Zwei
Weiterhin auf Schleichfahrt und mit ausgeschalteten Scheinwerfern rumpelten die beiden schwarzen Arbites–APCs durch die windumtoste Nacht die letzten Meter des Passes an das Tor des Anwesens heran. Scans mit der fortgeschrittenen Auspextechnologie inquisitorialer Prägung hatten keinerlei technologischen Abwehrmaßnahmen oder Spähsonden erkennen lassen, so dass sich Frost dafür entschieden hatte, das Tor in klassischer Manier aufbrechen zu lassen. Ein Team aus vier Arbitratoren war gemeinsam mit Pater Thracian ausgestiegen, um mit Nachtsichtgeräten ausgestattet das feudale Hindernis zu beseitigen. Im Zwielicht seiner Speziallinsen sah das Gittertor eigenartig grün-gräulich aus, die reptilienartigen Insignien Harholdts waren unter der Schneekruste mittlerweile kaum noch zu erahnen. Der Ex-Arbitrator übersah das Voranschreiten der Arbeiten durch den knappen Sichtschlitz des Rhinos. Im Geheul des Sturmes war das trockene Knirschen des alten Metalles, welches unter dem Angriff der hydraulischen Arbites-Brechstangen rasch nachgab, vielleicht ein paar Meter weit zu hören. Die Männer schoben die Flügel mit schweren Schritten nach innen auf, und vor ihnen erstreckte sich lediglich von Schneetreiben gefüllte Dunkelheit. Sie hatten noch fast einen halben Kilometer Fahrt über die von losen Baumgruppen bewachsene Hochebene vor sich, bis sie auf die Schlucht und die Felsnase treffen würden, auf welcher das Herrenhaus stand.
Ein kurzer Zwischenstopp, bei welchem die bewusstlosen Wachen, welche dem psionischen Schrei Vox‘ zum Opfer gefallen waren, für weitere Befragungen gefesselt, geknebelt und in den hinteren Transportpanzer geladen wurden, war obligatorisch, und die geübten Hände der requirierten Gesetzeshüter versahen die Arbeit in kürzester Zeit. Noch immer gab es keinerleit Nachricht von Honeymoon, weder über die Truppenstärke, noch über die Anwesenheit des Zieles.
Lucius Frost hatte sich einen neuen Lho-stick angezündet und atmete geräuschvoll über seine Nasenlöcher aus. Er begann langsam aber sicher nervös zu werden. Die eiserne Kontrolle über seinen Körper, welche eine der Grundvoraussetzungen für einen erfolgreichen Arbites–Detektiv war, geschweige denn für einen Agenten des goldenen Thrones, führte dazu, dass die innere Unruhe des Anführers den Männern im Rhino gänzlich entging. Allein Pater Thracian warf ihm einen schwer zu deutenden Blick aus seinen erbarmungslosen, grauen Augen zu. Frost erinnerte sich im Geiste selbst daran, dass er sicherheitshalber Blender und Granit, zwei weitere Agenten seines Teams, am Raumhafen von Tulsholm stationiert hatte, nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass Lucrés die Bedrohung gewittert hatte, und untergetaucht war, um den Planeten zu verlassen.
Langsam setzte die schwarze Karawane in der Düsternis des Sturmes ihren Weg fort wie zwei monströse Käfer, die mit knirschendem Geräusch über den hartgepressten Schnee krochen. Nur hie und da brach der blässliche Mond durch die dicke Wolkendecke und gräuliches Zwielicht fiel durch das Schneetreiben. Auch wenn Frost wusste, dass diese Vorsichtsmaßnahme richtig war, drängte alles in ihm dazu, die Scheinwerfer einzuschalten und mit heulenden Motoren auf das Anwesen zuzupreschen und es im Sturm zu nehmen. Er ermahnte sich zu Geduld und Voraussicht und versuchte die Gedanken an Cattaleya zu verdrängen, seine Sorge um sie nicht überhand gewinnen zu lassen. Er hatte bisher erst zweimal ein Mitglied seiner Zelle an den Feind verlieren müssen und nur einmal davon hatte er auch das Kommando gehabt. Rikkard Horlant, so der Name des toten Kopfgeldjägers, würde ihn wohl in seinen Gedanken bis zu seinem Tode begleiten. Was hatte der verdammte Kerl auch seinen Funkspruch missachten und sich exponieren müssen? Frost schloss die Augen und nahm einen weiteren tiefen Zug von seinem Lho.
Der Funkspruch Van‘Sovreans durchdrang die angespannte Stille durch sein Microbead wie das Schlagen der gigantischen Bronzeglocken in der Kapelle des Imperators im Trikornus. Lucius entging gerade noch einem Hustenanfall, als sich sein Atemrhythmus abrupt durch die Unterbrechung der Nachricht änderte. Das Ziel war hier und im Kellergeschoß! Offenbar war mit etwas Widerstand auf der Eingangsebene zu rechnen, doch für bedachtes Vorgehen war nun keine Zeit mehr – „Der Sänger ist laut wie die Nacht!“ hallte die Nachricht in seinem Kopf wieder. Der Ex-Arbitrator schluckte schwer. Der verdammte Ketzer war offensichtlich dabei, irgendeinen unheiligen Plan in die Tat umzusetzen. Er wandte sich an Vox: „Gib ihr folgendes durch: Das Rudel kreist die Beute ein, wild bellt der Leitwolf. Der Honigmond denkt an die Porzellankiste!“ Er konnte nur hoffen, dass Cattaleya sich zurückhalten wurde, da die Unterstützung dabei war, einzutreffen, und dass sie sich an seinen Aufruf zur Vorsicht halten würde. Er wandte sich an Dvorov: „Scheinwerfer an und volle Geschwindigkeit. Und machen Sie die Lautsprecher an!“
Mit deutlichem Heulen reagierten die empörten Maschinengeister der Kettenfahrzeuge, als die Fahrer Ihnen ohne Vorwarnung ihr Äußerstes abverlangten. Die Helligkeit der Scheinwerfer, welche von den tanzenden Schneeflocken reflektiert wurde, ließ den Ex-Arbitrator trotz des Sichtschutzes blinzeln.
