Akt II
„Und vergesst den Wachs nicht, falls ihr auf nasse Füße verzichten wollt.“ Die Anweisungen von Quintus waren mit Bedacht gewählt und insgeheim waren die anderen froh darüber, ein Kind der Natur in ihren Reihen zu haben, selbst mit dieser nörgelnden Treiberei. Vater Dumas wurde vor dem Aufbruch davon unterrichtet, aber der Besuch des Bunkers sollte nicht den ganzen Tag in Anspruch nehmen, so dass die Gruppe noch mit den letzten Sonnenstrahlen, welche über das Angesicht Caers wischten, wieder in der Stadt sein sollten. Byron erhielt noch eine Phiole Heilwasser gegen eine erschwingliche Spende und die Gemeinschaft verließ Corvis in nördlicher Richtung.
Der moorastige Untergrund machte die Wanderschaft nicht unerheblich leichter und es schien ganz so, als führte der Sumpf ein fremdartiges Eigenleben, als würde man den Leib eines lebenden Wesens durchschreiten und dieses nicht gewillt war, den Eindringlingen auch nur einen Schritt Boden zu gewähren. Selbst Quintus, der in einiger Entfernung voraus lief, hatte Mühen gegen die widerspenstige Umgebung anzukämpfen. Zum Glück aber war zumindest das Wetter den Wanderern ein treuer Freund und ersparte ihnen Donner und Regen, welcher hier mit Leichtigkeit jeden noch so kleinen Tümpel in eine lebensgefährliche Todesfalle verwandelt hätte. Der Marsch dauerte drei volle Stunden, bis die lang ersehnten Grabhügel, unter welchen die Tunnel in vergessenen Zeiten gegraben wurden, erreicht waren.
Auf den ersten Blick konnte kein Eingang gefunden werden, bis schließlich Quintus hinter Büschen und Zweigen ein Loch im Stein erspähte, welches anscheinend frei gesprengt wurde. Fackeln und Sonnenstäbe wurden entfacht und Quintus, Byron, Last und zuletzt Carigan zwängten sich durch die schmale Öffnung. Die Luft im vorliegenden Schacht war feucht und klamm, doch einige Fußspuren im matschigen Boden verrieten der Gruppe, dass sie hier nicht alleine waren. Nach einigen Schritte weiter in den Hügel hinein trafen die Abenteurer auf eine rudimentäre Kreuzung, zur Linken und Rechten weitere Räume, vor ihnen ein zerschmettertes Gitter am Boden. In den beiden Räumen wurden zahlreiche erloschene Feuerstellen und Strohhaufen gefunden, ganz klar die Unterkünfte von Sumpfgobbern, so Quintus. Der Gang hinter dem aus den Scharnieren gerissenen Gitter bot weitere Abzweigungen und die Gruppe einigte sich darauf, sich zunächst auf der rechten Seite zu halten um möglichst einen Hinterhalt aus den hinteren Gängen zu vermeiden. Dieser Bereich des Komplexes schien im Gegensatz zum bisherig Gesehenen natürlichen Ursprung zu sein.
