"Wenn ihr wie ich glaubt, dass es Feigheit ist, etwas "böse" zu nennen und es dann nicht mit aller Macht und Hingabe zu bekämpfen, dann rufe ich euch auf, an meiner Seite zu stehen!" - Aleandra Dunessar im Jahre 1354 TZ
Die Malachitfeste: Xukasus auf der Lauer
Noch als die Nachkommen ihre Köpfe nach oben wandten, sprang ihnen Thargad - denn dieser war es, der gerufen hatte - entgegen. Sanft und nahezu lautlos landete er auf der nach unten fahrenden Plattform.
Helion sah den beiden Gestalten nach, die mit Thargad am Rand des Aufzugs gestanden hatten, aber dann wieder im Geheimgang verschwunden waren.
"Wer waren denn die anderen beiden?", fragte er.
"Halbelfen", sagte Dirim und bestätigte damit Helions Vermutung. Thargad hingegen blieb ruhig.
"Fario und Felliarn - wir haben von den beiden schon gehört. Der Stadtherr hatte sie beauftragt."
"Warum kommen sie nicht mit?", erkundigte sich Helion.
"Sie bleiben zurück, falls wir Hilfe brauchen... so kann man uns nicht gemeinsam schnappen."
"Du kannst sie also verständigen?"
Thargad nickte zur Antwort.
Die Plattform ruckelte weiter in die Tiefe, und selbst Annas scharfe Elfenaugen vermochten bald das obere Ende nicht mehr auszumachen. Um ihre Nervosität etwas zu beruhigen, begannen die Gefährten, ihre Waffen vorzubereiten. Dann hielt die Plattform mit einem letzten Ruck an.
Es gab nur einen Ausgang, eine verstärkte Holztüre, und die fünf Gefährten gingen zielstrebig darauf zu, als Boras plötzlich zu Boden ging.
Dirim untersuchte den Barbaren; schnell hatte er festgestellt, dass Boras unter "Seelenriss" litt, einem Zustand, der nach einer Wiederbelebung eintreten konnte. Dabei wurde der Geist des Kranken von seinem Körper getrennt, sodass dieser nur mehr einem willenlosen Golem glich, gleichwohl aber lebendig war. Dieser Zustand konnte von ein paar Augenblicken bis hin zu mehreren Wochen anhalten.
"Da können wir nichts tun", sagte Dirim traurig. "Wir müssen warten, bis sein Geist wieder zurückfindet."
"Etwas können wir doch unternehmen", widersprach Anna. Sie drückte Boras eine immerhelle Laterne in die Hand. "So macht er sich wenigstens nützlich."
"Licht", sagte Boras dumpf. Dirim rollte mit den Augen.
Erneut nahmen die Fünf Stellung ein, nur dass Boras diesmal am Ende der Gruppe positioniert wurde. Dann öffneten sie die Türe.
-
Der Raum dahinter war ein breiter Gang. Von der hohen Decke baumelten zwei schmale Käfige, die jedoch leer waren. An einer Seitenwand konnte man im Schein der Laterne eine weitere Türe erkennen.
"Moment mal", sagte Dirim.
"Moment mal", sagte auch Helion.
"Die Wände sind aus Malachit!", rief Dirim erstaunt.
"Wir werden beobachtet!", gab Helion zurück, fast zu spät. Aus dem mattschwarzen und glatt geschliffenen Stein glitt ein Wesen hervor, dass am ehesten einem großen Haufen Geröll glich - wenn man von den dunklen Augen (die Helion bemerkt hatte), dem Maul und den beiden armähnlichen Auswüchsen absah.
"Ein Erdelementar." Diesmal sprach Helion aus, was alle dachten. Dann rollte das Ungetüm auf die Gruppe zu. Es hatte keine Füße, sondern schob sich geradezu über den Boden, wobei es kleine Erd- und Steinbrocken zurückließ.
Der Elementar war fast so groß wie Boras und größer als die übrigen Streiter, und sein erster Hieb schlug schmetternd in die Wand gleich neben Dirims Kopf. Die Augen des Zwergs wurden für einen Moment größer, aber dann packte er sein Langschwert und hieb auf das Wesen ein.
Thargad tauchte unter einem weiteren Hieb durch und brachte sich auf die andere Seite. Er zückte seine beiden Kurzschwerter und stieß mit beiden tief in den Erdkoloss. Stein bröckelte von dem Wesen ab; ansonsten gab es keine Regung von sich. Stattdessen schlug es erneut nach dem Zwerg.
Diesmal traf der Hieb, und Dirim spürte, wie ihm trotz seiner Rüstung die Luft aus den Rippen gepresst wurde.
"Es ist verletzt!", rief Helion, "Wir müssen-"
In diesem Moment sprang die Türe auf, und eine hageres Echsenwesen auf zwei Beinen trat hinaus. In seinen Händen hielt es eine lange Stange mit stachelbewehrtem Kopf. Das Wesen hielt kurz inne, und zwei große Brocken Malachit lösten sich aus dem Boden und schwebten wie ein Schild um es herum.
Helion erkannte dieses Wesen - oder zumindest seine Art. Die Squamus Lir, so nannten sie sich, lebten tief im Unterreich in großen Höhlensystemen und versuchten, diese Welt der Erdebene ähnlicher zu gestalten. Sie hielten sich Sklaven - und Erdelementare.