Schon nahm er vor sich den dunklen Umriss des feudalen Anwesen der Harholdts war. „Im Namen der heiligen Inquisition - Waffen weg und auf den Boden, Widerstand ist Häresie!“, bellte er mit rauher Stimme in den Voxponder, welcher seine Stimme etwas elektronisch verzerrt und mehrfach verstärkt von den Lautsprechern der Rhinos in Richtung des Anwesens projezierte. Der Herrschaftssitz war mit Flechten bewachsen und saß wie eine aus dunklen Augenhöhlen schielende Kröte am Rand der Klippe, hinter welcher sich das schwarze Nichts eines mehrere hunderte Meter steilen Abgrunds auftat. Noch während die Panzer, von deren Lautsprechern immer wieder Lucius Ermahnung schallte, auf das Eingangsportal zurollten, wurde das Knattern von Gewehrsalven hörbar, Zunächst nur vereinzelt, doch mit jedem Meter organisierter, und als sie schließlich mit blockierenden Ketten wenige Meter vor der Pforte anhielten, hatte sich auch das mechanische Hämmern eines Maschinengewehres darunter gemischt. „So viel zu der Idee, die Wachen könnten noch einen Funken Anstand im Leib haben und unnötiges Blutvergießen könnte vermieden werden“, dachte der Ex-Arbitrator bitter, bevor er sich wieder an Dvorov wandte: „Wir stürmen sofort, feuern sie die Rauchgranaten ab, gemeinsam mit der Deckung unserer blendenden Scheinwerfer sollte das genug Sicherheit für den Sturm der Eingangshalle bieten. Es werden keine Gefangenen gemacht.“ Untermalt von den dumpfen Einschlägen großkalibriger Projektilgeschoße an der Außenhaut des Rhinos ertönte ein dumpfes Knallen, als die Rauchgranaten kurz vor den Panzern ihren Inhalt entluden. Mit einem Knirschen öffneten sich die zugefrorenen Luken der Rhinos und die Arbites schwärmten in hundertfach geübtem Drill daraus hervor, um einen Schutzwall aus Plastekschilden zu formen, durch welche nur die schwarzen Mündungen der Gefechtsschrotflinten hervorblickten.
Lucius zögerte einen Augenblick und wurde sofort von Pater Thracian überholt, welcher unter seinem Helm mit den drei nach oben weisenden Zacken einen furchterregenden Anblick bot. Mit heulendem Kettenschwert sprang der Kleriker in den Schnee und schloss zu den Arbites auf. Als Lucius vor Vox aus dem Panzer kletterte, hörte er auch schon das Fauchen des Flammenwerfers Thracians, den der schwarze Priester wie immer einhändig führte. Qualvolle Schreie antworteten wenige Momente darauf, als aus der brennenden Pforte des Anwesens zwei in Flammen stehende Silhouetten hervor taumelten. „Spart eure Munition, lasst die Ketzer verbrennen!“, hörte er den tiefen Tonfall Gerharts über das Tosen des Sturmes hinweg in seinem im Helm integrierten Kommunikator tragen. Der Sturm auf Haus Harholdt hatte begonnen.
Als würden ihn die qualvollen Schreie der brennenden Ketzer anlocken, denn von nun an war jeder, der es wagte, sich dem Ordo Malleus entgegenzustellen, für Vox eben genau das, blickte der glatzköpfige, kleine Mann neugierig aus dem Truppentransporter der Arbites hervor. Sein Blick fiel auf Pater Thracian, der am Rande seines Sichtfeldes, welches durch Rauch und Schnee stark eingeschränkt wurde, gerade dabei war, selbst die tollkühnsten Arbites zu überholen und an vorderster Front seinen Tod zu suchen. Ganz konnte er den Pater nicht verstehen, denn war dies nicht genau der Grund, warum die Zelle die Spezialeinheit der Ordnungshüter dieses Randplaneten überhaupt erst mitgenommen hatte? Mit einem Schulterzucken sprang der kleine Mann aus dem Fahrzeug - als Letzter verstand sich.
Seine Aufgabe war es, hier die Übersicht zu bewahren, denn einer musste das ja übernehmen. Lucius Frost, den er üblicherweise als recht fähig einstufte, konnte er in dieser Hinsicht nicht mehr vollends vertrauen – einmal davon abgesehen, dass Vox sowieso niemanden richtig vertraute. Diesmal hatte er jedoch einige handfeste Gründe dafür, welche er auch vor Interrogator Immarut Railoun zu nennen gedachte, sollte es nötig sein, in den Augen von Frost unangemessen zu handeln und sich dann dafür rechtfertigen zu müssen. Zuerst war es für den gelernten Empathen nur so eine Ahnung gewesen. Es kam ihm jedoch schon reichlich seltsam vor, dass diese Augenweide namens Van‘Sovrean mehrfach auf Frost einreden musste, bevor er davon überzeugt war, sie alleine als Vorhut hinein zu schicken. Dabei sprach aus rein logischen Gesichtspunkten alles dafür. Zum einen würde sie ihnen nicht im Weg herumstehen, wenn sie gemeinsam das Anwesen stürmten, und zweitens war die Frau sowieso zu nichts anderem zu gebrauchen. Phos‘ Mundwinkel hob sich schelmisch, als er kurz darüber nachzudenken begann, ob sie nicht vielleicht noch für etwas anderes gut sein könnte. Wie dem auch sei, jedenfalls wirkte Frost seither auf seltsame Weise unruhig. Vox hatte zunächst angenommen, es sich nur einzubilden, aber mittlerweile hatte er zwei Fakten, die seinen Verdacht bestätigten. Zum einen war da dieser vielsagende Blick von Pater Thracian, der ihm nicht entgangen war. Vox war also in seiner Vermutung nicht alleine. Was ihn jedoch endgültig davon überzeugte, dass Lucius zu einem nicht unwesentlichen Teil durch Cattaleya abgelenkt war, war die Tatsache, dass der Leitwolf die Botschaft, die er gerade eben der Frau übermittelt hatte, mit Vox‘ eigenem, brillanten Geheimchiffre verschlüsselt hatte.
Dabei war das doch völlig überflüssig, da seine Telepathie unmöglich abzuhören war. Vox hatte sich dafür entschieden, ihr die Botschaft trotzdem verschlüsselt zukommen zu lassen, hauptsächlich deshalb, weil er die Sprache so mochte. Mit dem Pater mitten im Gefecht und Lucius, der folglich nicht zu hundert Prozent bei der Sache war, lag es also wieder einmal an ihm dafür zu sorgen, dass diese Operation vollstens gelang und im Nachhinein als glorreich klassifiziert werden konnte. Etwas Anderes konnte und wollte sich der Psioniker in seiner Akte auch nicht leisten.
Während der Wolf allerhand Anweisungen durch das Mikrofon heulte, folgte ihm Vox in wenigen Metern Abstand. Er selbst war mittlerweile mehr ein blasser Schemen, mehr unwirklich als real und selbst auf kurze Distanz kaum noch wahrzunehmen. Er wäre auch im Stande gewesen komplett zu verschwinden, dies wäre jedoch weit aufwendiger gewesen und aufgrund der ohnehin schlechten Sichtverhältnisse die weniger naheliegende Wahl. Sollte sich trotzdem ein Schuss in seine Richtung verirren, wäre das aber auch so kein großes Drama gewesen, da diese Hinterweltler scheinbar ohnehin nur harmlose Projektilwaffen im Einsatz hatten. Als der Eingang genommen wurde und die ersten Männer auch über die Fenster in das Innere des Hauses eindrangen, wo mittlerweile buchstäblich die Hölle los war, gespien aus dem zuckenden Flammer des Priesters, und Frost nicht den Anschein machte als würde er Rückendeckung nötig haben, beschloss er einem inneren Gefühl folgend eine zentralere Position einzunehmen und den Arbites direkt durch das bereits in inquisitioneller Hand befindliche Eingangstor zu folgen.