Ein leichtes Plätschern lockte die vier Menschen in eine breitere Höhle, die teils unter Wasser stand. Auf dieser natürlichen Wassergrube schaukelte ein kleines Boot stetig im kaum vorhandenen Rhythmus hin und her, befestigt an einem rostigen Eisenring in der Wand am kiesigen Ufer. Noch bevor ein weiterer Schritt getan wurde, entdeckten Quintus wache Augen einen menschengroßen Oktopus, der sich halb im sandigen Untergrund vergraben hatte und halb vom Schatten des Bootes verdeckt wurde. Ganz unmittelbar neben dem Ungetüm lag ein verschnürter Lederbeutel am matschigen Boden der Wassergrube und nur zu gerne hätten die Abenteurer einen Blick in sein Inneres erhascht. Aber es gab keine Möglichkeit um an den kleinen Fund heranzukommen ohne das Monster am Grund zu provozieren. Also hob Byron einen kopfgroßen Stein auf, ging mit diesem zum Ufer und schmiss es nach dem bedrohlichen Geschöpf um es vielleicht sogar ohne einen Kampf zu verscheuchen. Doch diese Rechnung ging nicht auf und blitzartig schossen der Gruppe acht schleimige Tentakel entgegen, welche nach Last griffen, diesen aber nicht zu Fassen bekamen. Der junge Magier versuchte, sich die windenden, knochenlosen Glieder vom Leib zu halten und schaffte dies auch tatsächlich mit seinem rudimentären Knüppel, bis Byron mit einem einzigen Ausfall dem Biest seinen Rapier durch das geifernde Maul trieb und dieses leblos in sich zusammensackte. Quintus holte tief Luft und barg das Objekt der Begierde, während Last das am Seil befestigte Boot zu Land zog. Der Rumpf des Ruderbootes verbarg keine weiteren Geheimnisse, bis auf vier Wasserschläuche und einigen gepökelten Rattenkörpern. Der Lederbeutel allerdings zeigte ziemlich schnell, dass sich die Gefahren gelohnt haben, denn dieser enthielt nebst einigen fast schon antiken Goldmünzen einen schmalen Dolch mit schwarzer Klinge, welche von schwarzen Drähten gespeist wurde und mit nicht zu entziffernden Runen beschriftet war. Carigan erkannte ziemlich schnell, dass diese Waffe nicht nur eine Seltenheit darstellte, sondern auch von magischen Energien durchflutet wurde. Die Vergabe des Schatzes ging unmittelbar von Statten und Last war der Glückliche, der seinen Knüppel gegen den Dolch eintauschen durfte, dies schien nach Carigan äußerst passend zu den hexischen Künsten seines Gefährten.
Die Wassergrube wurde hinter sich gelassen und die Gruppe folgte langsam dem Lauf des engen Ganges. Aber weiter erhoffte Schätze wurden nicht gefunden, bis schließlich das Ende des Ganges in einer weiteren natürlichen Höhle endete, welche von zwei riesigen Stalagmiten in Zwei getrennt wurde. Vorsichtig tat Quintus Schritt um Schritt und umrundete den hinteren Teil der Höhle. Hier stieß er auf ein groteskes Bild. Das Skelett eines Sumpfgobbers, gekleidet in verrottetem Leder, auf einem Bett aus Moos liegend, ganz so, als würde die Kreatur ihren letzten Schlaf antreten. Last brach um die Ecke und entdeckte aus der Ferne ein intaktes Gefäß am Gürtel des Skeletts. Dieser stürzte nach vorne, wurde aber abrupt vom Waldläufer mit bestimmtem Griff zum Halt gebracht. „Böse Pilze.“ Last war für die Warnung wirklich dankbar, doch wollte er trotzdem nicht auf das Gefäß verzichten und kanalisierte seine minderen, arkanen Kräfte. Im nächsten Augenblick schwebte das Gefäß wie von Geisterhand geführt zum Magier, welcher seine neue Errungenschaft mit einem breiten Grinsen entgegennahm, ganz zum Leidwesen Carigans.
