Autor Thema: Aller Gnaden Ende  (Gelesen 7240 mal)

Beschreibung: Warhammer 40k Dark Heresy

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Aller Gnaden Ende
« am: 07. Mai 2013, 21:32:42 »
Willkommen!

Anschließend folgen Texte, die einer Kampagne vorangegangen sind. Da unsere Gruppe international ist, kommen wir nur ein- bis zweimal im Jahr zusammen, weswegen wir recht intensiv vorbereiten. Kleiner Hinweis für alle, die im Dark Heresy Setting zufällig auf aktuellem Stand sind: Zu der Zeit, in der die Geschichten entwickelt wurden, war über das Kanon-Schicksal der Welt Xeiros Prime noch nichts bekannt.

Alle beteiligten Spieler sind auch Teil einer Online-RPG-Gruppe hier im DnD-Gate. Momentan spielen wir Tattered Fates. Damit die Verteilung von PCs und NPCs klar ist, führe ich schnell an, welche der dortigen Spieler welche Charaktere in den Geschichten spielen (zur Info: Bei uns spielt jeder Spieler zwei Charaktere):

Sjeg:
Cattaleya Amalia "Honeymoon" VanSovrean
Phos "Vox" Isand

Inigo Hound:
Lucius "Lho" Frost
Gerhart Thracian

Merice Jerveplis:
Hrubens "Blender" Arn
Nick "Granit" Runsit (Stammesname: Chnishnit liutstam Hrun'Sith)

So, nun aber ohne Umschweife zur ersten Geschichte: Die Akte Vynnor Lucrés

Ursprünglich als Hilfe für mich gedacht, der dann die Real-Life-Gruppe geleitet hat, um die Charaktere besser kennenzulernen und dann auch selbst die Einführung zur Kampange "Aller Gnaden Ende" schreiben zu können, hat sich die "Akte Vynnor Lucrés" zu einem richtigen Epos entwickelt. Geschrieben wurde das Prachtstück von Sjeg und Inigo Hound, die sich teilweise sogar alle paar Absätze abgewechselt haben. So wie ich damals jeder neuen Passage entgegengefiebert habe, die ich in einigem Abstand zugesandt bekam, so freue ich mich jetzt über die Möglichkeit, den Text fast ein Jahr nach dessen Entstehung dem lesewilligen Publikum hier zugänglich machen zu können. Ich wünsche allen WH40K-Interessierten und auch allen anderen StoryHour-Lesern viel Spaß auf Zumthor!
« Letzte Änderung: 07. Mai 2013, 22:10:43 von Arden Etklint Kleist »

Aller Gnaden Ende
« Antwort #1 am: 07. Mai 2013, 21:46:49 »
Die Akte Vynnor Lucrés


Eins

Das grünliche Licht des in Bronze gebundenen Dataslates erhellte das Halbdunkel in der Ecke des gepanzerten Arbites–Rhino, welches sich mit langsamer Geschwindigkeit und halbhellen Scheinwerfern einen Weg durch das sturmumtoste Heulen des mit gepresstem, kaltem Schnee gefüllten Passes bahnte. Das Gesicht eines süffisant lächelnden Mannes Mitte 50 mit dunkelbraunen schulterlangen Haaren flackerte auf dem Bildschirm, untermalt von den Worten: Vynnor Lucrés.

Der schlanke Mann, dessen sehnige Form in einer schwarzen Carapace-Rüstung ohne Rang- oder Herkunftsabzeichen steckte, rieb unbewusst mit dem Filterstück eines fast vollständig aufgebrauchten Lhos die Narbe an seiner rechten Wange. Er mochte das Gefühl der Nervosität nicht, welches sich in seinem Bauch breit gemacht hatte, dieses Gefühl der Ruhe vor dem Sturm, welcher ihr Fahrzeug schon seit ihrer Anfahrt auf das Anwesen eingehüllt hatte. Sie hatten Tulsholm, die einzige größere Stadt der nördlichen Halbkugel von Zumthor, einer Granzwelt im Josian Reach, vor mehr als fünf Stunden verlassen und waren in Begleitung zweier Suppressionstrupps Arbites aufgebrochen, um zu beenden, was auf Palinurus Rhys vermutlich vor mehr als 100 Jahren begonnen hatte.

Lucius Frost nahm einen tiefen, beruhigenden Zug von seinem Lho und atmete geräuschvoll durch den linken Mundwinkel aus, was ihm einen skeptischen Seitenblick des die Arbitratoren befehligenden Chasteners, Dvorov, einbrachte. Er zuckte innerlich mit den Schultern – welchem Arbites schmeckte schon der Gedanke, Befehle von Institutionsfremden entgegennehmen zu müssen – selbst wenn es sich dabei um Gesandte der heiligen Inquisition handelte. Er hatte selbst lange genug in den Reihen des Adeptus Arbites gedient, um die Führungsqualitäten und Charakterzüge solcher Männer voll einschätzen zu können und von der Animosität, die ihm von den vielen kleinen und großen Dvorovs, welchen er mitunter Befehle erteilen musste, kalt gelassen zu werden.

Er widmete sich wieder der Akte des Gesuchten: Die Namen der ausgelöschten Akolythenzelle von damals waren selbst mit seinen Zugangscodes gesperrt gewesen, er kannte ihre Schicksale nur als Subjekt 1 bis 6 und das war ihm ganz recht so. Wenn es um Konzentration ging, um abstrakte Analyse eines Sachverhaltes, waren Empathie und Mitgefühl fehl am Platz. Natürlich war nach dem Desaster die volle Härte inquisitionaler Strafe auf das Haus von Lucrés herabgefahren, doch der älteste Sohn der Familie war nie in den Trümmern gefunden worden. Mit brutaler Gewalt war damals zunächst orbital bombardiert worden, danach im Sturmangriff alles zerschossen und erschossen worden, was irgendwann mit dem Adelshaus assoziiert gewesen war - ein taktischer Fehler, den zu wiederholen der Ex-Arbitrator nicht gedachte. Ihm war nicht wohl dabei gewesen, Van‘Sovrean alleine in den Sturm zu schicken, alleine das Anwesen des Kleinadels von Harholdt infiltrieren zu lassen. Doch die zierliche Adelige, die meistens von ihren Kollegen Honeymoon genannt wurde, hatte darauf bestanden. Er hatte gewusst, dass sie Recht hatte. Sie war von den Fähigkeiten her am besten dazu geeignet und konnte auch ganz gut alleine auf sich aufpassen. Lucius gestand sich ein, dass seine Freundschaft zu ihr ihm die Sache schwerer machte, als sie sein sollte. Doch er war sich sicher, dass es diesmal die richtige Fährte war.

Er war nach langer Analyse der Adelsfamilien auf den umgebenden Planeten auf eine Persönlichkeit gestoßen, die seit 44 Jahren immer wieder im Gewand eines Mitgliedes der Familie Harholdt auftrat. Es war schwer gewesen, eines Namens Herr zu werden, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, doch mit den richtigen Fragen an die richtigen Ohren und der Investition von Bestechungsmitteln hatte er ihn schließlich bekommen: Norvyn Harholdt. Der exilierte, abtrünnige Psioniker war sich so weit an den Grenzen des Imperiums seiner Sache verflucht sicher, wie das hochmütige Anagramm bewies, welches er gewählt hatte. Doch der Ketzer würde sich seiner Strafe nicht mehr entziehen. Das Gesetz würde Lucrés endlich einholen, ganz gleich in welcher Verkleidung.

Frost blickte von der elektronischen Akte auf, als das Rütteln der Motoren ihm anzeigte, dass sie angehalten hatten. Pater Gerhart Thracian neben ihm hielt sein Kettenschwert in andächtiger Gebetshaltung mit der Klinge nach unten. Der weißblonde Mann mit den harten Gesichtszügen trug eine ähnliche Rüstung wie er selbst unter seiner klassischen schwarzen Mönchsrobe und war in ein stummes Gebet vertieft. Mit geschlossenen Augen bewegten sich seine schmalen Lippen, rezitierten die Worte, von denen Lucius wusste, dass sie den Leitspruch der Bruderschaft formten, welcher der Glaubenskrieger angehörte. Während er darüber sinnierte, dass der verschlossene Hüne sie kaum jemals laut aussprach, hielt Dvorov das Ohr an sein Microbead und nickte bedächtig.

Der Arbites-Offizier, welcher Lucius offensichtlich auf persönlicher Ebene nicht sonderlich leiden konnte, wandte sich nichtsdestotrotz in respektvollen Ton an den Anführer der Akolythenzelle: „Unsere Auspex-Scanner haben das Tor des Anwesens in knapp unter 20 Metern Entfernung hinter der nächsten Biegung ausgemacht. Wie geordert hat unsere Kolonne gehalten.“ Erwartungsvoll und abschätzend, wie jemand, der ein Stück Ware nach seinem Wert einzuschätzen versucht, blickten die stahlblauen Augen des blassen Mannes Lucius an. Dieser drückte seinen Lho bedächtig an seinem Stiefel aus und wandte sich an den still meditierenden Mann zu seiner linken: „Klingt nahe genug, wenn ich Dich richtig einschätze – dass wir keine Zeugen oder Alarme brauchen ist wohl klar. Wie siehts aus, Vox – kannst Du damit was anfangen?“, fragte er den kahlgeschorenen, kleineren Mann mit dem dunklen Bartwuchs.

Phos Isand - Codename Vox - stand wie aufs Stichwort aus dem Schneidersitz auf. Sein Blick fiel durch einen schmalen Schlitz des gepanzerten Vehikels in die Richtung, in die der Arbites eben noch gezeigt hatte. Frost hatte darauf betanden in der Nacht zuzuschlagen, und da kein Licht durch die dichte Wolkendecke drang, konnte man außerhalb des Fahrzeuges kaum noch die Hand vor Augen sehen – jetzt, da der Rhino auf Schleichfahrt und ohne Scheinwerfer unterwegs war. Allein seine Nachtlinsen ermöglichten eine Orientierung bei diesen Verhältnissen. Aber auch so war die Sicht jenseits einiger Meter extrem schlecht, denn der Sturm brachte dicke Flocken gefrorener Eiskristalle mit sich, so fest und scharf, dass sie nackte Haut bei längerer Exposition zerkratzten.

„Ziemlich weit, aber für mich nahe genug. Vorausgesetzt…“, Vox pausierte, senkte sein Haupt und hob seine rechte Hand auf Hüfthohe. Auf der Handfläche seines pelzigen Lederhandschuhs vollführten drei kleine Glasperlen einen gleichmäßigen und graziösen Tanz. Wie er derart regelmäßige Bewegungen mit seinem dicken Handschuh erzeugen konnte, war dem anwesenden Offizier der Arbites ein Rätsel. Isand atmete tief ein - dann langsam wieder aus. „Neunzehn Personen befinden sich in der näheren Umgebung. Wenn nicht zufällig Van‘Sovrean in der Nähe ist, dann gehören drei davon nicht zu uns.“ Er genoss die respektvollen und zugleich misstrauischen Blicke, die seine unangenehme Stimme bei den anwesenden Arbites erzeugte. Während er die Perlen weiter über seine Hand tanzen ließ, führte er den Monolog fort: „Keiner davon ist ein Hexer. Und die drei vor uns bewegen sich grob in unsere Richtung. Vielleicht eine Patrouille, aber jedenfalls noch hinter dem Eingangstor irgendwo. Ich kann sie fühlen, den Schatten den sie werfen, wenn sie die Wirklichkeit ein klein wenig verzerren. Ein schwacher Funken bei jeden von ihnen, aber ja, er ist ausreichend und nahe genug.“

Keiner der Arbites hatte während der Fahrt gewagt mit dem Psioniker zu sprechen. Sie fürchteten Vox, und das war ihm auch bewusst. Leider ließen die Missionsdetails es nicht zu, dass er sich an der Furcht der Arbites erfreuen konnte. Stattdessen hatte er nicht nur den gesamten letzten Tag, sondern auch die Fahrt in eiserner Meditation verbracht. Er wusste, dass der Abend für ihn anstrengend werden würde, und dass ihm vor allem in der ersten Phase nicht der geringste Fehler unterlaufen durfte. Für ihn zählte nur, seinen Geist in perfekte Balance zu bringen. Frost hatte ihm in diesem Plan eine große Rolle zukommen lassen und sich entgegen der Einwände von Chastener Dvorov dafür entschieden, dem Psioniker den Vorzug sowohl über Schalldämpfer als auch Funkkommunikation zu geben. Phos Isand selbst war erst kürzlich von Inqusitor Varitani in diese Zelle verlegt worden, und er fühlte sich dadurch zweifelsohne bestätigt, denn die berühmte Zelle von Lucius Frost war mehr als alles andere für ihre Effektivität bekannt und - soweit er selbst informiert war - eine seiner wichtigsten und am meisten geschätzten Zellen überhaupt. Dies war seine Show, und er würde großartig sein.

Dvorov und zwei seiner Mannen waren bereits unbewusst einen Schritt zurückgewichen, als Vox die linke Hand ausstreckte, so als würde er nach etwas Unsichtbaren tasten. Dabei schloss er seine Augen und ging ein paar Schritte quer durch das Fahrzeug. Noch einmal fiel sein Blick auf Frost, als er Bereitschaft signalisierte. Mit einen kurzen aber deutlichem Nicken gab Frost den Befehl. Es war soweit – und tatsächlich war dies einer der wenigen Momente, in denen Vox so etwas wie Unsicherheit verspürte. Er hatte vor dem Ex-Arbites nichts dergleichen angedeutet, aber einen derartigen Stunt hatte er selbst noch nie hingelegt. Frederiq DeVetter, Telepath und langjähriger Akolyth in den Diensten von Inquisitor Varitani, hatte einmal damit angegeben, dass er vor einigen Jahren, als ihn eine Blendgranate mitten im Gefecht erfasst hatte, alleine aufgrund der Psi-Signaturen seiner Umgebung eine heikle Manifestation selektiv hatte einsetzen können, um damit seiner gesamten Zelle das Leben zu retten. Phos würde die Blicke der Zuhörer an diesem Abend in Sibellus nicht vergessen, denn obwohl es unglaublich klang, konnte jeder von ihnen fühlen, das DeVetter die Wahrheit sprach. Alleine über seinen sechsten Psi-Sinn Ziele zu filtern... ungeheuer schwierig.

Nicht umsonst hatte Vox darauf bestanden, vor der Mission fünfzehn Minuten mit jedem der Arbites an einem Tisch zu verbringen.  Jeder Mensch hinterließ einen leichten Schatten im Immaterium, eine einzigartige Signatur, genauer und persönlicher als jeder Fingerabdruck es sein könnte, und er hatte diese Zeit genützt um sich jeden von ihnen gut einzuprägen. Die Murmeln in seiner Hand kreisend fokussierte er seinen Geist und entlud ihn in einer gewaltigen unsichtbaren Explosion, die sich durch das Immaterium in seiner Umgebung ausbreitete. Wie aus dem Nichts hörte Lucius einen leisen, aber schrillen Knall, ein Geräusch das er so noch nie vernommen hatte. Und obgleich dieser Klang direkt aus seinen Kopf drang, fühlte es sich an als wäre er gedämpft und käme von weit her. Der Reaktion der Arbites in dem Transportpanzer, die alle leicht zusammenzuckten, konnte er entnehmen, dass er nicht der einzige war, der das Geräusch gehört haben musste. „Erledigt“, gab Vox kurz zum Besten. Man konnte ihm ansehen, dass er gerade ziemlich selbstzufrieden war. Die Wachen waren ausgeschaltet und lagen bewusstlos im Schnee, alles völlig ohne Sichtkontakt. DeVetter hatte also wirklich nicht gelogen…

Der zweite Teil von Phase eins war wesentlich einfacher und vor allem auch amüsanter. Wie aus dem Nichts ertönte die Stimme von Vox in den Köpfen der Besatzung beider Rhino-Fahrzeuge zugleich: „Dem Imperator zum Gruße, meine Herren. Sie können sich geehrt fühlen, etwas beizuwohnen, was man im Nachhinein als glorreichen Triumph des Ordo Malleus bezeichnen wird. Von nun an wird aus Sicherheitsgründen jeglicher Funk eingestellt! Diese Stimme wird ihnen den Willen unseren Befehlshabers Lucius Frost verkünden, dessen Wort die nächsten Minuten Gesetz ist! Wenn sie Teil dieses Erfolges sein wollen, dann halten sie sich exakt und ohne Zögern an die Vorgaben!“

Der Hüne in der Mönchsrobe hob langsam den Kopf, als er die unangenehme Stimme des Sanktionierten in seinem Kopf vernehmen musste. Er war der Empfindung alles andere als zugetan, und es war ihm jedes Mal, als müsse er eine Besudelung hinnehmen, wenn er seinen Geist dem kratzigen Tonfall von Phos Isand öffnen musste. Er kniff die grauen Augen zusammen und blickte aus dem Dunkel seiner Kapuze mit zusammengepressten Lippen heraus auf den grinsenden Mann und die diesen misstrauisch beäugenden Arbites.
Chastener Dvorov presste die Lippen aufeinander und zog eine fast schmerzvolle Grimasse. Es war offensichtlich, dass ihm die geistige Berührung des Psionikers extrem unangenehm war, als er Vox‘ Aussage mit den Daten auf seinem Auspex verglich. „Der Mann sagt die Wahrheit – sowohl was die Anzahl der Patrouille, als auch was ihren Zustand angeht.“

Pater Thracian blieb ruhig sitzen und vollführte das Zeichen der Aquila, nachdem er den schweren Stoff der schwarzen Robe über seiner Rüstung in den Nacken geschlagen hatte, sodass seine harten und von mehreren Narben gezeichneten Gesichtszüge zum Vorschein kamen. Durchdringend blickte er den Offizier an: „Selbstverständlich spricht er die Wahrheit. Vergesst nicht, dass wir an diesem verlassenen Ort direkt den Willen und das Wort des Imperators zu Terra darstellen.“ Gerhart verzichtete darauf, seinen Worten mehr Gewicht dadurch zu geben, dass er sich erhob. Die niedere Decke des Truppentransporters bot gerade genug Höhe für Vox, um aufrecht darin zu stehen, war jedoch für jemanden wie den sternengeborenen Glaubenskrieger bei weitem zu niedrig. „Ich denke, die Zeit ist gekommen, die Männer für den bevorstehenden Angriff zu segnen, Frost.“ Er war schon seit einiger Zeit in derselben Zelle wie der Ex-Arbitrator und wenngleich der Mann in manchen Eigenschaften ein unverbesserlicher Sünder war, so war er doch auch gleichzeitig unzweifelhaft in seiner Ergebenheit im Glauben und in seinen Fähigkeiten als Anführer. Beides waren Eigenschaften, die es dem Pater ermöglichten, ohne Widerspruch unter ihm dem höheren Zweck zu dienen und den Willen des Imperators zu erfüllen.

Er wartete darauf, dass der sehnige junge Mann das Datapad ausschaltete und den Lho-stick ausdrückte. Angenehme Überraschung durchflutete ihn, als sich sein nomineller Anführer daraufhin als erster der Besatzung des Rhinos einen knappen Meter vor dem Kleriker hinkniete und den Kopf senkte. Augenblicklich sank darufhin Dvorov neben Frost auf die Knie, rasch gefolgt von seinen Männern.
Auch Gerhart ließ sich nach vorne auf beide Knie gleiten und er hielt das massive aschgraue Kettenschwert mit der rotgoldenen Inschrift unter seinem Sitz hervor. „Dies Irae“ prangte in gothischen Lettern auf der gesegneten Waffe, deren Griff mit mehreren Reinheitssiegeln behangen und mit mehreren Totenköpfen und ministorialen Siegeln verziert war.
                                                  
„Im Kampf“, lies sich die tiefe Stimme des finsteren Priesters vernehmen, „besteht der Sieg aus einem Teil Planung und neun Teilen Glauben! Ich zweifle nicht an Eurer Ergebenheit gegenüber dem Imperator, Eure Berufung steht für die Lex Imperia, für die Gesetze Seines Reiches. Ihr alle seid treue Diener, doch keiner von Euch ist frei von Schuld und Sünde. Deswegen sage ich Euch, fürchtet nicht die Verwundung Eurer sterblichen Körper, Schmerz bedeutet Reinigung, Hingabe und Opfer bedeuten Erlösung! Für einige von Euch mag dies der letzte Dienst an unserem glorreichen Imperium sein, Eure Leiber mögen heute sterben, doch mit jedem Blutstropfen wird Eure Seele reingewaschen. Die größte Genugtuung ist es, mit dem Gewissen, dass man seine Pflicht erfüllt hat, aus diesem Leben zu scheiden. So weit weg vom Lichte des Thrones auf Terra ist es leicht, sich in der Dunkelheit zu verlieren. Darum schärft Eure Kompromisslosigkeit, auf dass ihr dem Feind mutig und ohne Zaudern begegnet. Schärft Euren Zorn, auf dass ihr Seinen Zorn aus den glühenden Mündungen eurer Schrotflinten wie den heißen Odem der Vernichtung auf die Ketzer speit, die diese Welt beschmutzen! Schärft schließlich all zuvorderst Euren Hass, denn selbstsüchtig seine Fähigkeiten einzusetzen, mit Gefahren zu jonglieren, wie es der Hexer Lucrés tut, ohne jeden Sinn für seine Verantwortung, die es gewesen wäre, sich zu den schwarzen Schiffen zu begeben, solcher Frevel verdient den ganzen reinen, ehrlichen und menschlichen Hass, den ihr in Euren treuen Seelen aufbringen könnt!“

Zu seinen Worten hatte der Kleriker ein messingfarbenes kugelrundes Gefäß mit mehreren lilienförmigen Löchern hervorgeholt und eine Kugel ätherischen Weihrauches darin entzündet. Während die Männer nun das Zeichen der Aquila vollzogen und halblaut dreimal „der Wille des Imperators“ murmelten, so wie es in der ecclesiarchalen Liturgie auf Zumthor seit jeher Brauch war, schwenkte Thracian das Gefäß mit bedachten, weiten Bewegungen, um den wohlriechenden bläulichen Rauch im Inneren des Rhinos zu verteilen.

Etwa vier Stunden zuvor, kurz nach Anbruch der Dunkelheit, tauchte das mächtige Gittertor mit dem Symbol eines sich windenden Reptils in dessen Zentrum zum ersten Mal im Sichtfeld einer schlanken schwarzen Gestalt auf, die sich dem Anwesen derer von Harholdt zielstrebig näherte. Die Person, die ein Laie einfach als Assassine umschreiben würde, trug auf den ersten Blick keinerlei Gewand. Erst bei genauerem Hinsehen bemerkte man die schwarze Textur, die der eindeutig weiblichen Figur wie eine zweite Haut anlag und ihren Körper bis auf die Nasen und Augenöffnungen komplett umschlang. Diese seltene und äußerst kostspielige Textilie, die das Licht nicht reflektierte und sich ihrer Umgebung anpasste, war jedoch nur einer von mehreren Gründen, warum die Frau quasi unsichtbar durch die Dunkelheit huschte. Ihr lag Grazie und Eleganz an, wie sie sich von Baum zu Baum, Gebüsch zu Gebüsch und Deckung zu Deckung bewegte, sodass man ihre Bewegungen fast mit einem mystischen Tanz hätte vergleichen können. Allen voran war jedoch der langsam aufkommende Schneesturm die beste Tarnung, die man ihr verschaffen konnte. Er bot ihr gleich mehrere Vorteile. Zum einen verwischte er die Spuren, welche sie unweigerlich im Schnee zurücklassen musste und reduzierte die Sicht auf ein Maß, das es ihr erlaubte, schneller als üblich voranzukommen. Der größte Vorteil jedoch war die Kälte, die er brachte. Der durchschnittlich motivierte Wachmann blieb bei diesem Wetter lieber bei einer Tasse Heißgebrühtem in der warmen Stube. Patrouillen waren also eher selten. Dank des kostbaren und hochtechnologischen Textils, welche die Frau an ihrem Körper trug, war sie für die Kälte jedoch weniger empfindlich als ein Mann in typischer Pelzkleidung.
Cattaleya Amalia Van’Sovrean war froh, dass Lucius Frost auf sie gehört und es ihr ermöglichte hatte, eine ihrer drei großen Stärken auszuspielen. Von den ersten beiden hatte sich Lucius bereits mehrfach überzeugen können. Diese waren Infiltration sowie soziale Interaktion jeglicher Art. Darin war sie einfach unübertroffen. Und wer weiß, vielleicht würde der Mann auch eines Tages das Glück haben ihre dritte Stärke kennen zu lernen, nämlich das Küssen. Sechs Monate war sie nun in der Inquisition und irgendwie war der analytische und vor allem leidenschaftliche Anführer ja schon recht reizvoll, das musste sie ihm lassen.

Als das leise Klacken des Wurfhakens erklang, der sich oben an der sechs Meter hohen Mauer festgekrallt hatte, welche die Grenze des Anwesens darstellte, und sich das hauchdünne Drahtseil spannte, das an ihrer Hüfte befestigt war, fühlte Cattaleya, wie das Adrenalin durch ihren Körper zu schießen begann. Es war auf seine Art wie damals bei ihren Beutezügen in der Makropolenspitze von Sibellus. Der einzige Unterschied schien ihr zu sein, dass diesmal keine öffentliche Diskreditierung oder strafrechtlicher Prozess samt im vorhinein von ihrem Vater gekauften Richter auf sie warten würde, sondern sofortige Exekution die einzige Konsequenz wäre. Sie mochte diesen Gedanken. So ziemlich alles war besser als sich vor ihrem Vater für ihr Verhalten rechtfertigen zu müssen. Der Rest war ein und dasselbe. Die gleiche Anspannung in jedem Muskel ihres Körpers und die bis aufs höchste Maß geschärften Sinne, welche dem kleinstem Geräusch oder der geringsten Bewegung Aufmerksamkeit widmeten. Auch ihre Ausrüstung war ähnlich: Den Universalschlüssel wie gewöhnt in der rechten Schenkeltasche, gemeinsam mit dem Datenpad, welche die elektronische Karte ihres Zielobjekts beinhaltete. Das Kartenmaterial war zwar ungenauer als solches, das sie üblicherweise durch gezielte Bestechung auf Scintilla erhalten konnte, aber das lag wohl einfach daran, dass Karten auf einer unterentwickelten Welt am Rande der Zivilisation einfach schlechter waren als auf der Spitze von Sibellus, der Blüte imperialer Zivilisation, wenn man es so wollte. In der rechten Schenkeltasche waren Kletterhacken,  diverse Dietriche und ein Glasschneider mit dem Schnittblatt aus hochwertigem Adamantium griffbereit, in der linken Wadentasche ein Abhörgerät sowie ein Spiegelschlauch um unbemerkt unter Türen hindurch und um Ecken herum blicken zu können.

Als sie über die Ähnlichkeiten sinnierte, entging ihr beinahe ein weiterer wesentlicher Unterschied; die tödlichen Werkzeuge, welche sie am Körper trug. Auf den Rücken geschnallt hing ein mächtiges Gewehr, pechschwarz, die Mündung mit einem Schalldämpfer bestückt, ein Fernrohr mit Autokorrektur am Lauf, zudem mit Laserzielvisier und automatischem Magazinwechsler. Die mächtige Waffe war so lang wie seine Trägerin hoch. Vergleichsweise unscheinbar aber nicht weniger tödlich waren zwei etwa dreißig Zentimeter lange Dolche, welche sie in den hohen schwarzen Lederstiefeln verborgen hatte. Die Klingen waren uralt, man hatte ihr gesagt so alt wie die Dynastie Van'Sovrean selbst, und diese pflegte bereits eine über zwei dutzend Jahrhunderte alte Tradition. Nach ihrer allerletzten Auseinandersetzung mit ihrem Vater hatte Cattaleya beschlossen, neben vieler ihrer schönsten Kleider, wertvollsten Düfte und teuersten Geschmeide ihren Teil der Erbschaft selbst für sich zu beanspruchen und diese beiden für Van'Sovrean beinahe heiligen Klingen in ihr neues Leben mitzunehmen. Vaniryl und Sovrean, so die Namen der uralten Energieklingen, benannt nach den beiden Gründern des Hauses, welche die Waffen eines längst vergangen Tages selbst geführt haben sollen. Eigentlich konnte sich ihr Vater glücklich schätzen, denn als eine von 6 Töchtern hätte ihr eigentlich noch weit mehr zugestanden. So wie sie ihn jedoch kannte tobte er wahrscheinlich noch immer bei dem Gedanken, das seine jüngste und zu jeder Zeit verhasste Tochter mit dem symbolisch gesehen wertvollsten Besitz von Van'Sovrean über alle Berge und weit außerhalb seines Einflussbereiches war.

Tief in Gedanken an ihren Vater versunken war sie beinahe wie von selbst und völlig automatisiert durch das Innere des Anwesens bis an das wohl vor langer Zeit prächtig gewesene Herrenhaus herangeschlichen. Es war das Gegenteil einer adeligen Behausung, wie man es von Sibellus kannte. Flach und weitläufig, anstatt hoch und spitz - heruntergekommen, überwuchert und finster, anstatt prunkvoll, gepflegt und strahlend. Cattaleya war über das Dach eingestiegen und dabei beinahe Opfer ihrer eigenen Unkonzentriertheit geworden. Überrascht von vier uniformierten Hauswachen war sie gezwungen gewesen in der Ecke eines quadratischen Raumes in einem dunkeln Spalt zwischen Hauswand und Wandschrank zu verharren, während die vier Männer ihren Feierabend in einem Sozialraum genossen, indem sie sich dem Kartenspiel und dem Alkohol hingaben. Wer denkt, dass drei Stunden intensiver Sport anstrengend seien, der sollte einmal versuchen, drei Stunden lang völlig regungslos zu verharren, und nicht einmal den kleinsten Laut von sich zu geben. Cattaleya hätte die Männer spätestens nach ein paar Gläsern leicht erledigen können, ihre oberste Prämisse jedoch war es, ungesehen und unbemerkt zu bleiben. Der leiseste Verdacht hätte ihr Ziel zur Flucht treiben können, und das musste um jeden Preis verhindert werden. Zu gut hatte sie die Worte von Lucius Frost in Erinnerung: „Am Leben bleiben, unbemerkt bleiben, die Anwesenheit des Zieles sicherstellen, und wenn möglich, Truppenstärke und deren Aufenthaltsort bestimmen.“ Sie hatte vor, jede einzelne ihrer Vorgaben umzusetzen.

Das Benehmen der Männer und die Thematik ihrer niederen Gespräche an dem Spieltisch widerten die aus feinem Hause stammende Van‘Sovrean an, aber vor allem war sie natürlich Profi. Daher wartete sie geduldig ab und nütze die Gelegenheit, als drei der vier Männer den Raum verließen, um ihren Geschäften nachzugehen. Der verbliebene Wachmann sah es nicht kommen, als sein Kopf nach einem gezielten und vor allem harten Hieb auf den Hinterkopf gegen den Tisch knallte. Eine über ihm entleerte Schnapsflasche, welche die Rückkehrer schließlich leer in seiner Hand wiederfänden, würde für die Ahnungslosen keine Zweifel an dem trügerischen Schicksal des Mannes lassen, der es hier wohl eindeutig übertrieben haben musste und sicher noch einige Zeit tief schlummern würde.

Der Rest war einfach. Auch im Hausinneren war es verhältnismäßig finster, um nicht zu sagen, düster. Soweit sie sah gab es in dem Gebäude keine Energie, zumindest wurde das Licht gänzlich von Kerzen erzeugt und die Räumlichkeiten durch brennendes Holz geheizt. Die Wachen waren alles andere als auf der Hut, und es gab auch nicht allzu viele von ihnen. An diesem verlassenen Fleck mitten im Nirgendwo war es sicher auch nicht einfach, fähiges Personal zu bekommen. Ungesehen durch das Anwesen zu schleichen, war daher nur eine Frage des richtigen Timings und der Übersicht. Während von ihrem eigentlichen Ziel zunächst jede Spur fehlte, machte sie sich mentale Notizen über Truppenstärke,  Positionen und Patrouillenroutinen. Als der vereinbarte Zeitpunkt näher rückte und sie sich bereits damit abgefunden hatte, bald den Abzugsbefehl aufgrund der Abwesenheit des Zieles geben zu müssen, führte sie ihr letzter Weg in die Katakomben des Herrenhauses. Angelockt von entfernten, rhythmischen Gesängen bahnte sie sich ihren Weg durch die verwinkelten und sauerstoffarmen Gänge, vorbei an alten Weinlagern, durch eine verstaubte Rumpelkammer, bis sie schließlich eine gewaltige Halle erreichte, welche sich wohl  gut zwanzig oder dreißig Meter unter dem Anwesen befand.

Was sie dort sah, ließ ihr Herz für einige Sekunden gefrieren. Aufgebahrt wie Holzscheite lagen verstümmelte Menschen, denen man sämtliche Gliedmaßen abgetrennt hatte, übereinander auf einem mit Blut gemalten Symbol, das bei ihr noch größere Übelkeit hervorrief als der Anblick der Masse aus blutigen Leibern. Einige der armen Seelen waren noch immer am Leben, was ihr qualvolles Stöhnen unzweideutig verriet. Um den menschlichen Scheiterhaufen herum knieten Gestalten in schwarzen Kutten. Die größte Obszönität von ihnen Allen war jedoch die Figur von Vynnor Lucrés, welche die Anmaßung besaß, in einer triumphierenden Pose genau auf dem Menschenhaufen zu stehen, während er einen widerwärtigen, sonoren Gesang anstimmte. Cattaleya hatte die Halle von einer hoch gelegenen Nische aus erreicht, welche in einen Balkonweg überging, der das Gewölbe säumte. Bleich im Gesicht fiel die Frau auf die Knie und summte leise eine Minute lang die Litanei der Erlösung,  ehe sie wieder im Stande war ihren Geist zu sammeln um zu tun was nötig war. Zu allem Überfluss ertönte im selben Moment wie aus dem Nichts eine Stimme in ihrem Kopf.