Von Gerhart fehlte mittlerweile jede Spur, alleine die schreiend brennenden Ketzer gaben Phos einen vagen Hinweis darauf, in welcher Richtung er ihn zu suchen hatte. Während seine Mitstreiter mit eher martialischen Waffen in den Händen das brennende Haus stürmten, betrat Phos gelassenen Schrittes und nur mit drei Glasperlen in der Hand das Herrenhaus, fast so als würde er dem hiesigen Adel einen höflichen Besuch abstatten. Vox musste lächeln, als ihm ein berühmtes Zitat eines mittlerweile längst toten Psionikers einfiel, das während seiner Zeit auf Terra gelehrt worden war. Er hatte den Namen des Mannes sofort als unwichtig eingestuft und somit längst vergessen, das Zitat jedoch war überaus treffend: „Mein Schwert kann durch Adamantium schneiden als wäre es Papier, und dennoch ist es eine stumpfe Keule verglichen mit der Schärfe meines Willens.“ Ja, dieser Satz hat Stil, denn Vox hatte wahrlich keine Verwendung für stumpfe Keulen. Als er einen weiteren psionischen Schrei manifestierte war dieser so intensiv, dass er sich nicht nur durch das Immaterium ausbreitete, sondern auch in die Wirklichkeit drang. Eine Gruppe aus sechs Wachen, welche sich hinter provisorischer Deckung verschanzt hatten und den Arbites das Leben schwer machten, sowie vier Mann, die sich irgendwo jenseits der Feuersbrunst in der Nähe von Thrasian aufhielten, fielen ohne einen Mucks um wie Reissäcke. Der Knall war diesmal ohrenbetäubend schrill und selbst Vox zuckte leicht zusammen, als in vierdutzend Metern um ihn herum sämtliche Fenster, Gläser, Spiegel und Brillengläser in Millionen kleine Splitter gesprengt wurden. Wo gehobelt wird, da fallen eben Späne, dachte er bei sich.
Wie als Antwort auf seinen psionischen Ruf erbebte das Herrenhaus in seinen Grundfesten, als ein außerweltliches markerschütterndes Brüllen aus dem Untergrund drang. Es war so widerwärtig, dass es gleich mehrfach in diversen kakophonischen Stimmlagen in seinem Kopf wiederhallte. Zum ersten Mal an diesem Abend regte sich in Phos so etwas wie Leidenschaft. Es war leidenschaftlicher Hass, der in ihm hochquoll. ‚Daemon‘, schoss es ihm durch den Kopf. Der abtrünnige Dilettant hatte es also tatsächlich gewagt einen Häscher aus dem Immaterium in diese Welt zu holen. Damit waren auch seine letzten Sympathien bei Vox verspielt. Wie er ihre gesamte Existenz verabscheute, die Unaussprechlichen, die unentwegt und ausdauernd auf einen Fehler von ihm warteten. Die, die ihn behandelten als wäre er ein Dieb, ein Dieb des Immateriums. Sie würden verdammt lange warten, denn Phos Isand machte keine Fehler.
Wie er jedoch im selben Moment verärgert feststellen musste, war er damit ziemlich alleine. Fünf oder sechs Männer der Arbites, darunter selbst Chastener Dvorov machten in diesem Augenblick verängstig kehrt. Einige von ihnen stammelten verwirrte Stoßgebete an den Imperator, der Rest von ihnen machte einfach nur den Eindruck, sich gerade einzunässen. Beim Anblick des erbärmlichen Packs griff sich Vox gequält auf die Stirn. Was hatten sie erwartet, womit sie es zu tun bekommen würden, wenn sie an einer vom Ordo Malleus geleiteten Operation teilnähmen, mit Ladendieben? Zu allem Überfluss veranlasste ihn ein Kugelhagel aus erhöhter Position dazu, in Deckung zu springen. Die Abtrünnigen nutzten scheinbar die Gelegenheit, um die Oberhand zurückzugewinnen. Aber auch wenn Vox‘ Abbild im Moment verzerrt und nur als Schimmer wahrnehmbar war, Zielen konnte man nicht gerade zu ihren Stärken zählen. Als das Krachen einer Boltpistole aus dem Hintergrund ertönte und auf dem hölzernen Balkonweg die Balken zu splittern begannen, atmete Phos erleichtert auf. Lucius war eingetroffen. Das nahm ihm lästige Arbeit ab und verschaffte ihm die Zeit, die er jetzt dringend benötigte. Als der Kugelhagel stoppte und Lucius mit einem Höllenlärm unentwegt einen Ketzer nach dem anderen ins Jenseits beförderte, brachen die Wolken über dem Anwesen derer von Harholdt auf und ein Strahl aus gleißend hellem und angenehm warmem Licht flutete das Anwesen. Er wusch die Kälte völlig aus allen Gedanken. Der Gestank von Tod, Qualm und Rauchgas wich einem berauschenden Duft aus Psalmian und Weihrauch, wie Vox ihn einmal in einem dem Imperator geweihten Tempel auf Terra wahrgenommen hatte. Es war, als würde der Gott-Imperator persönlich ein Auge auf dieses einsame Anwesen mitten im Nirgendwo richten. Jetzt erschien alles plötzlich Sinn zu ergeben, und die Möglichkeiten waren unbegrenzt. Sie mussten hier und heute einen Sieg erringen, koste es was es wolle. Dvorov selbst war es, der sich als erster wieder umwandte, und mit einem lauten, „Für den Imperator“, seine gesamte sichtlich faszinierte Truppe mitten durch die Flammen in das Herz des Anwesens führte, so als wäre er unverwundbar.
Was die Anwesenden nicht wussten war, dass Vox den Sinnen seiner Verbündeten nur einen vergleichsweise einfachen Gedankenstreich spielte, den jeder halbwegs fähige Telepath beherrschte. Das letzte was sie jetzt gebrauchen konnten waren ein paar ängstliche Hosenscheißer. Außerdem, wenn wirklich noch ein Daemon auf sie wartete, dann würden sie das Kanonenfutter bitter nötig haben.
Da ihre Opposition diese Illusion nicht wahrnehmen konnte, reagierte sie dementsprechend unbeeindruckt. Vox sechster Sinn konnte eine größere Truppe Verstärkung wahrnehmen, welche in den nächsten Sekunden aus östlicher Richtung zu ihnen stoßen und den mittlerweile fanatisch kämpfenden Arbites damit voll in den Rücken fallen würde. Kurz überlegte er seine Information an Frost weiterzugeben, entschied jedoch, dass die Verzögerung inakzeptabel sei und entschloss sich daher selbst zu handeln. Seine telepathische Verbindung war noch immer aufrecht, also gedachte er diese zu nutzen. So verstellte er seine Stimme, aufdass sie wie jene von Frost klang, und mischte ein leichtes Rauschen hinzu, sodass es sich anhörte, als würde Lucius über Funk sprechen. Dann sandte er gezielt eine Botschaft an den Fahrer des südlichen Rhino: „Frost an rechten Schuh, voller Schub durch die Hauswand etwa 14 Meter östlich des Einganges. Krachen sie voll hindurch und zerstören sie soviel sie können. Jetzt sofort!“ Dieser kaufte ihm seinen kleinen Trick ab, was ihm jedoch keiner ankreiden konnte. Selbst Lucius eigene Mutter hätte Schwierigkeiten gehabt die Täuschung zu durchschauen.
