- Politische Sozialisation -
Sozialisation von Kindern
Anhand dem Bericht:
„Politik bei Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg“
von Gerd Strohmeier
(Beilage zur Ausgabe 41 der Zeitung: „Das Parlament“)
0 Sozialisation
Die Sozialisation (aus dem Lateinischen) ist ein sozialwissenschaftlicher Begriff und bezeichnet die Entwicklung der Persönlichkeit aufgrund ihrer Interaktion mit einer spezifischen, materiellen und sozialen Umwelt. Durch sie wird ein Individuum zu einem vollwertigen Teil der Gesellschaft.
1 Teildimension: Politische Sozialisation
Politische Sozialisation (PS) ist in engem Zusammenhang mit politischer Kultur, politischer Kultur, politischer Meinungs- und Werteforschung und mit politischer Bildung zu sehen. Nimmt man die klassische Definition politischer Kultur als die „jeweilige Verteilung von Orientierungsmustern gegenüber politischen Gegenständen“ in einer Gesellschaft, dann bezeichnet PS den Erwerb dieser Orientierungsmuster durch das Individuum. Der Begriff ist sehr komplex, da „Sozialisation“ die gesamte – bewusste und unbewusste – Aneignung gesellschaftsbezogener Kenntnisse, Fähigkeiten, Einstellungen und Werte bezeichnet und dabei sowohl die Prozesse und Inhalte als auch die Handelnden betrachtet werden können.
Abgegrenzt werden kann der Begriff PS von Formen oberflächlicher und kurzfristiger politischer Meinungsbildung. Im Gegensatz zu diesem bezieht sich PS auf diejenigen politischen Einstellungen und Orientierungen, die längerfristig und tiefergehend verinnerlichte Bestandteile der Persönlichkeit werden.
2 Phasen der (politischen) Sozialisation
Sozialisation ist ein Prozess, der nie abgeschlossen ist, d.h. ein lebenslanger Prozess, der sich in drei Phasen unterteilen lässt: Die Primär-, Sekundär- und Tertiärsozialisation.
Primärsozialisation: umfasst die ersten Lebensjahre, erfolgt vornehmlich im Elternhaus bzw. der Familie
Normen, Werte und Verhaltensweisen werden vermittelt, stabilisieren sich relativ schnell (können sich später jedoch noch verändern), Abschluss mit Herausbildung einer individuellen Identität (Grundpersönlichkeit)
Persönlichkeitsstruktur ist so tiefgehend, das später modifiziert, aber nicht mehr grundlegend [!] geändert werden kann.
Charakterisierung durch Selbst- und Sozialkompetenz, steht für spätere Aspekte der politischen Kompetenz (folglich ist eine Vorstrukturierung eingetreten)
Sekundärsozialisation umfasst die Jahre bis zum Ende der Adoleszenz (Übergangsstadium von Kindheit und Pubertät zur vollenden Reifung (emotional und sozial) der Person, obwohl sie biologisch schon als Erwachsen gelten kann), erfolgt nicht mehr nur im Elternhaus, sondern primär in der Schule und in Gleichaltrigengruppen („peer groups“), Angeeignetes aus der Primärsozialisation wird stabilisiert, differenziert, überdacht und transformiert um auf die Rolle in der Gesellschaft vorbereitet zu sein.
Herausbildung der Persönlichkeit des Individuums, Entwicklung der politischen Kompetenz (politische Kenntnisse, Einstellungen Aktivitätsbereitschaft, etc.), Wichtig: Basis der Selbst und Sozialkompetenz stellt Nährboden für politische Kompetenz bzw. politische Grundpersönlichkeit
Tertiärsozialisation umfasst das Erwachsenenalter, erfolgt in letztlich allen Bereichen in denen das Individuum mit seiner sozialen Umwelt interagiert (Freundeskreis, Arbeitskollegen, etc.), ständige Anpassung, ständige Anpassung im politischen Bereich
Die Phase der Tertiärsozialisation ist die Längste, aber nicht die Wichtigste. Die Neigung zum Schwarz-Weiß-Denken findet vornehmlich in der Sekundärsozialisation statt. Im Erwachsenenalter werden Urteile und Meinungen zwar differenzierter und die Wahrnehmung kritischer, ist aber durch die vorhergegangene Pauschalisierung z.B. im Bereich der politischen Grundeinstellung, eine nachhaltig prägende Wirkung entstanden/geblieben.