Kratzig und widerwärtig aufdringlich erklang sie, ohne ihr eine Möglichkeit zu geben, sie abzustellen. Es war Phos Isand. Das aufgeblasene Gehabe gab Cattaleya einmal mehr Recht und bestätigte ihre nicht besonders hohe Meinung von dem Sanktionierten. Man musste auch die positiven Aspekte in Betracht ziehen: Lucius und sein Team waren eingetroffen - sogar etwas früher als geplant und nicht einen Moment zu spät. Sie konnte es nicht ertragen eine solch perfide Gestalt wie Vynnor Lucrés auch nur eine Sekunde länger am Leben zu lassen als unbedingt nötig. In einer geschickten Bewegung streifte sie das Kopfteil der synthetischen Textur vom Gesicht, befreite damit ihre glänzenden brauen Haare aus dem engen Textilgeflecht und legte sowohl ihren ungeschminkten Mund als auch Ohren frei. Dabei aktivierte sie ihr Mikrophon und flüsterte: „Der Honig ist bereit für die Bienen. Gestochen wird nur am Rumpf. Der süße Kern ist in der Wurzel. Der Sänger ist laut wie die Nacht.“ Eines musste sie dem Psioniker lassen, die von ihm entwickelte Geheimsprache war einfach und effektiv.
Einen Handgriff später lag das mächtige Gewehr in ihren Händen, während sie sich mit dem Rücken gegen das Steingeländer des Balkonwegs presste. Immerwährend drangen die ketzerischen Gesänge des Hexers zu ihr hinauf und sie sah sich schließlich veranlasst zu handeln, und zwar sofort. Sie wollte und konnte nicht mehr warten. Die folgenden Momente vergingen für sie wie in Zeitlupe. In einer fließenden Bewegung erhob sich die Frau drehend aus der Hocke und ließ den Lauf des Gewehres nach unten in die Halle weisen. Entschlossen verlängerte sich der Blick ihres rechten Auges durch das Fernrohr des Scharfschützengewehres, bis er genau auf den Kopf des Hexers traf. Sie drückte ab und verfehlte ihr Ziel nicht um einen Millimeter, doch es war bereits zu spät.

Wird fortgesetzt...
« Letzte Änderung: 07. Mai 2013, 23:25:07 von Arden Etklint Kleist »

Aller Gnaden Ende
« Antwort #2 am: 07. Mai 2013, 23:24:33 »
Zwei

Weiterhin auf Schleichfahrt und mit ausgeschalteten Scheinwerfern rumpelten die beiden schwarzen Arbites–APCs durch die windumtoste Nacht die letzten Meter des Passes an das Tor des Anwesens heran. Scans mit der fortgeschrittenen Auspextechnologie inquisitorialer Prägung hatten keinerlei technologischen Abwehrmaßnahmen oder Spähsonden erkennen lassen, so dass sich Frost dafür entschieden hatte, das Tor in klassischer Manier aufbrechen zu lassen. Ein Team aus vier Arbitratoren war gemeinsam mit Pater Thracian ausgestiegen, um mit Nachtsichtgeräten ausgestattet das feudale Hindernis zu beseitigen. Im Zwielicht seiner Speziallinsen sah das Gittertor eigenartig grün-gräulich aus, die reptilienartigen Insignien Harholdts waren unter der Schneekruste mittlerweile kaum noch zu erahnen. Der Ex-Arbitrator übersah das Voranschreiten der Arbeiten durch den knappen Sichtschlitz des Rhinos. Im Geheul des Sturmes war das trockene Knirschen des alten Metalles, welches unter dem Angriff der hydraulischen Arbites-Brechstangen rasch nachgab, vielleicht ein paar Meter weit zu hören. Die Männer schoben die Flügel mit schweren Schritten nach innen auf, und vor ihnen erstreckte sich lediglich von Schneetreiben gefüllte Dunkelheit. Sie hatten noch fast einen halben Kilometer Fahrt über die von losen Baumgruppen bewachsene Hochebene vor sich, bis sie auf die Schlucht und die Felsnase treffen würden, auf welcher das Herrenhaus stand.

Ein kurzer Zwischenstopp, bei welchem die bewusstlosen Wachen, welche dem psionischen Schrei Vox‘ zum Opfer gefallen waren, für weitere Befragungen gefesselt, geknebelt und in den hinteren Transportpanzer geladen wurden, war obligatorisch, und die geübten Hände der requirierten Gesetzeshüter versahen die Arbeit in kürzester Zeit. Noch immer gab es keinerleit Nachricht von Honeymoon, weder über die Truppenstärke, noch über die Anwesenheit des Zieles.

Lucius Frost hatte sich einen neuen Lho-stick angezündet und atmete geräuschvoll über seine Nasenlöcher aus. Er begann langsam aber sicher nervös zu werden. Die eiserne Kontrolle über seinen Körper, welche eine der Grundvoraussetzungen für einen erfolgreichen Arbites–Detektiv war, geschweige denn für einen Agenten des goldenen Thrones, führte dazu, dass die innere Unruhe des Anführers den Männern im Rhino gänzlich entging. Allein Pater Thracian warf ihm einen schwer zu deutenden Blick aus seinen erbarmungslosen, grauen Augen zu. Frost erinnerte sich im Geiste selbst daran, dass er sicherheitshalber Blender und Granit, zwei weitere Agenten seines Teams, am Raumhafen von Tulsholm stationiert hatte, nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass Lucrés die Bedrohung gewittert hatte, und untergetaucht war, um den Planeten zu verlassen.

Langsam setzte die schwarze Karawane in der Düsternis des Sturmes ihren Weg fort wie zwei monströse Käfer, die mit knirschendem Geräusch über den hartgepressten Schnee krochen. Nur hie und da brach der blässliche Mond durch die dicke Wolkendecke und gräuliches Zwielicht fiel durch das Schneetreiben. Auch wenn Frost wusste, dass diese Vorsichtsmaßnahme richtig war, drängte alles in ihm dazu, die Scheinwerfer einzuschalten und mit heulenden Motoren auf das Anwesen zuzupreschen und es im Sturm zu nehmen. Er ermahnte sich zu Geduld und Voraussicht und versuchte die Gedanken an Cattaleya zu verdrängen, seine Sorge um sie nicht überhand gewinnen zu lassen. Er hatte bisher erst zweimal ein Mitglied seiner Zelle an den Feind verlieren müssen und nur einmal davon hatte er auch das Kommando gehabt. Rikkard Horlant, so der Name des toten Kopfgeldjägers, würde ihn wohl in seinen Gedanken bis zu seinem Tode begleiten. Was hatte der verdammte Kerl auch seinen Funkspruch missachten und sich exponieren müssen? Frost schloss die Augen und nahm einen weiteren tiefen Zug von seinem Lho.

Der Funkspruch Van‘Sovreans durchdrang die angespannte Stille durch sein Microbead wie das Schlagen der gigantischen Bronzeglocken in der Kapelle des Imperators im Trikornus. Lucius entging gerade noch einem Hustenanfall, als sich sein Atemrhythmus abrupt durch die Unterbrechung der Nachricht änderte. Das Ziel war hier und im Kellergeschoß! Offenbar war mit etwas Widerstand auf der Eingangsebene zu rechnen, doch für bedachtes Vorgehen war nun keine Zeit mehr – „Der Sänger ist laut wie die Nacht!“ hallte die Nachricht in seinem Kopf wieder. Der Ex-Arbitrator schluckte schwer. Der verdammte Ketzer war offensichtlich dabei, irgendeinen unheiligen Plan in die Tat umzusetzen. Er wandte sich an Vox: „Gib ihr folgendes durch: Das Rudel kreist die Beute ein, wild bellt der Leitwolf. Der Honigmond denkt an die Porzellankiste!“ Er konnte nur hoffen, dass Cattaleya sich zurückhalten wurde, da die Unterstützung dabei war, einzutreffen, und dass sie sich an seinen Aufruf zur Vorsicht halten würde. Er wandte sich an Dvorov: „Scheinwerfer an und volle Geschwindigkeit. Und machen Sie die Lautsprecher an!“

Mit deutlichem Heulen reagierten die empörten Maschinengeister der Kettenfahrzeuge, als die Fahrer Ihnen ohne Vorwarnung ihr Äußerstes abverlangten. Die Helligkeit der Scheinwerfer, welche von den tanzenden Schneeflocken reflektiert wurde, ließ den Ex-Arbitrator trotz des Sichtschutzes blinzeln.
Schon nahm er vor sich den dunklen Umriss des feudalen Anwesen der Harholdts war. „Im Namen der heiligen Inquisition - Waffen weg und auf den Boden, Widerstand ist Häresie!“, bellte er mit rauher Stimme in den Voxponder, welcher seine Stimme etwas elektronisch verzerrt und mehrfach verstärkt von den Lautsprechern der Rhinos in Richtung des Anwesens projezierte. Der Herrschaftssitz war mit Flechten bewachsen und saß wie eine aus dunklen Augenhöhlen schielende Kröte am Rand der Klippe, hinter welcher sich das schwarze Nichts eines mehrere hunderte Meter steilen Abgrunds auftat. Noch während die Panzer, von deren Lautsprechern immer wieder Lucius Ermahnung schallte, auf das Eingangsportal zurollten, wurde das Knattern von Gewehrsalven hörbar, Zunächst nur vereinzelt, doch mit jedem Meter organisierter, und als sie schließlich mit blockierenden Ketten wenige Meter vor der Pforte anhielten, hatte sich auch das mechanische Hämmern eines Maschinengewehres darunter gemischt. „So viel zu der Idee, die Wachen könnten noch einen Funken Anstand im Leib haben und unnötiges Blutvergießen könnte vermieden werden“, dachte der Ex-Arbitrator bitter, bevor er sich wieder an Dvorov wandte: „Wir stürmen sofort, feuern sie die Rauchgranaten ab, gemeinsam mit der Deckung unserer blendenden Scheinwerfer sollte das genug Sicherheit für den Sturm der Eingangshalle bieten. Es werden keine Gefangenen gemacht.“ Untermalt von den dumpfen Einschlägen großkalibriger Projektilgeschoße an der Außenhaut des Rhinos ertönte ein dumpfes Knallen, als die Rauchgranaten kurz vor den Panzern ihren Inhalt entluden. Mit einem Knirschen öffneten sich die zugefrorenen Luken der Rhinos und die Arbites schwärmten in hundertfach geübtem Drill daraus hervor, um einen Schutzwall aus Plastekschilden zu formen, durch welche nur die schwarzen Mündungen der Gefechtsschrotflinten hervorblickten.

Lucius zögerte einen Augenblick und wurde sofort von Pater Thracian überholt, welcher unter seinem Helm mit den drei nach oben weisenden Zacken einen furchterregenden Anblick bot. Mit heulendem Kettenschwert sprang der Kleriker in den Schnee und schloss zu den Arbites auf. Als Lucius vor Vox aus dem Panzer kletterte, hörte er auch schon das Fauchen des Flammenwerfers Thracians, den der schwarze Priester wie immer einhändig führte. Qualvolle Schreie antworteten wenige Momente darauf, als aus der brennenden Pforte des Anwesens zwei in Flammen stehende Silhouetten hervor taumelten. „Spart eure Munition, lasst die Ketzer verbrennen!“, hörte er den tiefen Tonfall Gerharts über das Tosen des Sturmes hinweg in seinem im Helm integrierten Kommunikator tragen. Der Sturm auf Haus Harholdt hatte begonnen.

Als würden ihn die qualvollen Schreie der brennenden Ketzer anlocken, denn von nun an war jeder, der es wagte, sich dem Ordo Malleus entgegenzustellen, für Vox eben genau das, blickte der glatzköpfige, kleine Mann neugierig aus dem Truppentransporter der Arbites hervor. Sein Blick fiel auf Pater Thracian, der am Rande seines Sichtfeldes, welches durch Rauch und Schnee stark eingeschränkt wurde, gerade dabei war, selbst die tollkühnsten Arbites zu überholen und an vorderster Front seinen Tod zu suchen. Ganz konnte er den Pater nicht verstehen, denn war dies nicht genau der Grund, warum die Zelle die Spezialeinheit der Ordnungshüter dieses Randplaneten überhaupt erst mitgenommen hatte? Mit einem Schulterzucken sprang der kleine Mann aus dem Fahrzeug - als Letzter verstand sich.

Seine Aufgabe war es, hier die Übersicht zu bewahren, denn einer musste das ja übernehmen. Lucius Frost, den er üblicherweise als recht fähig einstufte, konnte er in dieser Hinsicht nicht mehr vollends vertrauen – einmal davon abgesehen, dass Vox sowieso niemanden richtig vertraute. Diesmal hatte er jedoch einige handfeste Gründe dafür, welche er auch vor Interrogator Immarut Railoun zu nennen gedachte, sollte es nötig sein, in den Augen von Frost unangemessen zu handeln und sich dann dafür rechtfertigen zu müssen. Zuerst war es für den gelernten Empathen nur so eine Ahnung gewesen. Es kam ihm jedoch schon reichlich seltsam vor, dass diese Augenweide namens Van‘Sovrean mehrfach auf Frost einreden musste, bevor er davon überzeugt war, sie alleine als Vorhut hinein zu schicken. Dabei sprach aus rein logischen Gesichtspunkten alles dafür. Zum einen würde sie ihnen nicht im Weg herumstehen, wenn sie gemeinsam das Anwesen stürmten, und zweitens war die Frau sowieso zu nichts anderem zu gebrauchen. Phos‘ Mundwinkel hob sich schelmisch, als er kurz darüber nachzudenken begann, ob sie nicht vielleicht noch für etwas anderes gut sein könnte. Wie dem auch sei, jedenfalls wirkte Frost seither auf seltsame Weise unruhig. Vox hatte zunächst angenommen, es sich nur einzubilden, aber mittlerweile hatte er zwei Fakten, die seinen Verdacht bestätigten. Zum einen war da dieser vielsagende Blick von Pater Thracian, der ihm nicht entgangen war. Vox war also in seiner Vermutung nicht alleine. Was ihn jedoch endgültig davon überzeugte, dass Lucius zu einem nicht unwesentlichen Teil durch Cattaleya abgelenkt war, war die Tatsache, dass der Leitwolf die Botschaft, die er gerade eben der Frau übermittelt hatte, mit Vox‘ eigenem, brillanten Geheimchiffre verschlüsselt hatte.
Dabei war das doch völlig überflüssig, da seine Telepathie unmöglich abzuhören war. Vox hatte sich dafür entschieden, ihr die Botschaft trotzdem verschlüsselt zukommen zu lassen, hauptsächlich deshalb, weil er die Sprache so mochte. Mit dem Pater mitten im Gefecht und Lucius, der folglich nicht zu hundert Prozent bei der Sache war, lag es also wieder einmal an ihm dafür zu sorgen, dass diese Operation vollstens gelang und im Nachhinein als glorreich klassifiziert werden konnte. Etwas Anderes konnte und wollte sich der Psioniker in seiner Akte auch nicht leisten.

Während der Wolf allerhand Anweisungen durch das Mikrofon heulte, folgte ihm Vox in wenigen Metern Abstand. Er selbst war mittlerweile mehr ein blasser Schemen, mehr unwirklich als real und selbst auf kurze Distanz kaum noch wahrzunehmen. Er wäre auch im Stande gewesen komplett zu verschwinden, dies wäre jedoch weit aufwendiger gewesen und aufgrund der ohnehin schlechten Sichtverhältnisse die weniger naheliegende Wahl. Sollte sich trotzdem ein Schuss in seine Richtung verirren, wäre das aber auch so kein großes Drama gewesen, da diese Hinterweltler scheinbar ohnehin nur harmlose Projektilwaffen im Einsatz hatten. Als der Eingang genommen wurde und die ersten Männer auch über die Fenster in das Innere des Hauses eindrangen, wo mittlerweile buchstäblich die Hölle los war, gespien aus dem zuckenden Flammer des Priesters, und Frost nicht den Anschein machte als würde er Rückendeckung nötig haben, beschloss er einem inneren Gefühl folgend eine zentralere Position einzunehmen und den Arbites direkt durch das bereits in inquisitioneller Hand befindliche Eingangstor zu folgen.

Von Gerhart fehlte mittlerweile jede Spur, alleine die schreiend brennenden Ketzer gaben Phos einen vagen Hinweis darauf, in welcher Richtung er ihn zu suchen hatte. Während seine Mitstreiter mit eher martialischen Waffen in den Händen das brennende Haus stürmten, betrat Phos gelassenen Schrittes und nur mit drei Glasperlen in der Hand das Herrenhaus, fast so als würde er dem hiesigen Adel einen höflichen Besuch abstatten. Vox musste lächeln, als ihm ein berühmtes Zitat eines mittlerweile längst toten Psionikers einfiel, das während seiner Zeit auf Terra gelehrt worden war. Er hatte den Namen des Mannes sofort als unwichtig eingestuft und somit längst vergessen, das Zitat jedoch war überaus treffend: „Mein Schwert kann durch Adamantium schneiden als wäre es Papier, und dennoch ist es eine stumpfe Keule verglichen mit der Schärfe meines Willens.“ Ja, dieser Satz hat Stil, denn Vox hatte wahrlich keine Verwendung für stumpfe Keulen. Als er einen weiteren psionischen Schrei manifestierte war dieser so intensiv, dass er sich nicht nur durch das Immaterium ausbreitete, sondern auch in die Wirklichkeit drang. Eine Gruppe aus sechs Wachen, welche sich hinter provisorischer Deckung verschanzt hatten und den Arbites das Leben schwer machten, sowie vier Mann, die sich irgendwo jenseits der Feuersbrunst in der Nähe von Thrasian aufhielten, fielen ohne einen Mucks um wie Reissäcke. Der Knall war diesmal ohrenbetäubend schrill und selbst Vox zuckte leicht zusammen, als in vierdutzend Metern um ihn herum sämtliche Fenster, Gläser, Spiegel und Brillengläser in Millionen kleine Splitter gesprengt wurden. Wo gehobelt wird, da fallen eben Späne, dachte er bei sich.

Wie als Antwort auf seinen psionischen Ruf erbebte das Herrenhaus in seinen Grundfesten, als ein außerweltliches markerschütterndes Brüllen aus dem Untergrund drang. Es war so widerwärtig, dass es gleich mehrfach in diversen kakophonischen Stimmlagen in seinem Kopf wiederhallte. Zum ersten Mal an diesem Abend regte sich in Phos so etwas wie Leidenschaft. Es war leidenschaftlicher Hass, der in ihm hochquoll. ‚Daemon‘, schoss es ihm durch den Kopf. Der abtrünnige Dilettant hatte es also tatsächlich gewagt einen Häscher aus dem Immaterium in diese Welt zu holen. Damit waren auch seine letzten Sympathien bei Vox verspielt. Wie er ihre gesamte Existenz verabscheute, die Unaussprechlichen, die unentwegt und ausdauernd auf einen Fehler von ihm warteten. Die, die ihn behandelten als wäre er ein Dieb, ein Dieb des Immateriums. Sie würden verdammt lange warten, denn Phos Isand machte keine Fehler.

Wie er jedoch im selben Moment verärgert feststellen musste, war er damit ziemlich alleine. Fünf oder sechs Männer der Arbites, darunter selbst Chastener Dvorov machten in diesem Augenblick verängstig kehrt. Einige von ihnen stammelten verwirrte Stoßgebete an den Imperator, der Rest von ihnen machte einfach nur den Eindruck, sich gerade einzunässen. Beim Anblick des erbärmlichen Packs griff sich Vox gequält auf die Stirn. Was hatten sie erwartet, womit sie es zu tun bekommen würden, wenn sie an einer vom Ordo Malleus geleiteten Operation teilnähmen, mit Ladendieben? Zu allem Überfluss veranlasste ihn ein Kugelhagel aus erhöhter Position dazu, in Deckung zu springen. Die Abtrünnigen nutzten scheinbar die Gelegenheit, um die Oberhand zurückzugewinnen. Aber auch wenn Vox‘ Abbild im Moment verzerrt und nur als Schimmer wahrnehmbar war, Zielen konnte man nicht gerade zu ihren Stärken zählen. Als das Krachen einer Boltpistole aus dem Hintergrund ertönte und auf dem hölzernen Balkonweg die Balken zu splittern begannen, atmete Phos erleichtert auf. Lucius war eingetroffen. Das nahm ihm lästige Arbeit ab und verschaffte ihm die Zeit, die er jetzt dringend benötigte. Als der Kugelhagel stoppte und Lucius mit einem Höllenlärm unentwegt einen Ketzer nach dem anderen ins Jenseits beförderte, brachen die Wolken über dem Anwesen derer von Harholdt auf und ein Strahl aus gleißend hellem und angenehm warmem Licht flutete das Anwesen. Er wusch die Kälte völlig aus allen Gedanken. Der Gestank von Tod, Qualm und Rauchgas wich einem berauschenden Duft aus Psalmian und Weihrauch, wie Vox ihn einmal in einem dem Imperator geweihten Tempel auf Terra wahrgenommen hatte. Es war, als würde der Gott-Imperator persönlich ein Auge auf dieses einsame Anwesen mitten im Nirgendwo richten. Jetzt erschien alles plötzlich Sinn zu ergeben, und die Möglichkeiten waren unbegrenzt. Sie mussten hier und heute einen Sieg erringen, koste es was es wolle. Dvorov selbst war es, der sich als erster wieder umwandte, und mit einem lauten, „Für den Imperator“, seine gesamte sichtlich faszinierte Truppe mitten durch die Flammen in das Herz des Anwesens führte, so als wäre er unverwundbar.

Was die Anwesenden nicht wussten war, dass Vox den Sinnen seiner Verbündeten nur einen vergleichsweise einfachen Gedankenstreich spielte, den jeder halbwegs fähige Telepath beherrschte. Das letzte was sie jetzt gebrauchen konnten waren ein paar ängstliche Hosenscheißer. Außerdem, wenn wirklich noch ein Daemon auf sie wartete, dann würden sie das Kanonenfutter bitter nötig haben.

Da ihre Opposition diese Illusion nicht wahrnehmen konnte, reagierte sie dementsprechend unbeeindruckt. Vox sechster Sinn konnte eine größere Truppe Verstärkung wahrnehmen, welche in den nächsten Sekunden aus östlicher Richtung zu ihnen stoßen und den mittlerweile fanatisch kämpfenden Arbites damit voll in den Rücken fallen würde. Kurz überlegte er seine Information an Frost weiterzugeben, entschied jedoch, dass die Verzögerung inakzeptabel sei und entschloss sich daher selbst zu handeln. Seine telepathische Verbindung war noch immer aufrecht, also gedachte er diese zu nutzen. So verstellte er seine Stimme, aufdass sie wie jene von Frost klang, und mischte ein leichtes Rauschen hinzu, sodass es sich anhörte, als würde Lucius über Funk sprechen. Dann sandte er gezielt eine Botschaft an den Fahrer des südlichen Rhino: „Frost an rechten Schuh, voller Schub durch die Hauswand etwa 14 Meter östlich des Einganges. Krachen sie voll hindurch und zerstören sie soviel sie können. Jetzt sofort!“ Dieser kaufte ihm seinen kleinen Trick ab, was ihm jedoch keiner ankreiden konnte. Selbst Lucius eigene Mutter hätte Schwierigkeiten gehabt die Täuschung zu durchschauen.

Direkt darauf antwortete der Fahrer des Rhinos durch das Voxkomm und für Frost gut hörbar mit einem deutlichen „Verstanden!“. Von draußen heulte der mächtige Motor des Transporters auf, als er nur wenig später mit voller Wucht etwa ein dutzend Meter östlich von Frost durch die Hauswand krachte.  Einen Berg aus Schutt vor sich her schleppend zerstörte er zudem eine tragende Mauer. Frost sah gerade noch, wie die vordersten Männer des geplanten Flankenangriffs jäh unter dem herabfallenden ersten Stockwerk des Nebenzimmers begraben wurden. Der Funkspruch von Van‘Sovrean, die etwas außer Atem zu sein schien, bestätigte im selben Moment, was Vox schon vermutet hatte. Die Dummeit von Lucrés, seinen eigenen Körper als Dämonenwirt zu benützen, schockierte jedoch selbst ihn: „Ein Daemon, ein geflügelter Daemon, Lucrés hat sich verwandelt. Höchste Gefahr…argh“ Damit war der hübsche Blickfang also schon mal Geschichte. Vox konnte nur hoffen, dass der Daemon der Versuchung nicht widerstehen konnte und sich noch an ihr vergreifen würde, bevor er sie tötete, oder auch in umgekehrter Reihenfolge. Das würde der Truppe Zeit bringen, die sie dringend benötigte. Die Opposition  musste jetzt mit allen Mitteln niedergeschlagen werden, damit der Häscher mit vereinten Kräften vernichtet werden konnte.

Der Eingangsbereich gehörte mittlerweile ihnen. Lucius‘ Befehle hallten durch das Microbead, und irgendwo war auch noch ein surrendes Kettenschwert zu hören, was Vox darauf schließen ließ, dass der irre Priester noch immer am Leben war. Bisher hatten sie keinen Verlust hinnehmen müssen. Lediglich einer der Arbites war an der Schulter verwundet worden, würde den Tag jedoch überleben - ein weiteres Indiz dafür, dass die Schießkünste seiner aktuellen Opposition in keine Annalen eingehen und nur mit hämischem Unterton in seinem Bericht Erwähnung finden würden. Erneut ließ ein markerschütternder und kakophonisch nachhallender Schrei das Anwesen erzittern…

Der brennende Türrahmen der Eingangshalle bot ein dramatisches Bild, als der Glaubenskrieger in der Carapacevollrüstung in großer Geschwindigkeit an den brennenden Häretikern vorbeistürmte. Rechtschaffener Hass und Leidenschaft durchfluteten ihn wie ein reinigendes Feuer. Als erster erreichte er die Türschwelle und blickte in die feudale Empfangshalle, in welcher ein Kamin am entgegengesetzten Ende eingerahmt von etlichen Gobelins thronte. Zahlreiche kleine Flammen leckten an den Dielen des alten Holzbodens der Halle und warfen gespenstische Schatten. Hinter einem hastig umgeworfenen groben Holztisch und dazugehörigem Diwan zischte ein Laserschuss in seine Richtung und hinterließ einen verkohlten Fleck am Brustpanzer Gerharts, ohne ihn jedoch zu verwunden. „Dies Irae“ murmelte er, bevor er in die Richtung des Tisches sprintete und mit einem gewaltigen Satz darüber hinweg setzte. Die Zeit des Zornes war gekommen! Thracian duckte sich unter dem Bajonettschwung eines Ketzers hinweg, welchen er mehr aus dem Augenwinkel wahrnahm und führte sein heulendes Kettenschwert in einem Halbkreis rechts unter dem Rumpf des Feindes hinweg. Mit einem hässlichen Geräusch zermalmten die scharfen, gegenläufigen Klingen der gesegneten Waffe die Beine knapp oberhalb der Knie des Mannes, welcher kaum noch die Möglichkeit hatte, einen überraschten und gepeinigten Schrei auszustoßen, bevor er in einer Lache aus Blut nach hinten umfiel. Nach einem kurzen Moment der Überraschung, welcher Gerhart gerade genug Zeit gegeben hatte, sich mit dem Rücken zur Wand zu positionieren, gingen die drei in braune Mäntel gehüllten Wachposten zum Gegenangriff über. Der Kleriker war in einer Position, die ihm durchaus nicht unwillkommen war. Von zahlreichen Entermanövern im Dienst der Raumflotte war dem Sternengeborenen der Kampf in enger Umgebung zu einer zweiten Natur geworden. Der Mann zu seiner Linken schwang den Gewehrkolben nach Gerharts Kopf und verfehlte um Haaresbreite, während der hünenhafte Glaubenskrieger dem Bajonettstoß von rechts mit einem Ausfallschritt und einer fast elegant anmutenden Parade mit seinem perfekt ausbalancierten Kettenschwert begegnete. Der dritte Ketzer traf den Kleriker am linken Oberschenkel und nur die metallverstärkte Bionik bewahrte Thrasian vor einer Verwundung, als die scharfe Klinge durch eine kleine Lücke der Panzerung drang. An der Hand des Angreifers erspähten seine wütend blitzenden Augen das grotesk missgebildete Fehlen zweier Finger und das klauenartige Horn, welches die restlichen drei bedeckte. Mutanten! Einer Welle gerechten Zornes gleich beschrieb seine Waffe zwei zuckende Kreise und wie durch Butter drang die Klinge durch die verdorbenen Formen seiner Feinde, welche der reinen menschlichen Form frevelten. Einer der Mutanten wurde von der linken Schulter bis zur rechten Hüfte gespalten und während noch der Schauer aus Blut in der näheren Umgebung einem frühlinghaften Platzregen gleich niederging, trennte Gerhart mit einem sauberen Schlag den Kopf des anderen von seinen Schultern. Der verbliebene Ketzer wollte sich gerade zur Flucht wenden, als Dvorov mit zweien seiner Männer zu Thrasian aufschloss und sie ihre Schrotgeschosse aus nächster Nähe in den verderbten Körper pumpten. Wie eine Marionette im Sturm wurde der Körper zweimal herumgerissen und fiel dann in grotesk verdrehter Haltung mit einem satten Schmatzen auf den alten Holzboden.

Gerhart deutete mit der triefenden Klinge in Richtung des Ganges rechts des Kamins und rückte, etwas in den Schutz der Schilde der Arbites zurückfallend, mit den Männern des Chasteners vor. Er wollte gerade seinen Flammenwerfer gegen einen neu erschienenen Trupp von Hauswachen erheben, als ein Schrei hinter Ihnen ertönte, so laut, dass unweigerlich die Ohren aller Anwesenden zu bluten begonnen hätten, wäre das kratzige Kreischen nicht vor allem in ihren Köpfen gewesen. Mit einem trockenen Knacken splitterte der große goldumrahmte Spiegel über dem Kamin und zerbarst in tausende kleiner Scherben, welche über dem Kleriker und den nahen Arbites niederregneten. Ein kühler Luftzug zeigte ihm an, dass auch die Fenster der Eingangshalle sämtlich zerbrochen waren und nun der von außen herein heulende Sturm die Flammen mit frischem Sauerstoff anstachelte. Er wandte sich um und erblickte den Psioniker, welcher der Zelle neu zugeteilt worden war und auf fast naive Art und Weise die Halle betreten hatte. So zentral positioniert stellte Isand eine ideale Zielscheibe dar. Gerhart zuckte mit den Schultern – „möge ihn der Imperator schützen, wenn er es wert ist“, dachte er bei sich, bevor er mit den Arbites weiter auf den Gang vorrückte.

Sie kamen gerade ein paar Schritte weit, bis ein unirdischer Schrei das Anwesen erbeben lies. Während die Psi-Manifestation des Sanktionierten zwar unangenehm, aber doch leicht erträglich gewesen war, so fühlte sich das Kreischen, welches aus den Tiefen der Erde selbst zu kommen schien, unrein und verderbt an. Dank seines unbarmherzigen Trainings auf Maccabaeus Quintus schüttelte der Glaubenskrieger die dämonische Aura, welche über sie hinweg wusch, ab wie schmutziges Wasser. Auf Dvorov und seine Männer jedoch hatte der unheilige Laut einen weit tiefgreifenderen Effekt. Einer der Arbites ließ seine Schrotflinte fallen und riss sich nach hinten taumelnd den Helm von den Ohren, um diese mit beiden Händen zu bedecken. Der Chastener selbst warf unsichere Blicke unter seinem Sturmhelm hervor und zog sich mäßig geordnet mit dem verbleibenden Rest in Richtung der nächsten Wand zurück. Gleichzeitig krachten mehrere Schüsse von der Galerie, welche linkerhand die Eingangshalle auf ganzer Länge flankierte. Thracian sah, wie Isand eilig in die unsichere Deckung hinter einem umgestürzten Bücherregal flüchtete. Als der Kleriker Frost beide Boltpistolen auf die Ketzer in erhöhter Position abfeuernd aus dem linken Gang kommen sah, gab er knapp über Funk zu verstehen: „Der Sänger hat eine Kakophonie entfesselt - ich versuche zum Abgang ins Untergeschoss vorzustoßen!“ Er war sich sicher, dass seine Zellenbrüder die Situation unter Kontrolle bekommen würden.
Als der Kleriker mit wehendem schwarzem Umhang im rechten Gang verschwand, wirkte Phos Isand seine Illusion und stachelte die Arbites-Truppen zu neuem Kampfgeist auf. Ein grimmiges Lächeln erschien auf dem Gesicht Gerharts, als er den Kriegsruf Dvorovs hinter sich vernahm. Bisher schlug sich der Sanktionierte für einen unverbesserlichen Sünder nicht übel.

Er hatte gerade eine weitere Wolke aus fauchendem Promethium in ein Nebenzimmer geschickt und wechselte nun, in eine Gangnische gedrückt, die Kartusche des Flammenwerfers, als der Funkspruch der adeligen Diebin metallisch verzerrt in seinem Helm widerhallte. Thracian hielt einen Moment inne und verschränkte seine Finger zum Zeichen der Aquila. „Imperator vult. Die Kakophonie darf den Rumpf nicht verlassen, die Schwingen müssen gebunden bleiben“,  sprach er mit fester Stimme in sein Helm-Mikro. Fast beiläufig fuhren die rotierenden Klingen seiner mächtigen Nahkampfwaffe in den brennenden Körper des letzten überlebenden Häretikers, welcher aus dem Nebenraum getaumelt kam. Gerhart nahm ihn nur peripher wahr. Sein wahres Ziel, dem nun all sein reiner Hass galt, lag tiefer in diesem Tempel der Häresie verborgen.

Einige Momente zuvor war der Augenblick seines Triumphes gekommen. Sie hatten ihn für einen Narren gehalten, einen überheblicher Kleingeist, Dabei waren sie es doch, die schlecht vorbereitet waren. Sie wollten einen Mann wie Vynnor Lucrés überraschen… wie überaus amüsant. Einen Erleuchteten seines Kalibers und seiner Größe konnte man aber nicht überraschen, niemals. Wieso wohl hatte er das Blutbad auf Palinurus Rhys überlebt? Wieso war er wohl so lange unentdeckt geblieben, ohne jemals auch nur den Hauch einer Spur zu hinterlassen? Oh, wie weit er ihnen doch allen überlegen war. Der Adelige konnte sie zu jeder Zeit sehen, wenn sie nach ihm suchten. Und diese Würmer, diese kleinen dreckigen Maden glaubten allen Ernstes ihm etwas befehlen zu können? Ihm sagen zu können, er solle sich den schwarzen Schiffen stellen? Der Gedanke war so widerwärtig, das ihm dabei fast übel wurde. Doch die Zeit des Versteckens war vorbei, die Zeit seiner Flucht bereits Geschichte. Nun würde er sich für alles rächen, für den Verrat an seinem Haus, für den Verlust seines Reichtums und des Lebens in Glorie, das er hatte eintauschen müssen für ein schmutziges Dasein in der Unterwelt. Er hatte sich dafür entschieden, sich wieder zu erheben, wie ein Phönix aus der Asche, um sein Haus zu neuem Ruhm zu führen. Jeden, der sich ihm in den Weg zu stellen wagte, würde er zerquetschen wie ein Insekt. Seien es die Arbites, der Ordo Hereticus oder auch, wenn es sein müsse, die gesamte Flotilla Calixis. Seine Macht würde bald grenzenlos sein, das hatte ihm die Stimme aus der Finsternis versprochen. Mit ihr gemeinsam würde er herrschen, sein Haus würde erstrahlen in Dunkelheit und er würde der Primarch dieses Hauses sein, den einzigen und wahrhaftigen Gott preisend.

