Meckerkobold!
Zwischenspiel: WährenddessenTerseon Skellerang schlug die Tür hinter sich zu. Die beiden Wachen davor wichen unwillkürlich vor ihm zurück. Der Hauptmann der Stadtwache nahm zwei Stufen auf einmal, als er aus dem Kerker nach oben ans Tageslicht zurückkehrte. Die kalte Wintersonne stach ihm in die Augen. Es dauerte einen Moment, bis er die Schemen vor ihm identifizieren konnte.
»Sie reden nicht, oder?« Tenebris Valanthru war schwer zu lesen, aber Terseon ahnte, dass die rechte Hand des Stadtherren unzufrieden war. Schließlich hatte Valanthru sich von Anfang an skeptisch gezeigt, ob Terseon seine Leute dazu bringen könne, Maavu zu verraten. ›Falsche Sentimentalität‹ hatte er es genannt. Auf der anderen Seite war Grukk Zwölftöter sehr einfach einzuschätzen: Der Ork brannte darauf, Peter und Frank in seine Finger zu bekommen.
»Gehen wir in mein Büro«, sagte Terseon. »Dann kann ich gleich was essen.« Er drehte sich um und ging voraus. Tenebris und Zwölftöter folgten ihm widerstrebend.
Terseon setzte sich hinter seinen Schreibtisch und ließ den Beiden keine Möglichkeit, als auf der anderen Seite Platz zu nehmen. Er nahm einen kalten Hühnerschenkel von dem bereit stehenden Teller und biss hinein. Dann trank er einen Schluck Wein. Tenebris sah dem Schauspiel gelassen zu, aber dem Ork wurde es zu viel
»Verdammt, Skellerang, gib die Kerle endlich raus!« Er schlug mit der Faust auf den Schreibtisch, dass beinahe Terseons Weinkelch umgekippt wäre.
»Ich hätte auch gerne etwas Wein«, sagte Tenebris, »und Grukk hier nimmt auch einen Schluck.«
»Ich habe keinen Durst auf Wein«, knurrte der, »sondern auf das Blut dieser-«
»Habt ihr noch zwei Kelche?«, wurde er von Tenebris unterbrochen.
Terseon stand auf und füllte zwei weitere Kelche mit Wein. Tenebris nickte dankbar und nahm einen Schluck. Wenn ihm die schlichte Qualität aufstieß, ließ er es nicht erkennen. Grukk hingegen warf erst einen störrischen Blick zum Elfen hinüber, dann trank er den Kelch in einem Schluck leer und ließ ihn zu Boden fallen. Terseon nahm sich einen weiteren Hühnerschenkel.
»Haben wir jetzt alle genug gespielt?«, fragte Tenebris. »Dann beantwortet bitte meine Frage: Haben die Beiden geredet?«
»Noch nicht«, gab Terseon zu. Grukk murmelte etwas Unverständliches. »Aber sie werden.«
»Das hatten wir doch schon. Grukk würde sie schneller-«
»Es sind gute Männer«, sagte Terseon. »Sie glauben, dass sie das Richtige taten.«
»Warum schweigen sie dann noch, nachdem Hunderte verletzt wurden?«
Terseon leckte sich die Lippen. »Sie brauchen nur Zeit.«
»Zeit?« Valanthrus Stimme bekam einen harten Unterton. »Wir haben keine Zeit! Wie lange braucht Maavu, um endgültig zu verschwinden? Wie lange, um seinen nächsten Anschlag vorzubereiten? Selbst wenn - und ich halte das keineswegs für sicher - die Beiden nichts von Maavus Plänen geahnt haben, so machen sie sich doch mitschuldig an jedem Toten und Verletzten, den es in Zukunft geben wird.«
»Ich werde sie zum Sprechen bringen.«
»Nein, Ihr werdet sie Grukk übergeben.«
Terseon atmete tief ein. »Das werde ich nicht.«
Tenebris saß stocksteif. Neben ihm rutschte Grukk tiefer in seinen Stuhl. »Wie bitte?«
»Ich sagte, das werde ich nicht. Dies sind meine Männer. Ich werde sie zum Reden bringen.«
Der Elf rührte immer noch keinen Muskel. »Dies sind nicht mehr Eure Männer. Es sind Verräter.«
»Dennoch werde ich mich um sie kümmern. Und ich werde Maavu aus dem Verkehr ziehen.«