Mit neuem Mut bestärkt ging es zu den unerforschten Gebieten der Tunnel. Der weiterführende Gang war wieder eine gerade Linie und im Schein der Fackeln und Sonnenstäbe konnten die Abenteurer erkennen, dass dieser wieder vor Urzeiten aus dem soliden Stein gemeißelt wurde. Unter jedem Schritt platschte das nasse Fußwerk der Gruppe und ein unbemerktes Anschleichen schien unmöglich. Doch abermals machte sich Quintus verdient, als er seltsame Geräusche an einer etwa ein Dutzend Schritt entfernten Abzweigung vernahm, ein Grunzen und Schnattern und vielleicht sogar einige Worte in einer fremden Sprache, eindeutig ein denkendes Wesen! Blicke wechselten die Gesichter und einstimmig entschied sich die Gemeinschaft dafür, das bisher ungesehene Geschöpf mit der schieren Masse von vier menschlichen Leibern zu überrennen und gefangen zu setzten. Der Plan wurde sofort umgesetzt und schwere Stiefel stampften hastig durch die engen Tunnel. Rasch wurde die Distanz überwunden, die Ecke umrundet… und vor den Abenteurern kauerte in einem ansonsten leeren Raum ein einzelner Sumpfgobber. Dieser erstarte vor Furcht und ließ sich ohne nennenswerte Gegenwehr fesseln. „Tut ihm nix, Borkanhekkanaken hat nix wehgetan! Er muss hier bleiben, Zimmer von Chef saubermachen. Chef im Sumpf, Hexe hat viele Krieger von Stamm getötet, Chef nun Angst. Hexe hat die schlafenden Menschleins geweckt, Borkanhekkanaken hat alles gesehen, er kann sich gut verstecken. Nein, Hexe weg, mit den anderen Menschleins.“ "Bork" wusste leider nicht, wohin die anscheinend fünf Frauen gegangen sind, aber vielleicht hatte die Gruppe noch Glück und würde einige Hinweise auf den Verbleib dieser unheiligen Kreaturen finden. Dem eingeschüchterten Sumpfgobber wurde sein Leben versprochen, welches Wort er von Byron erhielt, denn dieser konnte kein wehrloses Geschöpf töten noch getötet werden sehen.
Der Gang endete in einem letzten Raum, eindeutig die Grabkammer und letzte Ruhestätte der hingerichteten Hexen. Die schweren Steinsärge standen allesamt offen, ihre staubigen und nach verwestem Fleisch stinkenden Bäuche leer. Eine Bewegung! Hinter den Särgen stiegen plötzlich drei klappernde Skelette empor, ihre bleichen, grünen Knochen mit fremden, rot glühenden Schriftzeichen beschmiert. Sie taten den ersten Schritt, Quintus den zweiten. Sein Doppelschwert umher schwingend, begegnete der wortkarge Waldläufer dem untoten Schrecken von Angesicht zu Angesicht. Die Skelette aber besaßen eine unmenschliche Schnelligkeit, mit welcher keiner der Abenteurer gerechnet hatte und erst Recht nicht Quintus, und sein Angriff war vergebens. Byron folgte und ging in die Mensur um den Spielraum seiner Widersacher zu verringern, doch auch seine Schläge konnten die mit Krallen wild um sich schlagenden Ausgeburten Thamars nicht in die Knie zwingen. Selbst der magische Dolch Lasts vermochte keine größeren Schäden zu verrichten, doch wo sie alle versagten, dort sollte ein Diener Morrows siegen. Mit einem Stoßgebet auf den Lippen und dem heiligen Zeichen seiner Gottheit in der Hand, erweckte Carigan die Macht der Großen Propheten und Heilands der Menschheit, welche augenblicklich den Raum füllte und die verderbten Kreaturen in die Ecke der Kammer zwang. Hier hatte die Gruppe leichtes Spiel und einige Atemzüge später war der Feind besiegt. Trotz des Sieges war dies sicherlich kein Tag für die Streiter des Guten, doch die Gejagten hatten ihre Spuren hinterlassen. Auf einer steinernen Ablage an der nördlichen Wand waren zahlreiche Zettel mit ebenso zahlreichen und obskuren Notizen, als auch Reste von diversen Pulvern und Nähzeug. Die Gruppe war zu spät und diese Hexe konnte sich holen wonach es ihr begehrte, für welche Zwecke auch immer.
