Bhal-Hamatugn
Thamior und Thargad traten aus den Schatten, doch der Kuo-Toa namens Abhaca schien nicht überrascht.
»Kommt mit. Ich bringe euch in ein Versteck.«
Die Kettenbrecher ließen sich, immer noch misstrauisch, auf dem Floß des Kuo-Toa nieder. Abhaca stakte sie durch den See. Boras war selbst das zu unsicher, und er watete nebenher. Das kalte, schwarze Wasser ging ihm bis zur Brust, und immer wieder spürte er etwas Glitschiges an seinen Füßen. Dieses Etwas war jedoch entweder ungefährlich oder satt, denn wenige Minuten später erreichten sie eine versteckte Felsinsel in einer Nebenhöhle.
»Hier könnt ihr auch Licht machen, wenn ihr müsst«, sagte der Fischmann. Als Boras die Blendlaterne öffnete, kniff Abhacas reflexartig die Augen zusammen – scheinbar war ihm helles Licht nicht geheuer.
»Also, wie schon gesagt: Ich bin Abhaca, und ich bin der rechtmäßige König des Heiligtums Bhal-Hamatugn. Der Priester Mangu Picthu«, er spie diesen Namen wie einen Fluch aus, »hat mich verraten. Ich musste fliehen.«
»Ihr spracht von einem Propheten der Nacht? Wer ist das?«, erkundigte sich Helion.
»Der Prophet ist schuld, dass Mangu Picthu mich verjagen konnte. Einst prophezeite er den Tod des alten Königs, Gug Than, durch einen Sturz in die Nacht. Ich stieß Gug Than daraufhin in den Tod. Ich!« Etwas Speichel spritzte aus Abhacas Mund. »Also wäre ich auch der rechtmäßige König! Aber Mangu Picthu behauptete, der Prophet habe den Tod vorhergesagt, und hat mich entmachtet. Und er verpasste mir dieses Mal.« Er deutete auf seine Stirn. Die Kettenbrecher sahen sich an. Es war nichts zu sehen.
»Darf ich das Mal genauer ansehen?«, fragte Dirim.
»Nein! Und starr nicht so.«
»Entschuldigung.«
»Was ist der Prophet für einer?« Wieder Helion.
»Ein Oberflächenbewohner«, sagte Abhaca. »Ein Cro-Quas.« Er deutete mit einem Nicken zu Dirim.
»Ein Zwerg also?«
Abhaca nickte. »Ihr müsst den Propheten wegschaffen. Tötet ihn, oder bringt ihn fort – es kümmert mich nicht.«
»Sonst noch was?«
Abhaca lächelte. Es war ein kaltes Lächeln, ohne Freude. »Oh ja. Aber am besten mache ich euch erst einmal eine Karte von Bhal-Hamatugn. Wir müssen ohnehin warten, bis die letzte Pilgergruppe abreist und meine Getreuen Wachdienst haben.«
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Während Abhaca an der Karte arbeitete, zogen sich die Kettenbrecher zurück.
»Ich traue ihm nicht«, sagte Dirim. »Und ich würde ihn am liebsten zur Rechenschaft ziehen – dieses Wesen ist böse.«
»Aber es ist nicht unsere Kultur«, sagte Helion. »Und gegen den ganzen Tempel haben wir ohnehin keine Chance.«
Die anderen Kettenbrecher schwiegen, aber ihr Schweigen gab Helion Recht.
»Gut«, sagte Dirim. »Vielleicht ist dieser Abhaca die Möglichkeit, die wir brauchen.«
»Kommt, Warmblüter«, rief Abhaca. »Der Plan ist bereit.«
Abhaca hatte dünne Schieferplatten vorbereitet, auf die er drei verschiedene Ebenen des Tempels gezeichnet hatte. Alle Ebenen waren durch einen großen Saal in der Mitte der Anlage verbunden.
