Schrei des Daemons, als er verwelkte, sollte an Widerlichkeit und Abscheulichkeit bis zum heutigen Tage unübertroffen bleiben. Überzogen von Blitzen, die sich wie schwarze Zungen in alle Richtungen austreckten, als würden sie versuchen, sich im Materium festzuhalten, stoppte der scheinbar unendliche Fluss aus schwarzem Blut, der bislang seinen Körper überzog. Seine Schwingen zerfielen zu Asche und seine Beine verbrannten ihm noch am Leibe in violettem Feuer. Wie ein widerwärtiger Fötus begann sich der Kopf von Lucrés wieder aus seinem Rumpf zu erheben, während die dutzenden Augäpfel, die seinen gesamten Oberkörper bedeckten, einfach aus ihren Höhlen fielen und der massive Körper langsam zu schrumpfen begann.

Schließlich war der Daemon endgültig aus seinem Gefäß gewichen und Vynnor Lucrés war wieder er selbst, zumindest der erbärmliche Rest, der von ihm noch übrig blieb. Seine Haut war wund und er blutete am gesamten Körper. Seine Beine waren nur noch verkohlte Stümmel, seine Hände dürr und ausgemergelt. An seinem Bauch klaffte eine tiefe Wunde und es fehlte ihm ein Auge… er hustete rotes Blut.

Die rechte Hand auf die linke Seite seines Brustkorbes gepresst, hatte sich Lucius mit schmerzverzerrtem Gesicht an die durchbrochene Brüstung geschleppt. In seiner linken lag die schwere Boltpistole, deren dunkle Mündung das letzte war, was Lucrés in seinem durch und durch verderbten Leben noch sehen sollte. Ein dumpfer Knall ertönte, als sich das Raketengeschoß auf den Weg machte, und kurz darauf platzte der Kopf des Erzketzers wie eine überreife Melone. Erschöpft ließ sich der Ex-Arbitrator auf ein Mauerbruchstück zurücksinken, nahm den Helm ab und entzündete mit zitternden Fingern einen Lho am noch heißen Lauf seiner Boltpistole.

Die geschickte Akrobatin hatte den Sturz gekonnt abgefangen und war beinahe unbeschadet geblieben. Etwas, das man von Thracian, der im südlichen Teil des Foyers zu Liegen gekommen war und sich nun mit grimmigen Gesicht an der Seite hielt, sowie Lucius, an dessen Körper wahrscheinlich jede einzelne Rippe gebrochen war - der jedoch gerade einen ziemlich selbstzufriedenen Eindruck machte - nicht behaupten konnte. Auch der Psioniker namens Isand, der eine üble Kopfwunde erlitten zu haben schien, dürfte schon einmal bessere Tage gehabt haben. Aber all ihre Freunde waren am Leben, es hätte also wahrlich schlimmer kommen können. Erst jetzt fiel der Adeligen auf, dass sie lächelte, ja dass sie es schon die ganze Zeit über getan haben musste, seit sie aus dieser seltsamen Vision zurückgekehrt war – sie musste lauthals und vor Freude lachen: ‚Mutter, mach Dir keine Sorgen, ich werde wie Du eine Dalrea sein, wann immer ich kann!‘ Ihr Blick fiel auf Lucius ‚Und auf Dich werde ich wohl jetzt ganz besonders aufpassen müssen, mein Wolf!‘
Für den Moment zählte aber nur eines – sie hatten gesiegt!

Vox war wenige Momente zuvor mitten im Raum zu Boden gegangen. Das Schließen des Warprisses hatte ihm sehr zugesetzt. Es erforderte ungeheure Anstrengung während der Instabilität nicht von den Untiefen des Immateriums beeinflusst oder in den Wahnsinn getrieben zu werden. Er musste seine gesamte Konzentration darauf verwenden seinen Geist abzuschotten, sodass nicht ein Gedanke übrig blieb, der seinen Körper in dieser Situation hätte aktiv steuern können. Dies war etwas, auf dass einen niemals jemand irgendwo im Universum vorbereiten kann.
 <<Aas! Abschaum! Lügner! Made!>> Vernahm er schließlich ein weiteres Mal die verachtend klingende, telepathische Stimme in seinem Kopf.

 <<Dein Verrat wird dir teuer zu stehen bekommen, oh ja! >> Langsam aber kontinuierlich schien die Stimme leiser und schwächer zu werden.

<<Ich werde Dich suchen, und ich werde Dich finden. Ich werde da sein, verlass Dich drauf. Du wirst leiden, so wie Du es dir nicht in Deinen schlimmsten Träumen vorstellen kannst. Du wirst einen Fehler machen und ich werde auf Dich warten!>>

„Die linke Hand hat gesiegt, Widerling, und sie wird es wieder tun, wo immer sie auftaucht! Such Dir schon mal ein gutes Buch, denn auf mich kannst Du lange warten!“, entgegnete Vox ihm tollkühn und trocken.

<<Ghhhhhrrrrrr>>, war das letzte was Phos Isand seither von dem mysteriösen Wesen aus dem Jenseits gehört hatte.