Corvis. Die Stadt der Geister war seit Beginn an ein einladendes Fleckchen Erde und gewiss konnten sich die Abenteurer den Schmerz vorstellen, wenn die dunklen Pläne, die langsam aber sicher ihren Lauf nahmen, Früchte tragen würden. Die Längste Nacht stand kurz bevor, gerade einmal zwei Tage und noch gab es keine stichhaltigen Beweise um die Hintermänner dingfest zu machen. Die Reise zurück bot den Abenteurern Zeit für weiterführende Gedanken und eines war sicher, die junge Alexia schien ihre zierlichen Finger im Spiel zu haben, auf die eine oder andere Weise. Vater Dumas würde dies nicht verstehen wollen und so galt es, auf seine Hilfe in naher Zukunft zu verzichten und ihm zu gegebener Zeit die ganze Wahrheit zu offenbaren. Der Tempel Morrows bot wie zuvor auch schon eine angenehme Atmosphäre der Geborgenheit und Bruderliebe, doch dies alles war ein Luxus, den sich die vier Menschen im Moment nicht leisten konnten. Sofort wurde Vater Dumas aufgesucht und die schlechten Nachrichten überbracht, wobei Carigan seine Worte weise wählte und jeglichen Verdacht über die geliebte Nichte des Priesters verschwieg. Die Gruppe musste einen anderen Weg einschlagen und dieser schien auch weniger auf Alexia bezogen. „Das Grab meiner Schwester ist absolut sicher, niemand wäre dazu im Stande die mächtigen Schutzzauber zu brechen, welche über diesem Ort liegen. Aber wenn ihr derart davon überzeugt seid, dass diese verderbten Verbrecher hinter dem leblosen Körper meiner Schwester her sind, so sollt ihr euch selbst davon vergewissern, dass alles in bester Ordnung ist, denn der Herr wird dies nicht zulassen.“ Vielleicht hatte der ehrwürdige Vater auch Recht, doch im Moment konnte sich die Gemeinschaft nicht auf ein göttliches Wunder verlassen, selbst dem frommen Carigan und erst recht Last war dies bewusst. Vater Dumas begleitete die Gruppe durch die Flure des Tempels zum Ausgang hin, als sie dort stand, unschuldig und doch mit neugierigen Augen dem Vorhaben der Fremden folgend. Alexia lehnte an der Wand, sie war zum Greifen nahe, doch dies war unmöglich. Schweren Gemüts mussten die Abenteurer von ihr ablassen und weiter Vater Dumas folgen. Alexia schaute ihnen nach.
Die Krypta war im tadellosen Zustand, der feine Granit fing nicht einmal Staub, so als ob dieser Ort nicht vom Strom der Zeit heimgesucht wurde. Und wie vermutet war der prunkvolle Sarg ungeöffnet. Wieder standen die Abenteurer vor einem Rätsel, der Weg verschleiert vom Dunst der Ungewissheit. Man konnte sich Illusionen hingeben, sich vor der Wahrheit verschließen, doch musste die Gruppe jetzt dem unausweichlichen Pfad folgen, der die ganze Zeit über vor ihnen lag. Es wurde beschlossen, ihre gesamte Aufmerksamkeit Alexia und ihrem Treiben zu widmen. Byron wurde von den anderen dazu auserkoren, direkt an das junge Mädchen zu treten, in Ord waren die Leute für ihre spitzen Zungen wohl bekannt, während der Rest der Gemeinschaft unauffällig im Hintergrund arbeiten sollte. Byron machte sich auf die Suche, doch Alexia schien spurlos verschwunden. Nach den Auskünften der Mönche im Tempel sei dies nicht ungewöhnlich für Alexia, sie schien wohl ein Faible dafür zu haben, von einem Augenblick auf den nächsten zu verschwinden. Der junge Schwertgeselle versuchte sein Glück in der Zelle des Mädchens und klopfte an. Es ertönte ein Rumpeln und hastiges zuschnüren von Lederriemen oder Gürteln. Daraufhin öffnete sich die Tür und Alexia stand dort. Das Gespräch war oberflächig, bewusst stümperhaft geführt, doch die Eindrücke, die von Alexia gewonnen wurden, schienen hinreichend. Die Nichte Dumas führte etwas im Schilde und ihre Fähigkeiten zu Lügen und zu Betrügen schienen denen von Thamar in nichts nachzustehen. Das Geschehene wurde den anderen Abenteurern überbracht und man stellte sich auf eine kommende Beschattung ein, denn beim nächsten Ausflug Alexias wird die Gruppe dabei sein. Doch zuvor bereitete sich die Gruppe auf den kommenden Konflikt vor und tauschte die Beute aus den Grabhügeln in bare Münze ein. Last erstattete sich bei Hamil Bodak, dem renommiertesten Waffen- und Rüstungshändler der Stadt, eine Pistole, welche normalerweise nur in den Rängen des Militärs zu finden war, während Carigan seinen Leib mit einer neuen Plattenrüstung zu schützen gedenkte. Zuletzt kaufte auch Byron einen außerordentlich gearbeiteten Buckler, der ihn nicht in seiner wirbelnden Kampfesweise beeinträchtigen würde.