Tenebris sah den Hauptmann an. Dann betrachtete er seinen Weinkelch. Er stand auf und stellte den Kelch auf den Tisch. Ein Lächeln spielte um seine Lippen, und Terseon fühlte, wie er sich entspannte. »Also gut«, sagte Tenebris. »Ihr bekommt noch etwas Zeit.« Er sah zu dem immer noch sitzenden Ork. »Grukk, lasst uns bitte allein. Es gibt da noch etwas, was ich mit dem Hauptmann zu bereden habe. Unter vier Augen.«
»Mein Fürst.« Grukk Zwölftöter erhob sich und verließ den Raum. Tenebris sah zu Terseon und rollte mit den Augen. »Er mag sich zivilisiert geben, aber er ist und bleibt ein Ork.« Er lächelte. »Gut gespielt, Hauptmann.«
Terseon lehnte sich in seinem Stuhl zurück und lächelte ebenfalls. »Danke.«
Tenebris goss seinen Wein zurück in den Kelch. Er ging zu einem Wandschrank und nahm eine Flasche heraus, aus der er den Kelch neu füllte. Er trank. »Schon besser.« Tenebris setzte sich wieder gegenüber Terseon und schlug die Beine übereinander. »Nun zu wichtigeren Themen...«
-
»Ihr wolltet mich sehen?« Terseon verneigte sich tief. Er hatte seinen Gardeumhang angelegt, der ihn wie immer am Hals kratzte. Wenn dies allerdings sein letzter Auftritt als Hauptmann sein würde, dann wollte er wenigstens erhobenen Hauptes gehen. Mit diesem Gedanken richtete er sich wieder auf und sah dem Stadtherren ins Gesicht.
»Mein guter Freund«, sagte Severen Nalavant. Er saß in der Bibliothek und las ein Buch über elfische Feiern beim Übergang von der Jugend zum Erwachsenen. »Setz dich zu mir.« Terseon nahm neben dem Stadtherren Platz. »Tenebris hat mir von euren Schwierigkeiten erzählt. Diese Wachleute?«
»Peter und Frank.«
Nalavant nickte. »Peter und Frank schweigen immer noch?«
Terseon zwängte einen Finger unter den Kragen. Wahrscheinlich würde der Stadtherr gleich anbieten, den Umhang weiten zu lassen.
Stattdessen sagte er: »Es sind zwei Tage vergangen, seit du sie festgenommen hast. Ich finde es großartig, dass du an ihre Reue glaubst, aber wie lange willst du ihnen noch geben?«
»Ich brauche nur etwas mehr Zeit«, sagte Terseon und hoffte, dass er überzeugter klang, als er war.
Nalavant tätschelte seinen Oberschenkel. »Wie viel Zeit? Maavu plant vielleicht schon sein nächstes schamloses Schurkenstück, um die treuen Bürger dieser Stadt ins Unheil zu stürzen. Diese Leute tragen dafür die Verantwortung.«
Terseon sah dem Stadtherren in die Augen. »Wollt ihr meinen Rücktritt?«
»Mein lieber Terseon.« Nalavant schüttelte den Kopf und lächelte dabei. »Wie könnte ich? Zugegeben, ich habe mit dem Gedanken gespielt, aber Tenebris hat mir ins Gedächtnis gerufen, dass du mein treuester Diener bist.«
»Was wollt ihr dann von mir? Ich tue mein Bestes, wirklich.«
»Das weiß ich doch. Aber wie ihr selbst mir gesagt habt, nach Tagen gerechnet bin ich immer noch in meinem fünften Jahr als Stadtherr. Ich muss diese Zeit überstehen. Cauldron muss diese Zeit überstehen. Auch dann, wenn wir Opfer bringen müssen.«
»Ihr wünscht, dass ich Peter und Frank dem Ork übergebe«, stellte Terseon fest.
»Es betrübt mich ebenso wie Euch, mein Freund, aber ja. Gebt die beiden Verräter an Zwölftöter weiter.«
»Wisst ihr, was er mit ihnen anstellen wird?«
Severen Nalavant lächelte, doch das Lächeln erreichte seine Augen nicht. »Grukk ist ein ungehobelter Klotz, ein grausliger Gesellschafter. Aber er hat seinen Nutzen. Lassen wir ihn nützlich sein.«
Terseon schloss die Augen. Er stand auf und verneigte sich vor Nalavant. »Mein Herr, ich werde tun wie ihr verlangt. Grukk Zwölftöter wird die Gefangenen binnen einer Stunde in seinem Lager haben.«
Eine Träne bildete sich in Nalavants Auge. Er lehnte sich vor und ergriff Terseons Arm. »Für das Wohl der Stadt«, sagte er.
Terseon nickte. Ein harter Zug spielte um seine Lippen. Seine Narbe glänzte im Kerzenschein. »Für das Wohl der Stadt.«