Sjeg:

--- Zitat --- Allerdings verwirrt mich persönlich der andauernde Perspektivwechsel etwas.
--- Ende Zitat ---

Im Prinzip erzählt jeder Abschnitt den Zeitraum eines Kapitels aus 4 unterschiedlichen Perspektiven (zumindest wenn nicht explizit im Text anders erklärt), wobei jede Perspektive zeitlich immer etwas mehr von dem jeweiligen Kapitel preisgibt. Das hat uns vor allem als Stilmittel gedient, und die Hauptprotagonisten ein wenig näher zu beleuchten. Das das mitunter verwirrend ist, kann ich aber durchaus nachvollziehen. Evtl. könnte man Gedankenstriche einfügen, damit der Szenen und Zeitwechsel klarer verdeutlicht werden? Jedenfalls ändert sich die Erzählweise mit Ende des Präludiums zu einer etwas klassischeren Art.

Freut mich, dass es gefällt. Noch viel Spaß damit.

Arden Etklint Kleist:
Epilog

Die heilige Inquisition des Gott-Imperators hat viele Gesichter. Alle sind hart und unbarmherzig. Denn Barmherzigkeit und Mitgefühl sind Eigenschaften, die sich kein Mitglied der Inquisition leisten kann. Tatsächlich gab es einige Vertreter dieser erhabenen Gemeinschaft, welche nach ihren gerne zitierten großen drei Feinden, die da wären Nichtmensch, Mutant, Daemon, gerne noch Mitgefühl hinzufügen würden.

Die aus gutem und wohl behütetem Hause stammende Adelige würde sich wohl nie ganz an das gewöhnen, was nach jedem Einsatz auf sie zukam. Je schwerwiegender die Ereignisse, desto strenger und härter fiel das Nachspiel aus. Zwölf Vertreter der lokalen Arbitratoren, man hatte ihnen versichert, es sei der hervorragendste, am besten ausgebildetste, ambitionierteste und elitärste Haufen, den Zumthor stellen konnte, waren auserwählt worden, um ein Quartett Thronagenten bei ihrer streng geheimen jedoch mutmaßlich höchst ruhmreichen Mission zu begleiten. Cattaleya hatte das Vergnügen gehabt, jeden von ihnen kennen zu lernen. Tatsächlich waren es hervorragende Männer und Frauen gewesen. Manche von ihnen wild und ungestüm, manche ausgelassene Spaßvögel, andere erfahren und abgebrüht. Doch sie alle teilten die gleiche grenzenlose Ergebenheit zum Imperator und zu der Pflicht, für die sie in seinem Namen ausgewählt worden waren. Sieben von ihnen hatten tapfer ihr Leben lassen müssen. Nur noch fünf von ihnen blieben übrig, und wie Gerhart ihr unmissverständlich zu verstehen gab, würden erfahrungsgemäß noch einmal weit über die Hälfte von ihnen - wenn nicht sogar alle - niemandem von ihren Heldentaten berichten können. Groß war der Einfluss des Chaos gewesen, denen sie alle ausgesetzt gewesen waren, höchst pervertiert der Anblick, den sie alle hatten ertragen müssen. „Nur ein wahrhaft reiner Geist bleibt davon völlig unbeschadet. Wir werden diejenigen, die befleckt sind, richten, auf dass der göttliche Imperator vielleicht noch ihre Seelen retten möge. Es ist besser, tausende Unschuldige zu töten, als auch nur einen Ketzer leben zu lassen.“,  waren die finsteren Worte des Priesters gewesen.
Auch wenn Lucius jedem einzelnen der fünf überlebenden Arbites bewusst die volle Wahrheit über die Natur der „routinemäßigen“ Befragung nach dem Einsatz verschwiegen hatte, so war ihnen doch allen anzusehen, dass sie ahnten, um wie viel mehr es gehen würde. Einer der Gründe, weswegen der Name der Inquisition im ganzen Imperium nur mit Schrecken und oft nur flüsternd erwähnt wurde, war, dass niemand vor ihrer Verfolgung sicher war. Ein kleiner Verdacht würde schon genügen... Frost hatte darauf bestanden, dass Cattaleya diesmal selbst an den Befragungen teilnahm.

Das Verhör, das hauptsächlich der schwarze Priester selbst durchführte, war subtil und methodisch. Während der Kleriker in schlichte, nachtschwarze Roben gehüllt immer gegenüber des Beschuldigten Platz nahm, verweilten Lucius und Cattaleya in einer angrenzenden Observationskammer. Zudem hatte sich ein weiterer Mann hinzu gesellt. Dieser ältere Herr, der lediglich eine schmucklose, graue Kutte trug, hatte sich kurz mit Mandrim Zal vorgestellt und war im Namen der lokalen Behörde des Ordo Hereticus gesandt um den „Selektionsprozess“, wie er es bezeichnet hatte, zu überwachen. Der Begriff 'Stoiker' wäre noch eine lebhafte Umschreibung für den Mann gewesen, denn er gab über den gesamten Verlauf keinen Laut von sich, machte sich nur im Stillen Notizen, welche zweifellos seinem Bericht dienen würden, und schien selbst von der Anwesenheit der schönen Adeligen wenig beeindruckt zu sein – Frost hatte sie später darüber in Kenntnis gesetzt, dass es sich bei ihm um einen Eunuchen gehandelt hatte. Ihr lief bei den Gedanken ein kalter Schauer über den Rücken, dass auch ihnen noch eine ähnliche Untersuchung bevorstand, von Männern wie etwa Mandrim Zal. Ob diese noch hier von den lokalen Behörden oder erst auf Scintilla passieren würde, wusste keiner von ihnen. Sicher war nur, dass es geschehen musste.