Es war so weit, die vier Ausgänge des Tempels wurden von den vier Abenteurern besetzt und tatsächlich machte sich Alexia auf den Weg mit einem festgeschnürten Rucksack bepackt, ganz so, als würde sie eher hinaus schleichen wollen. Die Verfolgung zog sich durch den ganzen Abend, von Norden nach Süden, Osten nach Westen, bis Alexia schließlich doch wieder im Tempel ankam. Vergebens, sie musste die Abenteurer bemerkt haben! Doch sie wird es noch einmal versuchen wollen, vielleicht sogar im Schutze der Nacht. Die Zeit verstrich und Corvis’ Angesicht wandelte sich, der metallische Lärm des Hafens versiegte, die Marktschreier gingen nach Hause und die Ratten krochen aus ihren Löchern, bei Nacht war Corvis ein gefährliches Pflaster. Die Gemeinschaft wurde unruhig, der Tatendrang ließ sie nicht ruhen. „Ich werde noch einmal nach ihr schauen, vielleicht…“ Byron suchte abermals die Zelle Alexias auf, was er sich davon versprach wusste nicht einmal er selbst. Er klopfte. Nichts. Er klopfte wieder. Keine Antwort. Selbst auf Bitten hin, die Tür zu öffnen regte sich nichts. Sie ist ihnen entschlüpft. Die Gruppe versammelte sich vor der Zelle und debattierte, ob ein Einbruch an diesem Orte Rechtens wäre, doch ohne Beweise war dies unmöglich. Byron und Carigan konnten und wollten nicht für dieses Vorhaben bürgen, für Last und Quintus war dies die einzige Möglichkeit, dem Spuk für immer ein Ende zu setzten. Der Streit drohte zu eskalieren, als Last und Quintus aufgaben. „Ihr werdet es bereuen diese Chance ausgelassen zu haben, das Schicksal wird gewiss nicht mehr so gnädig mit uns sein!“ Last verlies erzürnt den Korridor, Quintus folgte und auch Byron und Carigan ließen von der Zelle ab. Ein schlechter Tag für die junge Gemeinschaft.
