Zenith der Nacht
Thamior bewegte sich von den Anderen weg in die gegenüberliegende Ecke des Vorraums. In der Bewegung feuerte er Pfeile auf die Erinye ab, die sie zum Ausweichen zwangen. Helion ließ ein weiteres Mal magische Geschosse in auf die Teufelin ab – ein letztes Mal. Die Erinye kniff die Augen zusammen und fixierte ihre Ziele mit neu entfachtem Zorn.
Boras wurde derweil von einem Luftwirbel in die Magengrube getroffen; irgendwo vor ihm befand sich ein neuer, unsichtbarer Gegner. Thargad turnte an Boras vorbei und schlug dorthin, wo er den Unsichtbaren vermutete.
»Du wirst deine Stadt in Flammen sehen!«, sprach Zenith langsam und deutete wieder auf Boras. Er griff nach seiner schweren Axt, hob den Schild zur Abwehr und schritt dann langsam auf den Barbaren zu. Neben ihm erwachte die Statue zum Leben. Der steinerne Hummerkopf fixierte den Kettenbrecher, die massiven Zangen klappten auf und zu. Langsam trat die Statue vor, bis sie wieder neben Zenith stand, und nahm eine Verteidigungsposition ein.
»[i[Incendere[/i]!« Aus Helions Fingern rasten zwei Feuerstrahlen in die Statue und brachten ihr kleine Risse ein. Sogleich sah man aber, wie sich diese Risse wieder schlossen.
Dirim hob seinen Schild und ließ die Feuerpfeile der Erinye daran abprallen. Dennoch sah es nicht gut für die Kettenbrecher aus, und noch hatte Zenith nicht wirklich in den Kampf eingegriffen. Boras schrie auf und ließ seine Axt sausen, doch die Klinge fuhr ebenso durch die Luft wie Thargads Schwerter – der Unsichtbare hatte sich bewegt.
»Wir könnten hier etwas Hilfe gebrauchen!«, rief Boras. Helion sah kurz zur Erinye, die sich gerade einen von Thamiors Pfeilen aus dem Oberschenkel zog, dann wandte er sich dem Thronsaal zu.
»Lux Oculi Physiciendam!« Glitzernder Staub explodierte in kleinem Umkreis und legte sich über alles, was er berührte. Mitten in diesem Gebiet stand eine vage humanoide Gestalt aus Luftwirbeln, und neben dem Boden und den zitternden Leichen war auch Zeniths Statue mit Staub bedeckt. Beide, sowohl Statue als auch Luftwesen, reagierten verwirrt, als der glitzernde Staub ihre Augen verklebte. Der Luftelementar schlug wild um sich, während die Statue ihre Scheren hob und neben Zenith verharrte. Der Zwergenkrieger sah zu Helion.
»Man wird dich lebendig begraben – doch nicht dich allein.«
»Sondern euch alle!«, stieß die Erinye in gutturaler Gemeinsprache hervor, dann breitete sie die Arme aus. Dunkle Fäden formten sich inmitten der Kettenbrecher, dann explodierten sie zu allen Seiten. Alle Kettenbrecher - außer Thamior, der nicht in Reichweite war – spürten, wie nekromantische Energie ihnen das Leben aussaugte. Blut rann ihnen aus Mund und Nase.
Boras taumelte. Durch den Nebel seiner Berserkerwut merkte der Barbar, wie der Griff um seine Axt schwächer wurde. Er kämpfte gegen den Schmerz an und rammte seine Axt in die wandelnde Statue. Während er die Waffe wieder heraus zerrte, wandte er sich an Zenith.
»Wir kommen von deinem Vater, Zenith. Besinne dich!« Der Zwerg begegnete dem Blick des Barbaren ungerührt.
»Im entscheidenden Moment wird deine Waffe brechen«, sagte er ruhig. Dann trat er vor, um diesen Worten Taten folgen zu lassen. Zeniths Axt donnerte auf den Schaft von Boas’ Waffe, aber der Barbar drehte im letzten Moment ab. Der Schlag verpuffte wirkungslos.