Mit Preo Taskk, einem jungen, durchtrainierten Mann, dessen rechter Arm seit dem Zwischenfall im Foyer derer von Harholdt schlaff zu Boden hin, war Gerhart bereits nach etwa zwanzig Minuten fertig. Zwanzig Minuten, in denen der Redemptionist keinen Laut von sich gab und den eingeschüchterten Taskk einfach nur anstarrte. Nach nur fünf Minuten begann der Mann kurz zu kichern, unterdrückte es jedoch sofort wieder. Gerhart sagte nichts, ja, Cattaleya hätte schwören können, der Priester hatte nicht einmal geblinzelt. Beim ersten Mal hatte sie noch nicht verstanden, was den Arbitrator veranlasst hatte, in so einer Situation zu lachen, doch als es sich noch zwei weitere Male wiederholte, war es um Taskk geschehen. Die Festung des Mannes, die ihn vom Wahnsinn um ihn herum hätte schützen sollen, war gefallen. Seine Grundfesten waren unterwandert, und der Makel schlich in den Katakomben seines Geistes umher und war dabei, seine giftigen Fänge weiter auszubreiten. Ihn hatte Frost noch an Ort und Stelle dem Imperator übergeben.

Bei den anderen war der Prozess langwieriger, manche hätten sich aber im Nachhinein wohl gewünscht, ihnen wäre so wie Taskk viel Leid erspart geblieben. Die Tests waren vielfältig. Es reichte von einfachen Befragungen des Wohlergehens, ihrer letzten Träume, ihrer Auffassung zum Imperialen Kredo, ihres Lieblingsgebets oder den einfachen Testen von Reflexen im Kniegelenk, bis hin zu Schmerzempfinden an verschiedensten Stellen und in schwierigeren Fällen, auch in verschiedensten Stärkegraden. Niemand gab ihr über das Urteil über die restlichen Arbitratoren Bescheid, doch alle durften sie die Kammer lebend verlassen. Allein die Tatsache, dass sich Lucius mehrfach kurz mit ihrem Mitakolythen Rubens Arn - Codename Blender - unterhielt, ließ sie darauf schließen, dass die Entscheidungen rasch getroffen wurden.

Die junge Arbitratorin Dorundy war die letzte gewesen, aber Cattaleya hatte bereits genug gesehen und Frost sie gnädigerweise entlassen. Mit einem fahlen Geschmack auf der Zunge verließ sie die Observationskammer. Sie hatte vor, nach Isand zu sehen, der seit dem Tod von Lucrés im Koma lag, dessen Integrität jetzt angezweifelt wurde und dessen Zukunft ebenfalls ungewiss schien. Dabei fiel ihr Blick auf Blender, der an die Verhörraumtüre gelehnt in einer lockeren Haltung Wache stand, als sei es für ihn das natürlichste auf der Welt. Der schneidige Assassine war gerade dabei sich irgendetwas mit einem Zahnstocher aus seinen Zähnen zu holen. Als er Cattaleya in den Augenwinkeln wahrnahm, stoppte er abrupt und leckte sich mit seiner Zunge die Zähne: “Ich wette um heute Nacht, dass die Frau da drinnen keine Stunde übersteht.“ Worauf der Mann anspielte war ihr durchaus bewusst.
Sie verlor keinen Moment die Fassung: „Meinen Glückwunsch, Arn. Das war soeben der pietätloseste Versuch eines Mannes, mit mir die Nacht zu verbringen.“
Ein schelmisches Grinsen war alles, was Cattaleya als Antwort erntete, doch sie verschwendete keinen weiteren Gedanken mehr daran. Viel mehr dachte sie an Dorundy, die in diesem Moment eine der entschiedensten Augenblicke ihres Lebens durchstehen musste. Etwas stimmte sie zuversichtlich. Die Frau hatte etwas Ehrliches und Entschlossenes in ihren Augen. In gewisser Weise erinnerte sie die Aribitratorin an sich selbst. Umso mehr hoffte die Adelige, dass Dorundy morgen noch am Leben sein würde.