Die Nacht war sternenklar und selbst der Rauch der Hafenfabriken konnte ihr nicht den Glanz rauben. Leise rauschte der kühle Nordwind durch das Blätterwerk der zahlreichen Bäume des Tempelgartens. Die Wand wies genügend Freiräume auf und die wettergegerbten Finger fanden ihren Halt. Ein leichtes Stöhnen war zu vernehmen, welches sich aber schnell in der Leere der Nacht verlor. Quintus hatte im Schutz der Außermauer das Fenster erreicht und hob vorsichtig das feine Glas aus seiner Verankerung. Geschafft, der Morridaner gelang unbemerkt ins Innere von Alexias Zelle. Byron erzählte noch zuvor etwas von einem hastig geschlossenen Schrank oder dergleichen und das Zimmer wies ebenso einen auf. Mit flinken Fingern durchsuchte Quintus das rustikale Gerüst und fand neben Kleidern und einigen Schreibutensilien nichts weiter Interessantes. Ein Grinsen breitete sich im Mundwinkel des Waldläufers aus. Unter den Haufen an Gewändern verbarg sich ein doppelter Boden. Schnell wurde das Geheimfach geöffnet und in diesem befand sich ein einzelnes Buch über die Entstehungsgeschichte der Stadt Corvis. Ein schnelles durchblättern förderte eine Karte des Abwasserkomplexes der Stadt zu Tage, welche mit einem Eselsohr markiert war. Das war es! Alexia nutzte die Kanäle unter Stadt um unbemerkt den Tempel zu verlassen, denn es führte ein Zugang aus den unteren Katakomben des Tempels in diese vergessenen Bereiche von Corvis. Außerdem erkannte Quintus, dass auf dieser Karte ein Ort verzeichnet war, der Alexia wohl wichtig genug erschien, um diesen im Buch festzuhalten. Ich wusste es, Byron und Carigan werden Augen machen! Quintus entriss dem Buch die Karte und nahm den gleichen Weg hinaus. Er suchte seine Gefährten auf, riss die Schlafenden aus ihren Träumen und präsentierte ihnen seinen Fund. In der Tat, Byron und Carigan waren sprachlos und selbst Last verkniff sich seine bissigen Kommentare, denn es war nicht an der Zeit sich zu Streiten sondern dem Bösen Einhalt zu gewähren. Das leichte Gepäck wurde festgeschnürt und die Jagd begann.
Die Katakomben des Tempels hatten etwas Düsteres an sich. Nicht, dass sie ein Schlupfloch von etwas Bösem sein könnten oder gar, dass sie so dunkel waren, es war die Vergessenheit die hier herrschte. Die Abenteurer fanden den Zugang zu den Abwasserkanälen ohne weitere Mühen und die neuen Ketten an der eisernen Tür verrieten, dass dieser Weg auch noch in Gegenwart genutzt wurde. Ein stinkender Schwall stieß den Abenteurern ins Gesicht, als diese die Gänge unter Corvis betraten. Quintus nahm sofort eine Spur auf, zweifelsohne jene von Alexia. Es war ein Leichtes, den Spuren zu folgen, vielleicht auch schon zu leicht. Die Wände waren beschmiert vom Schmutz der Jahrhunderte und das brache Wasser, welches unter den Füßen der Gruppe in die Dunkelheit floss lud ganz bestimmt nicht zu einem Bad ein. Der enge Abfluss öffnete sich einem großen Kanal, über den eine morsche Holzplanke gelegt wurde um die andere Seite zu erreichen. Das Holz hielt dem Gewicht stand und Quintus, Byron, Carigan und Last schafften den Übertritt. Wie auf diesen Augenblick wartend, stürmten ohne Vorwarnung drei Skelette um die Ecke, welche jenen in der Grabkammer in den Sümpfen ähnelten, ihre grünen Knochen mit roten Schriftzeichen beschmiert. Sie droschen auf Quintus ein und dieser musste sich ganz alleine zur Wehr setzten, denn der Absatz auf dem sie standen, gewahr nur einer Person Platz zum Kämpfen. Last schmiss seinen Knüppel nach den Ungeheuern, denn seine Pistole hätte man hier selbst am anderen Ende der Stadt gehört, und traf auch das Vorderste empfindlich am Kopf. Quintus rang seinen unmittelbaren Gegner mit dem Doppelschwert zu Boden, als die Knochen zersplitterten und im dunklen Abwasser versanken. In einer flüssigen Bewegung balancierte Byron an Quintus vorbei und nahm den freien Platz vor ihm ein, während sein Rapierl ein weiteres Skelett zerschmetterte. Abermals rückte Quintus nach Vorne und streckte auch den letzten Feind nieder. Alexias Rechnung war wohl nicht aufgegangen, doch sie erwartete ungebetene Gäste, dies war sicher.
