Autor Thema: Ist meine Vorstellung von Rollenspiel veraltet?  (Gelesen 3490 mal)

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blade36

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Ist meine Vorstellung von Rollenspiel veraltet?
« am: 16. Dezember 2015, 09:06:31 »
Hallo alle zusammen.

Ich habe kürzlich ein bisschen auf Tanelorn Threads über D&D 5e gelesen. Bei den Kritik-Threads ist mir aufgefallen, dass dort konkrete Berechnungen angestellt werden (unter anderem wieviel Schaden dieser und jener Charakter durchschnittlich pro Runde macht) und diese Werte wurden dann verglichen. Ich habe Rollenspiel in meiner Jugend eigentlich so kennengelernt, dass man zwar zwei Charaktere haben kann, die die gleichen Werte hat, aber die Spieler den Charakteren vollkommen unterschiedliche Persönlichkeiten eingehaucht haben.
Beispiel: Wir hatten damals OD&D gespielt. In der Gruppe waren zwei Kämpfer: Der eine war dabei, sich zu einem Paladin zu entwickeln, der andere das genaue Gegenteil (einfach ausgedrückt: Der andere hatte einen sehr bösen Charakter). Obwohl beide immer an vorderster Front kämpfen konnten, hätten sie unterschiedlicher nicht sein können.

Jetzt meine Frage: ist mein Verständnis von Rollenspiel antiquiert und kommt es heute wirklich stärker darauf an, welche Werte man hat? Für mich hat sich diese Diskussion im anderen Forum teilweise so angefühlt, als würde es um World of Warcraft gehen...

Gruß,
Blade

oobacke

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  • Dungeon- und Geländebau, das ist's!
Ist meine Vorstellung von Rollenspiel veraltet?
« Antwort #1 am: 16. Dezember 2015, 09:53:03 »
Vielleicht solltest du dich darauf einlassen, dass die gleiche Edition von verschiedenen Spielern verschieden gespielt wird. Power Gaming ist doch wirklich nichts neues bei D&D oder im P&P Rollenspiel und gibt es schon so lange man irgendwie Werte irgendwo einträgt und irgendwie steigert.

Ich finde es schade, dass man sich unterschwellig erhebt über andere Spieler, indem man ihnen "wie WoW" an den Kopf knallt. Wem's spaß macht, bitte.

blade36

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Ist meine Vorstellung von Rollenspiel veraltet?
« Antwort #2 am: 16. Dezember 2015, 10:09:52 »
Also erheben (auch unterschwellig) wollte ich mich natürlich nicht, und meine Frage war auch ernst gemeint.
Ich sage auch einfach mal, dass ich keinem Spieler konkret "wie WoW" an den Kopf geknallt habe. Allerdings ist die Frage meiner Meinung nach berechtigt, wenn ich in sehr vielen Diskussionen bei D&D sehe, dass Werte verglichen werden, dass man fragt, wie man diesen und jenen Charakter optimal bauen kann...
Ich habe keinerlei dritte und vierte Editionen mitbekommen und bekomme das Gefühl, dass sich das Verständnis von Rollenspiel (was D&D betrifft) scheinbar verändert hat.

Ich persönlich finde es gerade schade, dass diese Frage direkt negativ bewertet wird.

Scurlock

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Ist meine Vorstellung von Rollenspiel veraltet?
« Antwort #3 am: 16. Dezember 2015, 10:13:30 »
Hallo alle zusammen.

Ich habe kürzlich ein bisschen auf Tanelorn Threads über D&D 5e gelesen. Bei den Kritik-Threads ist mir aufgefallen, dass dort konkrete Berechnungen angestellt werden (unter anderem wieviel Schaden dieser und jener Charakter durchschnittlich pro Runde macht) und diese Werte wurden dann verglichen. Ich habe Rollenspiel in meiner Jugend eigentlich so kennengelernt, dass man zwar zwei Charaktere haben kann, die die gleichen Werte hat, aber die Spieler den Charakteren vollkommen unterschiedliche Persönlichkeiten eingehaucht haben.
Beispiel: Wir hatten damals OD&D gespielt. In der Gruppe waren zwei Kämpfer: Der eine war dabei, sich zu einem Paladin zu entwickeln, der andere das genaue Gegenteil (einfach ausgedrückt: Der andere hatte einen sehr bösen Charakter). Obwohl beide immer an vorderster Front kämpfen konnten, hätten sie unterschiedlicher nicht sein können.