Aus dem Orbit betrachtet glich Zumthor mit den zahlreichen Wirbeln und der wolkenverhangenen Atmosphäre der Nordhalbkugel, welche sich unter dem Shuttle präsentierte, einem Gegenstand, an welchen er seit Jahren nicht mehr gedacht hatte. Seine Mutter hatte von einer Pilgerreise nach Maccabäus Quintus eine durchsichtige Plastek-Kugel mitgebracht, in welcher man den Schrein des heiligen Drusus als Miniaturnachbildung sehen konnte. Umgeben war das klerikale Gebäude von zahllosen weißen Kunststoffflocken, welche sich in wildem Tanz um die Kirche drehten, wenn er den Gegenstand geschüttelt hatte. Ähnlich verworren und geheimnisvoll erschien ihm nun der kleiner werdende Planet unter ihm. Er blickte in das gepanzerte Glas und in sein Spiegelbild, halb von Zumthor überlagert, war mehr ein Schemen denn ein wirkliches Abbild. Ein Schemen aus der Vergangenheit…

Was war aus dem klugen Jungen auf Luggnum geworden, dessen Aufgewecktheit stets der Stolz seiner Mutter gewesen war? Er hatte auch lange nicht mehr an seine Mutter, Otthilia, gedacht, diese prägende Person seiner Kindheit. Während seine älteren Brüder von seinem Vater solange er denken konnte auf das Geschäft gedrillt worden waren, hatte er als Nachzügler weniger Aufmerksamkeit von väterlicher Seite „genossen“. Vielmehr hatte er viel Zeit mit den weiblichen Mitgliedern seiner Familie und ihren Geschichten zugebracht. Fast alle von Ihnen waren tiefgläubig gewesen. Nicht gläubig in demselben Sinn, welchen der schwarze Priester Thracian dem Begriff gab, dennoch fest in der Liturgie verankert. Er erinnerte sich an die Geschichten, welche ihm seine Tante von der weiten Pilgerreise nach Maccabäus Quintus erzählt hatte. Eine Welt voll Kälte, Schnee und mit Sonnenlicht, so grell dass es in den Augen schmerzt. Eine Welt voll lichter Reinheit und spiritueller Wahrheit. Als er das erste Mal seinen Fuß auf die Schreinwelt gesetzt hatte, war er schier entsetzt gewesen. Von all den Erzählungen war nur die spirituelle Wahrheit richtig gewesen. Kalt, unnahbar und erbarmungslos waren eher Adjektive, die ihr gerecht wurden. Fern von jeglicher Romantik hatte sie sich präsentiert und ein weiterer Kindheitstraum Lucius‘ war zerplatzt wie die Schneekugel, als sein ältester Bruder Voldro sie gegen den Küchenboden geschlagen hatte, um zu sehen, ob der Schneefall auch nach draußen gelangen würde. Seine Mutter hatte geweint. Dreimal hatte er sie weinen sehen. Zum ersten Mal, als sich Voldro ohne jedes Schuldgefühl gegen seine Bestrafung gewehrt hatte, zum zweiten Mal als Voldro - dieser Bastard – den Mord an ihrem gemeinsamen Vater gestand, und das dritte Mal, als Lucius ihr Lebewohl gesagt hatte. Als er den Handelssitz der Frosts danach aufgesucht hatte, um sich zu verabschieden, hatte er es nicht über das Herz gebracht, sie anzulügen. Gerüchte über die rote Hölle auf dem Anwesen der Grays waren trotz der hohen Geheimhaltungsstufe durchgesickert. Er hatte ihr etwas von einer strahlenden Arbites-Karriere auf Scintilla erzählen wollen, doch schlussendlich hatte er sie fest an sich gedrückt und ihr die Wahrheit so schonend wie möglich beigebracht. Und sie war stolz gewesen - stolz und tieftraurig zugleich.

Lucius Frost riss seine Gedanken aus der Vergangenheit los und seinen Blick von Zumthor. Er trat an die Luke auf der anderen Seite des Shuttles und blickte hinauf auf die majestätische Silhouette der schlanken Sancta Simplicitas, auf welcher sie einen guten Teil der Reise zurücklegen würden.
Ein Agent der heiligen Inquisition – das war aus dem aufgeweckten und belesenen Jungen geworden. Lucius zog einen Lho aus der Brusttasche seines halbzugeknöpften Hemdes, unter welchem die Bandagen sichtbar waren, die ihn seit drei Wochen begleiteten, und entzündete es mit einem Seufzen. Er ermahnte sich, nach vorne zu sehen. Lucrés war tot, sein ketzerischer Dolch geborgen und sicher verwahrt, seine Verbündeten gerichtet, das Anwesen der Harholdts gesprengt. Im Einverständnis mit dem lokalen Büro des Ordos war die Reinigung der Stufe 3 erfolgt, um alles an Landschaft, was dem Makel des Chaos ausgesetzt worden war, endgültig zu tilgen. Wo einst die Harholdts geherrscht hatten, klaffte nun eine breite Spalte im Fels. Offiziell ein bedauerlicher Unfall mit einem defekten Energiewandler, bei welchem das gesamte Geschlecht seinen Niedergang gefunden hatte. Zu seinem Bedauern waren von den überlebenden Arbitratoren nur zwei zu retten gewesen, welche stark genug gewesen waren, von der Präsenz des Daemons nicht verdorben zu werden. Lucius musste husten und hielt sich die schmerzenden Rippen mit zusammengebissenen Zähnen. Diesen Teil seiner Arbeit hatte er noch nie gemocht. Selbstverständlich war sich der Thronagent darüber im Klaren, worin seine Verantwortung gegenüber der Menschheit bestand. Dennoch war er froh, bei den Verhören selten selbst eingreifen zu müssen. Thracian hingegen schien diese Bürde nichts auszumachen. Lucius blies den graublauen Lho-rauch langsam durch den linken Mundwinkel. Mit dem Anliegen eines schmerzlosen Todes hatte er Blender gesandt, um den Willen des Einen geschehen zu lassen, und im gleichen Atemzug für finanzielle Sicherheit der Hinterbliebenen gesorgt, welchen eine raffinierte Lügengeschichte über den heroischen Einsatz gegen ein Unterweltsyndikat präsentiert werden würde. Trotzdem war ein schaler Nachgeschmack zurückgeblieben. Umso mehr, als es ihm bevorstehen mochte, noch einem seiner eigenen Männer das Leben zu nehmen. Isand war noch immer nicht aus dem Koma erwacht, obwohl ihm die Medicae und Chirurgen versichert hatten, dass die Hirnblutung geheilt wäre. Er wäre nicht er selbst gewesen, wenn er Gerharts Wunsch nachgekommen wäre und Vox präventiv hätte entschlafen lassen. Frost zweifelte nicht daran, dass Hrubens den Befehl komptent und ohne zu Zögern ausgeführt hätte. Doch Isand verdiente gerade wegen seiner Sturheit und Eigenwilligkeit mindestens die Chance, sich zu beweisen. Er blickte entschlossen auf die sargartige, stählerne Truhe, in der der Psioniker an zahlreiche Überlebensmechanismen angeschlossen war. Das Gesicht sah mit der verheilten Wunde an der Stirne fast friedlich aus, doch er würde sich nicht täuschen lassen. Seine Hand tastete an die Boltpistole an seiner rechten Hüfte. Er würde bereit sein.