Direkt darauf antwortete der Fahrer des Rhinos durch das Voxkomm und für Frost gut hörbar mit einem deutlichen „Verstanden!“. Von draußen heulte der mächtige Motor des Transporters auf, als er nur wenig später mit voller Wucht etwa ein dutzend Meter östlich von Frost durch die Hauswand krachte. Einen Berg aus Schutt vor sich her schleppend zerstörte er zudem eine tragende Mauer. Frost sah gerade noch, wie die vordersten Männer des geplanten Flankenangriffs jäh unter dem herabfallenden ersten Stockwerk des Nebenzimmers begraben wurden. Der Funkspruch von Van‘Sovrean, die etwas außer Atem zu sein schien, bestätigte im selben Moment, was Vox schon vermutet hatte. Die Dummeit von Lucrés, seinen eigenen Körper als Dämonenwirt zu benützen, schockierte jedoch selbst ihn: „Ein Daemon, ein geflügelter Daemon, Lucrés hat sich verwandelt. Höchste Gefahr…argh“ Damit war der hübsche Blickfang also schon mal Geschichte. Vox konnte nur hoffen, dass der Daemon der Versuchung nicht widerstehen konnte und sich noch an ihr vergreifen würde, bevor er sie tötete, oder auch in umgekehrter Reihenfolge. Das würde der Truppe Zeit bringen, die sie dringend benötigte. Die Opposition musste jetzt mit allen Mitteln niedergeschlagen werden, damit der Häscher mit vereinten Kräften vernichtet werden konnte.
Der Eingangsbereich gehörte mittlerweile ihnen. Lucius‘ Befehle hallten durch das Microbead, und irgendwo war auch noch ein surrendes Kettenschwert zu hören, was Vox darauf schließen ließ, dass der irre Priester noch immer am Leben war. Bisher hatten sie keinen Verlust hinnehmen müssen. Lediglich einer der Arbites war an der Schulter verwundet worden, würde den Tag jedoch überleben - ein weiteres Indiz dafür, dass die Schießkünste seiner aktuellen Opposition in keine Annalen eingehen und nur mit hämischem Unterton in seinem Bericht Erwähnung finden würden. Erneut ließ ein markerschütternder und kakophonisch nachhallender Schrei das Anwesen erzittern…
Der brennende Türrahmen der Eingangshalle bot ein dramatisches Bild, als der Glaubenskrieger in der Carapacevollrüstung in großer Geschwindigkeit an den brennenden Häretikern vorbeistürmte. Rechtschaffener Hass und Leidenschaft durchfluteten ihn wie ein reinigendes Feuer. Als erster erreichte er die Türschwelle und blickte in die feudale Empfangshalle, in welcher ein Kamin am entgegengesetzten Ende eingerahmt von etlichen Gobelins thronte. Zahlreiche kleine Flammen leckten an den Dielen des alten Holzbodens der Halle und warfen gespenstische Schatten. Hinter einem hastig umgeworfenen groben Holztisch und dazugehörigem Diwan zischte ein Laserschuss in seine Richtung und hinterließ einen verkohlten Fleck am Brustpanzer Gerharts, ohne ihn jedoch zu verwunden. „Dies Irae“ murmelte er, bevor er in die Richtung des Tisches sprintete und mit einem gewaltigen Satz darüber hinweg setzte. Die Zeit des Zornes war gekommen! Thracian duckte sich unter dem Bajonettschwung eines Ketzers hinweg, welchen er mehr aus dem Augenwinkel wahrnahm und führte sein heulendes Kettenschwert in einem Halbkreis rechts unter dem Rumpf des Feindes hinweg. Mit einem hässlichen Geräusch zermalmten die scharfen, gegenläufigen Klingen der gesegneten Waffe die Beine knapp oberhalb der Knie des Mannes, welcher kaum noch die Möglichkeit hatte, einen überraschten und gepeinigten Schrei auszustoßen, bevor er in einer Lache aus Blut nach hinten umfiel. Nach einem kurzen Moment der Überraschung, welcher Gerhart gerade genug Zeit gegeben hatte, sich mit dem Rücken zur Wand zu positionieren, gingen die drei in braune Mäntel gehüllten Wachposten zum Gegenangriff über. Der Kleriker war in einer Position, die ihm durchaus nicht unwillkommen war. Von zahlreichen Entermanövern im Dienst der Raumflotte war dem Sternengeborenen der Kampf in enger Umgebung zu einer zweiten Natur geworden. Der Mann zu seiner Linken schwang den Gewehrkolben nach Gerharts Kopf und verfehlte um Haaresbreite, während der hünenhafte Glaubenskrieger dem Bajonettstoß von rechts mit einem Ausfallschritt und einer fast elegant anmutenden Parade mit seinem perfekt ausbalancierten Kettenschwert begegnete. Der dritte Ketzer traf den Kleriker am linken Oberschenkel und nur die metallverstärkte Bionik bewahrte Thrasian vor einer Verwundung, als die scharfe Klinge durch eine kleine Lücke der Panzerung drang. An der Hand des Angreifers erspähten seine wütend blitzenden Augen das grotesk missgebildete Fehlen zweier Finger und das klauenartige Horn, welches die restlichen drei bedeckte. Mutanten! Einer Welle gerechten Zornes gleich beschrieb seine Waffe zwei zuckende Kreise und wie durch Butter drang die Klinge durch die verdorbenen Formen seiner Feinde, welche der reinen menschlichen Form frevelten. Einer der Mutanten wurde von der linken Schulter bis zur rechten Hüfte gespalten und während noch der Schauer aus Blut in der näheren Umgebung einem frühlinghaften Platzregen gleich niederging, trennte Gerhart mit einem sauberen Schlag den Kopf des anderen von seinen Schultern. Der verbliebene Ketzer wollte sich gerade zur Flucht wenden, als Dvorov mit zweien seiner Männer zu Thrasian aufschloss und sie ihre Schrotgeschosse aus nächster Nähe in den verderbten Körper pumpten. Wie eine Marionette im Sturm wurde der Körper zweimal herumgerissen und fiel dann in grotesk verdrehter Haltung mit einem satten Schmatzen auf den alten Holzboden.
Gerhart deutete mit der triefenden Klinge in Richtung des Ganges rechts des Kamins und rückte, etwas in den Schutz der Schilde der Arbites zurückfallend, mit den Männern des Chasteners vor. Er wollte gerade seinen Flammenwerfer gegen einen neu erschienenen Trupp von Hauswachen erheben, als ein Schrei hinter Ihnen ertönte, so laut, dass unweigerlich die Ohren aller Anwesenden zu bluten begonnen hätten, wäre das kratzige Kreischen nicht vor allem in ihren Köpfen gewesen. Mit einem trockenen Knacken splitterte der große goldumrahmte Spiegel über dem Kamin und zerbarst in tausende kleiner Scherben, welche über dem Kleriker und den nahen Arbites niederregneten. Ein kühler Luftzug zeigte ihm an, dass auch die Fenster der Eingangshalle sämtlich zerbrochen waren und nun der von außen herein heulende Sturm die Flammen mit frischem Sauerstoff anstachelte. Er wandte sich um und erblickte den Psioniker, welcher der Zelle neu zugeteilt worden war und auf fast naive Art und Weise die Halle betreten hatte. So zentral positioniert stellte Isand eine ideale Zielscheibe dar. Gerhart zuckte mit den Schultern – „möge ihn der Imperator schützen, wenn er es wert ist“, dachte er bei sich, bevor er mit den Arbites weiter auf den Gang vorrückte.