"Das ist der wahre Wächter!", rief Helion. "Ihn müssen wir stoppen."
"Erst kümmere ich mich um den Wachhund", sagte Thargad. Wieder zuckten die Schwerter, aber die Klingen prallten von der Oberfläche des Elementars ab.
"Ich mache das." Anna tänzelte an dem Erdkoloss vorbei und rannnte auf das Echsenwesen zu. Nach einer knappen Geste riss sich ein weiterer Steinbrocken aus der Wand und flog krachend in Annas Seite, die beinahe ihr Gleichgewicht verlor.
"Sso leicht mache ich ess euch nicht, Menschenfrau", zischte der Lir. Dann schleuderte er einen weiteren Brocken gegen Dirim. Der Zwerg taumelte, fiel aber nicht. Stattdessen erneuerte er seinen Ansturm, und endlich brach sein Schwert durch die Oberfläche des Elemtars und drang tief in seinen Körper ein. Als er die Waffe wieder hervor zog, folgte ihm eine kleine Lawine aus Geröll.
"Nimm das!"
Helion sah, dass der Lir einen weiteren Brocken schleudern wollte, wieder auf seine Schwester. Schnell trat er ein paar Schritte vor und sprach einen Zauber.
"Incendere!" Ein Feuerstrahl schoss aus seinen Fingern hervor. Er prallte gegen eines der beiden Malachitschilde. Der Lir kniff die Augen zusammen und hob die Hand schützend vor sein Gesicht, und der Steinbrocken verfehlte Anna um einige Handbreit. Trotzdem fluchte Helion, als er sah, dass der geschmolzene Schild gleich von einem neuen Stein ersetzt wurde.
"Ich habe schon Steine gehauen, als du noch ein kleiner Kiesel warst", rief Dirim. "Wäre doch gelacht, wenn ich dich nicht klein kriege!" Wieder und wieder stieß er zu, und mehr und mehr Steine fielen vom Elementar ab, dessen Gegenwehr nun zusehends schwächer wurde.
Thargad sah, dass der Zwerg seinen Gegner im Griff hatte, und sprang sofort vor, um Anna beizustehen. Die beiden drangen von unterschiedlichen Seiten zum Lir vor. Dessen steinerne Miene bekam einen Riss, als Dirim einen letzten Schlag ausführte und der Elementar krachend zu Boden ging.
"Ergib dich!", rief Anna. Der Lir sah sich um, dann hielt er seine seltsame Waffe quer vor sich.
"Lassst mich szziehen", sagte er. "Ich bin nur ein Wächter. Lassst mich zzurück in meinen Raum, und ihr sseid frei zzu gehen."
"Beantworte unsere Fragen, und vielleicht verhandeln wir über dein Leben", gab Thargad zurück.
"Lassst mich durch, oder wir kämpfen."
"Abgelehnt", sagte Thargad trocken. Seine Kurzschwerter schossen vor, und der Lir ging zu Boden.
"Ich schlage vor, wir fesseln und durchsuchen ihn", sagte Thargad. "Und dann stillen wir seine Wunden."
-
Sie schleppten den Squamus Lir in den benachbarten Raum. Das Zimmer war voller Steinbrocken, viele davon künstlich verformt, sodass sie als Liege, Stuhl oder Tisch dienten. Ein Stein war darüber hinaus hohl, und mit einem Kristall, den der Lir bei sich hatte, öffneten die Gefährten diese Truhe. Darin befand sich ein großer Haufen Kupferstücke, zwei weitere Edelsteine und zwei Steinphiolen mit Heilflüssigkeit.
"Wie heißt du?", fragte Dirim den Lir, nachdem man ihn wachgerüttelt hatte.
"Xukasuss."
"Also gut, Xukasus. Keine Mätzchen, sonst bist du tot. Sag uns, was du weißt."
"Ich weisss ssehr viel", gab Xukasus zurück. Seine spitzen Zähne blitzten in einem falschen Lächeln.
"Warum töten wir ihn nicht einfach?", fragte Helion entnervt. Er schüttelte den Kopf. "Ich warte draußen." Er verließ den Raum, aber die anderen führten die Diskussion fort.
"Für wen arbeitest du?", fragte Dirim.
"Für Kazzmojen."
"Wie viele Wachen hat er?"
"Wachen?"
"So wie du und die Hobgoblins."
"Richtige Wachen - nur zzwei. Hobgoblinss - ssehr viele."
"Wer sind die richtigen Wachen?"
Xukasus grinste. "Ich und mein Elementar."
"Dann hat er jetzt nur noch eine Wache", sagte Dirim trocken.
"So bekommen wir aus ihm nichts heraus", dachte Thargad. "Wir müssten ihm etwas zusetzen." Aber sprach seine Gedanken nicht aus..
"Schwöre auf deine Götter, uns in Frieden zu lassen, dann darfst du vielleicht gehen", sagte Anna zu dem Gefangenen. Xukasus lachte.
"Wass verstehsst du von den Göttern?"
"Wir sollten ihn in den Helmtempel bringen", überlegte Dirim. "Aber dafür haben wir keine Zeit. Und Jenya würde ihn wohl ohnehin töten." Er zog sein Langschwert und stellte sich über Xukasus. "Zu schade."
Xukasus öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Dirim stieß zu, und es drang nur noch ein Gurgeln aus seiner Kehle. Und selbst das Gurgeln erstarb kurz darauf.