Als Vox blinzelnd seine Augen öffnete, kam ihm sein gesamtes bisheriges Leben wie ein Traum vor. In seinem Fall wie ein langer, schmerzhafter Traum, beziehungsweise wie ein lebendiger Alptraum. Es dauerte keinen Augenblick, da ihm bewusst wurde, dass er nicht geträumt hatte. Als er wieder Herr über seinen Gehörsinn war, ortete er schnell den Grund seines Erwachens. Da war es wieder, dieses widerwärtige Raunen, das von dem Gellarfeld der Sancta Simplicitas erzeugt wurde. Bei ihrem Flug nach Zumthor hatte es den Psioniker beinahe in den Wahnsinn getrieben. Phos war davon überzeugt, dass der Gellarfeldgenerator eine Störung hatte, doch wie sich zunächst herausgestellt hatte, war er der einzige Mann an Bord des weit über einen Kilometer langen Raumschiffes gewesen, der es wahrgenommen hatte. Erst nach mehrmaligem Nachharken hatte er herausgefunden, dass der Astropath an Bord des Schiffes es ebenfalls wahrnahm, es jedoch mangels Vergleich als normal eingestuft hatte. Es änderte nichts daran, dass Vox dieses Schiff hasste, und mittlerweile auch davon überzeugt war, dass diese Fregatte ähnliches für ihn empfand. Nicht umsonst stand in seiner Akte unter negativen Eigenschaften geschrieben: ‚unregelmäßig auftretende, milde Form von Paranoia‘. Davon wollte er selbstverständlich nichts wissen.
 
Erst jetzt bemerkte er Frost, der angeregt von den lauter werdenden Signalen der lebenserhaltenden Maschinen und dem erwachten medizinischen Servitor aufgestanden war, um nach dem Komapatienten zu sehen. Man hatte Vox an mehreren Stellen seines Körpers mit einer Maschine verbunden, die ihn völlig umschloss, wie einen Sarg, dessen Deckel jedoch durchsichtig war. Phos sah zu, wie sein Anführer aufgeregt auf ihn zuschritt und zugleich über Voxkomm mit jemanden Kontakt aufnahm. Den genauen Wortlaut konnte er ob der Entfernung und dem Wirrwarr aus piependen Signalen um ihn herum nicht verstehen. Ein kurzer Moment der Freude durchflutete ihn bei dem Gedanken daran, dass jemand sich die Mühe nahm, während seiner Bewusstlosigkeit über ihn zu wachen. Die angespannte Haltung von Frost, der an seine Boltpistole gelehnte Arm, und der Gesichtsausdruck, der einen Hauch zweifelnder Erleichterung und eine kräftige Prise Entschlossenheit ausstrahlte, ließen ihn diesen Gedanken jedoch schnell verwerfen. Er ahnte jetzt, was gespielt wurde. Frost war nicht hier aus Sorge, zumindest nicht ausschließlich, sondern er hielt Wache. Wache über jemand, der gut und gerne korrumpiert oder sogar besessen sein konnte - und das nicht zu unrecht. Wenn ein Psioniker nach Ereignissen wie jenen aus Zumthor einfach aus den Latschen kippt, ist höchste Vorsicht geboten. Alleine die Tatsache, dass die Ärzte auf Zumthor eine Hirnblutung diagnostiziert hatten, welche einen Überdruck in seinem Gehirn zur Folge gehabt und ihn schließlich ins Koma hatte fallen lassen, hatte Vox es zu verdanken überhaupt noch am Leben und nicht schon auf Zumthor exekutiert worden zu sein. Die örtliche Vertretung des Ordo Hereticus hatte jedoch trotzdem noch auf einen Gedankenscan bestanden, um auf Nummer sicher zu gehen.