Sie kamen gerade ein paar Schritte weit, bis ein unirdischer Schrei das Anwesen erbeben lies. Während die Psi-Manifestation des Sanktionierten zwar unangenehm, aber doch leicht erträglich gewesen war, so fühlte sich das Kreischen, welches aus den Tiefen der Erde selbst zu kommen schien, unrein und verderbt an. Dank seines unbarmherzigen Trainings auf Maccabaeus Quintus schüttelte der Glaubenskrieger die dämonische Aura, welche über sie hinweg wusch, ab wie schmutziges Wasser. Auf Dvorov und seine Männer jedoch hatte der unheilige Laut einen weit tiefgreifenderen Effekt. Einer der Arbites ließ seine Schrotflinte fallen und riss sich nach hinten taumelnd den Helm von den Ohren, um diese mit beiden Händen zu bedecken. Der Chastener selbst warf unsichere Blicke unter seinem Sturmhelm hervor und zog sich mäßig geordnet mit dem verbleibenden Rest in Richtung der nächsten Wand zurück. Gleichzeitig krachten mehrere Schüsse von der Galerie, welche linkerhand die Eingangshalle auf ganzer Länge flankierte. Thracian sah, wie Isand eilig in die unsichere Deckung hinter einem umgestürzten Bücherregal flüchtete. Als der Kleriker Frost beide Boltpistolen auf die Ketzer in erhöhter Position abfeuernd aus dem linken Gang kommen sah, gab er knapp über Funk zu verstehen: „Der Sänger hat eine Kakophonie entfesselt - ich versuche zum Abgang ins Untergeschoss vorzustoßen!“ Er war sich sicher, dass seine Zellenbrüder die Situation unter Kontrolle bekommen würden.
Als der Kleriker mit wehendem schwarzem Umhang im rechten Gang verschwand, wirkte Phos Isand seine Illusion und stachelte die Arbites-Truppen zu neuem Kampfgeist auf. Ein grimmiges Lächeln erschien auf dem Gesicht Gerharts, als er den Kriegsruf Dvorovs hinter sich vernahm. Bisher schlug sich der Sanktionierte für einen unverbesserlichen Sünder nicht übel.
Er hatte gerade eine weitere Wolke aus fauchendem Promethium in ein Nebenzimmer geschickt und wechselte nun, in eine Gangnische gedrückt, die Kartusche des Flammenwerfers, als der Funkspruch der adeligen Diebin metallisch verzerrt in seinem Helm widerhallte. Thracian hielt einen Moment inne und verschränkte seine Finger zum Zeichen der Aquila. „Imperator vult. Die Kakophonie darf den Rumpf nicht verlassen, die Schwingen müssen gebunden bleiben“, sprach er mit fester Stimme in sein Helm-Mikro. Fast beiläufig fuhren die rotierenden Klingen seiner mächtigen Nahkampfwaffe in den brennenden Körper des letzten überlebenden Häretikers, welcher aus dem Nebenraum getaumelt kam. Gerhart nahm ihn nur peripher wahr. Sein wahres Ziel, dem nun all sein reiner Hass galt, lag tiefer in diesem Tempel der Häresie verborgen.
Einige Momente zuvor war der Augenblick seines Triumphes gekommen. Sie hatten ihn für einen Narren gehalten, einen überheblicher Kleingeist, Dabei waren sie es doch, die schlecht vorbereitet waren. Sie wollten einen Mann wie Vynnor Lucrés überraschen… wie überaus amüsant. Einen Erleuchteten seines Kalibers und seiner Größe konnte man aber nicht überraschen, niemals. Wieso wohl hatte er das Blutbad auf Palinurus Rhys überlebt? Wieso war er wohl so lange unentdeckt geblieben, ohne jemals auch nur den Hauch einer Spur zu hinterlassen? Oh, wie weit er ihnen doch allen überlegen war. Der Adelige konnte sie zu jeder Zeit sehen, wenn sie nach ihm suchten. Und diese Würmer, diese kleinen dreckigen Maden glaubten allen Ernstes ihm etwas befehlen zu können? Ihm sagen zu können, er solle sich den schwarzen Schiffen stellen? Der Gedanke war so widerwärtig, das ihm dabei fast übel wurde. Doch die Zeit des Versteckens war vorbei, die Zeit seiner Flucht bereits Geschichte. Nun würde er sich für alles rächen, für den Verrat an seinem Haus, für den Verlust seines Reichtums und des Lebens in Glorie, das er hatte eintauschen müssen für ein schmutziges Dasein in der Unterwelt. Er hatte sich dafür entschieden, sich wieder zu erheben, wie ein Phönix aus der Asche, um sein Haus zu neuem Ruhm zu führen. Jeden, der sich ihm in den Weg zu stellen wagte, würde er zerquetschen wie ein Insekt. Seien es die Arbites, der Ordo Hereticus oder auch, wenn es sein müsse, die gesamte Flotilla Calixis. Seine Macht würde bald grenzenlos sein, das hatte ihm die Stimme aus der Finsternis versprochen. Mit ihr gemeinsam würde er herrschen, sein Haus würde erstrahlen in Dunkelheit und er würde der Primarch dieses Hauses sein, den einzigen und wahrhaftigen Gott preisend.
Als er sein sonores Gebet an den Herrscher des Wandels richtete, war sein Geist von Zufriedenheit durchströmt. Zugegeben, diese kleine Gewehrschützin auf dem Geländer hatte er nicht kommen sehen, aber sie konnte ihn auch nicht mehr aufhalten. Sie hatte nichts verändert, war daher unbedeutend und es war nur allzu logisch, dass er sie deshalb nicht hatte wahrnehmen können. Würde ein Mensch einer Ameise Aufmerksamkeit schenken, wenn er von einem Raubtier bedroht wird? Nein, er würde sie einfach zerstampfen und es nicht einmal bemerken.
Einer nach dem anderen nahm sich sein Leben, um es ihm zu geben. Diese Narren mit ihren schwachen Geistern, sie hätten die Größe seines Genies niemals erfassen können, deshalb konnte er sie auch beherrschen – er war der Puppenspieler und sie seine Marionetten. Jetzt lag es an ihm, ihre gesammelte Essenzen dem Einen und Einzigen zu schenken… Tzeentch, seinem Herrn und Meister. In seiner Hand hielt er den Schlüssel zur Zukunft. Naxarim der Seelendieb, so der Name des goldenen Dolches, eine Gabe des Herren des Schicksals an ihn, das Versprechen für seine Zukunft. Die Klinge war scharf an beiden Seiten und wies eine geschwungene Form auf. An ihr waren verschiedenste Gravuren so fein und genau, dass sie nur bei starker Vergrößerung überhaupt zu sehen waren und so perfekt, dass niemals ein Sterblicher sie hätte in die Klinge ritzen können. Die Symbole auf der Klinge beinhalteten einen Abschnitt des Codex Purus Veritatem, einem unheiligen Buch des Herrn des Wandels. Der Griff vergoldet und gewellt, der Knauf kugelförmig und mit einem blutrotem Rubin verziert. Endlich war der Moment gekommen...