Als er sein sonores Gebet an den Herrscher des Wandels richtete, war sein Geist von Zufriedenheit durchströmt. Zugegeben, diese kleine Gewehrschützin auf dem Geländer hatte er nicht kommen sehen, aber sie konnte ihn auch nicht mehr aufhalten. Sie hatte nichts verändert, war daher unbedeutend und es war nur allzu logisch, dass er sie deshalb nicht hatte wahrnehmen können. Würde ein Mensch einer Ameise Aufmerksamkeit schenken, wenn er von einem Raubtier bedroht wird? Nein, er würde sie einfach zerstampfen und es nicht einmal bemerken.

 Einer nach dem anderen nahm sich sein Leben, um es ihm zu geben. Diese Narren mit ihren schwachen Geistern, sie hätten die Größe seines Genies niemals erfassen können, deshalb konnte er sie auch beherrschen – er war der Puppenspieler und sie seine Marionetten. Jetzt lag es an ihm, ihre gesammelte Essenzen dem Einen und Einzigen zu schenken… Tzeentch, seinem Herrn und Meister. In seiner Hand hielt er den Schlüssel zur Zukunft. Naxarim der Seelendieb, so der Name des goldenen Dolches, eine Gabe des Herren des Schicksals an ihn, das Versprechen für seine Zukunft. Die Klinge war scharf an beiden Seiten und wies eine geschwungene Form auf. An ihr waren verschiedenste Gravuren so fein und genau, dass sie nur bei starker Vergrößerung überhaupt zu sehen waren und so perfekt, dass niemals ein Sterblicher sie hätte in die Klinge ritzen können. Die Symbole auf der Klinge beinhalteten einen Abschnitt des Codex Purus Veritatem, einem unheiligen Buch des Herrn des Wandels. Der Griff vergoldet und gewellt, der Knauf kugelförmig und mit einem blutrotem Rubin verziert. Endlich war der Moment gekommen...

Eripias me, Domine veritatis,
Venite ad me Dominus in veritate,
Ex cinere mihi Dominus in veritate,
Nunc et aeternum.

Dies waren die letzten Worte, die Cattaleya von dem Hexer gehört hatte und es sollten seine letzten gewesen sein. Als die Frau auf ihn anlegte überschlugen sich die Ereignisse. Der Ketzer stach sich mit dem goldenen Dolch in den Leib und in einer Explosion aus Blut, die aus dem Leichenhaufen und den geopferten Kuttenträgern drang, wurde Lucrés in eine rote Sphäre gehüllt. Schwarze Blitze begannen zu zucken und Eis bildete sich an den Wänden. Die Temperatur im Raum fiel so tief, dass der Adeligen selbst unter ihrer zweiten Haut zu frösteln begann. Blut floss in Strömen die Wände herunter und erstarrte noch auf halbem Wege zu rotem Eis.

Doch dieses Mal ließ sich die Adelige von all dem Wahnsinn nicht mehr beeindrucken. Ihr Blick war fixiert und die Kugel auf ihren Weg geschickt. Was jedoch vor wenigen Sekunden noch ein vitales Ziel darstellte, war nun nichts weiter als eine unbedeutende Stelle von etwas anderem. Während der Hexer das Blut in sich aufsog und die Blitze ihn verbrannten, begann er erbärmlich zu schreien. Sein Kopf versank in seinen Torso und seine Gewänder verkohlten noch an seinem Leibe, als er auf die vierfache Größe heranwuchs. Hörner aus fließendem Blut quollen aus allen Teilen von dem, was von Lucrés noch übrig war. Aus seinen Schulterblättern schossen pechschwarze Schwingen bestückt mit zerfledderten und vor Blut triefenden schwarzen Federn hervor. Auf seiner Brust formte sich schließlich ein Gesicht, dessen Nase ein langer spitzer Schnabel war. An Händen und Beinen bildete das Wesen lange geschwungene Klauen, scharf wie Messer und lang wie Schwerter. Beständig umgab den Daemon eine Schicht sich ständig veränderten und an ihm herab fließenden Blutes. Als der Prozess beendet war, schrie das Biest so laut, dass es Cattaleya beinahe betäubt hätte. Sein Schrei hallte in ihrem Kopf gleich mehrfach in verschiedensten Tonlagen wieder. Sie gab einen weiteren Schuss ab, dieses Mal frontal auf den Körper. Tatsächlich merkte das Biest kurz auf, erschien jedoch nicht sonderlich beeindruckt. Stattdessen setzte es beide Schwingen in Bewegung und schoss sich völlig der Schwerkraft widersetzend nach oben.

Mit übernatürlicher Wucht krachte der Daemon gegen den Balkonweg und schlug mit beiden Fängen nach Cattaleya. Die schiere Gewalt seines Aufpralls hatte den Beton des Balkonweges in Stücke gesprengt. Gerade noch rechtzeitig hatten sie sich mit dem Fuß vom Geländer abgestoßen um sich in den Nischenweg zu retten. Abermals schrie der Daemon so laut, dass das gesamte Herrenhaus zu beben begann. Sie hatte den Luftstoß der Klauen gefühlt, als sie die Luft vor ihrem Gesicht förmlich zerschnitten. „Thron der Erde...“, flüsterte die junge Adelige heiser vor Entsetzen. Der Nischenweg war zu klein und zu schmal für den Daemon, daher nutzte sie die Gelegenheit und gab einen dritten Schuss ab, doch die Bestie war so schnell vor dem Ausgang verschwunden wie sie davor aufgetaucht war. Cattaleya beschloss, dass sie hier nichts mehr tun konnte und zu den anderen aufschließen musste. Im selben Moment erkannte sie, wie einfältig der Gedanke doch war, lebend aus diesen Gewölben zu entkommen. Hätte sie nur auf Lucius Befehl gehört und wäre in der Porzelanvase versteckt geblieben. In einer rollenden Bewegung wich sie einer Salve spitzer, gefrorener Blutstacheln aus, welche das Wesen in den Gang geschleudert hatte. „Ein Daemon, ein geflügelter Daemon, Lucrés hat sich verwandelt. Höchste Gefahr… argh“ Sie verzichtete bewusst darauf Voxskrit zu verwenden. Die Zeit der Infiltration war vorbei, und mit diplomatischen Worten konnte sie hier auch nicht viel erreichen. So schnell wie ihre Beine sie trugen huschte die flinke Diebin durch die Gewölbe des Anwesens in Richtung Oberfläche. Ihre Größe gepaart mit ihrer Geschwindigkeit waren der einzige Vorteil, den sie in den engen Gängen gegenüber dem Daemon hatte.

Da war sie, die Wendeltreppe nach oben... fast geschafft.  Bereits schwer atmend sprintete Cattaleya dem Aufgang entgegen. Von dem Unwesen hatte sie länger nichts gesehen, und das war ihr nur recht so. Doch es wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein. Nur wenige Meter vor ihrem Ziel explodierte die rechte Wand förmlich, als der Daemon mit seinem massiven Körper hindurch stieß. An der Schulter von einem Mauerteil erfasst, wurde sie zurückgeschleudert und zu Boden geworfen. Der Daemon benötigte keine Sekunde um sich zu orientieren und fuhr mit den Klauen auf sie herab, doch schlugen diese nur eine tiefe Kerbe in den staubigen Flur, wo Cattaleya eben noch gelegen hatte. Ihre braunen Haare wirbelten wild herum, als sie sich verzweifelt umblickte. Keine Niesche weit und breit, kein schmaler Seitengang, nur sie und das Biest und ausreichend Platz für den Daemon sie zu zermalmen. Nach kurzer Analyse ihrer Ausweglosigkeit kam ihr eine Idee, so verwegen, dass ihr Herz zu rasen begann wie nie zuvor. Ihr Körper erbebte förmlich bei dem Gefühl der Anspannung, dass jeden ihrer feinen Muskeln durchströmte, und sie liebte es. Alles auf eine Karte setze änderte sie ihre Taktik und lief todesmutig auf den Daemon zu, was ihr den erhoffen Moment der Überraschung einbrachte. Dabei zog sie Sovrean aus ihrem Stiefel, schleuderte die blaue, vor Energie knisternde Klinge in das Gesicht der Warpkreatur und versenkte sie in einem ihrer Augen. Abermals schrie der Daemon auf, was Cattaleya die Möglichkeit verschaffte, sich mit Anlauf und mit den Füßen nach vorne zu Boden zu werfen und zwischen seinen  Beinen hindurch zu gleiten. Cattaleya blickte sich nicht um, spürte jedoch den Luftstoß, den der massige Daemon erzeugte, als er sich umwandte, um ihr nachzuschlagen. Doch abermals war ihm die Diebin einen Schritt voraus. So konnte er nichts tun als zornerfüllt mit anzusehen, wie der kleine Mensch in der hautengen pechschwarzen Gewandung über die enge Wendeltreppe aus seinem Blickfeld verschwand. Das Haus erbebte ein drittes Mal, als die Warpkreatur voll des Wutes schrie. Cattaleya wurde von einem Hochgefühl berauscht, so intensiv, wie sie es noch nie wahrgenommen hatte. Jetzt musste sie nur noch das Rudel des Leitwolfes finden...

„Lucrés du verdammter Bastard“, knurrte der Ex-Arbites zwischen zwei hastigen Atemzügen, als das dämonische Geheule aus den Tiefen des alten Gebäudes ertönte. Sie konnten von Glück sagen, dass die Entfernung die Wirkung des psionischen Schreis abschwächte. Den Funksprüchen der Truppen in der Eingangshalle zu entnehmen, war der moralische Effekt dort weitaus stärker, während seine Begleiter entweder lediglich unschöne Flüche ausstießen, ein Stoßgebet zum Imperator schickten, oder im Falle Dorundys, der Frau im Trupp, es schafften, beides auf eine Art und Weise in wenigen Worten zu verpacken, die knapp ans Lästerliche grenzte.

Er war an der Spitze eines Stoßtrupps aus drei Arbitratoren über die Fensterfront an der Westseite des Gebäudes eingedrungen, wo die Auspex-Scans des Kommando-Rhinos im ersten Stock das MG-Nest, welches die Truppentransporter unnachgiebig beharkte, ausgemacht hatten. Sie waren über eine Galerie, gesäumt mit Ölbildern der Ahnen derer von Harholdt eingedrungen, die Fenster waren gezielten Schlägen mit den Kolben der Schrotflinten zum Opfer gefallen. Jahrhundertelang vor schädlichen Witterungseinflüssen bewahrte Kunstwerke würden innerhalb von Minuten von der grausamen Kälte und der hohen Luftfeuchtigkeit dahin gerafft werden. Wenn man bedachte, was mit den Adeligen geschehen würde, wenn der Hexer erst gefasst war, eine durchaus passende, schicksalshafte Allegorie. Frost riss sich von seinen Überlegungen los, als sie eine enge Wendeltreppe nach oben vorstießen.

Am Ende der Treppe stießen sie zum ersten Mal auf Widerstand. Als wären die Ketzer vorgewarnt worden, riss ein humanoides Wesen mit grässlich entstellten Gesichtszügen die Holztüre auf und stürzte sich, ein glitschig anmutendes Gurgeln ausstoßend, mit bloßen Händen auf den erstbesten Gegner: Ostiil. Frost kannte den Mann erst seit einigen Stunden und hatte trotzdem versucht, zumindest einige Worte mit ihm zu wechseln und sich seinen und die Namen der anderen Ordnungshüter einzuprägen. Die Männer und Frauen zu kennen, denen man im Kampf sein Leben anvertrauen musste, war eine der Kerndoktrinen des Ex-Arbites.

Krachend löste sich ein Schuss aus der Gefechtsschrotflinte, als die Kreatur Ostiil um Sekundenbruchteile zuvor kam und den Lauf der Waffe mit schuppiger Hand gegen die Wand schlug. Der Widerhall war trotz des in den Sturmhelmen integrierten Lärmschutzes ohrenbetäubend. Frost war zwischen Dorundy und Erwak blockiert, in der engen Marschordnung war kaum an den Einsatz seiner Boltpistolen zu denken. Die stämmige Frau vor ihm lies augenblicklich ihre Schusswaffe fallen und zog einen länglichen Stab, welcher mattes gelbliches Licht zu verströmen begann, als der Mechanismus der Schockwaffe mit tiefem Summen zum Leben erwachte. Sie drückte sich eng an die rechte Wand, als ihr Vordermann die Balance verlor und samt seinem mutantischen Angreifer in tödlicher Umklammerung gegen die linke Wand der Treppe fiel. Bevor Lucius Zeit hatte, mit seiner Boltpistole ein verlässliches Ziel zu finden, bereinigte Dorundy die Situation: Begleitet von einem knackenden Geräusch entlud ihr Schockstab seine volle Voltanzahl in das Genick des in graue Lumpen gehüllten Mutanten, dessen Geifer sich bereits auf Ostiils Sichtschutz zu verteilen begonnen hatte. Augenblicklich erschlaffte der Griff der grotesken Hände um den Hals des gefallenen Kameraden und der Körper des Mutanten zuckte noch kurz, bevor ihm die Arbitratorin einen Tritt verpasste, der den Körper die Treppe nach unten beförderte. Mit beiden Händen wischte sich Ostiil den zähen Schleim vom Helm, um sich wieder freien Blick zu verschaffen. Lucius war positiv überrascht von der Professionalität mit welcher der Mann den Schrecken der Attacke an sich abprallen ließ.

Dorundy schnappte ihre Schrotflinte mit einer geübten Handbewegung und gab per Helmmikro knapp „Ich übernehme die Führung! Der Imperator beschützt!“ durch, bevor sie aus der Hüfte feuernd in den Raum am Ende der Treppe vorrückte. Frost ließ Erwak hinter sich vorbei und deutete ihm mit einer knappen Geste seiner tollkühnen Kollegin Feuerschutz zu geben. Er deckte den Abgang mit seiner Boltpistole und reichte Ostiil die linke Hand, welcher sich mit dankbarem Nicken hochzog. Er nahm sich vor, die beiden Arbitratoren für seinen späteren Bericht vorzumerken, sollten sie die heutige Nacht überleben.
Er folgte den beiden Ordnungshütern in die schmale Turmkammer und überblickte einen kreisförmigen Raum mit erkaltetem Kamin zur Rechten und einem massiven Bücherregal zur Linken. Etliche schmutzige Matratzen und abgestandene Luft, in welcher der Geruch von altem Schweiß und feuchtem Mauerwerk miteinander konkurrierten, kündeten von einer Handvoll Männer, welche hier ihr Schlafquartier eingerichtet hatten. Eine Holztreppe führte einen weiteren Stock nach oben, von wo aus das charakteristische Knattern einer weiteren MG–Salve zu Ihnen herunter drang.

Lucius legte den linken Zeigefinger auf die Lippen und schlich die Boltpistole in der rechten zur Deckenluke erhoben durch das Zimmer. Er pausierte kurz bei einem kleinen Beistelltisch um das darauf abgestellte grünliche Fläschchen zu heben und den Inhalt zu inspizieren. Der charakteristische, stechende Geruch der öligen klaren Flüssigkeit in Kombination mit der kruden Spirale, welche als Zeichen die Flasche zierte, bestätigte seinen Verdacht: Spuk. Offensichtlich hatten die Wachposten hier noch vor kurzer Zeit die höchst illegale Droge konsumiert, deren brisante Wirkung eine tiefere Verbindung mit den Höllen des Warps darstellte. Die Erklärung für die hexerische Voraussicht des ersten Angreifers war gefunden, es blieb zu hoffen, dass die übrigen Ketzer andere Auswirkungen der Droge spürten. Mit zusammengekniffenen Augen leerte er die Flasche auf eine der Matratzen aus und  winkte die stämmige Frau zu sich. „Auf mein Signal werfen sie die Flasche im Kamin nach oben. Ihr Zerbrechen wird uns einen Moment der Überraschung gewähren. Ich stürme mit den anderen.“, flüsterte der Ex- Arbitrator ihr zu. Er positionierte sich mit den Männern an der Treppe und zählte langsam mit den Fingern von drei abwärts. Als Dorundy die Flasche im Kaminschacht nach oben warf, wartete er einen Atemzug auf das brechende Geräusch des Glases und stürmte dann gefolgt von den beiden Ordnungshütern in die letzte Kammer des gedrungenen Turmes.

Oben angekommen drehten sich vier in braune Mäntel gehüllte Figuren in einem improvisierten MG-Stand an einem zerborstenen Fenster erstaunt in ihre Richtung um. Es konnte sich nur um Augenblicke handeln, bis die Bastarde das großkalibrige Automatikgeschütz neu ausrichten würden. Dem kurzen Augenblick der Stille folgte das hochfrequente Krachen der semiautomatischen Mündungsfeuer von Ostiil und Erwak, welches rasch vom Röhren der Boltpistole begleitet wurde. Wie reife Melonen platzte der Kopf des Munitionsträgers, knapp gefolgt vom Oberschenkel des Schützen. Die aufkommenden Schreie gingen rasch im Kreuzfeuer des Sturmkommandos unter. Als Dorundy über die Treppe nach oben gehetzt kam, waren von den Mutanten am MG-Stand nur noch blutige Fetzen über.

Während sie die Waffen nachluden, hörte Frost über Helmfunk die gestammelten Stoßgebete der Trupps in der Eingangshalle begleitet vom Krachen halbautomatischer Gewehre.  In dem Chaos des Angriffs war es nicht einfach, solche Details herauszuhören, doch als Ex–Arbitrator konnte Frost das Geräusch ihrer Schrotflinten blind vom Knattern der Schnellfeuerwaffen des Feindes unterscheiden. Offensichtlich waren die Truppen im Eingangsbereich  in Bedrängnis.

„Dorundy, Erwak, sie übernehmen den Westflügel, es ist noch mit schwacher Gegenwehr zu rechnen, keine Heldentaten! Nach der Beendigung des Durchsuchens melden sie sich sofort über Funk. Keine Gefangenen!“, schärfte Frost den beiden Arbitratoren ein.
„Sie kommen mit mir, Ostiil!“, mit diesen Worten stürmte er die Treppe nach unten in die Galerie, wo sich mittlerweile die Ölgemälde in Schichten von den Stoffbezügen schälten und einen bizarren Anblick boten. Sie bogen nach rechts in einen schmalen Seitangang ein, in welchem schon der Feuerschein, welcher die Eingangshalle erfüllte, lange Schatten an die Wände warf. In klassischem Arbites–Drill deckten sich die beiden Männer gegenseitig, bis sie ihren bedrängten Verbündeten aus neuem Winkel Feuerschutz gegen die Schützen in der erhöhten Position der Galerie boten.

Mißtrauisch kniff Lucius die Augen zusammen, als wärmendes Licht die Halle flutete, erstaunt roch er Weihrauch und … einen Hauch von Myrrhe? „Hexenwerk!“, schoss es ihm durch den Kopf. Er schüttelte sein Haupt und mit der Bewegung entledigte er sich der Illusion. Das graue Zwielicht, in welchem die Flammen über dem siedenen Promethium tanzend gespenstische Schatten an die Wände warfen, kehrte in die Halle zurück. Dvorov und die restlichen Arbites schienen jedoch neuen Mut zu schöpfen, ein kurzer Blick zu Isand zeigte ihm, woher dieser überweltliche Beistand gekommen sein musste. Er konnte nur hoffen, dass sich die voranstürmenden Arbites an ihre Gefechtsdrills erinnern würden und nun nicht einen sinnlosen Heldentod suchen würden.
Pater Thracians Funkspruch in Voxskrit bestätigte Lucius Befürchtung: Sie würden es tatsächlich mit einem Daemon zu tun bekommen. Ein Glück, dass die Arbitratoren diese Warnung nicht verstehen konnten, sonst wären sie dem voranstürmenden Kleriker wohl kaum so bereitwillig gefolgt. Er ließ sich etwas zurückfallen und nahm im Gegenzug zu Isand eine gedeckte Position hinter dem umgeworfenen Tisch bei der Sitzgruppe ein, um sein Data-Slate zu ziehen und die Karte des Anwesens zu studieren. Wohl mehr instinktiv hatte der Glaubenskrieger grob die richtige Richtung gewählt. Während Frost etwas nachrückte und über sein Mikrofon Richtungsangabe und Befehle bellte, um dem Vordringen ins Innere des Gebäudes eine geordnete Struktur zu verleihen, knackte plötzlich das „Verstanden“ des zweiten Rhinofahrers durch den Äther.

Der Ex–Arbitrator drückte sich gegen einen Mauervorsprung und blickte in die Eingangshalle zurück, wo unter herabstürzendem Mauerwerk ein paar dunkle Gestalten zu Boden gingen und einer der Scheinwerfer des Truppentransporters begleitet vom Knirschen der Ketten auf trockenem, zerborstenem Ziegel sein grelles Licht in die Halle warf. Ein Blick in das selbstzufriedene Gesicht des sanktionierten Telepathen waren genug für Lucius um Isand als Ursprung dieser Aktion zu identifizieren. Kurz war er zwischen Ärger über diese Insubordination und Überraschung über die brutale, unorthodoxe Effizienz hin und hergerissen, entschied sich jedoch aufgrund des Hilferufes Honeymoons, diese Entscheidung bis auf weiteres aufzuschieben. Der Eingangsbereich gehörte Ihnen und gemäß Van‘Sovreans Beschreibung war die verbleibende Truppenstärke im Obergeschoß nur noch minimal. Eilig befahl Lucius zwei weitere Arbitratoren in den Ostflügel, oder, was davon nach der Attacke des Rhinos noch übrig war, dann gab er auf der allgemeinen Funkfrequenz durch: „Wir rücken gemeinsam bis zum Abgang ins Untergeschoß vor. Niemand dringt ohne meine Anweisung weiter vor! Isand, schließen sie auf und zwar zackig!“ Er zwang seinen hektischen Atem zur Ruhe, als er sich seinen Weg in dem schmalen Gang an den Arbites-Kämpfern vorbei bis an die Seite von Gerhart drängte. Auf dem Data-Slate zeigte er ihm den Weg in Richtung Abgang und lies sich dann in eine hängende Position hinter der Spitze des Angriffes fallen. Auch wenn die Sorge um die Thronagentin an ihm nagte und wie ein pochender Kopfschmerz im Hintergrund seines Bewusstseins ruhte, zwang er sich zur Ruhe – ohne gezieltes Vorgehen stand nicht nur ihr Leben auf Messers Schneide.
« Letzte Änderung: 09. Mai 2013, 07:08:13 von Arden Etklint Kleist »

Aller Gnaden Ende
« Antwort #3 am: 08. Mai 2013, 21:14:40 »
Drei

Dem Befehl des Leithammels folgend schloss Vox zum Rest der Truppe auf. Im Eingangsbereich, wo der irre Pater zunächst ein für den Sanktionierten willkommenes Lagergrillen mit Häretikerbuffet veranstaltet hatte, war es mittlerweile ziemlich ungemütlich. Schuld daran war vor allem der brennende Holzboden, der sich langsam in hoch giftigen Rauch verflüchtigte. Frost hatte vor Beginn der Mission darauf bestanden, dass Phos sich zwei wenig komfortable Filterstöpsel in seine Nasenöffnungen steckte. Mittlerweile war er für die Voraussicht des Ex-Arbitrators durchaus dankbar, und hatte vor, diese Vorsichtsmaßnahme im Nachhinein auch löblich zu erwähnen. Denn auch wenn man es dem narzisstischen Psioniker nicht sofort ansah, so war ihm dennoch bewusst, dass selbst der fähigste Mann immer noch viel Potential nach oben hatte. War nicht der Imperator selbst der lebende Beweis dafür? So war auch er über die seltenen Gelegenheiten dankbar, in denen er sich verbessern konnte, und sich nicht dafür zu schade, dies auch einzugestehen.

 Obwohl bisher alles nach dem Geschmack von Frost ablief, durchdrang Vox ein Gefühl der Unruhe. Der Widerstand der Opposition war auf vereinzelte Schüsse kleinkalibriger Waffen reduziert, welche an den Flakschilden der unter dem Kommando des Gruppenprimus rigoros vorrückenden Arbitratoren harmlos abprallte. Ihr Ziel war ein zentral liegendes Foyer. Vox hatte seine Architektur mit den zwei breiten gebogenen Marmortreppen, die von einem Halbstockwerk schließlich in den ersten Stock des Anwesens führen würden, von dem aus man über ein Geländer von allen Himmelsrichtungen in das Erdgeschoss hinunter blicken konnte, memoriert. In dessen Zentrum würde eine Treppe sein, welche sich eng geschlungen nach unten wand um schließlich in den Weinkeller zu münden. Etwas prägnanter ausgedrückt also der ideale Ort, um in einen Hinterhalt zu laufen. Doch das war es nicht, was Vox beunruhigte. Das taktische Gespür, nicht vollkommen blindlings in diese offensichtliche Falle zu tappen, hätte er einem 12-jährigen zugetraut. Es war etwas anderes.
Um eine klarere Definition für seine Vorahnung zu bekommen duckte er sich hinter einem Kasten weg und ließ seinen psionischen Fokus im geschwungen Ballett über seine Handfläche kreisen während er seine Sinne auf Reisen schickte. Die vielen kleinen Schatten seiner Umgebung bestätigten die Vorahnung, dass der Kampf um das Anwesen noch nicht endgültig entschieden war. Seine wahre Aufmerksamkeit erhielt jedoch ein rotes Glühen, charakteristisch für ein Wesen mit enger Verbindung in die Untiefen des Irrealen. Ein Psioniker war anwesend und dieser war der Grund für seine Unruhe. „Ein zweiter Sänger spielt auf dem Parkett. Die Porzellanvase umgibt den Bruder des gerechten Feuers. Der Pianist empfiehlt den Sprühregen“, rauschte die kratzige Stimme von Isand durch das Micro.

Lucius‘ und Vox‘ Blicke trafen sich nur einen Moment später. Der Blick des Anführers war fest, rein und völlig konzentriert, wie ein Wolf, der seine Beute fixiert hatte. Auf Terra, in der Psychana Telepathica, wurde ein angehender Sanktionierter nicht nur auf übersinnliche Fähigkeiten geschult, sondern auch die weltlichen. „Ein wahrhaftiger Telepath kann die Gedanken seines Gegenübers mit einem einfachen Blick in dessen Gesicht lesen.“ Tatsächlich sah sich Vox durchaus als Meister darin, Menschen einzuschätzen und ihre Mimiken zu lesen wie ein offenes Buch. In diesem Moment verriet ihm der Blick des Ex-Arbitrators viele seiner Gedankengänge. Frost haderte damit, ob er dem Urteil seines neu zugeteilten Psionikers vertrauen konnte. Vox ahnte, dass der Mann einen durchaus gesunden Respekt vor den Mysterien des Immateriums hatte, die der einfache Verstand des Anführers nicht im Ansatz verstehen konnte. Dennoch bekam Phos in diesem Moment das Gefühl, dass seine Überlegungen tiefer begründet lagen und durchaus etwas mit seinem kleinen Trick mit dem Rhino zu tun haben mochten. Die folgenden Befehle, die der Ex-Arbitrator seinen Männern zukommen ließ, zeigten durchaus Charakter, denn dieser war zweifellos nötig, um seine eigene Taktik zu Gunsten eines Vorschlages eines Untergebenen zu verwerfen.

Wie von Vox suggeriert ließ Frost die Arbitratoren ausfächern und ausschwärmen. Sie würden sich dem Foyer mit den Stiegen von allen Seiten gleichzeitig nähern. Er selbst begleitete zwei von ihnen, bei denen seine Anwesenheit sichtliches Unbehagen auslöste, über einen Umweg durch den Westflügel, um aus nördlicher Seite eindringen zu können. Ein wie aus dem nichts auftauchender Guerillakämpfer, der sich fernab seiner verbündeten Ketzer hinter einem opulenten aber verwaist aussehenden Sofa verschanzt hatte, stieß plötzlich aus seinem Unterschlupf hervor und deckte das Trio aus kürzester Distanz mit einer vollen Breitseite seines automatischen Maschinengewehrs ein, ohne dabei jedoch auf das obligatorische irre Gelächter zu verzichten. Dem blonden, kurzgeschorenen Arbitrator mit der schiefen Nase zu seiner linken, der etwa in Vox' Alter sein mochte und dessen Namen ihn eigentlich nicht wirklich interessiert hatte, war deutlich anzusehen, dass sein unbedeutendes Leben in diesem Moment vor seinen weit aufgerissenen Augen vorbeizog. Vox reagierte schlagartig und mit einem Mal verlangsamte sich der Fluss der Zeit in seinen Gedanken bis er nur noch eine zähe Masse war. Er sah wie das Gewehr des Ketzers mit jedem Austritt einer neuen Kugel leicht verzog und das Feuer, das jede Patrone beim Verlassen der Mündung begleitete. Während er mit den Gedanken im Empyreum wob, verdichtete er den Raum des Materiellen und entzog den Kugeln jegliche kinetische sowie potentielle Energie, sodass sie wie von unsichtbarer Hand gehalten mitten in der Luft direkt vor dem Körper des jungen Arbites zu stehen kamen. Todesursache: Zwei Kugeln in den Kopf, zwei in den Oberkörper, eine in den Oberschenkel. Alle Kugeln Kaliber .45. Tod trat sofort ein. So etwas in der Art wäre wohl in dem gründlichen Bericht von Lucius Frost zu lesen gewesen.

Vox hätte nur zu gerne den dummen Gesichtsausdruck des Ketzers gesehen, den Moment in dem die Erkenntnis seiner Chancenlosigkeit, seiner völlige Unterlegenheit und seines sicherer Todes in seinem Blick Ausdruck gefunden hätte. Doch eine prompte Kugel des anderen Arbitrators, der sein Gesicht hinter einem trüben Schutzhelm verbarg, hatte den Häretiker am Hals getroffen, sodass leider nichts außer einer entstellten Mimik zurückblieb. Das leise Klacken, welches die fünf Gewehrkugeln erzeugten, als sie einen Moment später harmlos zu Boden fielen, komplettierte der Glatzkopf mit dem ungepflegten Kinnbart mit den großspurigen Worten: „Wieder einer mehr, der in meiner Schuld steht… aber machen sie sich keine Sorgen, ich lasse keinen Gefallen uneingelöst.“

Beim Rest des Weges durch das Anwesen gab es keinerlei Gegenwehr. Den Positionsangaben und vereinzelten Meldungen seiner Kollegen entnahm der Sanktionierte, dass es den anderen Truppen ähnlich erging. „Zinnober bereit, Primaris bereit“ Er ergänzte die Bereitschaftskette mit einem „Magenta in Position“. Beinahe gleichzeitig krachten aus westlicher, südlicher und östlicher Richtung die mit feinen Intarsien verzierten, hölzernen Zugänge des stattlichen Treppen-Foyers aus ihren Angeln. Unter der Deckung von Blend- und Rauchgranaten, welche als erstes den Raum blitzend erhellten und grauen Nebel verbreiteten, stürmte der Ordo Malleus mit vereinten Kräften das Foyer. Luam Harholdt hatte bereits auf sie gewartet.

Als die ersten Arbitratoren in den Raum stürmten, war nur ein leises Singen wie aus mehreren Kinderkehlen zu vernehmen. Mit erhobenen Sturmschrotflinten rückten die Teams in aufgefächerter Formation gegen die Treppe vor, deren Ende mittlerweile auch im Nebel verborgen war. Die Lampen, welche an den Waffen befestigt waren, hinterließen mit ihren fahrigen, nach einem greifbaren Ziel suchenden Bewegungen ein verwirrendes Zickzackmuster im Nebel. Mit jedem Schritt, welchen die Trupps auf die Treppe zumachten, wurde der Gesang eindringlicher.

Plötzlich fegte ein Windstoß durch den Raum und der Rauch der Granaten verflog in gespensterhaften Schlieren. Gleichzeitig wurde die düstere Halle von zahllosen kleinen Lichtern erhellt, welche von großen weißen Kerzen ausgingen. Immer mehr und mehr Lichtlein wurden auf der Galerie entzündet, gehalten von feinen Kinderhänden, bis schließlich die gesamte obere Galerie innerhalb weniger Momente von einem brennenden Lichtermeer erfüllt war.  Auch das Singen der Mädchen und Jungen hatte schlagartig an Intensität zugenommen, die Sturmtruppen sahen sich einer Masse aus Kindern gegenüber, welche das Tasten der Suchlampen aus starr zurückblickenden Augen erwiderten. Inmitten der Schar ragte eine Gestalt auf, gekleidet in einen roten Samtumhang mit Brokatbesatz. Das bleiche Antlitz starrte mit offen grinsendem Mund auf die schwarz gekleideten Angreifer herab, aus dem rechten, nach oben verzogenen Mundwinkel troff ein feiner Faden Speichel auf das Stecktuch des Adeligen. Die schielenden Augen flitzten über den Hallenboden hinweg und musterten die Ordenshüter, welche, konfrontiert mit einem Heer unschuldiger Kindersoldaten, wie erstarrt wirkten. „Geht, meine kleinen Engel! Auf den Schwingen des Windes des Wandels fliegt für mich!“, kicherte Harholdt, während seine Stimme von anfänglich tief und sonor bis in unangenehm schrille Tonlagen kletterte.

Wie ein Mann setzte sich die Schar der kleinen Kerzenträger in Bewegung und begann die Treppe herab zu marschieren, wobei bei jedem Schritt die Kerzen etwas stärker aufloderten. Thracian presste die schmalen Lippen eng aufeinander, während er sich hinter zwei Arbitratoren hervordrängte. „Ihre Seelen sind gefangen und beschmutzt. Jede Sekunde, die sie in dieser Welt verweilen, verfangen sie sich mehr im Dickicht des Chaos. Verschont niemanden, der Imperator wird die Seinen erkennen.“, stieß er hervor.