Auch wenn Vox im Koma gelegen hatte, eine intime Verschmelzung wie die des Gedankenlesens vergisst man nicht so schnell, vor allem wenn sie unfreiwillig passiert. Noch jetzt hatte Vox das Bild des verdutzten Telepathen vor Augen, als er in seinem Kopf durch kahle weiße Gänge wanderte, voller Türen, hinter denen ebenfalls nur weite leere Gänge warteten. Der Vertreter des Ordo Hereticus ging völlig leer aus, und erst nach mehrmaligen Versuchen und Beteuerungen von Frost, dass sein Psioniker gegen diese Arten von Befragung völlig geschützt sei, auch wenn er selbst nicht wirklich die Bedeutung davon verstand, verblieb die Akolythenzelle dabei, sein Bett ständig zu überwachen um im Falle von Korruption die nötigen Entscheidungen treffen zu können. Ehrlich gesagt wusste selbst Vox nicht, wieso sein Geist eine derartig unüberwindliche Festung darstellte – noch keinem seiner Kollegen war es gelungen auch nur einen Blick darauf zu werfen.
„Na?“ Vox musste husten, als er bemerkte wie staubtrocken seine Kehle war. „Wie geht’s Ihren Rippen, Frost?“
Tatsächlich trug Lucius noch immer einen Stützverband am gesamten Oberkörper unter seiner Kleidung. „Seit wann sind Sie denn um das Wohlbefinden von anderen besorgt, Isand?“. Da war sie, die forschende Strenge in Frosts Stimme, die er erwartet hatte. Vox beschloss einfach ganz natürlich zu wirken, um Frost ja nicht auf falsche Gedanken zu bringen.
„Ich habe Ihnen das Leben gerettet, schon vergessen? Das Knacken der Rippen hat man ja durch das ganze Foyer hören können.“ Vox rang sich zu einem Lächeln durch. „Ich will nur sichergehen, dass sich mein Einsatz gelohnt hat.“
„Sie verdammter Idiot, Isand.“, brach es aus dem Leitwolf entrüstet hervor, „Ich habe Ihnen gesagt, nein befohlen, dass während des Einsatzes absolute Helmpflicht besteht. Aber Sie mussten ihn ja im Rhino zurücklassen. Und versuchen Sie gar nicht erst meinen Intellekt mit der Lüge zu beleidigen, Sie hätten ihn vergessen. Das ist mit Ihrem eigenen Verstand nicht kohärent.“
„Eine feine Art Danke zu sagen haben Sie, Frost. Gefällt mir gut.“, Vox sah, dass sich der Griff seines Anführers um dessen Boltpistole gelockert hatte. Zu versuchen, ihn mit einer Projektilwaffe zu erschießen, wäre ohnehin einer Beleidigung gleichgekommen.
„Wer nicht nach meinen Regeln spielt, hat in meinem Team nichts verloren, Isand. Und das nächste Mal, wenn es heißt: Helmpflicht, dann werden Sie einen tragen, und wenn ich ihn eigenhändig auf ihrem ruinierten Glatzkopf ankleben muss!“
 „Verstanden. Aber das wird nicht nötig sein, ich habe vor bei Ihnen weiterzumachen, ab jetzt mit Helm... Psionikerehrenwort.“ Wie viel man auf das Ehrenwort eines Psionikers geben konnte, dass würde Frost wohl auf die harte Tour herausfinden müssen.
In diesem Moment erst bemerkte Vox den Schatten im toten Winkel seines Sichtfeldes, wo Blender sich auf einen Wink Frosts aus seiner Position löste und die gezogenen Klingen wegsteckte. Mit einem Schulterzucken drängte er sich an Priester Thracian vorbei, der im selben Moment förmlich durch die Türe gestürmt kam, die Hand am Griff seines Kettenschwertes. Er hielt kurz inne, als er sich der Situation versicherte, tauschte einen vielsagenden Blick mit Frost und wandte sich um, um den Raum mit seiner typisch schwebenden Gangart wieder zu verlassen, und, wenn Phos es nicht besser gewusst hätte, mit einem leichten Ausdruck von Enttäuschung, der ihm ins Gesicht geschrieben stand.
„Sie haben also auch anders vorgesorgt. Gut – denn mit der Pistole hätten Sie ziemlich oft auf mich schießen müssen.“
 „Rein nach -“ „- Protokoll“, sagten beide Männer beinahe zugleich, was sie zu einem Schmunzeln veranlasste. „Der Ordo Hereticus wird Sie auf Scintilla ziemlich in die Mangel nehmen, das ist ihnen bewusst, oder?“, fügte Frost an.
Phos seufzte und meinte zynisch: „Aber Sie werden ein gutes Wort für mich einlegen, nicht wahr?“
„Ehrlich gesagt haben Sie einen guten Job abgeliefert, aber das wird unsere Kollegen ziemlich wenig interessieren, fürchte ich. Die Sache mit dem Rhino ist aber im Protokoll. Außerdem erwarte ich ihren Bericht.“
Mittlerweile schien das Eis gebrochen.
„Aber hoffentlich unter dem Motto 'Kreative Eigeninitiative'. Keine Sorge, Frost, ich habe nicht vor, Sie lange warten zu lassen. Holen Sie mich einfach aus diesem verfluchten Maschinensarg und ich werde meinen Bericht in null Komma nichts fertig stellen.“
„Nur mal langsam. Sie bleiben noch mindestens eine Woche hier angeschlossen“, meldete sich schließlich eine Stimme unbekannten Ursprungs irgendwo hinter ihm zu Wort. „Oder wollen Sie riskieren, noch einmal umzukippen, und dann trage ich die Verantwortung für die innerlich verblutende Schweinerei, die Sie zurücklassen.“ Vox mutmaße, dass es sich um einen Arzt mit Tendenz zum Makaberen handeln müsse.
„Das tut nichts zur Sache! Ich verlasse mich lieber auf meine Selbstheilung, als auf ihren Maschinenkram, von dem Sie wahrscheinlich auch noch weniger verstehen als ich.“ Vox wirkte ob des Widerspruchs empört, was seiner ohnehin unangenehmen Stimme ein kratziges Begleitgeräusch verlieh.
„Ist der Mann immer so... anstrengend?“ gab der Arzt wohl an Frost gewandt in relativ gelassenem Tonfall von sich. Die politisch korrekt formulierte Betonung des Wortes anstrengend war dabei nicht zu überhören.
„Ja, absolut immer...!“ kam da die Antwort von Frost fast wie aus der Boltpistole geschossen.