»Du trägst kein Blau«, sagte Boras. »Du wirst mich nicht töten.«
Thamior beschäftigte sich derweil mit der Erinye. Die Teufelin war langsamer in ihren Bewegungen geworden, und Schweiß stand auf ihrer Stirn. Dennoch schien ihre Freude an dem Geschehen ungetrübt. Wieder legte der Elf zwei Pfeile auf, und wieder ritzte er die Haut er Erinye mit dem ersten. Der zweite Pfeil sie dort, wo ihre Flügel mit dem Rücken verwachsen waren. Eine Blutfontäne spritzte hervor. Die Erinye schrie auf, fast fiel sie.
Thargad warf sich zwischen Zenith und seiner Statue hindurch zurück in den Vorraum. Die blinde Statue schien ihn dennoch zu spüren, denn sie schnappte reflexartig mit einer Zange zu. Thargad wand sich aus ihrem Griff, stieß sich aber die Schulter, als er gegen die Wand prallte. Dann war auch er im Vorraum. Nun waren alle Kettenbrecher in der Reichweite der unheiligen Magie der Erinye.
»Ihr werdet unter faulem Zauber vergehen!«, rief Zenith, als sich das Netz aus nekromantischer Energie erneut bildete. Die Erinye lächelte trotz ihrer Schmer-zen. Dann explodierte das Netz. Helion wurde zurückgeworfen und ging besinnungslos zu Boden. Thargad schlug gegen die Wand, hielt sich mühsam aufrecht. Thamiors Muskeln verkrampften. Dirim ging in die Knie. Boras erbrach Blut. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.
»Tyr, halte deine Hand über uns!« Warmes Licht zuckte durch den Barbaren, als sich dessen ärgste Wunden wieder schlossen. Boras schlug die Augen auf, hustete noch etwas Blut, und stemmte sich wieder hoch.
»Trink!«, befahl Thamior, obwohl der bewusstlose Helion seine Worte kaum hörte. Dennoch gluckste der Heiltrank über seine Lippen, bis auch der Magier das Bewusstsein wiedererlangte. Die Erinye kniff die Augen zusammen. Die Kettenbrecher standen noch. Sie konzentrierte sich. Wieder flimmerte die Luft vor dunklem Zauber.
Thamior sah zurück. Er hatte seinen Bogen fallen gelassen, als er Helion zu Hilfe eilte. Die Anderen waren zu weit weg. Er bemerkte Helions Blick und schüttelte nur den Kopf. Plötzlich erhellte sich Helions Miene.
»Ich hatte da doch...« Der Magier griff in seine Tasche. »Aha!« Er nahm eine kleine Perle hervor. Blaues Licht pulsierte in ihr. Helion schloss die Hand um die Perle und konzentrierte sich. Zaubermuster, aus seinem Gedächtnis gerissen, kamen zurück. Er sah die Erinye an, die damit beschäftigt war, ihren Zauber zu vollenden. Helion hob die freie Hand und begann, Gesten zu formen.
»Arcanex!« Eine weißliche Kugel rammte in die Erinye und zerstörte ihre Konzentration. Eine zweite riss ihr eine gewaltige Wunde in die Schulter. Eine dritte prallte ihr vor die Brust und warf sie gegen die Wand. Die vierte schließlich schoss ihr direkt in den Hals. Ungläubig starrte die Erinye auf das Blut, das sich in Wellen von ihr ausbreitete. Dann kippte sie vornüber.
»Hurra!«, rief Boras. In diesem Augenblick agierte Zenith. Er packte Boras’ Axt mit seiner Schildhand, dann stieß er dem Barbaren seinen Helm ins Gesicht. Als Boras zurück taumelte, zog er ihm mit seiner Axt die Beine weg. Boras fiel zu Boden und sah auf, gerade als Zenith seine Waffe durch den Barbaren trieb, bis sie auf der anderen Seite den Boden berührte. Schmatzend zog er die Waffe wieder hervor.