Mittlerweile hatten die ersten der kindlichen Geschöpfe das Bodenniveau erreicht. Gerhart stürmte an der linken Flanke vor und blickte nach oben in Richtung des Hexers, welcher sich irr kichernd an der Brüstung der Galerie festhielt. Entschieden richtete er seinen Flammenwerfer auf die Treppe, auf welcher die Kinder herab schritten. Die ersten Schüsse krachten in Richtung Harholdts, welcher kreischend hinter einer steinernen Balustrade Deckung suchte. Wie gelähmt ließ der Arbitrator am rechten unteren Ende der Stiegen seine Schrotflinte sinken und streckte dem blonden Mädchen vor ihm, welches ihn aus leeren Augen anstarrte die offene Hand entgegen. Ein Sprühregen aus Promethium ging auf der Treppe nieder und Gerharts Augen weiteten sich im Zorn, als die hochbrennbare Substanz sich weigerte, Feuer zu fangen. Die wenigen Flammen, welche erwachten, als der Strahl die Flammen der Kerzen berührte, erloschen nach kurzem Kampf. „Ein Pyro – vers….“, der Funkspruch von Vox ging in der Kakophonie unter, welche entstand, als die Hand des Arbitrators sich auf den Kopf des Mädchens zu senken begann. Mit einem teuflischen Grinsen hielt das Kind die Flamme seiner Kerze an den Ärmel des Mannes. Zweimal leckte die Flamme versuchend daran, wie um den Geschmack zu testen, dann loderte eine grellrote Flamme auf, deren Zungen sich nach innen zu wenden schienen und das gellende Kreischen des Mannes übertönte die weiteren Worte Isands. Sie waren ohnehin hinfällig. Thracian warf seinen Flammenwerfer zu Boden und packte das gesegnete Kettenschwert mit beiden Händen. „Tötet sie alle! Der Imperator will es!“, hallte seine tiefe Stimme in den Helmmikrofonen wieder.

In geübtem Drill knieten die vorderen Arbites nieder und die dahinter stehenden traten heran, eine Wand aus Carapace und Schrotflinten bildend. Während einige der ersten Schüsse trotz Gerharts Gebot als Warnschüsse über die Köpfe der nun wild voranstürmenden Kinder gedacht waren, fegte die darauffolgende Salve mit schrecklicher Kraft in die kleinen Körper. Die Flammen der Kerzen tanzten und verwoben sich miteinander, bis sie eine einzige flammende, wogende Decke bildeten, welche sich gierig nach allen Seiten ausstreckte. Pater Thrasian hatte auf seinen ersten Schritten die Treppe hinauf noch versucht, die kleinen Körper bloß beiseite zu schieben, doch sofort hatten sich die Kinder wie besessen auf den Kleriker gestürzt und ihn sogar beinahe zu Fall gebracht. Jetzt schwang der Glaubenskrieger seine Kettenschwert mit beiden Händen, seine Rüstung über und über mit Blut besudelt.  Plötzlich explodierte seine Umgebung in einem Feuersturm aus grellem Rot und düsterem Violett. Die Hitze griff unbarmherzig nach ihm und versengte sein Barthaar trotz des Schutzes seines Carapacehelmes und raubte ihm die Luft zum Atmen. Er ging keuchend in die Knie und schlug den linken Ellenbogen vor den Sehschlitz. Als er den Arm wieder sinken ließ, stand er in einem Kreis verkohlter Leichen, der mit Promethium getränkte Teppich auf der breiten Steintreppe hatte kurz ebenfalls Feuer gefangen, doch schon wanden sich die schwindenden Flammen gequält und erstarben. Ein unheiliges Werk. Einzelne Stofffetzen an Gerharts schwarzer Robe waren noch nicht vollständig der Feuersbrunst zum Opfer gefallen und glimmten noch. Fettiger Rauch hatte begonnen die Luft zu füllen und driftete in Schwaden nach oben. Nicht nur er war von dem Angriff betroffen gewesen. Mehrere Arbitratoren wälzten sich auf dem Boden um die Flammen, welche an ihren Körpern leckten zu ersticken und überall war der Boden mit geschwärzten Leibern übersät. Wäre der Wille und der Glaube des Klerikers nicht so eisern gewesen, er wäre in die Knie gebrochen, um den Imperator um Gnade für all die jungen Seelen anzuflehen. Thracian biss die Zähne zusammen - der Hexer würde für jede einzelne Seele büßen.

Aus dem Augenwinkel erspähte er Frost, welcher allem Anschein nach Isand mit sich in Deckung hinter eine der Steinsäulen gerissen hatte. Auf den Befehl des Primus begannen etliche der Sturmtruppen auf die Decke zu feuern. Der Sinn war Gerhart nicht klar, doch er vertraute seinem Anführer. Sein eigener Kampf lag anderswo. „Harholdt!“, brüllte er und stürmte mit weit ausgreifenden Schritten die Treppe nach oben, die verbleibenden Kinder, welche sich ihm in den Weg zu stellen begannen beiseite fegend. Er schwang sich mit einem gewaltigen Satz unterstützt durch die Servomotoren seines bionischen Beinapparates über das steinerne Geländer und setzte mit dumpfem Geräusch wenige Meter von dem abtrünnigen Hexer entfernt auf, das Kettenschwert in der rechten Hand, surrend, wartend.

Luam Harholdt war einst ein gutaussehendes Mitglied der Adelsschicht auf Zumthor gewesen - der Kleriker hatte Bilder von ihm in Frosts Briefing gesehen. Er konnte sich sogar an die neckische und lästerliche Bemerkung Van‘Sovreans über das männliche Kinn des Mannes erinnern. Seit seine psionische Begabung erwacht war, war Harholdt ein Schatten seiner selbst geworden: Er war um mehrere Jahrzehnte gealtert, wobei eher anzunehmen war, dass die Verjüngungskuren im Kontakt mit dem Makel des Warp ihren Einfluss eingebüßt hatten. Tiefe Falten bedeckten das bleiche Gesicht des einst stattlichen Adeligen, über hängenden Tränensäcken wirkten die im feurigen Widerschein gelblich glühenden Augen wie in tiefen Höhlen liegende, glühende Kohlen. Die Gestalt war gebeugt und klauenartig reckten sich die fleischigen Hände in Richtung des Klerikers. Der Brokatbesatz der Samtrobe Harholdts war an mehreren Stellen angesengt, doch insgesamt war seine Kleidung unversehrter, als sie hätte sein dürfen. Während sich Gerhart aufrichtete, vollführte der Hexer zwei verzerrte Gesten mit den Händen, welche daraufhin in dunkelviolette Flammen gebadet wurden. „Komm nur, komm, kriecherischer Sklave des falschen Imperators!“, kreischte er ihm entgegen, während ein weiterer Speichelfaden aus dem Mund des Hexers troff. Die gesegnete Klinge des Kettenschwerts heulte laut auf, als der Motor die Zähne beschleunigte und Gerhart stürzte sich mit einem lauten „Für Terra!“ auf den ketzerischen Hexer.

„Inquisition.“ Brem schauderte bei dem Gedanken. Aber noch konnte er fliehen, noch war es nicht zu spät. Sollte der irre Harholdt doch sein letztes Gefecht im Foyer führen. Mit diesem Wahnsinn wollte er nichts mehr zu tun haben. Nichts könnte ihn dazu bringen, noch einen Moment länger in diesem Alptraum zu verweilen als nötig. Sie hätten sich ergeben sollen, ja, das hätten sie. Das Knistern, Knarren und Rattern des teilweise in Flammen stehenden Anwesens und des nicht enden wollenden Feuergefechts hinter sich lassend war er im südlichsten Teil des passagenweise eingestürzten Ostflügels im großen Esszimmer angekommen. Er sah die alte Balkontür und die Freiheit, die draußen auf ihn wartete. Fünf Stunden Fußmarsch durch die Nacht, das würde er schaffen.

Niemand würde etwas ahnen. Hier würden sowieso bald alle tot sein. Er erschrak. Ein Geräusch, ganz leise, aber es war da. Konnte es möglich sein, dass noch jemand die Befehle missachtete und versuchen würde zu fliehen? Zeugen waren jedenfalls das letzte, was der Mann jetzt gebrauchen konnte. Als er nach der Quelle des Geräusches hinter sich suchte, erregte ein mattes rötliches Glühen seine Aufmerksamkeit. Unbewusst erweiterte sich seine Iris als sich sein Blick auf die feine Klinge fokussierte, die auf der altertümlichen und mit feinen Gravuren verzierten Kommode wie auf dem Präsentierteller lag. Es handelte sich um einen silbernen Dolch, dessen Klinge von einem feinen roten Schimmer umspielt wurde. War das möglich? Konnte der irre Harholdt wirklich so etwas Wertvolles hier liegen lassen? Dieser Dolch würde sein Schlüssel in ein neues Leben sein! Hastig lief er in Richtung des Schatzes und begab sich damit genau in das Fadenkreuz des Assassinen. Brem streckte noch seine Hand aus, als Cattaleya abdrückte. Sein Gesicht wurde durch die Wucht der großkalibrigen Munition völlig entstellt als er zur Seite weg kippte und zu Boden fiel. Er blieb regungslos liegen. Die Frau atmete befriedigt aus, und löste damit die Anspannung aus ihrem Körper. Elegant wie eine Gazelle und flink wie ein Raubtier huschte sie sogleich aus ihrem Versteck und verbarg die Energieklinge namens Vaniryl beiläufig wieder in ihren linken Stiefel. So schnell ihre Beine sie trugen machte sie sich weiter auf den Weg ins Zentrum des Anwesens, ohne jedoch einen Laut über das Komm von sich zu geben. Sollte der Feind doch ihren Funk abhören, so wie es Lucius ursprünglich befürchtet hatte, dann wäre sie besser dran wenn niemand von ihr wusste.

Gerade noch rechtzeitig mit dem Krachen der Türen und dem Explodieren der ersten Rauchgranaten unter ihr im Erdgeschoss erreichte Van‘Sovrean das Foyer vom ersten Stock aus, den sie mit Hilfe ihrer Kletterausrüstung über die Außenwand erreicht hatte. Ihr Spiegelschlauch hatte es ihr ermöglicht unter der Türe eines Musikzimmers hindurch zu blicken und so die zwei hinter dem Geländer der Galerie lauernden Scharfschützen zu erspähen. Unter der Deckung der Explosionen öffnete die zierliche Gestalt in der schwarzen zweiten Haut die Türe nur einen schmalen Spalt, gerade weit genug, um mit ihrem kleinen Körper hindurch zu schlüpfen.

Panus hatte sich weit über das weiße Holzgeländer der Galerie im ersten Stock lehnen müssen, aber jetzt hatte er den Mann endlich ins Visier bekommen, den verdammten Hexer, dessen Stimme noch immer in seinem Kopf dröhnte - dieser Schrei, dieser ekelhafte Schrei. Er war von Zorn erfüllt, als der Kopf des herumstolzierenden Psionikers der Inquisition genau im Fadenkreuz auftauchte. Das ließ ihn kurz zittern und verzögerte sein Handeln. Noch einmal ermahnte er sich zur Ruhe, als er tief Luft holte und seinen Lauf stabilisierte. 'Jetzt...' Er war Scharfschütze gewesen seit dem Tag, an dem ihm sein Vater mit sechs Jahren eine Waffe in die Hand gedrückt hatte. Für Momente wie diese lebte Panus. Es war der ultimative Moment. Er drückte ab... doch nichts geschah. Erst im nächsten Augenblick wurde ihm klar, dass seine Hand nicht mehr an seinem Körper hing…

Panus blickte sich erschrocken zu seinem Kollegen um. Er lag in einer roten Lache tot neben ihm. Noch bevor er begreifen konnte was vor sich ging, fühlte er eine wohlige Wärme in seiner Bauchgegend. Als er an sich hinunterblickte sah er die Spitze der rot glühenden silbernen Klinge, welche mit unzähligen ihm unbekannten Glyphen versehen war, zweifelsohne heilige Symbole des Mechanicum oder anderer längst vergessener Mysterien. Dann kam der Schmerz, doch ein fester Griff um seinen Mund verhinderte jeden Laut, den nicht auch eine Maus hätte von sich geben können. Als er das Gefühl in seinen Beinen verlor erwartete er, nach hinten zurückzufallen, doch etwas hielt ihn fest, fing seinen Sturz ab und ließ ihn sanft und ohne einen Laut zu Boden gleiten. Kurz bevor es dunkel wurde erhaschte er noch einen Blick auf seinen Mörder. Er sah in das Gesicht einer Frau, so makellos und wunderschön, dass er nicht wusste, ob er schon im Elysium angekommen war.

Einige Meter weiter unter dem sterbenen Panus im Erdgeschoss kauerte Phos Isand hinter einer umgestürzten Statue neben Lucius, der unaufhörlich damit beschäftigt war, kleine Kinder zu töten. Die verkrüppelte Haltung des Psionikers glich in diesem Moment der einer verängstigten Katze. Er hasste das Chaos, und das hier war Chaos in seiner reinsten Form. Doch er wusste, dass dies alles hier nur ein Vorspiel war, ein Präludium. Der eigentliche Spaß stand ihnen allen noch bevor.

Einer der Arbitratoren, der am ganzen Körper in Flammen stand und seine Sinne längst dem Wahnsinn geopfert hatte, versuchte sich in seinem Elend hinter besagter Statue zu Boden zu werfen. Zu seinem Pech war dieser Platz schon besetzt und Vox versetzte dem Mann einen Tritt mit dem Fuß, und verhinderte so, von dem brennenden Leib des mittlerweile ohnehin nutzlosen Gesetzeshüters erdrückt zu werden. Der Psioniker ächzte genervt auf, als langsam Teile des Daches unter dem Beschuss nachzugeben begannen. Hier würde es sehr bald noch ungemütlicher werden. Denn wenn der Pyromant starb, würde das auf dem Boden verteilte Promethium lichterloh in Flammen aufgehen und der halbe Raum mit ihm. Der Nebel versperrte ihm die Sicht auf Harholdt und reduzierte seine aktuelle Funktion zu der eines Statisten. Hätte er sich wenigstens eine Pistole mitgenommen, hätte er jetzt zumindest beim Schlachten der Kindersoldaten mitmachen können, welche dem gnadenlosen Kugelhagel wenig mehr als ihre kleinen Leiber entgegenzusetzen hatten. Aber eigentlich wollte er gerade einfach nur noch hier raus.

Weiter östlich im Raum mitten auf dem Halbstockwerk des Foyer stand Luam Harholdt, der vor Verzückung gluckste als er mit seinen Händen kreiste und eine mehrere Meter breite Wand aus Flammen genau zwischen ihm und dem Priester der Inquisition entstehen ließ.  Schon wollte er seinen anderen Gästen weiter eine Kostprobe seiner Talente gewähren, da erblickte er in den Augenwinkeln eine Gestalt. Sie war zunächst nur ein dunkles Schemen, und er hielt sie erst nur für eine optische Täuschung oder einen Schatten. Pater Thracian sprang mit erhobenem und surrendem Kettenschwert durch das Flammenmeer. Das Inferno leckte an seiner Rüstung, seiner Haut und seinen Haaren, doch wie von unsichtbaren Kräften umgeben wurde sein Körper vor der versengenden Hitze der Flammen beschützt. Er beschrieb einen weiten Sprung nach vorne, zog das Kettenschwert schräg von oben herab und durchschlug den Körper des Ketzers von der Schulter abwärts bis zu Hüfte. Die hochgewachsene Gestalt des Hausherren fing an zu wabern, fast so, als hätte Gerhart mit seinem Schwert durch Wasser geschlagen, zog sie viele kleine Wellen, doch von Blut war nichts zu sehen.

Einen Moment später gab der Dachboden ein lautes und gequältes Knarren von sich, das so klang, als würde er in seinen letzten Atemzügen um sein Leben ringen. Wie aus dem Nichts tauchten ein rötliches Glühen und eine kleine humanoide Silhouette hinter dem Ketzer auf. Ein schneller Satz nach vorne und die rote Klinge stach durch die Hüfte des Pyromanten wie durch einen Laib Brot. Erst jetzt sah Gerhart die braunen, funkelnden Augen Cattaleyas, die groß wie die einer zahmen Hauskatze aus geduckter Haltung an Luam vorbei zu ihm hinaufblickten. Und auch wenn die Umrisse des Psionikers abermals zu schimmern und rauschen begannen, so quoll diesmal Blut an der Klinge Vaniryls herab, der Lebenssaft des Ketzers. Gerhart zögerte keine Sekunde und beendete das Leiden des Herren derer zu Harholdt mit einem mächtig geführten Schlag gegen dessen Rumpf. Das Kettenschwert heulte wie wild auf, als sich seine Zähne durch den Leib fraßen und ihn in Begleitung eines Schwall Blutes und dampfender Eingeweide schließlich zweiteilten. Noch bevor der Oberkörper Harholdt's den Boden berührte, ging sein gesamter Körper in einer superheißen Stichflamme lichterloh in Flammen auf und zerfiel sofort zu glühender Asche.

Auch der Dachstuhl des Hauses hatte unter dem unaufhörlichen Dauerfeuer der Eindringlinge endgültig seinen letzten Atemzug getan. Als einer der Hauptträger den Halt verlor, fiel ein großer Teil des Daches wie ein Kartenhaus zusammen und krachte mit voller Wucht auf alles, was sich darunter befand. Vox hatte nicht zu viel versprochen. Beinahe gleichzeitig mit Luams Tod fing der über und über mit Promethium überzogene Boden Feuer. Eine für alle Anwesende wohl tödliche Feuersbrunst wurde von dem herunterstürzenden Dachstuhl jedoch gerade noch rechtzeitig im Keim erstickt, während sich der Großteil des Ordo Malleus schützend unter dem Vorsprung der Galerie in Deckung befand. Als das letzte Trümmerstück zur Ruhe kam, war es mit einem Schlag still. Das Tosen des Sturmes, der jetzt durch die Decke heulte, sowie das Knistern vereinzelter kleinerer Feuer, die nicht zur Gänze erstickt worden waren, nahm Cattaleya gar nicht wahr, zu groß war der Kontrast zu dem ohrenbetäubenden Lärm, der gerade eben noch im Foyer geherrscht hatte. Von Luam war nichts mehr übrig und auch sein junges Gefolge war dem Erdboden gleichgemacht. Das Gebäude schien endgültig in der gerechten Hand der Inquisition.
All die Anspannung, all das Grauen und vor allem die Eindrücke ihres sicheren Todes fielen von Cattaleya ab wie Bleigewichte. Mit einem über beide Ohren strahlend lächelnden Gesicht warf sich die charmante Frau mit einem erlösenden Anfall von Glück in die Arme Gerharts und drückte ihn fest. „Ich lebe...“, hauchte sie voll Freude wieder mit dem Wolfsrudel vereint zu sein.

Als Vox die Augen wieder öffnete sah er das verschwommene Gesicht eines Mannes, dessen Merkmale er wenig später als das Gesicht von Frost identifizierte. Aus den Bewegungen seiner Lippen folgerte er, dass er ihm gerade irgendetwas mitzuteilen versuchte, was jedoch bei den höllischen Kopfschmerzen und dem beständigen Surren in seinen Kopf unterging, sodass Phos keine Silbe verstand. Der Abend hatte so gut angefangen doch aus irgendeinem Grund hatte das Schicksal scheinbar beschlossen, ihn von nun an mit brennenden Gegenständen zu beglücken. Zuerst der nutzlose, in Flammen stehende Arbitrator und nun ein verirrter von brennenden Promethium überzogener Backstein, der sein Haupt mit voller Wucht an der Kopfdecke erwischt und ihn unsanft zu Boden geworfen hatte. Der besorgte Blick, den er in Lucius Augen wahrnahm, gab ihm Grund zur Annahme, dass die Wunde übel aussah. Dennoch war der Psioniker zuversichtlich. Schmerzen waren für ihn nichts Unbekanntes. Die Erinnerungen an die Streckbänke des Schwarzen Schiffs „Glorreiche Pflicht“ kamen in ihm hoch. Er musste schmunzeln, denn das hier war gar nichts dagegen. Jeder Schmerz bei dem man noch klar denken konnte war nichts dagegen. Er würde noch nicht schlappmachen, nicht bevor diese Sache hier erledigt war.

Als Vaniryl in den Händen der jungen Adeligen vor Vorfreude zu vibrieren begann löste sie die Umarmung, um schockiert auf ihre uralte Waffe hinunter zu blicken. Eine eiskalte Gänsehaut lief ihr über den Körper, als die Bedeutung begriff. In den „Impositis De Van'Sovrean“, dem uralten Geschichtsbuch der Blutlinie der Van'Sovreans  stand geschrieben, dass die Zwillingsklingen wie ein Paar waren, immer vereint, auf dass sie niemals getrennt werden mögen und immerdar nach Vereinigung strebten. Vaniryl konnte seinen Zwilling fühlen, als er sich schnell näherte…
« Letzte Änderung: 09. Mai 2013, 16:59:52 von Arden Etklint Kleist »

Nakago

  • Mitglied
Aller Gnaden Ende
« Antwort #4 am: 09. Mai 2013, 02:29:36 »
Wirklich gut geschrieben, die Aktionen kommen sehr dynamisch rüber. Man merkt, dass du dich ziemlich tief in die Materie und Hintergrund von 40K eingearbeitet hast. Großes Lob. Allerdings verwirrt mich persönlich der andauernde Perspektivwechsel etwas.

Aller Gnaden Ende
« Antwort #5 am: 09. Mai 2013, 07:04:23 »
Danke für das Lob  :D

Der Text stammt allerdings gar nicht von mir, sondern von zwei meiner Spieler, Sjeg und Inigo Hound, wie sie im Online-Forum des DnD-Gates heißen, die abwechselnd geschrieben haben. Da jeder der Spieler zwei Charaktere spielt, kommt es zu den häufigen Wechseln. Ich habe das Schriftstück lediglich korrigiert und im Stil meines im Anschluss foldendes Textes "Aller Gnaden Ende" formatiert. Da hier die Charaktere sehr gut eingeführt werden und ich persönlich die "Akte Vynnor Lucrés" sehr unterhaltsam finde, habe ich sie als Präludium vor dem Kampagnentext benutzt.

Aller Gnaden Ende
« Antwort #6 am: 09. Mai 2013, 17:02:23 »
Vier

„Vox, verdammt! Bleiben Sie bei uns!“ Schon mehrfach hatte Lucius dem sanktionierten Psioniker, an dessen kahlgeschorenem Schädel eine tiefe, blutende Platzwunde wie ein obszöner zweiter Mund gähnte an die Wange geschlagen. Beim Nachgeben des Daches war ein verirrter Backstein von einem Querpfeiler abgeprallt und hatte Isand am Kopf erwischt. Augenblicklich war der Mann leblos zu Boden gesackt. Frost fluchte innerlich. Was hatte der Psioniker mit dem gelinde gesagt schwierigen Charakter auch seinen Helm im Rhino gelassen? Erleichterung durchflutete ihn, als Vox seine Augen zögernd zu öffnen begann, und er lehnte den Oberkörper des Verwundeten mit einer sanften Bewegung gegen die umgestürzte Statue aus blassweißem Marmor. Er klopfte ihm beruhigend auf die Schulter und rang sich zu einem „Halten Sie den Kopf unten, Vox, wenn Sie nicht noch mehr narbige Andenken sammeln wollen. Bleiben Sie wo Sie sind, ich schicke Ihnen den Pater, damit er sich das mal ansieht.“

Das Heulen des Sturmes erfüllte mittlerweile das gesamte Foyer, wenngleich der Lautstärkeunterschied den Ex-Arbitrator unangenehm an sein Gefühl von „Ruhe vor dem Sturm“ von vorhin erinnerte. Wo kurz zuvor noch Flammen getanzt hatten, wirbelten nun Schneeflocken durch die Luft, um sich auf zerbrochenem Mauerwerk, geschwärztem Boden und gebrochenen Leibern niederzulassen. Frost richtete sich auf und befahl den verbliebenen Arbitratoren sich in kampfbereiter Position zu sammeln. Während er die Boltpistolen mit raschen, routinierten Bewegungen nachlud, blickte er auf die übel zusammengeschrumpfte Truppe. Dvorov und sein Trupp sahen mitgenommen aus. Nur sechs von ursprünglich zwölf Arbitratoren waren noch auf den Beinen. Einer der überlebenden Ordnungshüter humpelte, ein anderer trug die Schrotflinte in der linken, während sein rechter Arm nutzlos herabhing. Ihre Uniformen waren versengt, und als wäre diese Erinnerung an die Flammen notwendig gewesen, nahm Lucius nun auch den Übelkeit erregenden Gestank der verkohlten Leichen war. Er überblickte den Raum und rief sich die Informationen über das Anwesen vor Augen. Laut ihrer Informanten waren wohl noch mehrere Adelige und Vynnor selbst übrig, welcher sich den verderbten Mächten hingegeben hatte. Frost presste die Lippen aufeinander und widerstand der Versuchung Dvorov mit den schwerer Verletzten seines Trupps in die Sicherheit der Rhinos zu schicken. Sie würden alle Unterstützung brauchen, die sie bekommen konnten.

„Der Imperator beschützt!“, gab er durch das Helmmikro durch und setzte sich an die Spitze der weitläufigen Formation. Es galt nun ins Untergeschoß vorzurücken. Isand war wieder auf den Beinen und hatte in der für ihn so typischen Art jede Hilfe der nahen Arbitratoren abgelehnt. Am Fuß der Treppe blickte Lucius nach oben und zog ob der engen Umarmung, in der die zierliche Honeymoon den hünenhaften Kleriker hielt, die Augenbrauen hoch. Der Kleriker erwiderte die Umarmung nicht und hatte nach wie vor das vor Blut dampfende mächtige Kettenschwert in seiner linken. Trotz des Carapace-Panzers konnte der Ex-Arbitrator der Körpersprache Gerharts entnehmen, dass ihm der enge Kontakt zu der attraktiven Adeligen unangenehm war. Er grinste und bahnte sich seinen Weg durch die Trümmer des Daches auf die Beiden zu. Auch wenn er Gerhart wegen vieler Qualitäten schätzte, es war ab und an schwierig seine pikierte Haltung nicht von einem humoristischen Standpunkt aus zu sehen. Als er die Distanz zur Hälfte zurückgelegt hatte, ließ ihn ein kaum wahrnehmbares Grollen tief unter sich inne halten. Hatte er sich die Vibrationen eingebildet? Unter normalen Umständen konnte er sich auf seine Sinneswahrnehmungen sehr gut verlassen, doch die Situation war ja auch alles andere als gewöhnlich. Über ihm lies Honeymoon mit erschrockenem Ausdruck den Pater los.

Die Zeit erschien ihm wie eingefroren, als er sich einem Bauchgefühl folgend zu den ihm folgenden Arbitratoren umwandte. Er wollte Ihnen den Befehl zum temporären Rückzug geben - irgendetwas machte ihn sicher, dass das für ihr Überleben wichtig war. Quälend langsam drehte er sich herum und nahm war, dass ausgehend von den mittleren Treppenstufen eine feine Schicht von Rauhreif die verkohlten Reste des Teppichs und die Mauerreste bedeckte. Ein eiskalter Schauer lief ihm den Rücken herunter. Mittlerweile war er sich sicher, das Grollen zu spüren, es gewann an Intensität und auch Dvorov und die vordersten seines Trupps nahmen es jetzt offensichtlich wahr, was Lucius ihren alarmierten Gesichtsausdrücken und den angespannten Haltungen entnehmen konnte.

Die zahlreichen Statuen im Raum begannen mit einem Mal dickes schwarzes Blut zu weinen. Übelkeit breitete sich wie eine Feuersbrunst in den Eingeweiden Frosts aus und er ächzte, als die Elektrizität, welche die Luft erfüllte, die Härchen an seinem Körper statisch aufrichtete.
Bei den Tränen des Imperators! Der Daemon war nahe!

Die Spannung war spürbar und ein leiser Kopfschmerz stellte sich begleitet von einem süßlichen Geschmack auf seiner Zunge ein, der ihn an irgendetwas schwer Fassbares aus seiner frühen Kindheit erinnerte. Lucius Frost hörte ein Schluchzen, hoch und klagend, wie aus einer erschütterten Frauenbrust drang es von überall und nirgendwo auf ihn ein. Es war die Stimme seiner Mutter.

Mit ohrenbetäubendem Bersten brach etwas durch die massiven Holzstufen der alten Treppe. Stein und Holzsplitter regneten durch den von Schneeflocken erfüllten Raum und das Heulen des Sturmes hallte wie tausendfach verstärkt von den Wänden wider. Lucius war von der Druckwelle nach hinten umgeworfen worden und hart gegen das Geländer geprallt.

Mit einem Kreischen aus dem unnatürlichen gebogenen Schnabel befreite das, was einst Vynnor Lucrés gewesen war, zwei pechschwarze Schwingen, welche an dem schwarz verbrannten Körper anhafteten, aus der Umklammerung des Mauerwerks. Die Kreatur war gute vier Meter hoch und steckte nun nur noch mit dem Unterleib in dem klaffenden Loch, welches Sie in die Treppe gebrochen hatte. Der gehörnte Kopf zuckte umher und in einer einzigen blitzartigen Bewegung schossen die Klauen der Kreatur vorwärts um Frost und Dvorov zu packen. Die scharfen hörnernen Dornen an den entstellten und geschwollenen Fingern hinterließen tiefe Scharten in dem Carapace–Brustpanzer, als sie sich um Lucius Brustkorb legten und ihn mit festem Druck gegen Stein und Geländer nach hinten pressten.
 
Einzelne Schüsse hallten durch den Raum, als der Daemon Dvorov im gleichen Atemzug hochhob, knapp vor sein Gesicht führte und mit seinem messerscharfen Schnabel seinen Kopf abriss. Eine blutige Fontäne schoss aus der Ruine des Halses als die Warpbestie seine Klauen um den Torso schloss. Das Knacken der Rippen war eigentlich viel zu laut hörbar, trotz des Sturmes und des Feuers der verbliebenen Arbitratoren, als die Aberration den Leichnam genüsslich zerquetschte.

<< Sieh, schwächlicher Mensch, sieh‘ nur, was Dir nun bevorsteht>> - die telepathische Intensität der Abomination ließ die Stimme Vox im Vergleich engelshafte Qualität annehmen.
Lucius hätte geantwortet, doch auch sein Oberkörper wurde nun in die Luft gehoben und ein Knacken aus seiner linken Thoraxhälfte begleitet von stechendem Schmerz ließ ihn vermuten, dass die erste seiner Rippen unter dem Druck nachgegeben hatte. Ein roter Schleier legte sich vor seine Augen und Dunkelheit waberte unter ihm wie pechschwarze, weiche Watte. Es war verlockend, sich den Versprechungen des ewigen Schlafes hinzugeben, welcher seine Sinne mit Dumpfheit und bleierner Schwere liebkoste. Mittlerweile war sein Kopf auf Höhe des Dämons angekommen. Der elfenbeinartige Schnabel war leicht gekrümmt und mit Reihen spitzer Zähne versehen. Das vogelartige Gesicht schien an mehreren Stellen die falschen Dimensionen zu haben und führte seinen Blick in sich windenden Kreisen an die schillernden pupillenlosen Augen der Bestie, in deren bizarren Wirbeln er schier zu versinken drohte. „Denk immer als erstes an deine Pflicht und nur an sie!“ – schossen ihm da die Leitsprüche der Arbitesakademie auf Luggnum durch den Kopf.
Gequält keuchte er auf und bleckte die Zähne.

<<Guuuuuuuut – ein starker Wille macht dies soviel köstlicher>> hallte das höhnische Lachen der Kreatur in seinem Kopf wieder.
Als ihn der Dämon ein wenig näher an sich heranführte, wehte ihm der heiße und übelriechende Atem ins Gesicht.
„Fahr zur Hölle!“, presste Frost zwischen den Zähnen hervor und richtete die Boltpistole in dem einzigen Winkel der seinen eingeklemmten Armen geblieben war gegen die Wand an der linken Seite des Foyers.

Der Dämon legte den Kopf schief und sah ihn mit einem fast fragenden Ausdruck an. Dann schnellte sein Schnabel nach vorne und auf das Gesicht Lucius zu, die Geschwindigkeit und Kraft der Bestie ausreichend, um ihm auch trotz seines Helmes den Kopf zu zertrümmern.
Ein Rasseln war zu hören, als der gewaltige schmiedeeiserne Luster mit einem Krachen seine Halterung an der linken Wand, über welcher er aufgespannt gewesen war, geschwächt von einer scheinbar vergebenen Boltpatrone aus der Wand riss und mit aller Macht über der Treppe niederging. Ein hässliches, reißendes Geräusch ertönte, als die Konstruktion auf den linken Flügel und Rücken des Dämons traf und ihn in bizarrer Linksseitenlage auf die Treppe zwang. Das Kreischen der Warpkreatur schoss durch den Raum wie ein fehlgeleiteter Kugelblitz.
Fast schwanden Lucius die Sinne, als er immer noch gehalten in der mörderischen Umklammerung wieder auf die Treppe prallte.
<< Das wirst Du mir büßen, Sterblicher! >> stach die Stimme wie ein Dolch in seinen Kopf. Weitere Rippen brachen.

Nachdem Vox sich wieder aufgerappelt, kratzte sich dieser eine Kruste gehärteten Blutes von der Wange. Einer der Arbitratoren hatte zuvor die zweifellos laienhafte Diagnose verlauten lassen, Vox würde durchkommen. Das beruhigte ihn jedoch wenig. Sie hätten auch schlecht sagen können, er wird den nächsten Morgen nicht mehr erleben. Doch die schlimmsten Blutungen schienen mittlerweile gestoppt. Dennoch war Vox schwindlig, und mittlerweile hatte sich auch ein Gefühl von Übelkeit hinzu gemischt. Einer der Arbites, Vox hätte schwören können, es war dieser Naseweis, dem er selbst vor wenigen Minuten noch das Leben gerettet hatte, bot ihm an ihn zu stützen. Phos Isand wollte sich nicht von jemandem stützen lassen, der nicht einmal vernünftig auf sich selbst aufpassen konnte, womöglich so jemandem auch noch sein Leben anvertrauen. Das fehlte ihm gerade noch.