Eripias me, Domine veritatis,
Venite ad me Dominus in veritate,
Ex cinere mihi Dominus in veritate,
Nunc et aeternum.
Dies waren die letzten Worte, die Cattaleya von dem Hexer gehört hatte und es sollten seine letzten gewesen sein. Als die Frau auf ihn anlegte überschlugen sich die Ereignisse. Der Ketzer stach sich mit dem goldenen Dolch in den Leib und in einer Explosion aus Blut, die aus dem Leichenhaufen und den geopferten Kuttenträgern drang, wurde Lucrés in eine rote Sphäre gehüllt. Schwarze Blitze begannen zu zucken und Eis bildete sich an den Wänden. Die Temperatur im Raum fiel so tief, dass der Adeligen selbst unter ihrer zweiten Haut zu frösteln begann. Blut floss in Strömen die Wände herunter und erstarrte noch auf halbem Wege zu rotem Eis.
Doch dieses Mal ließ sich die Adelige von all dem Wahnsinn nicht mehr beeindrucken. Ihr Blick war fixiert und die Kugel auf ihren Weg geschickt. Was jedoch vor wenigen Sekunden noch ein vitales Ziel darstellte, war nun nichts weiter als eine unbedeutende Stelle von etwas anderem. Während der Hexer das Blut in sich aufsog und die Blitze ihn verbrannten, begann er erbärmlich zu schreien. Sein Kopf versank in seinen Torso und seine Gewänder verkohlten noch an seinem Leibe, als er auf die vierfache Größe heranwuchs. Hörner aus fließendem Blut quollen aus allen Teilen von dem, was von Lucrés noch übrig war. Aus seinen Schulterblättern schossen pechschwarze Schwingen bestückt mit zerfledderten und vor Blut triefenden schwarzen Federn hervor. Auf seiner Brust formte sich schließlich ein Gesicht, dessen Nase ein langer spitzer Schnabel war. An Händen und Beinen bildete das Wesen lange geschwungene Klauen, scharf wie Messer und lang wie Schwerter. Beständig umgab den Daemon eine Schicht sich ständig veränderten und an ihm herab fließenden Blutes. Als der Prozess beendet war, schrie das Biest so laut, dass es Cattaleya beinahe betäubt hätte. Sein Schrei hallte in ihrem Kopf gleich mehrfach in verschiedensten Tonlagen wieder. Sie gab einen weiteren Schuss ab, dieses Mal frontal auf den Körper. Tatsächlich merkte das Biest kurz auf, erschien jedoch nicht sonderlich beeindruckt. Stattdessen setzte es beide Schwingen in Bewegung und schoss sich völlig der Schwerkraft widersetzend nach oben.
Mit übernatürlicher Wucht krachte der Daemon gegen den Balkonweg und schlug mit beiden Fängen nach Cattaleya. Die schiere Gewalt seines Aufpralls hatte den Beton des Balkonweges in Stücke gesprengt. Gerade noch rechtzeitig hatten sie sich mit dem Fuß vom Geländer abgestoßen um sich in den Nischenweg zu retten. Abermals schrie der Daemon so laut, dass das gesamte Herrenhaus zu beben begann. Sie hatte den Luftstoß der Klauen gefühlt, als sie die Luft vor ihrem Gesicht förmlich zerschnitten. „Thron der Erde...“, flüsterte die junge Adelige heiser vor Entsetzen. Der Nischenweg war zu klein und zu schmal für den Daemon, daher nutzte sie die Gelegenheit und gab einen dritten Schuss ab, doch die Bestie war so schnell vor dem Ausgang verschwunden wie sie davor aufgetaucht war. Cattaleya beschloss, dass sie hier nichts mehr tun konnte und zu den anderen aufschließen musste. Im selben Moment erkannte sie, wie einfältig der Gedanke doch war, lebend aus diesen Gewölben zu entkommen. Hätte sie nur auf Lucius Befehl gehört und wäre in der Porzelanvase versteckt geblieben. In einer rollenden Bewegung wich sie einer Salve spitzer, gefrorener Blutstacheln aus, welche das Wesen in den Gang geschleudert hatte. „Ein Daemon, ein geflügelter Daemon, Lucrés hat sich verwandelt. Höchste Gefahr… argh“ Sie verzichtete bewusst darauf Voxskrit zu verwenden. Die Zeit der Infiltration war vorbei, und mit diplomatischen Worten konnte sie hier auch nicht viel erreichen. So schnell wie ihre Beine sie trugen huschte die flinke Diebin durch die Gewölbe des Anwesens in Richtung Oberfläche. Ihre Größe gepaart mit ihrer Geschwindigkeit waren der einzige Vorteil, den sie in den engen Gängen gegenüber dem Daemon hatte.
Da war sie, die Wendeltreppe nach oben... fast geschafft. Bereits schwer atmend sprintete Cattaleya dem Aufgang entgegen. Von dem Unwesen hatte sie länger nichts gesehen, und das war ihr nur recht so. Doch es wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein. Nur wenige Meter vor ihrem Ziel explodierte die rechte Wand förmlich, als der Daemon mit seinem massiven Körper hindurch stieß. An der Schulter von einem Mauerteil erfasst, wurde sie zurückgeschleudert und zu Boden geworfen. Der Daemon benötigte keine Sekunde um sich zu orientieren und fuhr mit den Klauen auf sie herab, doch schlugen diese nur eine tiefe Kerbe in den staubigen Flur, wo Cattaleya eben noch gelegen hatte. Ihre braunen Haare wirbelten wild herum, als sie sich verzweifelt umblickte. Keine Niesche weit und breit, kein schmaler Seitengang, nur sie und das Biest und ausreichend Platz für den Daemon sie zu zermalmen. Nach kurzer Analyse ihrer Ausweglosigkeit kam ihr eine Idee, so verwegen, dass ihr Herz zu rasen begann wie nie zuvor. Ihr Körper erbebte förmlich bei dem Gefühl der Anspannung, dass jeden ihrer feinen Muskeln durchströmte, und sie liebte es. Alles auf eine Karte setze änderte sie ihre Taktik und lief todesmutig auf den Daemon zu, was ihr den erhoffen Moment der Überraschung einbrachte. Dabei zog sie Sovrean aus ihrem Stiefel, schleuderte die blaue, vor Energie knisternde Klinge in das Gesicht der Warpkreatur und versenkte sie in einem ihrer Augen. Abermals schrie der Daemon auf, was Cattaleya die Möglichkeit verschaffte, sich mit Anlauf und mit den Füßen nach vorne zu Boden zu werfen und zwischen seinen Beinen hindurch zu gleiten. Cattaleya blickte sich nicht um, spürte jedoch den Luftstoß, den der massige Daemon erzeugte, als er sich umwandte, um ihr nachzuschlagen. Doch abermals war ihm die Diebin einen Schritt voraus. So konnte er nichts tun als zornerfüllt mit anzusehen, wie der kleine Mensch in der hautengen pechschwarzen Gewandung über die enge Wendeltreppe aus seinem Blickfeld verschwand. Das Haus erbebte ein drittes Mal, als die Warpkreatur voll des Wutes schrie. Cattaleya wurde von einem Hochgefühl berauscht, so intensiv, wie sie es noch nie wahrgenommen hatte. Jetzt musste sie nur noch das Rudel des Leitwolfes finden...