3 Wissenschaftlichkeit
Gegenstand betrachtet die Entstehung und Entwicklung einer politisch handlungsfähigen Persönlichkeit, Entwicklung politisch kompetenter, loyaler, kritik- und handlungsfähiger Bürger und Bürgerinnen
System ergibt sich aus der Methode bzw. der Intention und ist somit von Sachverhalt zu Sachverhalt unterschiedlich
Methode befasst sich mit dem Komplex von Einstellungen, Kognitionen, Wertevorstellungen und Gefühlen gegenüber dem politischen System, Politikern, politischen Institutionen und das darauf bezogenen Ziel
4 Kriterien der Kinderhörspiele bezüglich der politischen Sozialisation
Grundsätzlich haben Kinderhörspiele ein sehr großes Sozialisationspotenzial, da sie
- in den ersten beiden und somit zentralen Sozialisationsphasen, insbesondere in der Phase der politischen Sekundärsozialisation wirken
- überwiegend Schwarz-Weiß-Schemata sowie affektive Inhalte vermitteln und dadurch die Entwicklung pauschalisierter Urteile bzw. politischer Grundeinstellung stützen
- Hörspielhelden präsentieren, deren Einstellungen und Verhaltensweisen Kinder zur Identifikation und Imitation, d. h. zum unkritischen Lernen veranlassen
- Kinder zwar als anonymes Publikum, aber auf eine sehr persönliche und Vertrauen erweckende Art ansprechen und dadurch äußerst subtil wirken
- von Kindern überwiegend vor dem Einschlafen, d. h. mit einem sehr geringen „kritischen Abstand“, aufgenommen werden und dadurch äußerst suggestiv (einflüsternd) wirken
- von Kindern nahezu ausschließlich zur Unterhaltung gehört werden und diese dadurch beiläufig mit Politik konfrontieren
- von Kindern nach wie vor hauptsächlich über Tonkassetten und daheräußerst breit und intensiv rezipiert (Übernahme kultureller Werte und Vorstellungen) werden und
- als auditives Medium aus entwicklungspsychologischen Gründen bei Kindern einen höheren Stellenwert genießen sowie eine weitere Wirkung erzielen als bei Jungendlichen oder Erwachsenen
5 Strukturen des Hörspieles „Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg“
Hörspielhelden und vertreten eine politischen Position, welche einem eindeutigen politischen Spektrum zuzuordnen ist. Sie tauchen auf der „richtigen“ Seite auf, die man als linksliberal bis linksalternativ beschreiben kann. Die Helden sind pazifistisch, egalitär, bisweilen anarchisch und antikapitalistisch eingestellt.
Die Helden unterscheiden sich in einigen Punkten, und sprechen so unterschiedliche Zielgruppen an. Benjamin fährt den Weg des rechtschaffen guten Helden, wohin Bibi den Weg der chaotisch guten Heldin folgt. Die Geschichten sind nach dem gleichen Prinzip aufgebaut. Die „Bösen“ verbrechen, die Koalition des Guten deckt den Missstand auf und hält mit ihrer Methode und der Poante die Gerechtigkeit hoch.
Die verschiedenen Parteien:
Staat verkörpert durch Bürgermeister, personifiziert Idiotismus, Korruption, Eitelkeit, Eigennutzen, Diktatur, Unbeliebtheit, Faulheit, und zahlreiche weitere negative Eigenschaften. Er steht für einen Gegenpol zur Sozialisation.
Polizei verkörpert durch Polizeipräsident und Gehilfen, personifizieren Idiotismus, Automatismus, blinden Gehorsam, Inkompetenz, Lächerlichkeit und Unreflektiertheit
Wirtschaft verkörpert durch Vertreter (Bankchef: Ulrich Umsatz, Immobilienhai: Herr Schmeichler), personifizieren Kapitalismus, Gier, Betrug, Hinterhältigkeit,
Medien verkörpert durch Karla Kolumna, personifiziert Wissen, Bildung, eigenständiges Denken, Motivation, Verantwortungsbewusstsein
Helden verkörpert durch Bibi Blocksberg und Benjamin Blümchen, personifizieren Gerechtigkeit, Idealismus, Pazifismus, Umweltschutz, Liebe, Genügsamkeit, Integration, Ehrlichkeit, Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie
Das Prinzip wiederholt sich bei jeder neuen Geschichte und führt so zu einer Suggestion von Handlungsabläufen. Die Perspektive ist einseitig, jedoch durch die „gute“ Seite gesehen und somit für unser Vorstellungs- und Wertevermögen eindeutig richtig. Eine Unfehlbarkeit der Helden ist somit gesichert.
6 Bedenken und Wertung Gerd Strohmeiers
„Die Hörspiele von Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg verdienen aus politikwissenschaftlicher Sicht keineswegs das Prädikat „wertvoll“. Gründe hierfür liegen in der ganzheitlichen Darstellung der Politik. Die Kinder erfahren, das die Personen der Politik grundsätzlich verantwortungslos (unter anderem verschwenderisch, ausbeuterisch und umweltschädlich) bürokratisch sowie korrumpierbar und keineswegs wohltätig, am Gemeinwohl interessiert sind. Politiker sind in Hörspielen grundsätzlich lächerliche und inkompetente Figuren, die faul, reich, geld- und machtgierig, verschlagen, am eigenen Wohl orientiert sowie unfreundlich, unmenschlich und unbeliebt sind.
Trotz des großen Erfolges der Hörspiele von Benjamin Blümchen und Bibiblocksberg ist insgesamt festzustellen, dass diese die Entwicklung politisch mündiger Bürgerinnen und Bürger kaum fördert, wenn nicht gar behindert. Denkt man an die oben dargestellte Bedeutung von Kinderhörspielen für die politische Sozialisation, den langjährigen und großen Erfolg der beiden Hörspielhelden sowie auch an die Ausstrahlung ihrer Geschichten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, so ist diese Kritik keineswegs unbedeutend. Kinder hören bei den Blümchen- bzw. Blocksberg-Hörspielen keineswegs nur lustige Geschichten eines sprechenden Elefanten und einer kleinen Hexe, sie hören mehr, und das, was sie hören, sollte mehr Aufmerksamkeit verdienen„
– Gerd Srohmeier (Priv.-Doz., Dr.phil., geb. 1975 Privatdozent an der Universität Passau, Lehrstuhl für Politikwissenschaft)
7 Eigenes Fazit
Der angesprochene Aspekt Gerd Strohmeiers ist tatsächlich nicht zu verkennen. Er ist einer anderen Perspektive auf die Hörspiele zuzuordnen und sollte durch seine schlüssige Argumentation auf jeden Fall im Hinterkopf behalten werden. Seine Theorie steht als Konversationsplattform zum Thema: „Altes weicht dem Neuen“ und weist somit auf eine bislang nicht beleuchtete Dynamik hin.
Referat: „Politische Sozialisation von Kindern“ von ------------ am 26.10.2005