Der matschige und stinkende Kanal mündete in einem riesigen Abflussrohr, der unzweifelhaft den Schwarzen Fluss speiste, welcher Corvis in zwei Hälften teilte. Hier fanden die Abenteurer eine Tür, klar das Versteck von Alexia. Leise öffnete Quintus die Tür und nacheinander betraten die vier Menschen einen weiteren Gang, dessen Ende von einem fahlen Licht erhellt wurde. Die Glieder gaben nach, die Knochen erstarrten. Die Gruppe ist einer magischen Falle zum Opfer gefallen! Aus der Finsternis schritt ihnen Alexia entgegen, begleitet von vier weiteren Skeletten. „Ihr habt es also hierher geschafft, ich bewundere euch. Doch ihr müsst wissen, dass alles, was ihr getan habt, vergebens war. Niemand wird mir meine Rache nehmen, niemand! Sie alle werden büssen, ihr werdet sehen. Nur mein Onkel, nur er… hat es nicht… nein, schafft sie hinfort!“ Ihrer Waffen beraubt und geknebelt wurden die Abenteurer ohne Gegenwehr leisten zu können, durch einen vergessenen Komplex gezogen, bis sie schließlich in eine von zahlreichen Kerkerzellen eingesperrt wurden.
„Es wird nicht halten, Byron. Sieh es endlich ein, wir sind allesamt dem Tode geweiht.“ Das pessimistische Nörgeln Lasts hielt den Schwertgesellen jedoch nicht davon ab zu versuchen, mit Hilfe des rostigen Stück Metalls, welches er in einer Ecke der Zelle fand, die Gittertür aufzubrechen. Ein klingender Laut von berstendem Eisen schallte durch die feuchten Gänge… und die Tür stand offen. Mit einem besserwisserischen Grinsen trat Byron hinaus, dicht gefolgt vom Rest der Gruppe. Nun waren zwar frei, aber ohne Waffen und derart war jede Konfrontation mit Alexia oder ihren untoten Handlangern der reine Wahnsinn. Zur Linken der Gruppe wand sich der Zellengang mit noch zahlreichen weiteren Kerkern seinen Weg durch das kalte Gestein und zur Rechten war eine Biegung zu sehen, vielleicht der Ausgang? „Rechts lang.“ zischte Quintus leise zu seinen Kameraden und einhellig wurde dieser Weg genommen. Und bereut wurde diese Entscheidung keineswegs, denn hinter einer morschen Tür fanden die Abenteurer einen Brunnenraum und ihre Waffen. Selbst in dieser dunklen Stunde schienen die Götter Immorens mit ihren Kindern zu sein.
Mit neuem Eifer und altem Stahl durchkämmten die vier Menschen das Versteck Alexias, doch dieses war entgegen aller Befürchtungen wie ausgestorben, weder Lebendes noch Totes schritt in der Dunkelheit auf und ab. „Haltet ein! Habt ihr das gehört?“ Die Neugier des aufmerksamen Morridaner wurde auf eine verstärkte Tür gezogen, oder viel eher auf jenes, was hinter der Tür kroch. Geziert war das hölzerne Bollwerk mit einem verschmierten Symbol, welches keiner der Abenteurer deuten konnte. Schwerter wurden bereitgehalten, Schilde vor den Körper gehoben und Feuerwaffen schussbereit gemacht, als das geschwärzte Holz der Tür den gemeinsamen Kräften von Quintus und Byron nachgab. Ein stinkender Schwall von verwestem Fleisch drückte der Gruppe aufs Gemüt, als urplötzlich eine humanoide Gestalt aus den langen Schatten des Raumes sprang, begierig danach, seine knochigen Finger in das warme Fleisch der Eindringlinge zu stoßen. Doch der vorbereiteten Übermacht der Abenteurer konnte das seelenlose Wesen nichts entgegensetzten, als es unter einem Sturm von Klingen und Pistolenkugeln dar niederging. Untersuchungen an dem offensichtlich wiederbelebten Leichnam förderten zu Tage, dass es sich hierbei um einen der kürzlich gestohlen Körper handeln muss, doch zu welchen Zwecken blieb der Gruppe verwährt. Die war einer, doch sieben wurden ihrer letzten Ruhestätte entrissen, also wurde der Komplex weiter nach den Restlichen durchsucht und auch gefunden. Sechs weitere Diener Alexias fanden ihren ewigen Schlaf unter den entschlossenen Hieben und Stichen der vier Gefährten, doch Alexia konnte wieder einmal ihrem Schicksal entfliehen, denn weder in ihrem Studierzimmer noch in irgendeinem Versteck war sie anzutreffen. Noch einmal wird sie ihnen nicht entkommen.