»In deinem Herzen wohnen Freude und Verrat Seite an Seite«, sagte er zu Thargad. Er nahm die Axt kampfbereit hoch. Blut rann in dicken Rinnsalen an der Klinge herunter.
Dirim sah mit einem Blick, dass Boras tot war. Die Magie, die ihm zur Verfügung stand, war hier nutzlos. Aber zuerst mussten sie Zenith stoppen. Er schüttelte den Schock ab, als Helion neben ihn trat.
»Incendere!« Eine Flammensäule traf die Statue, der inzwischen doch eine kleine Steinsbrocken fehlten. Mit genügend Zeit aber, so viel war klar, würde sie sich wieder reparieren. Der andere Flammenstrahl traf Zenith und versengte ihm die Haut. Gleichzeitig schmolz ein kleiner Teil der Statue, während Zenith längst nicht so verwundet schien, wie er sollte.
»Auch das noch«, fluchte Helion. Dann stand Zenith vor ihm.
»Du wirst deine Stadt in Flammen sehen«, sagte der Zwerg. Helion versuchte, sich hinter Dirim zurückzuziehen, aber es war zu spät. Zeniths Axt drang ihm in die Seite und schleuderte ihn zu Boden, wo der Magier regungslos liegen blieb. Er atmete nicht mehr.
Thargad blinzelte. Gerade noch hatten sie die Erinye besiegt, und jetzt waren zwei von ihnen tot. Er selbst konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, Zenith schien völlig unberührt. Es musste eine Möglichkeit geben, wie sie hier lebend rauskommen konnten. Vielleicht war im Thronsaal etwas? Vorsichtig näherte er sich der Tür in den Raum. Zenith und seine Statue standen dort Seite an Seite. Thargad traute sich nicht zu nah an die Statue heran, und doch... vielleicht könnte er Zenith von hinten erwischen. Seine Schulter schmerzte immer noch vom letzten Versuch, an den beiden vorbei zu kommen. Er musste es versuchen.
Mit einem schnellen Schritt sprang Thargad zwischen den Beiden der Statue hin-durch, dann rollte er sich wieder hoch, und stand ihm Thronsaal. Dort wirbelte immer noch der geblendete Luftgeist herum, hilflos. Aus der Gelegenheit heraus stach Thargad sein Kurzschwert in die Seite des Wesens, als sich ein Schatten auf ihn legte.
»Pass auf!«, rief Dirim. Thargad drehte sich um und sah gerade noch, wie Zeniths Axt niederfuhr. Dann sah er nichts mehr.
Zenith zog seine Axt aus dem leblosen Körper des Schurken und sah zurück zum Eingang. Hinter ihm verschwand der Luftgeist, seine Zeit in dieser Ebene war vorüber. Thamior stellte sich neben Dirim in die Tür, den Bogen zum Schuss erhoben.
»Nur noch der Zwerg«, sagte Thamior. »Und nur noch wir beide.«
»Nur noch ist gut«, sagte Dirim, ließ aber offen, wen er meinte. Er hob sein Schwert. »Packen wir's!«
Thamior rannte zur Seite und ließ dabei einen Pfeil von der Sehne, den Zenith müde abwehrte. Der Elfe bewegte sich dank seiner Kletterstiefel mühelos die Wand hinauf und zwischen die Leichen, die von der Decke hingen. Dann bemühte er sich, ein halbwegs freies Schussfeld zu bekommen.
»Halt ihn nur lange genug von mir fern«, rief er zu Dirim, »und in diesem Raum.«
Dirim schlug seine Klinge gegen sein Schild. »Na komm, Zenith. Willst du mir nichts sagen?«
»Dein Herz wird brechen, und dann dein Verstand!«, sagte Zenith und ging auf den Kleriker zu.