So hatte er es vorgezogen, sich an eine westliche Wand zu lehnen und mit einem Blick, den man als Außenstehender nur verwirrt bezeichnet hätte, in die Runde zu starren, während er selbst darauf bedacht war, wieder vollständig Herr über seine Sinne zu werden. Und auch wenn er es sich nach außen hin nicht anmerken lassen wollte war er davon noch weit entfernt. Sein Blick war verschwommen, sein Gleichgewichtsinn gerade ausreichend, um oben von unten zu unterscheiden, und er hatte dieses Pfeifen im Ohr, dieses lästige Pfeifen. Wie durch einen Schleier betrachtete er Frost, der in Richtung des Halbstockwerkes quer über das sicher nahezu vierzig Meter weite Foyer auf zwei Gestalten zuging, wo eben noch der irre Pyromant Luam gestanden hatte. Und auch wenn er nicht erkennen konnte, um wen es sich bei dem Pärchen im Treppenhaus handelte, folgerte der Psioniker, dass die Gefahr gebannt war, jedenfalls hatte die Schießerei aufgehört, was eine Wohltat für seine gequälten Ohren war. Er musste innerlich fluchen, als er fühlte, wie abermals eine warme Flüssigkeit an seinem Kopf herabzufließen begann. Er griff danach und blickte auf den dunklen, fast zähflüssigen Stoff. Er ließ seinen Blick weiter nach oben wandern und musste seine Augen schützen, denn erst jetzt erkannte er, dass dies nicht sein Blut war. Die Statuen waren voll der Trauer, und Blut lief aus ihren Augen und Mündern, Nasen und Ohren, das auf sein Gesicht herunter tropfte. Wie war das möglich? Luam war tot, und auch er war sich sicher, keinen derartigen Fehlgriff getan zu haben. Verwirrt blickte er in Richtung von Frost, der aufgebracht wirkte. Da war es wieder, und diesmal lauter als zuvor, das Pfeifen in seinem Kopf. Er kniff die Augen zusammen und hielt sich beide Ohren zu. Es schmerzte. Das Pfeifen veränderte sich zu einem Surren, und schließlich zu einem Flüstern, das immer lauter wurde, bis Vox schließlich Worte in einer Sprache, die er noch nie zuvor vernommen hatte, hören konnte. Trotzdem verstand er jedes Wort:
<<fffzfzfzzzzz….. WWWir sind uns eben, Beseelter. Der Warp gibt uns Kraft, wir sind eins mit dem Warp. Wir sehen es - Du bist auf der Suche! Du hast vieles bereits erkannt, nicht wahr? Sie sind nicht wie Du, sie sind schwach, sie sind unbegabt, seelenlos. Sie sind Deiner nicht würdig. Sie behindern Dich, verzögern Dich. Aber Du kannst Deinen Weg finden, nur ohne sie. Du siehst es doch auch, nicht wahr?>>
 „Ja, sie sind schwach…“, antwortete Vox trocken.
Die Antwort darauf kam leiser als vorher, und auch verzerrter: <<Ja, das sind sie, schwach, unwürdig, erbärmlich. Du weißt, dass Du Deinen Weg gehen kannst. Du brauchst sie nicht. Deine Mutter hat es Dir damals schon prophezeit.>>
„Meine Mutter war ein Narr, genauso wie mein Vater.“, begann Vox leicht aufgebracht.
Jetzt antwortete ein singender Chor, laut und klar, in hoher Stimmlage: <<Jaaa, weil sie den falschen Weg eingeschlagen hatten. Den Weg eines Dieners, einen Wurmes. Sie haben sich dem Imperator gebeugt. Sie haben ihm ihr Leben gegeben, einfach so, seine linke Hand hat es genommen.>>
„Seine linke Hand?“, antwortete der Psioniker verwirrt.
Die Stimme einer alten Frau, kratzig und schrill, meldete sich nun zu Wort. <<Die Inquisition hat sie geholt, sie hat keinen am Leben gelassen.>>
Auch wenn sich die Antworten grundverschieden in Vox´s Kopf manifestierten, so wusste er doch, dass sie immer den gleichen Ursprung hatten.
„Sie hat mich am Leben gelassen… “
Vox hörte sich nun selbst. Überrascht musste er feststellen, dass er seine Stimme noch niemals unverfälscht wahrgenommen hatte. Zugegebenermaßen hatte sie etwas Unangenehmes an sich: <<…Um Dich zu versklaven. Um Dich zu ihrem Diener zu machen. Um Dich im Namen des falschen Imperators zu knechten. Siehst Du sie nicht, die Ironie?>>

Vox öffnete die Augen. Der Schmerz war weg, die Übelkeit vergessen, sein Blick frei. Endlich war ihm alles klar. Die Szenerie um ihn herum hatte sich stark verändert. Er sah die von Reif überzogenen Carapace-Rüstungen der Arbitratorem furchtvoll zittern, als Dvorov der Kopf abgebissen wurde. Das Knacken des Rückgrats ging durch Mark und Bein. <<Nutzlos und schwach>>, schoss Vox’ Stimme ihm in einer über alle Maßen überheblichen Art und Weise durch den Kopf. <<Wie Du es immer schon gewusst hast>>. Er sah Lucius schmerzverzerrten Gesichtsausdruck als die ersten Rippen zu brechen begannen. Vox kam der Gedanke in den Sinn, dass sie verglichen mit der brutalen Gewalt, die der Daemon aufzubringen im Stande war, nichts weiter als dürren Holzästen glichen.

Das Unwesen erschien ihm vor seinem sechsten Sinn wie ein einziges grelles Leuchten im realen Raum, die Verbindung, die das Wesen in die Untiefen des Empyreums darstellte, war massiv und überwältigend. Jegliches Wissen über Derartiges war im Imperium per Todesstrafe verboten, und doch faszinierten den Psioniker schon immer all diese Dinge, wohl gerade auch, weil sie verboten waren. Er war kein Experte auf diesem Gebiet, aber dennoch ahnte er, dass keine Waffe, die der Ordo Malleus hier aufzubieten vermochte, es würde zur Strecke bringen können. Eine Ahnung schoss in ihm hoch, eine überwältigende und endgültige Empfindung - noch nie zuvor hatte Vox das Gefühl gehabt, dem Tode so nahe zu sein wie in diesem Moment. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, einen anderen Weg zu finden.

„Wie kann ein Mann über Nacht so mächtig werden? Lucrés war ein Feigling, ein Psioniker, der sich über Jahrzehnte lang versteckt hatte.“
Die Stimme war jetzt ein Flüstern und schmatzte genüsslich vor sich hin. Es klang so widerwärtig, dass Vox sich anstrengen musste, nicht die Fassung zu verlieren. <<Ja, er ist schwach, und dennoch. Wir gaben ihm Kraft. Kraft, die Du suchst. Perfektion! Etwas, das Dir sonst niemand geben kann. Nicht Frost, nicht Railoun und auch nicht Varitani. Doch Du bist würdig. Du bist stark. Du hast nichts Geringeres verdient. Es ist Zeit, Deine Fesseln endlich zu lösen!>>

Phos vernahm einen Schrei. Es war die zarte Stimme Van‘Sovreans, die schockiert nach Lucius rief, als sich der Daemon seinem Anführer zuwandte. Den toten Körper des Chasteners Dvorov ließ das Wesen fallen wie einen unnützen Sack. Nicht mehr lange und der Kopf der Truppe würde abgeschlagen werden - im wahrsten Sinne des Wortes. Die ersten Arbitratoren hatten sich dazu entschlossen zu schießen - ungeachtet der Gefahr, auch ihren Anführer dabei treffen zu können. Vox konnte es ihnen nicht verübeln. Es war ein Überlebensinstinkt, dem sich nur die wenigsten in einer derartigen Situation würden entziehen können. Darauf waren sie nicht vorbereitet – darauf war niemand von ihnen vorbereitet. Die Treffer, die das Biest hinnahm, vermochten entweder nicht einmal den Panzer der Kreatur zu durchdringen oder wurden von dem ständig an ihm herabfließenden schwarzen Blut in Windeseile wieder geschlossen. All das bekräftigte ihn nur noch weiter in seiner todbringenden Vorahnung.

„Meine Eltern waren Narren und die linke Hand ist wertlos verglichen mit dieser Gewalt. Wie bei allen Mächten dieser Welt, wie kann ich so mächtig werden?“
<<Wir kennen Wege! Wir zeigen Wege. Du wirst einen Fokus erhalten. Er wird Dir Macht verleihen. Macht, die seines Gleichen suchen wird. Er wird Dich erleuchten. Du wirst durch die Sterne wandern. An einem Tag wirst Su viele Welten verschlingen, an einem Tag wirst Du ganze Sektoren versklaven. Unzählige werden Dir folgen. Du bist stark. Du weißt es. Du hast es immer gewusst. Du…>>

Vox hörte nicht mehr hin. Er sah es jetzt auch. Das, wonach er schon die ganze Zeit gesucht hatte. Das fehlende Stück des Puzzles. Das unheimliche Strahlen der Warpentität hatte seinen sechsten Sinn so sehr geblendet, dass er es zuerst nicht wahrnehmen konnte. Der Riss im Realen, erzeugt von einem Stück Metall, verborgen unter einem Horn der Bestie. Einen so mächtigen Daemon hält ein Gefäß wie Lucres nicht so leicht. Das war jedenfalls die einzige und letzte Hoffnung gewesen, an die er sich geklammert hatte, und die flüsternde Stimme in seinem Kopf hatte seine Vermutung jetzt bestätigt – er hatte Hilfe, die er immer noch bei sich trug. Er blinzelte und fokussierte seinen Geist noch stärker auf den Rumpf des Wesens, bei dem er die Quelle des Risses wahrnahm. Ein Stück Metall, ein Griff, eine Klinge… natürlich!
„Der Daemon hat ein Horn in der Bauchgegend. Darunter befindet sich ein Dolch. Er muss aus seinem Körper! Es ist wahrscheinlich sein einziger Schwachpunkt. Tut es!“, herrschte Vox telepathisch seine Mitakolythen an!
Kreischend fuhr die Stimme durch seinen Kopf: <<Was tust du?! Du Narr! Du geblendetes nutzloses Gefäß! Du…>>

Vox unterbrach die Stimme in seinem Kopf und begann auf eine ruhige, eindringliche und unheimlich wirkende Art zu sprechen, dass die Entität in seinem Kopf verstummte. „Schweig, nutzloses Ding! Eine schmutzige Straßenhure wirkt verführerischer auf mich! Ich soll Dir helfen?! Dir, den ich so leicht für meine Ziele ausnutzen konnte? Jämmerlich und schwach sind nicht sie, das bist Du selbst! Verschwinde aus meinem Kopf, widerliche Warpkreatur, und zwar jetzt! Und sieh her, wozu seine linke Hand im Stande ist  - die linke Hand unseres Gottes!“

Stille. Endlich hatte Vox wieder Ruhe, und noch war es nicht zu spät, um sein persönlich gesetztes Ziel, nämlich einen ruhmreichen Missionsabschluss, in die Tat umzusetzen. Auch wenn dies jetzt, so musste er sich eingestehen, nicht mehr ausschließlich in seinen Händen lag – aus einem für ihn nicht ganz nachvollziehbaren Grund war er jedoch plötzlich zuversichtlich. Seine Mitakolythen würden ihren Teil beitragen, dessen war er sich sicher, so wie er seinen beitragen würde! Lucius war noch am Leben, der Daemon kurz von dem massiven Kronleuchter abgelenkt. Die Gelegenheit! Die fünf noch lebenden Arbitratoren, die sich in seiner Nähe befanden, blickten Vox fassungslos und mit einem Hauch von Entsetzen an, als dieser sich aus seiner Deckung begab um direkt auf den Daemon zu zu marschieren, welcher sich gerade wieder aufzurichten begann, um sein Werk an Frost zu vollenden. Vox wusste, dass es verrückt war, aber noch verrückter wäre es gewesen, untätig zu bleiben. Auch den unzähligen Augen des geflügelten Schnabelwesens entging der Psioniker nicht, der sich in Verachtung seines eigenen Lebens völlig ohne jegliche Deckung auf ihn zu bewegte. Der Mann lief nicht, er ging einfach nur gemäßigten Schrittes auf ihn zu, welch Anmaßung! Ihn würde Lucrès als nächsten vernichten! Im gleichen Moment, als er Lucius Körper zwischen seinen Klauen endgültig zerquetschen wollte, meldete sich Vox zu Wort. „Vynnor Lucrès, Letzter des Hauses derer von Lucrés, ich befehle Dir, lass den Mann los und stelle Dich einmal in Deinem erbärmlich Leben zum Kampf!“ Vox begann beinahe zu taumeln. Der Wille des Ungeheuers war eine zähe sich ständig verändernde Masse, und er fühlte ihn jetzt ganz deutlich. Er stand der Stärke seines Körpers um nichts nach, ja übertraf diese wohl sogar noch. Unter normalen Umständen hätte der Daemon Vox´ Geist bei dem Versuch manipuliert zu werden einfach zermalmt. Doch Vox fühlte dass er einen Nerv getroffen hatte, und das sicherte ihm seinen Erfolg. Der Daemon schenkte Lucius keine Sekunde länger Beachtung, ließ ihn los und wandte sich Vox zu.

 <<Du kleiner dreckiger Wurm, so redet niemand mit mir!>> In diesem Moment war Vox sich nicht sicher, ob das Handeln des Wesens eine Reaktion auf seine Herausforderung oder einer erfolgreichen telpathischen Suggestion war. Das Resultat sollte jedenfalls das Gleiche sein.
Lucius schien gerettet - vorerst. Vom festen Griff des Daemons erlöst ging der Leitwolf zu Boden, etliche Knochen gebrochen, doch er war am Leben – das zählte. Langsam wurde dem Psioniker wieder schummrig im Kopf, was jedoch auch daran liegen mochte, dass ihm langsam völlig bewusst wurde, gerade einen tödlichen Daemon auf sich gehetzt zu haben. Vox zuckte zusammen, als einen Daemon einen Satz in seine Richtung machte. „Der Dolch! Jetzt Pater! Jetzt oder nie!“, ertönte der Ruf des Psionikers im Kopf des Sternengeborenen.

„Die Häretiker dürsten nach dem reinigenden Feuer aus Schmerz und Absolution. Sie brauchen nicht zu fürchten, denn wir sind hier um es Ihnen zu gewähren“, trug die tiefe Stimme Thracians von der Treppe in das Foyer, nachdem der Hexer gefallen war. Er wurde von der fast stürmischen Umarmung der viel kleineren Adeligen geradezu überrumpelt und widerstand dem ersten Impuls, sie von sich zu stoßen. Gerhart mochte es nicht, ohne Vorwarnung berührt zu werden, doch er sah die Erleichterung in den Augen Van‘Sovreans. Es war keine unlautere Absicht, die aus der Suche nach körperlicher Nähe sprach, sagte er zu sich selbst. Er erwiderte die Umarmung zwar nicht, ließ sie jedoch schweigend zu und hob etwas ungeschickt die rechte, bionische Hand um Cattaleya beruhigend auf den Rücken zu klopfen. Er suchte gerade nach den passenden Worten, um ihr würdig und doch bestimmt klar zu machen, dass der Kampf noch nicht gewonnen sei, da löste sie sich ganz von selbst von ihm.

„Ihr braucht euch nicht zu entschuldigen, Cattaleya, Extremsituationen wie diese können dazu verleiten, sich ungebührlich zu benehmen“, brachte Gerhart in zunächst beruhigendem, danach immer zögerlicherem Tonfall hervor, als die junge Frau mit kaltem Schrecken auf eine ihrer Zwillingsklingen blickte. Sein Blick erfasste suchend Lucius, welcher von einer inneren Unruhe beseelt war, wenige Momente, bevor die Treppe in einer Kakophonie aus berstendem Holz, Stein und Eisen zerbrach.

Noch während sich der Staubschleier in dem Raum legte, spürte Thracian die Präsenz von etwas Unheiligem, lange, bevor seine Augen die Bestie wahrnehmen konnten. In sich fühlte er die Bestimmung, seine Bestimmung, die Aberration des Warps zu stellen und zu bekämpfen. Oben auf der Galerie war der Schleier aus feinen hölzernen und steinernen Staubpartikeln am hartnäckigsten, lag sie doch in einem natürlichen Windfang, zu welchem der heulende Sturm, welcher durch das Dach hereinfegte, wenig direkten Zugriff hatte. Der Glaubenskrieger tastete stumm und mit eiserner Miene unter dem Carapace-Helm nach dem Geländer, um seinen Weg zur Treppe zu finden. Rechts von ihm tauchte eine weibliche Marmorbüste aus dem Zwielicht auf, welche schwarze Tränen weinte.
<< Nein! >>
Ein seltsam metallischer Geschmack lag auf Gerharts Zunge als sich die Figur aus dem Staub - ? -  aus dem Dampf der Hygienekabine schälte. Olivia Novarst war eine herausragende Pilotin und zu Recht als die beste Staffelführerin des imperialen Schlachtkreuzers bekannt. Gerhart maß sie mit lüsternem Blick. Sie war auch vollkommen zu Recht aufgrund anderer, eher körperlicher Vorzüge bekannt. Ihre kurzen schwarzen Haare waren noch nass von der Dusche und die Adlertätowierung prangte stolz an ihrer linken Schulter. Der junge Offizier verfolgte mit seinen feingliedrigen Fingern die Schwinge des imperialen Symbols, wie sie vom Schulterblatt über das Schultereck zog und lies seine Finger danach an der Klaue herabgleiten, bis er sich nicht länger halten konnte und sie wild küsste, während er ihr einen herben Klaps auf den Hintern gab. Sie erwiderte seinen Kuss heftig und stieß ihn nach hinten, so dass sie gegen den Spiegel knallten. Dieser krachte wie mehrere Schüsse, was Gerhart jedoch nur am Rande wahrnahm. Die Nässe ihres nackten Körpers drang langsam durch seine gestärkte dunkelgrüne Uniform. Sie löste sich kurz von ihm, grinste und flüsterte ihm ins Ohr: „Du wildes Tier!“, um ihn daraufhin schmerzhaft ins linke Ohr zu beißen.  „Warte nur, bis ich anfange“, knurrte Gerhart spielerisch und nagte an ihrer vollen Unterlippe.
Emotionen durchfluteten ihn. Sie waren beide auf dem aufsteigenden Ast einer strahlenden Flottenkarriere. Bei dem letzten Schlag gegen die Piraten an den Grenzwelten hatten sie sich beide durch außergewöhnliche Disziplin und Ruchlosigkeit einen Namen gemacht. Was waren schon die geopferten Entermannschaften im Gegensatz zu dem Ruhm? Niemand würde sich an die namenlosen Toten erinnern, die er wie in einem Regicide–Zug geopfert hatte. Sein Name jedoch würde noch in hunderten von Jahren als leuchtendes Beispiel in der Tactica Imperialis erwähnt werden. Ja, Thracian wollte hoch hinaus, ein eigenes Kommando war das mindeste, was in seiner Reichweite lag. Und er wusste, dass er sich mit den passenden Leuten umgeben musste. Die Gruppe aus ehrgeizigen jungen Männern und Frauen war an Bord der Jocasta dafür berüchtigt, ebenso gut aussehend wie herausgeputzt und draufgängerisch zu sein. Vor keinem Risiko zurückzuscheuen und bei ihren Feiern dem dekadenten Stil der Adeligen in nichts nachzustehen. Dies war sein Leben!  … Dekadenz? … Selbstsüchtigkeit? … Ehrgeiz? … Lasterhaftigkeit? …
Ein reines Licht fiel auf die verblassende Olivia, als Gerhart sie bestimmt von sich schob. Er erkannte es wieder. Es war das Licht, welches er gesehen hatte, während die Medicae an Bord des Schlachtkreuzers Angevins Hammer nach der von der Inquisition befohlenen Enteraktion um sein Leben gekämpft hatten. Eine einzelne Träne schimmerte im linken Augenwinkel Thracians. Wie gerne wäre er in dieses Licht gegangen, doch es war ihm verwehrt gewesen.

„Noch nicht…“ Glockenrein hatte die Stimme in seinem Kopf gehallt wie die silbernen Glocken in der strahlenden Kathedrale zu Scintilla. Und damals wie heute hatte er so viel Kraft aus dieser Reinheit geschöpft. Das Licht blieb bloß für Bruchteile einer Sekunde bei ihm, doch Gerhart fühlte sich wie neu geboren. In der kurzen Zeit fegte der Glanz all die Illusionen, die ihm der Daemon vorgegaukelt hatte davon wie Staub.

Gerhart war zurück in der tosenden Hölle auf Zumthor, doch selbst als er die geflügelte Gestalt des Biestes sah, kannte er keine Furcht, nur Bestimmtheit und Hass.
Das Kettenschwert halb in der Rechten erhoben gelangte er an das Ende der Treppe und sah den Psioniker auf den Daemon zugehen, sah Lucius zu Boden fallen, sah Cattaleya mit schreckgeweiteten Augen neben sich. Er nickte der jungen Frau zu, als Vox sein Ablenkungsmanöver begann. „Der Imperator beschützt, Cattaleya – und er erwartet. Er erwartet, dass Ihr alles gebt um die Kreatur zu bezwingen. Ich werde Euch die Gelegenheit verschaffen.“
Mit laut surrendem Kettenschwert hastete Thracian mehrere Stufen an die Seite Lucius und hielt die gesegnete Waffe vor dem Abschaum des Immateriums in die Höhe.
„Daemon! Ich kenne Dein Gesicht und es erfüllt mich mit Zorn!“
„Ich sehe Deine unreine Form, Wandler, sie hat hier keinen Platz!
„Ich verdamme Dich und ich befehle Dir, im Namen des Gottkaisers zu Terra,
Weich zurück!“
Wie von einem Hammer getroffen taumelte der Vogeldaemon zur Seite und mit dem Geräusch von reißendem sprödem Leder trennte sich die blutige linke Schwinge des Daemons, welche nach wie vor von dem schweren eisernen Kronleuchter gehalten wurde, von seinem Körper. Taumelnd prallte er gegen die Brüstung der Treppe, um sie zu durchbrechen und mit einem lauten Krachen auf dem Boden daneben aufzuschlagen.
Thracian warf wenig mehr als einen Seitenblick in die Richtung von Lucius und Vox, er konnte ihnen im Moment ohnehin nicht helfen. Mit wenigen Sätzen war er auf der Treppe über dem gestürzten Daemon angelangt und blickte zu Cattaleya hoch, welche auf der Galerie in perfekter Position über ihnen stand. Er nickte ihr zu und hob abermals seine Klinge, während ihn das Monster mit stechenden Augen anblickte.
„Vynnor Lucrés, im Namen der heiligen Inquisition und des Imperators verurteile ich Dich für Deine Sünden zum Tode. Möge ER Dich unbarmherzig richten!“
Mit diesen Worten warf sich der schwarze Priester mit singendem Kettenschwert nach unten und in die wartenden Fänge des geschnäbelten Monsters.

Cattaleya hatte ihren Blick noch immer auf ihre Energieklinge fixiert, als sie bereits ahnte was passieren würde. Der Zwilling ihrer uralten Klinge nahte, der Daemon musste Sovrean immer noch in seinem Körper tragen. Die Stimme Gerharts erschien ihr weit entfernt zu sein, und sie verstand nur einzelne Silben. Die schiere Gewalt des Wesens bereits am eigenen Körper erlebt, quoll eine tief sitzende Angst in ihr hoch, und als die rote Klinge in ihrer Hand plötzlich so grell zu leuchten begann, dass sie  geblendet wurde…
…?...
…war sie wahrscheinlich eine der glücklichsten Frauen des Imperiums. Bei dem Gedanken daran, wie viel sie auf sich nehmen musste und an welch gefährlichen Ort sich dafür zu begeben hatte, lächelte sie. Sie konnte die Sorgen in Lucius Gesicht sehen, wenn er sie anblickte. Doch Cattaleya war zuversichtlich, denn alles was für den Moment zählte war, dass sie zusammen waren. Varitani, Immarut und die anderen durchsuchten einen fernen Teil des unterirdischen Komplexes. Sie waren getrennt von den anderen, ein seltener Moment, den sie sich nicht von ihrer Umgebung, die sich in all ihren Facetten danach zu sehen schien die Eindringlinge zu vernichten, zerstören lassen wollte.

Ständiges Tropfen undichter Leitungen verursachte ein buntes plätscherndes Orchester. Der Rest ihrer Umgebung war undeutlich, grau, vernebelt wie durch einen Schleier, aber was spielte es schon für eine Rolle. Wichtig war nur, dass sie vereint waren, dass sie endlich glücklich war, dass sie zum ersten Mal geliebt wurde. Ein Lachen unterbrach jäh und scharf ihre Gedanken, es war tief, sonor und markerschütternd, und ließ ihre Sicht verschwimmen. <<MAAHHAHAHAAA…. dummes Kind, Du wirst das alles verlieren, alles was Du Dir jemals gewünscht hattest, ALLES. Sieh nur!>>

Etwas Unmenschliches erschien, schnell und plötzlich, wie aus dem Nichts. Seine Haut rosafarben, der Körper humanoide, aber riesig, sehnig, muskulös, gebeugt, gehörnt… und kräftig. Ein mächtiger Hieb stieß Lucius zur Seite. Sein Körper beschrieb einen weiten Bogen und krachte mit ungeheurer Gewalt gegen eine Wand, wo er völlig regungslos liegen blieb! „LUCIUS!“ schrie sie voller Entsetzen. Das Wesen war schnell, unglaublich stark, und schwer. Sie konnte sich nicht wehren, nichts tun, hilflos auf den Rücken gepresst wie eine Schildkörte konnte sie nur strampeln, doch er war über ihr, er leckte an ihr, das widerliche Ding. Sie war ihm ausgeliefert, doch hatte sie ihre Gedanken nicht nur hier. Immer wieder versuchte sie ihren Kopf zu drehen um Lucius zu finden, zu sehen, wie es ihm ging, doch es war ihr nicht möglich, das Wesen war zu kräftig, zu stark… Es zerriss ihr die Kleider bis sie fast völlig nackt war. Eine plötzliche Übelkeit übermannte sie, als sie den Unterleib des männlichen Wesens erblickte und erkannte, was gleich passieren würde. Alles schien ihr jetzt wieder wie eine Ewigkeit vorzukommen, der Moment erschien wie eingefroren, und sie konnte nichts tun als hilflos zusehen… hilflos zusehen, wie sie ihr gesamtes Leben in Angst verbrachte, vor dem was kommen möge!

Neues Leben durchflutete in dem Moment ihren Körper, als die lichte Gestalt einer Frau vor ihren Augen auftauchte und ihre restliche Umgebung langsam verblasste. Es war die wunderschönste Frau, die Cattaleya je in ihrem Leben gesehen hatte. Sie lächelte und sprach: „Mein Engel, denke daran was ich Dir über das Leid dieser Welt erzählt habe! Sei unbesorgt, Deine Flügel werden Dich überall hintragen, wohin Du auch willst! Deine Freunde brauchen Dich, ER braucht Dich! Und jetzt geh und siege! Der Imperator beschützt!“ – es war das Antlitz ihrer toten Mutter.

Wie von einem mächtigen Stoß erfasst war sie wieder zurück im verwüsteten Foyer derer von Harholdt, und musste erst einmal tief Luft holen. Die abschließenden Worte Gerharts gingen ihr durch den Kopf! „Der Imperator beschützt!“, sie glaubte in diesen Moment nicht nur daran. Nein, sie wusste es! Es dauerte einige Augenblicke, bis sie das ganze Ausmaß und die Bedeutung der Situation begriffen hatte, in der sie sich jetzt befand.

Pater Thracian war soeben mit heulendem Kettenschwert auf dem gewaltigen Leib des am Boden liegenden Daemons gelandet. Dieser fuhr herum, um den Priester mit seiner rechten Pranke zu zerreißen, doch der Mann hielt mit eisernem Willen und scheinbar übernatürlicher Kraft stand. Eine Fontäne violetten Blutes ergoss sich über den Boden des Foyers als Hieb gegen Hieb prallte und sich die Zähne des rechtschaffen geführten Kettenschwertes wild in die Pranke der Beste fraßen. Der Daemon heulte auf, doch er war lange nicht besiegt. Stattdessen benützte er seine andere klauenbewehrte Hand um den jetzt wehrlosen Priester einen mächtigen Schlag gegen die rechte Seite seines Brustkorbs zu versetzen, welcher ihn etliche Meter zur Seite schleuderte. Für einen kurzen Moment schien alles verloren. Lucrés überkam ein kurzes Gefühl von Hochmut, aber dieser sollte nicht lange währen. Erst jetzt erblickten die dutzenden Augen des Wesens ein ihm bekanntes Gesicht. Die Augen glasklar, ihr Blick fest entschlossen, Bewegungen voll Energie und Leidenschaft, doch etwas war diesmal anders… konnte es möglich sein…. die Mundwinkeln ihrer vollen Lippen leicht gehoben…sie hatte ein Lächeln auf ihren Lippen!

Der Kletterhaken war am Geländer des ersten Stockwerks perfekt gesetzt geworden, der Absprung aus dem Halbstockwerk auf die Sekunde genau abgewartet. Wie eine Zirkusakrobatin hatte sich der kleine, schlanke und in schwarz gekleidete Körper Cattaleyas mit ihrer linken Hand an dem Seil festgehalten, die Energieklinge Vaniryl in der rechten Hand. Als sie das Seil losließ nutze sie den Schwung der Bewegung und vollführte eine Punktlandung auf dem Bauch der Kreatur – vorbei an dessen rechter Pranke, in der sich immer noch das Kettenschwert Thracians fauchend verkrallt hatte, vorbei an der linken Klaue, die den Priester erst vor einer Sekunde mit voller Wucht erfasst hatte.

Dies war der perfekte Augenblick – das wusste sie. In diesem Moment war der Daemon komplett wehrlos. Sie rammte die rote Klinge Vaniryls in den Bauch des Wesens. Alle Kraft, die ihr gegeben war, zusammen nehmend nutze sie Vaniryl als Hebel und riss an dem Horn. Blitze stießen aus der Wunde des Daemons und beinahe gleichzeitig fingen Lucrés, Cattaleya und auch Vox - von Schmerzen gepeinigt - an zu schreien. Aber Cattaleya gab nicht auf. Ihre Flügel würden sie tragen, das wusste sie. Sie ignorierte das Leiden, das ihren Körper durchströmte und zog noch ein letztes Mal und noch fester daran. Ein dumpfer lang hallender Knall ertönte, den man noch kilometerweit in der einsamen Winterlandschaft rund um das Anwesen derer von Harholdt hören konnte, als Cattaleya, von einer mächtigen Druckwelle erfasst, von dem Körper des Wesens weggeschleudert wurde - das Horn des Daemons in Händen, an dessen Unterseite eine goldene, unheilige Klinge blitze.

Der Schrei des Daemons, als er verwelkte, sollte an Widerlichkeit und Abscheulichkeit bis zum heutigen Tage unübertroffen bleiben. Überzogen von Blitzen, die sich wie schwarze Zungen in alle Richtungen austreckten, als würden sie versuchen, sich im Materium festzuhalten, stoppte der scheinbar unendliche Fluss aus schwarzem Blut, der bislang seinen Körper überzog. Seine Schwingen zerfielen zu Asche und seine Beine verbrannten ihm noch am Leibe in violettem Feuer. Wie ein widerwärtiger Fötus begann sich der Kopf von Lucrés wieder aus seinem Rumpf zu erheben, während die dutzenden Augäpfel, die seinen gesamten Oberkörper bedeckten, einfach aus ihren Höhlen fielen und der massive Körper langsam zu schrumpfen begann.

Schließlich war der Daemon endgültig aus seinem Gefäß gewichen und Vynnor Lucrés war wieder er selbst, zumindest der erbärmliche Rest, der von ihm noch übrig blieb. Seine Haut war wund und er blutete am gesamten Körper. Seine Beine waren nur noch verkohlte Stümmel, seine Hände dürr und ausgemergelt. An seinem Bauch klaffte eine tiefe Wunde und es fehlte ihm ein Auge… er hustete rotes Blut.

Die rechte Hand auf die linke Seite seines Brustkorbes gepresst, hatte sich Lucius mit schmerzverzerrtem Gesicht an die durchbrochene Brüstung geschleppt. In seiner linken lag die schwere Boltpistole, deren dunkle Mündung das letzte war, was Lucrés in seinem durch und durch verderbten Leben noch sehen sollte. Ein dumpfer Knall ertönte, als sich das Raketengeschoß auf den Weg machte, und kurz darauf platzte der Kopf des Erzketzers wie eine überreife Melone. Erschöpft ließ sich der Ex-Arbitrator auf ein Mauerbruchstück zurücksinken, nahm den Helm ab und entzündete mit zitternden Fingern einen Lho am noch heißen Lauf seiner Boltpistole.

Die geschickte Akrobatin hatte den Sturz gekonnt abgefangen und war beinahe unbeschadet geblieben. Etwas, das man von Thracian, der im südlichen Teil des Foyers zu Liegen gekommen war und sich nun mit grimmigen Gesicht an der Seite hielt, sowie Lucius, an dessen Körper wahrscheinlich jede einzelne Rippe gebrochen war - der jedoch gerade einen ziemlich selbstzufriedenen Eindruck machte - nicht behaupten konnte. Auch der Psioniker namens Isand, der eine üble Kopfwunde erlitten zu haben schien, dürfte schon einmal bessere Tage gehabt haben. Aber all ihre Freunde waren am Leben, es hätte also wahrlich schlimmer kommen können. Erst jetzt fiel der Adeligen auf, dass sie lächelte, ja dass sie es schon die ganze Zeit über getan haben musste, seit sie aus dieser seltsamen Vision zurückgekehrt war – sie musste lauthals und vor Freude lachen: ‚Mutter, mach Dir keine Sorgen, ich werde wie Du eine Dalrea sein, wann immer ich kann!‘ Ihr Blick fiel auf Lucius ‚Und auf Dich werde ich wohl jetzt ganz besonders aufpassen müssen, mein Wolf!‘
Für den Moment zählte aber nur eines – sie hatten gesiegt!

Vox war wenige Momente zuvor mitten im Raum zu Boden gegangen. Das Schließen des Warprisses hatte ihm sehr zugesetzt. Es erforderte ungeheure Anstrengung während der Instabilität nicht von den Untiefen des Immateriums beeinflusst oder in den Wahnsinn getrieben zu werden. Er musste seine gesamte Konzentration darauf verwenden seinen Geist abzuschotten, sodass nicht ein Gedanke übrig blieb, der seinen Körper in dieser Situation hätte aktiv steuern können. Dies war etwas, auf dass einen niemals jemand irgendwo im Universum vorbereiten kann.
 <<Aas! Abschaum! Lügner! Made!>> Vernahm er schließlich ein weiteres Mal die verachtend klingende, telepathische Stimme in seinem Kopf.