Der Weg zurück in die einladenden Gemäuer der Kirche von Morrow war weniger anstrengend und Vater Dumas stand der Gruppe wie immer sofort für berichtende Worte zur Verfügung. „Das ist beunruhigend. Meine Nichte scheint wirklich den verdorbenen Pfad eingeschlagen zu haben und ich habe es nicht gemerkt. Oh Alexia, war ich ein so schlechter… Vater? Morrow, sei mir gnädig.“ Der alte Mann sank kraftlos in seinen Stuhl, er hatte etwas verloren was ihm niemand mehr zurückgeben konnte. „Vater Dumas, wir können eure Nichte zurück ins Licht führen, doch dafür brauchen wir eure Hilfe. Ihr seid ein angesehener Mann hier in Corvis und sicherlich kennt ihr zahlreiche Personen mit Macht, Dinge zu bewegen. Wir müssen die Gefangennahme eurer Nichte in der Stadt ausrufen, so dass sie nicht mehr unerkannt in diesen Straßen wandern kann.“ Auf das Bitten Bruder Carigans versicherte Vater Dumas ihm, dass er einen alten Freund bei der Stadtwache aufsuchen wird, er sei ihm noch einen Gefallen schuldig. Die Stunden verstrichen, doch die rastlose Gemeinschaft fand keine Ruhe. An jedem Atemzug der verstrich, entfernte sich Alexia mehr und mehr der Reichweite der Abenteurer und die dunkle Maschinerie, die Hintergrund lief, nahm stetig bedrohlichere Gestalten an. Ein Akolyth betrat die Zelle Carigans. „Werter Bruder, eure Anwesenheit wird von Vater Dumas erwartet.“ Eine gute Kunde, hat der weißhaarige Vorsteher der Kirche Morrows doch etwas erreicht? Carigan holte die anderen beisammen und suchten das Empfangszimmer auf. Hier warteten gleich zwei Personen auf die Gruppe, einerseits Vater Dumas mit einem viel versprechenden Gesichtsausdruck, andererseits ein Mann in einer Vollrüstung mit einem Umhang, auf welchem das Wappen der Stadtwache von Corvis prangte. Es war jener Mann, den die Gruppe vor zwei Tagen alleine auf dem Nordfriedhof traf. „Hauptmann Julian Helstrom, erfreut eure Bekanntschaft zu machen.“ Der Hauptmann der Stadtwache? Dies war wahrlich nicht das, womit die Abenteurer gerechnet haben, doch den Suchenden wird gegeben werden. „Vater Dumas hat mir von dieser äußerst unheilvollen Lage berichtet und meine Informanten haben mir bestätigt, dass seine Nichte beritten die Stadt vor wenigen Stunden durch das Nordtor verlassen hat. In dieser Richtung gibt es nur einen Ort, an dem sie sich verstecken könnte, nämlich der verlassene Außenposten Rhyker. Ich kann zu meinem Bedauern keine meiner Wachen erübrigen, das Fest der Längsten Nacht überfordert bereits jetzt schon meine unterbesetzten Posten, doch euch scheint es an Kampferfahrung nicht zu mangeln und wie es aussieht, bedarf es wohl keiner weiteren Anweisung. Die wenige Hilfe, die ich euch geben kann wäre diese Pistole mitsamt Munition und drei weitere Sprengfässer, um jeglichen Widerstand vom Angesicht Immorens zu sprengen.“ Es bedarf wahrlich keiner weiteren Anweisungen, denn noch bevor das letzte Wort im Raum verklang, wurden bereits die Pferde gesattelt und der Blick nach Norden gerichtet.