In der Stille der Morgenstunden ertönte das Klacken seines bionischen linken Fußes geradezu hallend durch die halbleeren Hallen und Gänge im Turm des Ordo Hereticus. Gerhart trug eine frische schwarze Ordensrobe der schwarzen Bruderschaft von Maccabäus Quintus aus schwerem Stoff, geziert von dem blütenweißen, dreieckigen Brustteil, auf welchem eine schlichte goldene Aquila prangte. Die Schritte seiner Bewacher waren trotz ihrer schweren rot-goldenen Carapace-Rüstungen kaum hörbar, als die beiden Männer in einem kleinen Respektsabstand hinter dem Hünen her schritten.

Thracian nahm es ihnen nicht übel. Sie taten nur ihre Pflicht, so wie er auch. In wenigen Stunden würde er sich in die Hände des Ordo Hereticus begeben, um geprüft zu werden, so wie er die Arbitratoren auf Zumthor geprüft hatte. Er dachte ohne Furcht daran. Er hatte nichts zu verbergen, Terra war mit ihm. Würdevoll durchquerte das Gespann eine breite Halle, deren große Fensterfront einen beeindruckenden Blick über das Meer bot. Die See schien fast ruhig zu sein, sich sonst wild gegen die Klippen werfemd. Ein oranges Glimmen zeigte den Ort an, wo sich der Stern des Sektors bald aus den Fluten heben würde, um die Spitze der Makropolwelt in sein Licht zu tauchen. Gerhart hielt einen kurzen Moment an und lies seinen Blick auf dem leuchtenden Palast des Sektorgouverneurs ruhen, dann ging er die letzten Schritte auf den Alkoven zu, welcher von den Messingstatuen zweier verstorbener inquisitorialer Würdenträger flankiert wurde. Die stahlgrauen Augen des kantigen Mannes mit dem unnahbaren Gesichtsausdruck musterten ihn, ohne eine Gefühlsregung zu zeigen. Thracian verbeugte sich leicht und erwiderte danach den Blick Inquisitor Varitanis. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt fiel dessen Blick rasch auf den Koffer in Gerharts linker Hand, der mit einer Kette an dem bionischen Ersatzglied fixiert war.
 „Wie geht es Isand?“
Gerhart hatte nicht damit gerechnet, dass der Inquisitor, den er als zielgerichteten Mann kannte, als erstes diese Frage stellen würde.
„Dem Anschein nach ist er auf dem Weg der Besserung“, brummte der Kleriker.
„Sie klingen beinahe enttäuscht. Offensichtlich hegen Sie für den Psioniker ähnliche Gefühle wie für das Ihnen überantwortete Beweismittel.“
Es war kein Geheimnis, dass sich der schwarze Priester dagegen ausgesprochen hatte, den Dolch Lucrés, die Wurzel des Übels, nach Scintilla zu bringen. Ein solcher unreiner Gegenstand konnte nur einem Ziel zugeführt werden: Dem der Vernichtung. 
„Und aus ähnlichem Grund, Inquisitor. Ich halte beides für ein unnötiges Risiko.“
„Das Risiko lassen Sie meine Sorge sein, Thracian.“ Etwas weniger energisch danach: „Selbst ein Mann in meiner Position kann nicht immer das tun, was er selbst tun möchte. Ich denke, Sie können diesen Standpunkt nachvollziehen.“
Der ehemalige Raumflottenoffizier kniff die Augen zusammen. „Ihr seid der Inquisitor, Varitani. Ihr seid mir natürlich keine Rechenschaft schuldig. Ebensowenig wie ich Euch darüber Rechenschaft schuldig bin, wenn ich in naher Zukunft ein besonderes Auge auf Isand haben werde.“
Er bückte sich um mit den feingliedrigen Fingern der linken Hand die gengesteuerte Verschlüsselung des Koffers zu lösen. Mit spitzen Fingern übergab er die Schatulle an Varitani.
Der Inquisitor nahm den Gegenstand in Empfang. Mit einem knappen „Der Imperator beschützt“, welches der Kleriker umgehend erwiderte, wandte sich der Mann in seinem taillierten Ledermantel rasch zum Gehen um. Auf halbem Weg aus der Halle drehte er sich noch einmal um, als Gerhart gerade zu seinen Bewachern aufschloss.
„Und, Thracian … passen Sie auf sich auf!  … Ich erwarte den Bericht ihrer Zelle bis spätestens übermorgen.“
Der finstere Kleriker musste trotz seiner Natur lächeln. Gemessen daran, dass die Verhöre durch den Ordo Hereticus bis zu drei Tage in Anspruch nehmen konnten, gab man ihm hier unmissverstehlich zu begreifen, dass ihr Inquisitor damit rechnete, seine Akolythen rasch vollzählig wiederzusehen. Er richtete sich auf und straffte seinen Rücken. Mit dem Koffer und seinem unheiligen Inhalt war eine Last von ihm gefallen, welche ihm erst jetzt, da sie ein anderer trug, vollständig bewusst wurde. Er beneidete ihren Träger nicht, doch er war weit davon entfernt sich um ihn Sorgen zu machen.