 <<Dein Verrat wird dir teuer zu stehen bekommen, oh ja! >> Langsam aber kontinuierlich schien die Stimme leiser und schwächer zu werden.

<<Ich werde Dich suchen, und ich werde Dich finden. Ich werde da sein, verlass Dich drauf. Du wirst leiden, so wie Du es dir nicht in Deinen schlimmsten Träumen vorstellen kannst. Du wirst einen Fehler machen und ich werde auf Dich warten!>>

„Die linke Hand hat gesiegt, Widerling, und sie wird es wieder tun, wo immer sie auftaucht! Such Dir schon mal ein gutes Buch, denn auf mich kannst Du lange warten!“, entgegnete Vox ihm tollkühn und trocken.

<<Ghhhhhrrrrrr>>, war das letzte was Phos Isand seither von dem mysteriösen Wesen aus dem Jenseits gehört hatte.
« Letzte Änderung: 10. Mai 2013, 13:43:17 von Arden Etklint Kleist »

Sjeg

  • Mitglied
Aller Gnaden Ende
« Antwort #7 am: 10. Mai 2013, 00:43:53 »
Zitat
Allerdings verwirrt mich persönlich der andauernde Perspektivwechsel etwas.

Im Prinzip erzählt jeder Abschnitt den Zeitraum eines Kapitels aus 4 unterschiedlichen Perspektiven (zumindest wenn nicht explizit im Text anders erklärt), wobei jede Perspektive zeitlich immer etwas mehr von dem jeweiligen Kapitel preisgibt. Das hat uns vor allem als Stilmittel gedient, und die Hauptprotagonisten ein wenig näher zu beleuchten. Das das mitunter verwirrend ist, kann ich aber durchaus nachvollziehen. Evtl. könnte man Gedankenstriche einfügen, damit der Szenen und Zeitwechsel klarer verdeutlicht werden? Jedenfalls ändert sich die Erzählweise mit Ende des Präludiums zu einer etwas klassischeren Art.

Freut mich, dass es gefällt. Noch viel Spaß damit.

Aller Gnaden Ende
« Antwort #8 am: 10. Mai 2013, 13:46:28 »
Epilog

Die heilige Inquisition des Gott-Imperators hat viele Gesichter. Alle sind hart und unbarmherzig. Denn Barmherzigkeit und Mitgefühl sind Eigenschaften, die sich kein Mitglied der Inquisition leisten kann. Tatsächlich gab es einige Vertreter dieser erhabenen Gemeinschaft, welche nach ihren gerne zitierten großen drei Feinden, die da wären Nichtmensch, Mutant, Daemon, gerne noch Mitgefühl hinzufügen würden.

Die aus gutem und wohl behütetem Hause stammende Adelige würde sich wohl nie ganz an das gewöhnen, was nach jedem Einsatz auf sie zukam. Je schwerwiegender die Ereignisse, desto strenger und härter fiel das Nachspiel aus. Zwölf Vertreter der lokalen Arbitratoren, man hatte ihnen versichert, es sei der hervorragendste, am besten ausgebildetste, ambitionierteste und elitärste Haufen, den Zumthor stellen konnte, waren auserwählt worden, um ein Quartett Thronagenten bei ihrer streng geheimen jedoch mutmaßlich höchst ruhmreichen Mission zu begleiten. Cattaleya hatte das Vergnügen gehabt, jeden von ihnen kennen zu lernen. Tatsächlich waren es hervorragende Männer und Frauen gewesen. Manche von ihnen wild und ungestüm, manche ausgelassene Spaßvögel, andere erfahren und abgebrüht. Doch sie alle teilten die gleiche grenzenlose Ergebenheit zum Imperator und zu der Pflicht, für die sie in seinem Namen ausgewählt worden waren. Sieben von ihnen hatten tapfer ihr Leben lassen müssen. Nur noch fünf von ihnen blieben übrig, und wie Gerhart ihr unmissverständlich zu verstehen gab, würden erfahrungsgemäß noch einmal weit über die Hälfte von ihnen - wenn nicht sogar alle - niemandem von ihren Heldentaten berichten können. Groß war der Einfluss des Chaos gewesen, denen sie alle ausgesetzt gewesen waren, höchst pervertiert der Anblick, den sie alle hatten ertragen müssen. „Nur ein wahrhaft reiner Geist bleibt davon völlig unbeschadet. Wir werden diejenigen, die befleckt sind, richten, auf dass der göttliche Imperator vielleicht noch ihre Seelen retten möge. Es ist besser, tausende Unschuldige zu töten, als auch nur einen Ketzer leben zu lassen.“,  waren die finsteren Worte des Priesters gewesen.
Auch wenn Lucius jedem einzelnen der fünf überlebenden Arbites bewusst die volle Wahrheit über die Natur der „routinemäßigen“ Befragung nach dem Einsatz verschwiegen hatte, so war ihnen doch allen anzusehen, dass sie ahnten, um wie viel mehr es gehen würde. Einer der Gründe, weswegen der Name der Inquisition im ganzen Imperium nur mit Schrecken und oft nur flüsternd erwähnt wurde, war, dass niemand vor ihrer Verfolgung sicher war. Ein kleiner Verdacht würde schon genügen... Frost hatte darauf bestanden, dass Cattaleya diesmal selbst an den Befragungen teilnahm.

Das Verhör, das hauptsächlich der schwarze Priester selbst durchführte, war subtil und methodisch. Während der Kleriker in schlichte, nachtschwarze Roben gehüllt immer gegenüber des Beschuldigten Platz nahm, verweilten Lucius und Cattaleya in einer angrenzenden Observationskammer. Zudem hatte sich ein weiterer Mann hinzu gesellt. Dieser ältere Herr, der lediglich eine schmucklose, graue Kutte trug, hatte sich kurz mit Mandrim Zal vorgestellt und war im Namen der lokalen Behörde des Ordo Hereticus gesandt um den „Selektionsprozess“, wie er es bezeichnet hatte, zu überwachen. Der Begriff 'Stoiker' wäre noch eine lebhafte Umschreibung für den Mann gewesen, denn er gab über den gesamten Verlauf keinen Laut von sich, machte sich nur im Stillen Notizen, welche zweifellos seinem Bericht dienen würden, und schien selbst von der Anwesenheit der schönen Adeligen wenig beeindruckt zu sein – Frost hatte sie später darüber in Kenntnis gesetzt, dass es sich bei ihm um einen Eunuchen gehandelt hatte. Ihr lief bei den Gedanken ein kalter Schauer über den Rücken, dass auch ihnen noch eine ähnliche Untersuchung bevorstand, von Männern wie etwa Mandrim Zal. Ob diese noch hier von den lokalen Behörden oder erst auf Scintilla passieren würde, wusste keiner von ihnen. Sicher war nur, dass es geschehen musste.

Mit Preo Taskk, einem jungen, durchtrainierten Mann, dessen rechter Arm seit dem Zwischenfall im Foyer derer von Harholdt schlaff zu Boden hin, war Gerhart bereits nach etwa zwanzig Minuten fertig. Zwanzig Minuten, in denen der Redemptionist keinen Laut von sich gab und den eingeschüchterten Taskk einfach nur anstarrte. Nach nur fünf Minuten begann der Mann kurz zu kichern, unterdrückte es jedoch sofort wieder. Gerhart sagte nichts, ja, Cattaleya hätte schwören können, der Priester hatte nicht einmal geblinzelt. Beim ersten Mal hatte sie noch nicht verstanden, was den Arbitrator veranlasst hatte, in so einer Situation zu lachen, doch als es sich noch zwei weitere Male wiederholte, war es um Taskk geschehen. Die Festung des Mannes, die ihn vom Wahnsinn um ihn herum hätte schützen sollen, war gefallen. Seine Grundfesten waren unterwandert, und der Makel schlich in den Katakomben seines Geistes umher und war dabei, seine giftigen Fänge weiter auszubreiten. Ihn hatte Frost noch an Ort und Stelle dem Imperator übergeben.

Bei den anderen war der Prozess langwieriger, manche hätten sich aber im Nachhinein wohl gewünscht, ihnen wäre so wie Taskk viel Leid erspart geblieben. Die Tests waren vielfältig. Es reichte von einfachen Befragungen des Wohlergehens, ihrer letzten Träume, ihrer Auffassung zum Imperialen Kredo, ihres Lieblingsgebets oder den einfachen Testen von Reflexen im Kniegelenk, bis hin zu Schmerzempfinden an verschiedensten Stellen und in schwierigeren Fällen, auch in verschiedensten Stärkegraden. Niemand gab ihr über das Urteil über die restlichen Arbitratoren Bescheid, doch alle durften sie die Kammer lebend verlassen. Allein die Tatsache, dass sich Lucius mehrfach kurz mit ihrem Mitakolythen Rubens Arn - Codename Blender - unterhielt, ließ sie darauf schließen, dass die Entscheidungen rasch getroffen wurden.

Die junge Arbitratorin Dorundy war die letzte gewesen, aber Cattaleya hatte bereits genug gesehen und Frost sie gnädigerweise entlassen. Mit einem fahlen Geschmack auf der Zunge verließ sie die Observationskammer. Sie hatte vor, nach Isand zu sehen, der seit dem Tod von Lucrés im Koma lag, dessen Integrität jetzt angezweifelt wurde und dessen Zukunft ebenfalls ungewiss schien. Dabei fiel ihr Blick auf Blender, der an die Verhörraumtüre gelehnt in einer lockeren Haltung Wache stand, als sei es für ihn das natürlichste auf der Welt. Der schneidige Assassine war gerade dabei sich irgendetwas mit einem Zahnstocher aus seinen Zähnen zu holen. Als er Cattaleya in den Augenwinkeln wahrnahm, stoppte er abrupt und leckte sich mit seiner Zunge die Zähne: “Ich wette um heute Nacht, dass die Frau da drinnen keine Stunde übersteht.“ Worauf der Mann anspielte war ihr durchaus bewusst.
Sie verlor keinen Moment die Fassung: „Meinen Glückwunsch, Arn. Das war soeben der pietätloseste Versuch eines Mannes, mit mir die Nacht zu verbringen.“
Ein schelmisches Grinsen war alles, was Cattaleya als Antwort erntete, doch sie verschwendete keinen weiteren Gedanken mehr daran. Viel mehr dachte sie an Dorundy, die in diesem Moment eine der entschiedensten Augenblicke ihres Lebens durchstehen musste. Etwas stimmte sie zuversichtlich. Die Frau hatte etwas Ehrliches und Entschlossenes in ihren Augen. In gewisser Weise erinnerte sie die Aribitratorin an sich selbst. Umso mehr hoffte die Adelige, dass Dorundy morgen noch am Leben sein würde.

Aus dem Orbit betrachtet glich Zumthor mit den zahlreichen Wirbeln und der wolkenverhangenen Atmosphäre der Nordhalbkugel, welche sich unter dem Shuttle präsentierte, einem Gegenstand, an welchen er seit Jahren nicht mehr gedacht hatte. Seine Mutter hatte von einer Pilgerreise nach Maccabäus Quintus eine durchsichtige Plastek-Kugel mitgebracht, in welcher man den Schrein des heiligen Drusus als Miniaturnachbildung sehen konnte. Umgeben war das klerikale Gebäude von zahllosen weißen Kunststoffflocken, welche sich in wildem Tanz um die Kirche drehten, wenn er den Gegenstand geschüttelt hatte. Ähnlich verworren und geheimnisvoll erschien ihm nun der kleiner werdende Planet unter ihm. Er blickte in das gepanzerte Glas und in sein Spiegelbild, halb von Zumthor überlagert, war mehr ein Schemen denn ein wirkliches Abbild. Ein Schemen aus der Vergangenheit…

Was war aus dem klugen Jungen auf Luggnum geworden, dessen Aufgewecktheit stets der Stolz seiner Mutter gewesen war? Er hatte auch lange nicht mehr an seine Mutter, Otthilia, gedacht, diese prägende Person seiner Kindheit. Während seine älteren Brüder von seinem Vater solange er denken konnte auf das Geschäft gedrillt worden waren, hatte er als Nachzügler weniger Aufmerksamkeit von väterlicher Seite „genossen“. Vielmehr hatte er viel Zeit mit den weiblichen Mitgliedern seiner Familie und ihren Geschichten zugebracht. Fast alle von Ihnen waren tiefgläubig gewesen. Nicht gläubig in demselben Sinn, welchen der schwarze Priester Thracian dem Begriff gab, dennoch fest in der Liturgie verankert. Er erinnerte sich an die Geschichten, welche ihm seine Tante von der weiten Pilgerreise nach Maccabäus Quintus erzählt hatte. Eine Welt voll Kälte, Schnee und mit Sonnenlicht, so grell dass es in den Augen schmerzt. Eine Welt voll lichter Reinheit und spiritueller Wahrheit. Als er das erste Mal seinen Fuß auf die Schreinwelt gesetzt hatte, war er schier entsetzt gewesen. Von all den Erzählungen war nur die spirituelle Wahrheit richtig gewesen. Kalt, unnahbar und erbarmungslos waren eher Adjektive, die ihr gerecht wurden. Fern von jeglicher Romantik hatte sie sich präsentiert und ein weiterer Kindheitstraum Lucius‘ war zerplatzt wie die Schneekugel, als sein ältester Bruder Voldro sie gegen den Küchenboden geschlagen hatte, um zu sehen, ob der Schneefall auch nach draußen gelangen würde. Seine Mutter hatte geweint. Dreimal hatte er sie weinen sehen. Zum ersten Mal, als sich Voldro ohne jedes Schuldgefühl gegen seine Bestrafung gewehrt hatte, zum zweiten Mal als Voldro - dieser Bastard – den Mord an ihrem gemeinsamen Vater gestand, und das dritte Mal, als Lucius ihr Lebewohl gesagt hatte. Als er den Handelssitz der Frosts danach aufgesucht hatte, um sich zu verabschieden, hatte er es nicht über das Herz gebracht, sie anzulügen. Gerüchte über die rote Hölle auf dem Anwesen der Grays waren trotz der hohen Geheimhaltungsstufe durchgesickert. Er hatte ihr etwas von einer strahlenden Arbites-Karriere auf Scintilla erzählen wollen, doch schlussendlich hatte er sie fest an sich gedrückt und ihr die Wahrheit so schonend wie möglich beigebracht. Und sie war stolz gewesen - stolz und tieftraurig zugleich.

Lucius Frost riss seine Gedanken aus der Vergangenheit los und seinen Blick von Zumthor. Er trat an die Luke auf der anderen Seite des Shuttles und blickte hinauf auf die majestätische Silhouette der schlanken Sancta Simplicitas, auf welcher sie einen guten Teil der Reise zurücklegen würden.
Ein Agent der heiligen Inquisition – das war aus dem aufgeweckten und belesenen Jungen geworden. Lucius zog einen Lho aus der Brusttasche seines halbzugeknöpften Hemdes, unter welchem die Bandagen sichtbar waren, die ihn seit drei Wochen begleiteten, und entzündete es mit einem Seufzen. Er ermahnte sich, nach vorne zu sehen. Lucrés war tot, sein ketzerischer Dolch geborgen und sicher verwahrt, seine Verbündeten gerichtet, das Anwesen der Harholdts gesprengt. Im Einverständnis mit dem lokalen Büro des Ordos war die Reinigung der Stufe 3 erfolgt, um alles an Landschaft, was dem Makel des Chaos ausgesetzt worden war, endgültig zu tilgen. Wo einst die Harholdts geherrscht hatten, klaffte nun eine breite Spalte im Fels. Offiziell ein bedauerlicher Unfall mit einem defekten Energiewandler, bei welchem das gesamte Geschlecht seinen Niedergang gefunden hatte. Zu seinem Bedauern waren von den überlebenden Arbitratoren nur zwei zu retten gewesen, welche stark genug gewesen waren, von der Präsenz des Daemons nicht verdorben zu werden. Lucius musste husten und hielt sich die schmerzenden Rippen mit zusammengebissenen Zähnen. Diesen Teil seiner Arbeit hatte er noch nie gemocht. Selbstverständlich war sich der Thronagent darüber im Klaren, worin seine Verantwortung gegenüber der Menschheit bestand. Dennoch war er froh, bei den Verhören selten selbst eingreifen zu müssen. Thracian hingegen schien diese Bürde nichts auszumachen. Lucius blies den graublauen Lho-rauch langsam durch den linken Mundwinkel. Mit dem Anliegen eines schmerzlosen Todes hatte er Blender gesandt, um den Willen des Einen geschehen zu lassen, und im gleichen Atemzug für finanzielle Sicherheit der Hinterbliebenen gesorgt, welchen eine raffinierte Lügengeschichte über den heroischen Einsatz gegen ein Unterweltsyndikat präsentiert werden würde. Trotzdem war ein schaler Nachgeschmack zurückgeblieben. Umso mehr, als es ihm bevorstehen mochte, noch einem seiner eigenen Männer das Leben zu nehmen. Isand war noch immer nicht aus dem Koma erwacht, obwohl ihm die Medicae und Chirurgen versichert hatten, dass die Hirnblutung geheilt wäre. Er wäre nicht er selbst gewesen, wenn er Gerharts Wunsch nachgekommen wäre und Vox präventiv hätte entschlafen lassen. Frost zweifelte nicht daran, dass Hrubens den Befehl komptent und ohne zu Zögern ausgeführt hätte. Doch Isand verdiente gerade wegen seiner Sturheit und Eigenwilligkeit mindestens die Chance, sich zu beweisen. Er blickte entschlossen auf die sargartige, stählerne Truhe, in der der Psioniker an zahlreiche Überlebensmechanismen angeschlossen war. Das Gesicht sah mit der verheilten Wunde an der Stirne fast friedlich aus, doch er würde sich nicht täuschen lassen. Seine Hand tastete an die Boltpistole an seiner rechten Hüfte. Er würde bereit sein.

Als Vox blinzelnd seine Augen öffnete, kam ihm sein gesamtes bisheriges Leben wie ein Traum vor. In seinem Fall wie ein langer, schmerzhafter Traum, beziehungsweise wie ein lebendiger Alptraum. Es dauerte keinen Augenblick, da ihm bewusst wurde, dass er nicht geträumt hatte. Als er wieder Herr über seinen Gehörsinn war, ortete er schnell den Grund seines Erwachens. Da war es wieder, dieses widerwärtige Raunen, das von dem Gellarfeld der Sancta Simplicitas erzeugt wurde. Bei ihrem Flug nach Zumthor hatte es den Psioniker beinahe in den Wahnsinn getrieben. Phos war davon überzeugt, dass der Gellarfeldgenerator eine Störung hatte, doch wie sich zunächst herausgestellt hatte, war er der einzige Mann an Bord des weit über einen Kilometer langen Raumschiffes gewesen, der es wahrgenommen hatte. Erst nach mehrmaligem Nachharken hatte er herausgefunden, dass der Astropath an Bord des Schiffes es ebenfalls wahrnahm, es jedoch mangels Vergleich als normal eingestuft hatte. Es änderte nichts daran, dass Vox dieses Schiff hasste, und mittlerweile auch davon überzeugt war, dass diese Fregatte ähnliches für ihn empfand. Nicht umsonst stand in seiner Akte unter negativen Eigenschaften geschrieben: ‚unregelmäßig auftretende, milde Form von Paranoia‘. Davon wollte er selbstverständlich nichts wissen.
 
Erst jetzt bemerkte er Frost, der angeregt von den lauter werdenden Signalen der lebenserhaltenden Maschinen und dem erwachten medizinischen Servitor aufgestanden war, um nach dem Komapatienten zu sehen. Man hatte Vox an mehreren Stellen seines Körpers mit einer Maschine verbunden, die ihn völlig umschloss, wie einen Sarg, dessen Deckel jedoch durchsichtig war. Phos sah zu, wie sein Anführer aufgeregt auf ihn zuschritt und zugleich über Voxkomm mit jemanden Kontakt aufnahm. Den genauen Wortlaut konnte er ob der Entfernung und dem Wirrwarr aus piependen Signalen um ihn herum nicht verstehen. Ein kurzer Moment der Freude durchflutete ihn bei dem Gedanken daran, dass jemand sich die Mühe nahm, während seiner Bewusstlosigkeit über ihn zu wachen. Die angespannte Haltung von Frost, der an seine Boltpistole gelehnte Arm, und der Gesichtsausdruck, der einen Hauch zweifelnder Erleichterung und eine kräftige Prise Entschlossenheit ausstrahlte, ließen ihn diesen Gedanken jedoch schnell verwerfen. Er ahnte jetzt, was gespielt wurde. Frost war nicht hier aus Sorge, zumindest nicht ausschließlich, sondern er hielt Wache. Wache über jemand, der gut und gerne korrumpiert oder sogar besessen sein konnte - und das nicht zu unrecht. Wenn ein Psioniker nach Ereignissen wie jenen aus Zumthor einfach aus den Latschen kippt, ist höchste Vorsicht geboten. Alleine die Tatsache, dass die Ärzte auf Zumthor eine Hirnblutung diagnostiziert hatten, welche einen Überdruck in seinem Gehirn zur Folge gehabt und ihn schließlich ins Koma hatte fallen lassen, hatte Vox es zu verdanken überhaupt noch am Leben und nicht schon auf Zumthor exekutiert worden zu sein. Die örtliche Vertretung des Ordo Hereticus hatte jedoch trotzdem noch auf einen Gedankenscan bestanden, um auf Nummer sicher zu gehen.

Auch wenn Vox im Koma gelegen hatte, eine intime Verschmelzung wie die des Gedankenlesens vergisst man nicht so schnell, vor allem wenn sie unfreiwillig passiert. Noch jetzt hatte Vox das Bild des verdutzten Telepathen vor Augen, als er in seinem Kopf durch kahle weiße Gänge wanderte, voller Türen, hinter denen ebenfalls nur weite leere Gänge warteten. Der Vertreter des Ordo Hereticus ging völlig leer aus, und erst nach mehrmaligen Versuchen und Beteuerungen von Frost, dass sein Psioniker gegen diese Arten von Befragung völlig geschützt sei, auch wenn er selbst nicht wirklich die Bedeutung davon verstand, verblieb die Akolythenzelle dabei, sein Bett ständig zu überwachen um im Falle von Korruption die nötigen Entscheidungen treffen zu können. Ehrlich gesagt wusste selbst Vox nicht, wieso sein Geist eine derartig unüberwindliche Festung darstellte – noch keinem seiner Kollegen war es gelungen auch nur einen Blick darauf zu werfen.
„Na?“ Vox musste husten, als er bemerkte wie staubtrocken seine Kehle war. „Wie geht’s Ihren Rippen, Frost?“
Tatsächlich trug Lucius noch immer einen Stützverband am gesamten Oberkörper unter seiner Kleidung. „Seit wann sind Sie denn um das Wohlbefinden von anderen besorgt, Isand?“. Da war sie, die forschende Strenge in Frosts Stimme, die er erwartet hatte. Vox beschloss einfach ganz natürlich zu wirken, um Frost ja nicht auf falsche Gedanken zu bringen.
„Ich habe Ihnen das Leben gerettet, schon vergessen? Das Knacken der Rippen hat man ja durch das ganze Foyer hören können.“ Vox rang sich zu einem Lächeln durch. „Ich will nur sichergehen, dass sich mein Einsatz gelohnt hat.“
„Sie verdammter Idiot, Isand.“, brach es aus dem Leitwolf entrüstet hervor, „Ich habe Ihnen gesagt, nein befohlen, dass während des Einsatzes absolute Helmpflicht besteht. Aber Sie mussten ihn ja im Rhino zurücklassen. Und versuchen Sie gar nicht erst meinen Intellekt mit der Lüge zu beleidigen, Sie hätten ihn vergessen. Das ist mit Ihrem eigenen Verstand nicht kohärent.“
„Eine feine Art Danke zu sagen haben Sie, Frost. Gefällt mir gut.“, Vox sah, dass sich der Griff seines Anführers um dessen Boltpistole gelockert hatte. Zu versuchen, ihn mit einer Projektilwaffe zu erschießen, wäre ohnehin einer Beleidigung gleichgekommen.
„Wer nicht nach meinen Regeln spielt, hat in meinem Team nichts verloren, Isand. Und das nächste Mal, wenn es heißt: Helmpflicht, dann werden Sie einen tragen, und wenn ich ihn eigenhändig auf ihrem ruinierten Glatzkopf ankleben muss!“
 „Verstanden. Aber das wird nicht nötig sein, ich habe vor bei Ihnen weiterzumachen, ab jetzt mit Helm... Psionikerehrenwort.“ Wie viel man auf das Ehrenwort eines Psionikers geben konnte, dass würde Frost wohl auf die harte Tour herausfinden müssen.
In diesem Moment erst bemerkte Vox den Schatten im toten Winkel seines Sichtfeldes, wo Blender sich auf einen Wink Frosts aus seiner Position löste und die gezogenen Klingen wegsteckte. Mit einem Schulterzucken drängte er sich an Priester Thracian vorbei, der im selben Moment förmlich durch die Türe gestürmt kam, die Hand am Griff seines Kettenschwertes. Er hielt kurz inne, als er sich der Situation versicherte, tauschte einen vielsagenden Blick mit Frost und wandte sich um, um den Raum mit seiner typisch schwebenden Gangart wieder zu verlassen, und, wenn Phos es nicht besser gewusst hätte, mit einem leichten Ausdruck von Enttäuschung, der ihm ins Gesicht geschrieben stand.
„Sie haben also auch anders vorgesorgt. Gut – denn mit der Pistole hätten Sie ziemlich oft auf mich schießen müssen.“
 „Rein nach -“ „- Protokoll“, sagten beide Männer beinahe zugleich, was sie zu einem Schmunzeln veranlasste. „Der Ordo Hereticus wird Sie auf Scintilla ziemlich in die Mangel nehmen, das ist ihnen bewusst, oder?“, fügte Frost an.
Phos seufzte und meinte zynisch: „Aber Sie werden ein gutes Wort für mich einlegen, nicht wahr?“
„Ehrlich gesagt haben Sie einen guten Job abgeliefert, aber das wird unsere Kollegen ziemlich wenig interessieren, fürchte ich. Die Sache mit dem Rhino ist aber im Protokoll. Außerdem erwarte ich ihren Bericht.“
Mittlerweile schien das Eis gebrochen.
„Aber hoffentlich unter dem Motto 'Kreative Eigeninitiative'. Keine Sorge, Frost, ich habe nicht vor, Sie lange warten zu lassen. Holen Sie mich einfach aus diesem verfluchten Maschinensarg und ich werde meinen Bericht in null Komma nichts fertig stellen.“
„Nur mal langsam. Sie bleiben noch mindestens eine Woche hier angeschlossen“, meldete sich schließlich eine Stimme unbekannten Ursprungs irgendwo hinter ihm zu Wort. „Oder wollen Sie riskieren, noch einmal umzukippen, und dann trage ich die Verantwortung für die innerlich verblutende Schweinerei, die Sie zurücklassen.“ Vox mutmaße, dass es sich um einen Arzt mit Tendenz zum Makaberen handeln müsse.
„Das tut nichts zur Sache! Ich verlasse mich lieber auf meine Selbstheilung, als auf ihren Maschinenkram, von dem Sie wahrscheinlich auch noch weniger verstehen als ich.“ Vox wirkte ob des Widerspruchs empört, was seiner ohnehin unangenehmen Stimme ein kratziges Begleitgeräusch verlieh.
„Ist der Mann immer so... anstrengend?“ gab der Arzt wohl an Frost gewandt in relativ gelassenem Tonfall von sich. Die politisch korrekt formulierte Betonung des Wortes anstrengend war dabei nicht zu überhören.
„Ja, absolut immer...!“ kam da die Antwort von Frost fast wie aus der Boltpistole geschossen.


In der Stille der Morgenstunden ertönte das Klacken seines bionischen linken Fußes geradezu hallend durch die halbleeren Hallen und Gänge im Turm des Ordo Hereticus. Gerhart trug eine frische schwarze Ordensrobe der schwarzen Bruderschaft von Maccabäus Quintus aus schwerem Stoff, geziert von dem blütenweißen, dreieckigen Brustteil, auf welchem eine schlichte goldene Aquila prangte. Die Schritte seiner Bewacher waren trotz ihrer schweren rot-goldenen Carapace-Rüstungen kaum hörbar, als die beiden Männer in einem kleinen Respektsabstand hinter dem Hünen her schritten.

Thracian nahm es ihnen nicht übel. Sie taten nur ihre Pflicht, so wie er auch. In wenigen Stunden würde er sich in die Hände des Ordo Hereticus begeben, um geprüft zu werden, so wie er die Arbitratoren auf Zumthor geprüft hatte. Er dachte ohne Furcht daran. Er hatte nichts zu verbergen, Terra war mit ihm. Würdevoll durchquerte das Gespann eine breite Halle, deren große Fensterfront einen beeindruckenden Blick über das Meer bot. Die See schien fast ruhig zu sein, sich sonst wild gegen die Klippen werfemd. Ein oranges Glimmen zeigte den Ort an, wo sich der Stern des Sektors bald aus den Fluten heben würde, um die Spitze der Makropolwelt in sein Licht zu tauchen. Gerhart hielt einen kurzen Moment an und lies seinen Blick auf dem leuchtenden Palast des Sektorgouverneurs ruhen, dann ging er die letzten Schritte auf den Alkoven zu, welcher von den Messingstatuen zweier verstorbener inquisitorialer Würdenträger flankiert wurde. Die stahlgrauen Augen des kantigen Mannes mit dem unnahbaren Gesichtsausdruck musterten ihn, ohne eine Gefühlsregung zu zeigen. Thracian verbeugte sich leicht und erwiderte danach den Blick Inquisitor Varitanis. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt fiel dessen Blick rasch auf den Koffer in Gerharts linker Hand, der mit einer Kette an dem bionischen Ersatzglied fixiert war.
 „Wie geht es Isand?“
Gerhart hatte nicht damit gerechnet, dass der Inquisitor, den er als zielgerichteten Mann kannte, als erstes diese Frage stellen würde.
„Dem Anschein nach ist er auf dem Weg der Besserung“, brummte der Kleriker.
„Sie klingen beinahe enttäuscht. Offensichtlich hegen Sie für den Psioniker ähnliche Gefühle wie für das Ihnen überantwortete Beweismittel.“
Es war kein Geheimnis, dass sich der schwarze Priester dagegen ausgesprochen hatte, den Dolch Lucrés, die Wurzel des Übels, nach Scintilla zu bringen. Ein solcher unreiner Gegenstand konnte nur einem Ziel zugeführt werden: Dem der Vernichtung. 
„Und aus ähnlichem Grund, Inquisitor. Ich halte beides für ein unnötiges Risiko.“
„Das Risiko lassen Sie meine Sorge sein, Thracian.“ Etwas weniger energisch danach: „Selbst ein Mann in meiner Position kann nicht immer das tun, was er selbst tun möchte. Ich denke, Sie können diesen Standpunkt nachvollziehen.“
Der ehemalige Raumflottenoffizier kniff die Augen zusammen. „Ihr seid der Inquisitor, Varitani. Ihr seid mir natürlich keine Rechenschaft schuldig. Ebensowenig wie ich Euch darüber Rechenschaft schuldig bin, wenn ich in naher Zukunft ein besonderes Auge auf Isand haben werde.“
Er bückte sich um mit den feingliedrigen Fingern der linken Hand die gengesteuerte Verschlüsselung des Koffers zu lösen. Mit spitzen Fingern übergab er die Schatulle an Varitani.
Der Inquisitor nahm den Gegenstand in Empfang. Mit einem knappen „Der Imperator beschützt“, welches der Kleriker umgehend erwiderte, wandte sich der Mann in seinem taillierten Ledermantel rasch zum Gehen um. Auf halbem Weg aus der Halle drehte er sich noch einmal um, als Gerhart gerade zu seinen Bewachern aufschloss.
„Und, Thracian … passen Sie auf sich auf!  … Ich erwarte den Bericht ihrer Zelle bis spätestens übermorgen.“
Der finstere Kleriker musste trotz seiner Natur lächeln. Gemessen daran, dass die Verhöre durch den Ordo Hereticus bis zu drei Tage in Anspruch nehmen konnten, gab man ihm hier unmissverstehlich zu begreifen, dass ihr Inquisitor damit rechnete, seine Akolythen rasch vollzählig wiederzusehen. Er richtete sich auf und straffte seinen Rücken. Mit dem Koffer und seinem unheiligen Inhalt war eine Last von ihm gefallen, welche ihm erst jetzt, da sie ein anderer trug, vollständig bewusst wurde. Er beneidete ihren Träger nicht, doch er war weit davon entfernt sich um ihn Sorgen zu machen.

40 Stunden später…

Mit einem erleichterten Seufzen zündete sich der sehnige junge Mann einen Lho-stick an, welchen er soeben aus der Brusttasche seines etwas zerknitterten Hemdes gezogen hatte. Er ignorierte den missbilligenden Blick eines karmesinroten Inquisitions-Gardisten und trabte durch den langen Gang, welcher ihn von Interrogator Railouns Büro weg in Richtung Ausgang bringen würde.
Mehr und mehr erschienen ihm die Erlebnisse auf Zumthor wie ein böser Traum, akzentuiert von den stundenlangen Befragungen durch die Prüfkommission, der sein gesamtes Team nach ihrer Rückkehr ausgesetzt worden war. Er inhalierte tief und blies den Rauch gedankenverloren aus dem linken Mundwinkel. Wie so oft hatte man Pater Thracian nach nur zwei Stunden als erstes entlassen, gefolgt von Granit und Blender, denen der Großteil der unangenehmen Erfahrungen erspart geblieben war. Lucius war als nächster entlassen worden und hatte draußen gewartet, bis auch Honeymoon und Vox für weiterhin einsatzfähig befunden worden waren. Seine Lhos waren ihm in den Stunden, die sie auf den Psioniker hatten warten müssen, ausgegangen, und die verhohlenen Laute, welche aus den schallgedämpften Kammern gedrungen waren, hatten nicht dazu beigetragen, die in ihm aufsteigende Unruhe zu lindern. Zum Glück hatte er in Cattaleya eine Begleiterin gehabt, die es verstanden hatte, ihn mit gehaltvollen Gesprächen abzulenken, bis Isand noch übellauniger als sonst, humpelnd, mit einigen blauen Flecken und einem nicht jugendfreien Fluch auf den Lippen zu ihnen gestoßen war.
Er blies die Sorgen mit einem kleinen Rauchkringel fort. Mittlerweile war sein Bericht auf dem Schreibtisch von Varitanis Interrogator angekommen, das letzte Mosaik des Falles war somit an seinen Platz gelangt.
Die Akte Vynnor Lucrés war geschlossen.

