Regen - wieder dieser Regen.. Heute ist er nicht so stark wie sonst, trotzdem wirkte er ungewohnt auf Vhe'Laudil, den bewährten Incyrias der Garde, obwohl seine Reise bloß Tage gedauert hatte.
Durch den feinen Nebelschleier fiel sein Blick auf die Umrisse von Mentirom Ezelóhar, dem vorhof des Wissens. Verschwommen reckte sich dort, vor seinem Tempel die Statue des Adanakôth in die Höhe, des Gottes der Mith'Quessiri.
Gute 150 Meter trennten den stummen Elfen mit dem ernsten Blick von diesem Ort, zu welchem eine Straße, flankiert von hochgezogenen Bauwerken aus schwarzem Marmor, durchzogen von den, für die Stadt so typischen weißen Verästelungen hinführte.
Während der Blick des Incyrias an den Bauwerken vorbeihuschte, kurz den Palast der Familie Il'Nauth streifte, dessen verspielte und mit zahlreichen Verzierungen versehene gothische Fassade im leichten Nieselregen eher schemenhaft zu erblicken war, schweiften seine Gedanken kurz zurück zu den Stationen der Reise, welche ihn gemeinsam mit drei anderen ausgewählten Grauelfen an die süd-westliche Grenze des Mir-Waldes, geführt hatte.
Die meisten seiner Opfer waren noch nicht einmal mehr dazu gekommen, ihre Pein in den stummen Wald hineinzuschreien, dessen alte Bäume die einzigen Zeugen des Gemetzels gewesen waren. Die Lichtung auf welcher die Holzfäller aus dem fernen Calimshan zwar keine edlen Hölzer, dafür aber einen alten Turm aus der Zeit der Kronkriege entdeckt hatten, hatte sich mit Blut zu färben begonnen.
In Gedanken versunken registrierte er am Rande die herbeifliegenden Schemen zweier Faer'thiri, welche sich auf die Macht des Mythals verlassend heranschwebten.
Die Hälfte war ihm Schlaf gestorben, während sie in ihren heruntergekommenen Zelten geruht hatten. Die jämmerlichen Wachen waren den Elfen der Palastgarde kein Hindernis gewesen, im Gegenteil.. Selbst ein blinder Elf hätte eine aufmerksamere Wache dargestellt.
Dinniron hatte sich beim Anblick der jüngeren Menschen, welche Vhe'Laudil mit sauberen Genickstichen getötet hatte übergeben müssen. Ob seiner mangelhaften psychischen Fähigkeiten hatte er die zweifelhafte Ehre gehabt, das Schicksal der von ihm betrauerten zu teilen..
Diese Missionen waren eine der seltenen außenpolitischen Aktivitäten von Myth'Dyraalis. Und selbst sie standen in den seltensten Fällen im direkten Mandat der Herrschenden oder gar des gesamten Tuílere Échui - des hohen Rates.
Vielmehr waren es die Pläne und Ziele der Palastgarde, oder auch des Klerus des Shevrarash, in deren Zeichen diese gefährlichen kleinen Sondermissionen ausgeführt wurden, während sie von offizieller Seite her zumeist ignoriert wurden.
Das metallischen Klacken, mit welchem einer der jüngeren Rekruten (Offensichtlich ein Mitglied der Familie Onótiel, wie man an dem Wappen im Schild erkennen konnte: Ein von Efeu am Griff umwuchertes strahlendes Langschwert) seine Absätze zusammenschlug, riß den mißmutigen Incyrias aus seinen oberflächlichen Gedanken. Der wohl an die 70 Jahre alte Mith'Quessiri, welcher wie auch die sechs anderen Ehrenwachen vor Val'istiran, der Akademie der Magi, Incyrias Delirae direkt unterstand, nahm eifrig stramme Haltung an, erst jetzt mußte sein ungeschulter Blick die beiden Faer'thiri erblickt haben, welche vor dem Regen geschützt mit magischen Scheiben, heranschwebten und die breite Treppe, welche zum perlmuttenen Tor Val'Istirans führte, erreichten..
Der Blick des Incyrias hob sich kaum merklich unter dem grauen Piwafwi, welchen er einem seiner verhasstesten Feinde abgenommen hatte, und huschte prüfend über die beiden Gestalten. Trotz der Sicherheit, die die Stadt für ihre Bewohner bedeutete, entspannte sich der hochrangige Gardist nicht, während er, gemäß seiner Aufgabe beide Gestalten einschätzte.