„Lucrés du verdammter Bastard“, knurrte der Ex-Arbites zwischen zwei hastigen Atemzügen, als das dämonische Geheule aus den Tiefen des alten Gebäudes ertönte. Sie konnten von Glück sagen, dass die Entfernung die Wirkung des psionischen Schreis abschwächte. Den Funksprüchen der Truppen in der Eingangshalle zu entnehmen, war der moralische Effekt dort weitaus stärker, während seine Begleiter entweder lediglich unschöne Flüche ausstießen, ein Stoßgebet zum Imperator schickten, oder im Falle Dorundys, der Frau im Trupp, es schafften, beides auf eine Art und Weise in wenigen Worten zu verpacken, die knapp ans Lästerliche grenzte.
Er war an der Spitze eines Stoßtrupps aus drei Arbitratoren über die Fensterfront an der Westseite des Gebäudes eingedrungen, wo die Auspex-Scans des Kommando-Rhinos im ersten Stock das MG-Nest, welches die Truppentransporter unnachgiebig beharkte, ausgemacht hatten. Sie waren über eine Galerie, gesäumt mit Ölbildern der Ahnen derer von Harholdt eingedrungen, die Fenster waren gezielten Schlägen mit den Kolben der Schrotflinten zum Opfer gefallen. Jahrhundertelang vor schädlichen Witterungseinflüssen bewahrte Kunstwerke würden innerhalb von Minuten von der grausamen Kälte und der hohen Luftfeuchtigkeit dahin gerafft werden. Wenn man bedachte, was mit den Adeligen geschehen würde, wenn der Hexer erst gefasst war, eine durchaus passende, schicksalshafte Allegorie. Frost riss sich von seinen Überlegungen los, als sie eine enge Wendeltreppe nach oben vorstießen.
Am Ende der Treppe stießen sie zum ersten Mal auf Widerstand. Als wären die Ketzer vorgewarnt worden, riss ein humanoides Wesen mit grässlich entstellten Gesichtszügen die Holztüre auf und stürzte sich, ein glitschig anmutendes Gurgeln ausstoßend, mit bloßen Händen auf den erstbesten Gegner: Ostiil. Frost kannte den Mann erst seit einigen Stunden und hatte trotzdem versucht, zumindest einige Worte mit ihm zu wechseln und sich seinen und die Namen der anderen Ordnungshüter einzuprägen. Die Männer und Frauen zu kennen, denen man im Kampf sein Leben anvertrauen musste, war eine der Kerndoktrinen des Ex-Arbites.
Krachend löste sich ein Schuss aus der Gefechtsschrotflinte, als die Kreatur Ostiil um Sekundenbruchteile zuvor kam und den Lauf der Waffe mit schuppiger Hand gegen die Wand schlug. Der Widerhall war trotz des in den Sturmhelmen integrierten Lärmschutzes ohrenbetäubend. Frost war zwischen Dorundy und Erwak blockiert, in der engen Marschordnung war kaum an den Einsatz seiner Boltpistolen zu denken. Die stämmige Frau vor ihm lies augenblicklich ihre Schusswaffe fallen und zog einen länglichen Stab, welcher mattes gelbliches Licht zu verströmen begann, als der Mechanismus der Schockwaffe mit tiefem Summen zum Leben erwachte. Sie drückte sich eng an die rechte Wand, als ihr Vordermann die Balance verlor und samt seinem mutantischen Angreifer in tödlicher Umklammerung gegen die linke Wand der Treppe fiel. Bevor Lucius Zeit hatte, mit seiner Boltpistole ein verlässliches Ziel zu finden, bereinigte Dorundy die Situation: Begleitet von einem knackenden Geräusch entlud ihr Schockstab seine volle Voltanzahl in das Genick des in graue Lumpen gehüllten Mutanten, dessen Geifer sich bereits auf Ostiils Sichtschutz zu verteilen begonnen hatte. Augenblicklich erschlaffte der Griff der grotesken Hände um den Hals des gefallenen Kameraden und der Körper des Mutanten zuckte noch kurz, bevor ihm die Arbitratorin einen Tritt verpasste, der den Körper die Treppe nach unten beförderte. Mit beiden Händen wischte sich Ostiil den zähen Schleim vom Helm, um sich wieder freien Blick zu verschaffen. Lucius war positiv überrascht von der Professionalität mit welcher der Mann den Schrecken der Attacke an sich abprallen ließ.
Dorundy schnappte ihre Schrotflinte mit einer geübten Handbewegung und gab per Helmmikro knapp „Ich übernehme die Führung! Der Imperator beschützt!“ durch, bevor sie aus der Hüfte feuernd in den Raum am Ende der Treppe vorrückte. Frost ließ Erwak hinter sich vorbei und deutete ihm mit einer knappen Geste seiner tollkühnen Kollegin Feuerschutz zu geben. Er deckte den Abgang mit seiner Boltpistole und reichte Ostiil die linke Hand, welcher sich mit dankbarem Nicken hochzog. Er nahm sich vor, die beiden Arbitratoren für seinen späteren Bericht vorzumerken, sollten sie die heutige Nacht überleben.
Er folgte den beiden Ordnungshütern in die schmale Turmkammer und überblickte einen kreisförmigen Raum mit erkaltetem Kamin zur Rechten und einem massiven Bücherregal zur Linken. Etliche schmutzige Matratzen und abgestandene Luft, in welcher der Geruch von altem Schweiß und feuchtem Mauerwerk miteinander konkurrierten, kündeten von einer Handvoll Männer, welche hier ihr Schlafquartier eingerichtet hatten. Eine Holztreppe führte einen weiteren Stock nach oben, von wo aus das charakteristische Knattern einer weiteren MG–Salve zu Ihnen herunter drang.