Frost war mittlerweile durch die Sicherheitsschleusen gelangt und bei seinem fahrbaren Untersatz angelangt. Fast zärtlich glitt seine Hand über den eleganten Rumpf der schnittigen Kathro-Sennis 3-24. Er schwang sich mit einer flüssigen Bewegung in den Sattel und dachte an die Männer und Frauen, welche ihn nach Scintilla zurückbegleitet hatten: Honeymoon, Blender, Thracian, Granit, Vox, Dorundy und Erwak. Er nahm einen weiteren tiefen Zug des aromahaltigen, blauen Rauches. Zwei neue Rekruten für Inquisitor Varitani, und er hatte niemanden aus seiner Zelle verloren. Nur das zählte.
Er grinste und schnippte seinen Lho gegen die Scheibe einer Limousine des Fuhrparks des Ordo Hereticus. Dann betätigte er den Kick-Start und das Motorrad erwachte mit einem rassigen Röhren zum Leben. Ohne zurückzublicken raste Lucius Frost mit überhöhter Geschwindigkeit in das Nachtleben der Makropole hinaus.

ENDE

Aller Gnaden Ende
« Antwort #9 am: 10. Mai 2013, 13:58:24 »
Das war die Akte Vynnor Lucrés. Im nächsten Post folgt das von mir selbst verfasste "Aller Gnaden Ende".

Aller Gnaden Ende
« Antwort #10 am: 10. Mai 2013, 18:05:16 »
Handelnde Personen:

Inquisition:
Lord Inquisitor Caidin - Leiter der Inquisition im Raumsektor Calixis
Lord Inquisitor Zephraim Kandotates Arethrus - Senior Inquisitor des Ordo Malleus
Lord Inquisitor Eirut Bahan - Senior Inquisitor des Ordo Xenos
Lord Inquisitor Rembrandt Gillenstern - Senior Inquisitor des Ordo Hereticus
Serpentin Varitani - Inquisitor des Ordo Malleus
Immarut Railoun - Interrogator Varitanis
Lucius Frost - Ex-Arbitrator, Akolyth von Varitani, wird oft nur "Lho" genannt
Phos Isand - Telepath, Akolyth von Varitani, wird "Vox" genannt
Cattaleya Amalia VanSovrean - Adelige Akolythin von Varitani, ehem. Diebin, wird oft "Honeymoon" genannt
Gerhart Thracian - Redemptionistisch ausgerichteter Schwarer Priester von Maccabeus, Akolyth Varitanis
Hrubens Arn - Professioneller Assassine, Akolyth Varitanis, wird "Blender" genannt
Nick Runsit - Ex-Gardist der Imperialen Armee, Stammeskrieger (Name: Chnishnit liutstam Hrun'Sith), Akolyth Varitanis, wird "Granit" genannt
Frederiq DeVetter - Adeliger Telepath, Akolyth von Varitani, stammt von Xeiros Prime
Arian Dorundy - Ex-Arbitratorin, Akolythin von Varitani
Inquisitor-Captain Francis Delinn - kommandiert das Schwarze Schiff Lodernde Gerechtigkeit
Inquisitor Globus Vaarak - vom Ordo Hereticus
Hiron Kessler - Vaaraks Interrogator
Alexandros Deneva - Priester und Akolyth von Vaarak, wird "Xandros" genannt
Cid Sorrow - Krimineller und Akolyth von Vaarak, wird "Verbal" genannt
Jorge Burgos - Assassine und Akolyth von Vaarak
Kyrill Anders - Ex-Gardist und Kopfgeldjäger, Akolyth von Vaarak

Adeptus Mechanicus:
Transmechanicus Ert Zalsmid
Magos Biologis Armendin Xyrrton

Adeptus Ministorum:
Erz-Kardinal Ignato - Oberhaupt der Ecclesiarchie im Raumsektor Calixis
Drusian Fidelius Sebatianus - Kardinalsekretär und Stellvertreter von Erz-Kardinal Ignato
Orian Sibellian - Assistent von Erz-Kardinal Ignato

Adeptus Sororitas:
Celeria Angelia -  Principalis des Ordo Militaris Calixis

Adeptus Astartes:
Lucian Verus - Brother-Paladin der Grey Knights

Imperiale Flotte:
Lord Admiral Vire Anderton - Oberkommandierender der Raumflotte Calixis
Admiral Eira Kanakouris - Kommandantin des Schlachtschiffs Furor Calixis
Commander Sandr Taran - Erster Offizier der Furor Calixis
Lieutenant Aenthon De'Varro - Kommunikationsoffizier der Furor Calixis
Lord-Captain Franse Zaiphus - Kommandant des Kreuzers Beständiger Ansturm

Diener des Erzfeindes:
Velfur Zaabesz - Chaoshexer und erster Verführer von Flengler
Astrion Malqevis - Einer der Unruhestifter auf Xeiros Prime, mächtiger Krieger
Der Fremde - Mysteriöse Gestalt, Wächter über die "Saat"
Tereen und Alrihn - die Zwillinge

Sonstige:
Lord Sektor Marius Hax - Gouverneur des Raumsektors Calixis
Augustus Vaarn - Generalfeldmarschall der Imperialen Armee im Raumsektor Calixis
Elena Lakrio - Junge Professorin an der Schola Chymystria, in einer Beziehung mit Lucius Frost
Doktor Drususton Flengler - Wissenschaftler, auf Xeiros Prime tätig
Captain Friel Guntr - Freihändler und Kommandant der Tarbeter
Garrinald Crim - Vorstand der Ersten Klasse des Transozeanischen Express auf Xeiros Prime
« Letzte Änderung: 12. Mai 2013, 10:03:55 von Arden Etklint Kleist »

Aller Gnaden Ende
« Antwort #11 am: 10. Mai 2013, 18:21:05 »
Aller Gnaden Ende

Prolog

„Mein Herr, mein Imperator, wenn trotz aller Mühe, trotz aller Opfer jene Welt nicht mehr errettet werden kann, so will ich selbst sie ihrem Schicksal überantworten, in Deinem Namen und mit Deiner Macht. Dies schwöre ich.“
In seinem Inneren war Stille – für einen Moment. Ein neuerliches Rütteln des kleinen Shuttles ließ Varitani deutlich erkennen, dass der Eintritt in die Atmosphäre bereits erfolgt war. Er öffnete die Augen, sein Gebet immer noch in seinem Geist. Trotzdem er nie Mitglied der Ecclesiarchie gewesen war, fühlte er sich in den Momenten des Gebets stets verbunden mit seinem Herrn, fühlte eine ungebremste Urmacht in seinem Inneren tosen.

Zahllose Welten bilden das Imperium der Menschheit. Andauernd umkämpft, von den Wogen des Krieges umspült ist jede davon eine Zelle dieses monströsen Gebildes. Schon seit den Tagen vor dem Großen Bruderkrieg vor zehn Millenien, als Horus Lupercal sich gegen seinen Vater gewandt hatte, ihren geliebten Imperator, war das Bewusstsein im Imperium herangereift, dass wie bei einem Tumor kranke Teile des Körpers abgestossen werden müssen, wenn eine Heilung aussichtslos ist. Entsprechende Waffen gab es sogar noch länger. Von den Atomwaffen früherer Zeiten zu den weit effektiveren, tektonisch wirksamen Zyklon-Torpedos bis zum Lebensfresser-Virus, der jegliche Biomasse einer Welt in gasförmigen Rückstand umzuwandeln fähig ist - das Arsenal des Imperiums war wahrhaftig nicht zu knapp für solch ein Unterfangen bestückt.
Varitanis Zunft nun fiel es zu, in seltenen Augenblicken, wenn eine Welt von Chaos, Verderbtheit oder Xenosbefall zu einem solchen Tumor im Körper des Imperiums geworden war, das Urteil zu sprechen, diese Welt zu verdammen. Dieses Urteil lautete: Exterminatus, die vollständige Vernichtung alles Lebens eines Planeten oder gar des Planeten selbst. Die Ultima ratio war dieses Urteil, gleichzeitig das Eingeständnis der eigenen Grenzen, eine Problem einzudämmen ebenso wie mächtiges Abschreckungsmittel, denn jede Anwendung dieses Mechanismus brachte Milliarden Stimmen für immer zum Verstummen, hinterließ noch mehr der Leere in dem großen Weltenall, und selten wurde so laut vom Exterminatus gesprochen, dass es über vorsichtiges Raunen oder Flüstern hinausginge.

Serpentin Varitani war ein Inquisitor – ein Agent der linken Hand des Imperators, wie die Ordos der Inquisition auch genannt wurden. Er war Teil des Ordo Malleus, der Daemonenjäger, die sich intensiver und vornehmlicher mit der Bedrohung durch die Mächte des Chaos, des großen Erzfeindes seit der Zeit von Horus, widmeten als alle anderen Fraktionen des großen Adeptus Terra. Noch nie zuvor war er gezwungen gewesen, Exterminatus anzuordnen, sich mit jenem verhängnisvollen Befehl an die Schwarzen Schiffe seiner eigenen Zunft oder an die Angriffskreuzer des Adeptus Astartes, der mächtigen, übermenschlichen Elitesoldaten des Imperators, zu richten. Die nächsten Tage würden weisen, ob er den Befehl bereits hätte geben sollen.

Er dachte an DeVetter, seinen Telepathen, der als sein erster Akolyth begonnen und ihm zum Freund geworden war. Varitani, von den straffen Gurten in einen der Sitze des Personalabteils gepresst, hob seine Hand vor Augen und dachte an die Worte seines Freundes: „Die Faust des Imperators.“ Seine Finger schlossen sich, als die Durchsage des Piloten durch den Voxprojektor schallte: „Anflugvektor Makropole Sibellus, Eintreffen am Trikornus in zehn Minuten.“


1 - Getreue des Imperiums

Interrogator Immarut Railoun schlenderte gelassen die Kommerzia entlang. Wie immer zu jeder Tages- und Nachtzeit herrschte hier eine Menge Betriebsamkeit. Jeder Atemzug durchströmte die Wahrnehmung des Agenten mit einer Fülle an olfaktorischen Eindrücken. Railouns Geruchssinn war schon seit seiner Kindheit sehr ausgeprägt gewesen, was seiner Meinung nach gut zu dem Spürhund passte, der er ja im übertragenen Sinne war. Wenn der Ansturm der Gerüche einmal zu intensiv wurde, hatte er immer eine einfache Nasenklammer oder Filterstecker dabei, mit der sich auch im Mittelhive einer gigantischen Makropole wie Sibellus ganz gut zu behelfen war. Der Interrogator betrat das Straßencafé „Zum Freihändler“, sah sich in der rauchigen Atmosphäre kurz um, und erspähte dann sogleich das Ziel seines kleinen Ausflugs.

Lucius Frost hatte es sich in einem Separee des altmodisch holzvertäfelten Cafés gemütlich gemacht, in dem man Rauchen, Trinken und auch recht ordentlich essen konnte, wenn man das nötige Kleingeld für diese kostspielige Lage hatte. Der Ex-Arbitrator blickte mit einem schiefen Lächeln in Richtung seines Vorgesetzten und Freundes und hob kurz den Arm zu Gruß, dann wanderten seine Augen sofort wieder zu der Datentafel, die sich in seiner Linken befand. Frost trug wie die meiste Zeit ein kragenloses, weißes Hemd und eine schwarze Hose, eine etwas abgetragen aussehende Lederjacke und ein Lho-Stäbchen im einen oder anderen Mundwinkel.
Railoun nahm ihm gegenüber Platz und lächelte Frost herzlich an. „Schön, Sie wiederzusehen, Lucius.“
Frost nickte nur. „Ja, ebenfalls.“ Sein Blick flog über die letzten Zeilen seines Einsatzberichts. Frost war als designierter Gruppenprimus für die operative Leitung einer der Akolythenzellen von Inquisitor Varitani verantwortlich.
Railoun fischte ein kleines Tech-Gerät aus einer Innentasche seines weiten, beigen Mantels und stellte es vor sich auf den Tisch. Der Verzerrer würde ein Abhören jenseits der vom Benutzer zugelassenen Frequenzen unmöglich machen, ebenso ein Lauschen aus den benachbarten Separees. „Alles glatt gegangen im Golgenna-Arm, nehme ich mal an?“ Railoun strich sich sein schulterlanges, blondes Haar aus dem ebenmäßigen, hellen Gesicht.
Frost nickte. „Jo, Loviat ist erledigt.“
Railoun räusperte sich. „Wo sind denn die anderen?“
Frost blinzelte kurz, dann zog er ein Micro-bead aus seiner Tasche und reichte es Railoun. „Honeymoon sichert, Granit schläft, Gerhart ist in der Kathedrale und Blender ist bei seinem Bruder, denke ich mal. Vox ist – hm, wer kann das schon sagen.“
Railoun aktivierte das Kommunikationsgerät. „Test, eins, zwei.“
„Na wen haben wir denn da?“, erklang die glockenhelle Stimme von Cattaleya VanSovrean am anderen Ende der Leitung. „Der Löwe ist also auch schon eingetroffen.“
Ein Grinsen hatte in Railouns Mundwinkeln Einzug gehalten. „Sein Sie mir gegrüßt, Cattaleya.“ Die adlige Ex-Diebin hatte darauf bestanden, ihm den Spitznamen „Löwe“ zu verpassen, war er doch einer der wenigen in den Diensten von Varitani, die normlaerweise einfach nur beim Namen angesprochen wurden.

Frost beobachtete Railouns Reaktion auf den Gruß seiner Kollegin. Er kannte den Interrogator schon ein ganzes Weilchen. Die beiden hatten Honeymoon, wie Catt auch genannt wurde, damals gemeinsam dingfest gemacht, nachdem die anscheinend aus Langeweile im Oberhive von Sibellus ordentlich Unruhe gestiftet und einige sehr einflußreiche Adelshäuser um Wertgegenstände und Informationen erleichtert hatte. Ihr Vater hatte zwar alles wieder geradebiegen können, aber ganz in Ordnung war ihr Verhältnis zu ihrem Elternhaus nicht, da war sich Frost sicher. Sie sprach so gut wie nie von ihrer Kindheit und besuchte ihre Familie auch nicht, selbst wenn sie die Gelegenheit dazu hatte.

Frost war für sie wohl sowas wie ein Ersatzbruder geworden. Naja, zumindest ein guter Freund, dachte er bei sich. Railoun hingegen war wohl immer schon ein bisschen in sie verknallt gewesen, aber durch die ritterliche Zucht, die ihm während seiner Kindheit und Adoleszenz auf der Feudalwelt Acreage eingedrillt worden war, viel zu zurückhaltend, um bei einer Frau wie ihr landen zu können. Im Endeffekt kümmerten solche Dinge den Ex-Arbitrator wenig. Es gab eigentlich immer so viel zu tun, dass wenig Zeit blieb, sich für die Privatangelegenheiten seiner Kollegen zu interessieren.
„Perimeter ist gesichert.“, gab Cattaleya nun an alle Beteiligten gerichtet bekannt. „Wir sehen uns dann später.“ Damit klinkte sie sich aus.
„Der Inquisitor braucht uns schon wieder?“, erkundigte sich Frost.
Railoun nickte. „Scheint wohl so. Er hat Sie und Ihre Zelle schon in Einsatzbereitschaft versetzt.“
„Recht ungewöhnlich, so direkt nach dem letzten Gig.“ Frosts Lho tanzte beim Sprechen auf und ab.
Wieder ein Nicken. „Kann nicht viel dazu sagen. Aber irgendwas ist am Laufen. Ich treffe ihn in einer Stunde im Trikornus. Könnte sein, dass es schon in ein paar Tagen losgeht. Er hat Sie alle ganz spezifisch angefordert, und auch mich, obwohl er mir direkt vor seinem Abflug diese elend verschachtelte Dar Vardenil-Akte aufgehalst hat.“
„Das war doch so ein Adelshaus, oder?“
„Ja, die hat die Truppe vom alten Gillenstern vor paar Jahren gekascht. Seither spricht den Namen kaum noch jemand aus.“
„Hm. Klingt langwierig. Was gibt’s da überhaupt zu tun? Die Hexenjäger lassen doch normalerweise nur Asche zurück.“
„Sagt Ihnen der Name Arethrus was?“
„Klar. Einer der alterwürdigen Lords im Dreierturm.“ Lucius Frost spielte damit natürlich auf den Trikornus an, den Sitz der Inquisition auf Scintilla und gleichzeitig auch das Hauptquartier dieser Organisation im ganzen Calixis-Sektor.
„Varitani hat gemeint, ich soll mal sehen, ob ich ihn irgendwie mit Dar Vardenil in Verbindung bringen kann.“
Frosts Mundwinkel wanderten nach oben. „Oho, Streit im Haus, oder wie?“
Railoun zuckte mit den Achseln. „Kann ich ehrlich nicht sagen. Aber Arethrus weiß, dass Varitani die Akte durchsieht – und er ist ihm darob nicht quer. Vielleicht hat er ihn ja sogar darauf gebracht.“
Frost nickte. „Na schön, Railoun, dann trommle ich die Truppe mal zusammen. Kontaktieren Sie mich einfach später auf den üblichen Kanälen, dann treffen wir uns alle im Büro vom Chef.“
„Und richten Sie ihm einen schönen Gruß aus.“, flötete Cattaleya per Funk.

Hrubens Arn betrachtete gedankenversunken das Lho-Stäbchen zwischen seinen Fingern. Eigentlich rauchte er nicht wirklich, außer eben, wenn Troo ihm im Anschluß eines der dünnen Dinger reichte. Nun kokelte der Tabak vor sich hin, während eine zittrige, dünne Rauchfahne von der Spitze zu der abblätternden Zimmerdecke aufstieg.
Troo legte eine blasse Hand auf seine Brust und kraulte die Locken, die wie die darunter liegende Haut noch vom Schweiß glänzten. Sie lachte. „Ist immer erstaunlich, wie anders es doch mit Dir ist.“
Er brummte bestätigend.
„Warum habe ich nicht mehr Kunden wie dich?“ Sie kitzelte ihn an der Hüfte und er wand sich leicht.
Blender zuckte mit den Achseln. „Kann ich nicht sagen. Sehe keinen Grund, warum nicht jeder Mann zu Dir kommen sollte.“ Er grinste leicht, beobachtete weiter den Rauch.
Sie stützte ihren Kopf auf ihre Handballen und sah ihn an. „Warum gibst Du eigentlich Geld für mich aus? Mit Deinem Aussehen kannst Du doch locker auch sonst jemanden finden.“
Nun blickte er sie endlich an. „Du meine Güte, sind solche Fragen normalerweise nicht schlecht fürs Geschäft?“ Er streichelte über ihre Wange, ihr eigentlich brünettes Haar leuchtete golden im Licht der Abendsonne, die ihre Strahlen für wenige Minuten zwischen den Makropoltürmen hindurch in das kleine Zimmer im Mittelhive schickte. „Wenn ich mir irgendwo draußen Eine abschleppe, zahle ich doch dasselbe für Essen, Unterhaltung, Beförderung und Rauschmittel, je nachdem, wie sie so drauf ist. Da kann ich doch gleich zu Dir kommen. Da weiß ich wenigstens, dass ich Dich auch wirklich leiden kann. Außerdem zahlt mein Chef gut.“
Sie lächelte. „Du weißt, was Du einem Mädchen sagen musst.“
„Na klar.“
„Was macht Du denn überhaupt beruflich? Wer ist Dein Chef, der so gut zahlt? Kannst Du mir da vielleicht einen Job besorgen?“ Sie grinste schelmisch.
Arn erwiderte das Grinsen. „Also meine Geldquellen wechseln, bin sozusagen ein Gelegenheitsarbeiter. Mein Sponsor dieses Mal hieß Loviat oder so ähnlich und nein, ich glaube, der kann Dir keinen Job mehr geben.“ Arn war Auftragskiller. Zusammen mit seinen Kollegen „ich rauch mal ein Lho“ Frost, „scharfes Outfit, aber zugeknöpft bis oben“ VanSovrean, „Telepathen-Glatze“ Phos Isand, der eigentlich ganz ok war, und dem „Strafkolonie-Arbeitstier“ Granit war er gerade von einem Einsatz im Golgenna-Arm heimgekehrt, wo sie einem Halunken namens Loviat den Garaus gemacht hatten. Und Blender war durchaus nicht der Typ, der Skrupel hatte, eine Gelegenheit beim Schopf zu packen. Wenn diese Gelegenheit eine ordentliche Ladung Thröne war, umso besser. So hatte Loviat wenigstens noch etwas Gutes tun können, dachte der Assassine bei sich. Oh, den Pater hätte er fast vergessen, Gerhart Thracian, Feuer und Schwert.
Seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf seine Bettgenossin.
„Hast Du noch Lust auf ne Runde?“ Sie blickte an ihm herab. „Sieht nämlich ganz so aus.“
„Also ohne jetzt übertreiben zu wollen, Baby, aber ich hätte noch genug Vorrat für etliche Runden, aber ich muss noch bei Andreus vorbeischauen, bisschen was von dem Geld auch bei ihm abliefern. Und wenn ich hier meinen Willen hätte, dann wäre ich gleich pleite.“
Sie nickte verstehend. „Wie geht es ihm denn?“
Blender zuckte mit den Achseln. „So wie immer nehme ich an. Wie soll es dem schon gehen.“ Blenders Bruder war schwer behindert und nur die finanziellen Zuwendungen des Assassinen ermöglichten es ihm überhaupt, in dem harschen System einer Makropolwelt wie Scintilla zu überleben, in dem Produktivität alles und menschliches Leben nichts zählte.
Troo lächelte verspielt. „Geht aufs Haus, Süßer. Aber nur ausnahmsweise.“ Damit wälzte sie sich auf ihn.
Blender zog die Schultern hoch. „Na dann.“

Eine Stunde später stand Hrubens Arn in der Türe zum Schlafraum seines Bruders. Ella, die Frau, die sich für ihn um Andreus kümmerte, hatte ihren Lockenkopf über die Schlafstatt des sich immer wieder unruhig bewegenden und unverständliche Laute ausstoßenden Krüppels gebeugt und wischte diesem Schweiß aus der Stirn.
Blender zog die Stirn kraus, dann schlich er zurück an den Küchentisch, auf dem ihm Ella seinen Becher Kaffein hinterlassen hatte. Er nippte an der hellbraunen Flüssigkeit und brummte anerkennend. Kurz schoß der Gedanke Schmeckt wie daheim durch seinen Kopf, bis ihm einfiel, dass dies wohl am ehesten sein Zuhause war. Hrubens hörte leise Schritte hinter sich und blickte Ella ruhig an. Die Frau war Mitte vierzig und hatte wohl ebenso viel Pech in ihrem Leben gehabt wie Blenders echte Mutter. Nur, dass ihr die Kinder gestorben waren und nicht umgekehrt. Sie sorgte rührend für Andreus und konnte auch recht bissig und entschlossen sein, wenn die Nachbarn aufgrund seiner Schreie manchmal Ärger machten. Auch dem Magistratum war ihre Beherztheit mittlerweile wohlbekannt und Blender hatte als Geldgeber auch immer einige Thröne extra für diese Belange aufzutreiben.
Es belastete Blender kaum, die beiden zu unterstützen, nicht bei seinem passablen Gehalt und bei den Nebeneinkünften, die immer wieder einmal hereintrudelten. Er hatte irgendwann beschlossen, sich um seinen Bruder zu kümmern, und wenn Ella der Weg dazu war, dann, beim Thron, sollte es eben so sein.
„Wieder einmal Fieber, hm?“
Ella nickte. „Ja, wird schon wieder vergehen. Er ist einfach empfindlich wie ein kleines Pflänzchen.“
„Was haben wir nicht für ein Glück.“, brummte Hrubens. „Auf dem ganzen Scheiß-Planeten keine Pflanze – Oberstadt mal außen vor – aber wir im Mittelhive haben ein richtig empfindliches abbekommen.“
Ella lächelte schwach. „Bleibst Du noch zum Essen, Hrubens? Ist bald fertig.“
Da musste er nicht zweimal überlegen. „Klar, aber dann muss ich wieder. Gibt anscheinend Arbeit.“
„Ach? Schon wieder? Du bist in den letzten Jahren kaum noch hier.“
Blender kratzte sich am Kopf, nur um sich anschließend seinen Pferdeschwanz neu binden zu müssen. „Tja, was soll ich sagen, Ell – keine Ruhe für die Gerechten.“
Sie schnaubte. „Na dass ich nicht lache. Setz Dich hin und iss.“


Aller Gnaden Ende
« Antwort #12 am: 11. Mai 2013, 07:55:42 »
2 – Lord Inquisitor

Der brausende, in Böhen auf- und abflauende Wind war eine beständige Konstante, sobald man sich auf gewisser Höhe in einer Makropole wie Sibellus befand. Die Landeplattform Süd 2-Gamma des Trikornus war solch ein Ort.
Interrogator Immarut Railoun zog seinen Mantel enger um sich und blickte mit zusammengekniffenen Augen dem Shuttle vom Typ Arvus entgegen, das auf das Plateau zuhielt. Er sah kurz zu den automatisierten Flak-Geschützen und zu den schwarz uniformierten Inquisitionsgardisten mit ihren kalten und unmenschlich wirkenen Maskenhelmen. Die Verteidigungssysteme des Trikornus waren stets bereit.
Langsam wurde das Röhren der Triebwerke sogar über das Pfeiffen des Windes hörbar. Railoun trat noch einen Schritt zurück, als der Pilot mit einem besonders waghalsigen Manöver heranschoß, eine Kehre flog und anschließend schnörkellos aufsetzte. Kampfpilot – Erfahrung beim Absetzen von Truppen während laufender Kampfhandlungen, schlußfolgerte der Interrogator.
Nur einen Moment wurde eine Luke geöffnet, aus der sofort eine Gestalt sprang, in die Hocke ging und sich aus dem Umkreis des Transporters herausbewegte, dann hob das Plärren der Triebwerke erneut an und das Gefährt war schon wieder in der Luft.

Die kurzen, schwarzen Haare mit dem Ansatz von Grau an den Schläfen, der harte Zug um den Mund, das etwas hagere und strenge Gesicht, dass ohne weiteres einem Gardeoffizier hätte gehören können oder vielleicht einem Kommisar, der flattende, taillierte Mantel aus schwarzem Leder, die Kampfstiefel – das war Inquisitor Varitani.
Railoun streckte ihm die Hand entgegen und der Inquisitor schlug ein. „Gut, Sie wiederzusehen, Herr Inquisitor.“ Man merkte Varitani keine Augmentationen an, doch er hatte welche. Beide Arme waren künstlich und extrem leistungsfähig. Er hatte außerdem zahlreiche Schnittstellen und Neuralinterfaces, um sich mit diversen Maschinen verbinden zu können.
Varitani verzog das Gesicht. „Werden wir noch sehen, ob das gut für Sie ist, aber es freut mich, dass Sie mich direkt vom Landeplatz abholen.“
Railoun grinste. „Was liegt an?“
Varitani deutete zu der Rampe, die durch die Türe und zu den Sicherheits-Checkpoints führte. „Lassen Sie uns im Gehen sprechen, Railoun. Ich sollte mich gleich bei Lord Inquisitor Arethrus melden.“
Railouns Gesichtsausdruck verriet seine Überraschung. „Bei Arethrus? Das ist ja ein Zufall. Ich habe vor kurzer Zeit mit Frost über ihn gesprochen.“
Varitani sah ihn an, während die Männer nebeneinander herschritten. „Ach ja?“
Railoun nickte. „Hab‘ ihm gegenüber kurz die Akten erwähnt, die Sie mir zur Bearbeitung gegeben haben. Dar Vardenil.“
Varitanis Augen verengten sich. „Sie sollten das sonst nicht an die große Glocke hängen – ist eine diskrete Angelegenheit. Der Lord Inquisitor hat mich darum gebeten, diese Untersuchung persönlich durchzuführen. Er war wahrscheinlich nicht besonders erbaut darüber, dass ich das Ihnen aufgetragen habe.“
Der Interrogator schwieg, da sie sich dem ersten Checkpoint näherten. Nach der Passage fragte er jedoch: „Wie kommt es, dass Lord Inquisitor Arethrus Ihnen solche Aufträge zuschanzt? Ist doch normalerweise gar nicht Ihr Metier, diese Büroarbeit.“
Varitani lächelte kurz. „Ach, haben Sie diesen Eindruck von mir.“
Railoun senkte den Blick.
„Sie haben ja Recht.“, beruhigte ihn der Inquisitor. „Sagen wir mal so – ich schulde ihm noch einen Gefallen. Er ist zumindest dieser Ansicht. Er war mein Sponsor, als ich Interrogator war und befördert wurde.“
„Ah, das wusste ich nicht.“
Varitanis Gesicht wurde auf einmal wieder ernst. „Ist angenehm, wieder auf andere Gedanken zu kommen. Es war hart diesmal. Kann gut sein, dass ich Sie und Frosts Zelle wieder nach Xeiros Prime mitnehme.“
Railoun blickte ihn an. „Ungewöhnlich. Ein Folgeeinsatz?“
Varitani nickte. „Es ist aber etwas komplizierter als das. Ich muss das erst mit Arethrus besprechen. Er kennt einige Leute, deren Unterstützung ich brauche. Sagen Sie Frost und den anderen, sie sollen sich bereithalten. Ein paar Tage werden sie wohl noch haben, aber dann geht’s hart auf hart.“

Hätte ein anderer als er selbst Arbeitsräume mit ähnlicher Ausstattung besessen, so wäre er mit Sicherheit schon lange als Ketzer verhaftet und prozessiert worden - vielleicht sogar von jemandem wie ihm selbst. Dieser Gedanke hatte schon oft im von zahlreichen Cerebralimplantaten verstärkten Verstand von Zephraim Kandotates Arethrus, einem Lord Inquisitor im Ordo Malleus Calixis, Gestalt angenommen, wenn er in ruhigen Momenten die Muße gefunden hatte, Blicke über die in zahlreichen Glasvitrinen und teilweise in Hochsicherheitsschaukästen untergebrachten Exponate zu werfen.
Da war der Codex Maleficari, siebenmal versiegelt und durch hexagrammatische Runen abgeschirmt, der Armreif, den Lord Inquisitor Garibald Yspen während der Pazifikation der Bicentenniumsunruhen auf Asguld getragen hatte, der Ritualdolch, der einst dem Ketzer Vynnor Lucrés gehört hatte und der ihm von Inquisitor Varitani überlassen worden war. Und da war auch die Plasmapistole von Brother-Captain Grimme der White Scars - dem Lord Inquisitor als Geschenk anlässlich seines Triumphes über die Allsehenden gegeben. Natürlich war das eine rein symbolische Geste gewesen, da schon mehrere Dekaden verstrichen waren, seit Arethrus selbst an einem Kampf teilgenommen hatte. So lag die uralte Waffe hier in der Vitrine, bis Arethrus sich vielleicht einmal dazu würde durchringen können, sie wieder in den aktiven Dienst zu stellen.

Momentan hatte Arethrus allerdings ganz andere Sorgen. Generell war die letzte Zeit ziemlich sorgenreich für den eigentlich so fest im Sattel sitzenden und stets ausgeglichenen Lord Inquisitor gewesen. Doch bis vor wenigen Wochen waren es rein private Sorgen gewesen. Ungelöste Probleme seiner Vergangenheit hatten in Form des Hauses Dar Vardenil begonnen, ihrem angestammten Platz in der jüngeren Geschichte des Planeten Scintilla zu entwachsen und wie ein rachsüchtiges Gespenst seine Gedanken zu durchspuken. Er hatte natürlich nichts übrig für ungebetene Besucher - sei es in seinen Arbeitsräumen oder in seinen Gedanken - und hatte seinen besten Kammerjäger, Inquisitor Varitani, darauf angesetzt. Den hatte er natürlich nicht über die genaue Natur des Problems in Kenntnis setzen können, da dies ein grober Verstoß gegen allerhand Geheimhaltungsvorschriften gewesen wäre. Aufgrund der Situation mit Haus Dar Vardenil war sich Lord Inquisitor Arethrus vollends der Aufmerksamkeit bewusst, die seine Feinde innerhalb der Inquisition speziell zu dieser Zeit all seinen Tätigkeiten und Plänen zukommen ließen. Da stellte jeder Fehltritt ein gewaltiges Risiko dar. Nein, soll Varitani nur selbst herausfinden, worum es da geht, hatte Arethrus gedacht und ihn nur mit äußerst vagen Informationen losgeschickt. Varitani - so war sich der Lord Inquisitor sicher - würde bei Aufdeckung der brisanteren  Elemente, die seine Person mit dem Haus Dar Vardenil in Verbindung brachten, eine diskrete Lösung für die Misere finden. Arethrus hatte seiner Erhebung in den Stand eines Inquisitors als Sponsor vorgestanden, und er hielt es seit einiger Zeit so, dass er jenen, die einmal unter seinem Schutz gestanden hatten, immer wieder einmal die Möglichkeit gab, ihm seinen Großmut auch entsprechend zu vergelten. Varitani hatte das bereits oft getan und war bisher noch nicht in die Falle des Hochmuts und der Überheblichkeit getappt, die schon einige seiner Vorgänger in ein tiefes Loch hatten stürzen lassen. Arethrus‘ Mund umspielte ein grimmiges Lächeln, wenn er daran dachte, dass tatsächlich einige Frauen und Männer, die er kannte – und die ihn lieber nicht gekannt hätten - die Korrelationskammern des Dicasteriums von Scintilla bevölkerten.

Man kann sich nun vorstellen, wie signifikant der Ärger gewesen war, als Varitani diese für Arethrus so wichtige Arbeit zugunsten einer anderen Mission seinem Interrogator übertragen hatte, einem für den Geschmack den Lord Inquisitors viel zu weibisch und schwach aussehenden Mannes, der erst noch Erfolge der Kathegorie vorzuweisen hatte, die ihn in den Augen des Lord Inquisitors als vertrauenswürdig genug für solch eine heikle Aufgabe erscheinen lassen würden.
Dazu kamen noch die Ereignisse der letzten Tage. "Häresie ungekannten Ausmaßes auf Xeiros Prime. Exterminatus momentan nicht ratsam. Unterstützung zur Errichtung einer systemweiten Quarantäne erbeten." Das war die bedeutungsschwangere, doch herzlich detailarme Kurznachricht von Varitani gewesen, die ihm von Hiron Kessler, einem Interrogator in den Diensten von Inquisitor Globus Vaarak, zugespielt worden war. Leider schien er nicht der einzige zu sein, der diese Nachricht erhalten hatte, denn bereits einen Tag später hatte es diverse Anfragen der Lord Inquisitoren Gillenstern und Bahan gegeben und letztendlich sogar eine von Lord Sektor Marius Hax, der nun beharrlich darauf bestand, einen Rat einzuberufen, um den Sachverhalt zu klären. Das bedeutete noch mehr Rampenlicht für Arethrus und eine Position, in die er sich selbst nie hineinmanövriert hätte. Sein ehemaliger Lieblingsinquisitor hatte einiges zu erklären.