Jetzt meine Frage: ist mein Verständnis von Rollenspiel antiquiert und kommt es heute wirklich stärker darauf an, welche Werte man hat? Für mich hat sich diese Diskussion im anderen Forum teilweise so angefühlt, als würde es um World of Warcraft gehen...

Gruß,
Blade
Deine Vorstellungen sind sicher nicht veraltet und haben immer noch in vielen Runden Bestand. Das gilt auch für das Tanelorn-Forum.
Allerdings haben sich in den letzten Jahren eben auch Formen des Rollenspiels und insbesondere bei D&D in eine Richtung  entwickelt, die die regelrechte Optimierung des Charakters in den Vordergrund stellen und in denen es in erster Linie um die effektive Überwindung von Encountern geht.
Die 3er Editionen und jetzt auch Pathfinder haben diese Entwicklung mit ihren Regelwerken befördert und auch kanalisiert. Die 4E hat dann noch mehr den Brettspielcharakter von D&D hervorgehoben.
Diese Entwicklung, zusätzlich auch noch beeinflusst durch WoW & Co, hat natürlich eine große Gruppe von Rollenspielern, insbesondere D&D-Spielern sozialisiert.
Andererseits ist seit einigen Jahren eben auch eine Gegenbewegung erkennbar, die den Fokus wieder verschiebt auf die "Old-School"-Werte. Hier treten die Werte der Charaktere (und auch die Regeln) wieder mehr in den Hintergrund und das Abenteuer selbst in den Vordergrund. Auch wenn Regelwerke wie C&C, Labyrinth Lord oder  DCC nicht den Erfolg haben wie D&D oder Pathfinder, ist die OSR-Bewegung durchaus relevant.
OSR hat dann sicher auch die Entwicklung der 5E beeinflusst. Das Regelwerk ist schlanker, der SL hat mehr Kompetenzen und die Möglichkeiten zur Charakteroptimierung finden sich weitgehend in den optionalen Regeln.

Vor diesem Hintergrund ist Deine Vorstellung von Rollenspiel und auch D&D also alles andere als veraltet und ist sogar vielmehr kompatibel mit der neuen D&D-Edition.

Anzumerken sei auch noch, dass es sich natürlich viel besser in einem Forum seitenlang über die regelgerechte Anpassung und Optimierung diskutieren lässt, als über das Ausspielen eines Charakters.
« Letzte Änderung: 16. Dezember 2015, 10:16:03 von Scurlock »
And now the rains weep o'er his hall and not a soul to hear...

blade36

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Ist meine Vorstellung von Rollenspiel veraltet?
« Antwort #4 am: 16. Dezember 2015, 10:20:01 »
Wow danke für die Antwort. Sie ist nämlich gleich doppelt hilfreich: An vielen Stellen bin ich auf die Abkürzung OSR gestoßen und wusste nix mit anzufangen. Aber nach deinen Ausführungen sollte es dann ja wohl für Old-School-Roleplay stehen.

Danke und Gruß,
Blade

afbeer

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Ist meine Vorstellung von Rollenspiel veraltet?
« Antwort #5 am: 16. Dezember 2015, 11:08:31 »
OSR : Old School Renaissance

Allerdings haben sich in den letzten Jahren eben auch Formen des Rollenspiels und insbesondere bei D&D in eine Richtung  entwickelt, die die regelrechte Optimierung des Charakters in den Vordergrund stellen und in denen es in erster Linie um die effektive Überwindung von Encountern geht.
Siehe dazu auch URL: http://www.rogermwilcox.com/adnd/
der insbesondere in URL: http://www.rogermwilcox.com/adnd/IUDC1.html
nicht umsonst diese Berechnungen 1986 beschrieb. Es muss bereits damals existent gewesen sein und wurd despektierlich bezeichnet.

Mit den Editionen wurde lediglich mehr Kontrolle in die Hand des Spielers gelegt. Siehe z.B. die Positionierung der Beschreibung der magischen Gegenstände in Player- und DM-büchern in den verschiedenen Ausgaben.