40 Stunden später…

Mit einem erleichterten Seufzen zündete sich der sehnige junge Mann einen Lho-stick an, welchen er soeben aus der Brusttasche seines etwas zerknitterten Hemdes gezogen hatte. Er ignorierte den missbilligenden Blick eines karmesinroten Inquisitions-Gardisten und trabte durch den langen Gang, welcher ihn von Interrogator Railouns Büro weg in Richtung Ausgang bringen würde.
Mehr und mehr erschienen ihm die Erlebnisse auf Zumthor wie ein böser Traum, akzentuiert von den stundenlangen Befragungen durch die Prüfkommission, der sein gesamtes Team nach ihrer Rückkehr ausgesetzt worden war. Er inhalierte tief und blies den Rauch gedankenverloren aus dem linken Mundwinkel. Wie so oft hatte man Pater Thracian nach nur zwei Stunden als erstes entlassen, gefolgt von Granit und Blender, denen der Großteil der unangenehmen Erfahrungen erspart geblieben war. Lucius war als nächster entlassen worden und hatte draußen gewartet, bis auch Honeymoon und Vox für weiterhin einsatzfähig befunden worden waren. Seine Lhos waren ihm in den Stunden, die sie auf den Psioniker hatten warten müssen, ausgegangen, und die verhohlenen Laute, welche aus den schallgedämpften Kammern gedrungen waren, hatten nicht dazu beigetragen, die in ihm aufsteigende Unruhe zu lindern. Zum Glück hatte er in Cattaleya eine Begleiterin gehabt, die es verstanden hatte, ihn mit gehaltvollen Gesprächen abzulenken, bis Isand noch übellauniger als sonst, humpelnd, mit einigen blauen Flecken und einem nicht jugendfreien Fluch auf den Lippen zu ihnen gestoßen war.
Er blies die Sorgen mit einem kleinen Rauchkringel fort. Mittlerweile war sein Bericht auf dem Schreibtisch von Varitanis Interrogator angekommen, das letzte Mosaik des Falles war somit an seinen Platz gelangt.
Die Akte Vynnor Lucrés war geschlossen.

Frost war mittlerweile durch die Sicherheitsschleusen gelangt und bei seinem fahrbaren Untersatz angelangt. Fast zärtlich glitt seine Hand über den eleganten Rumpf der schnittigen Kathro-Sennis 3-24. Er schwang sich mit einer flüssigen Bewegung in den Sattel und dachte an die Männer und Frauen, welche ihn nach Scintilla zurückbegleitet hatten: Honeymoon, Blender, Thracian, Granit, Vox, Dorundy und Erwak. Er nahm einen weiteren tiefen Zug des aromahaltigen, blauen Rauches. Zwei neue Rekruten für Inquisitor Varitani, und er hatte niemanden aus seiner Zelle verloren. Nur das zählte.
Er grinste und schnippte seinen Lho gegen die Scheibe einer Limousine des Fuhrparks des Ordo Hereticus. Dann betätigte er den Kick-Start und das Motorrad erwachte mit einem rassigen Röhren zum Leben. Ohne zurückzublicken raste Lucius Frost mit überhöhter Geschwindigkeit in das Nachtleben der Makropole hinaus.

ENDE

Arden Etklint Kleist:
Das war die Akte Vynnor Lucrés. Im nächsten Post folgt das von mir selbst verfasste "Aller Gnaden Ende".

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