»Wusste ich’s doch«, sagte Dirim und ging ihm entgegen. Keiner von beiden be-achtete die Statue, die sich stets neben Zenith befand aber durch ihre Blindheit nahezu nutzlos geworden war. Zenith brachte einen Seitwärtshieb an, den Dirim aber leicht abwehrte. Dieser konterte mit einem vorsichtigen Hieb, der Zeniths Deckung öffnen sollte. Wieder kam Zeniths Axt seitwärts geschwungen, und wieder brachte Dirim seinen Schild dazwischen. Währenddessen ließ Thamior Pfeil um Pfeil niedergehen, die in Zeniths Rüstung oder in einer der Leichen stecken blieben. Jetzt schlug Zenith von links oben zu, und Dirim schob ihm sein Langschwert unter die Klinge. Die Waffen verkeilten sich. Zenith zog Dirim zu sich heran und starrte ihm mit müden, leblosen Augen entgegen.
»Die Schatten werden dein Blut verzehren.«
Ein Pfeil surrte heran und traf Zenith genau zwischen die Schulterblätter. Wieder ging ein Teil des Schadens auf die Statue über, aber dennoch schien Zenith schwer getroffen. Dann umgab Zenith ein Leuchten, und der Pfeil fiel herab. Die Statue hatte ihn geheilt.
»Mistviech!«, fluchte Dirim. Zenith drehte sich um und ging in Richtung des Elfen. »Oh nein, bleib hier!« Der Kleriker stach seinem Gegner das Langschwert zwischen die Beine. Zenith stolperte beinahe, dann wandte er sich wieder Dirim zu.
»Du wirst deine Stadt in Flammen sehen«, sagte er.
»Du wiederholst dich«, gab Dirim zurück. Dann brachte er den Schild gerade noch nach oben, um Zeniths Hieb abzuschmettern. Er zog eine Grimasse. Jeder seiner Muskeln schmerzte. Wieder parierte er einen Hieb, und wieder gelang es ihm, die Waffen zu verkeilen.
Thamior kam die Wand herab gelaufen. Ein Pfeil war schon auf dem Weg zu seinem Ziel und traf Zenith in die Kniekehle. Der Krieger ging in die Knie. Thamior legte einen zweiten Pfeil auf.
»Die Zeit ist gekommen, dass du gehst«, sagte Thamior in Nachahmung des Zwerges. Dann ließ er den Pfeil los. Das Geschoss sauste durch die Luft und zerbrach an Zeniths Rückenpanzer. Der Zwerg grunzte nicht einmal.
»Erst schießen, dann reden!«, rief Dirim. Er trat Zenith gegen die Brust, dass dieser zurück stolperte. Anstatt aber direkt wieder anzugreifen, nahm er einen Trank heraus und leerte ihn.
»Oh, nein«, sagte Dirim. Die Wunde in Zeniths Kniekehle schloss sich wieder. Dirim sah nach oben. »Du machst es nicht gerade einfach, Herr.« Er stieß mit dem Langschwert zu. Zenith schlug es mühelos zur Seite. Dann trat er Dirim ins Gesicht.
Dirim fiel auf den Rücken, und gleich schlug Zenith wieder zu. Dirim brachte den Schild hoch, der ihm aber vom Arm gerissen wurde. Noch ein Hieb, und gerade so konnte Dirim mit seiner Waffe abwehren. Beim nächste Hieb rollte er zur Seite, sprang auf und stolperte zu seinem Schild. Schon war Zenith wieder heran, als ein weiterer Pfeil in seiner Brust stecken blieb. Zenith verharrte und sah auf das Geschoss.
»Und siehe, nun...« Thamior überlegte für einen Moment, dann verwarf er den Gedanken. »Vergiss es.« Er riss den Bogen hoch und feuerte ein weiteres Mal. Zeniths Axt fuhr herum, um den Pfeil abzuwehren, aber er war zu langsam. Nun sah Zenith auf zwei Pfeile in seiner Brust herab. Er öffnete den Mund, um eine weitere Prophezeiung von sich zu geben, aber es kam nur Blut über seine Lippen. Dann fiel er um.