Lucius legte den linken Zeigefinger auf die Lippen und schlich die Boltpistole in der rechten zur Deckenluke erhoben durch das Zimmer. Er pausierte kurz bei einem kleinen Beistelltisch um das darauf abgestellte grünliche Fläschchen zu heben und den Inhalt zu inspizieren. Der charakteristische, stechende Geruch der öligen klaren Flüssigkeit in Kombination mit der kruden Spirale, welche als Zeichen die Flasche zierte, bestätigte seinen Verdacht: Spuk. Offensichtlich hatten die Wachposten hier noch vor kurzer Zeit die höchst illegale Droge konsumiert, deren brisante Wirkung eine tiefere Verbindung mit den Höllen des Warps darstellte. Die Erklärung für die hexerische Voraussicht des ersten Angreifers war gefunden, es blieb zu hoffen, dass die übrigen Ketzer andere Auswirkungen der Droge spürten. Mit zusammengekniffenen Augen leerte er die Flasche auf eine der Matratzen aus und winkte die stämmige Frau zu sich. „Auf mein Signal werfen sie die Flasche im Kamin nach oben. Ihr Zerbrechen wird uns einen Moment der Überraschung gewähren. Ich stürme mit den anderen.“, flüsterte der Ex- Arbitrator ihr zu. Er positionierte sich mit den Männern an der Treppe und zählte langsam mit den Fingern von drei abwärts. Als Dorundy die Flasche im Kaminschacht nach oben warf, wartete er einen Atemzug auf das brechende Geräusch des Glases und stürmte dann gefolgt von den beiden Ordnungshütern in die letzte Kammer des gedrungenen Turmes.
Oben angekommen drehten sich vier in braune Mäntel gehüllte Figuren in einem improvisierten MG-Stand an einem zerborstenen Fenster erstaunt in ihre Richtung um. Es konnte sich nur um Augenblicke handeln, bis die Bastarde das großkalibrige Automatikgeschütz neu ausrichten würden. Dem kurzen Augenblick der Stille folgte das hochfrequente Krachen der semiautomatischen Mündungsfeuer von Ostiil und Erwak, welches rasch vom Röhren der Boltpistole begleitet wurde. Wie reife Melonen platzte der Kopf des Munitionsträgers, knapp gefolgt vom Oberschenkel des Schützen. Die aufkommenden Schreie gingen rasch im Kreuzfeuer des Sturmkommandos unter. Als Dorundy über die Treppe nach oben gehetzt kam, waren von den Mutanten am MG-Stand nur noch blutige Fetzen über.
Während sie die Waffen nachluden, hörte Frost über Helmfunk die gestammelten Stoßgebete der Trupps in der Eingangshalle begleitet vom Krachen halbautomatischer Gewehre. In dem Chaos des Angriffs war es nicht einfach, solche Details herauszuhören, doch als Ex–Arbitrator konnte Frost das Geräusch ihrer Schrotflinten blind vom Knattern der Schnellfeuerwaffen des Feindes unterscheiden. Offensichtlich waren die Truppen im Eingangsbereich in Bedrängnis.
„Dorundy, Erwak, sie übernehmen den Westflügel, es ist noch mit schwacher Gegenwehr zu rechnen, keine Heldentaten! Nach der Beendigung des Durchsuchens melden sie sich sofort über Funk. Keine Gefangenen!“, schärfte Frost den beiden Arbitratoren ein.
„Sie kommen mit mir, Ostiil!“, mit diesen Worten stürmte er die Treppe nach unten in die Galerie, wo sich mittlerweile die Ölgemälde in Schichten von den Stoffbezügen schälten und einen bizarren Anblick boten. Sie bogen nach rechts in einen schmalen Seitangang ein, in welchem schon der Feuerschein, welcher die Eingangshalle erfüllte, lange Schatten an die Wände warf. In klassischem Arbites–Drill deckten sich die beiden Männer gegenseitig, bis sie ihren bedrängten Verbündeten aus neuem Winkel Feuerschutz gegen die Schützen in der erhöhten Position der Galerie boten.
Mißtrauisch kniff Lucius die Augen zusammen, als wärmendes Licht die Halle flutete, erstaunt roch er Weihrauch und … einen Hauch von Myrrhe? „Hexenwerk!“, schoss es ihm durch den Kopf. Er schüttelte sein Haupt und mit der Bewegung entledigte er sich der Illusion. Das graue Zwielicht, in welchem die Flammen über dem siedenen Promethium tanzend gespenstische Schatten an die Wände warfen, kehrte in die Halle zurück. Dvorov und die restlichen Arbites schienen jedoch neuen Mut zu schöpfen, ein kurzer Blick zu Isand zeigte ihm, woher dieser überweltliche Beistand gekommen sein musste. Er konnte nur hoffen, dass sich die voranstürmenden Arbites an ihre Gefechtsdrills erinnern würden und nun nicht einen sinnlosen Heldentod suchen würden.
Pater Thracians Funkspruch in Voxskrit bestätigte Lucius Befürchtung: Sie würden es tatsächlich mit einem Daemon zu tun bekommen. Ein Glück, dass die Arbitratoren diese Warnung nicht verstehen konnten, sonst wären sie dem voranstürmenden Kleriker wohl kaum so bereitwillig gefolgt. Er ließ sich etwas zurückfallen und nahm im Gegenzug zu Isand eine gedeckte Position hinter dem umgeworfenen Tisch bei der Sitzgruppe ein, um sein Data-Slate zu ziehen und die Karte des Anwesens zu studieren. Wohl mehr instinktiv hatte der Glaubenskrieger grob die richtige Richtung gewählt. Während Frost etwas nachrückte und über sein Mikrofon Richtungsangabe und Befehle bellte, um dem Vordringen ins Innere des Gebäudes eine geordnete Struktur zu verleihen, knackte plötzlich das „Verstanden“ des zweiten Rhinofahrers durch den Äther.
Der Ex–Arbitrator drückte sich gegen einen Mauervorsprung und blickte in die Eingangshalle zurück, wo unter herabstürzendem Mauerwerk ein paar dunkle Gestalten zu Boden gingen und einer der Scheinwerfer des Truppentransporters begleitet vom Knirschen der Ketten auf trockenem, zerborstenem Ziegel sein grelles Licht in die Halle warf. Ein Blick in das selbstzufriedene Gesicht des sanktionierten Telepathen waren genug für Lucius um Isand als Ursprung dieser Aktion zu identifizieren. Kurz war er zwischen Ärger über diese Insubordination und Überraschung über die brutale, unorthodoxe Effizienz hin und hergerissen, entschied sich jedoch aufgrund des Hilferufes Honeymoons, diese Entscheidung bis auf weiteres aufzuschieben. Der Eingangsbereich gehörte Ihnen und gemäß Van‘Sovreans Beschreibung war die verbleibende Truppenstärke im Obergeschoß nur noch minimal. Eilig befahl Lucius zwei weitere Arbitratoren in den Ostflügel, oder, was davon nach der Attacke des Rhinos noch übrig war, dann gab er auf der allgemeinen Funkfrequenz durch: „Wir rücken gemeinsam bis zum Abgang ins Untergeschoß vor. Niemand dringt ohne meine Anweisung weiter vor! Isand, schließen sie auf und zwar zackig!“ Er zwang seinen hektischen Atem zur Ruhe, als er sich seinen Weg in dem schmalen Gang an den Arbites-Kämpfern vorbei bis an die Seite von Gerhart drängte. Auf dem Data-Slate zeigte er ihm den Weg in Richtung Abgang und lies sich dann in eine hängende Position hinter der Spitze des Angriffes fallen. Auch wenn die Sorge um die Thronagentin an ihm nagte und wie ein pochender Kopfschmerz im Hintergrund seines Bewusstseins ruhte, zwang er sich zur Ruhe – ohne gezieltes Vorgehen stand nicht nur ihr Leben auf Messers Schneide.