Schon von Ferne hatte er in einem der beiden Magi Gwathren Erethir vermutet, einen der drei Meister der Akademie. Wäre Vhe'Laudil ur einen Deut an dem was ihn umgab interessiert gewesen, hätte er wohl über die düsteren Gerüchte nachgedacht, welche sich sowohl um das Haus Erethir, als auch um den Hochmeister der Nekromantie in Myth Dyraalis rankten.
So ließ er den Kopf jedoch schon schnell wieder sinken, um weiter in den Regen zu blicken, der ihm in seiner Monotonie etwas beruhigendes hatte.
Die beiden Faer'thir waren nun schon fast auf der Höhe der Gardisten und an den edlen Roben war leicht zu erkennen, dass beide Magier hochrangige Mitglieder von Val'Istiran darstellten.
Als nun auch die anderen Mitglieder der Ehrenwache Gwathren erkannten, nahmen sie ebenfalls stramme Haltung an und grüßten die Magi stumm, gemäß der alten Tradition, indem ihre linken Hände mit überschlagenen Mittel und Zeigefinger auf die linke Brust tippten.
Während der Zwillingsbruder des Oberhauptes von Haus Erethir, in seine ebenholzschwarze Robe gehüllt den ehrerbietigen Gruß kurz aufblickend erwiedert, würdigte der andere Faer'thir die Gardisten keines Blickes und zeigte nicht die geringste Anstalt, sein von ausladender Gestik geprägtes Gespräch zu unterbrechen.
Die Zeit war eine Variable, deren Verstreichen für Vhe'Laudil bedeutungslos geworden war. Er nahm sie zur Kenntnis, so wie er den ewigen Regen in Myth'Dyraalis zur Kenntnis nahm. Er reduzierte sein selbst auf jene Teile, die ihm bei der Erfüllung seiner Befehle nützlich waren, den Rest schloß er hinter den dunklen Türen seines selbst ein, wo auch andere, ältere Erinnerungen in ihren finsteren Gefängnissen darauf harrten, ans Licht zu brechen;
Während die Minuten verrannen, zeigte sich mit langsam steigender Geschwindigkeit das Leben auf den Straßen der Stadt, zuerst in Form der allgegenwärtigen Konstrukte, deren metallische Füße durch die Lacken und Rinnsale der regennassen Straßen liefen und geschäftig dabei waren, ihren Herren das Leben einfacher zu machen, dann mehr und mehr in der Form der eigentlichen Bewohner der Stadt, der Grauelfen, welche getragen von der Macht des Mythals und durch ihn mit schwebenden Scheiben vor dem Regen geschützt über Straßen und Plätze schwebten.
Vhe'Laudil nahm ihre Verkommenheit mit derselben Kenntnisnahme hin, wie zuvor das Verstreichen der Zeit. Wenngleich diese Korruption an den elfischen Prinzipien von Zeit zu Zeit seine Wut entfachten, so war der Anblick doch zu alltäglich um;
Ein peinvoller Schrei, dem das Zufallen einer schweren Tür gefolgt war, riß Vhe'Laudil aus seinen versunkenen Betrachtungen - Zwar war der Schrei alles andere als laut gewesen, ein Umstand, der sich auch in den nicht vorhandenen Reaktionen seiner Untergebenen abzeichnete, mit Ausnahme von Silrindar, doch konnte er seinen Ohren bedingungslos vertrauen.
Schon auf dem Weg in die Vorhalle gab er in leisem Tonfall seine Befehle: "Arcyrias, folgt mir, die Rekruten warten!"
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Il'Nauth, Erethir und Onotiel sind drei der 8 großen Adelsfamilien der Stadt
Für die, die es interessiert, hier eine Liste der Titel:
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Wichtige Titel und Eigennamen:
Calad - Hochkönig
Cálina - Hochkönigin
Faer'thyriss - Erzmagier
Faer'thir - Magus
Vaire - Pontifex
Vaithar - Kleriker
Elciryas - Großmeister der Garde
Incyrias - Meister der Garde
Arciryas - Krieger der Garde
Arvegil - Meister des Rechts
Herdir - Meister
Herdir Échui - Minister
Hithoel - Gassenläufer, Agent (manchmal für Spezialeinheiten
der Palastgarde gebraucht)
Mith'Quessir - Grauelf
Noeglith - Gnom
- ansonsten siehe die Elven Phrases
Tuílere Échui - Der hohe Rat
Ildarth - Das Gewebe der Magie