»Wenn ihr die Wachen erledigt habt, die nicht zu mir gehören«, sagte Abhaca, »müsst ihr durch das Heiligtum. Dort werdet ihr Pilger finden, und natürlich weitere Wachen. Schafft sie beiseite, und zwar schnell.«
»Helft ihr uns dabei?«
Abhaca schüttelte den Kopf. »Diese Pilger sind Gläubige Blipdoolbulps. Ich werde den Zorn der Göttin nicht riskieren. Ich werde mich, sobald ihr kämpft, zu Mangu Picthu begeben und ihm seine Strafe zukommen lassen.«
»Und dann?«
»Meine Getreuen und ich übernehmen den Speermeister und die Brutstätte. Ich werde Mangu Picthus Laich vernichten.«
»Moment mal«, sagte Thamior. »Du hast gesagt, wir sollten uns beeilen, die Pilger zu erledigen. Warum?«
Abhaca sah dem Elf in die Augen. Fanatismus loderte im Kuo-Toa. »Damit ihr euch auf die Ankunft der Gesandten vorbereiten könnt.«
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»Die Gesandte? Wer ist das denn jetzt wieder?«
»Sie ist eine Furie, von Blipdoolbulp gesandt, um Eindringlinge zu vernichten. Sie bleibt nicht lange, aber zu lange, um ihr zu entgehen.«
»Und natürlich könnt ihr uns nicht gegen die Gesandte helfen«, sagte Thargad.
»Natürlich«, gab Abhaca zurück. »Sie ist die Gesandte der Göttin.«
»Also gut, wir erledigen also die Gesandte. Wo ist dann der Prophet?«, fragte Helion.
Abhaca deutete auf einen Raum im Obergeschoss. »Hier, in der Kammer der Nacht.«
»Ist es nur der Prophet?«
»Er hat eine Wache, oder Leibwache. Sagogoi, die Klinge im Dunkel. Gebt auf ihn Acht.«
»Also die Gesandte, die Pilger, die Wachen, und die Klinge im Dunkel. Hört sich ganz einfach an, oder?« Helions Sarkasmus war scharf genug, um Käse zu schneiden.
»Moment mal«, sagte Thamior und deutete auf die Karte. »Was ist denn das?«
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»Das ist ein Geheimgang, der durch die Folterkammer in das Heiligtum führt«, sagte Abhaca. »Ich wollte den Gang nehmen, aber wenn ihr dort hindurch wollt, nehme ich die Haupttore.«
»Wir können dann die Pilger eher überraschen«, sagte Dirim, da Abhaca von schweren Steintüren gesprochen hatte, die in das Heiligtum führten. »Und haben vielleicht Deckung vor den Wachen.«
»Aber wir sind weiter weg von Zenith«, sagte Helion. »Und wir sind auch hier unter einer Balustrade.«
Nach langem Hin und Her entschloss man sich, das Haupttor zu nehmen.
»Also gut«, sagte Abhaca schließlich. »Schlaft jetzt, Warmblüter. Es ist noch Zeit.«
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Sie rasteten, aßen etwas und bereitete Zauber vor. Zuvor erkundigte sich Helion bei Abhaca nach Schwächen der Kuo-Toa.
»Wir gebieten über Elektrizität«, sagte Abhaca, »also bekämpft uns nicht mit Stürmen. Fesselt uns nicht, denn wir sind nicht zu fassen. Gebt Acht, dass Eure Waffen nicht an unseren Schilden kleben bleiben.«
»Was ist mit Feuer?«
»Feuer verzehrt, Feuer verbrennt. Es ist nicht unser Feind noch Freund.«
»Womit kämpft ihr denn so?«, fragte Dirim.
»Unsere Kämpfer gehen mit Fischhaken in die Schlacht.«
»Alles klar«, sagte der Zwerg, und suchte noch einmal verstohlen nach dem ›Mal‹, das der Kuo-Toa auf der Stirn haben wollte. Später begaben die Kettenbrecher sich wieder auf Abhacas Floß, und der Kuo-Toa stakste sie über den See. Der Angriff auf Bhal-Hamatugn begann.