Scurlock

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Ist meine Vorstellung von Rollenspiel veraltet?
« Antwort #6 am: 16. Dezember 2015, 11:11:55 »
Wow danke für die Antwort. Sie ist nämlich gleich doppelt hilfreich: An vielen Stellen bin ich auf die Abkürzung OSR gestoßen und wusste nix mit anzufangen. Aber nach deinen Ausführungen sollte es dann ja wohl für Old-School-Roleplay stehen.

Danke und Gruß,
Blade
Fast, OSR steht für Old-School-Renaissance und ist gerade im angelsächsischen Sprachraum sehr beliebt. Gerade würde beispielsweise der Kickstarter von DCC, also Dungeon Crawl Classics erfolgreich beendet. Sehr erfolgreich sogar, wenn man bedenkt, dass es nur eine Neuauflage von bereits bestehenden Regeln war...

Edit: Bin ursprünglich von einer falschen Begrifflichkeit hinsichtlich OSR ausgegangen. Nach Afbeers Beitrag hab ich das korrigiert.
« Letzte Änderung: 16. Dezember 2015, 11:22:26 von Scurlock »
And now the rains weep o'er his hall and not a soul to hear...

Speren

  • Lektor
Ist meine Vorstellung von Rollenspiel veraltet?
« Antwort #7 am: 16. Dezember 2015, 18:34:57 »
Zitat
Jetzt meine Frage: ist mein Verständnis von Rollenspiel antiquiert und kommt es heute wirklich stärker darauf an, welche Werte man hat? Für mich hat sich diese Diskussion im anderen Forum teilweise so angefühlt, als würde es um World of Warcraft gehen...
Da hast Du sicherlich auch Beiträge von mir gelesen.  :wink:

Stell es Dir einfach mal so vor (Beispiel, weil ich es gerade unterrichte):
In der Theorie des vollkommenen Marktes sind Angebot und Nachfrage sehr genau definiert und auch ihr Verhältnis zueinander.

Nur gibt es den vollkommenen Markt in der Realität gar nicht, weil es eben nur ein theoretisches Konstrukt ist.

Ebenso bei solchen Diskussionen:
Ja, die Werte sind richtig und Ja, man kann es vergleichen. Aber das bedeutet nicht, dass diese für einen Großteil der Spieler ausschlaggebend wären bzw. die primäre Maßgabe. Nur weil man weiss, wer am meisten Damage macht, muss man ihn noch lange nicht spielen, weil die Präferenz evtl. auf einem ganz anderen Charaktertyp liegt.

Den Vergleich mit WoW finde ich gar nicht schlimm bzw. negativ; ich war leidenschaftlicher WoW-Spieler, habe gerechnet, Spread-Sheets als Hilfestellung genutzt, HpS/DpS ausgewertet, etc. Da war mir das auch wichtig, aber im Tabletop RPG ist sowas für mich nicht zwingend notwendig.

Edit:
Abgesehen davon, dass hier schon gemin/maxed wurde, bevor WoW draussen war.  :cheesy:
« Letzte Änderung: 16. Dezember 2015, 19:17:03 von Speren »
No one touches the faerie!

blade36

  • Mitglied
Ist meine Vorstellung von Rollenspiel veraltet?
« Antwort #8 am: 16. Dezember 2015, 19:38:07 »
Danke für die Feedbacks...

Es war auch in keinster Weise despektierlich gemeint. WoW selbst habe ich zwar nicht gespielt, aber dafür andere Computer-RPGs. Und ich selbst hab da auch regelmäßig geschaut, wie ich meinen Charakter optimieren kann. Bloß aus dem Tischrollenspiel kenn ich es halt nicht so.
Mag natürlich auch daran liegen, dass ich die letzten Jahre wenn dann ausschliesslich Cthulhu gespielt habe. Da achtet man auf ne ganze Menge, aber nicht auf Werte (viele spielen auch nicht so stark nach Regeln).

Speren

  • Lektor
Ist meine Vorstellung von Rollenspiel veraltet?
« Antwort #9 am: 16. Dezember 2015, 19:46:47 »
Ich habs auch nicht abwertend verstanden.  :)

Und wie gesagt:
Viele rechnen zwar, aber wirklich tun...nicht zwingend.
No one touches the faerie!