Immarut war merkwürdig erschüttert. Er nahm an, dass das an der langen Zeit lag, die er sowohl DeVetter als auch Dorundy gekannt hatte. Bei der Durchquerung des Komplexes, ein Unterfangen, das nicht zuletzt aufgrund der Kontrollposten und Sicherheitsbestimmungen einiges an Geduld erforderte, hatte ihm Inquisitor Varitani kurz vom Ableben der beiden Akolythen berichtet.
Er trat vor und wies sie beide bei der letzten Sicherheits-Barriere aus. Auch die inneren Bereiche des Trikornus waren von Inquisitionsgardisten geschützt, Elitesoldaten in schwarzen Flakuniformen, das I der Inquisition auf der linken Brust und Samtumhänge in Rot und Schwarz von den Schultern hängend.

Während es weiter unten im Trikornus aufgrund der akustisch stark reflektierenden Oberflächen niemals still war, man immerzu das Echo von Schritten oder gemurmelten Worten, das Zischen von Türen, die auf- und zuglitten, das Rattern von Cogitatoren und in manchen Trakten auch unheimlichere und verstörendere Geräusche hörte, veränderte sich, sobald man in einem der drei Türme eine gewisse Höhe erreicht hatte - Varitani und sein Interrogator waren jetzt fast ganz an der Spitze des Turris Malleus - sowohl die Anzahl der arbeitenden Menschen als auch die Inneneinrichtung hin zu angenehmerem Ambiente, zwei Eigenschaften, welche die höheren Stockwerke zu manchen Zeiten des Tageszyklus fast totenstill wirken ließen.
So sagte Railoun nur ganz leise: "Ich kann nicht behaupten, dass mich das kalt lässt, Herr Inquisitor. DeVetter war schon hier, als ich zu Ihnen kam und Dorundy hat sich seit der Sache mit Lucrés als wirklich loyale und kompetente Kollegin erwiesen.“
Varitani blickte ich ihn kurz über die Schulter hinweg an, ohne sein Schritttempo zu verlangsamen, und seine Augen wirkten dabei traurig. Sie durchquerten gerade einen Säulengang, dessen Marmorboden mittig von einem Langteppich aus Quast bedeckt war, auf dessen violettem Grund schwarze Symbole und Insignien prangten.
Er nickte kurz und schien dann einen Moment in Gedanken verloren zu sein. "Ja, mir geht es auch nahe. Sehen wir zu, dass wir Ihr Opfer durch unsere harte Arbeit ehren und dass wir Ihre Mörder ihrer gerechten Strafe zukommen lassen, so wie es der Wille des Imperators ist."
Railoun formte die Aquila vor der Brust. „So sei es.“
Sie kamen an die große Doppelpforte, ein Tor von dunkelbraunem Kirandhru-Holz, mit für Varitanis Geschmack viel zu protzigen Schnitzereien verziert. Eine Schädelsonde war linker Hand aus einer mittlerweile wieder unsichtbaren Öffnung in der Wand geflogen und schwebte abwartend zwischen dem Tor und den Inquisitionsagenten.
"Wir sehen uns nachher in meinen Räumlichkeiten, Railoun.", sagte Varitani schroff und ließ seinen Interrogator stehen, ohne ihn noch einmal anzublicken.
Railoun legte die Stirn in Falten und seufzte, bevor er sich abwandte und auf den Rückweg machte. Varitanis Arbeitsbereich war einige Stockwerke weiter unten.

Mit einem mechanichen Surren verengte sich die Linse des optischen Scanners der kleinen Schädelsonde, als Varitani vor sie trat, um seine Retina einem Zutrittsscan unterziehen zu lassen. Zarter Gesang umfing den Inquisitor, als sich die Tore öffneten. Majestätisch begleitet von einer Hundertschaft der besten Musiker des Dragi Verrede-Orchesters liebkoste ihn der prickelnd erregende und zugleich frische Sopran von Madame Arvelise D'Isatore, die sich duch die Arie Tempestas sensus aus Grand Maestro Frederico Perricis Eterna sang. So hätte es wohl Lord Inquisitor Arethrus beschrieben, dachte Varitani. Ihm ging das erbärmliche Gejohle einfach nur auf die Nerven.
Er blickte sich in dem Vorraum um. Leicht abgerundet nach außen hin mit Aussicht durch die Glaswände, die ihresgleichen suchte, innen mit geschmackvollem, hellem Mobiliar eingerichtet und mit Holzparkett ausgleget - darüber kostbare Teppiche - bildete dieser Raum einen starken Kontrast zu den vergleichsweise tristen und vor allem drückenden Gängen des oberen Turris Malleus.

"Serpentin.", hörte er da die vertraut ruhige, großväterliche Stimme des Lord Inquisitors, deren leicht angespannter Mitklang ihm jedoch nicht entging. Die helle Gestalt kam ihm aus dem inneren Arbeitsbereich entgegen. Lord Inquisitor Zephraim Kandotates Arethrus war trotz seines Alters, das Varitani nicht genau bekannt war, aber schon im mehrhundertjährigen Bereich lag, eine mehr als imposante Erscheinung. Hier spielte die von Natur aus große, stämmige Gestalt mit Kleidung, Auftreten und Körperhaltung zusammen. Arethrus war genau so groß wie Varitani, also fast zwei Meter, sah aus wie ein rüstiger Mann in der Mitte seines sechsten Lebensjahrzehnts und war fast immer strahlend weiß gekleidet. An diesem Tag trug er einen weiß emailierten Brustplattenpanzer über einer weißen, mit güldenen Stickmustern gesäumten Robe. An dem Brustpanzer waren mehrere Reinheitssiegel angebracht, und das Wappen der Imperialen Inquisition prangte an der linken Seite über einer stilisierten Brustwarze. Arethrus' volles Haar war schlohweiß, passend zur Kleidung und setzte sich stark von der durchweg gut gebräunten Haut ab. Die linke Seite des vollen Gesichts des Lord Inquisitors war zu nicht geringem Teil von Narbengewebe bedeckt -  eine Plasmaverbrennung, die er absichtlich nie hatte entfernen lassen. Zwei Schläuche ragten aus dem hinteren linken Kieferbereich und mündeten hinter seinem Kopf in zwei Ösen im Rückenpanzer. An derselben Seite des Kopfes befand sich auch eine Schnittstelle für direkte Cogitatorverbindungen. Die unter dem Brustpanzer hervortretende, bodenlange Faltenrobe war durch einen rötlich bestickten Gürtel eng tailliert gehalten. Die Beine des Lord Inquisitors steckten in allem Anschein nach sehr bequemen Stiefeln aus weißem Rauhleder. Arethrus trug die meiste Zeit über hauchdünne Handschuhe; an seinem Gürtel hing außerdem noch eine bronzebeschlagene Miniaturversion des Canti Fidei, eines Gebetsbuches, dessen Front Drusus zeigte. Um seinen Kopf schwebte eine weitere der kleinen Schädelsonden.

„Mein Herr.“ Varitani neigte kurz den Kopf. „Ich bedaure, gleich zur Sache kommen zu müssen, aber wir haben viel zu besprechen.“
Arethrus zog eine seiner buschigen Augenbrauen hoch. „In der Tat, das sehe ich auch so.“
Varitani hatte sich nicht getäuscht. In seinem Tonfall schwang eine gewisse Ungehaltenheit mit. „Sie haben die Nachricht erhalten, die ich gesandt habe.“
„Nicht nur ich – so scheint es.“ Arethrus sah ihn nicht an, sondern bewegte sich zu einem breiten Stuhl, der vor einer holzvertäfelten Wand mit Cogitator-Panelen stand, ließ sich nieder und tippte an einer Armlehnenkonsole herum.
„Ich – verstehe nicht.“
„Ihre Nachricht ist der gesamten Führung des Sektors bekannt, ebenso den Lord Inquisitoren Gillenstern und Bahan, ebenfalls Lord Inquisitor Caidin.“
Varitani wirkte verdattert. „Da muss etwas bei der Überbringung passiert sein.“
Arethrus‘ Gesicht war kurz von Zorn erfüllt, aber er kämpfte ihn nieder. „Das wundert mich auch gar nicht, wenn Sie dieses Wiesel Kessler als Boten benutzen.“
„Kessler?“ Varitani überlegte.
„Hiron Kessler, Interrogator von Globus Vaarak.“, führte der Lord Inquisitor ungeduldig aus.
Varitani verzog das Gesicht. „Ich erinnere mich. Da ist etwas nicht nach Plan gelaufen, ich habe ihn nie als Boten vorgesehen. Ich benutzte einen alten Bekannten, den Freihändler Captain Guntr, der die Nachricht für mich nach Valon Urr brachte, von wo aus sie astropathisch nach Scintilla übermittelt und direkt zu Ihnen persönlich überbracht werden sollte.“
„Das hat anscheinend nicht so funktioniert. Irgendwie ist dieser Kessler ins Spiel gekommen – oder es hat vorher schon ein Leck gegeben – und die Informationen sind durchgesickert. Inquisitor Vaarak halte ich für zu integer, um bei solch einem Spiel mitzumachen. Überhaupt ist die Tyrantinische Kabale viel zu sehr in eigene Probleme verwickelt – Vaarak würde den Fall Xeiros Prime sicher mir überlassen. Es war also entweder Kessler oder jemand, der vor ihm die Nachricht hatte. Ich möchte, dass Sie dem nachgehen, Serpentin. Ich möchte den haben, der hier geredet hat.“
Varitani räusperte sich. „Genauso wie ich, Lord Inquisitor, aber ich denke, wir haben gar nicht die Zeit für solch eine Operation. Die Lage auf Xeiros Prime ist nicht…“
„Die Zeit hat sich durch diese Lücke in der Informationsübertragung sozusagen schon gefunden, Herr Inquisitor.“ Arethrus war jetzt offen wütend. „Lord Sektor Hax hat eine Ratssitzung einberufen, um mit allerhand Vertretern von Militär, Ecclesiarchie und natürlich auch der Inquisition das weitere Vorgehen in dieser Causa zu besprechen.“
Varitanis Augen hatten sich verengt, seine rechte Hand schloß sich mehrmals zur Faust und öffnete sich wieder. „Dafür ist keine Zeit. Darüber setzen wir uns hinweg.“
„Ach ja?!“, fuhr ihn Arethrus an. „Tun wir das? Nun, wenn wir – wie von Ihnen vorgeschlagen, die Flotte zur Unterstützung brauchen und vielleicht sogar die Garde, dann tun wir das nicht. So weit reicht auch mein Einfluß nicht. Lord Inquisitor Caidin selbst hat zugestimmt, dieser Ratssitzung beizuwohnen und damit ist die Initiative aus unserer Hand, bis sie Lord Sektor Hax wieder abgibt. Wir könnten momentan wahrscheinlich nicht einmal mehr selbst den Exterminatus befehlen, ohne uns gehörig aus dem Fenster zu lehnen.“
Varitani erschauerte. „Beim Thron, was für ein Schlamassel. Geschwindigkeit ist alles, worauf es jetzt ankommt, nicht Schlagkraft oder Schläue.“
„Wir müssen mit den Mitteln arbeiten, die uns jetzt noch zur Verfügung stehen. Lord Admiral Anderton ist auf dem Weg nach Scintilla, Großkardinal Ignato hat sowieso die meiste Zeit nicht so viel um seine gesegneten Ohren, dass er nicht etwas Raum für die Anliegen der Inquisition schaffen könnte, und die anderen Ratsteilnehmer werden auch bald eintreffen – sagen meine Quellen. Es wird sich also um eine Verzögerung von ein paar Tagen handeln.“
Varitani nickte.
„Nutzen sie also die Zeit und beauftragen Sie diesen Railoun oder einen anderen Ihrer Leute mit den Ermittlungen. Es wäre gut, sie in den nächsten Tagen abzuschließen. Ich will den haben, der dafür verantwortlich ist – und wenn es bis Vaarak geht, dann auch ihn!“
„Mit Verlaub, Lord Inquisitor – ich bin nicht Ihr Handlanger. Meine Ressourcen sind beschränkt und ich als Inquisitor des Thrones sehe momentan keine Veranlassung…“
Lord Inquisitor Arethrus hob die Hand und sein ehemaliger Schützling verstummte zögernd. „Das genügt, Varitani. Wirklich, das genügt. Suchen Sie sich ausgerechnet diese Zeit aus, um zu rebellieren, ja? Kein weiser Zug ist das. Sie, alter Freund, stehen momentan an der Kippe. Sie wollen meine Unterstützung und die sollen Sie auch haben – mein Name ist durch diese Panne auch mit der Sache verstrickt. Wie ich mich aber anschließend verhalte, wer tatsächlich die Schuld zugeschoben bekommt, das ist noch ungeschriebene Geschichte. Lassen Sie mich Ihnen versichern, ich werde das eine oder andere Wörtchen bei der endgültigen Fassung mitzureden haben. Sie werden sich also gut überlegen, ob Sie sich wirklich ausgerechnet jetzt so undankbar für die Unterstützung zeigen wollen, die ich Ihnen über all die Jahre habe zukommen lassen.“ Oder Sie sehen die Korrelationskammern von innen, mein alter Freund.
Ein Beben lief durch Varitanis Körper, während er die Drohung verdaute. Er hoffte, der alte Politiker vor ihm würd es nicht mitbekommen. Ich hätte mich nie auf ihn einlassen sollen. Er ist vor allem sich selbst verpflichtet. Wenn ich jetzt Widerstand leiste, ist alles aus. Dann hätte ich auch gleich auf Xeiros sterben können.
Varitani zwang sich zu einem Nicken. Kaum brachte er die nächsten Worte hinaus, so sehr schnürten ihm Scham und Entrüstung die Kehle zu: „Ja, das sehe ich auch so. Es ist nicht die Zeit für Streitigkeiten. Ich bitte um Verzeihung.“ Er räusperte sich erneut. „Ich habe eine Zelle auf Scintilla, die anderen sind im Einsatz. Ich werde diese Leute darauf ansetzen.“
Arethrus Miene zeigte eine Spur von Genugtuung und Befriedigung, bevor er sich wieder unter Kontrolle bekam und wächsern wie zu Beginn des Gesprächs fortfuhr: „Wie gefährlich ist denn die Lage auf Xeiros? Warum kein Exterminatus, wenn die Welt verloren ist?“
„Die Gefährlichkeit lässt sich noch nicht genau einschätzen. Das System ist verloren, jeder Xeiros-Stämmige muss beseitigt werden, sei er dort oder irgendwo sonst. Es könnte sich aber durchaus zu einer Gefahr für den ganzen Sektor ausweiten. Ein Exterminatus könnte in letzterem Fall unsere einzige Chance zerstören, der Situation doch noch Herr zu werden.“
Arethrus‘ Stirn lag in schweren Falten. „Was genau ist dort passiert, Serpentin?“
„Ich werde Ihnen alles berichten, alles. Dann entscheiden wir, was wir dem Rat sagen.“
Der Lord Inquisitor nickte. „Überlassen Sie den Rat mir, Serpentin. Das Parkett der Sektoren-Politik ist nichts für ungeübte Tänzer.“

Aller Gnaden Ende
« Antwort #13 am: 11. Mai 2013, 22:23:49 »
3 – Xeiros Prime

„Wo sind sie, Frederiq?“ Auch wenn Varitani sich Mühe gab, jegliche Nervosität aus seiner Stimme herauszuhalten, so gelang ihm das nicht vollständig. Nicht, dass er DeVetter irgendetwas hätte vormachen können. Der Telepath kannte Varitani jetzt schon lange genug, um zu wissen, wie es ihm ging, auch wenn er ihn nicht sehen konnte. Dazu bedurfte es nicht einmal des Einsatzes seiner Fähigkeiten. Als jemand, der sich im Allgemeinen mit menschlichen Emotionen und Gedankengängen auskannte, konnte er andere Personen generell gut einschätzen, einen alten Freund wie Serpentin Varitani überhaupt.
DeVetter löste sich mit einer einfachen Konzentrationsübung aus seinem fleischlichen Körper und glitt durch die Gänge und Korridore, wo er zahlreiche Präsenzen wahrnahm, die sich ihrer Position näherten. „Sie kommen. PDF, recht zahlreich. Einige davon sind sicher infiziert.“
„Dann sagen Sie ihm, er soll sich beeilen.“ Varitani knöpfte die Ärmel seines Ledermantels auf und lockerte seine Gliedmaßen.
DeVetter kratzte sich an seiner recht prominenten Nase und drang dann in den Verstand des Nyunga ein, der sie in den Komplex geführt hatte und gerade versuchte, sich Zugang zu einer Datenbank zu verschaffen, um die Informationen sicherzustellen, deretwegen sie überhaupt noch auf dem verfluchten Planeten waren. Wenige Wochen später würde es Feuer und Tod regnen, dessen war sich DeVetter sicher. Noch niemals zuvor hatte Varitani einen Exterminatus befohlen, doch dieses Mal konnte er nicht anders. Wie immer wirkte die Andersartigkeit des Xeno-Hirns abstoßend und löste einen spontanen Würgereiz bei dem Telepathen aus – doch wer wenn nicht ein sanktionierter Psioniker sollte in der Lage sein, diese Aufgabe zu lösen.
Selbst wenn ein Mensch es auf sich nahm, die glucksende Sprache der Nyunga zu erlernen, so konnte er sie höchstens verstehen, nie jedoch sprechen. Dazu waren die menschlichen Sprechorgane einfach nicht gemacht. DeVetter war also nur die Möglichkeit geblieben, es auf kreative Art und Weise zu versuchen. Also hatte er Bilder ins Bewusstsein des Ureinwohners von Xeiros Prime geschickt. Der Verstand der Nyunga war eine weiche, formlose Sache. Leicht zu lesen, aber unangenehm, so als ob man sich nackt in einen Bottich voller Schnecken legen würde. Man konnte leicht ausgleiten und untergehen.
Einige Nyunga sprachen auch schwer verständliches Niedergothisch, aber nur wenige. Als Ureinwohner von Xeiros Prime waren sie seit langen Jahrhunderten eine unterdrückte Minderheit. Sie wurden toleriert, solange sie ihren Platz kannten. Dass dem so war, dafür hatte die imperiale Regierung schon gesorgt. In den Jahrhunderten nach dem ersten Eroberungskrieg bei Besiedelung des Planeten hatte es eine Reduktion der Nyunga in Form von mehreren Progomen gegeben, bis der Arbeiterbestand auf ein leicht beherrschbares Maß und sein Kampfeswille auf null gesunken waren.
Varitani verstand sehr wohl die Notwendigkeit dieser Maßnahmen, war sich jedoch des Wertes der Nyunga bewusst. Als immer noch in fast allen Schichten der Gesellschaft als Bodensatz präsenter Teil hatten die Nyunga überall Augen und Ohren und konnten mit der richtigen Motivation als eine nicht unbedeutende Wissensquelle erschlossen werden. In Form von DeVetter hatte Varitani einen hervorragenden Motivator gefunden. Wie ihm sein meistgeschätzter Telepath versichert hatte, waren die Nyunga zu keinem Teil psionisch begabt und konnten sich seiner Macht nicht widersetzen. Dementsprechend waren sie leicht zu beherrschen, sobald man ihre Denkmuster etwas kannte. Noch eine Eigenschaft zeichnete sie aus, dank der sie für Varitani nützlicher waren, als er vor seinem Besuch vermutet hätte. Ihre Nahrung setzte sich aus anderen Bestandteilen zusammen, als die der menschlichen Einwohner von Xeiros Prime – und dadurch waren sie allesamt einem Befall durch die Saat entgangen. Varitani konnte nicht sagen, welchen Durchseuchungsstand die menschliche Bevölkerung aufwies, doch er ging von hundert Prozent aus. Alles andere ließ seine skeptische Inquisitorenanalytik nicht zu.
Durch den Spalt in der Türe, den Varitani beobachtete, waren schon erste Lampen von Sturmgewehren zu sehen, auch war das Geräusch von sich nähernden Kampfstiefeln zu hören.
„Lichter aus! Sie sind da. Nachtsichtgeräte! Halten Sie den Nyunga ruhig.“ Varitani hatte es nicht auf sich genommen, den Namen des Xeno zu lernen und auszusprechen. DeVetter und er selbst trugen Linsen, die ihnen auch in vollkommener Dunkelheit ein gewisses Maß an Sichtvermögen geben würden. DeVetter konnte sich darüber hinaus auch mit seinen Psi-Sinnen ein gewisses Bild seiner Umgebung machen.
Varitani hörte ein Glucksen und Schnarren, als der Nyunga Geräusche von sich gab, die nach Angst oder zumindest Besorgnis klangen. Sofort drang DeVetter in seinen Verstand und zwang ihn zur Stille.
Der Inquisitor hielt den Atem an, als die Schritte langsamer wurden und schließlich kaum noch hörbar waren. Die Strahlen der Suchlampen fuhren langsam nach links und rechts. Dann waren sie plötzlich verschwunden. Varitani zwang seinen Atem fast zum Innehalten und bewegte Millimeter für Millimeter den Kopf zur Seite, um einen Blick nach draußen zu werfen. Er zog scharf die Luft ein, als er rot glühende Augenpaare erblickte, die alle in seine Richtung starrten.
Mehr noch als dass er sie sah, spürte er die Bewegung. Er stieß sich nach hinten ab, als die Tür unter einem Schlag erzitterte und aufsprang. Mit einem tierischen Fauchen drang eine Gestalt in den Raum ein und hechtete nach Varitani. Sofort riß der eine Hand nach oben, sein kybernetisch veränderter Unterarm gab eine Klinge frei, die nach vorn klappte, noch einmal so lang wie sein Unterarm. Er fuhr dem Angreifer in die linke Achselhöhle und trennte ihm dabei fast den Arm ab.
DeVetter benötigte nur einen Gedanken, um den Nyunga von dem Pult weg und gegen den nächsten PDF-Gardisten zu schicken. Der Reptiloid sprang den Soldaten an und riß ihn zu Boden. Auch dieser Gegner gab ein tierisches Grunzen von sich, das nicht einmal entfernt an einen Menschen erinnerte. DeVetter ließ seine Las-Pistole in seine Hand gleiten und legte auf die Türe an. Ein Wesen mit einem klingenartigen Fortsatz statt einer Hand trat gerade in den Durchgang, also ließ er seinen Daumen den Schalter auf Burst-Mode schieben und drückte ab. Etliche der gleißend hellen Geschosse bohrten sich in die Brust des Angreifers, doch das schien ihn nicht aufzuhalten. DeVetter grunzte frustriert und konzentrierte sich dann auch einen der Angreifer. Dieser riß auf einmal eine Schrotflinte vom Rücken, nur um dem Wesen mit der Klinge direkt von hinten den Leib voll Blei zu pumpen, was diesen fast entzwei riß. DeVetter grinste.
Varitani hatte in der Zwischenzeit noch zwei Gardisten den Garaus gemacht, was den Mann unter DeVetters Kontrolle wohl zu dem einzigen Gegner machte, der sich ihnen momentan entgegenstellte – auch wenn in wenigen Minuten weitere auftauchen würden.
„Hier ist wohl auch nichts zu holen.“, murmelte Varitani gerade laut genug, dass DeVetter es hören konnte und sah ihn dabei fragend an, als ob er eine Bestätigung erwartete.
Der Telepath warf einen kurzen Blick auf den kontrollierten Nyunga, dann schüttelte er den Kopf. „Ich fürchte, so ist es, Herr Inquisitor.“
„Dann werden Sie den da los“, Varitani deutete salopp auf den verbleibenden PDF-Gardisten, der – ebenfalls unter DeVetters Kontrolle – mit einem debilen Gesichtsausdruck einfach nur dastand und gegen die Wand glotzte, „und dann sehen wir zu, dass wir hier rauskommen. Wir müssen uns überlegen, wie wir weiter vorgehen sollen.“
Der Gardist warf auf einmal die Schrotflinte weg, zog sein Messer und schnitt sich die Kehle durch. Mit einem röchelnden Gurgeln verließ ihn die Kraft und er sank zu Boden. Bis zum Ende behielt der Telepath mit kaltem Blick in den Augen die Kontrolle über ihn. Seltsames Gefühl zu sterben, dachte er bei sich.
Varitani hatte kurz zugesehen und war dann zu den Überresten des Wesens mit der Klinge hinübergegangen. Er kniete nieder und ließ seinen Blick rasch über die Kreatur gleiten. Einst mochte sie einmal ein Mensch gewesen sein, doch lag hier nur noch ein Schatten der reinen menschlichen Form vor ihm. Der Kopf war entstellt und mit knochigen Platten überzogen, ein vollkommen blutroter Augapfel weit aus der Höhle hervorgetreten, auch das restliche Gesicht zur Grimasse verkommen, der Unterkiefer zu zwei mit Reißzähnen besetzten Mandibeln geworden, die nur durch ein Stück Haut am Kinn miteinander verbunden waren. Der restliche Körper war muskulös, das Fleisch des rechten Arms reichte nur bis zum Ellenbogen, wo es in einer knöchernen Klinge auslief, wild gezackt und wahrscheinlich höllisch scharf.
DeVetter hatte anscheinend den Nyunga angewiesen, noch aus der Datenbank zu sichern, was er konnte, dann war er zu seinem Inquisitor getreten. „Ein Daemon?“
Varitani blickte ihn an. „Hat etwas von einem Daemon an sich. Ich denke aber, es ist ein Befallener in einem forgeschrittenen Stadium – weiter verändert, als der gute Doktor es bisher beschrieben hat.“
DeVetter erschauderte. Er selbst war von Xeiros Prime – das war seine Heimat gewesen – und er hatte, seit er vor etlichen Wochen hier angekommen war, wieder von der hiesigen Nahrung gegessen. Nun wussten Varitani und er mittlerweile aus den Forschungsergebnissen von Doktor Flengler, dass die Saat, die Ursache für all das Chaos auf Xeiros Prime, mit dem Essen aufgenommen wurde. Nur für Xeiros-Stämmige verträglich, war Varitani vor den Folgen anscheinend geschützt, doch DeVetter war zu sich selbst ehrlich genug, um genau zu wissen, was das bedeutete. Flengler hatte in seinen Berichten von einer Inkubationszeit von mehreren Wochen gesprochen, vielleicht Monaten, aber das spielte keine Rolle. DeVetter würde Xeiros Prime nicht mehr verlassen. Die Chancen waren hoch, dass er den Rückflug nicht als der Mensch beendete, der er jetzt noch war. Er würde nicht einmal versuchen, seiner Heimatwelt den Rücken zu kehren – er war sich nur noch nicht sicher gewesen, ob er es über sich bringen würde, sich selbst das Leben zu nehmen. Vielleicht hätte er mit Varitani darüber reden sollen, doch er wusste, dass auch der Inquisitor selbst mit dieser Entscheidung zu ringen hatte. Dieser Mann war niemand, der in so einem Fall viel Schwäche zeigte, das waren wohl die wenigsten Inquisitoren, deshalb rührte sein innerer Kampf den Psioniker. Wer hätte das einst auf den Schwarzen Schiffen erwartet?
Inquisitor Varitani würde DeVetter wohl richten und der Obhut des Imperators anvertrauen, bevor es hier zu Ende ging, doch der Telepath wollte verdammt sein, wenn er nicht wenigstens noch half, seinen Vorgesetzten und Freund erst von dieser verdammten Welt wegzuschaffen, wenn er es nicht noch zustande brachte, dass seine Heimat Xeiros Prime durch Serpentin Varitani den reinigenden Flammentod würde sterben dürfen und nicht zur Quelle für noch mehr Leid werden würde.
Von draußen waren bereits wieder Geräusche zu hören. Arian, Dich bräuchten wir jetzt. DeVetter dachte an Arian Dorundy, die Ex-Arbitratorin, die in solchen Situationen immer recht überzeugende Argumente hatte vorbringen können, seien es irgendwelche Granaten, Schrotflinten oder einfach nur ihr Schockschlägel, den sie immer mit grimmigem Lächeln geschwungen hatte. Während er den Nyunga von der Konsole wegsteuerte, gingen ihm die Szenen durch den Kopf, als man sie geholt hatte. Sich des gewaltigen Ausmaßes der feindlichen Übernahme von Xeiros Prime noch unbewusst, hatte DeVetter einfach nichts getan – Dorundy ebenso wenig. Sie hatten darauf vertraut, dass die Rosette der Inquisition sie schon würde freibekommen können. So hatte er einfach nur dagestanden und sie abführen lassen. Bis zu diesem Moment war ihm nie bewusst geworden, wie sehr das an ihm nagte. Was sie wohl mit ihr gemacht hatten? Ob sie noch lebte?

Sie stürmten die oberen Gänge entlang. Immer wieder hörten sie hinter sich Rufe, Alarmsirenen erschallten aus den unteren Stockwerken den breiten, quadratischen Liftschacht nach oben, während das Zugwerk bis an die Grenzen strapaziert wurde. DeVetter hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, es abzuschießen, ihn aber verworfen. Wenn sie etwas erwischen würde, dann nicht die nachrückenden Truppen in dem langsamen Lift sondern die Hindernisse vor ihnen.
Mit ruhigen, tausende von malen durchexerzierten Bewegungen tänzelte Inquisitor Varitani um zwei der Klingenwesen herum und hinterließ mit den mittlerweile aus beiden seiner Unterarme hervorragenden, eigenen Schwertfortsätzen blutige Vernichtung. Er selbst hatte auch schon etwas abbekommen, ließ sich dadurch aber nicht einschränken. Er warf einen schnellen Blick in Richtung seines Psionikers.
Dieser stand über dem gerade zusammengesunkenen Körper des Nyunga und nahm einen Datenkristall an sich, als zwei PDF-Gardisten hinter einer Ecke hervortraten. „Kniet nieder.“, rief da der Telepath aus und psionische Kraft lag hinter dem Befehl. Die Männer zögerten kurz, dann taten sie, wie ihnen geheißen ward. DeVetters Las-Pistole beendete ihre Leben.
Vartani sah einen Schatten hinter DeVetter und rief, doch da drang eine Knochenklinge direkt durch den Psioniker und ragte vorne aus seinem Brustbein.  Der Inquisitor, seine Klingen wieder in seinen Armen verschwunden, sprang herbei und prügelte mit blanker Faust auf den Schädel der Kreatur ein, die Probleme hatte, ihre Waffe freizubekommen. DeVetter umklammerte sie mit beiden Händen, beide zerschnitten, sein Gesicht schweißüberströmt, Blut auf seinen Lippen.
Immer wieder fuhren zornig die künstlichen Arme von Varitani auf die Daemonenbrut hernieder, bis dieser ein Knacken wahrnahm und der Schädel nachgab. Zweimal schlug er noch auf die Masse darin, dann war das Wesen so tot, wie es sein konnte.
DeVetters Beine gaben nach, als ihn sein Gewicht und das des noch immer in ihm steckenden Wesens niederzogen. Seine Augen weiteten sich, seine Brust stach und brannte und er konnte nur schwer atmen.
„Frederiq.“, sagte Varitani und besah sich die Wunden. DeVetter selbst konnte mit seinen Kräften heilen, doch die Stärken des Inquisitors lagen nicht in der Behandlung von Verletzungen.
„Die Faust des Imperators.“, sagte der Telepath hustend. „Das – sind Sie, Serpentin.“ Er tastete mit seinen blutenden, zerschnittenen Händen zitternd umher und fand schließlich das Gesuchte. Er griff nach Varitanis Hand und legte den Datenkristall hinein. „Ziehen – ziehen Sie den Dreckskerl aus mir raus.“
Varitanis Augen waren glasig. „Das  - werden Sie nicht überleben.“ DeVetter brauchte keine Telepathie, um zu erkennen, dass Varitani genau wusste, wie unsinnig der Gedanke an ein Überleben für DeVetter überhaupt war.
Die Rufe hinter ihnen wurden lauter. „Keine Zeit – mehr.“ Jedes Wort war ihm Tortur. Der verdammte Varitani sollte schneller machen.
Der Inquisitor nickte. Von einem zu einem gequählten Seufzen unterdrückten Schmerzensschrei DeVetters begleitet, hieb Varitani mit einer seiner monomolekularen Armklingen die mit Widerhaken versehene Klinge direkt hinter der Eintrittswunde an DeVetters Rücken ab und begann dann, sie nach vorne durchzuziehen. DeVetters Augen klafften riesig auf, er spuckte Blut und packte in letzter Anstrengung nach Varitanis Arm, was diesen innehalten ließ.
Der Inquisitor hielt inne. „Es ist zuviel, nicht wahr?“ Varitani erhob sich, weiterhin den flehenden Blick seines Telepathen und ältesten Akolythen haltend, und zog seinen Schicksalsbringer-Langrevolver. „Ich danke Ihnen im Namen des Thrones für alles, was sie geleistet haben, Frederiq. Und auch dafür, dass Sie mir ein Freund waren. Leben Sie wohl an Seiner Seite.“ Damit drückte er ab. Unzeremoniell riß er anschließend das Knochenschwert aus dem Leib seines toten Freundes und wandte sich den nachrückenden Feinden zu. Beide seiner Armklingen schnellten hervor, bläuliche Energieentladungn zuckten die Schneiden entlang.

Aller Gnaden Ende
« Antwort #14 am: 12. Mai 2013, 10:08:11 »
Die im nächsten Abschnitt vorkommende Gruppe von Charaktere (Xandros, Verbal, Burgos und Kyrill) sind Spieler-Chars einer zweiten Dark Heresy-Gruppe, die von Inigo Hound, dem Spieler von Frost und Thracian, geleitet wird. Die Gruppe dient unter Inquisitor Vaarak sowie (noch) unter Interrogator Hiron Kessler. Ranos ist ein beliebter NPC aus dieser Gruppe. Ihr Vorkommen in "Aller Gnaden Ende" ist eine Verbeugung an den hervorragenden Inigo sowie an alle anderen Mitspieler für die tollen Momente mit diesen Charakteren. Dies nur also Info, damit das plötzliche Auftreten und Verschwinden so vieler Personen ins richtige Licht gerückt wird.