Kree

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Ist meine Vorstellung von Rollenspiel veraltet?
« Antwort #10 am: 16. Dezember 2015, 20:00:54 »
Wie bereits die anderen gesagt haben, es kommt am Ende auf die Spieler an. Bei der 5E gibt es wirklich wenig "Tweak" möglichkeiten im vergleich zu 3.X / PF (wobei beide Produkte länger auf dem Markt sind).

Aber zumindest bei der 3.X war es nicht notwendig den Charakter von Level 1-20 durchzuplanen.

Probleme kommen erst auf wenn die Vorstellungen in der Runde ausseinander gehen.

mfg
Kree

Grashüpfer

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Ist meine Vorstellung von Rollenspiel veraltet?
« Antwort #11 am: 17. Dezember 2015, 10:19:41 »
D&D ist ein Spiel mit einem Regelsystem, dass sehr kampflastig ausgelegt ist (editionsübergreifend). Wenn es ein Regelsystem gibt, wird auch von vielen versucht, dieses bestmöglich auszuschöpfen und Vorteile für den Kampf zu generieren. Das macht vielen Leuten sehr viel Spaß und ist ein Teil der Faszination des Ganzen.
Dann gibt es Leute, die nicht die Lust haben, die Regelmechaniken so sehr für sich zu nutzen, um den Ablauf eines Kampfes für sich zu optimieren.

In beiden Gruppen gibt es Leute, die sich in ihre Charaktere hineinversetzen und diese ausspielen. Ich glaube wirklich nicht, dass man pauschal von einem Gegensatz zwischen Optimierern und ROLLENspielern sprechen kann. Das ist so ein altes Klischee, dass sich durch Jahre von verschiedenen Editionskriegen und Rollenspieltheorie-Kriegen gezogen hat und manchmal immer noch da ist. Wichtig ist, dass man selbst eine Gruppe hat, deren Spielstil einem zusagt.


(Ich persönlich muss sagen, dass ich D&D als SPIEL sehr schätze und mich von einem großen Hang zum ROLLENspiel wegbewegt habe. Heutzutage sitze ich mit Kumpels um einen Tisch, wir erzählen gemeinsam eine Geschichte, dann schubsen wir kleine Pappmarker über eine Spielfläche und sagen so Sachen wie "Nimm das, du dreckiger Skelettkrieger!")
Kritikloser D&D-Fanboy seit 1998.

Wormys_Queue

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Ist meine Vorstellung von Rollenspiel veraltet?
« Antwort #12 am: 20. Dezember 2015, 01:09:53 »
Die 3er Editionen und jetzt auch Pathfinder haben diese Entwicklung mit ihren Regelwerken befördert und auch kanalisiert. Die 4E hat dann noch mehr den Brettspielcharakter von D&D hervorgehoben.

Wobei man auch da ein wenig unterscheiden muss zwischen Diskussion und gespieltem Spiel (die Tendenz stimmt natürlich).

Das sieht beispielsweise im offiziellen Pathfinder-Forum. Geht man da in die Unterforen zu den eigenen Kampagnen, findet man teilweise fantastische Threads, in denen es um nichts als Charakter- und Storyspiel geht und die Werte der Charaktere fast keine Rolle spielen. Aber geht man nebenan ins Regelforum, taucht man in eine komplett andere Welt ein, die mit der vorher betretenen kaum etwas zu tun zu haben scheint.

Ähnliches kenne ich auch aus der 3E, für die 4E kann ich das nicht so genau sagen, gehe aber fast davon aus, dass es da eine ähnliche Diskrepanz gab.

In beiden Gruppen gibt es Leute, die sich in ihre Charaktere hineinversetzen und diese ausspielen. Ich glaube wirklich nicht, dass man pauschal von einem Gegensatz zwischen Optimierern und ROLLENspielern sprechen kann.

Definitiv. Ich glaube der Unterschied liegt eher darin, dass die Optimierer stärker zwischen Regel-und ROLLENspieldiskussionen trennen, was schnell zu dem Eindruck führt, dass sie sich für den zweiten Teil gar nicht interessieren.  Während die Nicht-Optimierer für den Regelteil eh nicht so sehr interessieren und von entsprechenden Diskussionen eher abgeschreckt werden. Zumal dabei ja oft Thesen vertreten werden, die mit der Realität am Spieltisch wenig zu tun haben.
Think the rulebook has all the answers? Then let's see that rulebook run a campaign! - Mike Mearls
Wormy's Worlds